DIALOG & GESELLSCHAFTLICHE BETEILIGUNG Dialog und gesellschaftliche Beteiligung DIALOG & GESELLSCHAFTLICHE BETEILIGUNG Die christliche Botschaft ist die Botschaft von der Würde eines jeden Menschen und unserer sozialen Verantwortung. Um dieser Botschaft gerecht zu werden, braucht es eine Gesellschaft, die die Vielfältigkeit der Menschen wertschätzt, Minderheiten integriert, Benachteiligten zu ihrem gleichberechtigten Platz verhilft. Von Kerstin Wesely G esellschaft, das sind wir alle! In Bolivien wie in Deutschland stehen wir als Bürgerinnen und Bürger unserer Länder und als Christinnen und Christen vor der Herausforderung, diese Gesellschaft demokratisch und durch unser konkretes Handeln zu prägen, mit dem Evangelium als unserer Richtschnur. Dass Demokratie nicht einfach ist, zeigt sich aktuell in unserem Partnerland Bolivien sehr deutlich. Dort stehen sich verschiedene Interessengruppen beinahe unversöhnlich gegenüber. Es wird polarisiert, Dialog ist sehr schwierig. In Deutschland ist das demokratische System seit sechs Jahrzehnten stabil gewachsen. Aber auch hier stellt sich die Frage, wie ernsthaft die Menschen ihren Staat und die Gesellschaft (und damit auch das globale Zusammenleben) aktiv mitprägen. Lassen wir uns in Deutschland nicht allzu oft von der Komplexität der politischen Themen und Strukturen abschrecken und ergeben uns den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen als hätten wir nichts damit zu tun? Demokratie ist darauf angewiesen, dass Menschen aufeinander zugehen, zuhören und Kompromisse schließen. Sie braucht Menschen, die sich eine Meinung bilden und für diese eintreten, die den Mut haben Dinge zu hinterfragen und Neues anzuregen. Demokratisches Zusammenleben ist keine Selbstverständlichkeit, weder in Bolivien noch in Deutschland, sondern braucht engagierte Menschen, die die Demokratie lebendig halten. Hildegard HammBrücher sagte dazu: „Durch Ruhe und Ordnung kann die Demokratie ebenso gefährdet werden wie durch Unruhe und Unordnung.” dación Jubileo, Partnerschaftsgruppen der Diözesen, die Pastoral Juvenil Vocacional) befähigen Menschen, sich an den politischen Diskussionen zu beteiligen und demokratische Strukturen in ihrem Land aufzubauen und zu festigen (z.B. im Prozess des Schuldenerlass 2000, in Sozialforen …) In der Arbeit in den Pfarreien, Dekanaten, Schulen und JugendVerbänden des Bistums Trier motivieren wir uns und andere, Verantwortung für das Jetzt und die Zukunft zu übernehmen und sich politisch zu engagieren (z.B. in der „Aktion Arbeit“, in Tafel-Projekten, zum „G8-Gipfel“, in der Politik …) Gesellschaftliche Beteiligung findet in vielfältigen Formen statt. Das Jubiläumsjahr bietet eine Fülle von Anlässen, sich auch im globalen Kontext politisch einzubringen und damit die christliche Botschaft weiterzutragen. Das Jubiläum beinhaltet auch die Einladung zum Nachdenken und Austauschen darüber, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen und auf welchen neuen Wegen wir Dialog und gesellschaftliche Beteiligung in Bolivien und in Deutschland stärken können. In der Partnerschaftsarbeit setzen wir dort an. Die verschiedensten Akteure in Bolivien (z.B. die Fun- 24 50 JAHRE BOLIVIENPARTNERSCHAFT 50 JAHRE BOLIVIENPARTNERSCHAFT 25 DIALOG & GESELLSCHAFTLICHE BETEILIGUNG DIALOG & GESELLSCHAFTLICHE BETEILIGUNG Der Dialog als Instrument für den Frieden und die Einheit Boliviens Kollektenprojekt 2009 des Apostolischen Vikariates Beni Ausbildung für lokale Verantwortliche in der Volksgruppe Mojeño Trinitario Die Landwirtschaft ist oft unproduktiv Von Yalila Casanova Salazar E ntsprechend der Neuen Verfassung des Staates, versteht sich Bolivien als einheitlicher sozialer Staat mit plurinationalen, gemeinschaftlichen Rechten; frei, unabhängig, souverän, demokratisch, interkulturell, dezentralisiert und mit Autonomien ... Der Prozess, um dorthin zu gelangen, war für viele sehr schmerzhaft, aber für die Mehrheit der Menschen und Institutionen, die sich für einen Wechsel einsetzten, ein hoffnungsvoller. Das vorherige System musste zumindest reformiert werden, denn es hatte Ungerechtigkeit und Armut hinterlassen. Es war ein Staat, der die drängendsten, alltäglichen Probleme nicht lösen konnte und viele Menschen zwang, z.B. nach Europa zu emigrieren in der Hoffnung auf bessere Arbeitsbedingungen. Das politische System war korrupt und bediente die eigenen Leute. Es verhinderte, dass die wirtschaftlichen Ressourcen sich in konkrete Politik zugunsten des Erziehungs- und Gesundheitssektors niederschlug. In den Neunziger Jahren sagte man, dass Bolivien im Sterben liege, weil die Auslandsverschuldung enorm gestiegen war. Das steuerliche Defizit war extrem hoch und die Probleme der besonders armen Bevölkerungsschichten konnten nicht gelöst werden. Zum Jubiläumsjahr 2000 gab es in ganz Lateinamerika einen Prozess, der initiiert war von kirchlichen Organisationen, Intellektuellen und sozialen Bewegungen mit der Forderung, über die zunehmende Armut zu sprechen. Sie sei Ergebnis einer neoliberalen Globalisierung, dem Fehlen von Recht und Solidarität zwischen den Nationen und in der Bevölkerung selbst. In Bolivien wurde beim Forum Jubileo im Jahre 2000 über Strategien zur Bekämpfung der Armut und gegen den sozialen Ausschluss beraten. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft, das Instrument der sozialen Kontrolle und weitere Demokratisierung wurde eingefordert. Wichtig war es vor allem, die Stimme gemeinsam mit anderen solidarisch zu erheben und Wege aus der wirtschaftlichen Krise zu suchen. Vorangegangen war die Kampagne zum Schuldenerlass im Jahre 1999. Im Rahmen von HIPC II wurde die multilaterale und bi- laterale Schuld Boliviens reduziert. Die Partnerschaft mit Trier und Hildesheim war einer der Pfeiler zur Erlangung dieses Ziels. Die Entscheidung zum Schuldenerlass wurde in Köln 1999 durch den G8 Gipfel getroffen. Ohne Zweifel verdeutlichten die weiteren Veränderungen in Bolivien die Verwerfungen innerhalb des Landes: zwischen Tiefland und Hochland, die Polarisierung zwischen den sozialen Klassen und Ethnien wurde schärfer. Politische Diskussionen wurden ideologisiert. Es gab zwei konträre Visionen für Bolivien: die eines Landes im Aufbruch mit einem „ethnozentristischen“ Fokus und im Gegensatz dazu die eines Staates der wirtschaftlichen Entwicklung, der keine Kritik benötige. Auf beiden Seiten dominierten radikale Sektoren. Sie brachten die Sicherheit der Menschen in Gefahr, Menschenrechte wurden verletzt, ja wir mussten unsere Toten beweinen. Erneut war es die Kirche, die wiederholt dazu aufrief, aufeinander zu zugehen und zuerst das Gemeinwohl zu suchen. Die bolivianischen Bischöfe forderten, in einen Dialog zu treten, sich gegenseitig zuzuhören und auszutauschen, um zu einem gemeinsamen Ergebnis zu gelangen. Die politische Polarisierung hat einen reichen Prozess der sozialen Partizipation, der wirklichen Demokratisierung sehr eingetrübt. Menschen, die öffentlich ihre Position nicht als Teil eines Sektors, sondern als Ausdruck der Mitbestimmung benannten, wurden diffamiert und ungerechterweise beschuldigt. Es fehlte der politische Wille für den Dialog. Dies führte auch zu einem Zerfall von Legalität und rechtsstaatlicher Sicherheit. Das Gemeinwohl wurde aus den Augen verloren. Auch die Kirche wurde in diese unselige Situation hineingezogen. Ihr Bemühen um Dialog führte zu einem gesellschaftlichen Pakt, einem ‚Waffenstillstand’, der ein wenig Ruhe und Frieden brachte und so zeigte, dass das nachhaltigste Instrument für Einheit und Frieden der Dialog ist. Übersetzung: Susanna Kersting-Kuhn Auch die Fahrzeuge signalisieren den Unterschied Arm – Reich „Eingebettet in eine wahrhaftige Demokratie, inspiriert durch die Werte des gegenseitigen Respekts, Harmonie in der Pluralität, Gegenseitigkeit, Zusammenarbeit, die persönliche und wirtschaftliche Freiheit, Solidarität und Subsidiarität, orientiert an einem Projekt für das Land, das langen Atem braucht und das Wohlergehen unseres Volkes und zukünftiger Generationen im Blick nutzen sie all ihre Kraft, um ein Klima des Dialogs, der gegenseitigen Achtung und in Geschwisterlichkeit Zeichen des Verständnisses und des Verzeihens zu setzen sowie Brücken der Annäherung und des Verstehens ... zu bauen.“ In: Pastorale Leitlinien der Bolivianischen Bischofskonferenz, S.66 Das Apostolische Vikariat Beni im bolivianischen Tiefland ist dadurch gekennzeichnet, dass viele indigene Volksgruppen neben den zugewanderten Siedlern in weit entfernt voneinander liegenden, oft schwer erreichbaren Gegenden leben. Eins dieser Gebiete ist das der Pfarrei San Lorenzo de Moxos, gelegen im Süden des Departamento Beni, zwischen den Flüssen Sécuré und Tijamuchí. Zur Pfarrei gehören 4000 Gläubige, auf einen Hauptort und 18 Dörfer verteilt. Die Gemeinden gehören den Volksgruppen Mojeño Trinitario (die Mehrzahl), Yuracaré und Chimán an. Sie sprechen verschiedene Sprachen und zum Teil Spanisch als Zweitsprache. Die Menschen leben in sehr einfachen Verhältnissen, haben meist kein fließendes Wasser oder Elektrizität in den Dörfern, geschweige denn Telefon. Die Verbindungswege per Wasser, Land oder Luft sind oft schwierig. Die Pfarrei wird von Ordensschwestern “Hijas de la Caridad” geleitet. Der Pfarrer, der in San Ignacio lebt, kommt vier bis fünfmal im Jahr in die Gemeinde. Die Schwestern führen vielfältige Aktivitäten durch wie Evangelisierungspastoral, Kindergruppen, Gesundheitspastoral, Frauenhandwerksgruppen u.a. Viele Menschen trauen sich Aufgaben innerhalb der Pfarrei oder in der Dorfgemeinschaft nicht zu. Ihnen fehlt aufgrund der jahrhundertelangen Diskriminierung der indigenen Völker Selbstbewusstsein und die ausreichende Bildung. Mit dem Ziel der Qualifizierung wurde ein Projekt zur Förderung von Selbstbewusstsein und ganzheitlicher Bildung entwickelt. Es wird erwartet, dass dies auch zur Weiterentwicklung der Pfarrgemeinde beitragen wird. Geplant ist im einzelnen: Weiterbildung für Menschen vom Land in Führungsqualitäten; Förderung des Entstehens von Basisgemeinden; Organisation von Bibel-Workshops für die pastorale Aktion und Workshops mit Gruppen, um die Führungsrolle zu erarbeiten; Arbeit mit Handwerkerinnen, um die Arbeit qualitativ zu vervollkommnen; besondere Weiterbildung für Katecheten. Projektdauer: ein Jahr oder mehr Beantragter Betrag zur Durchführung von Workshops und Seminaren: 12.000 US-Dollar V O RSCH A U Zukunftswerkstatt für Engagierte in der Jugendarbeit „Dialog und gesellschaftliche Beteiligung ermöglichen“ 26. und 27. Februar 2010, Marienburg Veranstalter: BDKJ Diözesanverband Trier Das Land hat viele Rohstoffe und Früchte – es fehlt die Weiterverarbeitung 26 50 JAHRE BOLIVIENPARTNERSCHAFT Die großen Städte (La Paz) haben Weltniveau Schlange vor einer Apotheke mit billiger Arznei 50 JAHRE BOLIVIENPARTNERSCHAFT 27 DIALOG & GESELLSCHAFTLICHE BETEILIGUNG DIALOG & GESELLSCHAFTLICHE BETEILIGUNG JUBILÄUMSPROJEKT ! I NTERVI EW Demokratie lernen ist mühsam Politische Foren zu Integration, Entwicklung und Demokratie Die Fundación Jubileo fördert die Demokratieentwicklung in Bolivien Von Christel Krein (Text) und Eugen Reiter (Fotos) Fundación Jubileo Die „Fundación Jubileo“ wurde im November 2003 von der Bolivianischen Bischofskonferenz und den Diözesen Hildesheim und Trier gegründet. Ziel der katholischen Stiftung ist die Stärkung der bolivianischen Zivilgesellschaft, die Förderung der Demokratie und des Demokratiebewusstseins sowie die Befähigung zur Teilhabe und Mitgestaltung von politischen und sozialen Entscheidungsprozessen. Die Stiftung richtet sich mit Analysen der sozialen Realität an Personen und Gruppen, die politische und wirtschaftliche Verantwortung tragen. Mit Informations- und Bildungsarbeit versucht sie möglichst alle sozialen Gruppen Boliviens in politische und gesellschaftliche Prozesse einzubinden und das Bewusstsein für die staatsbürgerlichen Rechte der Partizipation und der Sozialkontrolle auf der Grundlage der Katholischen Soziallehre zu stärken. Im Team der Stiftung arbeiten derzeit 18 Personen. Juan-Carlos Nuñez, der Direktor der Fundación Jubileo beantwortet Fragen zu Arbeit, Zielsetzung und Erfolgen der Stiftung. Welche Ziele hat die Fundación Jubileo? Ein Ziel der Fundación Jubileo ist die Einflussnahme auf die öffentliche Politik. Wir versuchen, bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen mitzuwirken, die Entscheidungsträger zu beraten und sie von der Bereitstellung ausreichender Finanzmittel für den Umsetzungsprozess zu überzeugen. Unser Ansatz zielt auf Nachhaltigkeit, die wir über die Einflussnahme in staatliche Entscheidungen erreichen wollen. Unsere Intention ist langfristig auf die Verbesserung der Lebensgrundlagen der Menschen in Bolivien ausge- 28 richtet. Ein konkretes Arbeitsfeld ist zum Beispiel die Analyse des Regierungshaushaltes. Unsere Auswertung und Erläuterung des Haushaltsentwurfs stellen wir den Parlamentariern als Werkzeug und Hilfsmittel zur Verfügung. Ihnen, die oftmals keine Fachleute im Thema Staatshaushalt sind, dienen unsere Ausführungen zum grundlegenden Verständnis und sie eröffnen Möglichkeiten, die Umsetzung der Haushaltsbeschlüsse zu kontrollieren und Mittelverwendung nachzuvollziehen. Gleichzeitig erstellen wir ein Informationspaket zur Weitergabe an die Zivilgesellschaft, welche Gelder die Regierung für welche Maßnahmen beschlossen hatte, ob die Maßnahmen durchgeführt oder ob die Geldmittel anderweitig verwendet wurden. Unser Engagement lässt sich in vier Kernbereiche zusammenfassen: politische Bildungsarbeit, Lobby-Arbeit, Forschung und Auseinandersetzung mit öffentlichen Themen. Der Ursprung der Fundación Jubileo geht auf die Kampagne zum Schuldenerlass im Jubeljahr 2000 zurück. Was hat sich durch den Schuldenerlass verbessert? Auf Druck der Erlassjahr-Kampagne Jubileo 2000 wurde in Bolivien ein Gesetz erlassen, das durch Einrichtung von Kontrollgremien auf den unterschiedlichen politischen Ebenen ermög- 50 JAHRE BOLIVIENPARTNERSCHAFT licht, die Verwendung der Gelder aus dem Schuldenerlass nachzuvollziehen. Seitdem können Vertreter der Zivilgesellschaft unter anderem die Haushaltspläne der Kommunen einsehen. Aber um Korruption und Misswirtschaft entdecken zu können, benötigt man ein Mindestmaß an Schulung und Erfahrung. Hier setzt die Stiftung an: durch gezielte Bildungsmaßnahmen versetzt sie Gewerkschafter, Vertreter von Kleinbauern-Organisationen und anderen gesellschaftlichen Gruppen in die Lage, die neuen Partizipationsmöglichkeiten in der Praxis zu nutzen. Den kommunalen Verwaltungen fließen immer noch jährlich beträchtliche Geldsummen aus dem Schuldenerlass zu. Es gibt jedoch zu wenig schlüssige Finanzplanungen, wie diese Gelder langfristig sinnvoll zu investieren sind. Es gibt zwar nationale oder regionale Konzeptansätze, aber den Verantwortlichen auf der Verwaltungsebene fehlt die Fähigkeit, diese für ihre Zuständigkeitsbereiche zu realisieren. Die Gesetze sind sehr komplex. Wegen fehlender oder uneindeutiger Ausführungsgesetze ist die Umsetzung in der Praxis sehr schwierig bis unmöglich, überfordert die in den Verwaltungen zuständigen Menschen und führt dazu, dass im Zweifelsfall Gelder nicht zur Auszahlung kommen und Investitionen zurückgestellt werden. Die einzigen, die davon profitieren, sind die Banken. Es ist eine Ironie: wir als armes Land verfügen über viele Geldmittel und die Entscheidungsträger wissen nicht, wie sie diese Gelder sinnvoll investieren können. Wie sieht es heute aus, fast zehn Jahre nach der Entschuldungskampagne? Der bolivianische Staat hat enorme Summen an ausländischer Hilfe bekommen, durch den Schulden- erlass des Jahres 2000 verfügte der Staat über Liquidität durch ersparte Zins- und Tilgungsleistungen. Liquidität, die in Bildung, Schulen und Entwicklung fließen sollte. Das ist auch geschehen, doch es wurde versäumt, Inhalte zu fördern und die Qualität der Bildung zu verbessern. Die Armut ist so groß wie nie zuvor. Und auch die Verschuldung wächst stetig an. Neben der vielfach thematisierten Auslandsverschuldung erhöht sich permanent die Inlandsverschuldung des Staates und der Kommunen. Wie reagiert die Fundación auf die wirtschaftlichen Entwicklungen? Wir erforschen den Zusammenhang von Armut und dem Ungleichgewicht der Einkünfte: in Lateinamerika ist Bolivien das Land mit dem größten Spanne. Unsere Ideen und Maßnahmen zielten mit dem Ansatz „Option für die Armen“ auf Angleichung und somit Verringerung des Ungleichgewichts. ‚Wie kann es uns gelingen, dass die Reichen dazu beitragen, dass Armut reduziert wird?’ – das ist eine zentrale Frage unserer Arbeit. 70 Prozent der Wirtschaft Boliviens basiert auf der Produktion und dem Verkauf von Rohstoffen. Wie viele Ländern mit geringer Produktivität erzielt der bolivianische Staat hieraus Einnahmen in beträchtlicher Höhe, mit denen große Teile des Staatshaushaltes bestritten werden. In den wirtschaftlich starken Jahren vor der aktuellen Krise ist es dem Staat nicht gelungen, vernünftig geplante Maßnahmen zur Entwicklung der Wirtschaft und Steigerung der Produktivität auf den Weg zu bringen. Wir möchten auch darauf Einfluss nehmen, dass die Entwicklung von mehr Produktivität in Gang kommt und zwar nicht durch kurzfristig angelegte Maßnahmen, deren Wirkung schnell verpufft, sondern durch einen nach- In einer durch vielfältige Konflikte gekennzeichneten Lage und im Vorfeld mehrerer Wahlen in Bolivien möchte die Fundación Jubileo im Land Prozesse intensiverer Analyse und öffentlicher Debatte zu den zentralen Themen des Landes anregen. Dies sind Integration – auf dem Hintergrund der Spannungen und Spaltungen zwischen Volksgruppen und Regionen, Entwicklung – mit dem Ziel der Armutsreduzierung, wie es die UN Millenniumsziele anstreben, und Demokratie – mit dem Ziel der Stärkung demokratischer Kultur und politischer Dialogkompetenz. Die bevorstehenden Wahlen, im Dezember 2009 Wahl des Präsidenten, im Jahr 2010 Wahlen der Präfekten und der Bürgermeister, bieten den Raum, um seitens der Zivilgesellschaft Themenstellungen und Forderungen fundiert in die Debatte einbringen zu können. Im Rückgriff auf die Forderungen der Kampagne “Jubileo 2000” und die Ergebnisse der Forumsprozesse dieses Jahres sollen Vorschläge für die Agenda der Wahldebatten erarbeitet werden. Mit den politischen Foren auf nationaler, departamentaler (vergleichbar den deutschen Bundesländern) und kommunaler Ebene soll auf die Wahlprogramme der Kandidaten zum Bürgermeister, Präfekten und Präsidenten Einfluss genommen werden. Die Beteiligung der Bürger soll durch Aktionen wie Kontakte zu den Kandidaten und Teilnahme an den politischen Foren gefördert werden. Dabei sollen dringliche und strukturelle, das Land betreffende Themen zur Sprache kommen. Die Stimme der Gesellschaft soll zu einer wichtige Botschaft für die politischen Führungspersönlichkeiten werden. Die Fundación Jubileo, der Initiator dieser Foren, wurde vor zehn Jahren durch die Bolivianischen Bischofskonferenz und die Partnerdiözesen Hildesheim und Trier als Stifter gegründet. In Weiterführung des Engagements für den Schuldenerlass mit dem Ziel der Armutsbekämpfung im Land und unter Beteiligung der Zivilgesellschaft in der Kampagne Erlassjahr 2000 – Jubileo 2000 sind die Aufgabenstellungen der Stiftung die sozialpolitische Analyse, Fortbildung für Führungskräfte und Beiträge zur politischen Debatte in Bolivien. Zehn Jahre nach der Kampagne zum Schuldenerlass und im 50. Jahr der Partnerschaft soll das politische Engagement zugunsten von Armutsbekämpfung und Beteiligung gestärkt werden. Die entwicklungspolitische Aktion des Jubiläumsjahres wird mit dieser Initiative verknüpft. Das gemeinsame Ziel heißt, 50 politische Foren in Bolivien und in Deutschland durchzuführen. Das Vorhaben soll durch Spendenaktionen im Jubiläumsjahr mit dem Betrag von 25.000 Euro unterstützt werden. SPENDEN für die Jubiläumsprojekte der Bolivienpartnerschaft können Sie wie folgt überweisen: Bistum Trier, Bolivienpartnerschaft, Konto Nr. 3 007 848 047 bei der Pax Bank Trier (BLZ: 370 60 193) mit dem jeweiligen Spendenvermerk: 300053 = Beteiligung haltigen Prozess. Wir möchten der Bevölkerung erklären, wie die Abläufe sind, welche Abhängigkeiten bestehen und welche Konsequenzen drohen, damit die Zivilgesellschaft hier ihre soziale Kontrollfunktion wahrnehmen kann. Die Fundación Jubileo versucht an einer neuen fiskalischen Architektur mitzubauen, damit Gelder in Zukunft planvoll investiert werden können. Aber dieses Thema steht derzeit nicht im Mittelpunkt, es hat keine Priorität weder bei der Regierung, noch bei der Opposition. Aktuelle politische Probleme, die Spaltung des Landes, die unterschiedlichen Interessenlagen und damit verbundenen Machtspiele drängen die Forderungen nach einer Politik der Entwicklung und Nachhaltigkeit achtlos in den Hintergrund. Welche Rolle spielt die Partnerschaft bei Ihrer Arbeit? 1998 hat mit der Zusammenarbeit in der Entschuldungskampagne und der Vorbereitung des Jubeljahres 2000 eine neue Dimension in der Partnerschaft begonnen. 50 Jahre Partnerschaft das sind 50 Jahre Unterstützung in der Armutsbekämpfung, in Erziehung und Bildung, im Gesundheitswesen, der Wertevermittlung und der Beteiligung der Zivilgesellschaft an politischen und sozialen Entscheidungsprozessen. Die deutschen und bolivianischen Partner stehen in permanentem Informationsaustausch über ihre Arbeit, Probleme und Handlungsschritte. Wir in Bolivien und die Partner in Deutschland leben in zwei verschiedenen Realitäten, aber unsere Probleme sind vergleichbar. Wir können durch gegenseitiges Lernen, durch Fachseminare zu verschiedenen Themen (internationale Wirtschaft, Analyse internationaler Organisationen, Informationen über Währungsfond und Weltbank) und den Austausch mit Fachleuten unsere Partnerschaft qualifizieren. Diesen Prozess haben wir gemeinsam begonnen, auf diesem Weg sollten wir gemeinsam voranschreiten. denn sie werden die zukünftigen Akteure sein in der Gesellschaft und im Staat, sie werden in verantwortlichen Positionen stehen, sie sind die Bürgermeister, Richter und Veraltungsangestellten von morgen. In unserer Maßnahmen zur politischen und gesellschaftlichen Bildung arbeiten wir mit einem ganzheitlichen Ansatz, der Werte, Rechte, Dialog, Konfliktmanagement und lokale Entwicklung in den Blick nimmt. Diese Befähigung zu Demokratie und Beteiligung ist ein langer, mühsamer Lernprozess, der auch über einen langen Zeitraum finanzielle Unterstützung braucht, wenn er zum Erfolg führen soll. Warum ist es wichtig, dass es die Fundación Jubileo gibt – was ist die Motivation der Menschen, die hier arbeiten? Für die Kirche ist es eine Verpflichtung, gegen Armut, Ungleichheit, Marginalisierung und soziale Diskriminierung zu kämpfen – nicht die Symptome, sondern die Ursachen dieser Probleme zu beseitigen. In Bolivien fehlt die Vision, das Land zu entwickeln, die Ausdauer, einen langfristigen, nachhaltigen Prozess auszuhalten und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Das gilt auch für die Politiker. Probleme werden thematisiert, aber es gibt wenig konkrete Antworten oder Lösungsansätze. Unsere Arbeit ist sehr mühsam, es gibt häufig Rückschläge, nur selten kaum wahrnehmbare Fortschritte, das ist frustrierend. Aber es ist unsere Pflicht als Christen, den begonnen Weg weiter zu gehen. Wie können Demokratie und Beteiligung der Zivilgesellschaft weiter entwickelt werden? Die Erziehung zu Demokratie und Beteiligung ist auch eine Frage der Generationen. Deshalb arbeiten wir gerne mit jungen Menschen, Die Schuldenglocke erinnert an die Entschuldungskampagne 50 JAHRE BOLIVIENPARTNERSCHAFT 29 WIRTSCHAFT FAIR GESTALTEN WIRTSCHAFT FAIR GESTALTEN Wirtschaft fair gestalten JUBILÄUMSPROJEKT Qualifizierung von Frauen der TextilGenossenschaft „Sagrada Familia“ Von Ludwig Kuhn V on den Anfängen der Bolivienpartnerschaft an gibt es das Engagement für bessere und gerechtere Einkommensmöglichkeiten der Menschen im Partnerland Bolivien. Da sind die Initiativen zum Aufbau von Schulen und Internaten gerade im ländlichen Bereich zu nennen, um den Kindern und Jugendlichen Zugang zu Bildung und damit zu qualifizierteren Berufen zu schaffen. Da ist das große Projekt bereits aus den Sechziger Jahren zu nennen, durch den Aufbau von landwirtschaftlichen Genossenschaften die Erträge der Kleinbauern auf dem Land zu stärken und die Ausbeutung durch Zwischenhändler zu verhindern. Später wurde in Deutschland zunächst im Jugendbereich der Faire Handel als Weg zu nachhaltigen Einkommen für Kleinproduzenten vorangetrieben. Dabei wurden mit den Produzenten angemessene Preise für ihre Produkte, die über den ‚freien’ Weltmarktpreisen liegen, Preisgarantien und Beiträge zu gemeinschaftlichen Bildungs- und Ausbildungsprojekten vereinbart. Heute ist auf dem Hintergrund der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise eine besondere Aufmerksamkeit auf die gerechte Gestaltung der Wirtschaft gerichtet. Wie kann wirtschaftliches Handeln orientiert werden durch Werthaltungen und durch Kriterien der Beteiligungsgerechtigkeit, der sozialen Ausgestaltung und der ökologischen Verantwortung? Vertrauen in die Wirtschaft wird nicht nur als Ver- trauen in die ökonomische Vernunft und Leistung der Unternehmen gesehen, sondern für ein neues Vertrauen wird nach ethischen Positionen gefragt und auf die soziale, gesellschaftliche und ökologische Verantwortung hingewiesen. Dies gerade auch in globalen Verflechtungen zu gestalten, ist eine Herausforderung für dieses Jahrhundert. Die Kirchen im Norden wie im Süden sind angefragt, in der Orientierung von Werten und Optionen beizutragen. Die Katholische Soziallehre kann hierfür als Instrument geschärft werden, um die Option für soziale globale Gerechtigkeit zu konkretisieren und die Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung einzubeziehen. Im Jubiläumsjahr der Partnerschaft können Zeichen gesetzt werden: Selbstverpfichtung zu fairem Handel Der Faire Handel ist ein konkretes Handeln für Gerechtigkeit. Für die Produkte des Fairen Handels, die mit dem Fairtrade-Siegel gekennzeichnet sind, werden einkommenssichernde und die soziale Entwicklung fördernde Preise gezahlt. In Bolivien ist die Kakao-Genossenschaft El Ceibo ein landesweit bekanntes Beispiel. Heute sind viele Familien in den örtlichen Genossenschaften beteiligt und können für ihr Leben, für die Ausbildung ihrer Kinder und die Weiterentwicklung der Region einstehen. Neben Schokolade und Kakao von El Ceibo, etwa im Bolivien-Schoko-Riegel Ricobo gibt es eine Reihe weiterer Fairtrade-Produkte aus Bolivien und natürlich aus anderen Ländern. Die Produktions- und Sozialstandards der als Fairtrade-Partner geprüften Unternehmen sind zugleich Einspruch gegen die Ausbeutung der Arbeiter und gegen Kinderarbeit. „Partner handeln fair!“ – Im persönlichen Einkaufsverhalten wie im Einkauf für die Pfarrgemeinde wird mit dem Kauf fairer Produkte ein Zeichen für die Partner gesetzt. Setzen Sie in Ihrer Gemeinde dieses Zeichen! Einstehen für partnerschaftliches und gerechtes Wirtschaften in der Einen Welt Die Verankerung von sozialen und ökologischen Standards von Arbeitsbedingungen braucht einerseits internationale Vereinbarungen und Regelungen, und Lobbyarbeit für die Durchsetzung. In der Entwicklung heute geforderter Konzepte und Praxismodelle sind motivierte Unternehmer und Führungskräfte gefragt. Dabei gilt es, auch soziales und ökologisches 30 50 JAHRE BOLIVIENPARTNERSCHAFT Wirtschaften in der Region zu fördern. Gesellschaftlich gilt es, die politischen Kräfte zu stärken, die die soziale Gestaltung von Handelsund Wirtschaftsprozessen fördern, gerade auch in den globalen Verflechtungen, und die reine Marktorientierung zurückweisen. Damit die Menschen in den Ländern des Südens nicht doppelt durch die Finanzkrise getroffen werden, müssen die Millenniumsziele für die Armutsreduzierung (Ziel: Halbierung bis 2015) beibehalten werden und die Mittel bereitgestellt werden. In der entwicklungspolitischen Aktion des Jubiläums „Miteinander Zukunft gestalten: politisch handeln“ ist jeder eingeladen, Positionen zu beziehen und mit seiner Person zu unterstützen. Mit den Positionen vieler im Rücken soll in der zweiten Hälfte des Jubiläumsjahres in 50 politischen Foren in Deutschland und in Bolivien der Dialog mit Abgeordneten und Führungskräften gesucht werden. Die politischen Verantwortungsträger in den Parlamenten sollen spüren, dass sich viele für eine gerechte globale Wirtschaft einsetzen. Im Apostolischen Vikariat Ñuflo de Chávez gibt es in den Regionen Chiquitanía und Guarayos eine bedeutende kunsthandwerkliche Tradition. Die natürlichen hier vorkommenden Rohstoffe wie Baumwolle, Palmen und Holz sind geeignet, Produkte wie Hängematten, Taschen, Körbe u.a. zu fertigen. In den Jahren 2005 – 2006 wurden Frauengruppen zur Herstellung von Kunsthandwerk aufgebaut und haben sich inzwischen zum Kunsthandwerkerinnenverband „Sagrada Familia“ zusammengeschlossen. Es wurde mit der Produktion und Vermarktung und ersten notwendigen Ausbildungsmaßnahmen begonnen. Darauf aufbauend wurde eine Initiative zur Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe der Frauen gestartet, mit der Geschlechterfrage im Mittelpunkt, die auch von Misereor unterstützt wurde. Nach den bisherigen positiven Entwicklungen stehen nun die Weiterqualifizierung der Frauen und der Produktionsgemeinschaften an. Qualität der Produkte und Vermarktung sind die aktuellen Aufgabenstellungen. Dazu gehört die Vermittlung von Fähigkeiten, die Produkte zu präsentieren und durch Ausbau der Kontakte mit Zwischenhändlern und Institutionen den Verkauf zu verbessern. Die Caritas von Ñuflo de Chávez hat sich das Ziel gesetzt, innerhalb eines Jahres 30 Frauen aus den verschiedenen Gruppen und Orten in den genannten Bereichen fortzubilden, so dass diese ihre Kenntnisse an die Mitglieder in den Gruppen, ca. 110 weitere Frauen vermitteln können. Dadurch sollen die Frauen lernen, die Qualität ihrer Produkte zu verbessern und sie auf dem nationalen und vielleicht internationalen Markt anzubieten. Das soll den Frauen ermöglichen, das Einkommen für ihre Familien zu erhöhen und nachhaltig zu sichern. Über ein Jahr sollen sich folgende Maßnahmen verteilen: • Versammlungen zur Planung im Januar und Februar • Fortbildung und technische Beratung von März bis Dezember • Kauf von Ausstattung und Materialien für die Produktion • Ausarbeitung und Erstellung der Produkte: Juni bis September • Unterstützung der Kommerzialisierung, besonderes der TopProdukte mit Potenzial für den nationalen und internationalen Markt: September bis Dezember Das Vorhaben soll mit Spenden aus Jubiläumsaktionen mit 20.000 Euro gefördert werden. SPENDEN für die Jubiläumsprojekte der Bolivienpartnerschaft können Sie wie folgt überweisen: Bistum Trier, Bolivienpartnerschaft, Konto Nr. 3 007 848 047 bei der Pax Bank Trier (BLZ: 370 60 193) mit dem jeweiligen Spendenvermerk: 300054 = Wirtschaft 50 JAHRE BOLIVIENPARTNERSCHAFT 31 WIRTSCHAFT FAIR GESTALTEN WIRTSCHAFT FAIR GESTALTEN Nähmaschine statt Maschinengewehr Boliviens Militärdiözese ermöglicht jungen Soldaten handwerkliche Ausbildung Von Christel Krein (Text) und Eugen Reiter (Fotos) E s ist ein ungewöhnlicher Kampfeinsatz, den die jungen bolivianischen Soldaten allabendlich zu bewältigen haben. In Uniform gekleidet sitzen sie an modernen Nähmaschinen und versuchen verzweifelt, das widerspenstige Nähgarn mit ihren groben Männerhänden durch das kleine Nadelöhr zu fädeln. Mit viel Geduld gewinnen sie den Kampf und sie wissen ganz genau: dieser Einsatz lohnt sich. Der Militärdienst in Bolivien dauert ein Jahr. Für die Familien ist es eine Ehre, wenn ihr Sohn diesen Dienst leistet. Problem ist, dass die Soldaten noch sehr jung sind, wenn sie den Militärdienst antreten. Häufig mangelt es an Schulbildung, so dass sie nach dem Wehrdienst nichts in Händen haben: teilweise sind sie ihren Familien entfremdet, es fehlt ein Schulabschluss, es gibt keine Perspektive für Ausbildung. Hier setzt das Programm der Militärdiözese an. Vier Monate lang erhalten 18 junge Soldaten in der Projektwerkstatt der bolivianischen Militärdiözese eine fundierte Grundausbildung als Textilfertiger. Auch Schreiner- und Computerkurse werden angeboten mit dem Ziel, den jungen Männern nach dem Militärdienst eine berufliche Perspektive zu eröffnen. rekte Beziehung zwischen Produzent und Konsument aufbauen“, erläutert Militärbischof Gonzalo del Castillo die inhaltliche Zielsetzung des erfolgreichen Projektes. Die Kurse sind offen für Teilnehmer aus allen Waffengattungen: Luftwaffe, Marine und Militärpolizei. Die Soldaten versehen tagsüber ihren normalen Dienst und werden an den Abenden für die Teilnahme an der Ausbildung freigestellt. Aus den Projektmitteln wird auch der Transport zwischen Kasernen und Ausbildungsstellen finanziert. Die größte Schwierigkeit ist die Auswahl der Teilnehmer, denn das Ausbildungsangebot ist begrenzt. In jeder Kaserne sind ungefähr 350 Soldaten stationiert, von denen jeweils 100 Interesse an der Ausbildung haben. Die Anmeldung erfolgt über Bewerbungsbögen, die Entscheidung liegt bei den Projektverantwortlichen. José Ismael Zeballos ist Ausbilder im Bereich der Textilfertigung und Gesamtverantwortlicher für die verschiedenen Lehrangebote. „In der Nähwerkstatt arbeiten wir mit Industriemaschinen, wie sie auch in den Textilfabriken für die Ferti- „Wir stellen uns als Militärdiözese der Verantwortung, die Lebensqualität der Rekruten zu verbessern. Seit 2006 können wir dank der Projektförderung der Partnerschaftskommission der Bolivianischen Bischofskonferenz hierzu einen sinnvollen Beitrag leisten. ‚Comercio justo‘ (gerechter Handel) ist unser Auftrag und Anliegen: wir fördern würdige Arbeit, in der die Rechte der Arbeiter geachtet werden, wir wollen für die hergestellten Produkte einen gerechten Preis erzielen und eine di- 32 50 JAHRE BOLIVIENPARTNERSCHAFT gung eingesetzt werden. Es gibt Nähmaschinen, spezielle Maschinen für die Versäuberung der Nähte, verschiedene Nadeln, Nähfüße und technische Hilfsmittel, computergesteuerte Stickmaschinen, mit denen individuelle Embleme und Applikationen gestaltet werden können. Die Kursteilnehmer sollen die Handhabung aller Maschinen erlernen, um später einmal im Bereich der Textilfertigung in einer Fabrik oder sogar selbständig arbeiten zu können. Auch das Entwerfen von Schnittmustern und der Zuschnitt selbst ist Teil der Ausbildung. Es ist nicht nur Handwerk, sondern auch Kreativität gefragt“, erläutert Ismael das Konzept. Zunächst müssen die Auszubildenden die Maschine beherrschen lernen. Hierfür wird drei Wochen lang nur auf Papiermustern genäht. Danach erhalten die Lehrlinge Stoffstücke, auf denen sie die gleichen Nähte wie vorher auf Papier nachvollziehen müssen. Zwei Monate braucht es, bis alle den Umgang verschiedenen Stoffarten und die einfache Fertigung beherrschen. Erst dann werden die schwierigen Teile trainiert: das Militärbischof Gonzalo del Castillo Nähen von Krägen, Passen und Tascheneinsätzen. Schwerpunkt der Ausbildung liegt auf der Anfertigung von T-Shirts, Sporthemden und Hosen sowie Polohemden. In vielen Städten gibt es große Textilfabriken, die für den Export Aufträge weltweit bekannter Firmen ausführen. Die gut ausgebildeten Soldaten haben gute Chancen, in einer solchen Fabrik Arbeit zu finden. Daneben hat sich eine zweite Fertigungsidee herauskristallisiert: Messgewänder, Stolen, Kelchtücher. Traditionell werden solche Textilien in Handarbeit in Klöstern im Rahmen der klassischen Paramenten-Stickerei angefertigt. Aber das ist nicht billig, viele Priester oder Pfarreien können sich diese individuellen und deshalb teuren Gewänder nicht leisten. Die Stickvorlagen werden am Computer entwickelt Paz verkauft werden oder über Internet direkt in der Werkstatt geordert werden können. Ähnlich funktioniert auch die Holzwerkstatt unter Leitung von Marco Aviles Ildefonzo. Zunächst erlernen die jungen Männer die Grundbegriffe des Schreinerhandwerks, den Umgang mit Werkzeugen, machen Materialkunde und müssen erfahren, dass am Anfang viele Anläufe notwendig sind, um aus einem Brett oder einem Stück Holz einen Gebrauchsgegenstand zu machen. Die Werkstatt bietet Platz für 18 Schreiner-Lehrlinge pro Kurs. Die Kosten für die Materialien werden aus der Projektförderung abgedeckt. Begonnen wird mit einfachen Arbeiten, der Herstellung von Bilderrahmen, von Spiegeleinfassungen, kleinen Figuren oder Gebrauchsgegenständen wie Buchstützen oder Kulihaltern. Neben dem Schreinerhandwerk werden auch kreative Fähigkeiten im Bereich der Schnitzerei gefördert. Stolz präsentiert Schreinermeister Marco den Entwurf und die Ausführung des Altares für die Kirche La Merced in La Paz. Die Pfarrei hatte den Auftrag erteilt, den Altar und den Altarraum der Kirche neu zu gestalten. Ein Schreinerkurs des Jahres 2008 hatte die Planungen und die Arbeiten innerhalb von zwei Monaten ausgeführt. Jeder Auszubildende hatte nach einem genauen Plan Einzelstücke geschnitzt und gestaltet. Am Ende wurde alles unter Anleitung von Marco Aviles zusammengefügt und in der kleinen Kirche aufgebaut. Das war ein großes Erfolgserlebnis für die jungen Männer. Zu dem Ausbildungsangebot der Militärdiözese gehören seit einiger Der Stola fehlen noch die Fransen, dann wird sie als Geschenk an Bischof Ackermann mitgegeben Zeit auch Computerkurse. Ein Schulungsraum mit 15 PCs wurde eingerichtet, Internetzugang ist vorhanden. Hier lernen die Soldaten den Umgang mit der Technik und die Anwendung der gängigsten Programme. Die Kurse erfolgen in Zusammenarbeit mit den Studenten der nahe gelegenen Universität Don Bosco. Deren Studenten haben ein Konzept für die PC-Kurse entwickelt und fungieren als Lehrer. Das tun sie unentgeltlich, denn die Unterrichtstunden bei der Militärdiözese werden ihnen als Praktikum anerkannt. Am Ende ihrer viermonatigen Ausbildung erhalten die Soldaten ein Zertifikat über die Ausbildung mit dem Logo der Partnerschaft, der Unterschrift des Militärbischofs als Träger der Ausbildungsmaßnahme und einer Bestätigung der Universität Don Bosco. Einmal im Jahr ist eine ‚feria‘ – eine Art Basar, bei der die Absolventen der Handwerkskurse ihre Erzeugnisse präsentieren und verkaufen können. Dann finden ver- zierte Bilderrahmen, geschnitzte Engel und Heiligenfiguren genauso reißenden Absatz wie farbenfrohe T-Shirts, Sporthosen und Polohemden in bester Qualität. Kollektenprojekt 2009-2010 der Militärdiözese „Diócesis Castrense“ Berufliche Ausbildung für Wehrpflichtige Dieses Projekt baut auf den positiven Erfahrungen mit dem 2006–2007 durchgeführten Aufbau von Werkstätten für Wehrpflichte auf. Dies war ein Projekt, das durch Mittel der Partnerschaft unterstützt wurde. Die Ausbildung war erfolgreich, die von den jungen Wehrpflichtigen hergestellten Produkte konnten auch auf dem nationalen Markt verkauft werden. Neben der Ausbildung in den Bereichen industrielle Fertigung von Textilien und Holzschnitzerei soll es um den zukunftsträchtigen Bereich „Computertechnologie” erweitert werden. Es ist verbreitet, dass Wehrpflichtige neben ihrem Dienst ihre Schulausbildung abschließen oder eine praktische Ausbildung beim Militär erhalten können. In diesem Projekt wird das durch die Militärdiözese beispielhaft möglich gemacht. Die Ausbildung erlaubt es den jungen Leuten, im Anschluss an ihren Miltiärdienst selbst Geld zu verdienen. Wehrpflichtige, die 2009 und 2010 in La Paz und El Alto ihren Dienst ableisten, erhalten mit diesem Projekt die Möglichkeit, während eines jeweils sechsmonatigen Programms (Juli–Dezember 2009 und Juli–Dezember 2010) eine praktische Ausbildung in der Schneiderei, der Holzschnitzerei oder der Computertechnologie zu erwerben. In der Nähwerkstatt der Militärdiözese wird genau für diesen Markt produziert und die Ergebnisse können sich sehen lassen. Inzwischen gibt es regelmäßige Auftragsarbeiten und ein kleines Sortiment an sakralen Textilien, die in einem Laden der Erzdiözese La Für die Ausbilder und die Materialkosten werden über zwei Jahre 12500 US-Dollar beantragt. Verantwortlicher des Projekts ist José Ismael Zeballos. Soldaten bei der Ausbildung 50 JAHRE BOLIVIENPARTNERSCHAFT 33 WIRTSCHAFT FAIR GESTALTEN WIRTSCHAFT FAIR GESTALTEN Der Baum, der niemals stirbt Ricobo – der PartnerschaftsSchoko-Riegel El Ceibo – ein Erfolgskonzept für nachhaltige Landwirtschaft und fairen Handel In der Bolivienpartnerschaft wird der Faire Handel gerade mit Produkten aus Bolivien gestärkt. Denn so erhalten Kleinbauern und Produzenten in Bolivien eine nachhaltige Einkommens- und Entwicklungsperspektive. Von Christel Krein (Text) und Eugen Reiter (Fotos) E l Ceibo ist ein Urwaldbaum, der, so erzählen es die Einheimischen niemals stirbt. Fällt man einen Ceibo, schneidet ihn in Latten und steckt die Latten in die Erde, so sprießt daraus ein neuer Baum. El Ceibo heißt auch die Dachorganisation der Kakaobauern-Kooperativen im Alto Beni, die im Jahr 1977 mit ihrer Arbeit begann. Dem Zusammenschluss der Bauerngemeinschaften ging eine traurige Geschichte voraus. Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts führte die bolivianische Regierung ein Umsiedlungsprogramm durch. Das bolivianische Hochland, der Altiplano, galt als überbevölkert, Bodenknappheit, schlechte Ernten und die Krise im Bergbau hatten zu Arbeitslosigkeit und Armut geführt. Viele Familien aus dem Hochland ließen sich von den Regierungsversprechen ins Tiefland locken. Dort erhielt jede Siedlerfamilie 12 Hektar Land, etwas Saatgut und Werkzeug; man empfahl den Siedlern ohne weitergehende Beratung den Anbau von Kakao, für Bolivien ein völlig neues Agrarprodukt, mit dem es keine Erfahrung gab. Erschwerend kam hinzu, dass die Menschen sich untereinander nicht kannten, es gab keine gewachsenen Dorfgemeinschaften, sondern alle saßen vereinzelt auf ihren Parzellen. Das ungewohnte feuchtwarme Klima und bis dahin unbekannte Krankheiten wie Malaria machten ihnen zu schaffen. Die Zwischenhändler nutzten die Unerfahrenheit der Bauern aus und zahlten lange Zeit viel zu niedrige Preise für den Kakao. Aufgrund dieser schlechten Erfahrungen schlossen sich vor nunmehr 32 Jahren zunächst zwölf Kakao-Kooperativen im Regenwaldgebiet am Rio Beni zu der Dachorganisation El Ceibo zusammen, die bis heute auf 49 Mitglieds-Kooperativen angewachsen 34 ist, zu denen insgesamt 1200 Bauernfamilien gehören. Schon früh erkannte man bei El Ceibo, dass die aussichtsreichsten Möglichkeiten in noch wenig besetzten Marktnischen lagen. Aus Geldmangel hatten die meisten Kakaobauern ohnehin auf den Einsatz von Pestiziden oder Verwendung von chemischen Düngern verzichten müssen – so lag die Umstellung auf ökologischen Anbau nahe, zumal für den Bio-Kakao ein höherer Preis erzielt werden konnte. „Die Arbeit der Dachorganisation unterstützt die Kooperativen in den Bereichen Anbau und Technik mit Planungshilfen oder dem Einsatz von Maschinen und Geräten. Im Laufe der Jahre haben wir ein Ausbildungs- und Trainingspro- Nachdem die Bauern ihre Ernte in zentralen Sammellagern abgeliefert haben, wird der Transport zur eigenen Kakao- und Schokoladenfabrik in El Alto organisiert, wo die Verarbeitung nach strengen Qualitätskriterien durchgeführt wird. In der Schokoladenherstellung und in der Entwicklung neuer Produktvarianten haben die Mitarbeiterinnen inzwischen große Erfahrung und beweisen dazu viel Kreativität. gramm sowohl für den verwaltungstechnischen als auch für den landwirtschaftlichen Sektor entwickelt. Ein besonders wichtiges Instrument sind die Schulungsteams aus Agrarfachleuten, die die Familien im organischen Anbau fortbilden und beraten“, erläutert Geschäftsführer Abraham Apaza die eine Säule von El Ceibo, in der 65 Leute beschäftigt sind. Der zweite Verantwortungsbereich ist die Produktion von Kakao-Folgeprodukten und deren Vermarktung, hier sind insgesamt 79 Leute beschäftigt, die alle aus den Basis-Kooperativen stammen. Sie sind gleichzeitig Angestellte von El Ceibo und entscheidungsberechtigte Mitglieder ihrer jeweiligen Kooperative. Eingang zur Fabrik in El Alto Geschäftsführer Abraham Apaza Leckeres aus der Produktion El Ceibo fußt auf klaren Strukturen und Mitbeteiligung auf allen Ebenen. Oberstes Entscheidungsgremium ist die Generalversammlung, die auch über die Verwendung der Gewinne und der Prämiengelder des Fairen Handels bestimmt. Die meisten Kleinbauern bearbeiten ihr Land mit ihrer Großfamilie und nutzen die vielfältigen Möglichkeiten, die das funktionierende Solidarsystem bietet. Sie pflegen die Mischwirtschaft, wo Kakao zusammen mit anderen Kulturen wie Yucca, Mais und Bananen angebaut wird. Diese Methode hat sich als wesentlich umweltverträglicher erwiesen als die in Monokulturen angelegten Großplantagen. Ricobo wird zum Preis von 0,80 Euro verkauft. Er ist zu beziehen bei den Weltläden in der Region und bei den Regionalen Fairhandelszentren Saarbrücken und Bonn. Bitte nehmen Sie frühzeitig Kontakt mit ‚ihrem’ Weltladen auf und teilen Sie ihr Interesse mit, den Bolivienriegel Ricobo zu beziehen und Verkaufsaktionen mit ihm durchzuführen. Über die Verwendung von Rabatten bei Mengenabnahmen entscheiden Sie vor Ort. Ursprünglich ging es den Gründungsmitgliedern vor allem um die eigenständige Verarbeitung und Vermarktung von Kakao. Heute sind die Ziele weiter gefasst: die Verbesserung der Lebensumstände im Alto Beni, die nachhaltige Entwicklung der einheimischen Bevölkerung, die Erhaltung des Regenwaldes sowie der ökologische Landbau. Der Aufbau fester Exportbeziehungen mit zuverlässigen europäischen Partnern für fertige Schokolade-Produkte aus ökologischem Anbau im Rahmen des gerechten Handels – das ist die nächste Etappe, die man sich gesetzt hat, auf dem langen mühsamen Weg zu einem gerechteren Handel. „Nach mehr als 30 Jahren sind noch immer 90 Prozent der Gründerfamilien in den Kooperativen dabei. Die meisten funktionieren Der flüssige Kakao wird in Barrenformen gegossen 50 JAHRE BOLIVIENPARTNERSCHAFT Doña Adela Salluco ist hier die Chefin und produziert mit ihren Kolleginnen, neben Schokoladen für den einheimischen Markt, ein kleines Sortiment für den Export bestimmter hochwertiger Schokoladeprodukte. Exportiert werden aber überwiegend Zwischenprodukte wie Kakaobutter und Kakaopaste, die in den Ländern der Handelspartner weiterverarbeitet werden. Miguel Angel Paredes ist zuständig für die Qualitätskontrolle. Er überwacht jeden Arbeitsschritt von der Röstung der Kakaobohnen, über das Trennen von Kern und Hülle, das Mahlen, die Herstellung der Schokoladenmasse, das Befüllen der Formen, den Kühlungs- und Härtungsprozess bis hin zum Verpacken. Saubere Arbeitskleidung und Gesichtsmasken für alle Mitarbeiter sind so selbstverständlich wie die Einhaltung der Hygiene-Vorschriften. inzwischen in der zweiten Generation, denn Söhne oder Töchter haben die Höfe übernommen. Von Anfang an haben wir die Partizipation der Frauen gefördert. Sie können die Betriebe ihrer Männer oder Väter erben, gelten dann auch als gleichberechtigte Mitglieder in den Kooperativen“, betont Geschäftsführer Apaza. Beispielhaft steht dafür der Schoko-Quinua-Riegel Ricobo. Er wird durch das Fair Handelshaus GEPA hergestellt und über die Regionalzentren in Saarbrücken und Bonn an die Weltläden im Bereich des Bistums vertrieben. Ricobo ist ein hochwertiges Produkt, das den Kriterien des Bio-Siegels Naturland entspricht. Die Schokolade wird in der bolivianischen Genossenschaft El Ceibo hergestellt, die Quinua wird exportiert durch die Genossenschaft Coronilla. Vielerlei lässt sich aus Kakao herstellen Der gute Kakao von El Ceibo 50 JAHRE BOLIVIENPARTNERSCHAFT 35