Die Rathäuser der Stadt Lünen

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Die Rathäuser der Stadt Lünen
von Dr. Wingolf Lehnemann (1994)
derländischen Landschaftsmalers Johann
Franciscus Christ, der mehrmals Westfa
len durchwandert und dabei um 1830
auch Lünen aufgesucht hatte. 1835 veröf
fentlichte er das Tagebuch einer solchen
Reise und erwähnte darin auch das Lüner
Rathaus. Nach seiner Zeichnung, sie ist
seit 1945 verschollen, sah das Rathaus so
aus:
„Schon am Vormittag kamen wir in
Lünen an. Es ist ein kleines Städtchen von
vielleicht ein paar Tausend Einwohnern,
an der Lippe gelegen, einem kleinen Flüß
chen, das von Lippstadt bis Wesel, wo es
in den Rhein mündet, mit Hilfe von
Schleusen schiffbar ist ... Das Rathaus ist
das einzige interessante Gebäude, das ich
gefunden habe, vor allem die gotischen
Säulen, die dasselbe stützen.“
Vier gedrungene Säulen trugen drei
gotische Bögen. Hinter ihnen lag ver
mutlich die Gerichtslaube. Das Oberge
schoss über den Bögen zeigte drei recht
eckige Fenster, zwischen dem linken und
dem mittleren das Wappen der Stadt
Lünen. Die Fenster waren offensichtlich
nicht genau den Bögen zugeordnet. Es ist
zu vermuten, dass sie in dieser Form nach
dem Brand von 1512, der Lünen fast völ
lig zerstört hatte, eingesetzt worden
waren. Hier lag der Ratssaal. Die beiden
Geschosse waren vermutlich in Sandstein
ausgeführt, der um 1830 zum Teil unter
Putz lag. Das mittlere der drei Fenster
war in seinem unteren Teil mit Holzladen
verschlossen, im übrigen ist nach der
Zeichnung eine kleinteilige Verglasung
mit Bleistegen anzunehmen. Hinter den
Bögen erkennt man eine Treppe, die in
das Hochparterre führte.
Johann Franciscus Christ, 1835
Das Rathaus – Mittelpunkt der städtiç
schen Selbstverwaltung
Das Rathaus war und ist Verwaltungs
und Repräsentationsgebäude einer Stadt.
Im Mittelalter wurde es an bevorzugter
Stelle angelegt, meist am Marktplatz und
nahe der Stadtkirche. Es war stets besser
ausgestattet und gestaltet als alle ande
ren Gebäude, abgesehen von der Kirche:
Das Rathaus war Ausdruck des städti
schen Selbstbewusstseins und des Reich
tums der führenden Bürgerschicht. Auch
in Kleinstädten wie Lünen zeigten die
Rathäuser diese Merkmale, oft angelehnt
an das Vorbild einer größeren Stadt,
freilich in bescheidenerem Ausmaß.
Das erste Rathaus der Stadt Lünen
Die neue Stadt Lünen, 1341 von Graf
Adolf II. von der Mark mit dem Stadt
recht begabt, kannte im 14. Jahrhundert
gewiss nur wenige Steingebäude. Die St.
Georgskirche, die Tore, die Türme und
die Stadtmauer gehörten dazu und das
Rathaus, das in den älteren Quellen ge
legentlich als „dat Hues“ bezeichnet
wird. Schon diese Bezeichnung hebt es
aus der Zahl der übrigen Gebäude her
aus, und erst recht seine Lage am Markt
platz. Hier lag es an der Nordostecke,
merklich aus der Bauflucht in den Platz
hineinragend. Vor dem Rathaus trafen
die Straßen von den drei Toren her zu
sammen – vom Rathaus aus konnten sie
über den größten Teil ihres Verlaufes
eingesehen werden.
Rathaus um 1835
(Gemälde von Georg Nagel, um 1920;
Original Museum der Stadt Lünen)
Über das Aussehen des ersten Lüner
Rathauses unterrichten einzelne Nach
richten und dazu die Zeichnung des nie
1
Nach dem Katasterblatt von 1827 war
der nördliche Teil des Rathauses mehr als
doppelt so lang wie der südliche; das
Haus hatte also eine Erweiterung nach
Osten erfahren, als hier, „nach der Kir
che“ hin, 1614 die Ratsstube als jüngster
Raum errichtet worden war. Bürger
meister Kramer, so berichtet Johann Die
derich von Steinen, habe die Ratsstube
bauen lassen, dann sei er – nach zehnjäh
riger Bauzeit! – abgesetzt worden, wes
halb er um das Wappen über der Tür den
Spruch „Undank in fine laborum“ habe
setzen lassen.
So wurde es nach jahrelangen Verhand
lungen 1847 abgetragen.
Das zweite Rathaus
Ist heute in Lünen vom „alten Rat
haus“ die Rede, so ist stets das zweite
Rathaus gemeint, und selbst das nicht in
seiner ursprünglichen Form, sondern
nach Umbauten des frühen 20. Jahrhun
derts.
1844 hatte der Wegebaumeister Monjé
aus Dortmund den Auftrag erhalten, den
Rathausneubau für Lünen an der Stelle
des mittelalterlichen Gebäudes zu pla
nen. Er fertigte den Entwurf an, ebenso
einen weiteren für das Spritzenhaus, das
später östlich des Rathauses errichtet
wurde.
Im 18. Jahrhundert enthielt das Rat
haus die Stadtwaage, die AcciseStube,
die Kornwaage, das Corps du Guarde so
wie zwei Wohnungen. Außerdem gab es
den Ratssaal und im Keller das Gefängnis.
Der Ratssaal muss eine beachtliche Größe
gehabt haben, denn im Winter 1598 fei
erten in ihm spanische Soldaten – zwei in
Lünen überwinternde Kompagnien aus
dem SpanischNiederländischen Krieg –
ihre Messen. Georg Spormecker berichtet
für das Jahr 1512 von einem Einbruch in
das Rathaus, wobei englisches Tuch ge
stohlen worden sei: Offenbar hatten die
Lüner Kaufleute, ähnlich wie die Dort
munder, im Rathaus ihre Tuchhalle.
1512 war Lünen, wie schon erwähnt,
abgebrannt, und dabei ist auch das Rat
haus ausgebrannt. Sicher sind nicht nur
die Säulen erhalten geblieben, sondern
wohl auch die Mauern, nicht aber die
Giebel. Spormecker schreibt, mit den
Steinen des abgebrannten Rathauses sei
ein Teil der Stadtmauer aufgebaut wor
den; das können nur die Steine der Gie
bel gewesen sein, die nicht wiederherge
stellt, sondern durch zwei kleinere Fach
werkgiebel
ersetzt
worden
sind.
Ursprünglich wird das Lüner Rathaus
hohe Staffelgiebel ähnlich denen des
Dortmunder Rathauses getragen haben.
Rathaus am Marktplatz, um 1900
Nachdem das baufällige erste Rathaus
abgebrochen worden war, wurde am 26.
Juni 1847 der Grundstein für ein zweige
schossiges Gebäude mit einer kahlen,
glatten Fassade gelegt. Im Erdgeschoss
erinnerten drei Säulen an den Vorgän
gerbau; sie trugen einen Balkon. Die
Grundsteinlegung war ein feierlicher Akt,
bei dem ein eigens dazu verfasstes langes
Gedicht vorgetragen wurde. Der Grund
stein erhielt die üblichen drei Hammer
schläge mit den Worten: „Wir wünschen
hier beim ersten Schlag: Fest werde die
Grundlage! Beim zweiten: Daß sie jeden
Tag den Bau auch sicher trage! Beim drit
ten: Daß man diesen Bau bald glücklich
ganz vollendet schau!“ In den Grund
stein, an der Nordwestecke des Gebäudes
gelegen, wurden in einer Kapsel einge
lassen: Die statistische Tabelle des Jahres
1847, ebenso die Gewerbetabelle, eine
Übersicht über die Gemeindebeamten,
Geistlichen, Lehrer und Ärzte, die Land
gemeindeordnung,
die
gängigen
1835 schrieb Johann Franciscus Christ:
„Man kann nicht sagen, daß die Lüner
stolz auf ihr Kapitol sind. Es befand sich
in einem Zustand des malerischen Ver
falls. Aus den scheibenlosen Fenstern des
Ratssaales krähte der Hahn, und im Ge
fangenenkeller hausten die Schweine des
Pförtners.“ Ein Neubau war schon länger
geplant, da das Rathaus für die Verwal
tung, wie sie die preußische Regierung
1724 anstelle der mittelalterlichen Ver
fassung eingeführt hatte, zu groß war.
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Geldstücke, Übersicht über Geburten,
Trauungen und Sterbefälle der letzten
20 Jahre, das Brandkataster und schließ
lich eine Übersicht über die Grund und
die Gewerbesteuer. Bei der Grundstein
legung wurden Böller abgeschossen, ein
dreifaches Lebehoch auf den Landesvater
König Friedrich Wilhelm IV. ausgebracht,
und schließlich speiste die Festgesell
schaft im Gasthaus Poock („Gasthof zum
goldenen Löwen“) „unter fröhlicher Ta
felmusik.“
Wie das mittelalterliche Rathaus das
Lüner Wappen in Stein gehauen zeigte,
so erhielt auch das neue Rathaus das
Wappen der Stadt, jedoch in Gusseisen.
Das Wappen befindet sich im Museum
der Stadt Lünen. 1905 wurde der Ratssaal
renoviert.
Rathaus kurz vor dem Abbruch
Am 20. Februar 1919 erlitt das Ge
bäude Schäden, als es zwischen dem
Arbeiter und SoldatenRat und der
Dortmunder Sicherheitswehr zu Kämpfen
kam.
Abbrucharbeiten 1968
Mitte der 1930er Jahre wurden die
Bögen und der große Balkon abgebro
chen, und das Rathaus erhielt damit das
Aussehen, das es bis zum Abbruch im Juli
1968 behalten sollte und unter dem es in
der Erinnerung fortlebt
Beschädigungen am Rathaussaal nach der
Beschießung am 20. Februar 1919
Das „alte Rathaus“ hatte nur geringe
Ausmaße: Seine Front betrug 14,86 Meter
und seine Tiefe 15,80 Meter. Im Erdge
schoss wie im Obergeschoss befanden
sich Verwaltungsräume, im Obergeschoss
zum alten Markt hin der Ratssaal, von
dem aus der Balkon zu betreten war. Das
Dachgeschoss enthielt die Wohnung für
den Hausmeister. Ein Mittelflur teilte das
Gebäude. Das rasche Wachstum Lünens
machte eine größere Verwaltung not
wendig, so dass im 20. Jahrhundert mehr
und mehr Büros ausgelagert werden
mussten bzw. 1931 in das Stadthaus um
zogen, so dass der einstige Mittelpunkt
der städtischen Verwaltung nur noch we
nige Dienststellen beherbergte. Die
Stadtsparkasse war zeitweilig in dem Ge
bäude untergebracht, auch die „Städti
sche Volksbücherei“, später das Kultur
Abbruch des Balkons April/Mai 1937
(Foto Ewald Kramer)
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amt; und im Saal wurden nach dem Zwei
ten Weltkrieg Kunstausstellungen des
Kulturamtes gezeigt. Schließlich mietete
ein Lüner Unternehmen das Erdgeschoss
für seine Geschäftsräume.
Teil bis auf die Grundmauern gingen. Am
18. September 1964 konnte die Real
schule das Gebäude übernehmen. 1983
nahm in ihm die Gesamtschule Lünen
Mitte den Unterricht auf.
Das Stadthaus
Als Bleibe für die überwiegende Zahl
der städtischen Dienststellen bot sich
1931 das Gebäude des Progymnasiums
an, das 1908 von dem Dortmunder Archi
tekten Karl Schulze errichtet worden
war. Am 8. Mai 1909 war es an das Gym
nasium übergeben worden, und als es für
die wachsende Schülerzahl zu klein ge
worden war, plante Karl Schulze ein
neues Gebäude, das 1931 bezogen
wurde. Am 27. Mai desselben Jahres
hatte der Magistrat beschlossen, das Pro
gymnasium für die Zwecke der Stadtver
waltung umzubauen, und schon am 1.
Juli konnten die Räume bezogen werden.
Der Umbau hatte das Äußere des Hauses,
eine Mischung von neubarocken und Ju
gendstilelementen, nicht berührt, nur die
Klassenräume waren geteilt worden. Die
Benennung als Stadthaus bedeutete ei
nen niedrigeren Rang als die eines Rat
hauses.
Umbau zum Schulgebäude 1967
Das neue Rathaus
In der Aufbau und Aufbruchphase der
frühen fünfziger Jahre wurde die Pla
nung für ein neues Rathaus aufgenom
men; als Standort wurde der Bereich zwi
schen der Innenstadt und der GrafAdolf
Straße festgelegt. Die Verwaltung rückte
damit wieder in die Innenstadt, wegen
der erforderlichen Größe musste es aber
am westlichen Rand des Zentrums seinen
Platz erhalten.
Planung und Bau eines Rathauses von
den Ausmaßen des neuen Lüner Rathau
ses machten einen Zeitraum von mehre
ren Jahren notwendig, in Lünen waren es
sechs: Am 22. November 1954 wurde der
Wettbewerb für das neue Rathaus ausge
schrieben, am 4. Mal des folgenden Jah
res erhielten zwei junge Berliner Archi
tekten den ersten Preis, und am 26. Mai
wurde der Ratsbeschluss zum Neubau ge
fasst.
Vom
ersten
Spatenstich
am
21. April 1956 bis zum Richtfest am
8. August 1958 vergingen zwei Jahre,
denn Probleme bei der Statik legten die
Bauarbeiten für mehrere Monate still.
Am 5. Oktober 1960 wurde das Rathaus
feierlich übergeben. Als Gast war der
Berliner Bürgermeister Willy Brandt in
seiner Eigenschaft als Präsident des Deut
schen Städtetages zur Übergabe gekom
men.
Stadthaus am Spormeckerplatz, um 1955
Auch dieser Hauptsitz der Stadtver
waltung wurde nach dem Krieg bald zu
klein; wieder mussten Ämter verlagert
werden, bis schließlich 1960 fast alle
städtischen Büros im neuen Rathaus ver
einigt wurden. Das Stadthaus wurde wie
der Schulgebäude, allerdings nach einer
so umfassenden Neugestaltung, dass von
dem ursprünglichen Gebäude kaum et
was geblieben ist. Am 6. Dezember 1961
hatte der Rat der Stadt Lünen die Ein
richtung der Realschule LünenMitte be
schlossen und als Haus das frühere Stadt
haus bestimmt. Im Herbst 1962 wurde mit
den Abbrucharbeiten begonnen, die zum
Verantwortlich für das neue Rathaus
zeichneten die beiden Architekten Wer
ner Rausch (geb. 1923) und Siegfried
Stein (geb. 1925), die das 14 Stockwerke
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umfassende und insgesamt 54 m hohe
Gebäude entworfen hatten.
Das Rathaus wirkt trotz seiner Größe
nicht wie ein Kubus, sondern dank der
trapezförmigen Grundrisse seiner Bau
teile leichter, und die hellen Klinker ge
ben ihm ein freundliches Aussehen. Es
bildet einen Akzent in der Silhouette der
Stadt Lünen, und schon die Tatsache,
dass es alle anderen Häuser überragt –
sieht man von den Kirchen ab – macht
seine Bedeutung als Haus des Rates und
der Verwaltung weithin sichtbar.
Rathaus, Blick von Osten, um 1962
(Foto Werner Storch, FotoHeta)
Auch für den Außenbereich wurden
Anlagen geplant, die inzwischen zum Teil
wieder entfernt oder umgestaltet wor
den sind. An der Westseite des Hauses
war eine Wassertreppe mit drei Becken
gebaut worden, aus denen 17 Fontänen
sprudelten. Die Anlage ist durch Blumen
beete ersetzt worden. Zum Marktplatz
hin entstand ein Animationsbereich,
ebenfalls mit einem Wasserlauf, dazu
einem Windspiel, Bänken und Überda
chungen. Auch hier waren Änderungen
erforderlich.
Übergabe des Rathauses durch den
Präsidenten des Deutschen Städte
tages, Willy Brandt, 1960
Dieser Bedeutung entspricht auch die
Gestaltung der repräsentativen Halle,
deren Decke von dem Kölner Maler Buja
Bingemer mit blaugoldenen Ornamenten
geschmückt wurde. Die Tür zum Ratssaal
trägt ein Bronzerelief von Reinhold
Schröder, Freiheit und Selbstverwaltung
darstellend. Vor dem Ratssaal wurde ein
Ehrenmal „Den Opfern der Kriege und
der Willkür“ mit der Bronzeplastik „Das
gebombte Kind“ von Georg Ehrlich ge
schaffen. Ursprünglich befand sich das
Ehrenmal im unteren Foyer, Umgestal
tungen des Hauses machten die Verle
gung notwendig. In den folgenden
Jahren kamen weitere Kunstwerke hinzu,
die den Rang des Rathauses erhöhen.
Das neue Rathaus genügt schon seit
Jahren nicht mehr den räumlichen An
forderungen an die Verwaltung einer
Stadt von der Größe Lünens, die seit dem
Bau des Rathauses um Niederaden (1968)
und Altlünen (1975) gewachsen ist: 1960
gab es in Lünen 72.398 Einwohner, 1992
waren es mehr als 90.000. Außerdem ha
ben die Kommunen weitere Aufgaben
erhalten. Längst sind alle räumlichen
Reserven genutzt, z. B. wurden die Licht
höfe der Flure zu Büros umgestaltet;
einige Stadtämter sind in anderen Ge
bäuden untergebracht.
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