Leo Frobenius: eine „histoire croisée“ der Entstehung und Aneignung von ethnologischem Wissen in Deutschland und Frankreich Goethe-Universität, Frankfurt am Main, 19-20 Februar2014 Zwischen 1904 und 1935 hat der bekannte deutsche Ethnologe Leo Frobenius (1873-1938) zwölf, teilweise mehrjährige Expeditionen nach Afrika unternommen. Als einer der frühesten Ethnographen „im Feld“ hat er nicht nur bedeutende Sammlungen ethnographischer Gegenständen für deutsche Völkerkundemuseen beschafft, für seine private Stiftung namens Afrika-Archiv – später Institut für Kulturmorphologie – hat er auch zahlreiche afrikanische Volksdichtungen aufgenommen, eine umfangreiche visuelle Dokumentation der bereisten Gebiete angelegt und eine weltweit einzigartige Sammlung von Felsbildkopien geschaffen. Während der Kolonialzeit zeugten diese Sammlungen vom Reichtum und der Vitalität der afrikanischen Kulturen. Mit seinen Schriften und Ausstellungen hat Frobenius maßgeblich dazu beigetragen, in Deutschland einen wissenschaftlichen Diskurs über Afrika zu begründen, darüber hinaus hat er u.a. die Dichter und Theoretiker der „Négritude“, wie etwa Leopold Sédar Senghor entscheidend beeinflusst. Im Deutschland und Frankreich der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich wissenschaftliche Traditionen und institutionelle Kontexte zum Teil sehr unterschiedlich entwickelt. Gerade in der Ethnologie gibt es jedoch auch Verbindungslinien zwischen den jeweiligen nationalen Traditionen, die eine Untersuchung ihrer Verflechtungsgeschichte („histoire croisée“) lohnenswert erscheinen lassen. Verschiedene ethnologische Themenfelder haben sich in ihrer jeweiligen nationalen Ausprägung parallel, antagonistisch oder sich gegenseitig beeinflussend, im Sinne einer „histoire croisée“ entwickelt. Wie wurde ethnologisches Wissen in Deutschland, Frankreich und später auch über eine Rückspiegelung in afrikanischen Ländern generiert, verbreitet und rezipiert? Ein wichtiger Aspekt der Herausbildung der Ethnologie als Fach in Deutschland und Frankreich war das jeweilige Verhältnis zu den Nachbardisziplinen wie etwa zur Kunstgeschichte, zu den prähistorischen Wissenschaften, zur Kulturgeschichte oder zur Entdeckung und Anverwandlung afrikanischer Poesie. Verschiedene interdisziplinäre deutsch-französische Treffen sind zu diesen Themen bereits geplant. Anlässlich des 140. Geburtstags von Frobenius sowie des hundertsten Jubiläums der GoetheUniversität ist Frankfurt am Main der geeignete Ort für ein interdisziplinäres deutschfranzösisches Symposium, das Frobenius’ Rolle bei der Herausbildung ethnographischer und ethnologischer Wissensbestände über Afrika untersucht. Das geplante Symposium möchte 1 dabei die vielfältigen historischen Ungleichzeitigkeiten in den Blick nehmen, welche die jeweiligen nationalen Ausprägungen der Ethnologien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kennzeichneten. Noch wurzelnd in der Epoche der großen Entdeckungsreisen bildete sich in dieser Zeit ein theoretisch und methodisch fundierter und inhaltlich informierter Kanon heraus. Afrika war gleichzeitig Kolonialgebiet und kulturelle Inspiration. Das ethnologische Objekt war sowohl Beleg von „Primitivität“ als auch Befruchter der künstlerischen Moderne. Noch komplexer wird das Feld durch die Frage, wie sich die, von ihren nationalen Traditionen und politischen Interessen geprägte europäische Kolonialherrschaft mit den jeweiligen afrikanischen Gesellschaften verband. Wie verhält es sich beispielsweise, wenn der deutsche Ethnologe Frobenius das Aufeinandertreffen des französischen zivilisatorischen Anspruchs mit afrikanischen Kulturen in FranzösischWestafrika durch ein spezifisch deutsches Prisma wahrnimmt? Vier verschiedene Themenbereiche sind geplant: 1 : Ethnologie und Ethnographie in Europa, Geschichte der Disziplinen Hier soll die Rolle der von Frobenius geschaffenen ethnologischen Wissensbestände, theoretischen Konzepte und Institutionen, für die Herausbildung des Fachs Ethnologie in Deutschland und darüber hinaus untersucht werden. Darüber hinaus sind auch Beiträge willkommen, die die jeweiligen nationalen Traditionen, Tendenzen oder „Schulen“ der Ethnologie in Europa und in Amerika während der ersten Hälfte des 20. Jh. in den Blick nehmen und damit den wissenschaftlichen Kontext des Frobenius’schen Wirkens zu umreißen. Themen wie Evolutionismus, Diffusionismus und die Entwicklung der amerikanischen Cultural Anthropology können dazu beitragen, die Spezifizität eines Ansatzes zu erfassen, der den Ethnologen als einen „ Archäologen der Kultur“ versteht. 2 : Leo Frobenius als Expeditionsleiter und Ethnograph: Erlebter Erdteil und Erfahrungen „Feld“- Dieses Podium widmet sich der Aneignung ethnographischer Quellen im „Feld“. Ab Ende des 18. Jahrhunderts und vermehrt mit der Kolonisierung des afrikanischen Kontinents am Ende des 19. Jahrhunderts nimmt das Wissen über afrikanische Gesellschaften und Kulturen in Europa dramatisch zu, sowohl in breiten Schichten der europäischen Gesellschaften als auch in Kreisen der Wissenschaft. Das Podium ist Themen gewidmet, die sich mit jenen europäisch-afrikanischen (aber auch europäisch-ozeanischen und europäischamerikanischen) Begegnungen auseinandersetzen, die eine Konstituierung von ethnologischem Wissen erst ermöglichten. Dabei soll es um die historischen Kontexte und „Produktionsbedingungen“ ethnographischen Wissens gehen. Die Beziehungen zwischen den Ethnographen, der lokalen Bevölkerung und der kolonialen Verwaltung werden besonders zu untersuchen sein. 3 : Aneignung, Darstellung und Konstruktion eines Kontinents, Diskurs über Afrika und Postcolonial Studies Koloniale Propaganda und evolutionistische Weltanschauung prägten in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und am Anfang des 20. Jahrhunderts neue Afrikabilder, die sowohl in politische wie auch in wissenschaftliche und künstlerische Bereiche hinein wirksam wurden. Hier wird es einerseits um die Genealogie dieser „kolonialen Bibliothek“ und um wichtige Protagonisten gehen, die, wie etwa Frobenius, an der Konstruktion der neuen Afrikabilder in 2 Europa beteiligt waren. Anderseits sollen auch die Afrikaner selber in den Blick genommen werden, die als Objekte jener europäischen Konstruktionen bzw. als deren Interpreten neue kollektive Identitäten in Afrika begründeten oder neue emanzipatorische Narrative schufen. Als Beispiel sei der Einfluss von Frobenius’ Schriften auf Intellektuelle wie Leopold Sédar Senghor, Cheik Anta Diop und Yambo Ouologuem genannt. 4 : Kunst und Ethnologie, Aufwertung und Einschreibung der afrikanischen Kulturen in das europäische Kulturerbe Hier wird es um den Prozess der neuen Bewertung ethnographischer Artefakte als Kunstwerke gehen. Wie haben afrikanische, aber auch ozeanische und amerikanische Skulpturen, Masken und Felsbilder – die materielle wie auch die immaterielle Kultur – westliche Künstler beeinflusst? Durch welche Prozesse der Aufwertung, Umdeutung und Ausstellung wurden afrikanischer Kulturgüter in das jeweilige nationale Kulturerbe europäischer Nationen bzw. Amerikas integriert und wie lassen sich die wissenschaftlichen Ansätze und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beschreiben, durch die Ethnologen wie Frobenius bewusst oder unbewusst die sogenannte primitive Kunst in die europäische Kunstgeschichte integrierten. Inwiefern helfen diese künstlerischen Kontexte heute, die afrikanische Sammlungen in westlichen Museen zu legitimieren und wie stellen sich ethnologische Museen als die „Museen der Anderen“ ihrer kolonialen Vergangenheit während in Afrika das Bewusstsein für das eigene Kulturerbe immer weiter wächst? Teilnahme: Bitte schicken Sie bis zum 10. Juli 2013 ein Abstract, von maximal 500 Wörtern an folgende E-Mailadresse: [email protected]. Als Konferenzsprachen sind Deutsch und Französisch, und sonst English, vorgesehen. Die Vorträge werden auf maximal 30 Minuten begrenzt. Bitte schicken Sie zusätzlich zur Kurzfassung Ihres Vortrags auch eine kurze biographische Notiz inklusive Ihrer aktuellen institutionellen Anbindung. Die Auswahl der eingesandten Beiträge wird bis zum 1. September abgeschlossen sein. Vorgesehen ist die Publikation der besten Texte. Die Abgabe der endgültigen Texte (zwischen 20 000 und 30 000 Zeichen durch die Teilnehmer wird bis zum 15.November 2013 erbeten, ebenso eine Zusammenfassung des Texts in einer jeweiligen Fremdsprache (Deutsch oder Französisch, eventuell English). Organisation: Jean-Louis Georget (Études germaniques, Centre Georg Simmel, EHESS, Institut Français d’Histoire en Allemagne), Hélène Ivanoff (Histoire et civilisations, Centre Georg Simmel, EHESS), Dr. Richard Kuba (Ethnologe, Frobenius-Institut), Martin Mourre, (Anthropologie, CEAf, IRD - EHESS/Université de Montréal) 3