EINSICHTEN 2011 NEWSLETTER 02 n at u r w i s s e n s c h a f t e n A ngelika J ung - H üttl Kräfte zwischen Kern und Kruste Geophysiker Hans-Peter Bunge erforscht die Dynamik, mit der das Erdinnere die äußere Hülle prägt. In einem Großprojekt untersucht er nun, wie sich über 200 Millionen Jahre hin der Südatlantik auftat. Gegensätzlicher kann das Handwerkszeug eines Geowissenschaftlers nicht sein. In den Arbeitsräumen von Hans-Peter Bunge steht ein leistungsstarker Computer, der an eines der größten Rechenzentren Deutschlands angeschlossen ist, und ein Instrument, mit dem sich bereits Naturgelehrte früherer Jahrhunderte einen Überblick über die Erde verschafften: eine große Weltkugel. Sie hat einen Durchmesser von gut einem Meter und zeigt die Kontinente und Meere allerdings in einem modernen Kartenbild als Relief mit allen Höhen und Tiefen. Den Globus im Blick und den Hochleistungsrechner zur Hand arbeitet Bunge mit seinem Team an einem Großbild der Erde. „Wir wollen alles in einen Zusammenhang stellen“, erklärt der Leiter des Geophysik-Lehrstuhls an der LMU, „die dünne äußere Hülle unseres Planeten mit ihren Gebirgen, Tälern und Ebenen unter und über dem Meeresspiegel – und dazu die gewaltigen, bisher nahezu unbekannten Gesteinsmassen in ihrem Innern, die teils fest, teils glutflüssig immer in Bewegung sind.“ Denn beides ist eng miteinander verbunden. Alles, was die Erdoberfläche prägt, hat seine Ursache im Erdinneren. Und umgekehrt hat alles, was sich auf der Oberfläche abspielt, auch Auswirkungen auf die Vorgänge in der Tiefe unseres Planeten. Im Fokus des Unternehmens stehen derzeit der Südatlantik und die beiden Kontinente, die ihn im Westen und Osten begrenzen, Südamerika und der Süden Afrikas. SAMPLE heißt das Forschungsprojekt, an dem rund 100 Experten von renommierten Einrichtungen in Deutschland und internationalen Partner-Instituten arbeiten (siehe Kasten). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert es mit zwei Millionen Euro jährlich als Schwerpunktprogramm. Die Wissenschaftler nehmen das riesige Stück Erdkugel im Bereich des Südatlantiks genau unter die Lupe, sammeln und analysieren Gesteinsproben, vermessen das Relief an Land und unter dem Meer, durchleuchten mithilfe geophysikalischer MeJuni 01 Dynamik der Drift: Als Afrika und Südamerika auseinanderrissen, drang vor 130 Millionen Jahren Magma durch Spalten in der Kruste an die Oberfläche. In den Bergen um Swakopmund an der Küste Namibias bildet das erstarrte harte Doleritgestein dunkle Relieflinien. Foto: Bernhard Edmaier thoden den Ozeanboden, und untersuchen anhand von Erdbebenwellen, die den ganzen Globus durchlaufen, sogar die innersten Strukturen unseres Planeten. Hans-Peter Bunge ist der Koordinator von SAMPLE. Bei ihm fließen all diese Daten zusammen und werden in den Hochleistungscomputer eingespeist. Nach vielen komplizierten Rechenoperationen ergeben sich daraus bewegte zwei- und dreidimensionale Bilder, die auf den ersten Blick etwas von psychedelischen Farbräuschen haben. Sie geben aber einen detaillierten Überblick über großräumige und lang andauernde Prozesse auf der Oberfläche und im tiefen Innern der Erde. Das Projekt begann Ende 2008. In dieser ersten, 18 Monate dauernden Phase machten die Wissenschaftler Vorstudien und werteten ältere Untersuchungen nach neuen, modernen Gesichtspunkten aus. Hans-Peter Bunge demonstriert einige der ersten Resultate auf dem Computerbildschirm. Ein Mausklick – und eine Ellipse erscheint. Es ist die an den Polen abgeflachte Erde. Von Norden nach Süden erstreckt sich eine gezackte Linie. Noch ein Juni 02 Mausklick – und aus ihr quellen plötzlich links und rechts parallel zueinander rote Farbstreifen hervor, die sich – je weiter sie sich von der zentralen Linie entfernen – zuerst orange, dann knallgelb und schließlich grün und blau färben. Währenddessen rasen am Rand des Monitors Zahlen auf einer Skala von 160 zurück auf Null. „Das ist eine Simulation von der Öffnung des Atlantiks während der letzten 160 Millionen Jahre“, erklärt der Wissenschaftler. Ein weiterer Mausklick – und auf dem Bildschirm zeigt sich die Erde plötzlich als durchsichtige Kugel, auf der sich die Kontinente nur als schwarze Umrisse zeigen. Im Innern der Kugel wabern rote und blaue Massen. Sie demonstrieren die Vorgänge in großen Tiefen, im Erdmantel bis hinunter zum Erdkern, „wobei die roten Massen heiß sind und deshalb Richtung Erdoberfläche aufsteigen“, so Hans-Peter Bunge, „die blauen sind kühler und sinken nach unten“. WENIGE ZENTIMETER PRO JAHR Diese unterschiedlich temperierten Massen treiben den Prozess an, der Kontinente und Ozeane im Lauf der Erdgeschichte entstehen und wieder verschwinden lässt. Die Geowissenschaftler bezeichnen ihn als Plattentektonik. Nach dieser Theorie ist die äußere harte Gesteinsschale des Globus in mehrere große und viele kleine Platten zerbrochen, die sich auf dem heißen, und deshalb plastisch verformbaren Gesteinsmaterial im Erdinnern bewegen. Dort, wo zwei Platten aufeinander zudriften und kollidieren, taucht oft eine unter die andere ab – wie zum Beispiel an der pazifischen Seite von Südamerika, wo sich die große Pazifische Platte und die kleine Nazca-Platte unter die Südamerikanische Platte schieben. Bei diesem Zusammenstoß wurden die Anden, das längste Küstengebirge der Erde, aufgefaltet. Der Prozess dauert heute noch an. Deshalb brechen dort auch Vulkane aus und Erdbeben lassen das Land erzittern. Die Geowissenschaftler bezeichnen eine solche Nahtstelle als aktiven Kontinentalrand. Auch Japan, das unlängst vom schwersten Erdbeben in seiner Geschichte erschüttert wurde, liegt an einem aktiven Kontinentalrand. Anders verhält es sich beiderseits des Südatlantiks. „Hier sprechen wir von passiven Kontinentalrändern“, erklärt Hans-Peter Bunge. Hier gehen die Kontinente – Südamerika im Westen und Südafrika im Osten – nahtlos in den Ozean über. Das macht den Südatlantik so interessant für ihn. Hier taucht keine Platte ab und verschwindet mitsamt der Sedimentfracht, die sich auf ihr abgelagert hat, im Erdinnern, so wie an den aktiven Kontinentalrändern. „Hier haben wir also alle Gesteinsschichten aus den letzten 160 Millionen Jahren ungestört vor uns – ein Langzeitarchiv der Erdgeschichte, in dem alle Vorgänge gespeichert sind, die sich seit der Öffnung des Südatlantiks abgespielt haben.“ Eine wichtige Voraussetzung, um die gesamte Entstehungsgeschichte dieses Ozeans und die Prozesse, die sich in dieser Zeit auf den angrenzenden Landmassen abspielten, rekonstruieren zu können. Bunge hofft, Antworten auf alle möglichen geologischen Fragen zu finden. Einige davon betreffen die Plattentektonik. „Wir kennen zwar die Kinematik“, sagt der Wissenschaftler, „das heißt, wir wissen, dass Kontinente auseinanderbrechen können und dass einzelne Platten mit einer Geschwindigkeit von wenigen Zentimetern pro Jahr über den Globus driften.“ Dann legt er beide Hände auf die Reliefkarte seiner großen Weltkugel – die Juni 03 rechte auf Südafrika und die linke auf Südamerika. „Aber wir wissen nicht genau, warum zum Beispiel heute die Landmasse Südafrikas im Osten des Südatlantiks um 1000 Meter höher liegt als die südamerikanische im Westen, wo doch beide vor 200 Millionen Jahren zusammenhingen und daher auf gleicher Höhe lagen.“ Vor etwa 200 Millionen Jahren waren alle heutigen Kontinente noch in dem urzeitlichen Superkontinent Pangäa vereinigt. Als dieser allmählich auseinanderbrach, trennten sich auch die beiden Landmassen, die heute Südamerika und Afrika bilden, wobei sich – eben vor 160 Millionen Jahren – der Südatlantik zu öffnen begann. Material quoll aus dem Erdinnern empor und drückte die beiden Landmassen auseinander, bis sie ihre heutige Lage erreichten. Identische Gesteinsschichten und Fossilien auf der südamerikanischen und südafrikanischen Seite des Ozeans sind der Beweis dafür – nur, dass diese identischen Gesteinsschichten in Südafrika heute um etwa 1000 Meter höher liegen als in Südamerika. Dies zeichnet sich auf der Reliefkarte der Weltkugel auch deutlich ab. Fast ganz Südafrika ist nach traditioneller Kartographie wie ein Gebirge braun gefärbt und hebt sich als Hochplateau über seine Umgebung heraus, während sich auf der südamerikanischen Seite eine Tiefebene ausbreitet, die kartengemäß grün gefärbt ist. Es ist das Becken des Flusses Paraná. Diese Ebene fällt in den Atlantik hinein sogar noch weiter ab – über ein flaches Schelfmeer bis hinunter in das gut 6000 Meter unter dem Meeresspiegel liegende Argentinische Tiefseebecken. „Die Ursache für diese enorme Höhendifferenz ist in den Konvektionsströmen viele Kilometer unter der Erdoberfläche, im Erdmantel, zu suchen“, sagt Hans-Peter Bunge. An seinen Computermodellen lässt sich bereits zum jetzigen Stand der Arbeiten gut Erdgeschichtliches Bewegungsbild: Wie mit einem psychedelischen Farbrausch gibt die Grafik an, mit welchen Geschwindigkeiten sich seit Jahrmillionen der Südatlantik beiderseits des Mittelatlantischen Rückens auftut. Grafik: Bunge / SAMPLE Juni 04 erkennen, dass heißes aufsteigendes Gesteinsmaterial von unten gegen Südafrika drückt und die Landmasse nach oben stemmt. Unter Südamerika dagegen bewegen sich blau gefärbte, also kühlere Gesteinsmassen im Erdinnern abwärts auf den Erdmittelpunkt zu. Das liegt nach Meinung des Wissenschaftlers wiederum an der Pazifischen Platte, die sich an der Westküste des Kontinents unter Südamerika hineinschiebt und immer tiefer ins Erdinnere abtaucht. Im Sog dieser Bewegung wird ganz Südamerika nach unten gezogen. Gerade hat die zweite Phase des SAMPLE-Projektes begonnen. In aufwendigen und teuren Schiffs- und Landexpeditionen nehmen die Wissenschaftler nun zum Beispiel die Regionen an Land und auf dem Meeresboden ins Visier, wo sich noch Spuren vom Auseinanderreißen der Landmassen abzeichnen. Sowohl im Paraná-Becken in Brasilien als auch an einem Küstenstreifen von Namibia in Südafrika sind zum Beispiel Basaltgesteine zu finden, die zu Beginn des Auseinanderbrechens vor 160 Millionen Jahren als heiße Lava aus dem Ozeanboden gequollen sind. Und unter dem Meeresboden nahe der Insel Tristan da Cunha mitten im Südatlantik fahnden die Forscher nach dem heißen Aufstrom, dem Tristan da Cunha Hotspot, der einstmals den Reißprozess in Gang gesetzt hat. Die an SAMPLE beteiligten Forscher wollen jedoch nicht nur die geologischen Prozesse tief im Erdinnern und deren Effekte auf die Ozeanböden und die Landmassen besser verstehen lernen. Sie suchen auch Antworten auf Fragen von globaler und wirtschaftlicher Bedeutung. Wie wirken sich das Zerbrechen von Landmassen und die Entstehung von Ozeanen auf Meeresströmungen aus – und damit auch auf das Klima der Erde? Wie haben sich die großen Sedimentbecken im Südatlantik verändert, in denen der ganze Schutt la- S A M P L E steht als Abkürzung für „South Atlantic Margin Processes and Links with on-shore Evolution“, für „Prozesse an den Kontinentalrändern des Südatlantiks und ihre Auswirkungen auf die Entwicklung der Landmassen“. Zu den Forschungsthemen gehören die Konvektionsströmungen im Erdmantel und andere magmatische Prozesse im Erdinnern, die Struktur der Lithosphäre, der äußeren harten Gesteinsschale der Erde, die Entstehung von Bruchzonen und deren Topografie, außerdem Sedimentationsprozesse und Fluidsysteme in den tieferen Gesteinsschichten, und darüber hinaus die Effekte all dieser Phänomene auf die großräumigen Bewegungen der Erdkruste, die Tektonik und auch auf das Klima. An dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Schwerpunktprogramm beteiligen sich rund 100 Wissenschaftler aus verschiedenen Forschungseinrichtungen in Deutschland, darunter das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, die Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe in Hannover, das Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam, das Leibniz-Institut für Meereswissenschaften der Universität Kiel (IFM GEOMAR), das Geozentrum Nordbayern in Erlangen sowie die Universitäten Bayreuth und Heidelberg. Mit einbezogen werden auch Arbeiten von internationalen Partner-Instituten im brasilianischen Sao Paulo, in Kapstadt in Südafrika und vom Geologischen Dienst von Namibia in Windhuk. Juni 05 gert, den die großen Flüsse Südamerikas und Südafrikas über Jahrmillionen dort hineingetragen haben, während dieser Ozean sich weitete? Welchen Einfluss hatte das auf die Entstehung der Erdöllagerstätten, die man gerade in solchen mächtigen Sedimentbecken findet? Wie haben sich die großen Flussläufe in Südafrika, in deren Betten nach Diamanten gesucht wird, verändert, während der Kontinent nach oben gepresst wurde – und was bedeutet das für die Suche nach den wertvollen Edelsteinen? Drei Jahre läuft die zweite Phase des SAMPLE-Projektes. So lange haben die Wissenschaftler Zeit, Daten zu sammeln und auszuwerten und möglichst viele Antworten zu finden – ihre akademische Form der Schatzsuche. H a n s - P e t e r B u n g e (Foto: F. Schmidt) leitet seit 2003 den Lehrstuhl für Geophysik an der LMU. Bunge, Jahrgang 1964, schloss Studien der Geologie und Physik in Tübingen ab. 1996 promovierte er an der University of California in Berkeley. Danach arbeitete er als Postdoktorand der EU für ein Jahr am Institut Physique du Globe in Paris, bevor von 1998 an an der Princeton University lehrte. Juni 06