SOZIALE TECHNIK Nummer 3 – August 2008, 18. Jg., Einzelpreis € 5,- / SFr 8,50 P.b.b. Verlagspostamt 8010; GZ 02Z032468M – Erscheinungsort Graz Eigentümer, Herausgeber, Verleger: IFZ, A-8010 Graz, Schlögelgasse 2 Tel.: +43/316/81 39 09-0, Fax: +43/316/81 02 74 E-Mail: [email protected], http://www.ifz.tugraz.at Redaktion: Peter Wilding Aboverwaltung: Reinhard Wächter ISSN 1022-6893 DVR 0637955 Gefördert durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Fotos: Reinhard Wächter Basisdesign & typographisches Konzept: RoRo + Zec Satz: www.koco.at Druck: Bachernegg, Kapfenberg Gedruckt auf Cyclus Print 90g (Recyclingpapier aus 100% Altpapier), Umschlag: Magno matt 115g, chlorfrei gebleicht. Geschäftsbedingungen: Die Bestellung eines Abonnements unserer Zeitschrift SOZIALE TECHNIK hat schriftlich zu erfolgen. Ein Abonnement gilt jeweils für ein Kalenderjahr (4 Nummern). Es verlängert sich automatisch, sofern nicht spätestens 6 Wochen vor Ende des Jahres eine schriftliche Kündigung erfolgt. Nicht vollständige Jahrgänge werden aliquot verrechnet. Bankverbindung: Bank Austria Creditanstalt (12.000), Kto-Nr. 436184907 Das IFZ ist der Grazer Standort des Instituts für Technik- und Wissenschaftsforschung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. 3/08 20 Jahre IFZ Inhalt / Fotos / Editorial Inhalt Fotos Fotos Reinhard Wächter Reinhard Wächter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Technologie & Politik Harald Rohracher Forschung verändert. Sozialwissenschaftliche Technikforschung als Beitrag zur Gestaltung technischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Günter Getzinger Inter- und Transdisziplinarität als Leitkonzepte in Forschung und Lehre. Reflexionen über die Geschichte des IFZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Jürgen Suschek-Berger Von Menschen, Institutionen und deren Wandel. Zu sozialen und institutionellen Lernprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 20 Jahre IFZ Günter Getzinger, Harald Rohracher, Christine Wächter 1998 – 2008: 20 Jahre IFZ. Eine Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Forschungsbereiche gestern/heute – wie haben sie sich entwickelt? Die Forschungsbereiche des IFZ im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Ökologische Produktpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Energie und Klima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Neue Biotechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Frauen – Technik – Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 20 Jahre IFZ – ein Grund zum Feiern. Von einer studentischen Initiative zu einem etablierten Wissenschaftsinstitut . . . . . . . 16 „fotografie – der lautlose spiegel des lebens“ 45 jahre leben 34 jahre musiker sänger und komponist 33 jahre film&foto 24 jahre tinnitus 20 jahre sekretär 7 jahre uhrmacher 6 jahre leistungssport 4 jahre vater 3 jahre mentaltrainer... 40 jahre bewusst und eruptiv kreativ in wort, klang und bild betreibt absichtsvolle fotografie seit 1981 das motto: „konzentration führt zum detail, achtsamkeit führt zur ganzheit“ „nicht der fluss fließt, sondern das wasser, und nicht die zeit vergeht, sondern das leben“ [email protected] Technologie & Politik Bernhard Wieser Und was wissen Sie über Wissenschaft? Zum Bemühen um ein besseres Wissenschaftsverständnis der Öffentlichkeit . . . . . . . . 17 Umwelt & Energie Wilma Mert, Ulrike Seebacher Was ist Nachhaltigkeit? „ ... das ist doch etwas, das lange dauert.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Frauen & Technik Christine Wächter Von der Frauenförderung zur Institutionenförderung. Zu Maßnahmen zur Erhöhung der Repräsentanz von Frauen in Naturwissenschaft und Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Aus dem IFZ Institute for Advanced Studies on Science, Technology and Society. IAS-STS Fellowship Programme 2009-2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Soziale Technik 3/2008 2 Editorial Das IFZ – Interuniversitäres Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur wurde 1988 gegründet. Wir nehmen unser 20-jähriges Bestehen zum Anlass, die vorliegende Ausgabe der von uns herausgegebenen Zeitschrift SOZIALE TECHNIK ausschließlich mit Eigenbeiträgen zu gestalten. Im Mittelpunkt stehen dabei die wichtigsten Voraussetzungen und Grundlagen unserer Forschungsarbeit, die wir hiermit auch verstärkt explizit machen und zur Diskussion stellen. Peter Wilding (Redaktion) Technologie & Politik Forschung verändert Sozialwissenschaftliche Technikforschung als Beitrag zur Gestaltung technischen Wandels Sozialwissenschaftliche Wissenschafts- und Technikforschung – im englischen auch unter dem Kürzel STS (von Science and Technology Studies) bekannt – hat in den letzten 25 Jahren eine lebhafte Entwicklung genommen. Dies hat nicht zuletzt mit dem zunehmenden Bewusstsein für die Probleme wissenschaftlich-technischen Wandels in unseren Gesellschaften und der politischen Konjunktur von Begriffen wie Innovationsfähigkeit und Wissensgesellschaft zu tun. Das IFZ nimmt seit seiner Gründung an der Entwicklung dieses Forschungsfeldes teil und versucht vor diesem Hintergrund an der gesellschaftlichen Gestaltung technischen Wandels aktiv teilzunehmen. Harald Rohracher studierte Technische Physik an der Technischen Universität Graz, Soziologie und Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz, sowie „Science and Technology Policy“ am SPRU, University of Sussex, in England. Harald Rohracher ist Assistenzprofessor am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF), Universität Klagenfurt. Von 1999-2007 war er Leiter des IFZ. Arbeitsschwerpunkte: Sozialwissenschaftliche Technik- und Innovationsforschung; umweltbezogene Technologiepolitik, Diffusion von eneuerbaren Energieträgern und effizienter Energienutzung. E-mail: [email protected] Technik als „soziales Projekt“ Technik als Gegenstand der Sozialwissenschaften ist allerdings kein neues Phänomen der letzten Jahrzehnte. Sozialhistoriker und Soziologen haben etwa die Beziehung zwischen sozialem Wandel und der Struktur von Produktionsprozessen schon über lange Zeit untersucht und studieren seit vielen Jahren den Einfluss technischer Artefakte auf soziale Beziehungen, so der Soziologe John Law (1987, 406). Und schon in den Anfängen der Ökonomie oder Soziologie, etwa in den Arbeiten von Marx oder Smith, war das Verhältnis von technischen und gesellschaftlichen Strukturen wesentlicher Bestandteil sozialwissenschaftlich-ökonomischer Theoriebildung. Vor allem in der Nachkriegszeit brachte die Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Stellenwert moderner Technik eine Fülle von Analysen aus soziologischer, philosophischer, kulturwissenschaftlicher und ökonomischer Perspektive hervor. Viele dieser Arbeiten versuchten vor allem die Auswirkungen neuer Technologien auf die Gesellschaft bzw. die Interdependenz des Wandels sozialer Verhältnisse und technologischer Entwicklungen zu verstehen. Um nur einige der einflussreichen AutorInnen aus dieser Gruppe zu nennen, sei etwa auf Lewis Mumford und seine Universalgeschichte der Technik und Zivilisation verwiesen (Mumford 1934), der das Entstehen zugrunde liegender Ordnungsstrukturen als formatives Prinzip der gemeinsamen Entwicklung von Technik und Gesellschaft identifiziert; oder auf Jacques Ellul, der ein pessimistischeres Bild einer Technik zeichnet, die zunehmend Kontrolle über soziales Zusammenleben gewinnt (Ellul 1964). Ein jüngerer Zugang zur wechselseitigen Abhängigkeit und Konstituierung von Technik und Gesellschaft ist das Konzept der „technologischen Zivilisation“ (Bammé et al. 1987), das die zunehmende Uneindeutigkeit der Grenzen zwischen Menschen und Maschinen (Bammé et al. 1983) zum Ausgang nimmt. Etwa seit Mitte der achtziger Jahre wurde die Analyse des Zusammenhangs von Technik- und Gesellschaftsentwicklung zunehmend von mikrosoziologisch und sozialkonstruktivistisch orientierten Arbeiten dominiert und verhalf dem als „Social Shaping of Technologies“, „Science and Technology Studies“ oder „Science-Technology-Society“ bezeichneten Forschungsfeld zu einer rasanten Verbreitung. Auch in diesen Zugängen bleiben die großen Themen „Technik als soziales Projekt“ bzw. die Bedeutung von Technik für die Konstituierung und Reproduktion sozialer Ordnung erhalten, werden aber nun vor allem aus der Analyse einzelner konkreter Technologien und Technikentwicklungsprojekte heraus entwickelt. Doch wie kann Technik sinnvoll in mikro-soziologische Analysen einbezogen werden? Schulz-Schaeffer weist darauf hin, dass im Rahmen soziologischer Theoriebildung nur als soziales Phänomen Geltung beanspruchen kann, was unter dem Gesichtspunkt des Prozessierens sozialen Sinns beobachtet werden kann: soziales Handeln bzw. sinnhafte Kommunikation (Schulz-Schaeffer 1999, 410). Eine Soziologie der Technik konzipiert soziale Artefakte daher typischerweise entweder in einer „Enactment“Perspektive, die die Praktiken der Nutzung und der Interpretation von Technik ins Zentrum stellt, oder aus ei- Soziale Technik 3/2008 3 Technologie & Politik ner „Vergegenständlichungs-Perspektive“, die Sachtechnik als eine besondere, nämlich gegenständliche Form der Verfestigung des Sozialen auffasst (ibid., 411). Einzelne Technikforschungszugänge, wie die Akteursnetzwerktheorie, lehnen allerdings die a priori Unterscheidung von Technik und Sozialem grundsätzlich ab, wodurch sich die Frage, unter welchen Bedingungen Technik als soziales Phänomen betrachtet werden kann, gar nicht mehr stellt. Die grundlegende und konstitutive Bedeutung sozialer Interpretation und sozialer Interaktion für die Entwicklung von Technik wird insbesondere in sozialkonstruktivistischen Zugängen (SCOT – Social Construction of Technology) herausgestrichen. Die Vergegenständlichung sozialer Strukturen und ihrer politischen Implikationen wiederum hat am prägnantesten wohl Langdon Winner in seinem (inzwischen sehr kontroversiell diskutierten) Aufsatz „Do artifacts have politics? ” (Winner 1980) zum Ausdruck gebracht. Eines seiner bekanntesten Beispiele für die Vergegenständlichung sozialer Machtstrukturen in gegenständlicher Technik sind die niedrigen Höhen der New Yorker Highway-Brücken, die in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts unter dem Stadtplaner Robert Moses errichtet wurden und die als Konsequenz ihrer Bauweise den öffentlichen Verkehr und damit die weniger wohlhabende Bevölkerung vom Zugang zu städtischen Erholungsgebieten, wie dem berühmten Jones Beach, ausschlossen. Winner zieht in Hinblick auf Robert Moses den Schluss: „Many of his monumental structures of concrete and steel embody a systematic social inequality, a way of engineering relationships among people that, after a time, becomes just another part of the landscape“ (ibid., 124). Im Fokus neuerer sozialwissenschaftlicher Technikforschung steht daher nicht mehr die Auswirkung neuer Technologien auf die Gesellschaft, sondern die soziale Konstitution des Inhalts von Technologie selbst (Williams, Edge 1996), eben die soziale Geformtheit („social shaping“) von Technik, was auch bedeutet, dass wir bei der Adoption einer Technologie eigentlich für vieles mehr – ökonomisch, politisch, kulturell – optieren, als es auf den ersten Blick den Anschein hat (MacKenzie, Wajcman 1999, 5). Im Kern solcher Konzepte von Technikanalyse stehen soziale Wahlmöglichkeiten (wenn auch nicht notwendigerweise bewusste und manifeste), die dem Design und der Entwicklung von Artefakten und technischen Systemen immer zugrunde liegen. Damit gibt es keine inhärente und zwingende Logik technischer Entwicklungen, denn die konkrete Wahl, die getroffen wird, hängt immer auch von organisatorischen, politischen und ökonomischen Faktoren, Akteursstrategien und kontingenten historischen Situationen ab. STS-Ansätze verstehen Technikentwicklung daher als kontingenten Prozess, der von heterogenen Faktoren beeinflusst wird; sie betonen die soziale Verhandelbarkeit technischer Entwicklung, aber auch Fragen der Irreversibilität, Stabilität und Pfadabhängigkeit. Russell und Williams (2002, 48) fassen diese grundsätzlichen Charakteristika sozialwissenschaftlicher Technikforschung sehr klar in wenigen Punkten zusammen: ■ Technologien werden in spezifischen sozialen Kontexten produziert und genutzt – der Prozess technischen Wandels ist damit inhärent sozial; ■ Technologien funktionieren als solche nur als Teil eines spezifischen Settings von Wissen, Nutzungspraktiken, Fertigkeiten, Bedeutungen, Zwecken und Objekten, auf die sie sich beziehen; ■ Technologien können in den meisten Zusammenhängen am besten als Teil sozio-technischer Systeme oder Konfigurationen verstanden werden; ■ Technischer Wandel ist daher immer Teil sozio-technischer Transformationen – Technologien und soziale Arrangements werden im selben Prozess ko-produziert. Von der Technikanalyse zur Technikgestaltung Die dargestellten sozialwissenschaftlichen Technikforschungsperspektiven weisen vor allem auf die Gestaltbarkeit von Technik durch strategisch handelnde Akteure hin. Sie streichen damit die gesellschaftspolitischen Dimensionen von Technikgestaltung hervor, den Raum für Politik, der damit eröffnet wird, die breite Palette an „Stakeholdern“ und zugleich deren ungleiche Beteiligungschance an der Gestaltung von Technik, d. h. die Einbettung von Technik in den gesellschaftlichen Kontext. Sozialwissenschaftliche Technikforschung scheint aufgrund ihres gesellschaftlich breiten Zugangs daher besonders geeignet, sich mit Fragen aktiver, politischer Technik- Soziale Technik 3/2008 4 gestaltung (als inhaltlicher Eingriff in die Entwicklung von Technologien) zu beschäftigen. Technikforschung kann dazu beitragen, aus der wechselseitigen Beziehung von technologischer Innovation und sozialem Kontext Strategien für eine bewusstere Technikgestaltung über die Gestaltung von Kontexten – etwa durch Einbeziehung und Partizipation von Betroffenen – zu nutzen. Über neue soziale Initiativen und Praktiken – allgemein über soziale Innovationen – können technische Innovationen angeregt und in bestimmte Richtungen gelenkt werden. Das Interuniversitäre Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur (IFZ) hat sich seit Beginn seiner mittlerweile 20-jährigen Entwicklung eine Verbindung dieser beiden Aspekte zur Aufgabe gemacht: die Entwicklung eines verbesserten sozialwissenschaftlichen Verständnisses von Technikentwicklung, also wissenschaftlicher Analyse, auf der einen Seite und das Einbringen eines stark normativen Bezugs dieser Arbeit durch die Verfolgung des Ziels einer sozial- und umweltverträglicheren Technikgestaltung, also reflexive Praxis, andererseits. Ziel der STS-Forschung des IFZ ist es damit auch, die Entwicklung von Technologien zu „politisieren“, d. h., sie stärker in den Kontext sozial- und umweltpolitischer Ziele zu stellen, die Frage nach den Interessen und der Beteiligung unterschiedlicher Akteursgruppen aufzuwerfen und zu einer Praxis sozial- und umweltverträglicher Technikgestaltung und -nutzung beizutragen. Diese Verbindung aus analytischer Durchdringung des sozialen Prozesses der Technikentwicklung und normativer Gestaltungsorientierung kann durchaus auch als ein gemeinsames Merkmal des Forschungsfeldes ScienceTechnology-Society gesehen werden, auch wenn es im Zuge der Professionalisierung dieses Fachgebiets immer häufiger zu einem Auseinanderfallen der beiden Orientierungen kam. Beispiele für den Umgang des IFZ mit diesem Spannungsverhältnis in der konkreten Arbeit finden sich in einigen der Beiträge dieses Sonderhefts. Zunehmend in den Vordergrund der Arbeiten zu sozial- und umweltverträglicher Technikgestaltung rückt auch ein vermehrtes Bewusstsein für die Einbettung einzelner Technologien und sozialer Praktiken in umfassendere sozio-technische Strukturen, die für isolierte Technologie & Politik technische oder soziale Innovationen oft nur einen geringen Spielraum lassen und für Technikgestaltung Prozesse erforderlich machen, die sich auf unterschiedliche sozio-technische Aggregationsebenen und zeitliche Dynamiken beziehen. Forschungsarbeiten des IFZ etwa zu nachhaltigen Energietechnologien sind zunehmend eingebettet in Analysen und Strategien einer umfassenden Transition des Energiesystems zu mehr Nachhaltigkeit. Solche grundlegenden Transformationen erfordern komplexe Anpassungsleistungen und Innovationen auf der Ebene des Gesamtenergiesystems, d. h. Systeminnovationen und damit neue Konstellationen von Technologien, Akteursnetzwerken, sozialen Praktiken (z. B. Lebensstile, NutzerInnenverhalten) und institutionellen Strukturen (Regulierung, Berufsbildungssystem etc.). Ein derartiger Übergang kann nur als langfristiger Transitionsprozess verstanden werden, der in ein völlig neues Arrangement von gesellschaftlichen Bedürfnissen und den Produktions- und Dienstleistungssystemen für deren Erfüllung mündet. Dies erfordert neue Zugänge sowohl auf der Ebene einzelner Firmen als auch (auf einer Meso-Ebene) von sozialen und organisatorischen Netzwerken und Institutionen und schließlich (auf einer Makro-Ebene) grundlegender sozio-kultureller Strukturen. Technikgestaltung in einer solchen Perspektive geht Hand in Hand mit oft weit reichenden gesellschaftlichen und politischen Transformationsprozessen. Nachbemerkung: Zur Institutionalisierung von Technikforschung Am Ende dieses kurzen Abrisses über die Entwicklung sozialwissenschaftlicher Technikforschung und den spezifischen Zugang des IFZ möchte ich noch ein paar Sätze zur Situation von STS-Forschung in Österreich einflechten (für eine ausführ- lichere Darstellung siehe Rohracher 2007). Der Aufschwung der Technikforschung seit Mitte der 80er Jahre hat in der Tat auch in Österreich eine vielfältige Forschungslandschaft entstehen lassen und STS zu einem etablierten Forschungsfeld gemacht bzw. zu dessen Disziplin-Werdung (mit eigenen Forschungsstätten, Zeitschriften, Tagungen etc.) beigetragen, auch wenn Inter- und Transdisziplinarität nach wie vor ein identitätsstiftendes Merkmal dieses Feldes sind. Diese spezifische Identität steht wohl auch mit zwei Eigenheiten in Verbindung, die STS von vielen anderen wissenschaftlichen (Teil-)Disziplinen unterscheidet. Zum einen ist sozialwissenschaftliche Technikforschung in Österreich vor allem (aber nicht nur) im außeruniversitären Sektor verankert, der durch einen sehr problemorientierten, politikberatenden Zugang gekennzeichnet ist. Auch an Universitäten angesiedelte Forschungseinheiten sind zu einem Soziale Technik 3/2008 5 Technologie & Politik überwiegenden Teil durch externe Auftragsforschung finanziert. Zugleich ist es mit dieser Orientierung aber auch gelungen, STS-Perspektiven in unterschiedlichsten thematischen Forschungsprogrammen zu verankern, etwa zu nachhaltiger Technologieentwicklung (Programm „nachhaltig wirtschaften“) oder zu ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten in der Genforschung (Programm ELSA im Rahmen von GENAU). Dieser Erfolg beim Erschließen unterschiedlichster Technologie- und Anwendungsfelder macht aber gleichzeitig auch die Entwicklung eines stabilen disziplinären Kerns von STS sehr schwierig, mit allen damit verbundenen Eigenheiten wie Ausbildungsprogrammen, Wahrnehmbarkeit innerhalb universitärer Strukturen und akademischen Karrieremöglichkeiten. Hier gilt es in Zukunft noch institutionelle Formen außerhalb klassischer akademischer Disziplinenbildung zu finden, die zu einer stärkeren Vernetzung des Forschungsfeldes beitragen und auch in der Ausbildung, etwa durch interdisziplinäre, gemeinsame PhD-Programme, neue Akzente setzen. Literatur • Bammé, A., P. Baumgartner, W. Berger, E. Kotzmann: Technologische Zivilisation. In: A. Bammé et al. (Hg.): Technologische Zivilisation. München: Profil 1987 (= Technikund Wissenschaftsforschung, Bd. 2), 11-59. • Bammé, A., G. Feuerstein, R. Genth, E. Holling, R. Kahle, P. Kempin: MaschinenMenschen Mensch-Maschinen. Grundrisse einer sozialen Beziehung. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1983. • Ellul, J.: The Technological Society. New York: Vintage Books 1964. • MacKenzie, D., J. Wajcman: Introductory essay: the social shaping of technology. In: D. MacKenzie, J. Wajcman (eds.): The Social Shaping of Technology, 2nd Ed. Milton Keynes: Open University Press 1999, 3-27. • Mumford, L.: Technics and Civilisation. New Soziale Technik 3/2008 6 York: Harcourt, Brace and Company 1934. • Rohracher, H.: The Governance of SocioTechnical Change – Social Studies of Technology in Austria. In: H. Rohracher, I. Tchalakov, F. Mali (eds.): Governing Sociotechnical Change in South-Eastern Europe. Contributions from a Science and Technology Studies Perspective. Sofia: East-West Publishers 2007, 19-42. • Russell, S., R. Williams: Social shaping of technology: frameworks, findings and implications for policy with glossary of social shaping concepts. In: K. H. Sørensen, R. Williams (eds.): Shaping Technology, Guiding Policy: Concepts, Spaces and Tools. Cheltenham: Edward Elgar 2002, 37-131. • Schulz-Schaeffer, I.: Technik und die Dualität von Ressourcen und Routinen. In: Zeitschrift für Soziologie 28/1999, 409-428. • Williams, R., D. Edge: The social shaping of technology. In: Research Policy 25/1996, 865-899. • Winner, L.: Do artefacts have politics? In: Daedalus 109/1980, 121-136. ■ Technologie & Politik Inter- und Transdisziplinarität als Leitkonzepte in Forschung und Lehre Reflexionen über die Geschichte des IFZ Sowohl Interdisziplinarität als auch Transdisziplinarität sind Leitkonzepte für die Projektarbeit und in der Lehre des IFZ. Was verstehen wir darunter? Günter Getzinger studierte Chemieingenieurwesen an der Technischen Universität Graz sowie Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz und an der Universität Klagenfurt. 1988 Mitbegründer und bis 1991 Leiter des IFZ. Zunächst Vertrags-, dann Universitätsassistent am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der Alpen-AdriaUniversität Klagenfurt, seit 2006 Assistenzprofessor. Arbeitsschwerpunkte: Technikphilosophie; theoretische und praktische Aspekte nachhaltiger Technikgestaltung; Technikfolgenabschätzung und Produktbewertung; Technologiepolitik und Nachhaltigkeit; Wissenschaftskommunikation; Transdisziplinarität; Haptik. E-mail: [email protected] Schon in den 70er Jahren wurde an Österreichs Universitäten Unbehagen an ihrer streng disziplinären Gliederung nach Fakultäten und Instituten artikuliert. Ebenso wurde der Ruf nach mehr gesellschaftlicher Relevanz und Praxisnähe in Lehre und Forschung lauter. Dies führte unter anderem 1979 zur Gründung des IFF (damals: „Interuniversitäres Forschungsinstitut für Fernstudien der österreichischen Universitäten“, heute die Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, jener Fakultät, der das IFZ als Grazer Standort des Instituts für Technik- und Wissenschaftsforschung angehört). „Fernstudien“ wurde an diesem Institut in zweifacher Weise interpretiert: Einerseits wurden in Kooperation mit der deutschen FernUniversität Hagen klassische Fernstudien angeboten, andererseits aber wurden in ausgewählten gesellschaftlichen Problemfeldern Arbeitsgruppen und Abteilungen zur Durchführung von Forschungsprojekten und Weiterbildungsprogrammen eingerichtet. Themen waren etwa: Gesundheit und Organisationsentwicklung, Unterricht und Schule, Arbeit und Bildung, Ökologie, Frieden, Wissenschaft und Technik, Landwirtschaft und Region, Universität und Museum. Diese Arbeitsgruppen und Abteilungen sind heute weitestgehend in Institute der IFFFakultät übergeführt. Schon das damalige IFF begnügte sich nicht mit einer multidisziplinären Organisation der Forschungsprojekte, also einer Zusammenstellung von Projektteams mit WissenschafterInnen unterschiedlichster fachlicher Herkunft. Schon früh wurden Methoden der Interventionsforschung und des transdisziplinären Forschens entwickelt und angewandt. Mit diesem Zugang und Anspruch war die allmähliche Integration des Grazer IFZ in das IFF kein schwieriges Unterfangen, bestand doch gerade in diesen zentralen Merkmalen von Forschungsprojekten Übereinstimmung – multidisziplinär zusammengesetzte Projektteams, gemeinsames Bemühen im Hinblick auf die Entwicklung interdisziplinärer Fragestellungen und Methodik sowie Transdisziplinarität. Und schließlich war auch Technikund Wissenschaftsforschung schon früh ein Forschungsschwerpunkt des IFF. Was aber war der Ursprung des inter- und transdisziplinären Selbstverständnisses des IFZ? Die Gründung des IFZ ist eng verknüpft mit den Aktivitäten des Referats für Studienreform der HochschülerInnenschaft an der Technischen Universität Graz Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre. In dieser Zeit – nicht zufällig fand 1978 in Österreich die Volksabstimmung zur friedlichen Nutzung der Kernenergie statt – wurden in der Öffentlichkeit immer mehr Technikfelder kritisch hinterfragt. In erster Linie waren es die mangelnde Umweltverträglichkeit von Technologien und ihrer Anwendung, die zu einer zunehmend technikkritischen Stimmung führten. Aber auch grundsätzliche Fragen der Akzeptabilität und sozialen Akzeptanz von Technik wurden gestellt. Für die TechnikstudentInnen, die im Studienreformreferat (und später auch im Referat für sanfte, angepasste und friedliche Technik und im Frauenreferat) der HochschülerInnenschaft der TU Graz ihren Ort des Engagements gefunden hatten, folgte aus dieser Technikkritik nun natürlich nicht eine radikale Abwendung von Technik, sondern die Herausforderung, Technik sozial und umweltverträglich, also nachhaltig zu gestalten. Mit großem Erfolg wurden Ringvorlesungen mit international renommierten ReferentInnen (zu Sozialer Technik, Frauen und Technik, Chemie und Gesellschaft, Telematik und zu Gentechnik) organisiert, die zum Teil viele Jahre in ähnlicher Form als Lehrveranstaltungen weitergeführt Soziale Technik 3/2008 7 Technologie & Politik wurden. Kennzeichen dieser Ringvorlesungen war vor allem Multidisziplinarität: Die Grundthese war, dass die gesellschaftliche Ablehnung von Technik, dass negative Folgen von Technologien und allgemein: dass krisenhafte Entwicklungen von Technologien zunächst einem offenen, öffentlichen und multidisziplinären Diskurs ausgesetzt werden müssen, an dem insbesondere auch (angehende) IngenieurInnen teilhaben sollten. Die verschiedenen Aspekte der Technikkritik wurden somit aus der Perspektive unterschiedlichster Disziplinen artikuliert und analysiert. Schon hier – im Rahmen dieser Ringvorlesungen – wurde deutlich, dass manche sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen sich als lernfähig erwiesen, sich anderen Disziplinen (zumindest den Ingenieurwissenschaften und den Naturwissenschaften) öffneten und „Bindestrich-Disziplinen“ entwickelten bzw. ausbauten: ExpertInnen aus den Bereichen Technikphilosophie, Techniksoziologie und Technikgeschichte waren regelmäßig ReferentInnen dieser Veranstaltungen. Ein anderer Teil der Beiträge stammte von IngenieurInnen und NaturwissenschafterInnen, die sich auf Aspekte der Technikkritik einließen und unter Einbeziehung von Wissensbeständen anderer Disziplinen (Biologie, Ökologie, Medizin, Soziologie u. a.) (Gestaltungsprinzipien für) alternative, „nachhaltigere“ Technologien vorschlugen. Waren es also im ersten Fall im Wesentlichen VertreterInnen akademischer Fächer, die sich – mit sich ändernden Methoden und sich ändernden Perspektiven, aber letztlich doch disziplinär – auf Technik bezogen, so waren es im zweiten Fall IngenieurInnen, die versuchten, die ingenieurwissenschaftliche Perspektive um neue Ziele zu erweitern, Ziele, die sich vor allem aus nicht-ingenierwissenschaftlichen Analysen des „Umfelds“ von Technik ableiteten. Soziale Technik 3/2008 8 Als dritte ReferentInnen-Gruppe ließe sich jene identifizieren, die stark policy- und umsetzungsinteressiert war, entweder aufgrund ihrer Herkunft aus oder ihrer Nähe zu Politik und Verwaltung oder aber als transdisziplinär arbeitende WissenschafterInnen, die am Wirksamwerden ihrer Vorschläge für eine sozial- und umweltverträglicheren Technikgestaltung großes Interesse hatten. Gemeinsam zielten sie ab auf die Generierung und Anwendung von handlungsorientiertem Wissen zur Gestaltung jener Rahmenbedingungen, die die Durchsetzung nachhaltigerer Technologie fördern sollten. Eine weitere wichtige Aktivität des Studienreformreferates, die ebenfalls prägenden Einfluss auf Arbeit und Selbstverständnis des IFZ zumindest in den ersten Jahren nach seiner Gründung hatte, war die Durchführung von Tagungen zu Themen wie „Zukunft der Ingenieurarbeit“ oder „Kooperation zwischen Wissenschaft und Technologie & Politik Arbeitswelt“. Gerade mit der Befassung mit letzterem Thema – im Rahmen der Tagung „Wissenschaft und Arbeitswelt – Möglichkeiten der Kooperation zwischen Arbeitnehmervertretung und Universitäten“ wurden 1987 die ersten Konturen eines zu gründenden Instituts, des späteren IFZ, artikuliert – war die Hoffnung verbunden, hinsichtlich einer wünschenswerten Entwicklung der Technik einen normativen Rahmen zu finden. Das damals schon spürbare Spannungsverhältnis zwischen Interessensgeleitetheit bzw. normativer Orientierung, Gestaltungswille in Bezug auf praktische Anwendungsfelder und Partizipation wurde in weiterer Folge für das Selbstverständnis des IFZ konstitutiv – wenngleich die Bestrebungen, mit Organisationen der ArbeitnehmerInnenvertretung eine dauerhafte Kooperation aufzubauen (etwa in Fortsetzung der Forschungstradition zur Humanisierung der Arbeitswelt) nicht erfolgreich waren. Schon das erste Projekt des IFZ, ein Auftrag der Städte Graz und Linz zur Ökologisierung des städtischen Beschaffungswesens, stellte einen Prüfstein zur Umsetzung der genannten Prinzipien dar: Nur ein multidisziplinär zusammengesetztes Team (zum Teil bestehend aus angehenden WissenschafterInnen mit Mehrfachqualifikation) war in der Lage, einerseits die technischnaturwissenschaftlichen Anforderungen, die dieses Thema stellte, zu erfüllen und andererseits jene institutionellen Lernprozesse partizipativ zu gestalten, die die Magistrate dieser beiden Städte ermächtigten, umweltfreundliches Beschaffungswesen so zu implementieren, dass es sich zu einem irreversibel in Struktur und Abläufe der Verwaltung und bei den MitarbeiterInnen verankerten Anliegen entwickeln konnte. Kurz: dieses Projekt war ideal dafür geeignet, ein interdisziplinäres Projektteam zu formen und transdisziplinäre Forschungsmethoden zu erproben. Beides gelang hervorragend! Das Projekt wurde zu einem Paradigma für viele weitere Projekte des IFZ – und darüber hinaus zu einem international wirksamen Wegbereiter bei der Einführung von „Green Public Procurement“ als umwelt- und technologiepolisches Standardinstrument. Resümierend kann festgestellt werden: ■ dass disziplinäre Spezialisierungen (Bindestrichwissenschaften), die sich auf Technik und Naturwissenschaften beziehen, wohl an Bedeutung gewonnen haben; der Begriff „interdisziplinär“ kann hier aber nur sehr bedingt Anwendung finden; ■ dass die Notwendigkeit der Einbeziehung neuer sozialer (u. a. in den Sozialwissenschaften formulierten) und ökologischer (u. a. in den Umweltwissenschaften formulierten) Anforderungen an die Technikgestaltung in den Ingenieurwissenschaften nunmehr zwar weitestgehend unbestritten ist und zu einer gewissen interdisziplinären Erweiterung der Technikwissenschaften geführt hat. Dies führte aber zu keiner dauerhaften Veränderung der technischen Curricula. Auch der Plan der Verankerung der erwähnten Ringvorlesungen in den Studienplänen scheiterte letztlich weitgehend. Lediglich in machen Lehrveranstaltungen wurden die geforderten nicht-technischen Inhalte ansatzweise berücksichtigt. Auch andere Vorschläge zur Vermittlung interdisziplinärer Denk- und Arbeitsweisen, wie Teamteaching oder forschendes Lernen, blieben weitestgehend unberücksichtigt; ■ dass Forschungsprojekte – insbesondere solche, die sich auf komplexe gesellschaftliche Problemstellungen beziehen – nur von multidisziplinär zusammengesetzten Projektteams erfolgversprechend durchgeführt werden können. Langjährige Kooperation solcher Projektteams zu ähnlichen Problemstellungen lässt Interdisziplinarität im Sinne eines gemeinsamen Erkenntnisinteresses, einer gemeinsamen Fachsprache und eines gemeinsamen Methodenkanons wachsen1. Dies kann schließlich – bei Heranwachsen einer „kritischen Masse“ – zur Bildung einer eigenen scientic community und Entwicklung einer neue Disziplin führen; ■ dass Forschungsprojekte – wohl auch wegen des zunehmenden ökonomischen und legitimatorischen Drucks auf Wissenschaft – vermehrt transdisziplinären Charakter annehmen: Nützlichkeit im Hinblick auf die Lösung gesellschaftlicher Probleme, Interventionen (die über bloßes Consulting hinausgehen) und dauerhafte Lernprozesse in Organisationen sowie die hohe Bedeutung nicht-wissenschaftlichen Wissens, das PraxisexpertInnen gleichberechtigt in die Projektarbeit einbringen, sind (unter anderen) kennzeichnende Merkmale transdisziplinärer Forschungsprojekte, wie sie auch vom IFZ seit seiner Gründung durchgeführt werden: mit dem Ziel einer sozial- und umweltverträglichen, einer nachhaltigen Technikgestaltung. Anmerkung 1 Hier mag ein Diktum von Helmar Krupp, dem früheren Direktor des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe zur Illustration dienen: „Um wirklich intersdisziplinär arbeiten zu können muss man sieben Jahre lang im gleichen Bett geschlafen haben.“ ■ Soziale Technik 3/2008 9 Technologie & Politik Von Menschen, Institutionen und deren Wandel Zu sozialen und institutionellen Lernprozessen rischen Änderung oder technologischen Neuorientierung im Wege stehen. Seit seiner Gründung beschäftigt sich das IFZ mit der Initiierung „sozialer und institutioneller Lernprozesse“. Welche Zugänge gibt es dazu? In welcher Form werden diese in der Arbeit des IFZ umgesetzt? Zwei mögliche theoretische Zugänge Jürgen Suschek-Berger studierte Philosophie und Soziologie an der KarlFranzens-Universität Graz. Seit 1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter des IFZ, seit 2004 Leiter des Forschungsbereiches „Energie und Klima“, seit Ende 2007 stellvertretender Leiter des IFZ. Lehrbeauftragter an den Universitäten Graz und Klagenfurt. Arbeitsschwerpunkte: Partizipative Technikforschung, sozialwissenschaftliche Begleitung ökologischer, technischer und sozialer Innovationen. E-mail: [email protected] Die Unterstützung der Diffusion von neuen und umweltfreundlichen Technologien ist eines der Hauptanliegen des IFZ. Die Verbreitung von innovativen Technologien oder Prozessen ist aber nicht nur von technischen Rahmenbedingungen abhängig. Die Berücksichtigung der relevanten Akteure und AkteurInnen, die Analyse der vorhandenen Akteurskonstallationen und die Einbeziehung der wichtigsten Stakeholder sind unabdingbare Voraussetzungen für den Erfolg. So heißt es im Vorwort zum Sammelband „Technik gestalten“, der anlässlich des 10-jährigen Bestehens des IFZ erschienen ist: „Technologien und Produkte sind immer auch ein Teil und Ergebnis sozialer Prozesse. ... Sozial- und umweltverträgliche Technikgestaltung und die sozialen Rahmenbedingungen der Technikentwicklung, -diffusion und -anwendung stehen im Forschungsinteresse des IFZ. Das Gestaltungspotenzial von Technik auszuschöpfen heißt vor allem, in Akteursnetzwerke einzugreifen, organisatorische Bedingungen für dir Nutzung und Verbreitung sozialund umweltverträglicher Innovationen zu schaffen und gemeinsam Lernprozesse bei den beteiligten AkteurInnen und Institutionen zu organisieren.“ (Wächter et al. (Hg.) 1998, 10). Die Arbeit mit Institutionen – öffentlichen Einrichtungen oder privaten Unternehmen, aber auch Kommunen und Regionen – und Interventionen in diese stellen eine große Herausforderung dar. Zu berücksichtigen sind dabei – oft unausgesprochene – Normen, Werte und Traditionen, latente Konfliktherde, der Wunsch, an Bewährtem und Gewohnten festzuhalten sowie individuelle Einstellungen, die einer organisato- Soziale Technik 3/2008 10 Everett Rogers beschreibt in seinem Klassiker der Diffusionsforschung „Diffusion of Innovations“ die Umstände und Voraussetzungen, die eine Innovation unterstützen, er weist auf die Bedeutung und Eigenschaften relevanter InnovatorInnen und sozialer Netzwerke hin und auf die Wichtigkeit verschiedener Kriterien, die eine erfolgreiche Innovation erfüllen sollte – wie relativer Vorteil, Kompatibilität, geringe Komplexität, Versuchsfähigkeit und Beobachtbarkeit. Ein weiterer Zugang ist die Technikgeneseforschung, welche die Entstehung neuer Technologien als einen aktiven sozialen und politischen Prozess betrachtet. Wichtig sind dabei vor allem drei Faktoren: Leitbilder, Organisationskultur und Organisationslernen (vgl. Dierkes et al. 1998, 4ff.). Leitbilder können die Entstehung von Technologien entscheidend prägen – in ihnen wird das Wünschbare mit dem Machbaren verschmolzen. Leitbilder können aber durch die Kultur einer Organisation stark gefiltert werden, in der sich die Normen, Riten und Traditionen der Institution spiegeln. Organisationslernen spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung und Verbreitung neuer Technologien. Organisationales Lernen lässt sich als kollektive Aneignung oder Aktivierung neuer Wahrnehmungen oder strategischer Kompetenzen definieren, die als Antwort auf eine sich wandelnde Umwelt zustande kommen. Diese theoretischen Zugänge und Ansätze spielen – neben anderen hier nicht genannten – für die Arbeit des Instituts eine wichtige Rolle und beeinflussen institutionelle und soziale Lernprozesse. Einige Beispiele aus der Arbeit des IFZ sollen diese Zugangsweise illustrieren. Die Öko-Magistrate Eines der ersten Projekte des IFZ Ende der 80er Jahre war die Beratung der Kommu- Technologie & Politik nen Graz und Linz – danach auch Klagenfurt – in Fragen der umweltfreundlichen Beschaffung. Die Spannbreite der hier zu ändernden oder auch neu einzuführenden Technologien reichte von der Umstellung von gebleichtem Papier auf Recyclingpapier über die Verwendung von nachfüllbaren Druckerpatronen bis hin zu Umstellungen im Fuhrpark, in den magistratseigenen Gärtnereien oder zur Verwendung von biologischen Lebensmitteln in den Großküchen. Der wichtigste Faktor war – neben den ökologischen Empfehlungen – das Herausfiltern von organisatorischen und sozialen Barrieren, die einer solchen gravierenden Änderung im Wege stehen können und das Ernstnehmen möglicher Ängste der Betroffenen, die mit einem Wechsel des Gewohnten verbunden sind. In Form von Interviews mit wichtigen Stakeholdern und betroffenen AkteurInnen wurde diesen Barrieren und Ängsten nachgegangen, diese Ergebnisse flossen in einen gemeinsamen Workshop mit Bediensteten der beiden Magistrate Graz und Linz ein, der auch einem Kennenlernen und dem Wissensaustausch zwischen diesen beiden Akteursgruppen diente und der Ausgangspunkt für die Initiierung eines MutliplikatorInnenNetzwerkes in diesen beiden Institutionen war. Die Leitbilder der Behörden wurden in eine ökologische Richtung ausgebaut und gewendet – der „Öko-Magistrat“ war geboren. Soziale Nachhaltigkeit in Unternehmen In den letzten Jahren beschäftigte sich das IFZ intensiv mit dem Bereich der sozialen Nachhaltigkeit. Mehrere Projekte behandelten das Thema der „Corporate Social Responsibility (CSR)“, also das verantwortliche Handeln von Unternehmen und Or- ganisationen sowohl im internen als auch im externen Umfeld. Im Projekt „BLISS – Business Guidelines Inducing Social Sustainability“ wurde eine praxistaugliche Anleitung entwickelt, um Dimensionen der Sozialen Nachhaltigkeit in das strategische und operative Management von Unternehmen zu integrieren. Das Modell wurde beispielhaft bei einer steirischen Baufirma eingeführt. Im Unternehmen wurde zunächst der soziale Ist-Zustand analysiert. Auf dieser Grundlage wurden unternehmensspezifische Guidelines erarbeitet, durch welche das Unternehmen in der Lage war, zielführende Schritte zur Implementierung sozialer Nachhaltigkeit zu setzen. Ein ähnliches Vorgehen wurde im Projekt „SOZIALPROFIT“ angewendet. Ausgehend von den Ergebnissen des Projektes BLISS wurde das Konzept beispielhaft in fünf Projektpartnerunternehmen eingesetzt, die Soziale Technik 3/2008 11 Technologie & Politik ihre Bedürfnisse, Anforderungen und Erfahrungen in die genaue Ausgestaltung einfließen ließen. Gleichzeitig wurden über intensive Öffentlichkeitsarbeit Kontakte zu potenziellen Programmträgern, Sozialpartnern und bestehenden Initiativen geknüpft, um die Weiterführung des Programms nach der vorbereitenden Pilotphase zu gewährleisten. In beiden Projekten wurden Betroffene beteiligt und einbezogen. Deren Wünsche wurden über Fragebögen, Interviews und Workshops auf verschiedenen MitarbeiterInnen- und Managementebenen ausgelotet und berücksichtigt. Durch begleitende Evaluationen wurden die gewählten Vorgangsweisen reflektiert und – falls notwendig – angepasst. Insbesondere handelte es sich hier also um organisatorische Veränderungen in den Unternehmen, speziell um Innovationen im Bereich der innerbetrieblichen Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten – also um Formen der internen betrieblichen sozialen Nachhaltigkeit. Diese Änderungen sollten auch ihren Niederschlag in den Leitbildern der Unternehmen finden. Energieregionen und Leitbilder Viele Initiativen in Österreich, die versuchen, die Regionalentwicklung einer bestimmten Region auf nachhaltige Formen der Energiegewinnung und einen sparsamen Umgang mit Energie auszurichten, bezeichnen diese Regionen als „Energieregion“. Im Projekt „Die Gestaltung technologischen Wandels in Energieregionen durch Leitbilder“ ging es um die tatsächliche Wirksamkeit von energiebezogenen Leitbildern in konkreten Entscheidungssituationen. Ziel dieser Untersuchung war es, Möglichkeiten und Erfolgsbedingungen zu identifizieren, die den regionalen Einsatz von Leitbildern als Koordinationsinstrument auf dem Weg zu nachhaltigen Energiesystemen rechtfertigen. Als Fallbeispiele wurden vier österreichische Energie-Regionen untersucht. In einem exemplarischen Lernprozess (vor allem der zentralen KoordinatorInnen dieser vier Initiativen selbst, unterstützt durch ExpertInnen für Regionalentwicklung, Marketing u. a.) wurden die geschaffenen Prozesse und Institutionen vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Rahmenbedingungen analysiert, weiterführende Kommunikationsund Netzwerkstrategien abgeleitet und diese auf übertragbare Schlussfolgerungen hin untersucht. Der Schwerpunkt lag darauf, Möglichkeiten und Erfolgsbedingungen zu identifizieren, die den regionalen Einsatz von Leitbildern als Koordinationsinstrument auf dem Weg zu nachhaltigen Energiesystemen rechtfertigen und anleiten können. Innovation und Partizipation Eine nachhaltige Gesellschaft braucht umwelt- und sozialverträgliche Produkte und Dienstleistungen. Dazu ist neben technologischen Innovationen die Einbindung von KonsumentInnen und anderen Interessengruppen in den Prozess der Produktund Produkt-Dienstleistungsentwicklung eine wichtige Voraussetzung, damit nachhaltig(er)e Lösungen einen Erfolg haben können. Das Projekt INTOKI setzte dazu an der Nahtstelle zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen an. Dabei wurde ein Klein- und Mittelunternehmen der Backwarenbranche bei der Einbindung seiner Stakeholdergruppen (KundInnen, Zulieferbetriebe, Mühlen, Interessenvertretungen) im Entwicklungsprozess neuer Produkte bzw. Dienstleistungssysteme unterstützt. Zu diesem Zweck wurden mehrere Workshops mit VertreterInnen des Unternehmens und dessen Stakeholdern durchgeführt. Als sehr wichtig stellte sich vor allem auch die Vermittlung von Wissen über Nachhaltigkeit Soziale Technik 3/2008 12 und ökologische Zugänge zum Innovationsthema heraus. Ziel war die Entwicklung und Erprobung eines praxistauglichen Methoden-Toolkits für Interaktion, Dialogführung und Partizipation. Das Toolkit wird in Zukunft Betrieben ermöglichen, einen strukturierten partizipativen Stakeholderprozess weitgehend selbstständig durchzuführen, wobei auf ein nachhaltiges Design der angestrebten Lösungen (Produkte und Serviceleistungen) Wert zu legen sein wird. Resümee Die Entwicklung und Verbreitung neuer umweltfreundlicher Technologien und Produkte kann nur erfolgreich sein, wenn sie von sozialen und institutionellen Änderungen in den relevanten Organisationen und Institutionen begleitet wird. Für diese Änderungen bedarf es Interventionen, die von einem hohen partizipativen Anteil geprägt sind, der Änderung von Unternehmenskulturen und der Entwicklung von zukunftsfähigen Leitbildern, die einen institutionellen Lernprozess in Gang bringen können. Interne InnovatorInnen und MultiplikatorInnen spielen eine entscheidende Rolle im Veränderungsprozess. Aber auch das externe Umfeld und seine Akteurskonstellationen – Stakeholder, KundInnen, MitbewerberInnen etc. – müssen einbezogen werden. Der von Peter M. Senge geprägte Begriff der „lernenden Organisation“ ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung – wobei gesagt werden muss, dass es noch immer die Menschen sind, die sich in den Organisationen als lernfähig erweisen müssen. In der Arbeit und den Projekten des IFZ spiegeln sich diese Zugänge seit Bestehen des Instituts wider und werden auch weiterhin wichtige Elemente unserer Forschungsarbeit sein. Literatur • Dierkes, M., J. Hofmann, L. Marz (1998): Technikgenese und organisatorischer Wandel: Divergierende Innovationsmuster. http://duplox.wzb.eu/texte/oecd/ 15.7.2008. • Rogers, E. M.: Diffusion of Innovations. 3rd Edition. New York: The Free Press 1983. • Senge, P. M.: Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Stuttgart: Klett-Cotta 1997. • Wächter, C. et al. (Hg.): Technik gestalten. Interdisziplinäre Beiträge zu Technikforschung und Technologiepolitik. München, Wien: Profil 1998 (= Technik- und Wissenschaftsforschung, Bd. 31). ■ 20 Jahre IFZ 1988–2008: 20 Jahre IFZ Eine Bilanz Im Jahr 2008 befindet sich das IFZ nunmehr im 20. Jahr seines Bestehens. Eine lange Zeit, und doch lässt sich bei allem personellen und thematischen Wandel, den es in diesen Jahren gegeben hat, eine erstaunliche Kontinuität in unseren Kernthemen und Zugängen ausmachen. Günter Getzinger E-mail: [email protected] Harald Rohracher E-mail: [email protected] Christine Wächter E-mail: [email protected] So sperrig unser Name oft klingt: IFZ – Interuniversitäres Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur, Grazer Standort der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, so treffend ist nach wie vor der Verweis auf unsere Lage zwischen etablierten universitären Disziplinen. Dieses „zwischen“ kann gelesen werden als Spannungsfeld oder auch als „und“, wie es Ulrich Beck in der „Erfindung des Politischen“ dem dominierenden „entweder-oder“ gegenüberstellt – anstelle der Trennung, Spezialisierung und Eindeutigkeit, hier das Nebeneinander, die Vielheit, Ungewissheit, die Frage nach dem Zusammenhang, Zusammenhalt, das Experiment des Austausches. Dieser Versuch, Verbindungen zwischen bisher getrennten Bereichen herzustellen, Übersetzungsleistungen zwischen unterschiedlichen Wissenskulturen anzubieten und unser Wissen auch wirksam zu machen, ist zweifellos eine zentrale Herausforderung für unsere Arbeit. Einige dieser Spannungsfelder, die ein Motor unserer Bemühungen sind, sollen hier kurz benannt werden. geht uns nicht nur um ein besseres Verständnis der Entwicklungsdynamik, Entstehungsbedingungen und Auswirkungen von Technik, sondern es geht uns mindestens ebenso sehr um die Herstellung von Bedingungen für eine bewusstere Gestaltung von Technologien. Internationalisierung und Regionalbezug Ein weiteres wichtiges Spannungsfeld für uns ist das Bestreben, uns stark in der internationalen Forschungslandschaft und -diskussion zu verankern, gleichzeitig mit unseren Projekten aber einen starken regionalen Bezug zu kommunalen Umsetzungsprojekten, regionalen Impulsprogrammen oder nationaler Technologieund Umweltpolitik aufrecht zu erhalten. Forschung und Vermittlung Als letztes, aber nicht weniger wichtiges Charakteristikum unserer Arbeit ist die Verbindung von Forschungstätigkeit und dem Erreichen einer breiteren Öffentlichkeit zu nennen. Unser primärer Fokus (und auch unsere Finanzierung) liegen auf Forschungsprojekten. Doch haben wir die Möglichkeit, gleichzeitig mit unseren Themen auch in der universitären Lehre präsent zu sein. Doch auch in vielen Forschungsprojekten gibt es das Bestreben, Betroffene verstärkt zu Wort kommen zu lassen oder Lern- und Bildungsprozesse anzuregen. Technik und Gesellschaft Thematischer Hintergrund für unsere Auseinandersetzung mit der sozial- und umweltverträglichen Gestaltung von Technologien ist ein Verständnis für die NichtTrennbarkeit und wechselseitige Konstituierung von Technik und Gesellschaft. Technik ist immer ein soziales Projekt und ein sozialer Prozess, genauso wie soziale Veränderungen und Strukturen meist eng mit technischen Innovationen und Produkten Hand in Hand gehen. Wissenschaft und Politik / Reflexion und Intervention Unser „wissenschaftliches“ Verständnis von Technik und Gesellschaft steht in engem Zusammenhang mit dem normativen und praktischen Bezug unserer Arbeit. Es Danke allen unseren PartnerInnen! Möglich wird die Verbindung einer solchen Bandbreite an (oft widersprüchlichen) Anforderungen nur durch eine hohe Motivation der MitarbeiterInnen des IFZ und durch die vielfältige Unterstützung, die wir durch die Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, die Karl-Franzens-Universität Graz, die technische Universität Graz, durch AuftraggeberInnen, KooperationspartnerInnen, das Land Steiermark und die Stadt Graz erfahren. Ihnen allen möchten wir an dieser Stelle im Namen aller MitarbeiterInnen des IFZ herzlich für die bisherige Zusammenarbeit danken, und wir freuen uns auf viele weitere kooperative Jahre. ■ Soziale Technik 3/2008 13 20 Jahre IFZ Forschungsbereiche gestern/heute – wie haben sie sich entwickelt? Die Forschungsbereiche des IFZ im Wandel der Zeit Die Arbeit und Entwicklung der einzelnen Forschungsbereiche hat einen zentralen Anteil an der Erfolgsgeschichte des IFZ. Auch daran sind 20 Jahre nicht spurlos vorübergegangen. Forschungsbereich Ökologische Produktpolitik Die aus ökologischer Sicht besten Produkte werden nicht hergestellt, nicht angeboten, nicht benutzt und folglich auch nicht weggeworfen. Doch ohne Produkte und Konsum geht es nicht – ganz klar. Daher widmen sich die MitarbeiterInnen des Forschungsbereiches seit nunmehr 20 Jahren der Frage, wie sich die negativen Auswirkungen von Produkten und Dienstleistungen über den gesamten Lebensweg hinweg minimieren lassen. Der Marktmacht der öffentlichen Hand haben wir von Beginn an große Bedeutung beigemessen. Mit dem BeschaffungsService Austria (BSA) unterstützen wir seit 1997 Beschaffungsverantwortliche bei der Ökologisierung des Be- schaffungswesens durch Ausschreibungshilfen, Beratungen und Umsetzungsbegleitungen. Ein wichtiger Meilenstein war der Kriterienkatalog zur umweltfreundlichen Beschaffung – check it! Aktuell stellt das Erarbeiten von Kriterien für eine sozialverantwortliche Beschaffung eine konsequente Weiterentwicklung dar. Als Highlight der 20-jährigen Unterstützungsleistungen fiel im Juni 2008 mit zwei Veranstaltungen der Startschuss für einen österreichischen Aktionsplan für nachhaltige öffentliche Beschaffung. Das Themenspektrum des Forschungsbereiches hat sich im Lauf der Jahre kontinuierlich erweitert. Neben der Risikobewertung von Produkten rückten die Potenziale von Produkt-Dienstleistungs-Systemen, Soziale Technik 3/2008 14 Methoden der partizipativen Produktentwicklung, die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen (CSR) und zuletzt die Konsum- und Lebensstilforschung in den Blickpunkt der Forschungs- und Beratungsinteressen. So stellt in Zukunft die Entwicklung von maßgeschneiderten Interventionen und Kommunikationsstrategien zur Förderung nachhaltiger Lebensweisen eine Herausforderung dar, der wir uns mit vollem Einsatz und Elan widmen wollen. Forschungsbereich Energie und Klima Der Forschungsbereich „Energie und Klima“ beschäftigt sich seit seiner Gründung Anfang der 90er Jahre mit dem intelligenten und effizienten Umgang mit Energie und Rohstoffen und unterstreicht die Wichtigkeit des Einsatzes energie- und ressourcensparender Technologien. Er untersucht Handlungsmöglichkeiten in konkreten Anwendungsbereichen wie ökologischen Gebäuden, effizienter Energienutzung und der Förderung erneuerbarer 20 Jahre IFZ Energieträger. Soziale, technische und organisatorische Rahmenbedingungen der Nutzung von Energie werden analysiert und energiepolitische Handlungsempfehlungen erarbeitet. Dabei werden unter Beteiligung von Gemeinden, Elektrizitätsversorgern, ArchitektInnen und anderen AkteurInnen und Stakeholdern energiespezifische Programme konzipiert, begleitet und evaluiert. Der Forschungsbereich hat mit drei Personen begonnen und besteht heute aus sieben MitarbeiterInnen. Er ist in der nationalen Forschungslandschaft durch zahlreiche Projekte in den Programmlinien „Haus der Zukunft“, „Fabrik der Zukunft“ und „Energiesysteme der Zukunft“ des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) sowie „Energie der Zukunft“ des Klima- und Energiefonds gut verankert. Auf internationaler Ebene werden Forschungsprojekte im Rahmen des 6. EURahmenprogramms und im Programm „Energy Intelligent Europe“ durchgeführt. Auf regionaler Ebene sind vor allem Projekte im Auftrag des Zukunftsfonds Steiermark zu nennen. Forschungsbereich Neue Biotechnologien Der Forschungsbereich wurde 1998 gegründet nachdem bereits seit 1995 Forschungsprojekte im Themenbereich durchgeführt wurden. Von Beginn an wurde an zwei Themenfeldern gearbeitet: Technikfolgen- und Risikoabschätzung sowie Lernund Kommunikationsprozesse in Zusammenhang mit grüner und weißer Biotechnologie (Landwirtschaft, Lebensmittel und industrielle Nutzung). Während der zehn Jahre seines Bestehens veränderte sich das Arbeitsfeld in mehrfacher Hinsicht und teilweise den Konjunkturen der gesellschaftlich relevanten Problemstellungen folgend. Wurde anfänglich noch vermehrt im Auftrag des Landes Steiermark gearbeitet (speziell Bildungs- und Informationsprojekte), so verlagerte sich der Auftraggeberschwerpunkt im weiteren Verlauf auf die nationale Ebene (diverse Ministerien), andere Länder und EU-Ebene. Der Charakter der Forschungsarbeit entwickelte sich ausgehend von einer reinen Auftragsforschung mit klaren Politikberatungszielen hin zu einem höheren Anteil an Antragsforschung und einer Verstärkung des akademischen Fokus. Thematische Erweiterungen folgten im Jahr 2003 auf soziale Aspekte der roten Gentechnik und Biomedizin und jüngst, im Jahr 2008, auf alterna- tive Landwirtschaft. Parallel zu dieser Erweiterung ist der Forschungsbereich moderat gewachsen, von einem Mitarbeiter im Jahr 1995 auf 5 MitarbeiterInnen im Jahr 2008. Die derzeitigen Schwerpunktthemen sind durch drei erfahrene und international gut vernetzte WissenschaftlerInnen stabil am IFZ verankert, wodurch der Forschungsbereich für kommende Herausforderungen gut aufgestellt ist. Thema ist eindeutig, die derzeit angebotenen Lehrveranstaltungen könnten ohne weiteres ausgebaut werden, die Anfragen zur Betreuung von Abschlussarbeiten nehmen zu, ist doch „Technik und Geschlecht“ ein interdisziplinäres Themenfeld, das von mehreren Seiten aus betrieben werden kann und viele Studien sinnvoll ergänzt: die Technik um die Kultur- und Sozialwissenschaften, aber auch die Kultur- und Sozialwissenschaften um die Technik. Forschungsbereich Frauen – Technik – Umwelt Forschungsbereich IKT In Zeiten des (prognostizierten) Fachkräftemangels unserer zunehmend durch Industrialisierung und Technisierung unseres (Berufs-)Alltags geprägten „Technologischen Zivilisation“ wird seitens der Industrie, der Hochschulen, der Politik auf nationaler und EU-Ebene laut nach „Mehr Frauen in Naturwissenschaft und Technik“ gerufen. Eine naheliegende Reaktion auf die zahlenmäßig niedrige Repräsentanz von Frauen in Naturwissenschaft und Technik ist es, bei den einzelnen (jungen) Frauen anzusetzen, ihren Informationsstand zu erhöhen und ihren Motivationsgrad zu steigern. Das geschieht in Österreich seit den späten 80er/ Anfang 90er Jahren mehr oder weniger erfolgreich. Auch Projekte und Programme, die Frauen in Naturwissenschaft und Technik als Role Models und Vorbilder sichtbar machen, sind ein wichtiger Beitrag auf dieser Schiene. Eine ganz andere Schiene besteht aus Aktivitäten und Projekten, die sich auf die Analyse und Veränderung traditionell männlich geprägter Kulturen in Naturwissenschaft und Technik beziehen, wobei es hier unterschiedliche disziplinäre Kulturen gibt und auch zwischen Unternehmen und (Aus-)Bildungseinrichtungen (HTL, FH, TU) zu differenzieren ist. Generell gilt hier, dass Ansätze zur Veränderung auf einer gründlichen Analyse basieren müssen, dass historisch über Jahrzehnte und Jahrhunderte maskulin geprägte Organisationskulturen und Ausbildungsinhalte sich nur sehr langsam und schwierig ändern lassen. In mittlerweile vier EU-Projekten in Folge und zahlreichen regionalen Projekten in Kärnten und der Steiermark setzt der Forschungsbereich „Frauen – Technik – Umwelt“ genau hier an, Geschlechterverhältnisse und Konstruktionsprozesse von Geschlecht in Technischen Hochschulen und in Technik-Unternehmen zu untersuchen, um die Geschlechterdemokratie in Technik-Organisationen zu fördern. Auch das Interesse der Studierenden an diesem Zum zwanzigjährigen Jubiläum des IFZ ist dessen jüngster Forschungsbereich, „Informations- und Kommunikationstechnologien“ (IKT), gerade erst zwei Jahre alt geworden. Doch wo der Forschungsbereich selbst erst wenig Geschichte vorweisen kann, waren die letzten 20 Jahre der Geschichte seines Forschungsgegenstands äußerst bewegt: So hatte der von den ursprünglichen Entwicklern gar nicht erwartete Siegeszug des Personal Computers erst vor kurzem auch den Bereich der privaten Nutzung erfasst, und das World Wide Web und die Mobiltelefonie machten ihre ersten Schritte. Heute hingegen finden sich immer mehr miniaturisierte und vernetzte Kleinstcomputer in Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, den Voraussetzungen und Implikationen dieses rasanten Wandels nachzuspüren, mit dem Blick auf eine offene – und gestaltbare – Zukunft hin. Unsere grundlegenden Forschungsfragestellungen haben sich in den ersten Projekten herauskristallisiert: Wie greifen die Gestaltung und Nutzung intelligenter Technologien und die Handlungsfähigkeit der Menschen, die mit ihnen zu tun haben, ineinander? Als was sind intelligente Technologien überhaupt zu verstehen? Welche Chancen und Risiken werden mit ihrem Einsatz verbunden? Wie lassen sie sich unter Berücksichtigung der Interessen ihrer NutzerInnen und ihrer Umwelt gestalten? Und wie wird mit ihnen Gesellschaft gestaltet? Unseren Beitrag zu den Antworten auf diese Fragen suchen wir nicht nur im Rahmen von Kooperationen in unseren eigenen scientific communities – der Soziologie, der Politikwissenschaft und der Philosophie –, sondern auch im Zusammenwirken mit TechnikwissenschaftlerInnen – und nicht zuletzt auch mit den NutzerInnen jener immer vielfältiger und vielseitiger werdenden Technologien. ■ Soziale Technik 3/2008 15 20 Jahre IFZ 20 Jahre IFZ – Ein Grund zum Feiern Von einer studentischen Initiative zu einem etablierten Wissenschaftsinstitut „Es begann mit drei MitarbeiterInnen, zwei Computern und einem Projekt“, erinnert sich die Leiterin Professorin Christine Wächter an die Anfänge des IFZ im Jahr 1988. Gegründet wurde es als studentische Initiative, mit dem Ziel, Technologie als soziales Projekt zu thematisieren und soziale Themen in das Technikstudium zu integrieren. Mittlerweile ist das IFZ mit rund 30 MitarbeiterInnen eine fixe Größe in der österreichischen Wissenschaftslandschaft und bietet eine einzigartige Kombination aus Expertise zu Wissenschafts- und Technikforschung, interdisziplinärer Projektgestaltung und partizipativer Einbindung von Betroffenen in den Forschungsprozess. Auch international findet die Orientierung an aktuellen gesellschaftlichen Problemfeldern und die Politikberatung Anerkennung, was sich in zahlreichen EU-Projekten und der Mitarbeit von IFZ-MitarbeiterInnen in internationalen ExpertInnengruppen widerspiegelt. Kooperation mit den Universitäten Die Anbindung des IFZ an die Alpen-AdriaUniversität Klagenfurt und die Kooperationen mit der Karl-Franzens-Universität Graz und der Technischen Universität Graz ermöglichen es wiederum, interdisziplinäre Technik- und Wissenschaftsforschung in die Lehre einzuspeisen. Somit ist die ursprüngliche Zielsetzung des IFZ gut geglückt. Das 20-jährige Jubiläum wurde am 8. Mai 2008 mit einem frühlingshaften Fest in der Orangerie im Burggarten Graz gebührend gefeiert. Unter anderem nahmen Rektor Heinrich C. Mayr von der Alpen-AdriaUniversität Klagenfurt, Rektor Hans Sünkel von der TU Graz und Vizerektorin Irmtraud Fischer von der Karl-Franzens-Universität Graz als GratulantInnen daran teil. Glückwünsche zum Jubiläum Abschließend noch drei Zitate aus Glückwunschbriefen: „Das IFZ nimmt einen außergewöhnlichen Platz in der Forschungslandschaft Österreichs v.l.n.r.: Rektor Hans Sünkel (TU Graz), Christine Wächter (Leiterin des IFZ), Rektor Heinrich C. Mayr (Universität Klagenfurt) und Vizerektorin Irmtraud Fischer (Universität Graz) Soziale Technik 3/2008 16 ein. Eure Arbeiten sind von höchstem Niveau und immer besonders relevant. Herzlichen Glückwunsch! Und: Bitte weiter so!“ Michael Nentwich, Direktor des ITA – Institut für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften „...Die von Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesetzten Schwerpunkte – von der Klimaforschung über die Biotechnologien bis hin zur Partizipation von Frauen – sind meines Erachtens zentrale Zukunftsfragen, in denen gerade der Wissenschaft eine besondere Verantwortung zukommt. Besonders wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang auch die von Ihnen forcierte internationale Vernetzung, etwa im Rahmen des EU-Forschungsrahmenprogramms.“ BM Dr. Johannes Hahn „Nehmen Sie auf diesem Wege ... meine besten Glückwünsche für ein unverzichtbar gewordenes 20-jähriges Wirken des IFZ entgegen. Das IFZ ging von seinen Anfängen bis zur Gegenwart einen eindrucksvollen Weg. Mich hat immer die Verknüpfung von Technik, Arbeit und Kultur in dieser gesellschaftspolitischen Zusammenschau beeindruckt und dies auch immer in einer Verbindung zur sozialen Verantwortung dessen, was wir Menschen tun. Dieser Arbeitsansatz für Wissenschaft und Forschung gibt unter anderem Antworten auf die Fragen von Ethik und Sinn wissenschaftlichen Denkens in einer komplexen Gesellschaft in den kulturellen Umbrüchen der Zeit. Für alles das gilt Ihnen ein öffentlicher Dank. Es ist gut zu sehen, dass aus dem ersten Wagnis der Anfänge vor 20 Jahren eine profilierte interuniversitäre Einrichtung entwickelt werden konnte. Dies nicht selten mit größtem Idealismus und oftmaliger Selbstausbeutung vor allem der jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich wünsche Ihnen in gebliebener Verbundenheit einen guten und vor allem auch gesicherten Weg in die Zukunft.“ Bürgermeister a. D. Alfred Stingl Wilma Mert E-mail: [email protected] ■ Technologie & Politik Und was wissen Sie über Wissenschaft? Die Anfänge Zum Bemühen um ein besseres Wissenschaftsverständnis der Öffentlichkeit Warum sollte die Öffentlichkeit etwas über Wissenschaft wissen? In diesem Beitrag werden die gesellschaftspolitischen Hintergründe des Bemühens beleuchtet, einer breiteren Öffentlichkeit wissenschaftliche Forschung näher zu bringen. Die Popularisierung von Wissenschaft in aller Munde Bernhard Wieser studierte Erziehungswissenschaften und Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz und ist seit 1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFZ. Seine Forschungstätigkeit konzentriert sich auf Projekte im Bereich Public Understanding of Science mit einem besonderen Fokus auf die neuen Biotechnologien. In seinen aktuellen Projekten beschäftigt er sich mit ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekten von genetischem Testen. E-mail: [email protected] Was weiß die Öffentlichkeit über Wissenschaft und was kann getan werden, um das damit angesprochene „Laienverständnis“ zu verbessern? Die Popularisierung von Wissenschaft ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Labors und Institute werden für Tage der offenen Tür geöffnet, wissenschaftliche Summer Schools werden veranstaltet, Medien berichten über neueste Errungenschaften und vieles mehr. Das Bestreben, Wissenschaft einer breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen, lässt sich auch daran ablesen, dass WissenschafterInnen vermehrt selbst dazu angehalten werden, die eigene Tätigkeit allgemeinverständlich zu erklären und deren gesellschaftlichen Nutzen zu verdeutlichen. Mit dem Bemühen um ein besseres Verständnis von Wissenschaft sind jedoch bereits zwei wichtige Voraussetzungen getroffen. Zunächst, dass es ein positiver Wert und damit ein anzustrebendes Ziel ist, möglichst viel über Wissenschaft zu wissen. Gleichzeitig steht hinter dem angesprochenen Bemühen die These, dass es mit dem wissenschaftlichen Verständnis der Öffentlichkeit nicht zum Besten steht. Doch warum eigentlich? Warum sollte die Öffentlichkeit mehr über Wissenschaft wissen und was genau sollte sie denn wissen? Antworten auf diese Fragen sind in den gesellschaftspolitischen Gegebenheiten zu suchen, vor deren Hintergrund der Ruf nach einem Bemühen um ein besseres Wissenschaftsverständnis der Öffentlichkeit ertönt. Die Auseinandersetzung mit dem Wissenschaftsverständnis der Öffentlichkeit geht – in der Form, wie wir sie heute kennen – auf eine Initiative in Großbritannien zurück. Walter Bodmer, der damalige Chairman der Royal Society, artikulierte bereits 1985 die Notwendigkeit, die breite Öffentlichkeit vom gesellschaftlichen Nutzen der Wissenschaft in Kenntnis zu setzen. Veranlasst dazu sah er sich durch die Ergebnisse einer Studie (Royal Society 1985), die enthüllte, dass es um die britische Allgemeinbildung in Sachen Wissenschaft nicht zum Besten stand. Mit Dringlichkeit sollte daher etwas von WissenschafterInnen selbst getan werden, um den Stand der Dinge zu verbessern. Was Bodmer und seine KollegInnen dazu brachte, im mangelnden wissenschaftlichen Verständnis der Öffentlichkeit überhaupt ein Problem zu sehen, wird im Lichte der britischen Wissenschaftspolitik dieser Zeit deutlich. Margret Thatcher kürzte in den 1980er Jahren die Forschungsbudgets radikal (Löffler 2000). Als Reaktion auf ihre drastischen Maßnahmen versuchten WissenschafterInnen wie Walter Bodmer den politischen Rückhalt für Forschungsförderungen zu stärken. Grundvoraussetzung dafür, so der Grundgedanke, ist ein öffentliches Bewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung wissenschaftlicher Forschung. Wissenschaft durchdringt alle Lebensbereiche, so die Argumentationslinie, sie gestaltet unseren Alltag in Berufsleben und Freizeit, sorgt für Annehmlichkeiten und ist Grundlage der Medizin. Besonderes Gewicht in dieser Darstellung hat die Feststellung, dass wissenschaftliche Forschung eine essentielle Grundlage für die ökonomische Entwicklung der industrialisierten Welt ist. Wissenschaft verstehen heißt aus dieser Perspektive gerade auch, die zentrale wirtschaftliche Bedeutung von Wissenschaft zu verstehen. Eine weitere sehr wichtige Triebkraft für das Bemühen um ein verbessertes Verständnis von Wissenschaft resultiert aus öffentlichen Technikkontroversen. Promi- Soziale Technik 3/2008 17 Technologie & Politik Politik als Initiator Standen die Bemühungen im Großbritannien der 1980er Jahre vor allem unter dem Vorzeichen, eine unverständige Regierung von der Bedeutung der Investitionen in Wissenschaft und Forschung zu überzeugen und galt es daher, für politischen Rückhalt von Forschungsförderungen seitens der Öffentlichkeit zu sorgen, so kann man heute festhalten, dass zumindest ersteres gelungen scheint. Initiativen gehen heute vielfach von der Politik selbst aus. Politik ist nicht mehr der Adressat, sondern zum Initiator jener Bemühungen geworden, die für ein besseres Wissenschaftsverständnis der Öffentlichkeit sorgen sollen. Forschungsförderungseinrichtungen legen heute großen Wert darauf, dass ihre AuftragnehmerInnen zur öffentlichkeitswirksamen Dissemination der eigenen Ergebnisse beitragen. Dem Engagement um ein verbessertes Wissenschaftsverständnis kommt vor diesem Hintergrund eine legitimatorische Funktion zu. Politische Maßnahmen wollen vertreten werden, ihr Sinn soll erkennbar sein und mit breiter Zustimmung rechnen können. Werden Steuergelder investiert, so erwartet man daraus einen gesellschaftlichen Nutzen. Um nun den Nachweis des gewinnbringenden Einsatzes öffentlicher Mittel überzeugend zu erbringen, werden die Empfänger wissenschaftlicher Forschungsmittel dazu angehalten, in eigener Sache für öffentliches Verständnis zu sorgen. Gleichzeitig tragen sie so aber auch zur Legitimierung der Forschungsförderungspolitik bei. Die Legitimität politischen Handelns Aus dieser Perspektive kann das Engagement um ein verbessertes Wissenschaftsverständnis im Kontext einer allgemeinen Strategie zur Gewährleistung der Legitimität politischen Handelns interpretiert werden. Die Art und Weise, durch die (wissenschaftspolitische) Entscheidungen gegenüber der Öffentlichkeit vertreten und als sinnvoll dargestellt werden, sieht die amerikanische Wissenschaftsforscherin Sheila Jasanoff (2005) als Teil der politischen Kultur eines Landes. Sie geht davon aus, dass Gesellschaften kollektive – d. h. politische – Entscheidungen auf der Grundlage einer bestimmten Wissensbasis treffen. Jasanoff geht es nun darum, aufzuzeigen, wie eine Gesellschaft diese – weitgehend von Wissenschaft bereitgestellte – Wissensbasis selbst auf ihre Tauglichkeit prüft und zwischen konkurrierenden Vorschlägen wählt. Jene Praktiken, durch die dies geschieht, werden von Jasanoff „Civic Epistemology“ genannt. Ein Länderver- Soziale Technik 3/2008 18 Bezahlte Anzeige nente Beispiele hierfür sind Kernenergie und Biotechnologie. WissenschafterInnen vertreten in diesem Zusammenhang vielfach die These, dass die Ursache solcher Kontroversen in einem mangelnden wissenschaftlichen Verständnis der umstrittenen Technologien zu suchen wären. Wüsste die Öffentlichkeit besser Bescheid, so gäbe es demzufolge auch keine Kontroversen. Dieser These folgend werden groß angelegte internationale Vergleichsstudien durchgeführt, die zu erheben versuchen, wie es um die Sachkenntnis der Öffentlichkeit bestellt ist (Gaskell 2006). Kritisch wird gegenüber solchen quantitativ angelegten Studien angemerkt, dass sie vorwiegend dekontextualisiertes Lehrbuchwissen abfragen, hingegen Handlungsrelevanz, Anwendungszusammenhänge sowie Konsequenzen weitgehend außer Acht lassen. Zudem weisen eine Reihe von Untersuchungen nach (Hampel, Renn 1998, Weingart 2001, Wynne 1995), dass Wissen nicht durch einen einfachen Automatismus zu Akzeptanz führt. Oftmals gründen sich gerade kritische Haltungen auf eine informierte Basis und wissenschaftliche Gegenexpertisen. Ungeachtet dessen lässt sich jedoch beobachten, dass im Kontext kontrovers wahrgenommener Bereiche von Wissenschaft und Technik (weiterhin) Maßnahmen zur Verbesserung des öffentlichen Verständnisses dieser Bereiche gesetzt werden. Mehr oder weniger explizit wird darauf hingewiesen, dass man sich davon eine bessere Akzeptanz der jeweiligen Bereiche erhofft. Eine dritte Ebene der Popularisierung von Wissenschaft zielt darauf, junge Menschen für Wissenschaft und Technik zu begeistern, um diese letztlich dazu zu ermutigen, eine Karriere in diesen Disziplinen anzustreben. Vor dem Hintergrund rückläufiger Studierendenzahlen in technisch-naturwissenschaftlichen Fächern und dem schlechten Abschneiden bei internationalen Vergleichsstudien schulischer Leistungen richtet sich Wissenschafts-Popularisierung auf die heranwachsende Generation und deren Studien- und Berufswahl. Auch hier kann auf die ökonomische Ausrichtung dieser Bildungspolitik hingewiesen werden. Insbesondere jene Studienrichtungen sollen attraktiv erscheinen, denen für eine „Knowledge-based Economy“ zentrale Bedeutung zugeschrieben wird. Technologie & Politik gleich zeigt jedoch nicht bloß nationale Unterschiede politischer Kulturen auf, sondern auch, dass jene Praktiken, durch die eine gemeinsame Wissensgrundlage für kollektive Entscheidungen hergestellt wird, nicht a priori gegeben sind, sondern selbst gestaltbar sind. Mit Hilfe Jasanoffs analytischem Konzept kann nun danach gefragt werden, wie eine Gesellschaft beispielsweise zur Auffassung gelangt, dass die Konzentration von Forschungsmitteln auf den Bereich der Biotechnologie sinnvoll ist. Die (Wissens-)Basis, auf die sich eine solche Auffassung gründet, ist Jasanoff folgend Resultat spezifischer kultureller Praktiken. Es geht also um jene Handlungen, durch die WissenschafterInnen der Öffentlichkeit glaubhaft machen, dass ihre eigenen Forschungstätigkeiten zur Lösung relevanter gesellschaftlicher Probleme beitragen und folglich die Bereitstellung von Forschungsmitteln dafür politisch gerechtfertigt werden kann. Für ein besseres Wissenschaftsverständnis der Öffentlichkeit Sorge zu tragen bedeutet vor diesem Hintergrund, jene Wissensbasis aufzubauen, auf deren Grundlage kollektive Entscheidungen – wie etwa über die Widmung von Forschungsmitteln – als legitim gelten können. Bezahlte Anzeige Politische Kultur Im Anschluss an eine Analyse der Ziele der angesprochenen Bemühungen um ein besseres Wissenschaftsverständnis der Öffentlichkeit stellt sich konsequent die Frage, wer denn nun diese Ziele festlegt. Dahinter steht letztlich eine Machtfrage: Wer definiert, was zu wissen ist, wozu man wissen soll und welche Ziele damit zu erreichen sind? Demzufolge lässt sich formulieren: Werden die Zielsetzungen hinter den Bemühungen um ein besseres Verständnis von Wissenschaft und Technik fremdbestimmt, so sind die kulturellen Praktiken, durch die für ein besseres Verständnis gesorgt werden soll, einer gewissen Instrumentalisierungsgefahr ausgesetzt. WissenschafterInnen, die ihre Arbeit einer breiteren Öffentlichkeit näher bringen, sind jedoch keineswegs nur ausführende Organe politischer Legitimierungspraktiken, sondern sie profitieren selbst davon, wenn die adressierte Öffentlichkeit die Förderung der jeweiligen Forschungsbereiche als sinnvoll versteht. Die Wirksamkeit jener kulturellen Praktiken, durch die politische Legitimität für wissenschaftspolitische Entscheidungen hergestellt werden soll, liegt darin begründet, dass jene, die diese Praktiken ausüben, auch selbst einen Nutzen daraus ziehen können. Dieser Umstand erklärt nicht zuletzt auch die Persistenz dieses (Politik-)Models (Rose 1999). Offen bleibt allerdings, ob eine breite Öffentlichkeit, um deren Wissenschaftsverständnis gerungen wird, ebenfalls etwas davon hat. Es bleibt eine Herausforderung für die Zukunft, zu einer politischen Kultur beizutragen, durch die eine gesellschaftliche Wissensgrundlage aufgebaut wird, auf deren Basis kollektive Entscheidungen sozial inklusiv getroffen werden können. Literatur • Gaskell, George et al.: Europeans and Biotechnology in 2005: Patterns and Trends. Eurobarometer 64.3. Brussels, Luxembourg: European Commission 2006. • Hampel, Jürgen, Ortwin Renn (Hg.): Gentechnik in der Öffentlichkeit. Wahrnehmung und Bewertung einer umstrittenen Technologie. Frankfurt, New York: Campus 1999. • Irwin, Alan, Brian Wynne: Misunderstanding Science? Cambridge: Cambridge University Press 1996. • Jasanoff, Sheila: Designs on Nature. Princeton, Oxford: Priceton University Press 2005. • Löffler, Stefan: Das englische Patent. In: heureka. Das Wissenschaftsmagazin im Falter, Heft 5/2000, 16-17. • Rose, Nikolas: Powers of freedom. Cambridge: Cambridge University Press 1999 • Royal Society: The Public Understanding of Science. London: Royal Society 1985. • Weingart, Peter: Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft. Weilerswist: Velbrück 2001. • Wynne, Brian: Public Understanding of Science. In: Sheila Jasanoff, Gerald E. Markle, James C. Petersen, Trevor Pinch (eds.): Handbook of Science and Technology Studies. London: Sage 1995, 361-388. ■ Soziale Technik 3/2008 19 Umwelt & Energie Was ist Nachhaltigkeit? „ ... das ist doch etwas, das lange dauert.“ Die Diskussion rund um den Begriff Nachhaltigkeit begleitet das IFZ seit seiner Gründung. Forschungs- und Beratungsaktivitäten unterstützen öffentliche Einrichtungen, Unternehmen und Regionen bei ihrem Weg Richtung nachhaltige Entwicklung. Forschung für Bildung für nachhaltige Entwicklung, Nachhaltigkeitskommunikation und Lebensstilforschung sind wichtige Zukunftsthemen. Wilma Mert studierte Psychologie an der Karl-Franzens-Universität Graz und der University of Kent at Canterbury, mit Schwerpunkt Soziale und Angewandte Psychologie. Sie war als Projektmanagerin und Öffentlichkeitsarbeiterin bei verschiedenen Umweltunternehmen tätig. Sie ist seit Mai 2003 Mitarbeiterin des IFZ und für alle Agenden der Unternehmenskommunikation zuständig. Mitarbeit in den Foschungsbereichen Energie und Klima und Ökologische Produktpolitik. Arbeitsschwerpunkte: Nachhaltiger Lebensstil und Nachhaltigkeitskommunikation, Öffentlichkeitsarbeit. Wenn der Ö3-Mikromann auf Österreichs Straßen sein Unwesen treibt, staunt man immer wieder, welche Antworten Passanten auf scheinbar einfache Fragen geben. Womit wäre wohl zu rechnen, wenn man den Mann/die Frau von der Straße nach dem Begriff der Nachhaltigkeit fragt? Wir haben es ausprobiert und die ersten fünf Personen, die uns auf der Straße begegneten gefragt, „Wissen Sie, was Nachhaltigkeit ist?“ Wenig erstaunlich war das Ergebnis – der Begriff scheint in der Gesamtbevölkerung nach wie vor eher unbekannt zu sein. Wissen Sie was Nachhaltigkeit ist? „Nachhaltigkeit? Ich hab das schon mal gehört, aber jetzt fällt es mir nicht ein.“ „Na ja, Nachhaltigkeit?... nachhaltig ... das ist doch etwas, das lange dauert. Oder ist das falsch?“ „Da müssen Sie jemand anders fragen, ich kenn mich bei so was nicht aus.“ „Keine Ahnung. Da haben’s den Falschen erwischt.“ „Das ist so eine Wissensfrage. Raten bringt mich da auch nicht weiter. Ich weiß es nicht, tut mir leid.“ E-mail: [email protected] Ulrike Seebacher studierte Technische Chemie an der Technischen Universität Graz. Seit 1998 wissenschaftliche Mitarbeiterin des IFZ, seit 2006 Leiterin des Forschungsbereiches „Ökologische Produktpolitik“. Arbeitsschwerpunkte: Forschungs-, Entwicklungs- und Beratungsprojekte zur Förderung der nachhaltigen, sozial- und umweltverträglichen Entwicklung von Organisationen. E-mail: [email protected] Ein Jahr vor der Gründung des IFZ 1988 kam der sogenannte Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung heraus, der bekannt ist für seine Definition des Begriffs der Nachhaltigen Entwicklung. Damit wurde ein Meilenstein des weltweiten Diskurses über Nachhaltigkeit gesetzt. Bei Nachhaltigkeit geht es um gesellschaftliche Entwicklung, die ökonomische, ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt. Nachhaltigkeit kann lokal, Soziale Technik 3/2008 20 regional, national oder global verwirklicht werden. Während aus ökologischer Perspektive zunehmend ein globaler Ansatz verfolgt wird, steht hinsichtlich der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit oft der nationale Blickwinkel im Vordergrund. „Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Brundtland-Bericht 1987 Obwohl der Brundtland-Bericht eines der am häufigsten zitierten Werke der Umweltund Entwicklungsliteratur ist, herrscht nach wie vor Verwirrung und Ungenauigkeit, wenn es um den Begriff der Nachhaltigkeit geht. Partizipation wird als wesentlicher Eckpfeiler einer nachhaltigen Entwicklung gesehen, doch die Einbindung der Betroffenen scheitert oft schon an der unterschiedlich verwendeten Terminologie. Vielfach wurde und wird kritisiert, dass der Begriff Nachhaltigkeit zu abstrakt, komplex und unklar ist, um einer breiten Bevölkerung das Konzept einer dauerhaft umweltgerechten Lebensweise zu vermitteln. Umfragen zum Umweltbewusstsein zeigten beispielsweise, dass der Bekanntheitsgrad stark mit dem Bildungsgrad korreliert. Je höher die Bildung ist, desto eher kennen Personen den Begriff. Unabhängig von der Bekanntheit werden die Grundprinzipien der Nachhaltigkeit jedoch von einem Großteil der Bevölkerung als wichtig erachtet (vgl. Michelsen 2005). Mittlerweile wird der Begriff Nachhaltigkeit daher zunehmend durch den Terminus einer zukunftsfähigen Entwicklung abgelöst. Der Begriff der Nachhaltigkeit spielte bereits in den Anfängen des IFZ eine Rolle – wenngleich der Fokus der damaligen Projekte in erster Linie auf umwelt- und sozialverträgliche Technikgestaltung gerichtet war. Das Thema Ökologie dominierte zwar, doch ging es auch immer um den Aspekt der Partizipation, nämlich die Einbindung von Betroffenen in den Forschungsprozess. Denn neben technologischen Innovationen ist die Einbindung aller Interessengruppen eine wichtige Voraussetzung, da- Umwelt & Energie mit nachhaltig(er)e Lösungen Erfolg haben können. Mittlerweile bildet die Nachhaltigkeit ein Querschnittsthema, das in allen unseren Forschungsbereichen zu finden ist. Sei es nachhaltige Beschaffung, nachhaltiges Bauen, nachhaltige Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien, soziale Verantwortung von Unternehmen oder die Erforschung von Faktoren, die dazu beitragen, nachhaltige Lebensstile in der Gesellschaft besser zu verankern. Die öffentliche Beschaffung wird europaweit auf Grund ihres Anteils am BIP von etwa 16% als wirksames Instrument zur Förderung des Umwelt- und Klimaschutzes betrachtet. Das IFZ beschäftigt sich daher seit seiner Gründung mit der Ökologisierung des Beschaffungswesens und betreibt seit 1997 im Auftrag des Lebensministeriums das BeschaffungsService Austria. Neben der Entwicklung von vergaberechtlich haltbaren Kriterien standen Aktivitäten zur Überwindung von Hemmfaktoren, Prozessbegleitung und Verbreitungsstrategien im Mittelpunkt der Aktivitäten. Seit Ende 2007 begleitet das BeschaffungsService Austria die Erarbeitung eines österreichischen Aktionsplans zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung. Unter den Stichworten Nachhaltige Unternehmensführung und CSR – Corporate Social Responsibility – ist die gesellschaftliche und soziale Verantwortung von Unternehmen zunehmend Gegenstand öffentlicher Diskussion. Ein Unternehmen, welches sich Verbesserungen im Bereich Soziale Nachhaltigkeit vorgenommen hat, steht im Prinzip vor den gleichen Schwierigkeiten wie eine Privatperson, die ihren Lebensstil nachhaltiger gestalten will und nicht weiß, was sie beitragen und wo sie überhaupt beginnen kann. In dieser Phase sind zwei Dinge besonders hilfreich: zum einen gut aufbereitete und leicht verständliche Informationen über Handlungsmöglichkeiten und zum anderen konkrete Unterstützung von außen, um den Prozess einer zum Teil neuen Unternehmenskultur in die Wege zu leiten. Mit der Entwicklung von Business Guidelines und der begleitenden Evaluierung eines Programmes zur Integration Sozialer Nachhaltigkeit in das strategische und operative Management von KMUs leistete das IFZ auch hier einen Beitrag. Nur ein Wandel der traditionellen Konsum- und Produktionsmuster kann den Klimawandel stoppen. Bislang ist aber unklar, wie man möglichst viele Menschen dazu motivieren kann, einen zukunftsfähigen Lebensstil zu wählen. Das vom IFZ geleitete Projekt NENA – Netzwerk Nachhaltige Lebensstile erforschte, wie Bildungseinrichtungen, NGOs, Vereine, Forschungseinrichtungen und Unternehmen nachhaltige Lebensweisen erfolgreicher verbreiten können. Immer mehr Menschen interessieren sich für Gesundheitsaspekte, zunehmend in Verbindung mit nachhaltigem Konsum (vgl. Zukunftsinstitut 2007). LOHAS – Lifestyle of Health and Sustainability (Ausrichtung der Lebensweise auf Gesundheit und Nachhaltigkeit) bezeichnet einen postmodernen Lebensstil, der sich im Konsumtyp der „Kulturell Soziale Technik 3/2008 21 Umwelt & Energie Kreativen“ manifestiert. Kulturell Kreative vereinen Wertvorstellungen, die bislang unvereinbar schienen, nämlich Lifestyle und Umweltverträglichkeit, individuelles Wohlergehen und Sorge um den Planeten. Aktuelle Projekte des IFZ beschäftigen sich damit, wie man diesen neuen Konsumtyp als „Trendsetter“ für zukunftsfähige Lebensweisen nutzen kann und erforschen das Potenzial von CSR-Aktivitäten in Unternehmen, nachhaltiges Handeln im beruflichen und privaten Alltag zu unterstützen. In Zukunft wird vor allem das Thema Nachhaltige Bildung eine wesentliche Rolle spielen. Für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft braucht es die Beteiligung und Einbindung einer Vielzahl unterschiedlicher Interessengruppen. Dies erfordert wiederum Menschen dazu zu befähigen, sich aktiv an einer Zukunftsgestaltung zu beteiligen und bestehende Denkmodelle und Wertvorstellungen zu hinterfragen. Die Verankerung nachhaltiger Themen im Schul- und Bildungsbereich, im Sinne eines lebenslangen Lernens, wurde mit der UN-Bildungsdekade „BINE – Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ von 2005-2014 ins Leben gerufen. „...Menschen jeden Alters, Geschlechts und Kultur sollen darin unterstützt werden, alternative Visionen einer nachhaltigen Zukunft zu entwickeln und an der Realisierung dieser Visionen gemeinsam mit anderen phantasievoll zu arbeiten“. (Kurzbeschreibung UN-Dekade „Bildung für Nachhaltige Entwicklung 2005-2014“ auf: www.ubz-stmk.at) Eine Bildung für nachhaltige Entwicklung greift Themen wie Klimawandel, Umgang mit der Ressource Wasser, Energiefragen oder auch die Frage nach einer inter- und intragenerationellen Gerechtigkeit auf. Dabei kann es nicht nur darum gehen, diese komplexen Themenbereiche auf der Wissensebene zu vermitteln, auch emotionale und handlungsbezogene Komponenten spielen eine entscheidende Rolle. Mit Komplexität umgehen und Unsicherheiten aushalten zu lernen, ist eine Schlüsselqualifikation einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Wichtig ist dabei der Erwerb von Gestaltungskompetenz. Dazu gehören (vgl. Haan, Harenberg 1999): vorausschauendes Denken, weltoffene Wahrnehmung, transkulturelle Soziale Technik 3/2008 22 Verständigung und Kooperation, interdisziplinäres Arbeiten, Partizipations-, Planungsund Umsetzungskompetenzen, die Fähigkeit zu Empathie, Mitleid und Solidarität, sich und andere motivieren können und die Kompetenz zur distanzierten Reflexion über individuelle wie kulturelle Leitbilder. In der Nachhaltigkeitsforschung ist die Frage, wie nachhaltige Entwicklung gesellschaftlich tatsächlich verankert werden kann, nach wie vor ungelöst. Die systematische Erforschung konkreter institutioneller Umsetzungsbedingungen und wirksamer Diffusionsstrategien ist hier als wesentliches zukünftiges Betätigungsfeld zu sehen. Literatur • Michelsen, G., J. Godemann (Hg.): Handbuch Nachhaltigkeitskommunikation. Grundlagen und Praxis. München: oekom 2005. • Haan, G. de, D. Harenberg: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung u. Forschungsförderung. Bonn 1999 (= Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung, Heft 72). • Wenzel, Eike, Anja Kirig, Christian Rauch / Zunkunftsinstitut (Hg.): Zielgruppe LOHAS. Wie der grüne Lifestyle die Märkte erobert. Kelkheim 2007. ■ Frauen & Technik Von der Frauenförderung zur Institutionenförderung Zu Maßnahmen zur Erhöhung der Repräsentanz von Frauen in Naturwissenschaft und Technik Seit den 80er Jahren rutscht der niedrige Anteil von Frauen in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) in der öffentlichen Aufmerksamkeitsskala langsam nach oben. Die Hauptthemen sind: Warum gibt es so wenige Frauen in den MINT-Fächern? Und wie kann das (so schnell als möglich) geändert werden? Christine Wächter ist Leiterin des IFZ, Ao. Universitätsprofessorin für Weiterbildung an der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und wissenschaftliche Leiterin des Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Klagenfurt. Arbeitsschwerpunkte: Technik-Bildung und Geschlecht, Feministische Perspektiven nachhaltiger Technikgestaltung, Konzepte zur quantitativen und qualitativen Verbesserung der Situation von Frauen in technischen Ausbildungs- und Berufswegen. E-mail: [email protected] Dahinter steckt neben einem Anspruch auf Geschlechtergerechtigkeit auch in der Arbeitswelt unter anderem die Furcht der Industrie und der Arbeitgeberorganisationen, in Zukunft, auf Grund des kontinuierlichen Rückgangs der Studierendenzahlen in den Ingenieurfächern, nicht genügend qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben. Frauen wurden als zu wenig beachteter und genutzter „Humanressourcenpool“ entdeckt. Diesen Pool nicht anzuzapfen wäre nicht zuletzt volkswirtschaftlich schädlich und würde den Industriestandort Deutschland bzw. Österreich nachhaltig bedrohen und schädigen. Eine Reihe von Initiativen, Programmen, Projekten und Initiativen wurden in die Wege geleitet, wobei die Hauptannahme zunächst darin lag, das Problem bei den Frauen zu sehen: Also, wir müssen sie nur motivieren, informieren und dann werden sie schon kommen. Ein starker Fokus lag und liegt noch immer auf Mädchen und jungen Frauen. Sie sollen informiert und motiviert, ermutigt, unterstützt und in ihrem Technikinteresse bestärkt und bestätigt werden, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Schule. Kritisch muss angemerkt werden, dass das Augenmerk primär bis ausschließlich auf den jungen Frauen liegt. Junge Männer und Burschen werden langsam auch adressiert und zu bislang atypischen Karrierewegen motiviert, z. B. die „Neue Wege für Jungs“-Plattform in Deutschland oder der „Boys Day“ in Österreich, um damit auch gängige Männlichkeitsstereotype zu hinterfragen. Die Erkenntnis, dass bei 14-Jährigen anzusetzen bereits zu spät sein kann, hat zu Aktivitäten im Vorschul- und Grundschulalter geführt, mit dem Ziel, Mädchen und Burschen für Naturwissenschaften zu begeistern. Hier gibt es noch beträchtlichen Handlungsbedarf, z. B. Kinderbücher und Spielsachen, Zeichentrickfilme etc. geschlechtergerecht zu gestalten. Es geht aber auch darum, nicht nur nach Trennendem zu suchen, sondern Gemeinsamkeiten zu fördern und bei allen Kindern Interesse und Spaß an Technischem und Sozialem Handeln zu wecken und zu entwickeln. Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für geschlechtergerechten Unterricht bei LehrerInnen, KindergärtnerInnen und in der Erwachsenenbildung ist ein weiteres wichtiges Handlungsfeld, das noch lange nicht hinreichend beackert ist. Die Gefahr besteht hier wieder in der Konstruktion eines „Frauenthemas“ einerseits und andererseits, dass ohnehin Motivierte und Engagierte eingebunden sind, das Thema aber nicht zu einem etablierten Mainstream wird. Hier sollte eine Kombination aus „top down“ und „bottom up“-Ansätzen zu Reformen in den Institutionen führen, also Organisationsentwicklung/Lernen der/in der Organisation, wollen Männer und Frauen auf allen Hierarchieebenen in diese institutionellen Lernprozesse eingebunden werden. Auch hier müssen die Lehrbücher und Lernmaterialien auf ihre Geschlechtergerechtigkeit hin überprüft und überarbeitet werden. Mentoring-Programme gibt es mittlerweile an vielen Universitäten und Unternehmen, weibliche Vorbilder werden gesucht und präsentiert, Networking wird unterstützt. Problematisch ist hier die Fokussierung auf die individuelle Ebene. Langfristige, nachhaltige Effekte können nur durch institutionelles Lernen erzielt werden. Viele Frauen wollen nicht als Exotinnen auf dem Silbertablett herumgereicht werden. Nicht nur „die Frauen“ dürfen im Zentrum der Aktivitäten stehen, sondern Akteure und Akteurinnen auf allen Ebenen, um strukturelle Veränderungen vor- Soziale Technik 3/2008 23 Frauen & Technik anzutreiben. Geschlechterdisaggregierte Daten müssen erhoben werden, denn wie soll man wissen, ob Maßnahmen greifen, wenn man nicht misst, beobachtet, und die Daten auswertet und interpretiert. In den vergangenen 5 bis 10 Jahren gibt es mehr und mehr Ansätze, die auf Veränderung in den Fachkulturen hinarbeiten. Weitere Organisationsentwicklungsmaßnahmen an (Technischen) Universitäten sind jedoch notwendig, insbesondere eine Studienplanreform in den MINT-Fächern, aber auch in den Sozial-, Human-, Geistesund Kulturwissenschaften, die mit naturwissenschaftlich-technischen Fragestellungen und Fachkulturen konfrontiert werden sollen. Einige Stichworte: Interdisziplinarität, Projektunterricht, Problemspezifisches Lernen). Weiters gilt es z. B., Förderungen an Gender Performance zu knüpfen (so werden von der National Science Foundation – NSF in den USA Konferenzen nur gefördert, wenn Panels und Vortragendenlisten ausgewogen mit Männern und Frauen besetzt sind) bzw. finanzielle Sanktionen bei Nichterfüllung von Auflagen einzuführen. Es bleibt zu hinterfragen, wie viele der Firmenaktivitäten ernstgemeint sind oder bloße PR und Lippenbekenntnisse sind. Auch bei vielen Aktivitäten von Unternehmen liegt der Fokus zu oft auf den Individuen und nicht auf der Organisationskultur, auf diskriminierenden Abläufen, Verfahren und Strukturen. Ingenieurinnen und Naturwissenschafterinnen stehen seit einiger Zeit im Zentrum zahlreicher Aktivitäten wie Netzwerke bilden und Mentoring-Programme installieren. Peer mentoring hat sicher seine guten Seiten, aber es darf nicht bei einer Verschwesterung der Machtlosen bleiben. Darüber hinaus ist eine einseitige Orientierung auf Frau=Kinder zu beobachten. WorklifePrivatelife-Balance ist nicht nur ein „Frauen-Thema“. Pflegeverpflichtungen (Kinder, ältere Eltern, andere pflegebedürftige Familienangehörige) dürfen nicht als individuelles und weibliches Problem zementiert werden. Worklife-Privatelife-Balance ist auch ein Männer-Thema und Pflegeverpflichtungen sind gesellschaftliche Probleme und Verantwortlichkeiten. Mehr Männer auf Baby-Pause bzw. Vaterschaftsurlaub würde auch dazu beitragen, dass das „Baby-Damokles-Schwert“ weniger deutlich über den Köpfen von Frauen gesehen werden würde. Plattformen und Policy Groups wurden ins Leben gerufen, mehrere Berichte wurden veröffentlicht, um auf EU-Ebene nur einige zu nennen: die Helsinki Group, die EPWS – European Platform of Women Scientists, der ETAN Report, der ENWISE Report, der Rocard Report, die She Figures, WIR – Women in Industrial Research, WiST und WiST2 – Women in Science and Technology, und WIRDEM (Women In Research Decision Making). Statistiken zu sammeln und gender-sensitive Indikatoren zu entwickeln ist zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung. Genauso wie Ansätze, Unternehmen und Universitäten und Politik und Verwaltung zusammenzubringen, nicht zuletzt auch, um die Kluft zwischen Ost und West, Nord und Süd überbrücken zu helfen. NGOs (Fraueninitiativen) gehören allerdings in diesen Prozess noch weit stärker integriert und involviert (Stichwort Civil Society). Problematisch ist jedoch die Reliabilität der Nationalen Statistiken, und es besteht zudem die Gefahr, dass Daten beschönigt werden. Transdisziplinäre und Sektoren-übergreifende Zusammenarbeit sowie langfristige Projekte gehören verstärkt und gefördert. Wissenschaft und Öffentlichkeit (Public Image of Science/Scientists): Wenige Frauen in den MINT-Fächern hat natürlicherweise zur Folge, dass weniger Vorbilder zur Verfügung stehen bzw. sichtbar sind. Deshalb zielen einige Aktivitäten darauf ab, diejenigen Frauen, die es gibt, auch sichtbar zu machen, z. B. TechWoman of the Month, TechWoman of the Year, etc. Eine jüngere Entwicklung zielt auf Ingenieurinnen/Naturwissenschafterinnen als Akteurinnen in TV-Serien und Filmen (PAWS – Public Awareness of Science & Engineering: www.users.globalnet.co.uk/~ pawsomni; EuroWistdom: TV Drama and the World of Science: www.eurowistdom.eu). Parallel dazu gibt es Science Weeks, Science Nights, Kinder-Unis, „Sparkling Science“, „Forschende Schule“, etc., um Wissenschaft und Forschung generell in der Öffentlichkeit wieder einen höheren Stellenwert zu verschaffen. Kalte Duschen und Heiße Kartoffeln Alle diese Aktivitäten haben nicht zu einem dramatischen Anstieg der weiblichen Studierendenzahlen geführt. Das war eine kalte Dusche. Als Erfolg ist jedoch zu werten, dass die Studentinnenzahlen nicht dermaßen stark in den Keller purzeln wie die Zahlen der Studenten in vielen Ingenieurfächern, sondern dass sie einigermaßen stabil bleiben. Soziale Technik 3/2008 24 Eine weitere kalte Dusche war die Erkenntnis, dass es kein simples Rezept und keine einfachen Antworten gibt. Veränderungen dauern und brauchen Zeit. Historisch gewachsene Organisationskulturen sind gegenüber Veränderungen resistent. Menschen lieben Kontinuität: „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, wie es so schön im Volksmund heißt. Veränderungen sind Herausforderungen, sind bedrohlich, verunsichern und bringen Unruhe ins System – zumindest für diejenigen, die vor allem Vorteile aus bestehenden Traditionen, Strukturen und dem Status quo ziehen. Zudem werden Individuen, die im bestehenden System sozialisiert wurden und dieses als unterstützend und förderlich erleben, Veränderungen in ihrem eigenen Verhalten sowie in den Verfahrensweisen und Mustern der Organisation nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen. Eine Reaktion auf diese kalten Duschen ist das Werfen der Heißen Kartoffel (Thaler, Wächter 2004), nämlich des „Frauen-undTechnik-Themas“, in ein anderes gesellschaftliches Subsystem als dasjenige des eigenen Handlungs- oder Verantwortungsbereichs. Also die Firmen sagen, „Wir würden ja Ingenieurinnen einstellen, aber es bewerben sich so wenige. Die Universitäten müssen uns mehr Absolventinnen liefern.“ Und die Hochschulen sagen, „In den Schulen müssen die Mädchen mehr an Naturwissenschaft und Technik herangeführt werden!“ Und die Schulen beschuldigen die Eltern und die Kindergärten, und so weiter und so fort. Immer aus dem eigenen Bereich hinaus – und Schwupp, Fang! Es ist ja eine verständliche, allzu menschliche Verhaltensweise, Gründe und Ursachen anderswo, (auch) außerhalb des eigenen Handlungsfelds zu suchen. Klar ist aber auch, dass selbstverständlich überall angesetzt werden muss und es keine Frage des „Entweder-Oder“, sondern des „Sowohl als Auch“ ist! Es ist ein kompliziertes, komplexes Netzwerk aus AkteurInnen und Beziehungen. Aktivitäten müssen in allen Bereichen und langfristig gesetzt werden. Denn es gibt keinen „Quick Fix“, es gibt weder eine gender-bewusstseinserweiternde Droge, die wir ins Trinkwasser geben können, noch können wir auf Gentechnische Verfahren als Baustein für eine geschlechtergerechte Gesellschaft hoffen. Von den demokratiepolitischen Dimensionen, die so ein Szenario hätte, gar nicht zu reden. Bleibt uns also nur langer Atem, Geduld, Hartnäckigkeit, um bestehende Praktiken, Strukturen, Systeme und Organisationen zu verändern. Frauen & Technik Forderungen und Empfehlungen Wir brauchen also Durchhaltevermögen und mehr Fördermittel für langfristigere, sektoren-, sektionen-, kulturen-, regionenund länderübergreifende Vergleichsstudien zum „Doing gender“ in MINT und wie wir zu einem „Undoing gender“ kommen. Die Europäische Union ist eine gute Gelegenheit für den Austausch von Erfahrungen und für gegenseitiges Lernen – Globalisierung unter positiven Vorzeichen sozusagen. Unterschiedliche historische, kulturelle, soziale, regionale Entwicklungen machen deutlich, dass die geringe Zahl von Frauen in MINT-Fächern in einigen Kulturen sicherlich nicht in einer genetisch determinierten Unverträglichkeit von „Frau und Technik“ liegt, sondern gesellschaft- lich konstruiert bzw. ko-konstruiert ist. Lange bevor Lawrence Summers als Präsident der Harvard University im Februar 2006 zum Rücktritt gezwungen wurde, nachdem er mit sexistischen Äußerungen zur bei Frauen angeborenen Unfähigkeit zu mathematischen Leistungen und naturwissenschaftlichen Karrieren eine heftige Debatte über Nature und Nurture ausgelöst hat, hat die US-amerikanische Wissenschaftshistorikerin Londa Schiebinger 1999 geschrieben: „It is no more true that men with Harvard Ph.D.s are genetically incapable of doing laundry than that women are genetically incapable of doing math (it is revealing, though, that the former is less studied than the latter)“ (Schiebinger 1999, 100). Ein Schwerpunkt zukünftiger (Forschungs-) Aktivitäten sollte auf Gemeinsamkeiten liegen. Auch viele Männer werden von Naturwissenschaft und Technik, wie sie großteils noch immer gelehrt und praktiziert werden, nicht angesprochen. Nicht Trennendes und Unterschiede (Differences), sondern Vielfalt und Vielfältigkeiten gilt es zu untersuchen, wertzuschätzen und sichtbar zu machen. Verstärktes Augenmerk und damit auch Zuweisung finanzieller Mittel muss auf umsetzungsorientierte Projekte gelegt werden, um die bislang entwickelten PolicyVorschläge auch in die Praxis umzusetzen. Weitere Themenfelder sind das Sichtbarmachen, Herausfordern und Verändern von geschlechterdiskriminierenden Vorurteilen (Gender bias), anhaltenden stereotypen Zuschreibungen sowie Diskriminie- Soziale Technik 3/2008 25 Frauen & Technik rungen, wie die beständige unterschwellige Unterbewertung weiblicher Arbeitsleistungen und Kompetenzen. Da der Grad und Status des Geschlechterwissens innerhalb und zwischen den EU-Ländern große Varianzen aufweist, wird es auch weiterhin wichtig sein, Bewusstseinsbildung, Aufklärungsarbeit und Sensibilisierungsaktivitäten zu setzen. Und schlussendlich wird Studienreform bzw. Studienplanreform auch weiterhin ein wichtiges Thema bleiben und muss ernsthafter und flächendeckender betrieben werden. Der Rückgang der Studierendenzahlen gibt mir da Hoffnung, dass die Verantwortlichen doch dermaßen unter Zugzwang kommen, dass sie einsehen, dass sie nicht umhinkommen werden, an den Strukturen und Kulturen ihrer Organisationen etwas zu verändern. Denn darauf, dass sich die Frauen ändern, können sie lange warten! Nicht die Frauen sind das Problem ... verbindliche Instrumente wie „Quoten“, um Verantwortlichkeiten zu fixieren, sowie fiskalische Belohnungs- und Bestrafungsmechanismen. Nur so kommen wir von Lippenbekenntnissen zu nachhaltigen Karrieren für Frauen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Literatur • Thaler, Anita, Christine Wächter: Nach- Bezahlte Anzeige Wie eingangs bereits festgestellt, sind nicht die Frauen das Problem, sondern die Institutionen, deren Kulturen und Praktiken. Diese gilt es zu verändern und zu verbessern. Dafür braucht es auch in Zukunft Engagement, harte Arbeit, gemeinsame Anstrengungen und Verbindlichkeiten von allen relevanten Partnerinnen und Partnern, „top down“ und „bottom up“. Um Good practice-Programme nachhaltig zu implementieren und zu institutionalisieren, brauchen wir langfristige Ziele, Strategien und Fördermittel, gesetzlich Soziale Technik 3/2008 26 haltige Ingenieurinnenkarrieren. In: Wilhelm Berger, Robert Lauritsch (Hg.): Wissenschaft und Nachhaltigkeit. Forschungstag 2005. Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) an der Universität Klagenfurt. Klagenfurt 2006 (= Klagenfurter Beiträge zur Technikdiskussion, Heft 113), 56-72. • Schiebinger, Londa: Has feminism changed science? Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1999. ■ Aus dem IFZ Institute for Advanced Studies on Science, Technology and Society IAS-STS Fellowship Programme 2009-2010 The IAS-STS in Graz, Austria, promotes the interdisciplinary investigation of the links and interactions between science, technology and society as well as technology assessment and research into the development and implementation of socially and environmentally sound technologies. The IAS-STS is broadly speaking an institute for the enhancement of science and technology studies. The IAS-STS invites researchers to apply for a stay between 1 October 2009 and 30 June 2010 as a Research Fellow (up to nine months) or as a Visiting Scholar (shorter period, e. g. a month). The IAS-STS offers excellent research infrastructure. Close co-operation with researchers at the IFZ (Inter-University Research Centre for Technology, Work and Culture; see: www.ifz.tugraz.at), guest lectures, workshops and conferences provide an atmosphere of creativity and scholarly discussion. Furthermore we can offer five grants (up to EUR 1,000 per month) for long-term Research Fellows at the IAS-STS. The Fellowship Programme 2009-2010 is dedicated to projects investigating the following issues: 1. Gender – Technology – Environment Women with their various interests, competencies and potentials play an important part in the process of shaping socially sound and environmentally friendly sustainable technologies – as users and consumers or experts. Applications should focus on research in the field of women in traditionally male fields of engineering, on ways of creating cultures of success for women engineers (students, graduates), and on masculinity and the culture of engineering. 2. New Genetics and Modern Biotechnology A focus of the Fellowship Programme lies on research providing a critical analysis either of human genetic research or of modern biotechnology. Researchers investigating either ethical, legal and social aspects of genetic testing in the medical domain or risk policy and wider governance issues related to agricultural biotechnology are especially encouraged to apply. 3. Sustainable Consumption and Production (SCP) SCP seeks to promote social and economic development within the carrying capacity of ecosystems. New strategies and concrete tools are needed to change individual and institutional patterns of consumption and to enhance corporate responsibility (CR) of organisations. Researchers investigating patterns of consumption and intervention strategies to promote sustainable lifestyles among both public and private consumers or working within the thematic field of ecological product policy are encouraged to apply. Research projects integrating product assessment tools such as LCA, carbon footprint, MIPS or related methods are also of special interest. 4. Energy and Climate Projects in this field should aim at socioeconomic aspects of environmental technologies or at strategies of environmental technology policy, such as user participation or strategic niche management. They should develop measures and strategies for the promotion of renewable energy sources and for the transition to a sustainable energy system. Regional governance, climate policy strategies, innovation policy and the role of users in the area of energy technologies play an important role. In addition, the Manfred Heindler Grant is awarded for research projects on the increased use of renewable energies and on a more efficient use of energy. 5. Information and Communication Technologies (ICT) A focus of the Fellowship Programme will be put on novel developments based on ICT from an STS point of view. Topics like ICT and agency, ubiquitous computing or ICT and mobility shall be analysed with respect to their wider social and political implications. Further issues of interest are the social shaping of ICT developments, innovation policies, risk management and participatory approaches to the design of ICT systems and applications. Applications must be submitted to the IAS-STS by 31 December 2008. For application forms and further information: Please visit our website: www.sts.tugraz.at Institute for Advanced Studies on Science, Technology and Society (IAS-STS) Attn. Guenter Getzinger Kopernikusgasse 9 8010 Graz – Austria E-mail: [email protected] ■ Soziale Technik 3/2008 27 SOZIALE TECHNIK Nummer 3 – August 2008, 18. Jg., Einzelpreis € 5,- / SFr 8,50 P.b.b. Verlagspostamt 8010; GZ 02Z032468M – Erscheinungsort Graz Eigentümer, Herausgeber, Verleger: IFZ, A-8010 Graz, Schlögelgasse 2 Tel.: +43/316/81 39 09-0, Fax: +43/316/81 02 74 E-Mail: [email protected], http://www.ifz.tugraz.at Redaktion: Peter Wilding Aboverwaltung: Reinhard Wächter ISSN 1022-6893 DVR 0637955 Gefördert durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Fotos: Reinhard Wächter Basisdesign & typographisches Konzept: RoRo + Zec Satz: www.koco.at Druck: Bachernegg, Kapfenberg Gedruckt auf Cyclus Print 90g (Recyclingpapier aus 100% Altpapier), Umschlag: Magno matt 115g, chlorfrei gebleicht. Geschäftsbedingungen: Die Bestellung eines Abonnements unserer Zeitschrift SOZIALE TECHNIK hat schriftlich zu erfolgen. Ein Abonnement gilt jeweils für ein Kalenderjahr (4 Nummern). Es verlängert sich automatisch, sofern nicht spätestens 6 Wochen vor Ende des Jahres eine schriftliche Kündigung erfolgt. Nicht vollständige Jahrgänge werden aliquot verrechnet. Bankverbindung: Bank Austria Creditanstalt (12.000), Kto-Nr. 436184907 Das IFZ ist der Grazer Standort des Instituts für Technik- und Wissenschaftsforschung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. 3/08 20 Jahre IFZ