Konjunktur in Nordrhein-Westfalen

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Döhrn, Roland; Barabas, György; Fuest, Angela
Article
Konjunktur in Nordrhein-Westfalen: Expansion
weiterhin schwächer als im Bundesgebiet
RWI Konjunkturberichte
Provided in Cooperation with:
RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Essen
Suggested Citation: Döhrn, Roland; Barabas, György; Fuest, Angela (2015) : Konjunktur
in Nordrhein-Westfalen: Expansion weiterhin schwächer als im Bundesgebiet, RWI
Konjunkturberichte, ISSN 1861-6305, Vol. 66, Iss. 4, pp. 23-34
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http://hdl.handle.net/10419/145322
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RWI-Konjunkturbericht 66 (4)
Roland Döhrn, György Barabas und Angela Fuest
Konjunktur in Nordrhein-Westfalen:
Expansion weiterhin schwächer als im Bundesgebiet1
Zusammenfassung: Die wirtschaftliche Entwicklung in Nordrhein-Westfalen blieb
auch 2015 hinter der im übrigen Bundesgebiet zurück. Wir erwarten eine Zunahme des
BIP um 0,9% (Deutschland 1,7%). Nahezu alle realwirtschaftlichen Indikatoren entwickeln sich ungünstiger. Allerdings verläuft die Beschäftigungsentwicklung ähnlich wie
im übrigen Bundesgebiet. Die schwache wirtschaftliche Dynamik hat strukturelle Gründe.
Bei vielen Faktoren, die das Wachstum von Volkswirtschaften treiben, steht NordrheinWestfalen ungünstiger da. Hinzu kommen die Belastungen durch die Energiewende und
die ungünstige Lage der Haushalte der Kommunen. Letztere führt zu steigenden Belastungen insbesondere mit der Grundsteuer, aber auch zu niedrigen öffentlichen Investitionen. Diese strukturellen Faktoren dürften auch 2016 die Expansion dämpfen. Das BIP
dürfte um 1,4% zunehmen (Deutschland: 1,8%). Dabei bleibt die Arbeitslosenquote mit
voraussichtlich 8,0% unverändert, dürfte aber in der zweiten Jahreshälfte anziehen, weil
mehr und mehr anerkannte Asylbewerber mit schlechten Beschäftigungschancen in den
Arbeitsmarkt treten.
Abstract: In 2015, GDP growth in Northrhine Westphalia once again was lower than in
Germany as a whole. We forecast an increase by 0.9% (Germany 1.7%). Almost all real
economy indicators performed worse. However, employment grew at similar rates as in
the residual parts of Germany. The lack of dynamism has above all structural reasons. In
most fields which are essential for long term growth of economies Northrhine Westphalia
performs below average. In addition, the exit from nuclear and fossil-fuel energy and the
tight budget situation in many municipalities mean a burden to growth. The latter results
in low public investment and high property taxes. These structural factors will also
dampen GDO growth in 2016; we forecast an increase by 1.4 % (Germany 1.8%). Unemployment is expected to be at 8.0% on average, but will increase slightly in the course of
the year since refugees with a low employability will increasingly enter the labor market.
1 Abgeschlossen am 16.12.2015. Wir danken Heinz Gebhardt, Wim Kösters und Sabine Weiler für
kritische Anmerkungen zu früheren Fassungen dieses Beitrags. Korrespondenzadresse
[email protected]
23
Konjunkturbericht Nordrhein-Westfalen
1.
Nur mäßige Ausweitung der gesamtwirtschaftlichem Produktion im Jahr 2015
Die wirtschaftliche Entwicklung Nordrhein-Westfalens blieb auch 2015 hinter der im
übrigen Deutschland zurück. Im ersten Halbjahr übertraf das reale Bruttoinlandsprodukt den Vorjahreswert lediglich um 0,3%, und die Indikatoren für das zweite Halbjahr lassen nicht erwarten, dass sich daran viel ändert (Schaubild 1). Damit ist 2015
bereits das sechste Jahr in Folge, in dem die nordrhein-westfälische Wirtschaft langsamer wächst als die deutsche. Im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2008 war das BIP
des Landes noch mit einer ähnlichen Rate wie das Deutschlands gestiegen.
Betrachtet man die Entwicklung differenziert nach Wirtschaftsbereichen, so fällt auf,
dass insbesondere die Industrie hierzulande an Boden verliert. Bei der Industrieproduktion zeigt sich regelrecht ein Keil zwischen der Entwicklung Nordrhein-Westfalens
und der Bundesrepublik insgesamt. Während die Erzeugung deutschlandweit das Niveau von vor der Rezession 2008/09 inzwischen annähernd erreicht hat, die Bruttowertschöpfung es preisbereinigt sogar um 4% übersteigt, liegen der Produktionsindex und die Bruttowertschöpfung in Nordrhein-Westfalen immer noch deutlich unter
dem damaligen Niveau. Günstiger war hingegen die Entwicklung im nordrhein-westfälischen Dienstleistungssektor, dessen Bruttowertschöpfung in den vergangenen
Jahren mehr oder weniger parallel zu der in Deutschland zunahm.2 Differenziert ist
die Bauwirtschaft zu beurteilen. Die Produktion im Bauhauptgewerbe geht in Nordrhein-Westfalen in der Tendenz zurück, während sie im Bundesgebiet aufwärts gerichtet ist. Dies spiegelt sich allerdings nicht in der Bruttowertschöpfung wider, die
parallel zu der deutschen steigt. Dies könnte darauf hinweisen, dass die Baukonjunktur hierzulande eher von Sanierung und Modernisierung getragen wird als vom Neubau.3 Alles in allem zeigt die Veränderung der Sektorenstruktur eine „De-Industrialisierung“ des Landes an: Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der (nominalen)
Bruttowertschöpfung Nordrhein-Westfalens lag im Jahr 2014 bei 19,5% und damit
2,7%-Punkte unter dem Bundesdurchschnitt. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg
trug das Verarbeitende Gewerbe während der vergangenen Jahre konstant knapp ein
Drittel zur Bruttowertschöpfung des Landes bei, in Bayern waren es zuletzt 26,5%–
mit steigender Tendenz.
2 Am aktuellen Rand gibt es allerdings auch im Dienstleistungssektor Zeichen einer Schwäche.
So lagen die Umsätze in den von der vierteljährlichen Konjunkturstatistik erfassten Dienstleistungsbereichen (Verkehr und Lagerei, Information und Kommunikation, Freiberufliche und technische
Dienstleistungen, sonstige wirtschaftliche Tätigkeiten) in Nordrhein-Westfalen lediglich um 1% über
dem Vorjahreswert, während es in Deutschland insgesamt 3,3% waren.
3 Dazu passt die Beobachtung, dass sich nach Angaben des BBSR (2015) das Bauvolumen in
Nordrhein-Westfalen langsamer entwickelte als in Deutschland insgesamt.
24
RWI-Konjunkturbericht 66 (4)
Schaubild 1
Indikatoren der Konjunktur
2008 bis 2015, 2010 = 100, Quartalsdurchschnitte, saisonbereinigt
Industrieproduktion
Bauproduktion
Auftragseingänge
Ausfuhren
Arbeitslosigkeit
Beschäftigung1
Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes und der Deutschen Bundesbank, Hauptverwaltung Düsseldorf. – 1Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.
25
Konjunkturbericht Nordrhein-Westfalen
Schaubild 2
Wachstumsabstand Nordrhein-Westfalens gegenüber Deutschland insgesamt
2001 bis 2015; Differenz der Zuwachsraten des realen BIP in Prozentpunkten
Eigene Berechnungen nach Angaben des Arbeitskreises Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
der Länder. 2015: Erstes Halbjahr.
Die Erwerbstätigkeit entwickelte sich anders als die Produktion ähnlich wie in
Deutschland insgesamt. So nahm die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung des
Landes in den vergangenen Jahren nur geringfügig langsamer zu als die Deutschlands, im Jahr 2015 entwickelte sie sich sogar in etwa im Gleichschritt mit dem Bundesgebiet.4 Bis 2014 war zudem der Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen in der
Industrie weniger ausgeprägt als der der Bruttowertschöpfung. Kehrseite davon ist
jedoch, dass die Produktivität, gemessen an der realen Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen, im Jahr 2014 in Nordrhein-Westfalen rund 3% niedriger war als 2007,
dem Jahr mit dem höchsten Wert vor der Rezession; im Bundesgebiet insgesamt waren es 1%. Im Verarbeitenden Gewerbe ist der Unterschied mit einem Minus von
7,2%, verglichen mit einem Plus in Deutschland von 1,2%, noch deutlicher. Hat sich
der Anstieg der Arbeitsproduktivität in Deutschland insgesamt bereits verlangsamt,5
so stellt sich die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen noch ungünstiger dar. Da jedoch das Produktivitätswachstum eine wesentliche Quelle der Steigerung des Wohlstandes ist, haben sich die Voraussetzungen für ein höheres Wachstum in NordrheinWestfalen verschlechtert.
4
5
26
Dies macht Hoffnung, dass die BIP-Raten am aktuellen Rand etwas nach oben revidiert werden.
Eine Ursachenanalyse für Deutschland insgesamt findet man z.B. bei SVR (2015): 284-335.
RWI-Konjunkturbericht 66 (4)
Tabelle
Indikatoren der Triebkräfte der Produktivitätsentwicklung in den Bundesländern
Investitionen in neue
Anlagen
2012
Sachinvestitionen des
Staates1
2014
Zugang zur Breitbandversorgung2,
2015
Insgesamt Städtische
Gebiete
€ je 1000 Einwohner
% der privaten
Haushalte
Baden-Württemberg
1885
8597
602
71,3
83,1
Bayern
1256
9287
655
67,0
88,6
Berlin
1159
6256
222
90,1
Brandenburg
381
5492
393
51,3
77,9
Bremen
1198
8345
348
93,4
Hamburg
1315
11370
629
94,4
Hessen
1127
7223
426
70,7
86,1
Mecklenburg-Vorp.
427
5423
459
51,1
90,1
Niedersachsen
896
6682
357
69,7
91,5
Nordrhein-Westfalen
667
5506
294
75,3
84,0
Rheinland-Pfalz
662
6308
345
65,9
84,7
Saarland
467
5489
366
69,5
77,1
Sachsen
708
5737
671
47,7
71,7
Sachsen-Anhalt
349
4914
384
40,5
62,4
Schleswig-Holstein
423
6073
359
73,2
91,2
Thüringen
537
5010
436
43,6
74,5
Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes, des Arbeitskreises Volkswirtschafte Gesamtrechnungen der Länder, von IT.NRW und des BMVI. – 1Sachinvestitionen der Länder,
Gemeinden und Gemeindeverbände in der Abgrenzung der Kassenstatistik. – 2Breitbandversorgung
über alle Technologien, >50 Mbit/s.
Aufwendungen
für Forschung und
Entwicklung
2013
Hier ist nicht der Raum, um auf die Gründe im Detail einzugehen, zumal die Datenlage auf Länderebene für tiefergehende Analysen alles andere als gut ist. Auffällig ist
jedoch, dass Nordrhein-Westfalen 2012 – neuere Daten liegen derzeit nicht vor – mit
15,9% die geringste Investitionsquote unter den deutschen Ländern aufwies. Auf Defizite deutet auch hin, dass die Forschungs- und Entwicklungsausgaben in NordrheinWestfalen nur gut ein Drittel der Ausgaben in Baden-Württemberg und etwas mehr
als die Hälfte der Ausgaben in Bayern ausmachten; im Länder-Ranking nimmt Nordrhein-Westfalen Platz 9 ein (Tabelle 1). Auf den ersten Blick steht das Land bei den
Möglichkeiten zur Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien gut
da. Es liegt bei der Versorgung mit schnellen Breitbandanschlüssen mit an der Spitze
unter den deutschen Flächenstaaten (BMVI 2015). Berücksichtigt man aber siedlungsstrukturelle Faktoren, so zeigt sich, dass das Nordrhein-Westfalen von seiner hohen
Siedlungsdichte profitiert. In städtischen Bereichen ist der Versorgungsgrad beim
schnellen Internet (>50 Mbit/s) generell höher als in ländlichen Regionen; im Vergleich von Agglomerationsräumen ist die Versorgung in Nordrhein-Westfalen sogar
leicht unterdurchschnittlich. Alles in allem weist das Land bei den Faktoren, die nach
27
Konjunkturbericht Nordrhein-Westfalen
der Analyse des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung (SVR) Treiber der Produktivitätsentwicklung und damit des Wohlstandes
sind, zumeist einen Rückstand gegenüber anderen Bundesländern auf. In die gleiche
Richtung weist auch die Investitionsschwäche der Öffentlichen Hand: Deren Sachinvestitionen liegen in Nordrhein-Westfalen mit 294 € je Einwohner weit unter dem
Bundesdurchschnitt (449 € je Einwohner).
Diese angebotsseitigen Schwächen sind allerdings schon seit längerem zu beobachten. Selbst wenn das Land bei manchen Indikatoren im Zeitverlauf zurückgefallen ist,
so kann dies nicht allein erklären, weshalb sich der Wachstumsabstand seit 2009 so
eklatant vergrößert hat. Auffällig ist, dass die Schwäche der gesamtwirtschaftlichen
Produktion zeitlich in etwa zusammenfällt mit der Deregulierung der Energiemärkte
und mit der Energiewende. Der Energiesektor ist seit jeher ein wichtiger Wirtschaftszweig des Landes. Sein Anteil an der Beschäftigung wie auch an der Bruttowertschöpfung ist deutlich höher als im Bundesgebiet insgesamt. Allerdings wird Energie
in Nordrhein-Westfalen vorwiegend auf konventionellem Wege erzeugt und der Anteil von erneuerbaren Energien ist vergleichsweise gering. Die Energiewende entwertet einen Teil des Kapitalstocks. So lassen sich viele Kraftwerke nicht mehr rentabel betreiben. Sie hat über die EEG-Umlage aber auch negative Wirkungen auf die
Realeinkommen. Da einerseits alle Stromverbraucher über die EEG-Umlage zur Finanzierung des Ausbaus erneuerbarer Energien herangezogen werden, andererseits
die Mittel aber dorthin fließen, wo der „grüne Strom“ erzeugt wird, hat die EEGUmlage einen beträchtlichen Umverteilungsmechanismus zwischen den Bundesländern ausgelöst. Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen,
Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein sind Netto-Empfänger dieses Mechanismus,
Nordrhein-Westfalen ist, zusammen mit Baden-Württemberg, der bedeutsamste
Netto-Zahler. Im Jahr 2014 flossen schätzungsweise netto 3,1 Mrd. € oder 0,5% in
Relation zum Bruttoinlandsprodukt aus Nordrhein-Westfalen an andere Bundesländer (BDEW 2015: 81-83).
Ein zweiter Faktor, der die Realeinkommen hierzulande dämpft, ist die angespannte
Finanzlage vieler Kommunen, die vielfach hohe Hebesätze bei den Realsteuern nach
sich zog. Im Jahr 2014 hatte Nordrhein-Westfalen sowohl bei der Grundsteuer B als
auch bei der Gewerbesteuer die höchsten durchschnittlichen Hebesätze unter den
deutschen Flächenländern (Schaubild 3). Im Zeitverlauf zeigt sich, dass insbesondere
die Grundsteuer seit 2009 kräftig angehoben wurde. Bei der Gewerbesteuer waren
die Kommunen vorsichtiger, um im Standortwettbewerb nicht noch weiter zurückzufallen. Das Aufkommen der Grundsteuer B hat sich seit 2009 um 21% erhöht, der
Grundbetrag, der die real fundierte Steuerbasis beschreibt, hingegen lediglich um
28
RWI-Konjunkturbericht 66 (4)
Schaubild 3
Hebesätze der Grundsteuer B und der Gewerbesteuer1
Durchschnittswerte
Flächenländer im Vergleich, 2014
Nordrhein-Westfalen 2005 bis 2015a
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes und von IT.NRW. – a2015 eigene Schätzung auf
Grundlage der zum 30.6. gültigen Hebesätze.
5%. Die aus den Steigerungen des Hebesatzes resultierende Steuerbelastung lag
2014 um rund 410 Mill. € über der von 2009, und im Jahr 2015 werden es sogar 640
Mill. € sein, die Mehrbelastung gegenüber 2014 wird also 230 Mill. € betragen. Für
2016 sind weitere Anhebungen der Hebesätze angekündigt. Die Grundsteuer wird
letztlich von allen Bürgern getragen; von Eigenheimbesitzern direkt, von Mietern
über die Nebenkosten. Höhere Hebesätze belasten daher die Realeinkommen. Darüber hinaus können sie sich negativ auf die Bautätigkeit auswirken, zumal Nordrhein-Westfalen auch bei der Grunderwerbsteuer nach der kräftigen Anhebung zu
Beginn dieses Jahres an der Spitze unter den Ländern liegt.
Diese Analysen sprechen dafür, dass die zuletzt schwache gesamtwirtschaftliche
Expansion in Nordrhein-Westfalen strukturelle Ursachen hat, und daher auch nicht
damit zu rechnen ist, dass das Land im Prognosezeitraum bei den BIP-Raten wieder
zum übrigen Bundesgebiet aufschließt.
2. Besserungstendenzen am Arbeitsmarkt
Parallel zu der unbefriedigenden gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat sich die
Arbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen während der vergangenen Jahre in der
Grundtendenz nicht verringert. Ungeachtet der wohl auch 2015 schwachen gesamtwirtschaftlichen Expansion zeigten sich jedoch zuletzt Besserungstendenzen am Arbeitsmarkt. So war der Beschäftigungsaufbau deutlich kräftiger als in beiden Jahren
29
Konjunktur in Nordrhein-Westfalen
zuvor. Im September lag die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung um 2,3%
über ihrem Vorjahreswert.6 Damit blieb der Beschäftigungsaufbau nicht mehr – wie
zuletzt beobachtet – hinter dem in Gesamtdeutschland zurück, sondern war vielmehr
gleich stark. Besonders ausgeprägt war die Zunahme in einzelnen Wirtschaftszweigen des Dienstleistungsbereichs, wie bei den sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (8,4% im September gegenüber dem Vorjahr) und im Gastgewerbe (6,0%)
sowie in den Bereichen Verkehr und Lagerei (5,4%) und Heime und Sozialwesen
(4,9%). Dagegen nahm die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse im Bereich Bergbau,
Energie- und Wasserversorgung sowie Entsorgungswirtschaft in diesem Jahr weiter
ab (-2,7%).
Dabei ist seit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns auch in Nordrhein-Westfalen ein Abbau der geringfügigen Beschäftigung zu beobachten. So sank die Zahl der
Minijobs im Vorjahresvergleich vor allem im Handel (-8,3%), im Zweig Information
und Kommunikation (-6,1%), aber auch im Bergbau (-6,7%) und im Verarbeitenden
Gewerbe (-5,7%).7 Allerdings ist die Abnahme der geringfügigen Beschäftigung deutlich weniger ausgeprägt als in den neuen Bundesländern, in denen bisher relativ
viele Arbeitnehmer unter dem Mindestlohnniveau vergütet worden sind.
Die Arbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen ist 2015 seit vier Jahren erstmals wieder
gesunken. Jahresdurchschnittlich wird der Rückgang voraussichtlich rund 20 000
Personen betragen, womit die Arbeitslosenquote auf 8,0% abgenommen hat. Damit
bleibt der Rückgang allerdings hinter dem in Gesamtdeutschland zurück, und Nordrhein-Westfalen weist nach wie vor die höchste Arbeitslosenquote unter den westlichen Flächenländern auf. Auch gemessen am Beschäftigungsaufbau ist der Abbau
der Arbeitslosigkeit relativ gering. Allem Anschein nach wird die Ausweitung der Beschäftigung weiterhin aus einer Erhöhung des Erwerbspersonenpotenzials aufgrund
von erhöhter Erwerbsneigung und Zuwanderung gespeist. Dies weist darauf hin,
dass die Arbeitslosigkeit im Wesentlichen strukturelle Ursachen hat. Zwar dürfte die
Zahl der Langzeitarbeitslosen im Jahresdurchschnitt 2015 um gut 2% abgenommen
haben. Gleichwohl bleibt Nordrhein-Westfalen neben Bremen das Land mit dem mit
Abstand höchsten Anteil von Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen (43,4%).
Auf eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit weist auch das Nebeneinander von Regionen mit sehr hoher und sehr niedriger Arbeitslosigkeit hin. So herrscht in Teilen
des Münsterlandes, des Sauerlandes sowie Westfalens annähernd Vollbeschäftigung.
6 Ergebnisse für Juni bis September 2015 sind vorläufig.
7 Diese Angaben beziehen sich auf März 2015 (Bundesagentur für Arbeit) und decken daher nur
die ersten Monate seit Einführung des Mindestlohns ab.
30
RWI Konjunkturbericht 66 (4)
Am geringsten war die Arbeitslosenquote im November 2015 mit 2,8% im Kreis Coesfeld. Gering sind die Quoten auch in den Kreisen Borken (3,7%) und Olpe (4%), im
Hochsauerlandkreis (4,4%) sowie in den Kreisen Steinfurt und Höxter (jeweils 4,5%).
Dagegen liegen die Arbeitslosenquoten im Ruhrgebiet im zweistelligen Bereich, am
höchsten ist sie mit 15% in Gelsenkirchen.
Im Prognosezeitraum wird der Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen von der Flüchtlingsmigration beeinflusst werden. Nach dem sog. Königsteiner Schlüssel nimmt das
Land etwa 22% der in Deutschland ankommenden Asylbewerber und Flüchtlinge auf.
Zwischen Januar und November 2015 wurden nach Angaben des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge (BAMF) bereits fast 70 000 Asylanträge in Nordrhein-Westfalen gestellt; im gesamten Jahr zuvor waren es 40 046. Dabei besteht noch ein erheblicher Rückstau bei der Stellung von Anträgen. Zwar haben Asylbewerber nach
einem dreimonatigen Aufenthalt in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen
Zugang zum Arbeitsmarkt. Die größten Arbeitsmarktwirkungen sind aber erst im Jahr
2016 und mehr noch im Jahr 2017 zu erwarten (Döhrn et al. 2015). Unter der Annahme,
dass die Schutzquoten, die Altersstruktur der Bewerber sowie die Partizipationsrate
für alle Bundesländer gleich sind und dass die anerkannten Asylbewerber in dem
Bundesland bleiben, in dem der Erstantrag gestellt wurde, dürften im Verlauf von
2016 rund 65 000 Flüchtlinge dem Arbeitsmarkt zusätzlich zur Verfügung stehen.
Die Integration der Flüchtlinge stellt aus zwei Gründen für Nordrhein-Westfalen
eine besondere Herausforderung dar. Zum einen erfolgt die Verteilung von Asylbewerbern auf die Länder nach deren Einwohnerzahl und Steueraufkommen, weshalb
die Arbeitsmarktlage nur insoweit die Verteilung beeinflusst, wie sie auf die Steuereinnahmen durchschlägt. In einem Land mit hoher struktureller Arbeitslosigkeit
dürfte es aber schwerer fallen, häufig gering qualifizierte Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Zum anderen stellt die angespannte Finanzlage vieler Kommunen ein Problem dar. Es ist nämlich Aufgabe der Kommunen, für die Unterbringung
und Versorgung von Flüchtlingen zu sorgen, wofür sie vom Land und ab 2016 auch
vom Bund einen Zuschuss erhalten. Die Gefahr ist aber groß, dass die durch solche
Zuwendungen nicht gedeckten Mehrausgaben entweder durch Einsparungen bei den
Investitionen oder durch Erhöhungen der Realsteuern ausgeglichen werden müssen.
Beides hätte negative Auswirkungen auf die Wachstumsbedingungen.
Da es sich bei der Bewältigung der Flüchtlingsmigration um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung handelt, dürfen die Kommunen mit den Kosten nicht alleine gelassen werden. Jedoch wäre aber auch ein voller Kostenersatz nicht zielführend, da so der Druck genommen wird, die Mittel effizient einzusetzen.
31
Konjunktur in Nordrhein-Westfalen
3. Ausblick auf 2016: Etwas kräftigere Expansion, aber
strukturelle Probleme bremsen
Die deutsche Konjunktur befindet sich gegenwärtig in einem stabilen, von der Binnenwirtschaft getragenen Aufschwung. Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland insgesamt dürfte nach einem Anstieg um voraussichtlich 1,7% im Jahr 2015, im kommenden Jahr um 1,8% zulegen (Döhrn et al. 2015). Für Nordrhein-Westfalen sprechen
die schwache Zunahme des BIP in der ersten Hälfte dieses Jahres und die ungünstigen Konjunkturindikatoren dafür, dass die Wirtschaft 2015 schwächer expandieren
wird als in Deutschland insgesamt. Allerdings scheinen die Angaben zum BIP der
Länder im ersten Halbjahr den Unterschied zu überzeichnen.8 Hierauf weist hin, dass
die Beschäftigung hierzulande sich ähnlich entwickelt wie im übrigen Bundesgebiet.
Vor diesem Hintergrund prognostizieren wir, dass das BIP Nordrhein-Westfalens in
diesem Jahr um 0,9% zunimmt.
Im kommenden Jahr dürften konjunkturelle Impulse zum einen von einer expansiveren Ausrichtung der Finanzpolitik, zum anderen von nicht unerheblichen Aufwendungen des Staates zur Bewältigung der Flüchtlingsmigration ausgehen. Finanzpolitische Impulse resultieren aus einer, wenn auch geringen Senkung der Einkommensteuer, was die Konsumnachfrage anregen dürfte. Ferner fördert der Bund die Investitionen finanzschwacher Kommunen, und er entlastet die Gemeinden im Vorgriff auf
die geplante Reform des Bundesteilhabegesetzes bei den Soziallasten. Letzteres geschieht, indem der Bund einen höheren Teil der Kosten der Unterkunft nach dem
Sozialgesetzbuch übernimmt und den Gemeindeanteil am Umsatzsteueraufkommen
erhöht (sog. Übergangsmilliarde). Hierdurch stehen den Kommunen NRWs im Jahr
2016 zusätzlich 262 Mill. € zur Verfügung. Angesichts der vielfach angespannten Finanzlage ist allerdings unklar, in welchem Maße diese Mittel für zusätzliche Ausgaben oder zur Defizitreduzierung genutzt werden.
Im Zusammenhang mit der Flüchtlingsmigration dürften bei Bund, Ländern und
Gemeinden im Jahr 2016 Mehrausgaben in Höhe von insgesamt gesehen rund
8 Mrd. € gegenüber 2015 anfallen. Unter Berücksichtigung der dadurch angestoße-
8 Die VGR der Länder werden erfahrungsgemäß erheblich revidiert. Im Zuge der Umsetzung der
Revision 2014 der VGR auf Länderebene vergrößerte sich der Rückstand Nordrhein-Westfalens gegenüber dem Bundesdurchschnitt beim Zuwachs des BIP in den Jahren 2010, 2012 und 2013; im
Jahr 2011 blieb er unverändert. Für 2014 stellt sich aus heutiger Sicht die Entwicklung etwas günstiger dar als von uns vor einem Jahr ausgehend von den Angaben für die erste Jahreshälfte prognostiziert (Döhrn et al. 2014). Für diese war ein Wachstumsabstand 0,7%-Punkte ausgewiesen worden, aktuell steht für des gesamte Jahr 2014 eine Differenz von –0,3%-Punkten zu Buche.
32
RWI Konjunkturbericht 66 (4)
nen Multiplikatoreffekte einerseits, der Sickerverluste u.a. aufgrund steigender Importe andererseits dürfte von den Ausgaben ein Impuls auf die Konjunktur ausgehen,
der zu einem um 0,3%-Punkte höheren Zuwachs des BIP führt. Die Mehrausgaben
dürften sich mehr oder weniger proportional auf die Bundesländer verteilen, was an
sich dafür spricht, dass der Impuls für die nordrhein-westfälische Wirtschaft eine
ähnliche Größenordnung erreicht. Allerdings könnte der fiskalische Impuls geringer
ausfallen, weil das Land Nordrhein-Westfalen den Kommunen nur einen Teil der
Flüchtlingskosten ersetzt, so dass manche Gemeinden mit angespannter Finanzlage
auf Mehrausgaben für Flüchtlinge mit weiteren Abgabenerhöhungen oder Einsparungen an anderer Stelle in ihren Etats reagieren. Gemindert wird dieser Effekt allerdings dadurch, dass sich der Bund verstärkt an den Kosten der Flüchtlinge beteiligt.
Alles in allem ist davon auszugehen, dass auch im Jahr 2016 die angesprochenen
strukturellen Faktoren die gesamtwirtschaftliche Expansion in Nordrhein-Westfalen
bremsen. Allerdings dürfte sich der Abstand der Expansionsrate gegenüber den anderen Bundesländern etwas verringern, weil die Wirkungen der expansiveren Finanzpolitik und der zusätzlichen Ausgaben im Zusammenhang mit der Bewältigung
der Flüchtlingsmigration die Unterschiede in den Expansionsraten zwischen den Ländern einebnen wird. Wir erwarten für das Jahr 2016 eine Zunahme des BIP um 1,4%.
Für den Arbeitsmarkt Nordrhein-Westfalens erwarten wir für 2016 eine leichte Verlangsamung des Beschäftigungsaufbaus, da die Unternehmen bestrebt sein dürften,
ihr Personal wieder besser auszulasten. Damit dürfte die Erwerbstätigkeit etwas
langsamer ausgeweitet werden als in Deutschland insgesamt. Für den Jahresdurchschnitt erwarten wir einen Anstieg der Beschäftigung um 1,2%.
Bei der Arbeitslosigkeit zeichnet sich ein Anstieg im Verlauf von 2016 ab. Mehr und
mehr Asylbewerber werden anerkannt und haben damit Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Sie dürften allerdings zunächst häufig arbeitslos sein, da ihre Beschäftigungschancen durch fehlende Sprachkenntnisse und geringe berufliche Qualifikationen gemindert werden. Allerdings dürfte der Effekt auf die registrierte Arbeitslosigkeit verzögert eintreten, da die betroffenen Personen häufig an Integrationskursen der Bundesagentur für Arbeit teilnehmen und während dieser Zeit nicht als arbeitslos erfasst
werden. Daher beeinflusst der für die zweite Jahreshälfte zu erwartende Anstieg der
Zahl der registrierten Arbeitslosen im Jahresverlauf nur in geringem Maße die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt. Diese dürfte in Nordrhein-Westfalen im Jahr
2016 unverändert bei 8,0% liegen.
33
Konjunktur in Nordrhein-Westfalen
Literatur
BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2015), Bauvolumen in den
Regionen Deutschlands. BBSR-Analysen KOMPAKT 14/2015.
BDEW – Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (2015). Erneuerbare Energien
und das EEG: Zahlen. Fakten, Grafiken (2015). Berlin, BDEW.
BMVI – Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2015), Aktuelle
Breitbandverfügbarkeit in Deutschland (Stand: Mitte 2015). Berlin, BMVI.
Döhrn, R. G. Barabas, A. Fuest und H. Gebhardt (2014), Konjunktur in Nordrhein-Westfalen:
Expansion bleibt schwach. RWI Konjunkturberichte 65 (4): 17-30.
Döhrn, R. G. Barabas, A. Fuest, H. Gebhardt, P. an de Meulen, M. Micheli, S. Rujin, T. Schmidt
und L. Zwick (2015), Binnenwirtschaftlicher Aufschwung setzt sich fort. RWI Konjunkturberichte
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SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2015).
Zukunftsfähigkeit in den Mittelpunkt. Jahresgutachten 2015/16. Wiesbaden, SVR.
34
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