1 Links: Aufgrund ihrer gestalterischen Qualität zählen die Haustüren zu den hervorstechenden Baudetails der Siedlungshäuser. 2 Oben: Für Architekt Bruno Taut war Farbe gebaute Lebensfreude. Onkel Tauts Farbtraum Die Berliner Waldsiedlung Onkel-Toms-Hütte, zwischen 1926 und 1932 unter der künstlerischen Gesamtleitung von Bruno Taut errichtet, ist weltbekannt. Das verpflichtet. Die Wiederherstellung ihrer originalen Farbigkeit erfolgte mit Mineralfarben. L 26 icht, Luft und Sonne« war das Credo der Architektur- und Gartenreformer der 1920er-Jahre. In Bezug auf den berühmten Berliner Architekten Bruno Taut (1880-1938) müsste hier noch der Begriff »Farbe« hinzukommen. Wie kein anderer Architekt seiner Zeit nutzte er Farbe als identitätsstiftendes und gestaltendes Medium. »Da alles seine Farbe hat, muss auch alles, was Menschen tun, farbig gestaltet sein«, befand Bruno Taut. Mit seinem engagierten Manifest »Aufruf zum farbigen Bauen« sorgte er 1920 für Aufregung, mehr noch mit seinen farbstarken Arbeitersiedlungen der Weimarer Jahre, die ausnahmslos mit Mineralfarben von Keim realisiert wurden. Tauts Anliegen war es, statt trister grauer Mietskasernen ansprechende, menschenwürdige und funktionale Wohnformen zu entwickeln – die Einbindung von Natur, Farbe und eine sinnvolle Aufteilung der Räume spielten dabei eine wichtige Rolle. Bauen war für ihn nicht nur das Schaffen von Wohnraum, sondern soziales Reformprojekt. Wohnungsbaugesellschaft GEHAG. Inspiriert von den Ideen der Gartenstadtbewegung und des Reformwohnungsbaus, verband Taut modernen Städtebau mit fast dörflicher Idylle und hohem Wohnwert. »Raus aus den Mietskasernen mit ihren dunklen Hinterhöfen, Wohnen in der Natur mit Licht, Luft und Sonne auch für Arbeiter«, so das Leitmotiv. In Zehlendorf war das Projekt umstritten. Den bürgerlichen Mehrheiten im Bezirk passte es nicht, dass in ihrer Nachbarschaft Arbeiterfamilien einziehen sollten. Auch das städtebauliche Konzept der Siedlung, die schlichten Flachdachgebäude in kräftigen Farben, stießen auf Widerstand. 1928 formierte sich eine Gegenbewegung und löste den berühmten »Zehlendorfer Dächerkrieg« aus. Die konservativen Gegner diffamierten das Flachdach als architektonisches Verbrechen und setzten ihm das »deutsche« Spitzdach entgegen, das nur wenige Jahre später Kernbestandteil der nationalsozialistischen Architektur-Ästhetik werden sollte. Architektur fürs Volk Mit der Großsiedlung »Onkel-Toms-Hütte« hat Taut Architekturgeschichte geschrieben. Unter Mitwirkung von Hugo Häring und Otto Rudolf Salvisberg entstanden hier, am Rande des Grunewalds, Reihenhäuser und Mietwohnungen für 2200 Menschen, finanziert von der Mit Farbe und System Die einzelnen Baugebiete wurden unter den drei beauftragten Architekten Häring, Salvisberg und Taut aufgeteilt und fügen sich dennoch zu einem Siedlungsbild, das in seiner städtebaulichen, architektonischen und freiräumlichen Qualität bis heute überzeugt. Der ausbau + fassade 04.2015 Mineralfarben bewussten Beschränkung auf wenige Haustypen zum Trotz entstanden lebendige Straßenbilder mit reizvollen Außenräumen und Platzbildungen, spannenden Blickperspektiven und gestaffelten Hauseinheiten mit differenzierter Ausarbeitung der einzelnen Bauteile. Die Rhythmisierung der Baukörper durch Vor- und Rücksprünge lässt geschützte Loggien und Balkone entstehen. Alle Gebäude wurden als Mauerwerksbauten errichtet und mit Flachdächern, Putzfassaden sowie typisierten Bauelementen ausgestattet. Fenster, Türen und Traufbretter wurden farbig gefasst, Sockel, Lisenen und Brüstungen in Sichtmauerwerk ausgeführt. Bruno Taut leistete den größten Beitrag zum Bau der Siedlung. Der gesamte nördliche Bereich einschließlich aller Einfamilienreihenhäuser im Siedlungsgebiet wurde nach seinen Plänen errichtet. Er erreichte einen hohen Grad an Differenzierung – sein Kunstgriff: intensive Farben als eigenständiges architektonisches Element im Zusammenspiel mit klar gegliederten Kuben. Vielfalt in der Einheit Die außergewöhnliche Farbigkeit ist das Markenzeichen der Gebäude, nicht umsonst trägt die Gegend im Volksmund auch den Namen »Papageiensiedlung«. Besonders in den von Taut errichteten Bauabschnitten beeindruckt ein ausgeklügeltes Farbkonzept mit polychromer Farbgebung der Fassaden und Bauteile. Für Taut war Farbe Materie, genau wie jedes andere Baumaterial auch. Er setzte ihre kommunikative Funktion bewusst ein, als Reaktion auf die Lichtverhältnisse und atmosphärischen Besonderheiten des Ortes, aber auch, um das städtebauliche Konzept zu unterstützen und die Wirkung der Details zu unterstreichen: »Der wesentliche Gesichtspunkt liegt unserer Meinung nach darin, daß die Weiträumigkeit der Siedlung durch die Farbe in verstärktem Maße hervorgehoben werden muss. Die verschiedenen Aktivitäten der Farbe sowie ihre Leuchtkraft ermöglicht es, räumliche Anlagen in bestimmte Dimensionen zu erweitern, um sie wieder in andere Richtung zusammenzudrängen.« Das von Taut entwickelte Prinzip der farbigen Vielfalt ermöglicht Gleichheit und Individualismus. Eigentum verpflichtet 2007 schlossen sich die Berliner GEHAG und die Deutsche Wohnen AG aus Frankfurt zusammen. Die heutige Eigentümerin hat seitdem umfangreiche Sanierungsmaßnahmen durchgeführt, zuletzt stand 2012 eine Grundsanierung der Fassaden und Treppenhäuser in den Wohnhäusern in der Wilskistraße an. Wesentlicher Bestandteil der Sanierung, die in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz erfolgte, war die Wiederherstellung der originalen Farbigkeit. Der raue Fassadenputz aus den 1970er-Jahren wurde entsprechend dem historischen Vorbild mit einem feinen mineralischen Glattputz übergespachtelt. Schäden und nicht denkmalgerechte Veränderungen wurden www.ausbauundfassade.de 3 Die dreifach gegliederten Fenster wirken wunderbar leicht, präzise und grafisch. Charakteristisch für den Architekten ist die Rhythmisierung der Fassaden mit dem Gestaltungsmittel Farbe. Fotos: Keimfarben beseitigt. Anschließend wurde mit Mineralfarben von Keim nach den historischen Originalrezepturen gestrichen: Die weiße Südfassade der Gebäudezeilen an der Wilkistraße kontrastiert mit den roten Klinkerlisenen, Brüstungen und dem Sockel, die zurückgesetzten Obergeschosse sind in einem leuchtenden Blau gefasst. Die Nordseite ist zart gelb, Obergeschosse und Balkone halten mit kräftigem Grün dagegen. Die bauzeitlichen Holzfenster und -türen wurden aufgearbeitet und in Originalfarbtönen gestrichen. Durch die dreifach variierende Farbgestaltung mit Schwarz, Weiß, Gelb und Rot wird die Gliederung der Fassaden intensiviert und bildet im Zusammenspiel einen feinen Farbklang. Fokus auf Originalfarbigkeit Innen setzt sich diese Farbkomposition fort. Analog zu den Fassaden stellte man die Originalfarbigkeit der Treppenhäuser wieder her. Wände und Decken wurden von mehreren Schichten Dispersionsfarbe befreit, mit einer Dünnputzschicht überarbeitet und mit mineralischer Innenfarbe von Keim originalgetreu gefasst. Auch die Treppengeländer und die Innentüren zu den Wohnungen wurden nach Tauts Farbvorgaben lackiert. Mit der Rekonstruktion der originalgetreuen Farbigkeit, wird die außerordentliche Qualität seines städtebaulichen, architektonischen und farbgestalterischen Wirkens heute wieder erlebbar. 27