Das Immunsystem gegen Krebs rüsten

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Das Immunsystem gegen Krebs rüsten
Lange Zeit schlummerte sie im Abseits – die Theorie, dass Immunzellen Tumoren angreifen
können. Heute erfährt sie eine Renaissance. In Zukunft könnte es sogar möglich werden, TLymphozyten so zu verändern, dass sie bestimmte Tumortypen besser erkennen und
bekämpfen können. Prof. Dr. Hanspeter Pircher und sein Team von der Universitätsklinik
Freiburg versuchen, Verfahren zur passiven zellulären Immunisierung zu entwickeln: Welche
Wege gibt es, einem Immunsystem von außen Waffen gegen Krebs in die Hand zu geben.
Erst kürzlich kam die experimentelle Unterstützung: Genetisch veränderte Mäuse, denen zum
Beispiel die T-Zellen des Immunsystems fehlen, bilden mehr Tumoren aus als unbehandelte
Artgenossen. Damit ist die in den 60er-Jahren aufgestellte Theorie zur sogenannten
Immunüberwachung wieder en vogue. In ihrer weiter entwickelten Form postuliert sie:
Entartete Zellen aktivieren Zellen des Immunsystems. Diese halten den entstehenden Tumor in
Schach. Doch die Tumorzellen mutieren bald und verändern ihre Oberflächenstruktur. Die
körpereigenen Wächter erkennen sie nicht mehr und der Krebs kann ungestört wachsen. „Wir
glauben, dass diese Theorie stimmt“, sagt Prof. Dr. Hanspeter Pircher vom Institut für
Mikrobiologie und Hygiene der Universitätsklinik Freiburg. „Wir versuchen daher
herauszufinden, wie man die immunologische Tumorabwehr stärken kann.“
Aktiv oder passiv immunisieren?
Eine der Möglichkeiten ist die aktive Immunisierung. Es handelt sich dabei um ein Verfahren,
das bei den Schutzimpfungen gegenüber zum Beispiel Grippeviren oder Wundstarrkrampf
schon lange eingesetzt wird. Dabei applizieren Mediziner sogenannte Antigene in das
Muskelgewebe der Patienten. Antigene sind Bestandteile der infektiösen Erreger und stellen
gewissermaßen einen Identitätsausweis dar, den das Immunsystem erkennen kann. In den
Lymphknoten aktivieren sie das Immunsystem und dieses produziert spezifische Antikörper,
die den Erregern das Leben schwer machen. „Das Problem bei der aktiven Impfung ist, dass
viele Impfstoffe nur die Produktion von Antikörpern in ausreichendem Maße auslösen können“,
sagt Pircher. „Bei Krankheiten wie Aids, Malaria, Tuberkulose oder eben Krebs müssen aber
auch T-Lymphozyten aktiviert werden, und diese sind mit den herkömmlichen
Immunisierungsmethoden nur schwer zu induzieren.“
Weil das nur mit Hilfe von anspruchsvollen Tricks funktioniert, konzentrieren sich Pircher und
sein Team auf das Verfahren der passiven zellulären Immunisierung durch direkte Gabe von
Immunzellen. Hier sind im Falle von Tumoren grundsätzlich zwei Möglichkeiten denkbar.
Entweder isolieren Wissenschaftler T-Lymphozyten direkt aus Tumorgewebe des betroffenen
Patienten. Diese sind dann bereits auf den jeweiligen Tumortyp eingestellt und haben
spezifische Rezeptoren ausgebildet, die die Tumorantigene erkennen. Die Forscher müssen sie
dann in Gewebekultur anreichern, bevor sie sie den Patienten in einer erhöhten Konzentration
wieder verabreichen können. Meistens liefern die heutigen Methoden noch keine ausreichende
Menge an Zellen, die nach dem adaptiven Transfer in den Patienten genügend lange
überleben. Daher untersuchen Pircher und seine Doktorandin Katja Müller, unter welchen
Rahmenbedingungen die Zellen sich besonders gut anreichern lassen. Sie fanden zum Beispiel
heraus, dass es auf die Anwesenheit eines bestimmten Proteins ankommt: des T-Zellfaktors
Interleukin 15 (IL-15).
Nicht so gemästet
Mauslungen mit Tumorkolonien: ohne T-Zell-Transfer (oben), mit Transfer von IL-2-aktivierten T-Zellen (mitte) und
mit Transfer von IL-15-aktivierten T-Zellen © Prof. Dr. Hanspeter Pircher
Im Vergleich zu Zellen, die mit einem ähnlichen Molekül, dem Interleukin 2 (IL-2), gefüttert
wurden, werden die mit IL-15 gefütterten T-Lymphozyten zwar relativ klein und auch nicht
besonders aggressiv. Aber wenn die Wissenschaftler sie in lebende Mäuse spritzen, die einen
Modelltumor tragen, dann entfalten sie eine wesentlich größere Effizienz: Die Mäuse
entwickeln weniger Lungenmetastasen als ihre Artgenossen, deren T-Lymphozyten mit IL-2
hochgezogen worden sind. „Der Grund dafür ist vermutlich, dass IL-15 gefütterte T-Zellen nicht
so gemästet sind“, sagt Pircher. „Sie sind im lebenden Organismus daher nicht so abhängig
von Nahrung wie die mit IL-2 gefütterten T-Zellen und sterben nicht so leicht ab.“
Die andere Möglichkeit, passiv zu immunisieren, ist, die im Körper herumschwimmenden
T-Lymphozyten, die noch keinen Kontakt zum Tumor hatten, von außen auf diesen zu
„prägen“. Die Grundidee: Man gibt den naiven T-Zellen eine Sonde in die Hand, mit der sie
Tumorzellen eines bestimmten Typs erkennen können. Denn gelingt ihnen das, dann leiten sie
auch Kampfmaßnahmen ein. „Hierfür eignet sich das Verfahren des sogenannten retroviralen
Gentransfers“, erklärt Pircher. Pirchers Kooperationspartner Prof. Dr. Wolfgang Uckert aus
Berlin ist in der Lage, in das Genom von Retroviren die Gene für spezielle Antigenrezeptoren
von T-Zellen einzubauen. Diese Rezeptoren sind ganz spezifisch und in Pirchers Modellsystem
reagieren sie ausschließlich auf das kurze Proteinstück Gp33, das als Antigen auf der
Oberfläche der Tumorzellen sitzt. Pircher und sein Team können die Retroviren dann in die
Lymphozyten ihrer krebskranken Mäuse einführen. Retroviren sind dafür bekannt, dass sie ihr
Genom in die DNA ihrer Wirtszellen einbauen können. Damit schleusen sie aber auch das Gen
für den Antigen-Rezeptor ein, und die T-Zellen können ihn plötzlich selbst produzieren.
Eine entsprechend mit Antigenrezeptoren beladene T-Zelle (oben) erkennt das Tumorantigen auf der Oberfläche
einer Krebszelle (unten) nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip © Prof. Dr. Hanspeter Pircher
„Dieses Verfahren ist jedoch noch nicht genügend ausgereift“, sagt Pircher. „Momentan ist die
Dichte dieser transduzierten Rezeptoren auf der Oberfläche der T-Zellen nicht hoch genug.“ Die
auf diese Weise erzeugten T-Zellen mit der Spezifität gegen den Modelltumor sind noch nicht in
der Lage, einen Tumorschutz zu liefern. Das Problem besteht darin, dass die Tumorzellen nur
wenige Antigene auf ihrer Oberfläche haben und die T-Zellen daher eigentlich sensibler sein
müssten. Immerhin schützen sie aber schon vor Viren, die eine höhere Dichte an OberflächenAntigenen aufweisen. Für einen wirksamen Tumorschutz müssten die Wissenschaftler T-Zellen
mit einer höheren Dichte von Antigen-Rezeptoren züchten. „In Zukunft möchten wir unsere
beiden Verfahren kombinieren“, sagt Pircher. Das bedeutet: T-Zellen mit Retroviren behandeln
und ihnen die entsprechenden Rezeptoren aufdrücken. Sie dann in der Kulturschale unter
Optimalbedingungen und mit genügend IL-15-Nahrung züchten. Und schließlich diejenigen
selektieren, die die höchste Rezeptordichte aufweisen.
Den Tumor aushungern
Gelingt den Forschern das, dann sind sie einen Schritt weiter gekommen auf dem Weg zu einer
Immuntherapie gegen Krebs. Denn T-Lymphozyten sind in der Lage, Tumoren von innen zu
zerstören, wie andere Experimente von Pircher und Co zeigen. Wie geht das. Möglich wäre, dass
Lymphozyten bei Kontakt direkt die Membranen von Tumorzellen zerstören und sie damit
töten. Oder sie locken andere Zellen des Immunsystems an, wie die gefräßigen Makrophagen
oder die Natürlichen Killerzellen. Pircher und seine Mitarbeiter glauben jedoch, dass der
Mechanismus ein indirekter ist. „Vermutlich schütten T-Zellen nach Tumorkontakt Botenstoffe
wie Interferon Gamma aus“, sagt Pircher. „Und das führt dann dazu, dass die Blutgefäße im
Tumor nicht mehr wachsen.“ Ohne ausreichende Blutzufuhr verhungert der Tumor, ihm wird
im wahrsten Sinne des Wortes der Saft abgedreht.
Alle diese Mechanismen spielen wahrscheinlich auch beim Menschen eine Rolle. Pircher und
seine Mitarbeiter hoffen, dass ihre Erkenntnisse von klinischen Forschern aufgegriffen werden.
„Vielleicht wird man eines Tages einen Kühlschrank haben, in dem für jeden Tumortyp die
entsprechenden Retroviren mit den entsprechenden Antigen-Rezeptorgenen liegen“, sagt
Pircher. Das ist momentan noch Zukunftsmusik. Außerdem kann die Immuntherapie Pirchers
Ansicht nach niemals alleine wirksam sein. Bei soliden Tumoren liegt die Zukunft der
Tumorbekämpfung in einer Kombination mit chirurgischen Verfahren und der Chemo- oder
Strahlentherapie.
Fachbeitrag
15.12.2009
mn
BioRegion Freiburg
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Prof. Dr. Hanspeter Pircher
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene
Abteilung für Immunologie
Universität Freiburg
Hermann-Herder-Str. 11
D-79104 Freiburg
Tel.: +49 (0)761/203-6521
Fax: +49 (0)761/203-6577
E-Mail: hanspeter.pircher(at)uniklinik-freiburg.de
Uniklinik
Freiburg
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Krebstherapie und Krebsdiagnostik
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