Das Architekturbüro Interview mit Donatella Fioretti Bruno Fioretti Marquez: Experten für das Bauen in historischer Umgebung Das Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez wurde 1995 in Berlin von den beiden Italienern Piero Bruno und Donatella Fioretti und dem Argentinier Jose Gutierrez Marquez gegründet. Heute hat es seinen Sitz in einem alten BacksteinGebäude an der Spree, unterhält eine Zweigstelle im schweizerischen Lugano und beschäftigt etwa 15 Mitarbeiter. Alle drei Gründer lehren als Professoren: an der Hochschule in München, an der Technische Universität in Berlin und an der Bauhaus-Universität in Weimar. Sie werden regelmäßig in internationale Preisgerichte eingeladen. © aller Objektbilder Bruno Fioretti Marquez Architekten Möglichkeiten ausloten zwischen dem Gewöhnlichen und dem Besonderen Wenn die Berliner Architektin Donatella Fioretti vom Büro Bruno Fioretti Marquez über ihre Projekte spricht, hört man wohlklingendes Deutsch mit italienisch-schweizerischem Akzent, aber kein Berline­ risch. Im italienischen Savona geboren, hat sie in Venedig studiert und in der Schweiz gearbeitet. Nun lebt sie seit vielen Jahren in der deutschen Hauptstadt und stemmt mit ihren Kollegen bedeutende Projekte. Außerdem ist sie als Professorin für Entwurf und Baukonstruktion an der Technischen Uni­ versität Berlin tätig. Geplant war diese Kariere so keineswegs, wie sie im Interview erzählt. ? Frau Fioretti, seit der Wende wird in Berlin ex­ trem viel gebaut. Kamen Sie deswegen hierher? 22 Nein, mein Interesse für Deutschland war eher ein literarisches: die ganzen Klassiker, die Sturmund-Drang-Literatur. Goethe hat mich quasi nach Deutschland gelockt. Ende der Achtziger Jahre zog ich als Erasmusstudentin nach Kassel. Wir machten auch einen Ausflug nach Berlin, die Mauer stand noch. Ich dachte damals, ich wür­ de sehr gerne ein paar Jahre hier verbringen. Am Ende meines Studiums ist dann die Wiederverei­ nigung passiert. ? Da gingen Sie aber erst in die Schweiz. Ja, um für Peter Zumthor zu arbeiten. Das Büro war extrem interessant, trotzdem war ein kleines Dorf inmitten der Berge nicht gerade mein Le­ bensziel. Zwei Kollegen aus Venedig luden mich nach Berlin ein, sie nahmen an einem Wettbe­ werb teil. Ich habe mich von Herrn Zumthor ver­ abschiedet und kam nach Berlin. Ich dachte, ich bleibe für ein paar Jahre. Einen Schwerpunkt setzt das Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez beim Bauen im Bestand, der Fokus liegt auf Kulturbauten, Wohnungsund Bildungsbauten. Besonders erfahren ist das Team mit Bauprojekten, die im Umfeld von Baudenkmälern liegen: Die Wohnbauten am Schillerpark in Berlin-Wedding sind bereits ihr viertes Projekt, das in einem UNESCO-Welterbe-Areal entsteht. Zuvor haben die Architekten bereits die weltberühmten Meisterhäuser in der Bauhausstadt Dessau städtebaulich repariert. Derzeit schließen sie den Umbau des Schlosses in der Lutherstadt Wittenberg ab. Auch der neue Uni-Campus in Potsdam wird direkt an eine Welt­ erbestätte anschließen. Zu ihren Referenzen gehören außerdem die Lesesäle der Universität Lugano, das Ensemble Ebracher Hof in Schweinfurt, die Mittelpunktbibliothek am Alten Markt in Berlin-Köpenick, das Stellwerk für den Gotthard-Basistunnel sowie das „Kinderuniversum“, eine Tagesstätte der Universität Karlsruhe. Im Schillerpark lassen Bruno Fioretti Marquez ihre Bauten mit der Siedlung nebenan interagieren. Diese wurde von 1924 bis 1930 vom berühmten Berliner Architekten und Stadtplaner Bruno Taut gebaut und gemeinsam mit fünf anderen Siedlungen der Berliner Moderne im Juli 2008 zum UNESCO-Welterbe ernannt. Tauts Siedlung mutet mit ihren klaren Formen heute noch modern an. Die neuen Gebäude haben Bruno Fioretti Marquez so entworfen, dass sie sich nahtlos in dieses Ensemble einfügen. Ihre Gestaltung orientiert sich an Tauts Gebäuden. Und wie bei Taut damals musste auch der aktuelle Entwurf günstig geplant werden – es handelt sich um ein genossenschaftliches Projekt. ? Wieso interessieren Sie als Architektin sich für Goethe und Schiller? In Venedig, wo ich studiert habe, hatten wir im Architekturstudium auch viele Philosophie- und Literaturseminare. Diese theoretische und kon­ zeptuelle Annäherung an das Entwerfen spielt noch heute in unserer Arbeit eine wichtige Rolle. Es bestimmt unseren Blick auf die Architektur; der humanistische Aspekt ist uns wichtig. Ich lebe und unterrichte wirklich gerne in Deutsch­ land. Aber wenn ich eine Kritik an der Ausbildung vorbringen sollte, wäre es die, dass sie einem eine sehr technische Sicht nahebringt. Die Vor­ herrschaft der Technik ist in Deutschland Teil der Weltanschauung. ? Sprechen wir über Ihre Neubauten neben der bestehenden Schillerpark-Siedlung von Bruno Taut. Welche Beziehung wollten Sie da herstellen zwischen Altem und Neuem? Die Bewohner identifizieren sich sehr mit ihrer bestehenden Siedlung. Manche leben in der fünf­ ten Generation da – in Mietwohnungen! Tatsäch­ lich haben die von Taut geprägten Bauten einen starken Charakter. Auch die Außenräume dort sind beispielhaft organisiert. Taut beschäftigte sich bewusst und intensiv damit, wie der Über­ gang zwischen privaten, gemeinschaftlichen und öffentlichen Räumen gestaltet wird. Taut hat es außerdem geschafft, trotz des großen Maßstabs seines Projektes, ein feines Zusammenspiel zu ? Ist das schlecht? Technik ist nicht nur neutral; sie kann oft ideo­ logisch geprägt sein. Dennoch scheint etwas, was technisch begründet wird, stets und auto­ matisch zutreffend zu sein. In Deutschland fehlt oft die Auseinandersetzung damit. Nehmen wir energiesparende Gebäude: Derzeit werden ganze Gebäude mit Kunststoffmaterialien verpackt. In zwan­ zig Jahren muss dieser Kunststoff dann entsorgt werden, ein Riesenberg von Son­ dermüll. Den Energiespar-Berechnungen zu­ folge ist alles perfekt. Aber was beinhalten diese Berechnungen noch? Ist die Zeitspanne ent­ halten? Sind die Werte, die man hier priorisiert, auch die richtigen? 24 Modellstudie zur Möblierung der Wohnungen erreichen zwischen einer Gestaltung, die prinzi­ piell klaren Regeln folgte, und dann wieder loka­ len Besonderheiten. So entstand ein gestalteri­ scher Reichtum. Wir haben uns im Sinne Tauts ebenfalls auf die Suche gemacht nach Möglichkeiten zwischen dem Gewöhnlichen und dem Besonderen. Das war der Ausgangspunkt unseres Projektes. ? Und wie haben Sie das nun umgesetzt? Die großen Gebäude liegen an der Grundstücks­ grenze. Sie folgen dem Verlauf der umliegenden Straßen und definieren einen geschützten Hof. So entstand eine eigentlich einfache Figur, die wir dann aber, ähnlich wie bei Taut, durch die Aufnahme örtlicher Besonderheiten gebrochen haben. Beispielsweise am Rand des Blocks: An­ statt dort wie üblich den Blockrand einfach zu schließen, haben wir den Bereich an der Kreu­ zung als zurückversetzte Ecke ausgebildet. Die­ se bietet im Erdgeschoss einen großzügigen Durchgang zum Hof an und artikuliert eine klare Eingangssituation. Die Grünanlagen der Umgebung, also des Schil­ lerparks, finden ihre Fortsetzung in der Hof­ begrünung. Die von der Straße zum Innenhof durchgesteckten Hauseingänge im Erdgeschoss entschärfen den geschlossenen Charakter des Gebäudes und ermöglichen einen direkten Zu­ gang zum Hof. Gleichzeitig kann der Hof auch als erweiterter Außenwohnraum gelesen werden, als eine Verlängerung der Innenräume ins Freie. Fassadendetail zur Straßenseite Lärmschutz ? Warum haben Sie für die Erweiterung der Bruno-Taut-Siedlung Ziegel gewählt? Die alte Schillerpark-Siedlung hat Bruno Taut sehr schlicht gehalten, sie besteht aus einfachen Putzgebäuden mit Lochfassaden. Fenster und Farben sind präzise eingesetzt. Es war uns wich­ tig, diese konzentrierte Einfachheit zu erhalten. Unsere Fassade ist als monolithische, verputzte Mauerwerkskonstruktion gestaltet, wir haben da­ für gefüllte Porenziegel vorgesehen. Dieses Ma­ terial ist unserer Meinung nach eine interessante Alternative zur Standard-Ausführung mit Wärme­ dämmverbundsystem. ? Würden Sie sagen, dass Ziegel ein ursprüng­ liches Material sind? Gibt es überhaupt ursprüngliche Materialien? Ich würde sagen, dass Baumaterialien per Definition künstlich sind. Selbst Holz wird mittlerweile stark verarbeitet, zersägt, wieder zusammengeklebt. Die Poroton-Ziegel, die wir für unser Bauprojekt benutzt haben, sind fast schon ein High-Tech Produkt. ? Wie kommt Materialauswahl generell zustande? Heutzutage kommt es immer öfters vor, dass ein Architekt nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in den Bauprozess involviert wird. In Deutschland und der Schweiz kann man noch als Architekt ein Projekt von der Idee bis zur Realisierung verfol­ gen. Für uns ist das Material von Anfang an ein wichtiger Bestandteil der architektonischen Kon­ zeption: Schon mit der ersten Idee ist ein Gebäu­ de aus Ziegeln, Holz oder Beton. Offen bleiben, Lebensraum schaffen: eine Oase im Lärm ? Lesen Sie eigentlich heute noch so viel? Natürlich, ich bin eine Leseratte. Seit ich 18 bin, habe ich keinen Fernseher mehr. Wobei inzwi­ schen der Computer eine große Versuchung ist, mit diesen gut gemachten Serien. Meistens lese ich aber bis drei Uhr nachts, sonst kann ich nicht schlafen. Gerade lese ich zum dritten Mal die „Suche nach der verlorenen Zeit“ von Mar­ cel Proust. Dazu kommt ein sehr schönes Buch eines englischen Architekturhistorikers, Adrian Forty: „Concrete and Culture“, es geht um die kulturellen Aspekte des Betons. Das Baugebiet ist Tag wie Nacht stark lärmbelastet: zum einen durch Bushaltestellen und Last­ wagenverkehr auf der Barfusstraße, andererseits auch durch Flugverkehr. Denn die Gebäude liegen in der Einflugschneise des Flughafens Tegel. Der sollte zwar eigentlich längst stillgelegt und der neue Hauptstadtflughafen BER in Betrieb sein. Doch die Inbetriebnahme des BER verzögert sich auf unbestimmte Zeit, und so lange wird Tegel weiter angeflogen. Die Architekten kombinierten daher Poroton-Ziegel mit Lärmschutzfenstern, um das Problem in den Griff zu bekommen. Im Bebauungsplan wurde der Lärmschutz zwar forciert, doch der Wettbewerb stand unter der Maßgabe, dass der Tegeler Flugbetrieb bereits eingestellt sei. BFM lehnte zum Innenhof hin die Lärmschutzfenster ab, denn die Wohnungen sollten nicht hermetisch sein. Vielmehr sollen sich die Häuser zu dem Grün hin öffnen und auch nicht den Eindruck vermitteln, die halböffentliche Gartenanlage sei eine Bedrohung. Jede Wohnung hat Zugang zum Hof, zudem sollen Loggias die Verbindung mit der Gemeinschaftsfläche weiter fördern. 26 27