„Abdrücke“ hinterlassen Eindruck

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„Abdrücke“ hinterlassen Eindruck
Von Maria Hirnich
Wie ein Stein, der einem vom Herzen fällt, fühlt es sich an, als das Licht ausgeht und
die Vorstellung beendet ist. Dennoch, ein Gefühl der Beklemmung bleibt. Zwischen
Selbstfindung und Wahn bewegt sich das Stück „Abdrücke“, konzipiert und
choreographiert von Anna Konjetzky, getanzt von Sahra Huby.
Eine mitreißende Darbietung wurde auf dem Theaterfestival „Unidram 2011“ mit dieser
Tanzperformance präsentiert.
Die aus München stammende Künstlerin
Anna Konjetzky, geboren 1980, studierte in
Brüssel und Berlin diverse Tanzstile, wie
zeitgenössischen
japanische
Tanz,
Butoh
Tanztheaterform)
und
(eine
Body
Weather (eine Art des Ausdruckstanzes),
zum Teil sehr unkonventionelle Formen des
Tanzes. In jedem Fall verfolgte sie keine
klassische, sondern ein sehr moderne,
1 Quelle: http://www.annakonjetzky.com/home
„innovative“ Tanzausbildung. So gestalten
sich auch ihre eigenen Choreographien, in denen sie versucht, die Bewegungen des
Körpers nicht unabhängig, sondern in Verbindung mit dem Raum, dem Klang oder
Bildern entstehen zu lassen. Seit 2005 entwirft sie ihre eigenen Stücke, die sie auch
schon erfolgreich präsentieren konnte. So erhielt sie neben zahlreichen Stipendien, im
Jahr 2009 den 1.Preis des Wettbewerbs operare der zeitgenössischen Oper Berlin für ihr
Musik-Tanz-Theater „dann still“ und gewann im selben Jahr mit „Elephantengedächtnis“ den Preis als „Bestes Deutsches Tanzsolo“ im Rahmen der Euro-scene in
Leipzig. In diesem Jahr (2011) arbeitete sie, mit der Unterstützung durch das
Arbeitsstipendium Tanz der Landeshauptstadt München, an einer Tanzrecherche in
Jerusalem. (http://www.annakonjetzky.com)
Anna Konjetzky sieht den „Körper als Reibungsfläche im Kontrast zum Raum, zur
Materie[...] als Installation, Bild und Objekt.“ Mit ihrer 2010 in Zusammenarbeit mit
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der Tänzerin Sahra Huby entstandenen Choreographie „Abdrücke“ schafft sie genau
diesen Eindruck. Eingeschlossen in einen winzigen Raum wird der eigene Körper
untersucht, indem Abbilder von ihm – in Form von Zeichnungen – geschaffen werden
sollen. In dieser Tanzperformance thematisiert die Künstlerin zudem das Bedürfnis sich
selbst zu finden und festzuhalten.
Eingesperrt
in
einen
von
innen
verspiegelten
Glaskasten, bewegt sich die Tänzerin Sahra Huby teils
geschmeidig, teils hektisch verstört, immer in dem
Versuch, sich so genau kennen zu lernen, dass sie ihre
Umrisse auf weißes, bzw. schwarzes Papier zeichnen
kann. Sie beobachtet sich verbissen in den sie
umgebenden Spiegeln oder zeichnet ihre Umrisse auf
einem Blatt sitzend nach, wie die Kinder ihre Hände
nachzeichnen und so ihren Körper kennlernen. In
anderen Momenten weicht sie vom bloßen Betrachten
ab und tastet ihren ganzen Körper, ihre Konturen ab,
2 Foto: Gnaudschun. Sahra Huby
zeichnet an ihrem Körper entlang, um
ihn besser begreifen zu können.
um sie dann wiederum zeichnen zu können. Während
sie mit den abstrakten Formen eines Ovals und eines
Striches auf weißem Papier beginnt, führt es sie über Zeichnungen auf schwarzem
Papier und Entlangführen des Stiftes an ihrem Körper. Dabei werden ihre Abbildungen
immer präziser, aber sie scheinen nicht nur ihren Körper zu zeigen, die verzerrten
Formen scheinen auch ihr Innerstes darzustellen. Doch zufrieden wirkt sie nie.
3 Foto: Gnaudschun. Ihre Zeichnungen - verzerrt, aber kunstvoll
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An dieser Aufgabe scheinbar verzweifelnd wird ihr Atmen so intensiv, fast zu einem
Keuchen vor Anstrengung, dass das Glas immer mehr beschlägt und schließlich nahezu
undurchsichtig ist. So wechselt sie, als sie alle weißen und schwarzen Blätter verbraucht
hat, ihr Medium und zeichnet an den
Glasscheiben ihres Kubus weiter. Die relative
Genauigkeit ihrer Skizzen auf dem Papier
weicht nun erneut abstrakten Formen und
Schlangenlinien. Schlussendlich gibt sie ihren
Kampf auf. Sie zerbricht an sich selbst, an den
Anforderungen, die sie ihrem Körper und
ihrem Geist abverlangt.
Doch trotzdem tritt eine gewisse Ruhe ein, als
sie sich ergibt. Sei es die Erschöpfung,
vielleicht aber auch die Erkenntnis doch etwas
erreicht zu haben, denn Eindruck hat sie beim
Publikum gewiss hinterlassen. Ihre Tanzperformance ging dem Zuschauer sehr nah und
mit den „Abdrücken“ ihres Körpers, hat sie
4 Foto: Gnaudschun. Aller Zeichnungen
entledigt, aller Kräfte beraubt
sogar noch zusätzlich materiellen Eindruck hinterlassen. Indem sie die Zeichnungen, die
sie während der Performance angefertigt hat, nach und nach durch die Schlitze im
Glaskubus hinausgeworfen hat, stellt sie eine Art Kontakt zum Publikum her und macht
diesen Theaterbesuch zu einem einmaligen. Trotzdem ist ihr Ziel dabei nicht ganz
eindeutig zu erkennen. Vielleicht will sie sich ihrer einfach entledigen? Oder aber sie
sendet auf diese Weise Nachrichten an die Welt außerhalb ihres Gefängnisses? Denn
genauso wirkt dieser Glaskasten.
Es ist daher sehr interessant, sich der Raumkonzeption dieser Aufführung zu widmen.
Die Aktionsfläche der Tänzerin beschränkt sich auf einen minimalen Raum, in dem
nicht einmal der Platz bleibt, sich aufrecht hinzustellen. Ihre „Bühne“ befindet sich
dagegen mitten in einem relativ großen Fabriksaal, der dem Publikum seinerseits jede
Menge Freiraum lässt, sich um sie zu versammeln, nah heran zu treten oder aus einiger
Entfernung das Schauspiel zu beobachten. Ein konkreter Platz wird dem Zuschauer
allerdings nicht zugewiesen, er kann seinen Abstand und seine Haltung selbst wählen,
sieht sich aber immer einem anderen Zuschauer gegenüber. Anders als im Theater, wo
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die Zuschauer anonym nebeneinander sitzen, erleben wir hier eine Konfrontation mit
den Reaktionen der anderen und können uns auch selbst nicht verstecken. Wir sind
gezwungen, uns mit der Raumsituation auseinanderzusetzen. Das Erlebnis, dass ein
älterer Herr, der sich die gesamte Zeit aktiv vor und zurück, hin und her bewegte, dann
auch noch als Erster nach einer Zeichnung greift, die die Tänzerin aus dem Glaskubus
geschickt hat, zeigte, wie unterschiedlich Menschen sich im Raum verhalten und ihn
empfinden. Während andere an die Wand gedrängt, zwar auch ihren Platz gefunden zu
haben schienen, aber zurückhaltend – einer gewöhnlichen Theatersituation entsprechend
– still standen, verursachte die Befreiung vom Sitzen an einem festen Platz bei diesem
Mann eine erstaunliche, für das Theater ungewöhnliche Bewegungslust und Aktivität.
So etwas ist nur im modernen, innovativen Theater möglich und zeigt, dass eine
Weiterentwicklung dieses Kunstbereichs immer wieder neue, spannende Perspektiven
und Formen der Wahrnehmung zulässt.
Während die Raumakzeptanz beim Publikum sich zwischen den Gefühlen der Freiheit
und der Verlorenheit bewegt, erscheint die räumliche Situation für die Tänzerin
ziemlich eindeutig einer Art Gefängnis zu entsprechen. Sie ist nicht nur eingeschlossen,
sondern auch den Blicken der Menschen außerhalb komplett ausgesetzt, ohne eine
Chance, dieser Situation zu entfliehen. Zudem wird die Tanz-Performance von Anna
Konjetzky aus einer Ecke des Glaskörpers durch eine Kamera dokumentiert und
ebenfalls über Eck direkt auf eine Leinwand im Fabrikraum projiziert.
Eine Verhörsituation par excellence kann man sagen. Die junge Frau ist uns komplett
ausgeliefert: wir sehen sie in grellem Licht, können über sie urteilen, sie durch die
Videoinstallation gleich doppelt beobachten. Sie hingegen kann nicht einmal sehen, wer
oder wie viele Menschen sich vor ihrem Aufführungsraum versammelt haben.
Es erscheint fast peinlich, so genau hinzuschauen. Man fühlt sich gelinde gesagt wie ein
Voyeur, vor allem da ihre Bekleidung sich auf hautfarbene Unterwäsche beschränkt. Ihr
Gesicht ist blass, nichts wird durch Schminke betont und ihre Haare sind einfach
zurückgebunden. Dieser Verzicht auf die visuellen Zeichen ‚Kostüm‘ und ‚Maske‘,
diese Naturbelassenheit, lassen sie noch nackter und damit auch noch viel angreifbarer
erscheinen. Mit nichts als ein paar Blättern Papier als Requisite ausgestattet, präsentiert
sie sich dem Publikum. Als Zuschauer hat man den Eindruck in ihr Innerstes
hineinschauen zu können, doch in so extremer Form, dass man sich vorgeführt fühlt,
wenn man zu genau hinsieht. Andererseits ist uns die Künstlerin durch diese Nicht4
Entfremdung besonders nahe und bewirkt eine gewisse Reflexion des Zuschauers über
sich selbst. Man beginnt über seine eigenen Ängste und Blockaden nachzudenken, da
einem die eines anderen so klar vor Augen geführt werden.
Im Gegensatz zu diesem zerbrechlichen, entblößten Äußeren stehen ihre kraftvollen
mimischen und gestischen Aktionen. Mit großen, ausdrucksstarken Augen beobachtet
sie sich selbst und füllt mit ihren Bewegungen, die zwischen leichter, zeitlupenartiger
und verkrampft hektischer Gestik alternieren, jede Ecke und jeden Winkel des Raumes
aus. Wenn sie zeichnet, agiert sie mit ihrem ganzen Körper. Formt sie rollende
Bewegungen mit ihrem Körper, entsteht auf ihrem Blatt das Bild eines Kreises, bei der
Ausführung von Contraction/Release einer Technik des Modern Dance zeichnet sie
einen Strich.
Interessant ist, dass sie in ihrer verzweifelt konzentrierten, fast manischen Beobachtung
ihres Spiegelbildes, ihres Körpers und ihrer Zeichnungen kaum einen Versuch startet,
selbst aus der beklemmenden Umgebung zu entkommen, sich an eine Welt außerhalb
des Glaskubus zu wenden. Nur ihre herausgeworfenen Skizzen treten mit der
Außenwelt in Kontakt, doch in dem Moment, da sie den Glaskubus verlassen, sind sie
zwar für das Publikum eine Möglichkeit ihr näher zu
kommen, doch für sie entsteht diese Verbindung
nicht.
Die
Tänzerin
Zuschauerraum,
doch
weiß
für
zwar
sie
um
besteht
den
keine
Möglichkeit mit dem Publikum zu interagieren. In
ihrem verspiegelten Kasten ist sie selbst von der
Außenwelt abgeschnitten, während der Zuschauer auf
ihre Aktionen reagieren kann, sodass man hier von
einer
asymmetrischen
Kommunikationssituation
sprechen kann.
Alles in allem scheint die Choreographie von Anna
Konjetzky so angelegt zu sein, dass sie kein Publikum
5 Eine herausgeworfene Skizze der
Tänzerin
voraussetzt und doch funktioniert Theater und ebenso
Tanztheater nur mit der Präsenz eines Rezipienten. Denn es ist keine Kunstform, die
sich beliebig zu jeder Zeit wiederholen oder anhalten lässt, sie vergeht mit dem
Augenblick und obwohl hier der Zuschauer scheinbar ausgeschlossen ist, für sich allein
den Vollzug der Performance erlebt, beeinflusst er die Aufführung. Indem er still steht
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oder sich durch den Raum bewegt, nah an den Spielraum herantritt oder aus größerer
Entfernung zuschaut, auch das Aufheben eines von ihr herausgeworfenen Blattes, ein
Husten oder Scharren mit dem Fuß, all das verändert das Aufführungserlebnis für jeden
Einzelnen. Für die Künstlerin allerdings sind diese Unruhen im Zuschauerraum nicht
relevant, da sie ohnehin über keine Möglichkeit der Interaktion mit ihrem Publikum
verfügt.
Spannend ist in dieser Performance auch die Fragestellung, wer in dieser Aufführung
wem und was mitteilen will. All diese Komponenten einer Kommunikationssituation
mit dem Ziel einer Informationsübertragung wie wir sie sowohl im Alltag als auch im
Theater finden, sind nicht klar vorgegeben. Wer ist derjenige, der uns etwas erzählen
möchte? Die Choreographin oder die Tänzerin? Denn obwohl die Idee und die Struktur
des Tanzes von Anna Konjetzky zugrunde gelegt wurden, ist doch ein großer Teil der
Bewegungen improvisiert und variiert mit jeder Vorstellung nach dem Gefühl und
Empfinden der Tänzerin, Sahra Huby.
Zudem wird in diesem Stück keine eindeutige Geschichte mit einem strengen
Handlungsablauf vorgeführt, sondern eher Emotionen und Empfindungen zum
Ausdruck gebracht. Die Tänzerin stellt also nicht zwangsläufig eine bestimmte Person
in ihrer Rolle dar, sondern das Innere einer beliebigen Person, vielleicht sogar ihr
eigenes, wahrscheinlich das vieler Menschen. Durch die fehlende Definition einer
Handlung stellt sich auch die Frage, was eigentlich gezeigt werden soll. Wie bereits
erwähnt, werden durch die Bewegungen der Tänzerin diverse Emotionen und
Bedürfnisse zum Ausdruck gebracht: Zwang, Obsession, Klaustrophobie, Selbstsuche,
Sucht nach Perfektion, das Finden einer Position in der Gesellschaft und das
Hinterlassen von Spuren, also das Ziel nicht zu gehen, ohne Eindruck hinterlassen zu
haben. Vielleicht aber soll das Thema, denn von einer Geschichte kann man hier nicht
sprechen, auch der beobachtende Zuschauer sein, der Voyeur selbst, wie er der
verzweifelten Frau zusieht ohne einzugreifen, um ihr zu helfen; sogar ohne ihr
„Wissen“ um seine Existenz, sie einfach nur ansieht – eine Frage der Zivilcourage oder
eben der Ignoranz in der Gesellschaft.
Eben dieses scheinbare Unwissen um den Zuschauer lässt auch die Frage zu, für wen
diese Performance tatsächlich aufgeführt wird. Natürlich ist objektiv zu sagen, dass
dieses Stück wie jedes andere vom Publikum lebt, doch der Eindruck während des
Zuschauens ist ein anderer. Da wirkt die Tänzerin mehr, als würde sie in ihrer Welt
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allein für sich agieren. Dies lässt wiederum dem Publikum die Möglichkeit ganz für
sich mit diesem Stück umzugehen. Es herrschen kein Zwang einer „angemessenen“
Reaktion und die Angst vor Unverständnis. Dadurch, dass man als Zuschauer nicht
direkt angesprochen wird, besteht die Möglichkeit das Gesehene ganz individuell zu
deuten.
Noch eine weitere Frage stellt sich in diesem Kontext. Laut Ausschreibung handelt es
sich bei diesem Werk um eine Tanzperformance. Doch ist das Gesehene wirklich und
nur Tanz? Wir erleben in der Aufführung eine Komposition aus Malkunst,
Videoinstallation und körperlichen Bewegungen unter Ausschluss von Musik. Ganz
klar handelt es sich um eine Mischform, eine Montage verschiedener Kunstformen. Vor
allem die Zeichnungen der Akteurin spielen hier eine bedeutende Rolle. Das Papier und
der Stift sind die Requisiten, die ihren Tanz unterstützen, denn mit ihnen versucht sie
ihren Körper abzubilden. Wir erleben also eine Verdoppelung, wenn nicht
Verdreifachung der Gestalt der Tänzerin. Während sie ihren Körper aktiv einsetzt, um
die Zeichnungen anzufertigen, wird sie nicht nur in unseren Gedanken, sondern auch
von der Kameraaufnahme festgehalten.
Doch sie nutzt Papier und Stift auch nicht nur als Medium für ihre Zeichnungen, sie
strukturiert mit ihnen zudem den Raum, in dem sie sich bewegt. Anfangs liegen die
schwarzen Blätter gestapelt mittig an zwei Seiten des Kubus. In einem Moment schafft
sie mit ihnen eine gerade Trennlinie quer durch den Raum und spaltet ihn in zwei
Hälften. Ebenso ist auch der Zuschauerraum von einer schwarzen Linie durchzogen.
Diese Wiederholung der Form im Spiel- und Zuschauerraum führt zu einer Verbindung
der beiden Sphären, eine Annäherung der Darstellerin an ihr Publikum. Allerdings
geschieht dies so versteckt, dass es im Moment der Aufführung kaum wahrgenommen
wird und erst eventuell in einer nachfolgenden Reflexion bemerkt wird. Auch hier ist
das Thema der Verdoppelung wieder präsent.
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6 Foto: Gnaudschun. Die Äquivalenz der schwarzen Linie im Zuschauer- und im Spielraum
Durch ihre Zeichnungen wird dem Zuschauer vor Augen geführt, wie es in ihrem
Inneren aussieht, gleichzeitig dienen sie als Botschaft nach außen, indem sie sie aus
ihrem Glaskubus herauswirft. Die Zeichnungen dienen der Selbstdefinition, sind ebenso
wie ihre Bewegungen Ausdruck ihrer Empfindungen. Damit werden zwei
Künstlerkategorien verbunden, da sowohl Tänzer mit ihren Bewegungen als auch Maler
mit ihren Bildern versuchen, sich verständlich zu machen und ihre Emotionen zu zeigen
und zu verarbeiten.
Die Installation der Videokamera und die Übertragung der Szenerie auf eine Leinwand
erscheinen mir hingegen nicht besonders verständlich oder die Wirkung der
Performance unterstützend. Als Zuschauer nimmt man doch entweder nur die Tänzerin
oder den Film wahr, eine Konzentration auf beide Darstellungsformen gleichzeitig ist
schwer möglich und somit lenkt die Kameraaufnahme mehr vom wirklichen Geschehen
im Glaskasten ab als es zu unterstreichen. Allerdings ist die Perspektive der Aufnahme
bemerkenswert. Da die Kamera im Glaskasten montiert wurde, erkennt man die
Tänzerin fast nie in ihrer Gänze, es sind immer nur Ausschnitte zu sehen, imperfekte
Bilder so wie die Zeichnungen von Sahra Huby. Auch hier finden wir also wieder eine
Äquivalenz des Geschehens innerhalb und außerhalb des Spielraumes.
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7 Foto: Gnaudschun. Die Übertragung der Kameraaufnahme zeigt nur unvollständige Bilder - ebenso wie
auch die Künstlerin nicht in der Lage ist, ihren gesamten Körper auf einmal zu sehen und zu zeichnen.
Die Hauptkonzentration des Werkes jedoch sollte laut Ankündigung auf dem Tanz
liegen. Es gibt auch keinen Zweifel an den tänzerischen Bewegungen der Künstlerin,
doch fehlt in diesem Werk nach meinem Verständnis die Musik, um von einem Tanz
sprechen zu können. Es existieren zwar akustische Elemente, die die Performance
unterstützen, doch von Musik kann man in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Das
Kratzen des Stiftes auf den Blättern, die ihrerseits raschelten, wurde beispielsweise
eingespielt, obwohl es sich dabei eigentlich um Geräusche handelt, die aus den
Aktionen resultieren mussten. Dadurch waren diese teilweise auch zu hören, obwohl sie
nicht mehr zeichnete, was auf den ersten Blick fehlerhaft wirkte, wahrscheinlich aber
beabsichtigt war, um deutlich als akustisches Zeichen zu gelten. Tatsächlich wirkten
diese Töne wie eine Begleitung, da ein regelmäßiger Wechsel der Lautstärke, ein
Crescendo und Decrescendo also, zu beobachten war. Ebenfalls waren ihr Atmen – sehr
deutlich – sowie ein Quietschen, wenn sie mit dem Körper über den Boden rutschte, zu
hören. Das Schnaufen begleitete die gesamte Szene dauerhaft und führte, wie bereits
beschrieben, zu einem Beschlagen der Scheiben. Es unterstreicht ihre Anstrengung und
Verzweiflung. Der komplette Verzicht auf musikalische Zeichen oder Gesang jedoch
(Sprache existiert in einer klassischen Tanzperformance von Natur aus nicht und ist
auch nicht notwendig, da das Mitzuteilende über die Bewegung vermittelt wird.) stellt
den Tanzcharakter für mich infrage. Trotzdem sind ihre Bewegungen in solcher Form
tänzerisch, dass Sahra Huby in diesem Stück mit Sicherheit eine Melodie vertanzt,
wahrscheinlich die Melodie ihres Körpers, die für uns zwar nicht hörbar, aber doch
sichtbar wird. „Der Tanz ist das stärkste Ausdrucksmittel der menschlichen Seele.“,
sagte der Künstler Thomas Niederreuther einmal und dieser Definition des Tanzes
folgend, kann man sehr wohl behaupten, dass es sich hier um einen solchen handelt.
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Die Inszenierung „Abdrücke“ ist in vielerlei Hinsicht eine sehr außergewöhnliche.
Neben dem Einsetzen verschiedener Kunstformen, führt der Verzicht auf klassische
Zeichen des Theaters, sowohl musikalische als auch visuelle (Wenn wir uns an das
„Kostüm“ und die „Maske“ der Tänzerin erinnern, die so schlicht ausfallen, dass man
sie als solche gar nicht bezeichnen kann.), zu einem besonderen Theatererlebnis, da die
Konzentration während des Zuschauens voll und ganz bei den Bewegungen der
Tänzerin bleibt. Es existieren keine Faktoren, die von ihrem Tanz ablenken und wenn
man sich darauf einlässt, dass man hier keine eindeutige Geschichte erzählt bekommt,
was einem Tanzliebhaber bekannt ist, dann erfährt man in dieser Aufführung eine sehr
intime, eindrucksvolle Tanzperformance, aus der jeder Einzelne seine ganz persönlichen
Probleme, Ängste oder Sorgen aufgearbeitet mitnimmt und mit Sicherheit auch nach der
Aufführung darüber reflektiert und hoffentlich merkt, dass ein verkrampfter Versuch
seine Ziele zu erreichen, nicht zu einer Lösung, sondern nur zu Verzweiflung führt, wie
es bei der Tänzerin Sahra Huby zu erleben ist. Einen aufregenden und tiefgründigen
Besuch eines innovativen Theaterstücks bietet „Abdrücke“ von Anna Konjetzky.
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