Physician-assisted suicide - Ruhr

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Tagungsberichte
Ethik Med 2004 · 16:420–423
DOI 10.1007/s00481-004-0330-1
Online publiziert: 22. Oktober 2004
Springer Medizin Verlag 2004
Physician-assisted suicide –
Medical, ethical, legal,
and social implications
Internationales Symposion,
19.–21. Mrz 2004, Gießen
Im Vorfeld der Verffentlichung der neuen
Grundstze der Bundesrztekammer zur
rztlichen Sterbebegleitung fand an der
Justus-Liebig-Universitt in Gießen ein internationales Symposium zum rztlich-assistierten Suizid und den damit verbundenen medizinischen, ethischen, rechtlichen
und sozialen Fragestellungen statt.1
Eggert Beleites als Vorsitzender des Ausschusses fr ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesrztekammer (BK) skizzierte in seiner „welcome adress“ die Position der bundesrztlichen Standesvertretung und erteilte sogleich berlegungen zu einer aktiv forcierten Sterbehilfe eine Absage. Eine „Bereitschaft zum Tten“ wrde das gesellschaftliche Bild des Arztes in Deutschland und das
Vertrauen in ihn nachhaltig erschttern. Er
verwies auf die momentane Situation, die
dadurch gekennzeichnet sei, dass unter der
Bevlkerung in Deutschland ngste zum
einen vor einer „bertriebenen Behandlung“
und zum anderen vor einer zu raschen
Beendigung des Lebens bestnden. In
Deutschland sei vor dem Hintergrund der
Erfahrungen des Dritten Reiches eine besondere rechtliche Situation auszumachen.
Es gebe in der Bevlkerung dezidiert Vorbehalte gegenber einem rztlich-assistierten Suizid. Eine differenzierte Errterung
der Thematik sei notwendig; hierbei sei die
1
Die Veranstaltung, zu der Dr. Edgar Dahl und Prof. Gabriele
Wolfslast eingeladen hatten, erfolgte mit freundlicher Untersttzung der Fritz-Thyssen-Stiftung.
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Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Sterbehilfe hervorzuheben. Es gehe
um mehr Transparenz in der Frage, welche
rechtlichen Regelungen beschlossen werden
mssten, um eine eindeutigere Rechtssprechung zu erzielen – so wie das beispielsweise
in den Niederlanden der Fall gewesen sei. In
den im Jahre 1998 in Kraft getretenen
Grundstzen der Bundesrztekammer zur
rztlichen Sterbebegleitung stehe die Bekmpfung der Symptome einer Erkrankung
im Vordergrund. Gleichzeitig sei der Patientenwille ein entscheidendes Kriterium bei
Entscheidungen ber Therapieziele. Bezogen
auf die dann im Sommer 2004 durch die
BK verffentlichten berarbeiteten Grundstze, betonte Beleites, dass es geboten sei,
die Intention medizinischen Handelns ins
rechte Licht zu setzen und die Therapie an
den Behandlungszielen auszurichten und zu
bemessen. Der Angst vor mglicher Druckausbung und den Vorbehalten in der Bevlkerung sei durch verstrkte Aufklrung,
wie beispielsweise durch das „Einben“
von Patientenverfgungen, entgegenzuwirken. Auch sollten verstrkt Angehrige zu
Stellvertretern von Patienten bestellt werden
und die Selbstbestimmung der Patienten
bewahrt bleiben. Ihm gehe es in erster Linie
mit der „nderung der Therapieziele“ um
ein Konzept, das die Lebensverkrzung in
Kauf nehmen knne, wenn dadurch die
Linderung von Schmerzen bewirkt werde.
Gerade dieser palliativ-medizinische Ansatz sei es jedoch, erinnerte Pieter Admiraal
aus Delft (Physician-assisted suicide: a doc-
tors perspective), der in den Niederlanden
die Basis der gesellschaftlichen Akzeptanz
der dort praktizierten und legalisierten
Euthanasie („voluntary active euthanasia“)
bilde. Admiraal berichtete ber die Entwicklung des Physician-assisted suicide in
den vergangenen 30 Jahren in den Niederlanden: Bis 1968 war die Palliativpflege in
verschiedene Bereiche des Krankenhauses
integriert. Seitdem habe sich ein Wandel
abgezeichnet, der sich bis heute fortsetze.
Admiraal wies darauf hin, dass beispielsweise in Großbritannien und Deutschland
der Einsatz von Morphinen in der Schmerztherapie bis heute nicht generell akzeptiert
sei. In der medizinischen Praxis in den
Niederlanden seien die Linderung von
Schmerzen und die damit mglicherweise
einhergehende terminale Sedierung selten
der alleinige Grund, der zur Entscheidung
fr eine Durchfhrung aktiver Sterbehilfe
fhre. Eine differenzierte Verwendung der
Begriffe erweise sich in dieser Diskussion als
notwendig – die Pflege eines Patienten, der
sich im Endstadium seiner Erkrankung
befinde („terminal care“), werde immer
Palliativpflege beinhalten, die dann im Einzelfall wiederum zur aktiven Sterbehilfe
(„active euthanasia“) fhren knne. Admiraal betonte, dass die Wrde des Patienten
und die Bercksichtigung von dessen individuellen Wnschen und Bedrfnissen immer bei der rztlichen Behandlung wahrgenommen werden und bei der Entscheidung
immer im Vordergrund stehen mssen. Das
knne im Sinne des Patienten und mit dessen ausdrcklicher Zustimmung im Einzelfall auch seinen Tod bedeuten.
Margret Battin, Philosophin an der University of Utah wandte sich den ethischen
Aspekten des assistierten Suizids aus philosophiegeschichtlicher Sicht zu (Physicianassisted suicide: a philosophers perspective)
und schloss, dass der historische Blick keine
einheitliche Deutung erkennen lasse: Whrend nach Plato die Selbstttung unter bestimmten Umstnden zulssig sei, werde sie
aus Sicht der Stoa als wohlerwogener Lebensausgang betrachtet und von Augustinus
wiederum als die schlimmste aller Snden
angesehen. Kant bezeichnete sie als grundstzlich falsch. Nietzsche hingegen glorifizierte die Selbstvernichtung und forderte sie
gar als Gebot fr den Kranken ein. Ob der
Suizid an sich als falsch zu betrachten sei,
gelte bis heute als hchst umstritten, und
Prinzipien, wie Autonomie oder ein generelles Ttungsverbot, stnden daher im
Schatten der jeweiligen Einschtzung. Davon
sei natrlich auch der rztlich-assistierte
Suizid betroffen. Neben der Perspektive aus
der philosophiegeschichtlichen Entwicklung
sei es aber auch interessant, sich dem Begriff
und damit der Frage nach der aktiven Sterbehilfe selbst linguistisch zu nhern. Die
Struktur einer Sprache beeinflusse immer
auch die Art und Weise, wie Menschen
dchten und wie sie die soziale Welt, in der
sie lebten, wahrnhmen. So seien die Begriffe Suizid und Euthanasie je nach
Sprachgebrauch mit unterschiedlichen Konnotationen und Implikationen versehen.
Dem englischsprachigen Begriff „suicide“
stnden im deutschen Sprachgebrauch die
Termini Selbstmord, Selbstttung, Suizid
und Freitod gegenber.
In einem weiteren Vortrag (Physicianassisted suicide and the „duty to die“) wurde
deutlich, dass das Leben zu riskieren bzw.
den eigenen Tod einzukalkulieren aus anthropologischer Perspektive lediglich eine
altbekannte Fragestellung darstellt, die im
Spannungsverhltnis von Gesellschaft und
Individuum immer wieder neu beantwortet
werden muss.
Der Philosoph Gerald Dworkin (Physicianassisted suicide: morality, harm, and the
law) sprach sich mit Blick auf Physicianassisted suicide nach abwgenden berlegungen fr die am wenigsten restriktiven
Vorgaben durch die Politik aus. Erst wenn
diese Regelungen sich als nutzlos erwiesen
bzw. einen Missbrauch nicht unterbinden
knnten, seien Verbote angemessen. Das
Argument der Irreversibilitt der Erkrankung sei zu entkrften, denn es gelte genauso fr diejenigen, die eine lngere Zeit
mit Schmerzen weiterleben mssten. Da
Schmerzen praktisch nicht objektivierbar
seien, knnten sie auch niemandem zugeEthik in der Medizin 4 · 2004
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mutet werden. Das Gebot der Schadensvermeidung treffe das Problem ebenfalls nicht,
da die Patienten willentlich ihren Entschluss
bekundeten und sich fr eine „Schdigung“,
wenn denn ein Entschluss auf freiwilliger
Basis fr einen Physician-assisted suicide so
bezeichnet werden solle, bewusst entschieden.
Bettina Schne-Seifert, Ethikerin an der
Universitt Mnster, fragte u. a. nach dem
(Selbst-)bild des Arztes (Physician-assisted
suicide and the medical profession), das
zwischen dem Selbstverstndnis des warmherzigen Arztes, der dem verzweifelten Patienten helfe, und dem unweigerlich aufkommenden Bezug zum Bild des Schreibtischtters, der die Todespille verschreibe,
alterniere. Im historischen Kontext Deutschlands sei die Verwendung des Begriffes
Euthanasie hchst problematisch. Nach
sorgfltiger Abwgung sei aus ihrer Sicht zu
konstatieren, dass die Proargumente in der
Diskussion berwiegten. Physician-assisted
suicide sollte ihrer Meinung nach zu einer
Handlungsalternative werden, die im Ausnahmefall gewhlt werden knne. Sie selbst
sehe prinzipiell Unterschiede zwischen Physician-assisted suicide und Voluntary active
euthanasia. In der ffentlichen Diskussion
seien unterschiedliche Verwendungen der
Begriffe feststellbar; hierbei wrden beide
Begrifflichkeiten unterschiedlich bewertet.
Demgegenber spielten die Intentionen des
Arztes, Leiden lindern zu wollen, in der Bewertung der rztlichen Praxis eine große
Rolle. Eine weitere Bewertungsperspektive
sei die des Patienten, die sich sehr von der
ffentlichen Diskussion unterscheide. Ein
Missbrauch der Handlungsmglichkeiten
von Physician-assisted suicide und Voluntary
active euthanasia sei in beiden Fllen mglich, jedoch sei die Gefahr des Missbrauchs
beim Physician-assisted suicide geringer, da
er unter rztlicher Kontrolle durchgefhrt
werde. Die Frage allerdings, ob der rztlichassistierte Suizid zulssig sei, solle nicht von
den rzten selbst forciert werden, sondern
msse von der Gesellschaft errtert werden.
Katharina Hedberg vom Oregon Public
Health Service referierte zum Sachstand in
diesem U.S.-Bundesstaat (Physician-assisted
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suicide in Oregon): Der 1994 verabschiedete
„death with dignity act“, der auf eine Brgerinitiative zurckgeht, erlaube Patienten
im Endstadium ihrer Erkrankung den Zeitpunkt selbst zu bestimmen, wann sie ihrem
Leiden ein Ende setzen wollten. Physicianassisted suicide gelte als rechtlich einwandfreier Begriff und werde zugleich zur Abgrenzung von Euthanasie verwendet, die
verboten sei. Auf der Grundlage einer statistisch allerdings nicht signifikanten Datenbasis wurde deutlich, dass Verlust von
Autonomie und Wrde als Hauptaspekte am
Lebensende angesehen werden. In 79% der
Flle lag dabei eine Krebserkrankung zugrunde. rzte und Angehrige forcierten
den rztlich-assistierten Suizid in diesen
Fllen keineswegs, sondern verstanden
mehrheitlich die Akzeptanz einer Inanspruchnahme als Respekt dem Patienten
gegenber. Nur ein Drittel aller Patienten,
denen das Medikament unter entsprechenden Bedingungen ausgehndigt wurde, haben es angewendet. Das deute daraufhin,
dass fr die Betroffenen primr die Kontrolle ber die Situation und damit ihre
Selbstbestimmung im Vordergrund stehe.
Der Rechtsphilosoph John Griffith von
der Universitt Groningen vertrat in seinem
Vortrag (Physician-assisted suicide in Belgium) die These, dass nur durch eine Legalisierung des Physician-assisted suicide eine
effektive Kontrolle des rztlichen Handelns
und der Behandlung von Patienten zu realisieren sei. Die Regelungen der aktiven
Sterbehilfe und des rztlich-assistierten
Suizids seien im niederlndischen und im
belgischen Recht nahezu identisch. In den
Niederlanden werde Physician-assisted suicide hauptschlich als eine Strkung der
rztlichen Funktion und des rztlichen
Handlungsspielraums angesehen; dies werde
im Gegensatz dazu in den USA vielmehr als
eine Strkung der Position des Patienten
eingestuft. Er hob die Bedeutung des Patientenwillens fr rztliche Entscheidungen
am Lebensende hervor und betonte, dass
dieser Wille schriftlich niedergelegt sein
msse, um den Schutz des Patienten und
auch des Sterbehelfers zu garantieren. Die
Ttigkeit der Sterbehilfsorganisation „EXIT“
in der Schweiz sei durch das Gesetz sehr
stark limitiert; dies knne aber auch eine
Schutzfunktion gegenber Missbrauchsmglichkeiten darstellen.
Gabriele Wolfslast, Strafrechtlerin aus
Gießen (Physician-assisted suicide and the
German law), hielt fest, dass ein Selbstmord
als solcher zwar als falsch, aber nicht als eine
kriminelle Handlung eingestuft werden
knne. Es sei letztlich eine Frage des eigenen,
freien Willens. Da Physician-assisted suicide
und Voluntary active euthanasia trotz eines
gesetzlichen Verbotes in der Praxis dennoch
geschhen, bestnde die Notwendigkeit,
klare gesetzliche Richtlinien fr den rztlichassistierten Suizid zu erlassen, um damit
auch der Wrde der Betroffenen zu entsprechen. Es sei eine genaue Kontrolle
geboten und durch eine entsprechende
Rechtssprechung wrde den rzten das Gefhl vermittelt werden, im Einklang mit gesellschaftlichen berzeugungen zu stehen.
Der Philosoph Dieter Birnbacher (Physician-assisted suicide and the guidelines of
the GMA) betrachtete die bisher ablehnende
Haltung der Bundesrztekammer zum rztlich-assistierten Suizid als bewusste Abgrenzung gegenber einer sich langsam abzeichnenden Legalisierung. Es gehe dabei
um eine ethische Verurteilung einer Entwicklung als „unrztlich“, der juristisch
mglicherweise nicht mehr zu begegnen sei.
Andererseits erkenne er in verschiedenen
Richtlinien und Deklarationen bewusst formulierte Ambiguitten und Verbote, die in
ihrer Abgrenzung mehr und mehr einer
Erlaubnis hnelten, und selbst die bisherigen Erklrungen der BK bannten den
Physician-assisted suicide in einer eher
kryptischen Form. Er glaube daher, das ein
institutioneller Dissens herrsche. Doch noch
htten rzte informelle und soziale Sanktionen zu frchten und shen sich dem
Vorwurf unethischen Verhaltens und damit
dem Rufmord ausgesetzt. Das blockiere
liberale Entwicklungen.
In der darauf folgenden Diskussion wurde
angemerkt, dass unter den rzten große Irritation hinsichtlich aktiver Beendigung von
Behandlung, Physician-assisted suicide und
Voluntary active euthanasia herrsche. Abschließend sprach mit Ludwig Minelli von
„DIGNITAS“ ein Vertreter einer Sterbehilfsorganisation (Physician-assisted suicide and
the European Convention). Er konstatierte,
dass sich in den europischen Verfassungen
zwar ein Recht auf Leben finde, ein Recht
zum Sterben jedoch fehle. In den jngsten
berlegungen des Europischen Konvents,
die zu einer europischen Verfassung fhren
sollen, wrden nun erstmals Inhalte verhandelt, die im Prinzip ein Recht zum Sterben
propagierten. Man solle Betroffene ernst
nehmen und allein die Suizidoption helfe,
suizidale Gedanken zu berwinden. Sie verschaffe den Betroffenen die notwendige
Ruhe, um ber Alternativen nachzudenken.
Diese Wahlfreiheit fhre zu weniger suizidalen Vorfllen und damit zu weniger betroffenen Angehrigen. Allerdings gehre dazu
die Bereitstellung glaubwrdiger Methoden.
Nur so knne von einer Option gesprochen
werden. Auch wenn die Datenbasis schwach
sei, glaube er an eine Entwicklung analog zur
Abtreibungsproblematik, die nach entsprechender Regelung ebenfalls zu einer Abnahme von Laienabtreibungen mit den daraus
resultierenden Konsequenzen gefhrt habe.
Das Symposium endete mit einem Aufruf
zur Debatte: Ob der Weg, den die Niederlande und Belgien gegangen seien, der richtige Weg fr Deutschland wre, sei dahingestellt. Das knne nur eine breite, ffentliche
Auseinandersetzung klren, die jedoch z. T.
aus historischen Vorbehalten, aber auch aus
standesrechtlichen Erwgungen nicht gefhrt wrde. berlegungen zur aktiven
Sterbehilfe wrden vorschnell als „unrztlich“ und „unethisch“ abqualifiziert und die
Notwendigkeit zu einer solchen Diskussion
bestritten. Dabei werde die Dringlichkeit einer solchen Debatte, die von rzten, Betroffenen und ihren Angehrigen angemahnt
werde, bersehen. Es gebe kein ethisches
Deutungsmonopol, und es sei nicht gesagt,
dass die ffentliche Meinung zwingend den
westlichen Nachbarlndern folgen werde.
Florian Braune, Anna-Karina Jakovljević, Gttingen
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