Angeborene Immunabwehr

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Angeborene
Immunabwehr
Jan Wehkamp, Robert Bals,
Burkhard Kreft, Jens-M. Schröder,
Eduard F. Stange
Zusammenfassung
Infektionen und entzündliche Erkrankungen sind sehr selten. Das legt den Schluss
nahe, dass der Körper über effektive Verteidigungsstrategien verfügt. Die Interaktion
zwischen Mikroflora und Wirtsorganismus
und insbesondere die Bedeutung körpereigener Antibiotika, wie beispielsweise die
Defensine, rücken zunehmend in den Mittelpunkt der gegenwärtigen Forschung.
Dieses System zur Bakterienabwehr ist ein
zentraler Bestandteil des Lebens. Es gibt
bisher keinen bekannten eukaryontischen
Organismus, der ohne ein Arsenal aus Defensinen oder vergleichbaren antimikrobiellen Peptiden überlebt. Neben einer sehr
hohen antimikrobiellen Aktivität gegen
gramnegative und grampositive Bakterien
sind diese Moleküle ebenfalls wirksam gegen Pilze, Viren und verschiedene Protozoen. Diskussion: Störungen in der endogenen Bakterienabwehr scheinen eine
wichtige Rolle in verschiedenen chronischentzündlichen Erkrankungen zu spielen.
Schlüsselwörter: angeborene Immunität,
antimikrobielle Peptide, Defensine, Infektionsabwehr, Antibiotikum, Immundefekt
Summary
Infections and inflammatory diseases are
surprisingly rare, suggesting that the body
has very effective defense systems. The interaction between microflora and the host organism, and in particular the role of endogenous antimicrobial peptides like defensins,
is an increasing focus of study.This system of
antimicrobial defense is a central part of life
and there is not a single eucaryotic organism
studied to date which does not have an arsenal of antimicrobial peptides.These peptides
have broad activity against gram positive
and gram negative bacteria, enveloped viruses, fungi and protozoa. Discussion: Disrupted antimicrobial defences seem to play an
important role in a variety of chronic inflammatory diseases. This review is aimed to
summarize the underlying concepts.
Key words: congenital immunity, antimicrobial peptides, defensins, defence against infection, antibiotic, immune deficiency
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Klinische Relevanz der endogenen antimikrobiellen Peptide
H
aut und Schleimhäute sind beim
Menschen mit Mikroorganismen
besiedelt. Normalerweise können
Mikroorganismen diese Grenzen jedoch
nicht durchdringen. Für diese erstaunliche natürliche Resistenz ist die physikalische Barriere verantwortlich: bei der
Haut durch Ausbildung einer Schicht aus
Stratum corneum und einem „Säureschutzmantel“, bei Schleimhäuten durch
eine Mukusschicht.
Untersuchungen an pflanzlichen und
wirbellosen tierischen Organismen, die
kein adaptives, spezifisches Immunsystem besitzen, zeigten, dass insbesondere
Epithelien aktiv mithilfe einer „chemischen Barriere“ Infektionen bekämpfen
können. Diese Barriere besteht aus Defensinen und anderen Peptiden, die als
endogene Antibiotika die extra- und intrazelluläre Zerstörung von aggressiven
Mikroben übernehmen.
Das angeborene Immunsystem, das
für die Primärabwehr bakterieller, viraler
oder Pilzinfektionen zuständig ist, besteht aus mehreren Komponenten. Wichtige zelluläre Bestandteile sind: Granulozyten, Makrophagen, natürliche Killerzellen, Mastzellen sowie Epithel- oder
auch Endothelzellen. Auf molekularer
Ebene erkennen Zellen nach Bindung
bakterieller Signalkomponenten, beispielsweise von Peptidoglykanen oder Li-
popolysacchariden, an membranständige Toll-like-Rezeptoren die drohende
Infektion. Ein weiteres Alarmsystem besteht aus intrazellulären NOD(nucleotide binding oligomerisation domain)Rezeptoren. Sie stimulieren die zelluläre
Abwehrreaktion auf die Infektion.
Eine bedeutsame Komponente der
Verteidigungsstrategie ist die durch Tolllike- und NOD-Rezeptoren vermittelte
Expression von Defensinen und anderen
antimikrobiellen Peptiden wie Cathelicidin LL-37. Sie stellen endogene Antibiotika dar, die durch verschiedene Entzündungszellen, wie Granulozyten und Makrophagen, vor allem aber in Epithelzellen gebildet werden (Grafik ). Durch eine
membranschädigende Wirkung können
sie Krankheitserreger abtöten beziehungsweise inaktivieren. Antibakterielle
Peptide sichern darüber hinaus die Vernetzung mit der spezifischen Immunabwehr durch ihre chemotaktischen Eigenschaften, indem sie Zellen des angeborenen und adaptiven Immunsystems anziehen oder aktivieren.
Robert Bosch Krankenhaus, Stuttgart (Dr. med.
Wehkamp, Prof. Dr. med. Stange);
Dr. Margarete Fischer Bosch Institut für klinische
Pharmakologie, Stuttgart (Dr. med. Wehkamp);
Universitätsklinikum Gießen und Marburg (PD
Dr. med. Dr. rer. nat. Bals);
Klinikum Hildesheim GmbH, Hildesheim (Prof.
Dr. med. Kreft);
Universitätsklinik Schleswig Holstein, Campus
Kiel (Prof. Dr. rer. nat. Schröder)
Molekulare Charakterisierung
antimikrobieller Peptide der Haut
Der Nachweis einer leukozytenunabhängigen „chemischen Hautbarriere“
beim Menschen erfolgte erst in der jüngs-
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Defensine und andere antimikrobielle Peptide werden überall im Körper gebildet, besonders in Epithelien, die einen Kontakt zur Außenwelt besitzen.
ten Vergangenheit, obwohl die Existenz epithelialer Peptidantibiotika durch die Beobachtungen einer „bakteriolytischen Aktivität“ in Nasalsekreten von Alexander Fleming
bereits 1922 gesichert war. Hohe Konzentrationen antimikrobieller Peptide ließen sich in Extrakten läsionaler
Schuppen von Patienten mit Psoriasis – eine nicht durch
Erreger verursachte inflammatorische Dermatose – nachweisen. Dieser Befund unterstützt die Hypothese, dass
Psoriasispatienten eine ungewöhnlich hohe „chemische
Hautbarriere“ besitzen und vielleicht deshalb selten an
Hautinfektionen leiden.
Es gelang, aus den Schuppenextrakten das erste humane induzierbare antimikrobielle Peptid „humanes β-Defensin-2“ (hBD-2) und später hBD-3 zu isolieren und zu
klonieren. hBD-2 tötet gramnegative Bakterien wie
Escherichia coli und Pseudomonas aeruginosa effektiv
ab, hBD-3 wirkt gegen grampositive Staphylococcus
aureus. hBD-2 und -3 ließen sich in gesunder Haut kaum
nachweisen, wohingegen entzündliche Vorgänge oder
der Kontakt mit bestimmten Bakterien die Defensin-Produktion induzieren.
Auch die gesunde Haut des Menschen produziert gegen
verschiedene Erreger gerichtete antimikrobielle Peptide:
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Untersuchungen von Stratum-corneum-Extrakten hautgesunder Probanden hinsichtlich antimikrobiell aktiver Faktoren führten zur Entdeckung der „RNAse 7“. Dieses antimikrobielle Protein wirkt gegen ein breites Spektrum von
Mikroorganismen und zeigt eine strukturelle Ähnlichkeit
zu humanen Ribonukleasen.
Antimikrobielle Peptide bei Lungenerkrankungen
Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass antimikrobielle Peptide auch bei entzündlichen und infektiösen pulmonalen
Erkrankungen, wie der Pneumonie, dem Asthma bronchiale und der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung
(COPD), eine Rolle spielen. Antimikrobielle Peptide werden in der Lunge in Epithel- und Endothelzellen gebildet.
In den Atemwegen werden Peptide verschiedener chemischer Struktur synthetisiert, die den Defensin- und Cathelicidin-Familien zugeordnet werden können. Zellen des
respiratorischen Epithels und Typ-II-Pneumozyten produzieren β-Defensine und das Cathelicidin LL-37/hCAP-18.
Antimikrobielle Peptide wirken auch in der Lunge als körpereigene Antibiotika. Dies wurde in Zellkulturexperimenten und mit gereinigten Peptiden nachgewiesen. ✑
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Angeborene Immunabwehr der Harnwege
Auch bei nephrologischen Erkrankungen dürfte die angeborene Infektionsabwehr der Niere und der ableitenden
Harnwege eine bedeutsame Rolle spielen. Bei bakteriellen Infektionen der Niere wurde ein etwa dreifacher Anstieg der Urinkonzentration des hBD-1 dokumentiert. Bei
diabetischen Ratten wurde eine verminderte renale Genexpression für hBD-1 gefunden. Die erhöhte Inzidenz von
Harnwegsinfektionen bei Diabetikern könnte somit auf einem hBD-1-Mangel beruhen.
Die Rolle endogener Peptidantibiotika in der
Gastroenterologie
Die Oberfläche des menschlichen Gastrointestinaltrakts
liegt mit 200 bis 300 m2 um ein Vielfaches über der Körperoberfläche mit 1,7 m2, bietet also eine enorme Angriffsfläche für Mikroorganismen. Trotzdem kommt es von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie zum Beispiel einer
Helicobacter-pylori-Infektion, nur selten zu akuten oder
chronischen Infektionen des Magen-Darm-Trakts. Dies ist
offenbar wesentlich auf die physiologisch konstitutive Expression von Defensinen wie hBD-1 und Cathelicin LL-37
in den Epithelzellen entlang des gesamten Gastrointestinaltrakts oder von hD-5 und hD-6 in den spezialisierten
Paneth-Zellen der Dünndarmkrypten zurückzuführen.
Ebenso wie in anderen Organen werden im Gastrointestinaltrakt bestimmte Defensine wie hBD-2 und hBD-3
bei Entzündungen induziert. Dies könnte die Schleimhautprotektion während der kritischen Phase einer mukosalen Entzündung gewährleisten. Ein Beispiel hierfür ist
die Candidaösophagitis, die mit einer massiven Induktion
von hBD-2 einhergeht. Eine besondere Situation ist die Infektion des Magenepithels mit Helicobacter pylori, einem
wesentlichen Auslöser einer Gastritis und eine wichtige
Ursache des Ulcus duodeni und ventriculi. Vor allem die
helicobacterinduzierte Gastritis geht mit einer verstärkten
epithelialen Produktion von hBD-2 einher.
Noch wichtiger erscheint die Funktion der Defensine,
beziehungsweise deren Fehlen, bei den entzündlichen
Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.
Beide Erkrankungen sind offenbar auf eine Immunreaktion
gegenüber der physiologischen Darmflora zurückzuführen, die nicht (mehr) immunologisch „toleriert“ wird.
Dieser Verlust der Toleranz könnte auf eine gesteigerte
Keiminvasion in die Mukosa bei einem Barrieredefekt
zurückzuführen sein. Hierzu passt die Beobachtung, dass
die Oberfläche der normalen Mukosa praktisch keimfrei
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ist, wohingegen sie bei den idiopathischen entzündlichen
Darmerkrankungen bakteriell kontaminiert wurde.
Im gesunden Ileum sind die Krypten steril, weil an ihrer
Basis Paneth-Zellen die Ileum-Defensine hD-5 und hD-6
sezernieren. Deren Synthese ist bei Morbus Crohn des
Ileums deutlich reduziert. Dies resultiert in einer verminderten antibakteriellen Aktivität und nachfolgend einer
bakteriellen Besiedlung der Ileummukosa.
Bei Morbus Crohn des Kolons findet man im Vergleich
zur Colitis ulcerosa eine deutlich eingeschränkte Induktion der Kolon-Defensine hBD-2, hBD-3 und hBD-4 sowie
des Cathelicidins LL-37. Kürzlich wurde der wesentliche
genetische Mechanismus geklärt. Patienten mit Kolonbefall haben im Durchschnitt ein Gen weniger als Kontrollpatienten. Das führt dazu, dass hBD-2 nicht mehr ausreichend induziert werden kann.
Morbus Crohn ist eine der ersten Krankheiten, die mit
einem Genkopien-Zahl-Polymorphismus assoziiert ist und
die erste genetische Assoziation zum klinischen Phänotyp
des Kolonbefalls. Diese neue pathogenetische Hypothese
hat therapeutische Relevanz, weil beispielsweise Probiotika wie E. coli Nissle 1917 die Defensinsynthese induzieren, möglicherweise ein Wirkmechanismus zur Erhaltung
der Remission. Der Morbus Crohn könnte ein klinisches
Syndrom auf der pathogenetischen Basis eines Defekts antimikrobieller Peptide darstellen, der die Mukosaadhärenz
und -invasion sowie die Immunreaktion gegen Bakterien
ebenso erklärt wie die unterschiedliche Krankheitslokalisation im Dünn- oder Dickdarm. Dieser Paradigmenwechsel wird zu einem Umdenken im therapeutischen Ansatz –
das heißt Stärkung der Schleimhautbarriere statt unspezifische Immunsuppression – führen.
Fazit
Die Bedeutung des antimikrobiellen, angeborenen Immunsystems wurde erst in den letzten Jahren näher erforscht. Der direkte Einsatz von Defensinen in der Therapie von Infektionen oder bei Morbus Crohn ist jedoch bereits in der Entwicklung. Diese neuen Wege werden auch
bei chronisch rekurrierenden Infektionen der Lunge oder
der Harnwege von Interesse sein, weil sie eine Langzeitprophylaxe mit natürlichen Antibiotika, gegebenenfalls
auch durch gentherapeutische Ansätze, denkbar machen.
Prof. Dr. med. Eduard F. Stange
E-Mail: Eduard.stange @rbk.de
Langfassung des Beitrags und Literaturverzeichnis
unter: www.aerzteblatt-student.de/artikel/071598
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