___________________________________________________________________ 1 Musikstunde mit Wolfgang Sandberger „Lichtes Dur“ und „melancholisches Moll“: Die Sängerin Kathleen Ferrier und der Dirigent Bruno Walter Mittwoch, 18. April 2012 „Herr über alle Musik“ – mit diesen Worten hat Erika Mann einen Artikel überschrieben zum 80. Geburtstag des Dirigenten Bruno Walter. „Herr über alle Musik“ – so hat ihn auch Thomas Mann gesehen: Bruno Walter sei eine „Fracknatur, eher schmächtig als robust, nervös-elegant“ – so klettere er auf seine „kleine Pult-Bühne“ um „Feuer aus dem Stein zu schlagen“... Musik 1 CD 2 Track 6 Gustav Mahler “Ging heut morgen übers Feld”, aus den Liedern eines fahrenden Gesellen Mildred Miller, Mezzosopran Columbia Symphony Orchestra Ltg. Bruno Walter (Juli 1960) SM2K 64447 3.43’’ Der 1. Juli 1960 in Hollywood – mit dem 84-jährigen Bruno Walter und seinem musikalischen Hausgott Gustav Mahler: „Ging heut morgen übers Feld“ aus den Liedern eines fahrenden Gesellen mit Mildred Miller und dem Columbia Symphony Orchestra. Anderthalb Jahre später ist Bruno Walter gestorben – am 17. Februar 1962 in Beverly Hills in Kalifornien, wo der Dirigent – nach amerikanischen Dimensionen – in der Nachbarschaft eines alten Münchner Freundes gewohnt hatte, in der Nähe von Thomas Mann. Die SWR 2 Musikstunde erinnert in dieser Woche an den 50. Todestag dieses großen Dirigenten. Abgesehen von Gustav Mahler hat wohl keine andere Person für Bruno Walter eine ähnliche Bedeutung gehabt wie der Schriftsteller Thomas Mann, intellektuell und persönlich. Diese lebenslange Freundschaft hat ihre Anfänge in 2 München, wo die beiden in enger Nachbarschaft im Herzogpark gewohnt haben. Auf der Terrasse der Thomas-Mann-Villa in der Poschingerstraße oder im behaglichen Herrenzimmer dieser Villa habe es unvergessliche Stunden gegeben, so Walter in seinen Erinnerungen. Vor allem die turbulenten Kinderfreundschaften zwischen den Walter-Töchtern sowie Klaus und Erika Mann hätten „unaufhörlich Stoff zu erregten Telefonanrufen und persönlichen Beratungen“ ergeben – so Walter. Im erzwungenen Exil sollten sich beide Familien später wieder begegnen und nach 1945 kommt es dann zu der erneuten Nachbarschaft in Kalifornien. Thomas Mann hat mehrfach über den Dirigenten geschrieben und dabei die besondere humanistische Dimension dieser Künstlerpersönlichkeit unterstrichen: „Der Anblick des großen Dirigenten sei der Anblick zündender Passion – so Thomas Mann - , zündender Liebe: nicht nur der Liebe zur Sache, sondern auch zum menschlichen Mittel, das er zur höchsten Dienstleistung entflammt. Walter fordert nicht nur, er gibt, gibt sich ganz, nicht nur dem Werk, sondern namentlich denen, die er leitet, und was er erzielt, ist Hingabe für Hingabe“ Musik 2 Track 7 Johannes Brahms Poco Allegretto, dritter Satz aus der Symphonie Nr. 3 F-dur op. 90 Columbia Symphony Orchestra Ltg. Bruno Walter SMK 64471 6.13’’ Lieben sie Brahms? Auch der Wagner-Bruckner und Mahler-Dirigent Bruno Walter hätte diese Frage wohl enthusiastisch mit ja beantwortet: Lieben Sie Brahms? Ja, aber bitte langsam: das ist der dritte Satz gewesen „Poco Allegretto“ aus der dritten Sinfonie F-dur op. 90 – aufgenommen mit dem Columbia Symphony Orchestra wenige Monate vor dem Tod des Dirigenten im Februar 1962. 3 Die Freundschaft zwischen Thomas Mann und Bruno Walter geht auf die frühen Münchner Jahre zurück, wo die jüdische Herkunft des Dirigenten schon bei seiner Berufung 1912 vielen ein Dorn im Auge gewesen ist. Bruno Walter hat hier manches im Nachhinein beschönigt. Als Bruno Schlesinger ist der Dirigent einst im Herzen von Berlin geboren, doch mit 20 hat er seinen Geburtsnamen Schlesinger abgelegt, in Breslau ist er damals engagiert gewesen. Man könne – so sei ihm gesagt worden – man könne doch unter Schlesiern nicht gut Schlesinger heißen, doch seine Musiker haben ihn weiterhin liebevoll den „Herrn Schlesinger von der Vogelweide“ genannt. Und weil der Dirigent vielleicht geahnt hat, dass seine Musiker guten Grund hatten, ihn mit dem Minnesänger Walter von der Vogelweide zu vergleichen, hat er kurzerhand den Vornamen des Minnesängers zu seinem Familiennamen gemacht: Walter, Bruno Walter. Eine schöne Geschichte und doch hat der Dirigent in seinen Erinnerungen 1946 verschwiegen, dass dies eben auch ein Akt der Assimilation gewesen ist. Wer in der Biographie sucht, findet immer wieder solche Schritte der Anpassung: „Rasieren sie ihren Bart ab, ehe sie in Wien eintreffen“ – so fordert sein Mentor Gustav Mahler in einem Brief, ohne nähere Erklärung und doch scheint sie auf der Hand zu liegen. Der jüdische Hofoperndirektor Mahler hat den 24-jährigen als Kapellmeister engagiert. Bruno Walter ist damit im Zentrum der Musik angekommen. Wien ist aber nicht nur die Stadt der Musik, der großen klassischen Tradition, in der Johannes Brahms gerade erst gestorben war, nein, Wien ist auch die Stadt mit einem populistischen Bürgermeister namens Karl Lueger: mit ihm wird der Antisemitismus zu einer Macht im öffentlichen Leben. Vor allem aber wird Gustav Mahler in dieser Zeit für den jungen Walter zur künstlerischen Lebensaufgabe – zumal nach Mahlers Tod 1911. Walter fühlt sich von nun an als legitimer Erbe: Hier das Rückert-Lied „Um Mitternacht“ – mit Kathleen Ferrier und den Wiener Philharmonikern. 4 Musik 3 CD Track 3 Gustav Mahler „Um Mitternacht“ (Rückert) Kathleen Ferrier, Alt Wiener Philharmoniker, Bruno Walter Decca 433 477-2 6.25’’ mit Kathleen Ferrier, an deren 100. Geburtstag die SWR 2 Musikstunde ja ebenfalls in dieser Woche erinnert: Kathleen Ferrier, Jahrgang 1912. Damals ist Bruno Walter bereits 36 Jahre alt und bald beginnt sein Vertrag in München als Nachfolger von Felix Mottl und das ausgerechnet im Wagner-Jubiläum 1913. Das national-bürgerliche Lager schießt da seine ersten Pfeile gegen den jüdischen Dirigenten ab: es sei ein Skandal, dass die Münchner Oper, die wichtigste deutsche Wagner-Bühne neben Bayreuth, in der Hand eines Juden liege, eines Juden, der die Eigenart dieser großen deutschen Wagner-Werke verfehle; Walter habe – so die Vorwürfe - keinen Zugang zu der Münchner Wagner-Tradition und seine Effekthascherei sei typisch für die „artfremde Interpretation deutscher Musik“! Natürlich hat Walter diese „maßlose Agitation“ gegen sich wahrgenommen, schon damals liebäugelt er mit einer neuen Position in Amerika. Doch in dieser Situation ist es Thomas Mann, der seinem Freund zur Seite springt: 1916 erklärt der Schriftsteller in einem großen Essay mit dem Titel „Musik in München“, Bruno Walter sei „deutsch seinem Geiste und Herzen, seiner Bildung und Liebe, wenn auch meinetwegen nicht seinem Blute nach“. Doch Walter sei „Musiker und Romantiker genug, um den Glauben an die Gemeinschaft schaffende Macht der Kunst inbrünstig festzuhalten…“ 5 Musik 4 Track 5 Richard Wagner Vorspiel zum ersten Akt der Meistersinger von Nürnberg The British Symphony Orchestra Ltg. Bruno Walter (16. Mai 1930) History 205245-303 9.01 Wir sind in den Münchner Jahren von Walter, dem jahrzehnt zwischen 1913 und 1922, ein Jahrzehnt voller Brüche und Angriffe gerade gegen den WagnerDirigenten Walter. 1917, im gleichen Jahr noch, als Thomas Mann den Dirigenten verteidigt, dirigiert der die legendär gewordene Uraufführung des „Palestrina“ von Hans Pfitzner – nach Walters eigener Einschätzung „das gewaltigste musikalische Bühnenwerk“ seiner Zeit. Die Bewunderung von Thomas Mann für seinen Dirigenten-Freund ist mit dieser Uraufführung fast ins Unermessliche gestiegen. Die Uraufführung im Prinzregententheater am 12. Juni 1917 ist jedenfalls ein Schlüsselerlebnis für den Schriftsteller: Bruno Walter hat den Dichter schon im Vorfeld mit den Besonderheiten und Geheimnissen der Partitur Pfitzners vertraut gemacht, Thomas Mann besucht nun die Generalprobe und alle fünf Aufführungen dieses „fabelhaft deutschen, eigenherrlichen und gedankenvollen Werkes“, wie der Dichter unmittelbar unter dem Eindruck der Uraufführung befindet. Die endzeitliche Figur des Komponisten Palestrina hat es ihm jedenfalls angetan – über den Wagner-Ersatz hinaus: Palestrina sei der große Grabgesang der romantischen Oper, ja sogar das „Schlusswort aller Romantik“. Von Bruno Walter selbst existiert leider keine Aufnahme des Palestrina, doch einen Eindruck von dieser für Walter doch so wichtigen Musik, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: Hier das Vorspiel zum zweiten Akt dieser „musikalischen legende“ mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Christian Thielemann: „Mit Wucht und Wildheit“ 6 Musik 5 Track 2 Vorspiel zum zweiten Akt des „Palestrina“ Orchester der Deutschen Oper Berlin Ltg. Christian Thielemann DGG 449571-2 6.52’’ …dieser „musikalische Legende“ von Hans Pfitzner, die Bruno Walter in München uraufgeführt hat: am 12. Juni 1917. Diese Uraufführung ist sicher das bedeutendste künstlerische Ereignis der Münchner Jahre von Walter, die 1922 enden. Thomas Mann hat seinem Freund zum Abschied noch einmal ein Denkmal gesetzt im dritten seiner Briefe aus Deutschland. Und die Charakterisierung des Dirigenten hier lässt durchaus schon etwas erahnen von den berühmten Beethoven-Vorträgen von Wendell Kretschmar im achten Kapitel des „Doktor Faustus“. Im Detail verdanken die sich zwar den eingehenden Analysen von Adorno, später im kalifornischen Exil, doch wer die folgende Beschreibung Bruno Walters aus dem Jahr 1923 liest, muss doch unweigerlich bereits an Wendell Kretschmar aus dem „Faustus“ denken. Thomas Mann schreibt: „Um sich dieser reichen und feurigen Künstlernatur zu erfreuen, müsste man Bruno Walter, wozu ich ein und das andere mal Gelegenheit hatte, im Freundeskreis am Flügel sehen und hören, wie er, mit einer Stimme, die keine ist und dennoch wohlklingt, sämtliche Gesangspartien markierend, einen Akt des Tristan oder der Meistersinger heraufführt. Ich versichere, das ist ein großes Vergnügen; und als er einmal die Öffentlichkeit daran beteiligte, gab es einen tollen Erfolg. Er hielt in offenem Saale einen Vortrag über Beethoven, den er zwischen Rednertisch und Flügel hin und her wechselnd, mit musikalischen und gesanglichen Illustrationen versah, - und zwar mit einem Temperament, einer geistvollen Naivität und Hingabe an seinen hohen Gegenstand, die Alles mit sich fortrissen…“ 7 Musik 6 CD 1 Track 12 Ludwig van Beethoven Ausschnitt aus dem Finale des ersten Akts Kirsten Flagstad, Leonore Alexander Kipnis, Rocco Orchestra of the Metropolitan Opera Ltg. Bruno Walter (22. Februar 1941) Naxos 8.110054 auf Zeit Soweit dieser Ausschnitt aus dem Finale des ersten Akts der Oper Fidelio von Ludwig van Beethoven, aufgenommen 1941 im amerikanischen Exil – mit ??? Ein Live-Mitschnitt aus der Met in New York. Mehr zu Bruno Walter, seinem Mahler-Engagement und den Jahren des amerikanischen Exils morgen dann in der SWR 2 Musikstunde. Mit dem Mahler Lied „Ging heut morgen übers Feld“ haben wir die Musikstunde heute eröffnet, und mit dem Schlusslied aus diesen Liedern eines fahrenden Gesellen verabschieden wir uns für heute: „Die zwei blauen Augen von meinem Schatz“ – mit Mildred Miller und dem Columbia Symphony Orchestra unter Bruno Walter: Musik 7 CD 2 Track 8 Gustav Mahler „Die zwei blauen Augen“, aus den Liedern eines fahrenden Gesellen Mildred Miller, Mezzosopran Columbia Symphony Orchestra Ltg. Bruno Walter (Juli 1960) SM2K 64447 4.41’’ 8