KLAUS-­ MARTIN BRESGOTT DIE SPRACHE DER KÜNSTE IN DER WELT DER KIRCHE SEHEN LERNEN NUMMER 1 Triumphkreuzgruppe (um 1220) über dem Lettner im Dom St. Stephanus und St. Sixtus in Halberstadt (Harz, Sachsen-Anhalt). ­Verse 17 ff. – danach waren Jesu Mutter Maria (mit Kopfbedeckung) und der Lieblingsjünger ­Johannes anwesend. Sie ­ tehen links und rechts und werden von auf Rädern stehenden Engeln begleitet. Man unterscheidet vierflügelige Cherubim s und sechsflügelige ­Seraphim, die in der Hierarchie der Engel ganz oben stehen und Christus in der ­Todesstunde umgeben. TRIUMPHKREUZ Christi Kreuzigung ist das zentrale Passionsthema. Ausführlich beschreibt sie Johannes Kapitel 19, Darstellung in der Apsis der Nikolaikirche Potsdam (1830–1850) nach einem Entwurf von Karl Friedrich Schinkel (1829). PAULUS hieß zunächst Saulus und war als strenggläubiger Jude Verfolger der Christen, der nach seinem Erweckungs­ erlebnis in Damaskus einer der wichtigsten Wanderprediger und Missionare der frühen Christenheit und vermutlich u ­ nter Kaiser Nero (37–68) enthauptet wurde. In der Regel wird er mit Kahlkopf und langem Bart dargestellt. Seine Kennzeichen sind das Schwert seiner Enthauptung und ein Buch oder eine Schriftrolle, die ihn als Verfasser der Paulus-Briefe zeigt. PETRUS heißt eigentlich Simon. Er war unter den zwölf Aposteln und einer der wichtigsten Jünger Jesu, der ihm den ­ amen Petrus gab, der griechisch »Fels« bedeutet. Petrus kämpfte für Jesus, verleugnete ihn aus Angst und wurde N schließlich ­erster Bischof von Rom. Er wird meist in untersetzter Gestalt mit Rundkopf und kurzem Bart dargestellt, in der typischen Tracht der Apostel und mit ein bis drei, meist zwei Schlüsseln, die Zeichen des Lösens und des Bindens sind. SEHEN LERNEN HEISST: NEU SEHEN LERNEN FORMEN DER KUNST UND IHRE STILE Kunst ist sehr vielfältig. Neben der Dichtung in Gestalt von Lyrik, Prosa oder drama­tischer Dichtung und der Musik in ihren verschiedenen Formen gibt es die Darstellenden Künste mit Pantomime, Puppenspiel, Tanz, Theater, Film und Fern­sehen, die Reproduzierenden Künste mit Grafik, Druck und Fotografie, die Bildenden Künste mit Malerei, Plastik, Installation und Kunstgewerbe und die Architektur. Sie präsentiert Kunst im öffentlichen Raum – Kirchen-Architektur ist unser Hauptthema. Neue Stile entwickeln sich, wenn sich in Politik oder Wirtschaft, durch große Erfindungen oder geistige Kraft Veränderungen ergeben. Sie suchen nach e ­ inem neuen Ausdruck. Manchmal entwickeln sich Stile in bewusster Reak­tion als Gegensatz, manchmal durch allmähliche Veränderung. Ihre Namen finden sich in ganz Europa, die Datierungen sind von Land zu Land verschieden. Hier gelten sie für Deutschland. Diese Einführung behandelt die Stilepochen der Kunst in Europa in ihren wesentlichen Grundzügen aus protestantischer Tradition heraus. EINORDNUNG UND VERBINDUNGEN 9 Darstellung im Schalldeckel der Kanzel (1680) von dem Prenzlauer Tischler E. Hoffmann, St. Sebastian Baruth / Mark (Teltow-Fläming, Brandenburg). HEILIGER GEIST Schon in vorchristlicher Zeit ist die Taube Symboltier für Liebe und Unschuld. Im Christentum wird sie Symbol für den Heiligen Geist. Die Darstellung beruht auf der Geschichte aller Evangelien, nach der bei der Taufe Jesu der Geist Gottes in Gestalt einer Taube erschien. Sehen lernen heißt: Neu sehen lernen, entdecken und eintauchen in die Welt der Kunst. Sehen lernen heißt: Erfahren, wie Künstlerinnen und Künstler die Welt ­sehen, sich öffnen gegenüber den verschiedenen Formen, Farben und Materialien, mit denen die Künste die Welt wahrnehmen und auf sie reagieren. Kunst ist eine Reflexion des Lebens in den Generationen vor uns und in unserer Gegen­wart. Wer Kunst schafft, lebt und erlebt intensiver, was sie oder ihn umgibt. Kunst kann selbst schöpferische Leistung fordern. Sie erweitert unseren Horizont und unser Einschätzungsvermögen. Kunst lehrt uns zu staunen. Sie lehrt uns, genauer hinzusehen. Sie lehrt uns die Fähigkeit der Auseinandersetzung. Sie macht uns fähig, Kunst zu begreifen und andere an sie heranzuführen. Um die Stile sowie ihren gesellschaftlichen Stellenwert in ihren Grundzügen einordnen zu können, finden sich zunächst kurze Einführungen in die jeweilige Zeit. Ein statistischer Vergleich über die Bedeutung der Religion vor 100 Jahren und heute macht vorab deutlich, wie sich religiöse Zugehörigkeiten und damit Lebens­mittelpunkte und Traditionen in jüngerer Zeit verändert haben. ­Kirchenräume ­hingegen bleiben als Räume der Begegnung mit Geschichte und Gegenwart als kulturell besondere Räume erhalten. Mit ihrem spirituellen Charakter sind sie oft seit Jahrhunderten Räume des Gebets und der Musik. Mit der Musik geht die K ­ irchen-Architektur von Anfang an eine besondere Verbindung ein. Die ­Musik stellt sich in den Dienst des Gottesdienstes. Sie erfüllt den Raum mit Klang. Die Architektur dankt es ihr mit unmittelbarer Resonanz: Mit einer Akustik, die ­Musik und Raum in einzigartiger Weise zusammenführt. Das Erleben vervielfältigt sich. Um diese historisch gewachsene Verbindung deutlich zu machen, steht den architektonischen Stilepochen eine kurze Übersicht der Epochen der Musik gegenüber. Prägende Chorwerke, die für die jeweiligen Epochen charakteristisch sind und bis heute von Chören und Kantoreien in vielen Kirchen gesungen werden, vertiefen diesen Überblick. Sie schaffen eine d ­ irekte ­Verbindung zu den Baustilen und lassen erahnen, welcher Klang mit welcher Form des Bauens einhergeht. So entsteht ein umfassenderes Bild der Zeit. 1612 1600 1650 FRÜHBAROCK 1621 »ES IST EIN ROS ENTSPRUNGEN«, 1609 MICHAEL PRAETORIUS »GEISTLICHE CHORMUSIK«, 1648 1585 HEINRICH SCHÜTZ 1586 JOHANN HERMANN SCHEIN 1630 »ISRAELISBRÜNNLEIN«, 1623 HOCHBAROCK ROMANTIK RO KO KO GEGENWART GOTIK MODERNE ROMANIK 70 60 1952 50 25 »WACHET AUF, RUFT UNS DIE STIMME«, 1979 »FRAGMENTA PASSIONIS«, 1968 »MISERERE DOMINE – PSALM 31«, 2006 0 1930 GEGENWART HEINZ WERNER ZIMMERMANN WOLFGANG RIHM 1961 FRANK SCHWEMMER 30 2000 GEGENWART 50 1900 MODERNE 80 MODERNE 1945 100 1900 1908 MODERNE 1945 1974 »MESSE FÜR ZWEI VIERSTIMMIGE CHÖRE«, 1926 FRANK MARTIN 1981 »EIN JEGLICHES HAT SEINE ZEIT«, 1937 ERNST PEPPING 1942 »DIE WEIHNACHTSGESCHICHTE«, 1933 HUGO DISTLER JUGENDSTIL GEGENWART 1901 200 150 »AUS DER TIEFE RUFE ICH, HERR, ZU DIR«, 1931 HISTORISMUS 1890 150 1800 1890 SPÄTROMANTIK 1920 1903 »SECHS GEISTLICHE GESÄNGE«, 1881 HUGO WOLF 1873 1916 »ACHT GEISTLICHE GESÄNGE«, 1916 MAX REGER 1886 1946 HEINRICH KAMINSKI »DAS IST MIR LIEB«, 1884 100 1700 KLASSIK 1900 KLASSIZISMUS 1800 »DEUTSCHES REQUIEM«, 1869 1897 1700 »LOCUS ISTE«, 1869 1896 ROKOKO 1860 1833 1600 250 1840 1824 1890 HOCHROMANTIK ANTON BRUCKNER JOHANNES BRAHMS 1843 HEINRICH VON HERZOGENBERG 250 BAROCK SPÄTKLASSIK / 1840 FRÜHROMANTIK 1827 »MISSA SOLEMNIS«, 1823 LUDWIG VAN BEETHOVEN 1797 FRANZ SCHUBERT 1828 »DEUTSCHE MESSE«, 1826 1809F. MENDELSSOHN BARTHOLDY1847 »ELIAS«, 1846 1920 2000 BAR OCK »MESSIAH«, 1741 JUGENDSTIL 1697 1800 1770 RENAISSANCE »DIE AUFERSTEHUNG«, 1761 »WEIHNACHTSORATORIUM«, 1734 1750 1800 KLASSIK 1785 »UNSER VATER IN DEM HIMMEL«, 1777 GOTTFRIED AUGUST HOMILIUS 1732 1809 »DIE SCHÖPFUNG«, 1798 JOSEPH HAYDN 1756 WOLFGANG A. MOZART 1791 »REQUIEM«, 1791 1714 BAROCK 1767 1750 1500 RENAISSANCE 1685 1750 RENAISSANCE 1500 SPÄTBAROCK GEORG PHILIPP TELEMANN JOHANN SEBASTIAN BACH GEORG FRIEDRICH HÄNDEL 1685 »MEMBRA JESU NOSTRI«, 1680 1707 »ICH LIEGE UND SCHLAFE«, 1696 HISTORISMUS DIETRICH BUXTEHUDE BRUHNS 1697 1665 NICOLAUS 1681 TIK GO 1700 »NUN SICH DER TAG GEENDET HAT«, 1656 KLASSIZISMUS 1666 ROKOKO 1637 1650 ADAM KRIEGER BAROCK 1634 1672 1400 ARS NOVA 1571 1700 1600 »ÜBERS GEBIRG MARIA GEHT«, 1598 »CANTATE DOMINUM CANTICUM NOVUM«, 1601 250 JAHRE ARS ANTIQUA »DEUTSCHE SPRÜCHE VON LEBEN UND TOD«, 1606 1611 1300 1400 1606 US SM ZI I S US AS ISM KL OR T TIL HIS GENDS E JU ODERN M T GEGENWAR GOTIK 1300 1553 1600 SPÄTRENAISSANCE LEONHARD LECHNER JOHANN ECCARD 1564 HANS LEO HASSLER 1570 RENAISSANCE 1200 1553 1543 LUDWIG SENFL JOHANN WALTER 1496 1200 1550 1550 »INNSBRUCK, ICH MUSS DICH LASSEN«, 1500 STILEPOCHEN DER ARCHITEKTUR UM 1490 »ACH ELSLEIN, LIEBES ELSELEIN«, 1534 »ALL MORGEN IST GANZ FRISCH UND NEU«, 1541 HOCHRENAISSANCE 1517 STILEPOCHEN DER MUSIK 1000 1100 HEINRICH ISAAC 1100 1500 UM 1450 ROM AN IK UM 1400 1000 1450 1500 FRÜHRENAISSANCE JOHN DUNSTABLE1453 »MISSA REX SECULORUM« GUILLAUME DUFAY1474 »CHRISTE REDEMPTOR OMNIUM« UM 1410 »ALMA REDEMPTORIS MATER« 1497 JOHANNES OCKEGHEM ROMANIK UM 1390 EXEMPLARISCHE BAUTEN BUNDESLÄNDER LANDESKIRCHEN ho us ns tb re Pu Ah op Gr ei fs w al d H ri am Au W ei in St. Michael Hildesheim Stiftskirche St. Cyriakus Gernrode Stiftskirche St. Servatius Quedlinburg Kaiserdom Königslutter Klosterkirche Arendsee (Altmark) 1207—1520 1213—1260 1235 — 1283 1290 — 1325 1385 Dom zu Magdeburg St. Mauritius und Katharina Naumburger Dom St. Peter und Paul Elisabethkirche Marburg Marienkirche Herford Dom St. Nikolai Greifswald Dom zu Halle (Saale) Schlosskirche Torgau St. Laurentius Rheinsberg St. Michael München Stadtkirche Herborn 1526 1544 1580 1597 1598 ROMANIK 1000 bis 1250 GOTIK 1250 bis 1500 RENAISSANCE 1500 bis 1600 Rh t er us ev sl hn ig sd dw Sc rg Lu bu ch 1010 1011 1070 1135—1170 1208 be Ar en ns ng ei di rg en ds N ee eu (A rg ül ow lr 1747 1752 1761 —1768 1771—1773 1784 — 1788 Stadtkirche Müllrose St. Georg Berka vor dem Hainich Stadtkirche Lauterbach Evangelische Kirche Freienseen St. Johannes Castell ROKOKO 1720 bis 1770 1765 — 1770 784 — 1797 1 1807—1816 1812—1814 1817 Stadtkirche Ludwigslust Nikolaikirche Leipzig Evangelische Stadtkirche Karlsruhe Reformierte Kirche Aurich Schinkel-Kirche Neuhardenberg 1841 —1844 844 —1846 1 1864 1892 —1894 1892 Heilandskirche Sacrow St.-Bonifatius-Kirche Gierstädt Christuskirche Königswinter Ringkirche Wiesbaden Schlosskirche Putbus HISTORISMUS 1830 bis 1910 1904 / 05 1905 1907 — 1911 1910 —1913 1912 / 13 Jugendstilkirche Gaggstatt Christuskirche Königsborn Christuskirche Mannheim St. Paul Nürnberg Lukaskirche Frankfurt am Main JUGENDSTIL 1890 bis 1915 1930 Auferstehungskirche Essen 1930 Epiphanias-Kirche Bochum 1931 Osterkirche Hamburg-Ottensen 1933 Martin-Luther-Kirche Celle 1951 Schifferkirche Ahrenshoop MODERNE 1915 bis 1945 de rg er bu tt rg bu e lin od ed rnr Qu Ge im gs BAROCK 1600 bis 1750 e ag lu he ni Neustädter Kirche Hannover St.-Georgen-Kirche Schwarzenberg Dorfkirche Burgkemnitz Frauenkirche Dresden Dorfkirche Weisdin os M gs es rd i ld fo H r er ve ni no Kö an M H cr be Sa k) l le en ar rd m ha lt Ce H Kö bo H al au rg z t To ni ) m le ke g aa ) rg p z i (S le rg B u Le i aa bu (S rn n um se ch Es Bo 1666 1699 1722 1726 — 1743 1749 le l Vo n a de m es au Dr N rk vo ar rg rd bu hw ar en g se er en nb ei ze ch r Fr te ba in er Sc ut w rn gs bo La er ni t ch a d ni od tä ai n r rs H ke G i e em Be M H Kö KLASSIZISMUS 1770 bis 1830 Fr m en t a ad ur sb kf ie an W M ai Ca n st l m ei r n h ye an pe S el M N ür nb er gg g Ga st sr t rl at Ka uh e Da ch M au ün ei rg en bu ch Fr 1967 2000 2000 2002 2004 Versöhnungskirche Dachau Eine-Welt-Kirche Schneverdingen Christus-Pavillon Volkenroda Auferstehungskirche Speyer-Neuland Ökumenisches Gemeindezentrum Freiburg GEGENWART ab 1945 1300 SPÄTROMANIK AB 1150 121 112 114 118 10 11 2 K 2— 7— 9— 3— 6 — 9 8— 0 6 E 0— 973 RS IN 114 119 119 110 117 10 9 110 TE 9 Z 0 F 2 D OT NA DER 9H 9A 9 E ZU (KA 6 HE T WE R IE CH KR R NS I R L N I (KA O I. D S ISE NR JER EUZ EL FT NA ITE (KA DR I NA IT TER N A T E R D EG A ISE ER MV R A ICH R IN CH CH CH US ZU IS CH K K RD K R A GR ON B1 I JER REU VO W O R M E R A I . B A J E R U R E U Z J E R R E U Z A L E M G B 9 OS 08 V. C Z U B N A US Z 4) 62) SE S( NT 115 RBA SAL ZUG SAL ZUG BIN AL UG F ER RO 5) EM EM ISC GE EM BU S N H SA RY ER ) 103 105 10 9 1600 1700 1800 1900 MODERNE Die Liebfrauenkirche in Halberstadt (Harz, ­Sachsen-Anhalt) wurde von 1050 bis 1200 erbaut. 2000 JUGENDSTIL GEGENWART Die Kirche St. Marien im 1180 von Zisterziensern gegründeten Kloster Lehnin (Brandenburg). 1500 Das DENKEN und die Theologie sind von der Frühscholastik geprägt. Durch die Vernunft wollte sie zu einem tiefe­ ren Verständnis des Glaubens gelangen. Die christliche Lehre s ­ ollte ge­ ordnet und durch philosophische Ar­ gumente gestärkt werden. Dabei griff sie Erkenntnisse der ­Philosophen, der Kirchenväter und der Bibel selbst auf. Ihre Methode war die Gegenüber­ stellung von Für und Wider (pro und contra): Ist Wahrheit gedachter Begriff oder Teil der Wirklichkeit? Wichtigster Vertreter ist der Philosoph und ­Theologe Anselm von Canterbury. 1400 Die GESCHICHTE wird nach den säch­ sischen Kaisern (Heinrich I. 919–936, Otto I. 936–973) und den ­fränkischen Saliern (Heinrich IV. 1056–1106) von dem schwäbischen Staufer F ­ riedrich I. Bar­ba­rossa (1152–1190) geprägt. Als Wahlkaiser verfügen sie alle nicht über das ganze ­Reichsterritorium, ­müssen Machtansprüche der Stammesherzö­ ge, Einfälle slawischer Stämme und der Ungarn und den Anspruch des Papstes auf alleinige Bestimmung der Bischöfe abwehren, Italien ­sichern und Kreuzzüge (1096–1229) zur Be­ freiung Jerusalems unternehmen. HISTORISMUS ALLGEMEINES 1000 bis 1250 ROMANIK Westwerk: massiver Abschluss als Schutz vor der Bedrohung durch die Finsternis KLASSIZISMUS 17 1200 Ostung: Allerheiligstes (Altar) steht im östlichen Teil der Kirche ROKOKO 16 Grundbautyp: Basilika, Kreuz dient als Vorbild für den Grundriss BAROCK Die Stiftskirche St. Cyriakus in Gernrode (Harz, Sachsen-Anhalt) wurde zwischen 961 und 1130 errichtet. Sie ist einer der bedeutendsten ottonischen Bauten. Sie wurde 1521, als sich die Äbtissin Elisabeth von Weida zur Reformation bekannte, eine der ersten protestantischen Kirchen überhaupt. Pfeiler und Säulen mit blockartigen Kapitellen RENAISSANCE 1000 bis 1250 ROMANIK 1100 HOCHROMANIK 1070—1150 1000 912 — Massive, starke und schutzgebende Wände GOTIK FRÜHROMANIK BIS 1070 Stilelemente: Rundbögen und Rundbogenfenster ROMANIK Die Kunst- und Architekturepoche der Romanik beginnt um das Jahr 1000. Nach dem Ende der Antike und dem Untergang des römischen Weltreiches im 5. Jahrhundert gilt sie als die erste Kunstepoche. Man findet sie in ganz Europa. Typische Erkennungsmerkmale für romanische Kirchenbauten sind massive, starke und schutzgebende Wände sowie Rundbögen und Rundbogenfenster. Erste Gewölbe lösen flache Decken ab. Die Pfeiler und Säulen sind mit blockartigen Kapitellen besetzt. Der klassische Kirchenbautyp dieser Epoche ist die Basilika. Sie steht meist auf einem kreuzförmigen Grundriss und ist ­geostet. Das heißt, dass das Allerheiligste, der Altar, im Osten steht – dort, wo die Sonne aufgeht. Im Westen, wo die Sonne untergeht, ist oft ein massives Westwerk errichtet, das Schutz vor den Mächten der Finsternis bietet. Grat (später Rippe) Gewölbekappe Längstonne Quertonne Das KREUZRIPPENGEWÖLBE ähnelt dem Kreuzgratgewölbe, ist aber meist schon Knospenkapitell 1000 bis 1250 ROMANIK Das KAPITELL ist der obere Teil einer Säule oder eines Pfeilers. Durch das Abfangen der Last einer Arkade oder Wand hat es eine statische Funktion. Meist trägt es geome­ trischen oder figürlichen Schmuck. Die Hauptformen des Kapitells in der Romanik sind Würfelkapitell, Kelchkapitell und Knospenkapitell. Würfelkapitell Der Dom St. Peter und St. Georg in Bamberg (Oberfranken, Bayern) mit Fürstenportal an der Nordseite, das im Tympanon das Weltgericht mit Jesus Christus als Richter zentral auf dem Thron sitzend und mit ausgestreckten Händen zeigt. 19 PFEILER oder SÄULEN nennt man die Mauerstützen, die die Wände oder die Ge­ wölbebögen tragen. Sie haben entweder einen rechteckigen oder runden Grundriss. In großen Kirchen sind sie auch vieleckig. Die ARKADE ist ein Bogen, der auf zwei Stützen ruht. Stehen mehrere dieser gemauerten Bögen hintereinander, wird diese Formation Arkadenreihe genannt. In den Kirchen haben die Arkaden eine dop­ pelte Funktion: Sie grenzen das Hauptschiff von den Seitenschiffen ab, ermöglichen aber auch die direkte Verbindung zwischen ihnen. Blendarkaden können den Wandflächen vorgesetzt werden, sie sind als angedeutete Bögen keine Durchgänge und dienen der Verzierung. 1000 bis 1250 ROMANIK Arkadenreihe 18 Arkade Gurtbogen Chorquadrat O S N Hauptapsis Nebenapsiden Vierung Querschiff Mittelschiff Langhaus Das KREUZGRATGEWÖLBE ist selbsttragend und besteht aus zwei gleichen Ton­ nengewölben, die sich im Schnittpunkt kreuzen. An den Durchdringungsstellen entstehen Grate. Die Fläche zwischen den Graten nennt man Gewölbekappe. Die deutsche romanische BASILIKA basiert im ihrem Grundriss auf den einfa­ chen Formen von Quadrat oder Recht­ eck, Halbkreis und Kreis. Ihre Baukörper sind klar und baukastenartig angeordnet. Die Form des Kreuzes entsteht durch die Kreuzung von Mittelschiff und Quer­ schiff. In deren Kreuzungspunkt befindet sich die Vierung. In der Hauptapsis und den Nebenapsiden stehen die Altäre. Das Sakrale wird durch eine starke Höhen­ wirkung betont, die Räume sind etwa doppelt so hoch wie breit. Im Westen steht ein schweres Westwerk mit Türmen, bei den Kathedralen der Gotik dann eine prachtvoll verzierte und aufwendig ge­ staltete Westfassade. Der Außenbau ist schlicht und burgenhaft mit geschlosse­ nen Mauern, er ist stark im Diesseits ver­ wurzelt. Innen wird das Jenseits durch die Höhe des Mittelschiffs mit dem Kapitellschmuck und den Arkaden betont. W BAUFORMEN Das TONNENGEWÖLBE ist die Hauptgewölbeform der Romanik aus der sich das Kreuzgratgewölbe und später das Kreuzrippengewölbe entwickeln. spitzbogig. Anstelle der Grate treten dann Rippen, die im Scheitelpunkt mit einem Schlussstein gehalten werden. FACHBEGRIFFE Das GEWÖLBE löst die flache, meist balkenüberspannte Decke eines Raumes ab. Es dient der Steigerung der Raumhöhe. Seitenschiffe Westwerk mit Türmen Das romanische SÄULENPORTAL ist von gleicher Klarheit wie die gesamte Archi­ tektur. Vor allem an den Domen, den großen Hauptkirchen der Städte, wird es in der Spätromanik und in der Gotik reich mit Figuren und Ornamenten verziert. Das Bogenfeld über der Tür heißt Tympa­ non (griechisch für »Handtrommel«). Es ist meist halbkreisförmig oder spitzbogenförmig und wird in der Regel mit Re­ liefs oder Malereien versehen. Oft wird das Weltgericht oder Jesus als Herrscher der Welt dargestellt. Die zur Tür hin abgestuften Seitenflächen heißen Gewände. Die steinernen Bögen über dem Tympanon heißen Archivolte (lateinisch »Arcus volutus« für »gewölbter Bogen«). Das Gewände und die zum Tympanon hin sich verengenden Bögen der Archivolte haben eine einladende und ausladende Funktion: einerseits ziehen sie an und laden damit in die Kirche ein, andererseits haben sie eine ausstrahlende Wirkung. 1200 Architektur und Design im »Bauhaus« (Dessau) Neue Ästhetik, Bau­ stoffe und Konstruk­ tions­techniken 1300 Kirchenbau sucht neue Formen, die Gottesdienst und der Gemeinschaft dienen ALLGEMEINES MODERNE 1915—1945 1800 1900 49 1700 MODERNE 2000 JUGENDSTIL GEGENWART Die Versöhnungskirche in Leipzig-Gohlis (Sachsen) wurde 1932 von Hans Heinrich Grotjahn errichtet. 1600 HISTORISMUS Die Lutherkirche in der Johannisvorstadt von ­Erfurt (Thüringen) wurde 1927 eingeweiht. 1500 Das DENKEN der Zeit wird durch die Verarbeitung des Ersten Weltkrieges bestimmt. Sigmund Freuds Psycho­ analyse begründet neue Denkschemata. Schriftsteller wie Erich Maria Remarque (»Im Westen nichts Neues«) und Klaus Mann (»Mephisto«) schreiben aktiv politisch. Die Lebens­ energie der 1920er Jahre spiegelt sich in künstlerischem Amüsement – im Jazz, im Tanz, im Varieté. Die Theologen Karl Barth und Dietrich Bonhoef­ fer stehen für die Bekennende Kirche, die sich gegen Hitler und die Deut­ schen Christen stellt. KLASSIZISMUS In der GESCHICHTE ist der 1. Weltkrieg das Ende der Monarchien in Russland (1917 Oktoberrevolution, 1922 Gründung der UdSSR), Österreich-Ungarn und Deutschland. 1918 wird die Wei­ marer Republik ausgerufen. Die parla­ mentarische Demokratie wird von Monarchisten und Radikalen b ­ ekämpft und der Weltwirtschaftskrise 1929 ge­ schwächt. Die NSDAP unter Adolf Hit­ ler, die antisemitische und militaristische Ziele propagiert, kommt 1933 an die Macht, errichtet eine Diktatur und stürzt Europa 1939 in den 2. Weltkrieg, ein Angriffs- und Vernichtungskrieg. 1400 193 19 4 1 193 1 1 188 187 18 18 9 19 0 19 0 19 0 188 191 4 — 917 O 918 W 929 W 3A 9— 5 6 6 — 70— 9 3 8 6 6 AB 5 AT D KT 19 E IM 1 192 —195 —196 —19 4 —197 ERST —19 4 —19 4 E 193 O AN OLF H 9 45 Z WÜRF MBO 4 E 8K 5A 0 9S 5T AR LTWIR 9 5 D 18 ER OBE RR E HO W IGM WL A DO ER IC R MO KL A AR MB D IET EI I T S T R ER E IT SC L T EV U MA L LF DI RE UN HA MA ER U OL E R N JA P E N ­ PU HIT H MA TORF S MA RICH ER W S M BA R D F MIR U F N C W E B T L R T B T L N H D I A U LTK H SK LIK ELT AN IA ION RE LJ I ON ER N T NN G NS RE R UD TS H R K ISE RU DA OE I R IE MA CH SS P F F EG G RQ LE LA ER UE NIN ND ROKOKO 1915 bis 1945 MODERNE 185 BAROCK 48 Malerei in Künstler­ gruppen: »Blauer Reiter« (München) oder »Brücke« (Dresden) RENAISSANCE Die nach dem protestantischen König Gustav II. Adolf von Schweden benannte Kirche in Berlin-Charlottenburg w ­ urde von Otto Bartning entworfen und 1934 geweiht. Besonders nach 1945 wurde er durch die über vierzig als Bartning-­ Notkirchen bezeichneten Gebäude in Elementbauweise des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Deutschland ­bekannt, die bundesweit zwischen Essen und Neubrandenburg errichtet wurden. 1100 Zweiter Welt­krieg stellt Kunst und Ästhetik in Frage GOTIK 1915 bis 1945 MODERNE 1000 Moderne ist wichtiger Umbruch in erster Hälfte des 20. Jahr­hunderts ROMANIK Die Kunst- und Architekturepoche der Moderne stellt einen wichtigen Umbruch in der ersten Hälfte des 20. Jahr­ hunderts dar. Sie endet mit dem Grauen des Zweiten Welt­krieges, das alle Kunst und Ästhetik in Frage stellt. Mit der Moderne lösen sich klassische S ­ tilmerkma­le auf. Sie stellt einen Bruch mit den überkommenen ­Ideen dar, ­insbesondere mit dem Historismus. In der ­Malerei zeigt sich die Moderne im Expressionismus der K ­ ünstlergruppen wie dem »Blauen Reiter« in München oder der »­Brücke« in Dresden, in der Architektur und im Design im »Bauhaus« in Dessau. Mit der Moderne verbinden sich vor allem eine neue Ästhetik, neue Baustoffe und neue Konstruktions­ techniken. Im Kirchenbau, der sich auch am »Bauhaus« orientiert, wird nach neuen Formen gesucht, die dem Gottes­dienst und der Gemeinschaft dienen. O S Gustav­Adolf­Kirche Berlin­Charlottenburg, Grundriss N anderem durch den Architekten Otto Bartning erdacht. Im Mittelpunkt steht weiterhin die Kirche als Predigtort, außerdem wird die Kirche als Gemeinschaftsraum wichtig. Klassisch geometrische Formen wie der Langbau und die Orientierung an Rechtwinkligkeit und Kreis treten in den Hintergrund. Ähnlich der menschlichen Bewegung treten organisch fließende Formen in den Vordergrund, die entsprechend auf Unregelmäßigkeit und Asym­ metrie aufbauen. Das soll den Gebrauch natürlicher gestalten. Einbezogen werden auch die Laufwege zu den zentralen Orten wie Altar und Taufe. Ein Beispiel ist die Gustav-Adolf-Kirche in Berlin-Charlottenburg (Otto Bartning) in zentrierter Fächerform. Sie wird durch Fenster mit Bleiverglasung großflächig warm durchleuchtet. Der Altar befindet sich im Fuß des Turmes. W BAUFORMEN 1915 bis 1945 MODERNE Taufstein, Altar und Pult/Kanzel in zentraler Position NEUE GRUNDRISSE wurden um 1920 unter Bänke Altar Kanzel Turm SKULPTUR (lateinisch »sculpere« für »bil- 51 Die POSITION VON TAUFSTEIN, ALTAR UND KANZEL war bei protestantischen Kirchen seit der Reformation durch die Verbindung von Taufe, Abendmahl und Pre­ digt gekennzeichnet. Kanzel und Altar wurden als Kanzelaltar direkt miteinan­ der verbunden, in eine Sichtachse oder in die Mitte eines Raumes gestellt. Das neue Verständnis des Raumes löst diese Achse auf. Ort der Predigt wird oft das Pult anstelle der Kanzel. Individuelle Lö­ sungen zugunsten einer Einheit der drei Elemente Taufe, Altar und Pult stehen im Vordergrund. Nach einer RAUMGESTALT, die als über­ laden und an der Ästhetik früherer Stil­ epochen orientiert empfunden wurde, fordern neue Ideen den Bruch mit alten Traditionen. Von der revolutionären Bau­ haus­Schule und der Neuen Sachlichkeit inspiriert, werden im Kirchenbau Funktio­ nalität und Klarheit in der Form angestrebt. Einfachheit und Schmucklosig­ keit sollen von Ablenkung befreien sowie die spirituelle Dimension und die Erfah­ rung von Stille in den Mittelpunkt stellen. 1915 bis 1945 MODERNE Schemata: axial, exzentrisch, radial, konzentrisch FACHBEGRIFFE Betonsäule unter bewehrter Decke für »schmiedbares Eisen, Härte«, Beton: lateinisch »bitumen« für »Erdpech«) erneuern als neue Materialien das Bauen, nachdem Jahrhunderte mit Stein und Ziegel gebaut wurde. Sie werden bereits um 1880 bei Industriebauten und öffentlichen Gebäuden wie Bahnhöfen verwendet, ab 1920 entstehen damit erste Kirchen. Stahlbeton und Stützen aus Stahlbeton ermöglichen neue Konstruktionen, können weite Räume überspannen und lassen Fenster von schmalen Scharten bis zu großen Wandflächen zu. Beide Baustoffe ergänzen sich sehr gut: Beton hat eine hohe Druckfestigkeit, Stahl eine hohe Zugfestigkeit. 50 STAHL UND BETON (Stahl: althochdeutsch 1930 schuf Ernst Barlach (1870–1938) die Bronzeskulptur »Das Wiedersehen«. Sie zeigt die Wiederbegegnung zwischen Christus und dem ungläubigen Jünger Thomas nach der Auferstehung. den durch graben, stechen, schneiden«) und PLASTIK (griechisch »plastiki« für »das Geformte«) sind dreidimensionale, körperartige Kunstobjekte. Die Skulptur ist die in Kirchen klassisch beheimatete Form – sie entsteht aus einem Material und wird aus diesem herausgearbeitet. Dazu gehören Werke der Holzschnitzerei (mit dem Messer oder dem Beitel) oder der Steinhauerei (mit dem Meißel). Eine Plastik entsteht durch die Bearbei­ tung eines oder mehrerer Materialien durch Formung oder Hinzufügung. Charakteristisch sind hierfür Materialien wie Glas, Guss, Kunststoff, Metall oder Ton, die modelliert, geschweißt, gegossen oder montiert werden. In der Kunst der Moderne verschwimmen die Formen, wesentlich ist die klare, oft abstrahierende Form und die Darstellung menschlicher Wirklichkeit – wie bei Ernst Barlach oder Wilhelm Lehmbruck. Das Innere der 1749 als typisch-protestantischer Zentralbau errichteten Dorfkirche in Weisdin (Mecklenburgische Seen­ platte, Mecklenburg) wird von einer farbenfroh gefassten Ausstattung mit umlaufenden Emporen, verglasten Patro­nats­ logen sowie dem integrierten Kanzelaltar und einem sehr naturalistisch dargestellten Taufengel bestimmt. Egon Eiermanns 1957 entworfener Bau am Turmstumpf der zerstörten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin-­ Charlottenburg ist ein achteckiges Kirchenschiff, das 1961 geweiht wurde, eines der markantesten Bauwerke Berlins. Die gerasterten Wände sind aus mehr als 20.000 blauen Fenstern des französischen Glaskünstlers Gabriel Loire gebildet. Kultur­kirchen-App Die kostenfreie App führt Sie zu evangelischen Kirchen Ihrer ­Umgebung und ganz Deutschlands und stellt mit ihren Pionieren und Boten, den Häusern und L ­ iedern ihre Reformatoren und Komponisten, ihre Baumeister und Dichter in Wort und Musik vor. www.kulturkirchen.org ISBN 978-3-00-052315-1 Lucas Cranach der Ältere »Christus und Maria Magdalena« um 1516–1520, Mischtechnik auf Pergament und Eichenholz, Herzogliches Museum Gotha