Archiv für hessische Geschichte Altertumskunde und Neue Folge 65. Band 2007 Herausgeber: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt in Verbindung mit dein Historischen Vereinfair Hessen Redak-lion: J. Friedrich Battenberg _.` "sý.; ,ý:. . t. c sý: t BRIGITTE KÖHLER ZUR HERKUNFT DER SÜDHESSISCHEN WALDENSER Die Gründer der südhessischen Waldenserkolonien stammen nahezu alle vom Oberlauf der Chisone, einem Quellfluss des Po, der in 2.800 m Höhe am Monte Appena in den Kottischen Alpen entspringt. Der Talabschnitt oberhalb des Bec Dauphin, der alten delfinatischen Grenzfeste bei Perosa, wurde früher nach der größten und am höchsten gelegenen Gemeinde als das Tal Pragela bezeichnet. Viele Jahrhunderte lang ragte dieser Teil der Dauphine wie ein Vogelschnabel (Bec) in piemontesisches Gebiet hinein; von der Grenze aus waren es kaum mehr als 40 km bis nach Turin, seit Mitte des 16. Jahrhunderts Regierungssitz der Herzöge von Savoyen-Piemont. Von Perosa aus steigt das Chisonetal innerhalb von 30 km nahezu um 1.000 Meter an. Unter dem Einfluss der nahen Ebene gedeihen in Mean (ital. Meano) und Roure (=reich an Eichen), den beiden untersten Talgemeinden, noch Weinreben, Walnussbäume und Esskastanien; weiter oben werden Laubbäume immer seltener und schließlich bedecken nur noch Nadelhölzer, vor allem Lärchen, die Berghänge. Mentoulles (1.060 m), etwa in der Mitte des Tales gelegen, war mit dem Sitz des Priors von alters her der kirchliche Mittelpunkt des Tales; unterhalb von Fenestrelle (1.154 m), der folgenden Gemeinde, riegelt ein mächtiger Bergsporn das Tal fast vollständig ab; hier bauten die Herzöge von SavoyenPiemont, nachdem sie durch den Frieden von Utrecht 1713 in den Besitz des Tales gekommen waren, eine mächtige Festung; nach Usseaux (1.270 m), der nächsten Gemeinde, weitet sich der Talgrund, so dass die am höchsten gelegene Gemeinde Pragela mehr Raum hatte, sich auszudehnen. Pragela setzte sich aus 20 mehr oder weniger großen Ortschaften (fraziones) zusammen, viele davon sind heute unbewohnt oder dienen den Fortgezogenen als Feriendomizil. La Rua, der Hauptort, liegt in 1.530 m Höhe direkt am Ufer der Chisone, Troncea, das letzte Dorf an der Chisone, liegt 1.920 Meter hoch; auch Sestriere, der bekannte Wintersportort, gehörte einst zur Gemeinde Pragela. Das Tal Pragela ist von hohen Bergketten umgeben, die bis zu 3.000 Metern emporragen, auf ihrem Kamm verlief bis 1713 die Grenze zwischen Frankreich und dem Herzogtum Savoyen-Piemont. Die benachbarten Täler von Dora Riparia im Norden und Germanasca im Süden waren über Saumpfade gut zu erreichen. Prata gelada bedeutet gefrorene Niesen, die Vegetationszeit dauert hier nur wenig mehr als vier Monate; Otto niese inverno, guattro niese inferno, pfleg- Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) 31 BRIGITTE KÖHLER ten die Alten zu sagen, die Feldarbeit konzentrierte sich auf nur wenige Monate im Jahr. Die Felder ziehen sich in schmalen Streifen terrassenförmig die Hänge hoch, heute werden sie kaum noch bewirtschaftet. Darüber liegen ausim Rindern denen Sommer Herden Weideflächen, von und auf gedehnte Schafen weiden, die den Dorfbewohnern gehören; seit alter Zeit werden aber der hoch Ebene Herden Sommers des Anfang getrieben, aus große am auch heute meist mit Lastwagen transportiert. Diese Transhumance hatte sich ' Angebaut werden vor allem Roggen, herausgebildet. im Mittelalter schon Gerste, Hafer und Buchweizen (grano saraceno), seit dem 17. Jahrhundert auch Kartoffeln. Zusammen mit den tiefer liegenden Gemeinden bildete Pragela in alter Zeit eine politische Einheit als Ecarton im sog. Grand Escarton de Briancon, seit 1343 ein kleines halbautonomesGebiet innerhalb des französischen Königreiches. Das Tal Pragela liegt im Bereich der romanischen Bergbauernwirtschaft, bei der Ackerbau in Verbindung mit Viehwirtschaft betrieben wird 2 Auf diese Weise waren die Bergbauern fast völlig autark, nur wenige Güter, hauptsächlich Salz, mussten sie sich auf andere Weise beschaffen. Wälder und Weide wurden gemeinschaftlich genutzt. Alle Gemeinden setzen sich aus einer mehr oder weniger großen Anzahl von Siedlungen zusammen,die sich auf den der Sonne zugewendeten Berghängen hoch hinauf ziehen, während die Hauptorte im Talgrund liegen. In den Siedlungen standen die Häuser dicht beieinander. Das Leben der Familien war geprägt durch die Dorfgemeinschaft, die fest zusammenhalten musste, um die harten Lebensbedingungen im Hochgebirge zu meistern. Sie halten zusammen it'ie Pech und Sclrn'efel, sagteman auch den nach Deutschlandgeflüchteten Waldensernnach. Über die Frühzeit des Tales gibt es keine sicheren Nachrichten; Ortsnamen wie Usseaux (ucellos=die Höhen), Mentoulles und Pinascadeuten auf keltoligurische Besiedlung hin. Um Christi Geburt herrschte ein keltischer Stammesfürst namens Cottius über ein Gebiet, das sich von Fenestrelle (finis terbis den hinweg Alpenkamm über nach Embrun (Dep. Hautes Alpes) errae) streckte; sein Regierungssitz war Segusio, das heutige Susa. Von den EroberungsgelüstenRoms bedrängt, schloss Cottius im Jahre 13 v. Chr. einen Vert HENRIFALQUE-VERT,Les hommeset la montagneen Dauphine au XI11. siecle, Pressesuniversitaires de Grenoble, 1997,S. 72. 2 WERNERBA FzIG,Die Alpen - Entstehungund Gefährdung einer europäischenKulturlandschaft, München 1991,S. 33 Iff. 32 Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) ZUR HERKUNFT DER SÜDHESSISCHEN WALDENSER trag mit Kaiser Augustus über die Eingliederung seines Gebietes in das römische Reich und durfte dadurch sein Amt behalten; später wurden die Alpes cottiae" zu einer von einem Präfekten regierten römischen Provinz. Durch das benachbarte Tal der Dora Riparia, dem sog. Susatal, verlief seit uralter Zeit ein Handelsweg, der über den Pass am Mont Genevre und die Durance abwärts in die Provence und weiter nach Spanien führte; Polybios (205125 v. Chr. ) bezeichnete ihn als den ältesten aller transalpinen Wanderwege; Caesar ist auf ihm viele Male nach Gallien gezogen; ein ihm zu Ehren errichteter Triumphbogen in Susa erinnert noch heute an ihn. Auch durch das Chisonetal führte eine von Gnäus Pompeus 73 v. Chr. erbaute Straße, aber die Engen, von denen der Fluss seinen Namen bekam, (lat. Clausum, frz. Cluson) behinderten den Verkehr; zudem musste auf dem Weg nach Frankreich noch der 2.021 m hohe Pass bei Sestriere überquert werden. Erst unter Napoleon wurde 1806 mit dem Bau einer modernen Straße begonnen und ihm zu Ehren auf der Passhöhe des Mont Genevre ein 20 m hoher Obelisk errichtet. Über die Jahrhunderte" der Völkerwanderungszeit nur weiß man dunklen wenig. Vermutlich zogen westgotische Stämme auf dem Weg nach Westen auch durch das Chisonetal. Von Theoderich dem Großen (493-526 n. Chr. ) ist bekannt, dass er eine größere Zahl von Alemannen in sein Reich aufnahm. Im 6. Jahrhundert besetzten Langobarden Oberitalien, zur Verteidigung ihrer Gebiete siedelten sie besitzlose Freie an den Grenzen ihres Reiches an, ihre Siedlungen entwickelten sich zu weitgehend autonomen Landgemeinden mit einem Schultheißen (sculdahis oder centenarius) an der Spitze. Als Christen hingen die Langobarden der arianischen Richtung an, die in den Kottischen Alpen weit verbreitet war. Lange Zeit galt das Tal Pragela und die angrenzenla rocca forte d'eresia", auch andere Häresien fanden Täler als e semenzaio den in den schwer zugänglichen Siedlungen leichter Eingang als in den Ebenen. 726 n. Chr. wurde im Susatal, am Fuße des Moncenisio, die Abtei Novalese gegründet. Ihre Priester waren bemüht, die Besiedlung der umliegenden Täler zu fördern und damit die Macht der katholischen Kirche zu vergrößern. 773 leisteten die Mönche mit ihren Ortskenntnissen dem vom Papst herbeigerufenen, fränkischen Heer unschätzbare Hilfe, als es darum ging, eine von den Langobarden verteidigte Flussenge der Dora Riparia zu überwinden. Nach dem Sieg über Desiderius, den letzten König der Langobarden, wurde sein Land dem fränkischen Reich angegliedert. Zwischen 906 und 980 zogen wiederholt Sarazenen von ihrem am Mittelmeer gelegenen Stützpunkt Fraxine- Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) 33 BRIGITTE KÖHLER tum aus brandschatzenddurch die Täler der Nestalpen. Sie plünderten die reiche Abtei Novalese und andere Klöster und hinterließen Spuren auch im Tal Pragela.Vermutlich verhielten sie sich aber den armen Bergbauern gegenüber in Sarrasin Maureus, die Saracius, Familiennamen und wie weniger aggressiv; einer 1265 aufgestellten Steuerliste genannt werden, deuten darauf hin, dass Flurnamen LegenAuch ihnen und sind. geworden sogar sesshaft etliche von den erinnern noch an die Zeit der Sarazeneneinfälle.Ins Licht der schriftlich belegten Geschichte tritt das Tal Pragela durch eine am B. September 1064 von Markgräfin Adelheid von Turin unterzeichneten Urkunde, mit der sie Teile des oberen Chisonetales der Abbazia di Santa Maria in Pinerolo überschrieb. Namentlich aufgeführt werden darin: Villareto, Mentole, Fenestrella, Uxello, Balbotera, Porrera, Frassenaund Pratageladousque ad Petram Sextariam (Sestriere), wenige Jahre später wurden in La Ruä (Pragelato), Ucello (Usseaux),Fenestrelleund Mentole (Mentoulles) die ersten Kirchen errichtet. Jenseits des Alpenkammes, nicht weit von Pragela entfernt, begann das Reich der Burgunder, die von den Römern als Foederatenan Saöneund Rhöne angesiedelt worden waren. In den Wirren nach dem Tod der tatkräftigen Markgräfin Adelheid von Turin im Dezember 1091 besetzte ein burgundischesAdelsgeschlecht, die Grafen von Albon, das Tal Pragela und den obersten Abschnitt des Susa-Tales.Aus dem Rhönetal stammend, hatten sie sich auf dem Rücken der Alpen ein Herrschaftsgebiet aufgebaut, das als Teil des arelatischenKönigreiches durch König Konrad II. zwar dem deutschenReich angegliedert,von den Grafen aber eigenständigregiert wurde. Der in ihrer Familie übliche Name Dauphin wurde zu ihrem dauernden Titel und das ihrer Gewalt unterstehendeGebiet zur Dauphine. Im Jahre 1039 fügten sie das Brianconnais ihrem Reich hinzu, ein Gebiet, das den Oberlauf der Durance und ihrer Zuflüsse umfasste. Briancon, in 1.326 m Höhe am Fuße des Mont Genevre gelegen, war eine wichtige Etappe für den Handel. Nicht nur die alte Straße, die Oberitalien mit der Provence verband, führte über Briancon, hier zweigte noch ein anderer transeuropäischerHandelsweg ab, der über Lyon bis in die Niederlande führte. Briancon war aber auch der wichtigste Marktort für die Bewohner der umliegenden Hochtäler und Sitz der delfinatischen Verwaltung. In der Dauphine lebten im 13. Jahrhundert adlige Familien wie Les Bermonds, les Rambaudsund les Bruns, Namen, die später auch im Tal Pra- 34 Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) ZUR HERKUNFT DER SÜDHESSISCHEN WALDENSER gela auftreten. Auch die Vorfahren der Bergoints müssen Burgunder gewe- sen sein. Bald nach der Jahrtausendwende verdichtete sich die Bevölkerung, wie in weiten Teilen Mitteleuropas, auch in den Westalpen. Daraus entwickelten sich Konflikte mit geistlichen Stiften, die ausgedehnte, von ihnen aber nicht bewirtschaftete Gebiete innehatten. Von Existenznot angetrieben, besetzten Bergbauern Ländereien, die ihnen nicht gehörten. Es kam zu Streitigkeiten, die mit dem Vorgehen der Schwyzer gegen das Kloster Einsiedeln und der Umer gegen das Kloster Engelberg vergleichbar sind 4 Der gemeinsame Kampf gegen die Ansprüche der katholischen Kirche förderte den Zusammenhalt der Talbewohner. Sie schlossen sich zu Verbänden zusammen, die ihre Anspruchszonen gegeneinander abgrenzten. Seit Mitte des 13. Jahrhunderts erscheinen sie in Urkunden als universitates oder communitates; sie umfassten jeweils eine ganze Reihe von kleinen und größeren Siedlungen mit den dazugehörigen Weiden und Wäldern, die sich bis auf den Kamm der das Tal begrenzenden Bergzüge erstreckten. Die Entstehung solcher Kommunen war keineswegs eine Besonderheit der Alpentäler, in fast allen Teilen Mitteleuropas kam es vom 11. Jahrhundert an zur Ausbildung von Gemeinden", die sich auf genossenschaftlicher Basis weitgehend unabhängig von ihren Feudalherren eigenständig verwalteten. In Piemont waren dies die sog. Comuni", kleine Stadtrepubliken, die sich gegen jede übergeordnete Bevormundung wehrten. Zu diesen Comuni zählte die 1198 gegründete Stadt Cuneo im Süden Piemonts. Auch in den benachbarten Tälern der Kottischen Alpen bildeten sich ländliche Kommunen. Jede dieser Kommunen hatte ihre Statuten, die auf die örtlichen Gegebenheiten abgestimmt waren, sie enthielten aber auch unspezifische Regelungen, die, wie Bätzig5 vermutet, von den Statuten der Stadt Cuneo abgeschrieben sein könnten. Ihr Oberhaupt wurde als Consul" bezeichnet und jährlich auf einer Versammlung aller Bürger gewählt 6 Im nordwestlich von Cuneo gelegenen Maira-Tal schlossen sich z. B. alle örtlidella Valle Maira" zusammen, um ihre chen Kommunen zur Communitä PIERREVAILLANT, Les CommunautesBriangonnaisesau XIII. Sii cle, in: Biblotheque de I'Ecole chartesCXX\', Paris 1968, S. 320. { HANSNABHOLZ,Eine Eidgenossenschaftin der Dauphine, in: Eine Festgabefür Hans Türler, Historischer Verein Bern, 1931,S. 20. 5 BATZIG,Die Alpen (wie Anm. 2), S. 253. c Obwohl diese Bezeichnung Erinnerungenan die Antike hervorruft, hat sie der Sachenach nichts mit den römischen Konsuln zu tun. Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) 35 BRIGITTE KÖHLER Selbständigkeit besser gegenüber ihrem Feudalherrn, dem Markgrafen von Saluzzo,verteidigen zu können. Auch in den Tälern des Brianconnais und in den Hochtälern von Chisone und Doria Riparia entstanden communitates. Im Tal Pragela waren es sechs Sie verGemeinden, die sich zu einer sog. zusammenschlossen. Talschaft" walteten sich selbst nahezu unabhängig von feudalen Herren. Daniel Bonin les Usages et l'administation economique de la hat ein consernant Memoire Valee de Pragela" überliefert, das zwar aus der Zeit nach 1713 stammt, aber 7 Daraus kaum für die Jahrhunderte wohl verändert auch zuvor gilt. entnehmen wir: Das Oberhaupt der Gemeinden wurde als Consul bezeichnet, ihm zur Seite standen Conseillers, die zusammen mit dem Secretaire den Conseil bildeten. Consul und Conseillers wurden alljährlich auf einer Versammlung aller Familienvorstände (chefs de famille) geheim gewählt. Wahlvorschläge kamen aus dem Conseil selbst, aber auch aus der Versammlung, es galt die einfache Mehrheit. Der Consul blieb nur ein Jahr im Amt und durfte erst nach 5 Jahren wieder gewählt werden; die Conseillers hatten ihr Amt meist längere Zeit inne, ebenso wie der Secretaire, der für den Schriftverkehr, die Eintragungen in das Grundbuch etc. zuständig war. Das Amt des Consuls stand in höchstem Ansehen, allerdings konnte nicht jeder es sich leisten, Consul zu werden; dem Consul standen nämlich während seiner Amtszeit keine außerplanmäßigen Mittel zur Verfügung; er hatte derartige Ausgaben aus eigener Tasche zu bezahlen und bekam sie erst nach Ablauf seines Amtsjahres zurück, nachdem der Conseil die Notwendigkeit geprüft hatte. Verschiedentlich kam es dabei zu langwierigen Prozessen, wenn sich der Conseil weigerte, die Auslagen des Consuls zu übernehmen. Dem Conseil oblag auch die Bewirtschaftung des umfangreichen Gemeindebesitzes, der aus Wald, Weiden, Wasser, Wegen, Brücken etc. bestand, er übte die niedere Gerichtsbarkeit aus und organisierte im Notfall die militärische Verteidigung durch eine Landmiliz, der alle 18-56 Jahre alten Männer angehörten. Darüber hinaus gab es in jeder Siedlung so genannte Mansiers", Männer mit Polizeifunktionen (agenti di polizia) die vor Ort für Recht und Ordnung sorgten; sie waren notwendig, weil viele Siedlungen im Winter oft monatelang von der Außenwelt abgeschnitten waren. Die Mansiers riefen die Bewohner zusammen, wenn Probleme besprochen, Hirten und Flurschützen ernannt oder Arbeiten durchgeführt werden mussten, die im DANIELBONIN,Urkunden zur Geschichteder WaldensergemeindePragela, Band I, Magdeburg 1911,S. 3-15. 36 Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) ZUR HERKUNFT DER SÜDHESSISCHEN WALDENSER allgemeinen Interessenotwendig waren. JedesMitglied der Gemeinschaft war verpflichtet mitzuarbeiten, wenn es galt, Schneezu räumen, Wasserleitungen, Brücken und Wege zu reparieren u.a. Die Mansiers sorgten aber auch für die Einhaltung der Dorfordnung, die es, wie auch in deutschenLändern, in jedem Dorf gab.8 Naturgemäß kollidierte das Unabhängigkeitsstreben der Gemeinden mit den Interessen der Grafen von Albon, die im Besitz zahlreicher feudaler Rechte waren. Durch ein Hochwasser der Isere im Herbst 1219 wurde jedoch ihr gesamtes Archiv in Grenoble vernichtet, die Folge waren rechtliche Unsicherheiten. Im Jahre 1265 ließ der Dauphin für Steuerzwecke eine Namensliste seiner Untertanen anfertigen, die im Staatsarchiv in Grenoble aufbewahrt wurde. 1755 fertigte der Sekretär der Gemeinde Pragela eine Abschrift davon an, Daniel Bonin, der 1905 die Täler seiner Vorfahren besuchte, schrieb sie ab und veröffentlichte sie im ersten Band seiner Urkunden zur Geschichte der Waldensergemeinde Pragela. Auffallend ist die häufige Verwendung von Allemandi oder Allemani als Zusatzname, wie z. B. Bernardus Allamandi, Joannes Alemandi, eine Bezeichnung, die darauf hinweist, dass es sich um Zuzügler aus Germania del Sud handelte Niederholt kommen auch die Beinamen .9 Bergons (Burgunder) und Lombard (Langobarde) vor, auch die Gaydouls haben germanische Wurzeln ebenso wie die Lantelmes, die Bermonds, die Berts und andere mehr. Als Graf Humbert II., der durch seinen luxuriösen Lebenswandel in Schulden geraten war, die Steuern erhöhen wollte, stieß er auf den geschlossenen Widerstand aller Gemeinden im Umkreis von Briancon. Statt sich seiner Anihm fügen, sie zu schickten einen Beschwerdebrief, in dem sie auf ordnung ihre alten Rechte pochten und ihrerseits Forderungen stellten. Ohne ihre angeblichen Rechte genauer prüfen zu lassen, willigte der Dauphin in einen fast völligen Ausverkauf seiner Feudalrechte ein und unterzeichnete am 19. Mai 1343 ein Abkommen mit den Gemeinden des Brianconnais, die so genannte 5. Mai Transactio generale, der sich durch ein besonderes am Affictementc10 1344 auch die Gemeinden des Tales Pragela anschlossen. Alle bisher vom Dauphin geforderten Feudallasten wurden abgelöst durch eine Summe von Tradizioni, usi, costumi e folklore del vecchio Pragelatoe Alta ValchiGUIOT-BOURG, ERNESTO sone, Pinerolo oJ. 9 OSVALDOCOISSON, I nomi di famiglia delle walle valdese,Torre Pellice 1975, S. 14. 10THEO KIEFNER,Die Privilegien der nach Deutschland gekommenen Waldenser, Bd. 1, S. 80, Stuttgart 1990. Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) 37 BRIGITTE KÖHLER 12.000 Goldgulden - von den Gemeinden ausdrücklich als donatio" deklaGerichtsGold-Dukaten. Die Hohe 4.000 jährliche Rente von eine riert - und barkeit blieb weiter dem Landesherrn vorbehalten, im übrigen aber durften die Gemeinden frei über ihr Eigentum verfügen und ihre althergebrachte Form der Selbstverwaltung behalten. Sie waren fortan libre, franc ei bourden ihrem Rücken hatten, Landesherrn die das Recht freie Bürger, seiner gois, Hand zu küssen,sich also nicht vor ihm niederbeugenmussten.Einige der 33 Artikel der Transactio lassen erkennen, was den Gemeinden so wichtig war, " hatten. dasssie die gesetzlicheAbsicherung verlangt Art. 17 enthält das Recht, de construire des canaur pour arroser leurs terdroit le d'usage de I'eau torrents rivieres sans payer ei avoir res, prendre auY ni au Dauphin Humbert, ni ä ses heritiers ou successeurs. Die Bewässerung Äckern von und Wiesen war für das im Sommer sehr trockene Gebiet von großer Bedeutung und offenbar seit langer Zeit üblich. Erste Belege über Wiesenbewässerung in den Alpen stammen aus dem 10. Jahrhundert. '" Art. 18 verbietet Adligen und Beamten des Dauphin, in den Wäldern der Gemeinden Holz für ihre Zwecke einzuschlagen, weil das Abholzen von Wald Erosionen, Vermurungen und Lawinen zur Folge hätten - für Werner Bätzig in seinem grundlegenden Werk über die Alpen13 ein Beispiel für das ökologische Bewusstsein der Bergbauern schon im Mittelalter. Die Gemeinden selbst schützten ihre Wälder und Weiden gegen Übernutzung durch ihre eigenen Ordnungen. Einige solcher regolamenti ed ordinanze einessi dall'assemblea di capifamiglia della conununitä di Mentoulles über die Nutzung von Wald und Weiden, aufgestellt zwischen 1515 und 1549 und vom Sekretär der Gemeinde in ein Heft geschrieben, sind durch glückliche Umstände erhalten '4 geblieben. Art. 22 besagt, dass ecrivains, greffiers, notaires, receveurs und collecteurs einen Treueid gegenüber dem Landesherrn, dem Seigneur Dauphin, und der Communaute abzulegen haben. Für die Bediensteten der Gemeinde, wie den garde-route (Straßenwart), garde forets (Waldschütz), gard-champetre (FeldFERNAND CARLHIAN-RIBOIS, La Grande Charte des Libertes Briangonnaises in: Laus Escartoun, Pinerolo 1998, S. 4246. 12HEINZ BORMUTII,Zur Wiesenkultur im Bauland, Odenwald und an der Bergstrasse,in: Der Odenwald47. Jg. (2000) Heft 2, S. 48. 13WERNERBATZIG,Die Alpen (wie Anm. 2), S. 48. 14Ezio MARTIN,II Codice Gouthier, in: Bolletino della Societä Storica Pineroleses,Pinerolo 1994, Nr. 1-2. 38 Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) ZUR HERKUNFT DER SÜDHESSISCHEN WALDENSER schütz),garde troupeau (Hirten), garde-caneaux(Wasserwart), genügte dagegenein einfacher Schwur vor der Gemeindeversammlung.Weitere Artikel betreffen den Handel: Kein Beamter des Dauphin oder andere Adlige durften die Tragtiere von Kaufleuten oder anderen Reisenden beschlagnahmenund fortführen. (Art. 24). Alle Einwohner durften mit ihren Waren und Tieren unbis Avignon und zurück reisen (Art. 32). Sie waren dabei von nach gehindert allen Weltzöllen ausgenommen,mit Ausnahme der Abgaben für Schafherden (Art. 33). Der Handel über den Mont Genevre (1.850 m), dem bequemsten Alpenpass Südfrankreich, Oberitalien hatte mit der Exilregierung der und zwischen Päpste in Avignon Anfang des 14. Jahrhunderts erheblich zugenommen. Avignon wurde zu einem der bedeutsamsten Handelszentren Europas und Warenumschlagplatz zwischen Italien und Flandern, den beiwichtigsten zum den gewerbereichsten Ländern der Zeit. Gewandte Kaufleute konnten in Avignon ohne großes Risiko ein Vermögen machen. Doch auch Bergbauern, die Tragtiere, Esel, Maultiere oder Pferde hielten, und junge Burschen, die Säumerdienste leisteten, profitierten vom Handel. Es waren vermutlich vor allem Kaufleute, die die als Geschenk" für den Dauphin deklarierte Summe Golddukaten denn 12.000 zusammenbrachten, sie hatten größtes Interesse von Handel nach Avignon. Auch Kaufleute, die in der Gemeinam ungehinderten de Pragela lebten, hatten daran Anteil - davon zeugen noch heute einige stattliche Häuser, darunter eines in Soucheres hautes, an dem Teile einer sehr aufdie die Bemalung Mitte des 14. Jahrhunderts dazu sehen sind, auf wändigen '5 Die jährlich am 2. Februar zu zahlende Geldsumme wurde getiert werden. (frz. Bewohner das Gebiet in 4 Escartons umgelegt escarter) und alle auf recht Queyras, Chateau Dauphin, Briancon und Oulx - eingeteilt; nach Einfühdas Tal Pragela als eigener Escarton von Reformation der spaltete sich rung dem überwiegend katholischen Oulx ab. Zusammen bildeten sie den Grand Escarton de Briancon", der auch als Republik der Escartons", von Bätzig als von Briancon" bezeichnet wird. Bund 1349 verkaufte Graf Humbert II., der keinen Nachfolger hatte, sein Land an den König von Frankreich mit der Bestimmung, dass es jeweils vom ältesten Sohn des Königs, seither Dauphin genannt, als besonderes Gebiet verwaltet in Personalunion Frankreich mit nur vereinigt werden sollte. und so gleichsam "G. B. BERT,Prapelato- Note storiche e ceograftche,Pinerolo 1915,S. 24. Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) 39 BRIGITTE KÖHLER Die Bürger des Grand Escarton de Briancon sträubten sich jedoch so lange ihihre ihnen Privilegien bis den Treueid Landesherrn er zu schwören, rem neuen Herrscher; bestätigt hatte. Desgleichen späteren auch alle verfuhren schriftlich Französischen bis des Brianconnais die Rechte blieben diese Weise zur auf Revolution hin erhalten. Allerdings wurde das Gebiet durch den Frieden von Utrecht 1713 auseinander gerissen und die drei östlich des Alpenkammes gelegenen Escartons Chateau Dauphin, Pragela und Oulx dem Herzogtum Sabestätigte 28. III. Juni Emanuel Karl König am voyen-Piemont zugeschlagen. 1737 die Rechte der Pragelaner, verlangte dafür jedoch die Zahlung von 14.000 piemontesischen Pfunden, eine große Summe, die die Talbewohner ihrer Freiheit zuliebe mit großer Mühe zusammenbrachten. Bald nach 1200 begann die Verfolgung der von einem reichen Kaufmann in Lyon, später als Petrus Waldus bezeichnet, um 1177 ins Leben gerufenen Lyon". Der Legende nach sollen sich damals einiBewegung der von Armen ge von ihnen im Tronceatal, dem unwirtlichsten Teil der Gemeinde Pragela, 16Nach heutiger Auffassung kam der Hauptzustrom von haben. niedergelassen Waldensern jedoch aus Oberitalien, wo die lombardischen Waldenser sich ausgebreitethatten. Die zahlreichen Verurteilungen durch die Inquisition wedass im Teile 14. Jahrhundert darauf lassen große schließen, gen valdesia" der Bevölkerung der waldensischen Bewegung angehörten.17Mehrfach war das Tal Pragela Schauplatzmilitärischer Unternehmungenzur Ausrottung von Ketzern. Das führte zu Verlusten unter den Talbewohnern durch Tod oder Emigration, aber nicht zur Vernichtung ihrer Bewegung. Als 1555 reformierte Pfarrer, von Calvin aus Genf geschickt, in Fenestrelle, Usseauxund Pragela, den drei oberstenTalgemeinden, zu predigen begannen, fanden sie sogleich großen Rückhalt in der Bevölkerung. Innerhalb von knapp drei Jahren gab es hier kaum noch Katholiken; in den in umgewanTempel" delten Kirchen hielten reformierte Pfarrer ihre Gottesdienste ab, die katholischen Geistlichen, meist junge, schlecht ausgebildete Vikare, verschwanden den für die Kirchengütern die Einkünfte aus wurden nun stillschweigend, und Wandel Gemeinden Dieser verwendet. abrupte gewordenen protestantisch bezeichnen, Revolution" ihn könnte meint als auch man protestantische 16Ebd. S. 27. 17DANIELETRON,Die Waldenser im Chisonetal vom 13. bis zum 18. Jahrhundert,in: ALBERTDE LANGE(Hg.), Dreihundert JahreWaldenser in Deutschland- Herkunft und Geschichte,Karlsruhe 1998. 40 Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) ZUR HERKUNFT' DER SÜDHESSISCHEN WALDENSER Giorgio Thoum18- war nur möglich infolge der massiven Unterstützung der Genfer Pfarrer durch die waldensischeBevölkerung. Die reformierte Kirche erfüllte ganz offensichtlich das Bedürfnis der Bewohner nach wahrem Christentum, gegründet allein auf die Worte der Bibel. Zudem kam die Kirchenordnung der Calvinisten mit ihren demokratischen Elementen der Wesensart und dem Herkommen der Pragelaner sehr entgegen. der reformierten Kirchengemeinde wurde, Das der kommuwie Consistoire" nale Conseil", aus den eigenen Reihen gewählt; anstelle einer einzelnen Person war jetzt die aus Vertretern aller Gemeinden zusammengesetzte Synode das oberste Entscheidungsgremium. Conseillers, Echevins und Anciens arbeiteten eng zusammen, wichtige Angelegenheiten wurden von Conseil und Consistoire gemeinsam beraten und beschlossen, das geschah später auch in der neuen Heimat, wie aus einem Dokument vom 18. Januar 1722 hervorgeht: Les messieurs les anciens de la Colouie de Rorbach et Haan, conionteinent avec les messieurs du coseil etablis pour le governement de la coinmunaute et autres deputes des trois censes dun part e umpart d'autre. 19 Die reformierten Pfarrer spielten auch im politischen Leben eine führende Rolle, meist waren es Söhne des Tales, die auf den Akademien in Genf und Die/Dauphine studiert hatten. Das französische Parlament in Grenoble bezeichnete das Verhalten der Pragelaner als aufrührerisch, die öffentliche Ordnung durcheinander bringend, rebellisch und dem König ungehorsam" und befahl eine Strafexpedition in das Tal Pragela; aber der plötzliche Tod von König Franz II. im Jahre 1560 verhinderte die Ausführung. In den tiefer gelegenenTalgemeinden geschahdie Einführung der Reformation unter militärischem Druck. Angetrieben durch den Prior und den Kastellan des Tales, riefen die Consuln von Mentoulles und Roure ihre Gemeinden zum Widerstand auf, der aber wurde durch protestantische Truppen schnell gebrochen. Von 1562 an gehörten nahezu alle Bewohner des Tales der reformierten Kirche an, und alle Versuche der katholischen Kirche, ihr Terrain zurück zu erobern, blieben für mehr als hundert Jahre ohne Erfolg - eine Entwicklung, die einmalig in ganz Frankreich war. Das von König Heinrich IV. 1598 erlassene Edikt von Nantes, das den Reformierten in ganz Frankreich unter gewissen Bedingungen Religionsfreiheit gewährte, bedeutetefür die reformierte Kirche Is GIORGIO'DIOURN,Il Valdismo e il Protestantesimonelle Valli, in: Lous Escartoun, Pinerolo 1998,S. 160 ff. 19Gemeinde-Archiv Rohrbach11,1,4,2. Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) 41 BRIGITTE KÖHLER im Tal Pragelaeinen Rückschritt. Die Pragelanerwehrten sich aber lange Zeit Änderung bestehenden Verhältnisse. der die Erfolg gegen mit Auch in den Pragela unmittelbar benachbartenpiemontesischenTälern von Germanascaund Pellice, in denen ebenfalls von alters her viele \Valdenser lebten, hatte die reformierte Kirche Fuß gefasst.Nach dem Frieden von Chateau-Cambresis,der 1559 den Krieg zwischen Frankreich und Spanien beendete, versuchte Herzog Emanuel Philibert I. von Savoyen-Piemontdie Häretiker in seinem Land auszulöschen.Doch die \Valdenser griffen zu ihren Waffen und setzten sich zur Wehr, unterstützt durch die von Pfarrer Martin Tachard mobilisierte Landmiliz der Gemeinde Pragela. Sie mischte sich mit solden kurzer Zeit \Valdass der Herzog in die Kämpfe Gewalt nach ein, cher densern Frieden anbot und ihnen mit dem Vertrag von Cavour 1561 die Ausübung ihrer Religion hoch oben in ihren Bergen erlaubte. Damit durchbrach festgelegten Augsburg im den Konzil katholischer Fürst von erster er als Grundsatz cuius regio, eius religio". Der Kampf für den gemeinsamenGlauben schloss die Waldenser auf beiden Seiten der Landesgrenzezu einem festen Block zusammen; sie bildeten von nun an eine eigene kleine Kirche, die sich als Waldenserkirche bezeichder franzöihr Glaubensbekenntnis ihre Kirchenordnung und nete, obwohl 1561 21. Januar Am Kirche versammelten sich entsprach. sisch-reformierten in den Bergen Podio \Valdenser französische von und und piemontesische versprachen sich gegenseitige Unterstützung. Ihre Waffenbrüderschaft bewährte sich in den bald folgenden Kriegen zwischen Katholiken und Hugenotten auf französischemGebiet und bei dem Feldzug, den der protestantische Heerführer Lesdiguieres 1592-1597gegen Savoyen-Piemontführte. Aus politischen Gründen mussten sich die Pragelaner allerdings 1598 der französichdie den Beziehungen der Dauphine Kirche zu engen anschließen; reformierten die jedoch bestehen. blieben Auch Glaubensbrüdern okzitapiemontesischen im Umgang das das Patois, Sprache, sprachen, versie persönlichen nische band sie miteinander. Mit dem Übergang der gesamten Talbevölkerung zur reformierten Kirche 20 Gebiet Die Wandel tiefgehender ein auf soziokulturellem auch ein setzte Erträge aus dem umfangreichen Besitz der katholischen Kirche wurden nicht für die Gein Oulx die Prevostura bisher eigenen sondern abgeführt, an wie 20 GIORGIOTIIOURN (wie Anm. 18), S. 167. 42 Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) ZUR HERKUNFT DER SÜDHESSISCHEN WALDENSER meinden verwendet. Zwar blieb die katholische Kirche zunächst nominell im Besitz ihrer Güter, bald aber war sie aus Geldmangel gezwungen, Kirchengüter öffentlich zu versteigern, um die jahrelangen Kriege zwischen Katholiken und Hugenotten in Frankreich mit zu finanzieren. Das geschah auch andernorts in Frankreich, zum Teil sogar mit päpstlicher Genehmigung. Um die von ihm geforderten Abgaben bezahlen zu können, musste der Prior von Mentoulles 1570 in die Versteigerung kirchlicher Güter an Privatpersonen einwilli` Nach seinem Sieg über die katholischen Truppen in der Dauphine begen. schlagnahmte der protestantische Herzog von Lesdiguieres kurzerhand Güter der katholischen Kirche und überschrieb sie dem Pfarrer der Gemeinde Pragela, Claude Perron, als Dank für seine Hilfe und Unterstützung im Kampf gegen katholische Truppen. Die Einkünfte des Priorates von Mentoulles wurden zur Bezahlung von 5 reformierten Pfarrern verwendet 22Calvins positive Einstellung zu Gelderwerb, Arbeitsamkeit und einfacher Lebensweise beeinflusste, wie in weiten Teilen Europas und Amerikas, auch die wirtschaftliche Entwicklung im Tal Pragela. Die Rückkehr der seit Jahrhunderten von der katholischen Kirche blockierten Grundstücke auf den privaten Markt bewirkte ein Anwachsen der Geldzirkulation und als Folge davon ein Aufblühen der lokalen Ökonomie. Es entstand eine neue soziale Klasse, die sich aus Grundbesitzern und Kaufleuten zusammensetzte, zu denen sich Notare, Ärzte, Lehrer und Pfarrer gesellten. Sie bildeten eine Oberschicht, die verwandtschaftlich eng miteinander verbunden war. Aus ihren Reihen stammten die Konsuln ebenso wie die Sekretäre der Gemeinden, meist studierte Juristen, die für Verwaltung und Finanzen zuständig waren. Pfarrer Jacques Papon, um 1620 in Pragela geboren, war der Sohn eines Notars, drei seiner Brüder waren Kaufleute; Pfarrer Claude Perron, der Streiter für die Einführung der Reformation im Tal Pragela, hatte zumindest 4 Söhne, von denen drei als notaires royals" in Pragela lebten, der vierte als Advokat bei der Provinzregierung in Grenoble. Die Kaufleute der Gemeinde Pragela hatten weitreichende Handelsbeziehungen. Aus Rechnungen, die in einem alten Bauernhaus in Plan (bei Traverde Prageses) gefunden wurden, geht hervor, dass Pierre Pastre, marchand 21 BEDA E PIERCALO BONA PAZE, Riforma e Cattolicesimo 1975, S. 82. in Val Pragelato 1555-1685, Pinerolo, u BRIGnTEKOtILER,Pfarrer Claude Perron Kämpfer für die Einführung der Reformation im Tal Pragela,in: Die Waldenser- Spuren einer europäischenGlaubensbewegung,Bretten, 1999, S. 107-122. Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) 43 BRIGITTE KOHLER la", um 1650 in Lyon Batist aus Cambrais, Stoffe aus Holland und Spitzen Dieppe Le Havre Puy, einkaufte. und aus Jean Guiot, der am 7. Januar 1672 in Soucheres basses (Pragela) starb, bein Handelsniederlassung hervorgeht, Testament eine saß, wie aus seinem Bayonne an der spanischen Grenze, wo er Spitzen und Borten verkaufen ließ, die von Frauen und Mädchen in Pragela in Heimarbeit hergestellt wurden. Guiot belieferte sie mit Garn, das er auf den Messen in Lyon einkaufte, und Ware. der fertigen die Kosten mit verrechnete An der Entstehung einer akademisch gebildeten Oberschicht hatte das Schul-Systemder reformierten Kirche einen beträchtlichen Anteil. Einem Bedass in jePragela die Gemeinde Paul Appia über wir, es entnehmen richt von dem Dorf einen Schullehrer gab, der die Kinder während der Wintermonate im Beten, Lesen und Schreiben unterrichtete, und zwar vom Morgen bis zum Abend, nur am Samstagbis zum Mittag; außerdemgab es in jeder Gemeinde Lehrer, die Arithmetrik, Orthographie und Katechismus unterrichteten. Die Gemeinde Pragela hatte zudem einen besonderen Lehrer angestellt, der bedass Griechisch in Schüler Latein sie anschließend so unterrichtete, und gabte die Akademien in Genf und Die besuchenkonnten 24 Das älteste im Archiv der Gemeinde Pragelato noch vorhandene Grundkataster wurde 1573 begonnen und 1578 beendet. Da vermutlich nahezu alle Mitglieder der Gemeinde zumindest einige Äckerchen in Besitz hatten, ließen bisher der Familien Namen Zahl daraus Schlüsse über ziehen, was und sich Überliefert Köhler bearbeitet Diethard ist. und von aber noch nicht geschehen Heiraten Taufen, Gemeinde Pragela der über dagegen die Register und sind 2.5 Zu dieser Zeit lebten etwa 1.5001685 1674 Beerdigungen zwischen und 2.000 Menschen in der Gemeinde Pragela. Etwa die Hälfte von ihnen gehörte der Häufigkeit Familienverbänden, 6 geordnet - zu nach nämlich großen zu den Familien Guiot, Griot, Pastre, Lantelme, Bonin und Passet, mit AusnahSteuerliste in der 1265 der Lantelmes von noch nicht genannt. sie wurden me Nicht selten waren um 1680 auch Familien mit den Namen Bermond, Bert in für Pragelato, dieser Namen Die Flott. schon sind spezifisch meisten und der benachbarten Gemeinde Usseaux herrschten ganz andere Familiennamen 23THEOKIEF7NER, Die drei Testamentedes lean Guiot, in: Berichte aus der 1Valdcnserforschung, hrsg. von Theo Kiefner, Calw, Nr. 14-16,1990/91. 24DANIELBONIN,Urkunden (wie Anm. 7), Bd. 3, S. 242. 25DANIELBONIN,Urkunden (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 19-249. 44 Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) ZUR HERKUNFT DER SÜDHESSISCHEN WALDENSER vor, was zeigt, dass im Allgemeinen nicht weit fort geheiratet wurde. Um Verwechselungen zu vermeiden, wurden die Familien durch Beinamen gekennzeichnet, wie Guiot-Bourg, Pastre long, Pastre court, Bert Antoine etc. In den Orten Roure und Mean, aus denen die Gründer von Walldorf stammen, lebten vor allem Familien mit den Namen Bonin, Gay, Cezane, Revior (=Reviol) und Tron, aus La Chapelle, direkt an der Grenze zu Piemont, kamen die Gaydouls. Insgesamt traten um 1680 sechzig verschiedene Familiennamen in Pragelato auf, was auf einen beachtlichen Zuzug von außerhalb hindeutet, aber auch darauf, dass viele Familien sich nicht auf Dauer halten konnten. Die ersten Glieder der großen Familienverbände müssen schon viele Generationen zuvor ansässig geworden sein und soviel Lebensraum gehabt haben, dass auch Kinder und Kindeskinder im heimatlichen Dorf bleiben konnten. 1578 trugen z. B. 13 von 23 Grundbesitzern in Pattemouche, einer kleinen Siedlung in der Nähe von Traverses, den Familiennamen Bermond, erst später taucht der Name vereinzelt in anderen Ortsteilen der Gemeinde Pragela auf. Da der Name Bermond jenseits des Alpenkammes im Queyras häufig vorkommt, ist anzunehmen, dass der erste Bermond in Pattemouche von dort gekommen ist. Eine größere Gruppe von Jayme-Familien gab es um 1670 nur in dem Weiler Laval oberhalb von Traverses. Jayme ist die katalanische Form von Giacomo, möglich, dass sie ursprünglich aus Spanien kamen. In Traverses selbst gab es so viele Guiots, dass Pfarrer Jean Guyot 1897 als er den Ort besuchte, aus dem seinen Vorfahren stammten, zu hören bekam: des Dorfes heißt hier Guiot". In Sestriere borgata herrschten daDreiviertel gegen Lantelmes vor, die meist mehr Söhne als Töchter hatten. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung aus nur wenigen Stämmen besteht, muss man mit einem hohen Grad an Inzucht rechnen; deren ungünstige Folgen wurden aber aufgehoben durch die starke Selektion, die Klima und Lebensbedingungen im Hochgebirge mit sich brachten. Die Menschen in Pragela waren sehr gesund und zäh und erreichten ein hohes Alter, wenn man von den häufig vorkommenden Unfällen absieht. Durch die Lage im Hochgebirge oberhalb der so genannten Malaria-Grenze kam es in Pragela nicht zu so großen Seuchenzügen wie in tiefer gelegenen Gebieten. Allein von der Landwirtschaft konnten nur wenige der Familien leben; fast alle Männer verdienten auswärts noch Geld hinzu, als Emtehelfer, Handwerker oder Händler, in Piemont oder jenseits des Alpenkammes in Frankreich. Die lllanuspersonen it'ären in ihrem Land wohl 20 Meilen Wegs ausgegangen, inn einen Pfennig zu verdienen und den Ihren Unterhalt zu verschaffen, sagte Pfarrer Papon bei den Verhandlungen zur Nie- Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) 45 BRIGITTE KÖHLER derlassungvon Waldensern in Hessen;sie würden alles, was man von ihnen begehrt, angreifen, und lernen, was sie nicht können. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts war das Tal Pragela mit ca. 8000 Bewohihre kaum Kinder für Familien dass noch übervölkert, sich und viele nern so durch Religion der Verbot Das reformierten Existenzmöglichkeiten sahen. König Ludwig XIV. von Frankreich 1685 war der Auslöser für einen Exodus, 2.0001687 1685 Zwischen in verließen Frankreich und war. einmalig wie er 2.500 Menschen das Tal Pragela, mehr als ein Drittel der gesamten Bevölkein ihren Ländern die Hugenotten, deutscher Fürsten Die Einladungen an rung. Zuflucht zu suchen, waren unter der Hand überall in Frankreich bekannt geim Tal Pragela Hoffnungen hochgespannte hatten auch gemacht worden und Gruppen der Emigranten Die Mehrzahl zusamzu großen schloss sich weckt. ihrer Heimatgemeinden Kolonien im Ausland in der festen Absicht, zu men, Jacques den beiden Pfarrern Papon Gruppen dieser Eine von wurde gründen. des propositions", den die Pfarrer (Vater und Sohn) angeführt. In einem Etat deutschen Fürsten vorlegten, 26 forderten die \Valdenser, neben wirtschaftlikommunalen die ihrer Religion freie die Unterstützung Ausübung und cher Rechte ihrer Heimat; außerdem wollten sie unbedingt zusammen an einem Ort leben, denn nur eine größere Kolonie konnte sich einen Pfarrer leisten. Da hatten, brauchder Landwirtschaft die Pragelaner ernährt vor allem von sich ten sie für die erhofften Siedlungen umfangreiche Ländereien - die aber waren auch in deutschen Ländern kaum noch vorhanden. Der erste Versuch einer Niederlassung in der Nähe von Erlangen (1686/87) schlug fehl, nachdem die Gruppe durch nachträglichen Zuzug aus Pragela so angewachsen war, dass das von Markgraf Ernst-Christian von Brandenburg-Bayreuth zur Verfügung die beiden Pfarrer Daraufhin für Land zogen alle ausreichte. nicht gestellte Papon mit etwa 350 Personen im Mai 1688 nach Kesselstadt bei Hanau und Charlotte Ysenburg-BüGräfin-Witwe der dort von aus mit von verhandelten dingen-Wächtersbach und anschließend mit Landgraf Ernst Ludwig von Hesin hatten 29 ihre Forderungen sie gesen-Darmstadt; Anforderungspunkten" der junge Verhandlungen kurzen Schon unterzeichnete nach nau aufgeführt. faveur de la Colonie vauLandgraf am 26. August 1688 eine en Declaration doise", in der er fast alle ihre Forderungen berücksichtigte; zur Gründung ih4.000 Morgen Land bei Geschenk" ihnen Kolonie reines stellte er rer als 26THEo KIEFNER,Privilegien (wie Anm. 10), S. 92. 46 Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) ZUR HERKUNFT DER SÜDHESSISCHEN WALDENSER Arheilgen zur Verfügung. '-' Die beiden lutherischen Professoren der Landesuniversität in Gießen, Philipp Ludwig Hanneken und Kilian Rudrauff, gaben 28 ihr Auflagen Einverständnis Gerade hatte ein Vortrupp der unter gewissen Waldenser auf dem Michelfeld bei Arheilgen die ersten Unterkünfte aufgeschlagen, begann Anfang September der Pfälzische Erbfolgekrieg, und die Waldenser flüchteten vor den anrückenden Franzosen in die Gegend von Nidda. Im weiteren Verlauf des Krieges kehrten viele Flüchtlinge auf Einladung des Herzogs von Savoyen in das vom Krieg verwüstete Piemont zurück, aber bereits zehn Jahre später zwang der Herzog mit einem Edikt vom 1. Juli 1698 auf französischen Druck hin, alle ehemaligen Untertanen der französischen Krone, sein Land zu verlassen, wollten sie ihrem Glauben treu bleiben. Dazu gehörten auch die Waldenser, die unterhalb des Bee Dauphin, im sog. Perosatal, lebten, das 1630 von Frankreich besetzt worden war. Unter Führung ihrer Pfarrer wanderten im September 1698 etwa 3.000 Waldenser über den Mont Cenis-Pass nach Genf. Den Winter über gewährten ihnen die protestantischen Kantone der Schweiz Asyl, aber im Frühjahr 1699 wurden sie unerbittlich abgeschoben. In großer Eile bereiteten ihre Pfarrer zusammen mit dem niederländischen Diplomaten Pieter Valkenier ihre Ansiedlung in Deutschland vor. Im Namen seiner Glaubensgenossen bestand Pfarrer Jacques Papon, wie bereits 1688, auf freie Ausübung ihrer reformierten Religion und die kommunalen Rechte ihrer Heimat, wirtschaftliche Privilegien und Ländereien zur Gründung von Kolonien. Mit seiner faveur des Vaudois" vom 22. en Declaration April 1699 bestätigte Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt ihnen die bereits 1688 gewährten Privilegien aber erst, nachdem England und die Niederlande, vertreten durch Pieter Valkenier, finanzielle Unterstützung zuge29Dem Verhandlungsgeschick hatten. von Pieter Valkenier ist zu danken, sagt dass die Darmstädter Privilegien von anderen Fürsten im Wesentlichen unverändert übernommen wurden; am 28. April 1699 von Landgraf Friedrich II. von Hessen-Homburg, am 15. Juli von Fürstin Elisabeth Charlotte von Nassau-Schaumburg, am 15. Juli von Graf Ferdinand Maximilian von Ysenburgn BRIGITTEKÖHLER,Die Waldenserprivilegien des Landgrafen Emst Ludwig von HessenDarmstadt, in: AHG NF 38/1980, S. 181-234. 'sBRIGIT1EKÖHLER,Philipp Jakob Spener und die Aufnahme von Waldensern in Hessen-Darmstadt im Jahre 1688, in: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 54 (2003), S. 113-131. BRIGITTEKÖHLER,Pieter Valkenier in Hessen,in: Pieter Valkenier und das Schicksal der Waldenserum 1700, Waldenserstudien,Bd. 2, Hrsg.: DeutscheWaldenser-Vereinigung,ÖtisheimSchBnenberg,2004, S. 175-200. Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) 47 BRIGITTE KÖHLER Büdingen-Wächtersbachund am 4. Septembervon Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg, dessenLand unter dem Krieg sehr gelitten hatte. Die waldensischenPfarrer beschlossen,die Flüchtlinge aus dem Perosatalnach Württemberg zu schicken, die des Pragela-Talesnach Südhessen. Im Mai 1699 versammelten sich mehr als 1.500 Waldenser in der Umgebung von Rüsselsheim in der Erwartung, die versprochenen Ländereien zugedie kam die Verteilung Nur bekommen. auf vorgesehezögerlich zu wiesen nen Orte in Gang. Etwa 400 Personen, die fast alle aus Bourcet und Villaretto (Teilorte der Gemeinde Roure) stammten, sollten sich in Arheilgen bei Darmstadt niederlassen, fanden dort aber so unzureichende Verhältnisse vor, dass sie im Sommer 1700 geschlossen nach Württemberg abwanderten. Eine zweite, fast gleich große Gruppe, ebenfalls aus der Gemeinde Roure, sollte sich bei Mörfelden niederlassen; aber auch für sie waren nicht genügend Ländereien vorhanden und bald wanderten die meisten von ihnen auch nach Württemberg. Nur 14 Familien mit insgesamt 56 Personen blieben übrig, die Gründer der später als Walldorf bezeichneten Kolonie südlich von Frankfurt. Auch andere Waldenser-Gemeinden des Tales Pragela konnten in Südhessen nur kleine Gemeinden gründen, 165 Waldenser, die meisten aus Mean, in Dornholzhausen (Hessen-Homburg), 52 Waldenser aus Fenstrelle in Charlottenberg (Nassau Schaumburg) und 350 Waldenser aus Mentoulles (2/3) und Usseaux (1/3) in Waldensberg (Ysenburg-Büdingen) Nur die Mitglieder der WaldensergemeindePragela hielten trotz aller Widrigkeiten zusammen. Eine Niederlassung auf den öden Heiden zwischen Raunheim und Rüsselsheim', wie sie der Landgraf angeordnethatte, scheiterte nach einem Jahr, schließlich blieb den Pragelanernnichts anderesübrig als mit dem Landgrafen von Hessen-Darmstadteinen Erbleih-Vertrag über die landgräflichen Höfe in Rohrbach, Wembach und Hahn abzuschließen,datiert Während die Kolonien den März 1700. Ländereien geschenkt 17. andere auf bekamen - wobei es sich allerdings meist um schlechte Böden handelte mussten die Pragelanerjährlich eine sehr hohe Pacht in Form von Getreide abliefern. Die Waldenser verpflichteten sich in solidum", d. h. als Gemeinschaft, für die ordnungsgemäßeAblieferung des Pachtgetreides aufzukomdie ihrer damit Existenz Kolonie, galt nur solange sie Vertrag, Der und men. ihren Verpflichtungen nachkamen, er galt auch nur für Waldenser der Gemeinde Pragela und ihre männlichen Abkömmlinge, Deutsche durften sich in der Kolonie nur mit Erlaubnis der Waldenser niederlassenund - bis zur Ablö- 48 Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) ZUR HERKUNFT' DER SÜDHESSISCHEN WALDENSER sung der Erbpacht 1836 - kein Land besitzen; als Beisassen wurden sie zwar vor allem in Wembach geduldet, lebten aber quasi in einem Ghetto, das als 30 bezeichnet Eine Namensliste der Gründer von Deutsch-Wembach wurde. Rohrbach, Wembach und Hahn ist nicht mehr vorhanden, wir wissen nur, dass es insgesamt 240 Personen waren. Der Anfang war sehr hart und gelang den Unterstützungsgelder Niederlanden, Pfarrer und Lehrer durch aus nur wurden bis Ende des 18. Jahrhunderts aus einem englischen Fonds bezahlt (die so genannte englische Pension). Dank der landgräflichen Privilegien von 1699 bildete die Waldenserkolonie Rohrbach-Wembach-Hahn quasi eine winzig kleine französische Bauernreder Landgrafschaft innerhalb Hessen-Darmstadt. Durch die Herstelpublik lung von gewirkten Strümpfen kam die Kolonie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu bescheidenem Wohlstand31; aber bereits 1792 begannen die Koalitionskriege gegen Frankreich, die auch die Waldenser in Rohrbach und Wembach-Hahn mit Kriegsfuhren und Abgaben schwer belasteten; übervoll aber wurde das Maß ihrer Not durch die Steuern, die sie nach Aufhebung der Steuerfreiheit 1806 zusätzlich zu der hohen Pacht bezahlen mussten. Trotz aller Proteste wurde ihnen 1820 die Benutzung der französischen Sprache in Kirche und Schule verboten. Die 1821 erlassene hessische Gemeindeordnung nahm ihnen weitere Privilegien. Die Not in der Kolonie wurde so groß, dass 32 der Bewohner 1830 Teil Amerika Die Geum nach auswanderte ein großer bietsreform der 1970er Jahre nahm Rohrbach und Wembach-Hahn auch die heute Selbständigkeit, Stadtteile sind sie von Ober-Ramstadt. In gemeindliche den anderen südhessischen Waldenserkolonien verlief die Entwicklung ähnlich. Alle aber konnten in den Jahren 1999 bzw. 2000 das 300 jährige Jubilä33 Die Erinnerung feiern. Gründung ihrer an das Herkommen und das um Schicksal ihrer Vorfahren wird heute mehr denn je gepflegt. Als einzige der deutschen \Valdenserkolonien sind Rohrbach, Wembach ihrer 1974 Ursprungsgemeinde Pragelato verHahn offiziell mit seit und 30BRIGITTE französischen Waldensern in Wembach, in: KÖHLER,Deutsche als unter Fremde" AHG NF 55/1997, S.181-234. 31BRIGITTE KÖHLER,Über die Strumpfwirkerei in südhessischenWaldenserkolonien,in: Zu Kultur 21982. Odenwaldes, des Breuberg Geschichte und 32 DIETIIARD UND BRIGITTE KÖHLER, Die Auswanderung einer Gruppe von Waldensem Amerika im Jahre 1830, in: Der Odenwald, 22 (1975) 2, S. 51-54. nach 33ALBERTDELANGE(Hg.), DreihundertJahre Waldenser(wie Anm. 17) Archiv für hessischeGeschichte65 (2007) 49 BRIGITTE KÖHLER 3; Einmütig fasste der Gemeinderat von Pragelato am 15. August schwistert. 1973 den Beschluss,eine Verschwisterung mit den drei deutschenWaldenserim heißt dass PrageFreude, Protokoll wie es einzugehen mit großer orten lato einen Teil von sich selbst wieder gefunden hat, der seines 1i'esens ist, trotz der großen Entfernung und der inzwischen verflossenen Zeit. Dass die heute italienische Gemeinde rein katholisch ist und im 2. Weltkrieg unter Partisanenkämpfensehr zu leiden gehabt hatte, spielte dabei keine Rolle. Die damals noch selbständige Gemeinde Wembach-Hahn und die Stadt Ober-Ramstadt im Namen von Rohrbach stimmten sofort zu, und so konnte am 1. Juni 1974 auf den Wiesen von Laval ein Fest des Wiederfindens gefeiert werden. Der Bürgermeister von Pragelato Alex Berton begrüßte die Gäste aus Deutschland in der Spracheder gemeinsamenVorfahren: Amis chers de IVembach-Halm ei Rorbach! Pragela ei le coeur de tout les Prageloisfrenissent de joie, remplis des sentiments les plus initmes. Voih unejoie, une superbe, :are inoubliable page de noire Histoire! x BRIGITTEKÖHLER,Die Verschwisterung Pragelatound Rohrbach-Wembach-Hahn,hrsg. v. Verein für HeimatgeschichteOber-Ramstadt,Ober-Ramstadt1985. 50 Archiv für hessischeGeschichte65 (2007)