Lehrmaterialien zum Kontaktstudiengang

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Lehrmaterialien zum
Kontaktstudiengang
Gerontologie/Geriatrie
Projekt OPEN – OPen Education in Nursing
20.07.2015
Aktivierend-therapeutische Pflege in der
Geriatrie
Handlungs- und Pflegeschwerpunkt
Selbstversorgung
1
Die „Aktivierend- therapeutische Pflege in der
Geriatrie (ATP-G)“ gliedert sich in 3 Handlungsund Pflegeschwerpunkte:
1. Aspekte der Beziehungsarbeit
2. Bewegung = Positionswechsel/Positionierung und
Transfer/Aufstehen/Stehen/Gehen
3. Selbstversorgung = Körperpflege/Kleiden,
Nahrungs-/Flüssigkeitsaufnahme mit und ohne
Kau- und Schluckstörungen, Ausscheidungen
2
Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme am Beispiel
Mangelernährung
3
1
20.07.2015
Malnutration
ist ein anhaltendes Defizit an Energie und/
oder Nährstoffen im Sinne einer negativen
Bilanz zwischen Aufnahme und Bedarf mit
Konsequenzen und Einbußen für
Ernährungszustand, physiologische
Funktionen und Gesundheitszustand
4
5
Grobe Anzeichen für einen Nahrungs- bzw.
Flüssigkeitsmangel
•
•
•
•
Unbeabsichtigter Gewichtsverlust (5% in 3 Monaten, 10% in 6
Monaten)
Subjektiver Eindruck durch unterernährte Erscheinung (eingefallene
Wangen, vorstehende Knochen) oder zu weit gewordene Kleidung
Zeichen eines Flüssigkeitsmangels wie akute Verwirrtheit,
konzentrierter Urin, trockene Schleimhäute
BMI < 20 Kg/m²
BMI Berechnung
6
2
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Normalwerte BMI
7
1,85m 130 kg BMI?
8
Auffällig geringe Ess-/Trinkmenge
•
Beobachtung, dass das Essen nicht verzehrt wird, TM weniger als
1000ml/d (Nahrungs- und Einfuhrprotokoll)
•
Appetitmindernde schwere Erkrankung oder Behandlungen
(Nahrungskarenz, OP, Medikamentennebenwirkungen)
9
3
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Geschmack
Mundtrockenheit
Appetit
Medikamente
Nährstoffabsorption
Übelkeit
Somnolenz
Nährstoffexkretion
Stoffwechsel
10
Erhöhter Energie-, Nährstoff- und Flüssigkeitsbedarf
Vermutung, dass aufgrund von besonderen Situationen
der Bedarf an Energie, Nährstoffen und Flüssigkeit erhöht ist
-schwere Erkrankungen
-Stress
-Fieber
-Wunden
-große Hitze
-hoher Blut- bzw. Flüssigkeitsverlust
11
Faktoren für Energiebedarf
Geschlecht
Gewicht
Alter
Aktivitäten
12
4
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Berechnung laut DGE
Grundumsatz
+ Leistungsumsatz
----------------------------= Energieumsatz
GU
+ LU
-----= EU
Körpermasse in Kg x 24 Stunden = GU
GU x PAL (physical activity level),
GU x PAL = EU
PAL 1,2 Bettlägerige
PAL 1,4 ausschließlich sitzende Tätigkeit (Büroangestellte)
PAL 1,6 sitzend, gehend und stehend (Laboranten, Kraftfahrer)
PAL 1,8 gehend und stehend (Verkäufer, Handwerker)
Für viel Sport (5mal pro Woche) zusätzlich Pal 0,3
13
Beispiele
Finanzbeamte
65 Kg Körpergewicht
Pflegekraft
58 Kg Körpergewicht
GU= 65kg x 24 h
GU=
kcal
GU= 58kg x 24 h
GU=
kcal
kcal x PAL
EU=
kcal
EU=
kcal x PAL
kcal
14
Weitere Kriterien
Laboruntersuchungen:
Serum- Albumin zu gering bei Unterernährung. Normalwert 3,5-5g
Transferrin vermindert bei Eisenmangel. Normalwert 200-400mg/dl
WU = Wadenumfang soll mehr als
OAU = Oberarmumfang soll mehr als
cm betragen.
cm betragen.
15
5
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A
o
o
o
o
o
o
o
o
o
Multimorbidität und Mortalität
Abnahme der Muskelkraft (Muskel-Eiweiß-Synthese sinkt)
Infektanfälligkeit
Haut-/ Schleinhautdefekte
Wundheilungsstörungen/ Dekubitusrisiko
Neurologische und kognitive Beeinträchtigungen
Beeinträchtigung der Herzleistung und Atemfunktion
Verlangsamte Rekonvaleszenz
Einschränkung der Lebensqualität
o Geriatrische Syndrome „I“
16
Der Unterstützungsumfang in den Maßnahmen richtet sich
nach dem individuellen Bedarf des Patienten
(Bedarfsgruppen)
Alle Maßnahmen sind strukturiert vorzunehmen:
•
•
•
•
•
Motivation
Bedarfsanalyse und Absprache des Ablaufs
Vorbereitung
Durchführung
Nachbereitung
17
1. Motivation zur Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme
fördern/ Kooperation zur Kostform fördern
Was gehört zur Motivaton bei der Essensaufnahme?
18
6
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2. Bedarfsanalyse und Absprache des Ablaufs unter
Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse
Ort
Hilfsmittel
Nahrung
Körperhaltung
19
Auswahl des Ortes
20
Dann lieber so
21
7
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Auswahl der Nahrung und Getränke
Biographie orientiert
Wunschkost
Haupt- und Zwischenmahlzeiten
Geschmacksintensiv
Kontrastreich
Ausgewogen
Selbstbestimmt
Ansprechendes Ambiente
Unaufdringliche Begleitung
Energiereich
22
Hilfsmittel
23
24
8
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Auswahl der Körperhaltung
25
Muskuläre
Verbindung
zwischen Kopf
und Becken
26
„Herkömmliches Sitzen“
27
9
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ATP-G
Verbesserte Aufrichtung
Bessere Kopfkontrolle
Tonusregulation
Nachlassen von assoziierten
Reaktionen
• Atemerleichterung
• Effektives Husten
• Physiologisches Schluckens
•
•
•
•
28
Hinweise für Dysphagien
Hustenreiz
29
3.Vorbereitung
Voraussetzung schaffen für eine aktive
Eigenbeteiligung (Körperhaltung, Zahnstatus)
Anrichten der Nahrung und der Getränke
30
10
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Anrichten der Nahrung
31
32
Anna Müller, geboren 23.08.1930, verwitwet, 2 Töchter.
Sie ist gesellig und mobil und nimmt mit Freude an Familienfesten teil. Dreimal
wöchentlich besucht sie die Tagespflege ihres Heimatortes.
Vorerkrankungen : leichte Alzheimer Demenz
Hauptdiagnose: fieberhafter Harnwegsinfekt
Medikamente: Cotrim Forte und Exelon Pflaster.
Seit Frau Müller wieder in der Lage ist aufzustehen, verlässt sie öfter ihr Zimmer, irrt auf
der Station umher und möchte nach Hause. Sie wird ruhiger, wenn die Familie da ist
oder jemand Zeit findet mit ihr einen Spaziergang zu machen oder sich zu
unterhalten. Während der bisher 10 Tage im Krankenhaus hat sich ihr Gewicht bei
einer Körpergröße von 1,60m von 54kg auf 50kg reduziert. OAU= 20cm, WU=33. Von
den Mahlzeiten isst sie höchstens die Hälfte auf und das auch nur, wenn jemand bei
ihr ist. Sie klagt über Appetitlosigkeit und Übelkeit, mag kein Fleisch essen und klagt
über das fade Essen. Die orale Flüssigkeitseinnahme liegt bei etwa 800 ml Wasser und
Tee am Tag.
Welchen BMI hat Frau Müller?
Leidet Frau Müller an einer Mangelernährung? Teste dies mit dem MNA
Welchen Energiebedarf hat sie? Berechne
Was ist ihr größtes Problem?
Überlege Maßnahmen
11
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5.Nachbereitung
Überwachung der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr
Dokumentation
Auswahl der Ausgangsstellung für nachfolgende
Aktivität
Ggf. Nahrungsergänzung
34
35
Parenterale Ernährung
Enterale Ernährung
Orale Ernährung mit Anreicherung
Und Supplementierung
Orale Ernährung
36
12
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Was ist an dieser Vorgehensweise Aktivierendtherapeutisch?
Die
ermittelt immer wieder aufs Neue und aktuell den
derzeitigen Zustand des Patienten. Die Aktivierung geschieht mit dem
Ziel größtmögliche
im Alltag zu erlangen.
Die Zielsetzung bezieht den Patienten dahin gehend mit ein, dass er seine
Möglichkeiten bewusst erfährt. Der
mit den
Pflegefachkräften sorgt für einen partnerschaftlichen Austausch über
die Vorgehensweise. Dabei werden auch die
mit
einbezogen.
Die Arbeit der Therapeuten wird mit aufgegriffen und im Alltag verfolgt.
Diese enge
im Team ermöglicht das Umsetzen
von Zielen 24 Stunden am Tag.
Eine hohe
ist unverzichtbar, um den aktuellen Status des
Patienten erkennen zu können, um Sekundärschäden zu vermeiden
37
38
ATP- Geriatrie
Literaturliste
A.Tannen, T.Schütz „Mangelernährung“ Kohlhammer 2011
H.K.Biesalski et al.“Ernährungsmedizin“ Thieme 2010
DNQP“Expertenstandard zur Sicherstellung und Förderung
der oralen Ernährung in der Pflege“ Osnabrück 2010
B.Klamke“Klkamkes gepflegte Welt, interdisziplinär“
Schlütersche 2002
DGE, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, www.dge.de,
Letzter Zugriff 14.07.2015
39
13
Ethik
Ethik und Pflege
1 Ethische Grundlagen in der Pflege
1.1
Ethik (Kurzerklärung)
Systematisches Nachdenken über Verhaltensnormen und Alltagspraxis (vgl. Rabe 2009,
272)
1.2
Anthropologie
Anthropologie ist die Lehre von der Natur des Menschen. Sie versucht die Mannigfaltigkeit
und Komplexität zu erfassen. Deshalb ist sie transdisziplinär und stützt sich auf Methoden
und Wissensbestände anderer Wissenschaften vom Menschen, z. B. Geschichte, Psychologie, Soziologie, Pädagogik, Theologie, Biologie, Philosophie, Ethik.
Man unterscheidet zwischen empirischer und philosophischer Anthropologie.
Zusammenhang von Ethik und Anthropologie nach Kamlahs:
o
„Aus der Einsicht in die grundsätzliche Bedürftigkeit und Abhängigkeit von anderen ergibt sich die moralische Forderung, einander als Menschen anzuerkennen
und beizustehen:“ (Rabe 2009, 273)
Bezüge zwischen Anthropologie und Pflege werden vor allem die Körpernähe der pflegerischen Arbeit sowie ihre Nähe zu existentiellen Fragen und ihre Konfrontation mit
Grenzsituationen herausgearbeitet (vgl. Rabe 2009, 273).
In der Pflege ist viel von Menschenbildern die Rede.
Wichtig zu beachten ist, nach Hentig,
o
dass ein Bildnis ein Maßstab sein soll und deshalb von unseren Wünschen und Ängsten geprägt.
o
Der Mensch soll im Zuge seiner freien Entscheidung selbst wählen können, an welchem Menschenbild er sich orientieren will.
o
Von Hentig kommt zu dem Schluss:
„Das Menschenbild, das gesucht wird, kann nicht eines vom Menschen im Singular sein; es muss sich auf den Menschen im Plural
erstrecken.“ (v. Hentig 1999, 24 f)
Die Frage nach dem Menschenbild führt zu den Fragen
1
Ethik
o
nach dem guten Leben
o
nach der guten Gemeinschaft
o
dem richtigen Handeln
o
damit zur Ethik (vgl. v. Hentig 1999, 24 f)
o
Es orientiert sich niemand an einem reinen, statischen Menschenbild, also
nur dem biologischen, religiösen etc., sondern unser individuelles Bild vom
Menschen ist immer mehrperspektivisch (vgl. Rabe 2009, 274)
2 Zentrale Begriffe der Ethik
2.1
Werte
Definition
„Werte sind bewusste oder unbewusste Orientierungsstandards und Leitvorstellungen, die
menschliches Handeln oder auch Entscheidungen leiten.“ (Lauber 2007, 242).
„Unter Wert versteht man die bewussten oder unbewussten Orientierungsstandards und
Leitvorstellungen, von denen sich Individuen und Gruppen bei ihrer Handlungswahl leiten
lassen.“ (Höffe, 2008, 344)
Werte sind wesentlicher Bezugspunkt für menschliches Handeln.
Entscheidungen für oder gegen eine Handlung, werden bewusst oder unbewusst von
den Dingen beeinflusst, die uns wichtig oder wertvoll erscheinen.
Aus persönlicher Lebensgeschichte, Sozialisation, Gruppenzugehörigkeit, Religiosität
usw., ergeben sich persönliche Werte, = persönliche Aspekte, die für ein gutes und richtiges Leben wesentlich erscheinen (vgl. Lauber 2007, 242-243).
2.1.1
Persönliches Wertesystem
Alle Werte, die ein Mensch für sich und sein Handeln als wichtig erkennt, werden in einem persönlichen Wertesystem geordnet. Wertesysteme der einzelnen Menschen sind
unterschiedlich und können sich innerhalb des Lebens verändern
Das Wertesystem besteht aus moralischen und nichtmoralischen Werten, die hierarchisch angeordnet sind, d. h. die Werte werden entsprechend ihrer Wichtigkeit und Be2
Ethik
deutung für den jeweiligen Menschen in einer Rangfolge angeordnet. => Man spricht
deshalb auch von Werteskala (vgl. Lauber 2007, 243).
2.1.2
Wertekonflikte
Wenn ein Mensch über sein Wertesystem Klarheit hat und sich in seinen Handlungen auf
bestimmte Handlungen beruft, muss er damit rechnen, dass andere Menschen in derselben Situation anders handeln würden, weil sie sich auf andere, ihnen wichtige Werte berufen (vgl. Lauber 2007, 244)
2.1.3
Werthaltung
Darunter versteht man eine anhaltende Neigung, sich so zu verhalten, dass das eigene
Wertesystem im Handeln zum Ausdruck kommt, also Gutes (Werte) zu tun und zu fördern bzw. Böses (Nichtwerte) zu unterlassen (vgl. Lauber 2007, 244).
Für die Ausbildung und –prägung sind die Erfahrungen, welche die Menschen mit ihrem
Handeln in vorherigen Situationen gemacht haben, wichtig
Die Werthaltung wird zu einer Art unbewussten Wissens bzw. zu einer inneren Haltung
des Menschen. => Nicht in jeder Situation muss über die beteiligten Werte neu nachgedacht werden => Entscheidungen für oder gegen Handlungen können schneller getroffen
werden.
„Wenn Wertvorstellungen sich verfestigen und verinnerlicht werden,
spricht man von einer Werthaltung.“ (Lauber 2007, 245)
2.2
Normen und Moral
Definition
„Unter Normen werden verbindliche Leitlinien oder Regeln verstanden, die das moralische
Handeln von einzelnen Menschen oder Gruppen leiten, ohne dass diese in jeder Situation
erneut über grundlegende Werte nachdenken müssen.“ (Lauber 2007, 245)
2.2.1
Allgemeine und konkrete Normen
Allgemeine Normen = handlungsleitende Prinzipien
o
Unabhängig von einer konkreten Situation formuliert
o
Gelten für alle Menschen gleichermaßen
3
Ethik
o
Funktion als Kompass, der die Richtung des Handelns angibt
Gerechtigkeit
Autonomie
Aufrichtigkeit etc.
Aufgabe der Ethik:
o
Untersucht, ob diese Prinzipien für menschliches Handeln gerechtfertigt sind bzw.
begründet werden können
Konkrete Normen
o
Beziehen sich auf Handlungen in Abhängigkeit von bestimmten Situationen
o
Allgemeine Normen werden auf eine konkrete Situation angewandt
o
Oft durch Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen geregelt (vgl. Lauber 2007,
246).
Fazit
„Allgemeine und konkrete Normen schützen die ihnen zugrundeliegenden Werte. Darüber
hinaus fungieren sie als verbindliche Regeln im menschlichen Zusammenleben und ermöglichen so eine soziale Ordnung.“ (Lauber 2007, 246)
2.2.2
Moralprinzip
20 Min
Definition von Moral
„Moral und Sitte stellen den für die Daseinsweise der Menschen konstitutiven normativen
Grundrahmen für das Verhalten vor allem zu den Mitmenschen, aber auch zur Natur und zu
sich selbst dar.“ (Höffe 2008, 210)
„Das geltende Verständnis und das Befolgen bzw. die tatsächliche Umsetzung von Werten
und Normen durch den Einzelnen oder durch eine Gruppe von Menschen in praktisches
Handeln wird als Moral bezeichnet.“ (Lauber 2007, 246).
„Moral ist die gelebte sittliche Überzeugung bzw. die praktizierte Umsetzung von Werten und
Normen durch einzelne Menschen sowie Institutionen oder eine Gesellschaft.“ (Lauber 2007,
247)
4
Ethik
Definition Moralprinzip
„(…) der letzte bzw. ein letzter praktischer Grundsatz (…), der nicht aus einer allgemeinen
Norm ableitbar ist und als Kanon der Deduktion, Begründung, Rechtfertigung und Kritik untergeordneter Normen fungiert.
Das Moralprinzip dient so gesehen als oberstes Kriterium, als letzter Maßstab praktischen
Argumentierens, das implizit oder explizit in jeder Begründung singulärer oder genereller
moralischer Urteile in Anspruch genommen wird.“ (Höffe 2008, 217).
Beispiele:
o
Jedermann handle jederzeit nach der vernünftigen Natur der Dinge (stoische Ethik)
o
Nach dem Willen Gottes (theologische Ethik)
o
Im Blick auf das größtmögliche eigene (Egoismus) oder allgemeine Glück (Utilitarismus)
o
Nach verallgemeinerungsfähigen Maximen bzw. in Anerkennung des Selbstwerts aller Personen (Kant) => „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich
wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werden kann.“ (Kant 1785, zit. nach
Amelung 1992, 65)
o
Nach in einem herrschaftsfreien, vernünftigen Dialog konsensfähigen Interessen (vgl.
Höffe 2008, 218)
2.3
Gewissen (Exkurs)
Definition
„Mit Gewissen bezeichnen wir moralphilosophisch verschiedene Aspekte der moralitätsfähigen und für ihr Tun verantwortlichen Person.“ (Höffe 2008, 110)
„Das Gewissen fungiert als persönliche moralische Instanz, die Menschen dazu auffordert,
sich in konkreten Situationen für gutes und richtiges Handeln zu entscheiden.“ (Lauber 2007,
247)
Problematik:
o
Nicht bei jedem Menschen bildet und meldet sich das Gewissen in der gleichen
Art und Weise und mit der gleichen Intensität.
o
Das Gefühl für „gut“ und „richtig“ wie auch die Entscheidung für oder gegen einzelne Werte stark vom soziokulturellen Umfeld eines Menschen beeinflusst ist.
o
Gefahr zu denken, dass nur das, was das Gewissen als richtig empfindet auch
richtig ist und andere Meinungen haben keine Gültigkeit.
5
Ethik
o
Aber auch umgekehrt, wenn sittliche Werte nicht so ernst genommen werden…
Entscheidung gegen das eigene Gewissen:
o
Gewissen wird bewusst übergangen
o
Kann regelrecht abstumpfen
o
=> Ethik: Aufgabe, dieses Verhalten kritisch zu beleuchten und zu hinterfragen
Aussagen, wie „das gebietet mir mein Gewissen“ reichen für die Begründung einer Handlung
nicht aus, da sie für andere Menschen nicht nachvollziehbar sind. => Wichtig, transparent zu
machen, auf welchen Werten und Normen eine Handlung oder Entscheidung basiert. (vgl.
Lauber 2007, 247)
Fazit
o
„Fähigkeit eines Menschen, Gutes und Böses zu unterscheiden
o
Für die Entwicklung des Gewissens ist der Austausch mit anderen Menschen notwendig
o
Gewissensinhalte sind individuell, im Grundgesetz ist Gewissensfreiheit verankert
o
Ethik hilft, Gewissensentscheidungen zu begründen.“ (Lauber 2007, 247-248)
Ethik trägt dazu bei, die hinter dem Gefühl stehenden Werte und Normen
o
zu analysieren,
o
sie in einen Zusammenhang zu bringen
o
und so ethisch begründbare Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungen zu
entwerfen.
Das Gewissen wird deshalb nicht überflüssig, aber die Überzeugungen, Gefühle, Werte
und Normen, auf denen es beruht, werden offen dargelegt, für andere Menschen nachvollziehbar und damit einer Diskussion und einem echten Austausch zugänglich (vgl.
Lauber 2007, 248).
„Das Gewissen unterstützt in konkreten Situationen das Abwägen zwischen Werten und
Nichtwerten und die Entscheidung für gutes und richtiges Handeln.“ (Lauber 2007, 248)
6
Ethik
Zusammenfassung verschiedener Begrifflichkeiten
Begriff
Wert
Definition
Bewusst oder unbewusste Orientierungsstandards bzw. Leitvorstellungen für menschliches Handeln (z. B.: Freundschaft, Luxus, Pünktlichkeit, Ordnungsliebe usw.)
Werthaltung
Neigung, sich aufgrund von Werten so zu verhalten, dass diese Werte im Handeln zum Ausdruck kommen
Allgemeine Nor-
Verbindliche Leitlinien oder Regeln, die das moralische Handeln von
men
einzelnen oder Gruppen von Menschen leiten. Prinzipien schützen
(Prinzipien)
die ihnen zugrunde liegenden Werte (z. B. :Gerechtigkeit, Autonomie)
Konkrete Normen
Konkretisierung allgemeiner Normen in einer bestimmten Situation
(z. B.: Es darf keine aktive Sterbehilfe geleistet werden)
Moralprinzip
Grundnorm, die die Notwendigkeit moralischen Handelns begründet
(z. B.: goldene Regel)
Moral
Gelebte, praktizierte moralische Überzeugung von einzelnen oder
Gruppen von Menschen
Gewissen
Persönliche moralische Instanz, inneres Gefühl für richtig und falsch,
unterstützt bei der Unterscheidung zwischen Werten und Nichtwerten
(vgl. Lauber 2007, 248)
Ethik
3 Ethik
Geht auf Aristoteles zurück
Teilbereich der Philosophie
Untersucht sittliches Wollen und Handeln von Menschen in verschiedenen Lebenssituationen
Versucht, allgemeingültige Aussagen über gutes und gerechtes menschliches Handeln
zu machen (vgl. Lauber 2007, 248).
Ethik will:
o
Werthorizonte aufzeigen
o
Reflexionsprozesse in Gang bringen
o
Problemlagen und Normenkonflikte analysieren
o
Legitimationsmöglichkeiten aufdecken
o
Handlungsoptionen entwickeln und gewichten
o
Entscheidungsgrundlagen und –voraussetzungen schaffen
o
Den Dialog eröffnen (vgl. Brandenburg 2006, 450).
Ethik:
o
beschäftigt sich mit der systematischen Betrachtung von Werten und Normen
o
untersucht das menschliche Handeln hinsichtlich seiner moralischen Qualität
o
beschreibt die in einer Gesellschaft geltenden Werte und Normen und untersucht,
ob diese zu rechtfertigen sind
o
versucht, allgemein gültige Grundsätze zu formulieren, und löst damit das Handeln des einzelnen Menschen aus der persönlichen Beliebigkeit
o
macht keine fertigen, konkreten Handlungsanweisungen
o
allgemeine Aussagen dazu, welche Richtung menschliches Handeln einschlagen
sollte, damit es gut und richtig ist
o
hat eine begleitende und unterstützende Funktion, wo Menschen nach einer Orientierung für ihr Handeln suchen
o
bietet neutralen Rahmen, im dem menschliches Wohlbefinden diskutiert werden
kann (vgl. Lauber 2007, 248).
o
will die menschliche Praxis hinsichtlich ihrer moralischen Qualität aufklären
o
möchte die moralische Urteilskraft erwerben lassen
o
will die kritische Beurteilung von Geltungsansprüchen hinsichtlich ihrer moralischen Berechtigung einüben lassen
o
macht auf die fundamentale Bedeutsamkeit von moralischer Kompetenz und sozialer Verantwortung aufmerksam; möchte zur Einsicht hinführen, dass morali8
Ethik
sches Handeln nicht etwas Beliebiges, Willkürliches ist, das man nach Gutdünken
tun oder lassen kann, sondern Ausdruck einer für das Sein als Mensch unverzichtbaren Qualität: der Humanität (Piper 2000, 12, 179 f).
Sieben Einzelaufgaben nach Lay:
•
Aufklären Transparenz herstellen:
o
Ethik macht transparent, aus welchen Wertequellen sich
konkretes menschliches Handeln speist.
•
Moral legitimieren
o
Verhaltensvorschriften, sittliche Verpflichtungen und Handlungsregeln für Entscheidungen argumentativ auszuweisen
und zu rechtfertigen (Irrgang 1995, 14).
•
Bestehende Normen überprüfen
o
Den Wert von Normen zu prüfen und festzustellen, ob sie
die Entfaltung wahrhaft menschlicher Existenz fördern oder
ihr abträglich sind (Schröder 1985, 464)
•
Prinzipien und Normen zur Verfügung stellen
o
Ethik fragt nach dem, was richtig oder falsch, gut oder
schlecht ist und zwar immer unter dem Gesichtspunkt, wie
menschliches Leben und Zusammenleben möglichst optimal gelingen kann (vgl. Hofmann, 1995 a, 445)
•
Handlungen auf ihre Sittlichkeit überprüfen
o
Ethik schreibt nicht vor, wie im Einzelfall konkret gehandelt
werden soll, sondern versteht sich eher als eine Art Instrument, mit dessen Hilfe sich Handlungen und Unterlassungen daraufhin überprüfen lassen, ob sie den Menschen in
ihren individuellen und sozialen Bezügen gerecht werden
(vgl. Hofmann 1995 b, 36)
•
Korrektiv für die Praxis sein
o
Ethik ist kein Ersatz für moralisches Handeln, sie erschließt
vielmehr die kognitive Struktur moralischen Handelns.
o
Ethik gibt den Handelnden Argumentationsstrategien an die
Hand, die es ihnen ermöglichen:
Moralische Probleme und Konflikte menschlichen
Handelns als solche klar zu erfassen
9
Ethik
Mögliche Lösungsvorschläge zu entwickeln und auf
ihre moralischen Konsequenzen hin zu überdenken
sowie
Sich nach reiflicher Überlegung selbstständig „guten
Gründen“ für eine bestimmte Lösung zu entscheiden (vgl. Piper 2000, 15)
o
Ethik ist eine Möglichkeit zur Überprüfung und Korrektur
(un-)moralischer menschlicher Praxis (vgl. Lay 2004, 32).
•
Zur moralischen Kompetenz anleiten
o
„… die gut begründete moralische Entscheidung als das
einsichtig zu machen, was jeder selbst zu erbringen hat
und sich von niemandem abnehmen lassen darf – weder
von irgendwelchen Autoritäten noch von angeblich kompetenteren Personen (Pieper 2000, 15)
Ethik will nicht:
o
Patentrezepte für gutes Handeln liefern
o
Vorschriften machen
o
Von Verantwortung entlasten (Ethik ist nicht Moral und auch nicht Ethos) (vgl.
Brandenburg 2006, 450).
Fazit
„Die Wissenschaft, die sich mit der systematischen und methodischen Untersuchung und
Reflexion von Werten und Normen beschäftigt, wird Ethik genannt.“ (Lauber 2007, 249)
3.1
Formen der Ethik
3.1.1
Deskriptive Ethik
= beschreibende Ethik:
o
Darstellung der in einer Gesellschaft, Institutionen, Berufsgruppe oder Kultur geltenden ethischen Grundsätze, Werte und Normen
o
Es geht nicht um eine Wertung oder Beurteilung der beschriebenen Handlungen.
o
Stellt fest, welche Werte und Normen innerhalb einer Gruppe Geltung haben
o
Versucht, diese zu erklären
o
Kann zu einer Theorie über menschliches Verhalten in verschiedenen Situationen
führen (vgl. Lauber 2007, 249)
10
Ethik
Die sogenannte deskriptive Ethik oder auch die Moralsoziologie und –psychologie wollen
Ist-Zustände erfassen: So handeln die Menschen, dies sind die ihnen wichtigen Werte, dies
oder jenes halten sie für richtig oder falsch.
Davon zu unterscheiden ist die normative Ethik, die Sollensaussagen, d. h. Aussagen über
das moralisch richtige Handeln macht und Begründungen dafür gibt: So soll man handeln –
und zwar aus diesen und jenen vernünftig nachvollziehbaren und allgemeingültigen Gründen.“ (Bobbert 2001, 13)
3.1.2
Metaethik
= kritische Untersuchung der Ethik durch sich selbst
Metatheorie der normativen Ethik (vgl. Nida-Rümelin 1996, 4)
Ethik reflektiert nicht vorrangig ihren eigentlichen Gegenstand, sondern untersucht die Art
und Weise, wie sie ihren Gegenstand reflektiert (vgl. Lay 2004, 33)
Ethische Selbstkritik (vgl. Piper 2000, 83)
Ethik der Ethik (Bango 1999, 268).
Beschäftigt sich mit methodischen und sprachlichen Fragen, die die Ethik allgemein betreffen.
Auseinandersetzung über Ethik als Wissenschaft (vgl. Lauber 2007, 249).
Fazit
„Unter deskriptivem Aspekt beschreibt die Ethik
o
Die empirisch vorfindlichen Normen – und Wertsysteme bzw. Moralkodizes („Moralen“) bestimmter historisch-faktischer Gemeinschaften (z. B. die Moral der HopiIndianer, Sitten und Gebräuche der Eskimos)
o
Den Einfluss klimatischer, geographischer, kultureller, religiöser, ökonomischer
und anderer Faktoren auf die Moral einer Gemeinschaft
o
Die verschiedenen Moralen hinsichtlich ihrer Geltungsansprüche.
Unter normativem Aspekt fragt die Ethik
o
Nach den Prinzipien eines für alle guten Lebens
o
Nach dem Maßstab moralisch richtigen Handelns
o
Nach dem Moralprinzip
Unter metaethischen Aspekt untersucht Ethik:
o
Die Sprache und Logik moralischer Diskurse
Ethik
o
Die Methoden moralischer Argumentationen
o
Die Leistungskraft ethischer Theorien“ (Lay 2004, 34).
„Innerhalb der Ethik werden in Abhängigkeit von ihrem jeweiligen Erkenntnisinteresse
drei Formen unterschieden: deskriptive Ethik, normative Ethik und Metaethik.“ (Lauber
2007, 249)
3.2
Normative Ethik
„Das Ziel der normativen Ethik und der letzte Zweck einer philosophischen Ethik überhaupt
ist es, die jeweils herrschende Moral zu beurteilen, sie ggf. zu kritisieren oder ein begründetes Sollen, einen Imperativ im ethischen Sinn, zu begründen.“ (Höffe 2008, 72)
Die normative Ethik prüft Normen für menschliches Handeln hinsichtlich ihrer moralischen
Qualität und versucht, diese Normen zu begründen (vgl. Lauber 2007, 249).
Moralische Werte und Normen in einen systematischen Zusammenhang bringen und
durch mehrere Moralprinzipien zu begründen
das vorherrschende Verständnis von Moral nicht nur beschreiben, sondern darüber hinaus zu bewerten.
Ergebnis normativer Ethik können ethische Prinzipien und Modelle zur Beurteilung
menschlichen Verhaltens sein.
Unterteilung in folgenorientierte und nicht-folgenorientierte Theorien
3.2.1
Folgenorientierte Theorien
Es werden die Folgen bzw. die Konsequenzen betrachtet, die eine menschliche Handlung nach sich zieht, und bewerten sie nach einem höchsten Ziel (vgl. Lauber 2007, 249).
= konsequentialistische Theorien oder teleologische Theorien (teleos = Ziel, Zweck)
o
Dabei ist das höchste Ziel, das als ethisches Kriterium fungiert, innerhalb der verschiedenen teleologischen Theorien, sehr unterschiedlich
Utilitarismus = Hauptvertreter (= Nützlichkeitsethik)
o
„Eine Handlung gilt im Rahmen dieser Ethiktheorie dann als ethisch gerechtfertigt,
wenn ihre positiven Folgen die negativen Folgen für alle von dieser Handlung be12
Ethik
troffenen Menschen überwiegen. Allerdings ist damit noch nicht geklärt, was als
positive Folge bzw. als negative Folge in einem konkreten Fall anzusehen ist.“
(Lauber 2007, 250)
o
„Für die ethische Rechtfertigung einer Handlung im Rahmen der utilitaristischen
Normbegründung ist es streng genommen unwichtig, ob die Handlung selbst von
moralischem Wert ist.“ (Lauber 2007, 250)
o
Z. B. Notlüge => Die Handlung widerspricht dem ethischen Prinzip der Wahrhaftigkeit, wenn dadurch aber z. B. Menschen vor Schaden bewahrt werden können,
darf gelogen werden.
Utilitarismus ist nicht unumstritten
o
Man kann die Folgen, die eine Handlung nach sich zieht, nicht voraussehen
o
Kann in konkreten Situationen große Nachteile für Minderheiten mit sich bringen:
„Wird die Richtigkeit einer Handlung allein anhand der Menge von Menschen gemessen, für die sie Vorteile bringt, müssen die Interessen einer
kleineren Zahl dahinter zurücktreten, was in einer konkreten Situation erhebliche Nachteile für einzelne Menschen bringen kann.“ (Lauber 2007,
250)
3.2.2
Nicht-folgenorientierte Theorien
Die Folgen einer Handlung werden bei ihrer Bewertung völlig außer Acht gelassen.
= deontologische Ethiktheorien (die Pflichtethik, das Erforderliche)
„Innerhalb der Deontologie gelten Handlungen dann als sittlich richtig, wenn sie Grundsätzen folgen, die in sich gut sind.“ (Lauber 2007, 250)
Sie betonen die innere Qualität einer Handlung – ohne Berücksichtigung der Folgen, die
die jeweilige Handlung nach sich zieht.
Kant => Kategorischer Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (Kant 1785, zit. nach Amelung 1992)
Menschliche Handlung müssen demnach Maximen (Willensgrundsätzen) entsprechen,
die in sich gut und für jeden Menschen und in jeder Situation gültig sind.
Notlügen sind im Rahmen dieser Ethiktheorie nicht gerechtfertigt
13
Ethik
Zweiter Teil des Kategorischen Imperativs:
o
„Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person
eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel
brauchst.“ (Kant 1785, zit. nach Amelung 1992)
Menschenwürde = absoluter, innerer Wert des Menschen, der von anderen Menschen
respektiert und geachtet werden muss.
Deontologische Ethik ist nicht unumstritten
o
Der konkreten Situation, in der gehandelt wird, wird keine Beachtung geschenkt
o
Folgen der Handlung werden in die Handlung nicht einbezogen
o
Verschiedene Pflichten können miteinander konkurrieren:
Welcher Pflicht soll der Vorrang gegeben werden? (vgl. Lauber 2007,
251).
Fazit
Unterscheidung teleologischer und deontologischer Begründungen bzw. Rechtfertigungen ethischer Normen unterscheiden sich in Bezug auf die Schwerpunkte, die sie bei der
Begründung setzen.
Beide Ansätze verfolgen jedoch dasselbe Ziel:
o
Sie wollen dazu beitragen, Maßstäbe für richtiges menschliches Handeln zu entwerfen und zu begründen.
o
Beide Ansätze werden für die alltägliche menschliche Praxis als zu einseitig angesehen => Verantwortungsethik
3.2.3
Verantwortungsethik
Alle an einer Handlung beteiligten Elemente werden bei der Bewertung der ethischen
Handlung berücksichtigt
Es werden vor allem – aber nicht ausschließlich – die Folgen, die eine Handlung nach
sich zieht, berücksichtigt.
Auch die Handlung selbst und die motivierende Gesinnung spielen im Rahmen der Verantwortungsethik bei der Bewertung des Handelns eine wichtige Rolle
Modell der personalistischen Verantwortungsethik nach van der Arend und Gastmans:
o
Für die ethische Bewertung menschlichen Handelns sind drei Aspekte wesentlich:
Die motivierende Gesinnung
Ethik
Die wahrnehmbare Handlung und
Die vorhersehbaren Folgen der Handlung
o
Einseitige Sichtweisen werden vermieden:
Alleinige Betrachtung der motivierenden Gesinnung=> Gefahr, in einen
Subjektivismus zu entgleisen = Mensch wird zum absoluten Maßstab für
Wahrheit und Werte genommen und die moralische Qualität der wahrnehmbaren Handlung sowie ihrer Folgen bleibt unberücksichtigt.
Ausschließliche Betrachtung der Konsequenzen einer Handlung => ethische Qualität der motivierenden Gesinnung und der wahrnehmbaren
Handlung bleiben außer Acht
Allein auf moralische Qualität geachtet => es zählen dann allen die objektiven Gegebenheiten, nicht aber die Folgen einer Handlung und die motivierende Gesinnung des handelnden Menschen (vgl. Lauber 2007, 252).
Alle drei Aspekte müssen berücksichtigt werden
Als personalistisch wird dieser Entwurf bezeichnet, weil die menschliche Person als zentraler Wert betrachtet wird.
Zugleich ist sie der Maßstab, der zur Beurteilung menschlichen Handelns herangezogen
wird.
Fazit
„Eine Handlung gilt im Rahmen dieses Modells dann als ethisch vertretbar, wenn sowohl die
motivierende Gesinnung und die wahrnehmbare Handlung als auch die absehbaren Folgen
der Handlungen dem Kriterium der Menschenwürde standhalten bzw. die Menschenwürde
fördern.“ (Lauber 2007, 252)
Die vorgenommene Unterscheidung zwischen Gesinnung und Handlung schlägt sich auch
im Sprachgebrauch nieder:
Ethische Bewertung der motivierenden Gesinnung wird mit „gut“ und „böse“ bezeichnet
Ethische Bewertung der Handlung mit „richtig“ und „falsch“.
o
Wenn eine Handlung aus einer subjektiv guten Gesinnung heraus erfolgt, kann
sie objektiv betrachtet, falsch sein (vgl. Lauber 2007, 252).
„Innerhalb der normativen Ethik
werden folgenorientierte Theorien und nicht-
folgenorientierte Theorien unterschieden. Vertreter der Verantwortungsethik plädieren für
eine gleiche Bewertung von Gesinnung, Handlung und Folgen bei der ethischen Evaluation menschlichen Handelns.“ (Lauber 2007, 252).
15
Begriff
Wert
Definition
Bewusste
oder
unbewusste
Orientierungsstandards
bzw.
Leitvorstellungen für menschliches Handeln (z. B.: Freundschaft,
Luxus, Pünktlichkeit, Ordnungsliebe usw.)
Werthaltung
Neigung, sich aufgrund von Werten so zu verhalten, dass diese
Werte im Handeln zum Ausdruck kommen
Allgemeine
Verbindliche Leitlinien oder Regeln, die das moralische Handeln von
Normen
einzelnen oder Gruppen von Menschen leiten. Prinzipien schützen
(Prinzipien)
die
ihnen
zugrunde
liegenden
Werte
(z.
B.
:Gerechtigkeit,
Autonomie)
Konkrete Normen
Konkretisierung allgemeiner Normen in einer bestimmten Situation
(z. B.: Es darf keine aktive Sterbehilfe geleistet werden)
Moralprinzip
Grundnorm, die die Notwendigkeit moralischen Handelns begründet
(z. B.: goldene Regel)
Moral
Gelebte, praktizierte moralische Überzeugung von einzelnen oder
Gruppen von Menschen
Gewissen
Persönliche moralische Instanz, inneres Gefühl für richtig und falsch,
unterstützt bei der Unterscheidung zwischen Werten und Nichtwerten
(vgl. Lauber 2007, 248)
Ethische Entscheidungsfindungsfindung
Fallbeispiele zur Bearbeitung nach dem Nimmwegener Modell ethischer Entscheidungsfindung
Fallbeispiel 1: Gesichtstumor
Die 88-jährige Frau Bohle, die bei ihrem Sohn lebt, wird dreimal täglich vom ambulanten
Pflegedienst versorgt. Sie ist bettlägerig und wird zweistündlich gelagert. Dabei hat sie einen
intakten Hautzustand ohne Dekubituszeichen. Sie wird über eine PEG-Sonde ernährt und
hat einen Blasendauerkatheter. Sie ist an allen Extremitäten stark kontraktiert, nicht orientiert, kaum kontaktfähig und spricht gar nicht. Der Thorax ist deformiert. Ihre beiden Augen
sind verklebt und die Bulbi nicht erkennbar. Ein 11x10 cm großer Tumor vom Nasenrücken
aus überwuchert beide Augen. Der Tumor blutet leicht, ist zerklüftet, eitrig und stinkt Ekel
erregend. Sie bekommt regelmäßig Schmerzmittel über die PEG und scheint dabei wenig
Schmerzen zu empfinden. Bei Manipulationen am Tumor reagiert sie nicht. Herr Bohle, der
Sohn, ist Betreuer. Der Hausarzt weist Frau Bohle in die Klinik ein, um den exulzerierenden
Tumor operieren zu lassen. Der Sohn hat unterschrieben, dass er sich mit „allen notwendigen diagnostischen und allen therapeutischen Maßnahmen (auch radikaler Operation)“ einverstanden erklärt.
Frau Bohle lieg in einem speziellen Lagerungsbett und wird intensiv betreut. Sie muss bei
allen Verrichtungen von zwei Pflegenden versorgt werden. Nachts kommt die Hauptnachtwache dazu. Sie alle müssen sich überwinden, weil der Gestank außerordentlich unangenehm ist. Ein Kontakt mit Frau Bohle ist nicht möglich. Bei den Pflegemaßnahmen spürt man
nur eine noch stärkere Verspannung der kontrakten Gelenke.
Die Ärzte setzen Frau Bohle zur Tumoroperation auf den OP-Plan. Damit kommt eine Assistentin zur Prämedikationsvisite. Sie wird von den Pflegenden der Station angesprochen,
dass man die Operation für unsinnig hält. Man soll Frau Bohle das nicht noch antun. Der
Tumor könne sowieso nicht geheilt werden. Man soll sie schleunigst wieder nach Hause verlegen. In das Zimmer könne man auch keine andere Patientin legen, weil der Geruch niemandem zuzumuten sei. Den Ärzten der Abteilung habe man das schon gesagt. Doch wie
wollen die Operation durchführen, weil Frau Bohle zu diesem Zweck eingewiesen wurde und
auch der Sohn wolle das. Die Meinung der Schwestern werde nicht ernst genommen.
1
Die Anästhesieassistentin, Dr. Jahn, schon Fachärztin, schätzt das Narkoserisiko als sehr
hoch ein, möchte aber, angesichts der problematischen Interaktion auf der Station die Entscheidung nicht selbst fällen. Sie hält die OP für „ethisch nicht gerechtfertigt“ und benachrichtigt den Oberarzt, der den Chefarzt Prof. Lehner bittet, sich darum zu kümmern, weil der
für die Patientin zuständige Chef erfahrungsgemäß eher von einem Gleichgestellten eine
Aussage akzeptiert.
Prof. Lehner geht zur Station, erfährt von den Pflegenden die schon genannte Einschätzung.
Auch einer der operativen Oberärzte gibt zu, dass er wenig Sinn in dem Eingriff sehe. Bei
der Untersuchung von Frau Bohle ergibt sich die schon dargestellt Situation. Es ist kein Kontakt mit ihr möglich. Aus dem tief zerklüfteten Tumor kriechen bereits Maden. Das Narkoserisiko ist als erhöht anzusehen, eine Narkose aber möglich.
In dem anschließenden Gespräch mit dem Chefarzt der Abteilung stellt der AnästhesieChefarzt die Fragen:
1. Was bringt die OP für den Tumor?
2. Was bringt die OP für die Patientin und deren Lebensqualität?
3. Was bringt die OP pflegerisch?
Die Antwort: „Es ist höchstens eine Verkleinerung und Glättung möglich, auf keinen Fall eine
Entfernung.“ Der Tumor reiche bis in die Stirnhöhle und die Siebbeinzellen. Dadurch könne
aber eine Erleichterung für die Pflege geschaffen werden. Es würde nicht mehr so Ekel erregend riechen. Das Risiko sei allerdings eine heftige Blutung, die eventuell eine weiter gehende Operation zwingend erforderlich mache.
(…)
Entnommen aus: „Für alle Fälle…“
Arbeitsgruppe „Pflege und Ethik“ der Akademie für Ethik in der Medizin e.V., Brigitte Kunz
Verlag, 2005, 57-58
2
Fallbeispiel 2
Frau H. ist eine liebenswürdige Bewohnerin, die aufgrund eines inoperablen und nicht therapiebaren Hirntumors vor einem Jahr ins Pflegeheim ziehen musste. Zunächst war sie noch
recht selbstständig, baute soziale Kontakt und auch enge Beziehungen zu verschiedenen
Pflegenden auf. Leichte kognitive Störungen und Koordinationsschwierigkeiten hinderten sie
nicht an einem Leben in der Gemeinschaft des Pflegeheims. Doch allmählich verschlechterte
sich der Allgemeinzustand von Frau H. – ohne Aussicht auf Besserung. In den letzten vier
Wochen konnte sie das Bett nicht mehr verlassen, die Kommunikation war nur in kurzen
Wachphasen eingeschränkt über Augenkontakt möglich, und die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme nahm immer mehr ab. Bald konnte Frau H. nur noch geringe Mengen essen
und trinken. Bei meinen Rundgängen auf dem Wohnbereich wurde mir von unterschiedlichen
Mitarbeitern immer wieder gesagt, dass sie Frau H. nun verhungern und verdursten lassen
müssten. Für den Angehörigen kam die Legung einer PEG-Sonde bei dieser unheilbaren
Krankheit nicht in Frage. Denn der ausdrückliche Wunsch von Frau H. war, dass bei der
Verschlechterung ihres Gesundheitszustands keine lebensverlängernden Maßnahmen
durchgeführt werden. (Brandenburg 2006, 464)
Fallbeispiel 3
Frau G. kam nach einem schweren Schlaganfall mit ausgeprägten Lähmungserscheinungen
und einer Aphasie nach dem Krankenhausaufenthalt ins Pflegeheim. Bisher hatte sie zusammen mit ihrem auch schon teilweise gebrechlichen Ehemann in einer eigenen Wohnung
im Haus der Tochter gelebt, die den bereits vorhandenen Hilfebedarf abgedeckt hatte. Aufgrund der Schwere des Schlaganfalls und ihrer Berufstätigkeit fühlte sich die Tochter mit der
Pflege der Mutter und des Vaters überfordert. Die Tochter wurde als Betreuerin eingesetzt
und besuchte ihre Mutter auch regelmäßig. Der Ehemann konnte nur selten mitkommen.
Frau G. lebte sich im Heim gut ein. Sie wohnte mit einer sehr lieben Mitbewohnerin in einem
Doppelzimmer und konnte zeitweise im Multifunktionsstuhl am Gemeinschaftsleben teilnehmen. Die Körperpflege, Flüssigkeits- und Nahrungsgabe wurde vollständig vom Pflegepersonal übernommen. Der Allgemeinzustand der Bewohnerin verschlechterte sich stetig. Mehrere Lungenentzündungen machten oftmaliges Absaugen erforderlich, das die Bewohnerin
nur mit großem Widerstand über sich ergehen ließ, und reduzierten ihren Aufenthalt im
Gruppenbereich sehr. Die meiste Zeit verbrachte sie dann in ihrem Zimmer und lag in Embryonalhaltung in ihrem Bett.
Entnommen aus Brandenburg, Hermann; Huneke, Michael: Professionelle Pflege alter Menschen. Eine Einführung. 1. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer GmbH, 2006
3
18.05.2015
Aspekte der Pflegeethik
Überblick
Begriffsdefinition Pflegeethik
Fünf Verhältnisbestimmungen der Pflegeethik
Pflegeethos und Pflegeethik
Pflegeethik und Care-Ethik
Pflegeethik und Gesundheitsethik
Pflegeethik und Arztethik
Pflegeethik als Bereichsethik
2
Lehr- und Lerneinheit 4
Begriffsdefiniton: Pflegeethik
„Systematische Reflexion des jeweils geltenden
Berufsethos (…)
unter den Rahmenbedingungen ethischer
Komplexität
mit den Instrumenten der philosophischen Ethik.“
(Monteverde 2012, S. 27)
3
Lehr- und Lerneinheit 4
1
18.05.2015
Verhältnisbestimmungen der Pflegeethik
Pflegeethos und Pflegeethik
Pflegerisches Handeln orientiert sich immer an Normen
und Werten
Berufsethos wird der Moral zugeordnet
Orientierende Kraft im Alltag
Beschreibt, welches Verhalten jeweils als geboten, erlaubt oder
verboten gilt
Artikulation des Pflegeethos dient der Selbstidentifikation
des Berufsstandes (vgl. Monteverde 2012, S. 27-28).
4
Lehr- und Lerneinheit 4
Verhältnisbestimmungen der Pflegeethik
Pflegeethik und Care-Ethik
Care-Ethik stellt wichtige Tradition in der normativen Ethik
dar und
macht Relevanz der Beziehungsdimension und GenderPerspektive deutlich
Zwei relevante Aspekte der Care-Ethik innerhalb der
Pflegeethik:
Durch Hervorhebung des Beziehungsaspektes therapeutischen
Handelns wird ein Gegengewicht zur starren Orientierung an
ethischen Prinzipien wie Autonomie und Gerechtigkeit
dargestellt.
Durch Gender-Perspektive wird die Wahrnehmung moralischer
Konflikte im Alltag verschärft (vgl. Monteverde 2012, S. 30-31).
5
Lehr- und Lerneinheit 4
Verhältnisbestimmungen der Pflegeethik
Pflegeethik und Gesundheitsethik
Gemeinsamkeit der Patientenzentrierung wird
hervorgehoben
Patientenzentrierung stellt normative Orientierung dar
Ergänzt spezifische Beschäftigung mit arzt- und
pflegeethischen Fragen
Unklarheit über die Reichweite der Gesundheitsethik
Visionen gelungenen Dialogs innerhalb der Professionen
(vgl. Monteverde 2012, S. 31-32).
6
Lehr- und Lerneinheit 4
2
18.05.2015
Verhältnisbestimmungen der Pflegeethik
Pflegeethik und Arztethik
Schulmedizin:
Naturwissenschaft und Curing Science
Pflege und Pflegewissenschaft:
im natur- und sozialwissenschaftlichen Paradigma verortet
Cure als Perspektive von Care
Relativierung der Stereotype zwischen Arzt- und
Pflegeberuf durch Öffnung zum biopsychosozialen
Menschenbild
Konvergenz der Arzt- und Pflegeethik eröffnet Wege für
gelingende Diskurse (vgl. Monteverde 2012, 32-33).
7
Lehr- und Lerneinheit 4
Verhältnisbestimmungen der Pflegeethik
Pflegeethik als Bereichsethik
Handlungsfeld beruflicher Pflege wird untersucht
durch Bereichs- und Problembezug wird Pflegeethik
legitimiert
fragt nach den handlungsleitenden Prinzipien und Werten
Analyse des Praxisfeldes unverzichtbar (vgl. Monteverde 2012, S.
34).
8
Lehr- und Lerneinheit 4
3
Psychische Störungen bei älteren Menschen
Block I bis III 15.4.2015 Depression, Angst,
Psychopathologie und Therapieformen
Gliederung
•
•
•
•
•
Fallbeispiel
Klinische Ausprägung
Entstehungsmodelle
Differentialdiagnosen und komorbide Störungen
Therapien:
– …….
Depression bei älteren Patienten
Immer enger, leise, leise
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin,
was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen,
Hassen, Lieben,
Und ist nichts
in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.
Depression bei Älteren
• ... so beschrieb
Theodor Fontane
• im Alter von 72 Jahren sein Erleben
• Damals litt der Dichter bereits zum dritten Mal
an einer schweren Depression
• “Der Kopf ist mir ständig benommen und will
von Anstrengung nichts mehr wissen. Die
Klapprigkeit bricht herein und das Arbeiten mit
Vierteldampfkraft wird Regel.”
• „An die Stelle dichterischer Schaffenskraft ist
ein Verlust geistiger Energie getreten,
Antriebsarmut und ein Gefühl der Sinnlosigkeit,
Schlafstörungen und innere Unruhe kommen
hinzu...“
Diagnostik der Depressiven Episode nach ICD 10
S3 Leitlinie 2009
Zusatzsymptome der Depression ICD-10
(siehe dort Kapitel F32):
1. verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit;
2. vermindertes Selbstwertgefühl und
Selbstvertrauen;
3. Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit;
4. negative und pessimistische
Zukunftsperspektiven;
5. Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzung oder
Suizidhandlungen;
6. Schlafstörungen;
7. verminderter Appetit.
Subtypisierung: Somatisches Syndrom
ICD 10 (mind. 4 von 8 Merkmalen)
1. Interessenverlust oder Verlust der Freude an
normalerweise angenehmen Aktivitäten;
2. mangelnde Fähigkeit, auf eine freundliche Umgebung
oder freudige Ereignisse emotional zu reagieren;
3. frühmorgendliches Erwachen; zwei oder mehr Stunden
vor der gewohnten Zeit;
4. Morgentief;
5. der objektive Befund einer psychomotorischen
Hemmung oder Agitiertheit;
6. deutlicher Appetitverlust;
7. Gewichtsverlust, häufig mehr als 5 % des
Körpergewichts im vergangenen Monat;
8. deutlicher Libidoverlust.
früher als „endogen“ oder „autonom“. In der ICD-10 wird „somatisch“ synonym zu
„melancholisch“ siehe DSM-IV benutzt, „vital“, „biologisch“ oder „endogenomorph“
Atypische Depression
(laut DSMIV TR 2003 S. 470)
Kriterium A: Aufhellbarkeit der Stimmung
Kriterium B: mindestens 2 von 4
1.
2.
3.
4.
Vermehrter Appetit oder Gewichtszunahme
Hypersomnie (mind. 10 Stunden oder Zunahme > 2 h )
„Bleierne Schwere“ der Extremitäten oder des Körpers
Überempfindlichkeit gegen Zurückweisung (trait marker)
Kriterium C: Ausschluß von melancholischen oder katatonen
Merkmalen
Historisch als Abgrenzung zur „klassichen endogenen Depression“:
Frauen 2-3 häufiger als Männer,
Erstmanifestation oft vor dem 20. LJ, meist chronisch weniger phasenhaft,
öfter bei bipolar oder saisonal,
Profitieren besonders von MAO-Inhibitoren und TZA weniger von SSRI
und auf KVT
25-30%
10-15%
40-60%
10-20%
5-10%
15-20%
S3 Leitlinie
Zeitlicher Verlauf depressiver Störungen
(S3 Leitlinie 2009 S. 75)
Hinweissymptome auf Depression
sind im Alter oft unspezifisch
laut S3 Leitlinien 2009
• Allgemeine körperliche Abgeschlagenheit, Mattigkeit;
• Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafstörungen);
• Appetitstörungen, Magendruck, Gewichtsverlust,
Obstipation, Diarrhöe;
• diffuser Kopfschmerz;
• Druckgefühl in Hals und Brust, Globusgefühl;
• funktionelle Störungen von Herz und Kreislauf (z. B.
Tachykardie, Arrhythmie, Synkopen), Atmung (z. B.
Dyspnoe), Magen und Darm;
• Schwindelgefühle, Flimmern vor den Augen,
Sehstörungen;
• Muskelverspannungen, diffuse neuralgiforme Schmerzen;
• Gedächtnisstörungen
GDS Geriatrische Depressionsskala
15 Fragen
Yesavage JA, J of Psych Res 1983; 17: 37-49.
Untersucher:
Datum:
JA
NEIN
1. Sind Sie grundsätzlich mit Ihrem Leben zufrieden?
2. Haben Sie viele von Ihren Tätigkeiten und Interessen aufgegeben?
3. Haben Sie das Gefühl, Ihr Leben sei leer?
4. Ist Ihnen oft langweilig?
5. Sind Sie meistens guter Laune?
6. Befürchten Sie, dass Ihnen etwas Schlechtes zustossen wird?
7. Sind Sie meistens zufrieden?
8. Fühlen Sie sich oft hilflos?
9. Sind Sie lieber zu Hause, statt auszugehen und etwas zu
unternehmen?
10. Glauben Sie, dass Sie mit dem Gedächtnis mehr Schwierigkeiten
haben als andere Leute?
……noch 5 weitere Fragen
pathologisch ab GDS > 5
MCI
Depression
Depression
Demenz
Genesung
Gebrechlichkeit-Frailty >= 3 Sympt.
Delirium
„Prefrailty“ 1-2 s.
Körperliche
Inaktivität
Soziale
Isolation
Einsamkeit
1.
2.
3.
4.
5.
Gewichtsverlust
Erschöpfung
Reduzierte Gang
-geschwindigkeit
Reduzierte Handkraft
Geringer Aktivitätsniveau
Geriatrische
Assessments
Kognitiver
Demenz
Abbau
Depression
Geringe
Lebensqualität
Stürze
Verdoppeltes Risiko für künftige AD
oder geistigen Abbau (Wilson et 2007)
• RR 2,1 (1,45-3,06) (korrigiert für Alter,
Geschlecht und Bildung)
• RR 1,84 (1,11-3,07) (korrigiert wie oben plus
Soziales Netzwerk, körperl. Aktivität u.a.)
• Zusammenhang mit Depression 20 bis 50%
• Kein Zusammenhang mit Alzheimer
Pathologie
Late-onset Depression und
hypertensive Enzephalopatie
Kognitiver Status bei Älteren mit
Spätdepression (>80 Jahre, (n=110,
Rapp et al. 2005)
Mini-Cog: 3 Minuten Screening
(Borson et al. 2000)
• 3 Begriffe: z.B. Apfel-Tisch-Pfennig
– Direkt wiederholen lassen
• Zeichnen einer Uhr mit Zeigern und Uhrzeit
11.10 Uhr
• Verzögerter Abruf der 3 Begriffe
• Keine Demenz, wenn 3 Begriffe korrekt oder 1-2
Begriffe und Uhr korrekt
• Demenzverdacht: 0 Begriffe oder 1-2 Begriffe
und Uhr inkorrekt
„Pseudo“-Demenz versus Depression
• Depressive klagen über Konzentrationsund Gedächtnisstörungen
• Depressive sind orientiert
• Depressive können auf Hinweisreize
Episoden wieder erinnern
• Depressive können weiterhin die Uhr
zeichnen
• Depressive verlaufen sich nicht dauernd
auf der Station
Fist-Edge-Palm Zeichen
von Luria 1966 gestörte
Response Inhibition
Verlauf der emotionalen Befindlichkeit
Psychosozialer Stressor: z.B. schwere Krankheit,
Tod eines Angehörigen, Heimeinweisung…..
Emotionale
Ausgeglichenheit
„Gelungene“ Anpassung
depressive
„Schwelle“
Intervention
Anhaltende depressive
Episode
Suizidale
„Schwelle“
suizidale Krise
Tage
Wochen
Intervention
Monate
Einsamkeit- ein alltäglicher Risikofaktor
»„Nein, in ein Heim gehe
ich
nicht. Da sind nur alte
Leute.
Alt bin ich selbst.Da sind
nur
Leid und Elend
versammelt.“
(Bemerkung einer 82Jährigen)
Definition
Definitionvon
vonSuizidalität
Suizidalität
Unter Suizidalität verstehen wir das Potential aller seelischen Kräfte und
Funktionen, das auf Selbstvernichtung tendiert
(Haenel u. Pöldinger 1986)
„Suizidalität ist die Summe aller Denk- und Verhaltensweisen von
Menschen oder Gruppen von Menschen, die in Gedanken durch aktives
Handeln, Handeln lassen oder passives Unterlassen den eigenen Tod
anstreben bzw. als mögliches Ergebnis einer Handlung in Kauf nehmen.“
(Wolfersdorf, 2000)
Nach Wolfersdorf ist dabei „Bewusstheit“ ein wesentlicher Faktor
Ist
Ist Suizidalität
Suizidalitätimmer
immerkrank?
krank?
Suizidalität per se ist keine Krankheit
Auch viele ( psychisch „gesunde“) Menschen erleben im Laufe des
Lebens Situationen, in denen sie sich mit der Möglichkeit des
eigenen Todes beschäftigen und den eigenen Tod als Möglichkeit
bedenken
Ein großer Teil berichtet in diesem Zusammenhang über passive
Todeswünsche und Suizidgedanken
Diese Auseinandersetzung kann Teil eines Trauerprozesses sein
und ist oft ein vorübergehender Zustand
Meist geht davon keine akute Gefahr eines Suizids aus. Risiko steigt
erheblich, wenn Vorstellungen sehr drängend werden und konkrete
Pläne gemacht werden
Aber: bei Verdacht sollte Suizidalität immer genau exploriert werden
Todesursachen
Todesursachenim
imVergleich:
Vergleich:BRD
BRD2001
2001
Suizid
11000
Drogen
1835
Verkehr
7100
Mord
914
Aids
900
0
2000
4000
(Daten des Bundesamtes für Statistik und BMI)
6000
8000
10000
12000
Häufigkeit & Letalität
verschiedener Methoden
Erschießen
1,7%
8,6%
Erhängen /Erdrosseln
Ertrinken
Ertrinken
Überrollen lassen
63,5%
0,9%
60,0%
2,1%
54,2%
5 Methoden
stehen für 76%
aller Suizide!
7,6%
Sturz aus Höhe
43,5%
sonstige Medikamente
7,1%
Stiche / Schnitte
6,8%
16,4%
14,5%
39,5%
Überdosis Psychoph. 0,7%
0,0%
84,2%
10,0%
Letalität
20,0%
30,0%
40,0%
50,0%
60,0%
70,0%
80,0%
90,0%
Anteil an suizidalen Handlungen in Nürnberg 2001
Anzahl betroffener Menschen
Mäßige
Suizidgefahr
Passive
Todeswünsche
Erwägung
Hohe
Suizidgefahr
Suizidgedanken
Suizidideen
Suizidpläne
Vorbereitungen
Ambivalenz
Suizidale
Handlungen
Entschluss
Das
DasPräsuizidale
PräsuizidaleSyndrom
Syndrom
Nach Ringel (1953) beinhaltet das Präsuizidale Syndrom
als zentrales Merkmal die „Einengung“ der Person.
Vereinfachend:
Der Betroffene sieht seine Situation hoffnungslos; er
erkennt keinerlei Wahlmöglichkeiten oder Alternativen.
Seine Gefühle reduzieren sich auf Depression und Angst
Sein Blick ist zunehmend „tunnelartig“ auf den Suizid als
einzigen Ausweg fokussiert.
Indikatoren
Indikatorenfür
fürakute
akuteSuizidgefahr
Suizidgefahr
Drängende Suizidgedanken
Große Hoffnungslosigkeit und starke Schuldgefühle
Starker Handlungsdruck („ich halte das nicht länger aus!“)
Massive narzisstische Kränkung
starke Impulsivität (erhöhte Gefahr bei Drogen- oder Alkoholkonsum)
Zunehmender sozialer Rückzug
Offene und verdeckte Ankündigung von Suizid („es wird aufhören, so
oder so...“)
Patient reagiert gereizt, aggressiv oder ist agitiert
Konkrete Suizidpläne oder Vorbereitung suizidaler Handlungen
Protektive
ProtektiveFaktoren
Faktorenbei
bei Suizidalität
Suizidalität
Familiäres / Soziales Umfeld:
Familie, Kinder, Partner, Freunde
Medizinische / psychologische Versorgung:
Arzt, Medikamente,Therapeut
Arbeit & finanzielle Absicherung
Tagesstruktur
Angebot vor Ort / Krisendienst etc.
Thematisierung
Thematisierungvon
vonSuizidalität:
Suizidalität:
Die Thematisierung von Suizidalität ist für Betroffene meist eine
Entlastung, wenn:
- das Gegenüber ganz auf den Einzelnen eingehen kann
- ein vertrauliches Gespräch unter vier Augen stattfindet
- das Gegenüber keine Angst vor dem Thema hat
- der Klient seine Gefühle zeigen darf
- bei Bedarf konkrete Hilfe vermittelt wird
Therapie der Depression im Alter
Therapien bei älteren Menschen
mit Depressionen
• Pharmakotherapie
• Somatotherapien
–
–
–
–
–
–
Lichttherapie
Wachttherapie
Akupunktur
Bewegungstherapie
Ergotherapie
u.a. (Musik….
• Psychotherapie
– Verhaltenstherapie
– IPT
– ……
Wichtige Randbedingungen:
•Nutzen
•Kognitiver Status
•Mobilität
•Verfügbarkeit
•Gruppe versus Einzel
•Kosten
S3 Leitlinie
Depression 2009
Aktiv abwartende Begleitung
S3 Leitlinie Depression 2009
Für 14 Tage
Leichte Depression
Mittelschwere Depression
Schwere Depression
Generelles Vorgehen
Information
des Patienten
• Krankheitsbild
• Therapeutische Möglichkeiten
• Notwendige Therapiedauer
Therapie
• Mögliche Nebenwirkungen
Den Patienten
zur Mitarbeit
motivieren
• Anfangs häufiger Kontakt
(wöchentlich)
• Persönliche Gespräche
• Kontrolle, ob der Patient sich
adäquat verhält
• An Suizidalität denken und
ansprechen
verändert nach Kasper et al., 1997
Therapeutische
Maßnahmen
Richtige
Medikamentenwahl
Richtig Dosieren
Therapie
Wirklatenz beachten
Lange genug einsetzen
Bei Hinweis auf
akute Suizidalität:
Überweisung in die
Klinik
• Klinisches Erscheinungsbild
der Depression
(Aspekt: Wirksamkeit)
• Lebensumstände
berücksichtigen
(Aspekte: Verträglichkeit,
Sicherheit, Einfachheit)
• Pharmakoökonomische Überlegungen (Aspekt: Kosten)
verändert nach Kasper et al., 1997
Therapie
Therapieverfahren bei der
Depression
Therapie der
organischen
Grunderkrankung
Therapie
mit
Antidepressiva
Organische
depressive
Störung
„symptomatische
Depression“
Depressive
Störung
Unipolare /
Bipolare
Depression
Psychotherapie
„Psychogene“
Depression
Anpassungsstörung
nach Kasper et al., 1997
Einteilung der Antidepressiva (Auswahl)
Trizyklische
und Tetrazyklische
NARI
Dual
wirksame
Citalopram (Reboxetin) Mirtazapin
(NaSSA)
Escitalopram
Venlafaxin
Clomipramin Fluoxetin
(SNRI)
Duloxetin
Fluvoxamin
Doxepin
(SNRI)
Nortriptylin Paroxetin
Agomelatin
(SSRI+MelaTrimipramin Sertralin
toninerg
Maprotilin
Amitriptylin
Therapie
SSRI
Mianserin
MAOHemmer
Moclobemid
(reversibel)
Tranylcypromin
(irreversibel)
Stimulierende, antriebsneutrale,
sedierende Antidepressiva
Stimulierend
Antriebsneutral
Sedierend
Trizyklische vom
„Desipramin-Typ”
Desipramin
Nortriptylin
SSRI
Citalopram,
Escitalopram
Fluvoxamin
Sertralin
Trizyklische vom
„Imipramin-Typ”
Clomipramin, Lofepramin
Imipramin, Dibenzepin
Trizyklische vom
„Amitriptylin-Typ”
Amitriptylin
Amitriptylin-oxid
Doxepin, Trimipramin
Tetrazyklische
Maprotilin
Neue Antidepressiva
Mirtazapin
Valdoxan
Therapie
Chemisch
andersartige
Sulpirid, Venlafaxin,
Reboxetin
MAO-Hemmer
Tranylcypromin
Moclobemid
SSRI
Fluoxetin, Paroxetin
Chemisch
andersartige
Trazodon
Mianserin
Therapie
Nebenwirkungen von Antidepressiva
Wirkmechanismus
Unerwünschte
Arzneimittelwirkungen (UAW)
Klinische
Relevanz bei
NA-Wiederaufnahmehemmung
Reboxetin
Tremor, Tachykardie, Unruhe
TZA, Maprotilin,
Venlafaxin,
5HT-WiederaufnahmeVenlafaxin,
hemmung
Appetitminderung, Gewichts-
TZA, SSRI,
reduktion, Übelkeit, Kopfschmerzen
Nefazodon
Ach-Rezeptorenblockade
Sehstörungen, Miktionsstörungen,
Mundtrockenheit, Tachykardie,
Obstipation, Auslösung von Delirien
TZA, Maprotilin,
Mianserin
Alpha1-Rezeptorenblockade
Orthostatische Hypotonie,
Schwindel, Sedierung
TZA, Mianserin
Histamin-H1-Rezeptorenblockade
Mirtazapin
Müdigkeit, Gewichtszunahme
TZA, Maprotilin,
Mianserin,
Nebenwirkungen von Antidepressiva
Therapie
Medikamentengruppe
Häufige Nebenwirkungen
TZA (Amitriptylin usw.)
Kardiotoxizität, Sehstörungen,
Mundtrockenheit, Obstipation
SSRI (z.B. Citalopram)
Übelkeit, Kopfschmerz, sex. Stör.
NaSSA (Mirtazapin)
Müdigkeit, Gewichtszunahme
SNRI (z. B. Duloxetin, Venlafaxin)
Unruhe, Übelkeit,
Blutdruckanstieg
MAO-Hemmer
Orthostatische Hypotonie,
Unruhe, Schlafstörungen,
(Diätrestriktion)
Antidepressive Therapie bei Älteren
analog zu Jüngeren S3 Leitlinie 2009
Cave NW der TZA,
QTc Zeit Verlängerung bei SSRI, Höchstdosen und EKG!
Bei KHK Sertralin oder Citalopram empfohlen
S3 Leitlinie
Bei Schlaganfall Nortriptylin oder Citalopram
empfohlen S3 Leitlinie
Ältere zeigen nicht immer höhere
Rückfallraten unter SSRI
BMC Geriatr. 2011 Jan 14;11:2. Lyketsos CG, Weiller E, Katona C, Gorwood P.
Multimodale Depressionstherapie in der
Tagesklinik Wielandshöhe
seit 1995
Multimodales therapeutisches
Konzept
Zentraler Baustein ist
Depressionsgruppe nach
Hautzinger
8 mal in 4 Wochen
„Nur“ Aktivitätsaufbau
Zeit
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Ankunft/Frühstück
8.30h
9.15h
bis
9.30h
Morgenrunde
Morgenrunde
Morgenrunde
Morgenrunde
Morgenrunde
9.30h
bis
10.15h
Bewegungstherapie
Ergotherapie
Oberarztvisite
Blutdruck,Puls,
Gewicht
Spielerunde
Tanzen
Zeitungsrunde
Backen
Ergotherapie
Depressionsgruppe
Gruppengespräch
Ergotherapie
10.30h
bis
11.15h
Depressionsgruppe
Gruppengespräch
Ergotherapie
Literaturstunde
Depressionsgruppe
Ergo-Projektgruppe
Bewegungstherapie
Backen
Ergotherapie
Selbstsicherheitstraining
Ergotherapie
Gedächtnistraining
Biographiegruppe
Bewegungstherapie
Sozialberatung
Spielerunde
offene
Kaffeerunde
11.30
Ab
Mittagessen
Mittagsruhe
1
2.
0
0
13.45h
bis
14.30h
Gedächtnistraining
Biographiegruppe
Ergotherapie
Entspannungstraining
14.45h
bis
15.15h
Sozialberatung
Spielerunde
Bewegungstherapie
Aktivitäten
15.15h
Kaffeerunde
15.30h
Abfahrt
Kognitive Verhaltenstherapie (1)
Denken
Handeln
Fühlen
Angenehme Aktivitäten
einen Stadtbummel
unternehmen
ein
spannendes
Buch lesen
sich mit Tieren beschäftigen
eine offene und ehrliche
Unterhaltung führen
Kindern beim
Spielen
zusehen
im Garten arbeiten
Briefe schreiben
Sport treiben
Kuchen backen
sich künstlerisch/handwerklich
betätigen (Malen, Modellbau etc.)
Handarbeit
Gedichte
schreiben
den Geräuschen in
der freien Natur
zuhören
ein gemütliches Bad nehmen
Theater spielen
Post-hoc analyses:
57 participants with Mild Cognitive
Impairment, 3 of 30 on donepezil (10%;
95% CI: 0, 21) and nine of 27 (33%; 95%
CI: 16, 51) on placebo converted to
dementia (primarily Alzheimer’s) over two
years (Fishers exact p = 0.05).
- MCI subgroup also had a 44% recurrence
rate on donepezil versus 12% on placebo
(LR = 4.91, p = .03).
Depressionsbehandlung im
Alter
• Altersdepression häufig bei vaskulärer
Encephalopathie: Risikofaktor für Demenz
• CCT oder MRI indiziert
• Depression im Alter wird wie die früh einsetzende
Depression bei entsprechender Schwere mit
SSRI behandelt
• Bei Schlafstörung und Gewichtverlust Mirtazapin
• Bei Schmerzen und Depression Duloxetin
• Bei Unverträglichkeit: Bupropion 150- 300 mg
(Dopaminwiederaufnahmehemmer)
• Psychotherapie ist hilfreich aber kaum verfügbar
Modelle der Entstehung einer Depression
•
•
•
•
Histor: Überfluss an schwarzer Galle Melancholae
Erlernte Hilflosigkeit (Seligman)
Verstärkerverlust
Social Defeat (Tiermodell)
• HPA-Achsen-Rückkopplungsdefizit
• Limbische Netzwerkstörung
•
•
•
•
Monoamindepletion
Neurogenesestörung
Neurotrophinmangel
Mikro-RNAs?
Morbide Phase
Prämorbide Phase
Stress-Vulnerabilitätsmodell für psychische Erkrankungen (M 3.16)
Körperliche Faktoren
(entweder ererbt oder
erworben)
Psychosoziale Faktoren
(Erziehung, familiäre Kommunikation, Lernsituation,
Traumata)
Schutzfaktoren z.B.
Stressbewältigungskompetenz,
soziale Unterstützung
Disposition, Vulnerabilität
Uncharakteristische
Erkrankungszeichen
Aktuelle Belastung
(life event)
Manifeste Erkrankung
Rückfallgefährdung
Therapie, psychosoziale
Einflüsse, Krankheitsbewältigung
Chronifizierung
Gesundung
Akuter und chronischer Stress
Depression als Risikofaktor für
Mortalität durch KHK (Barth,
2004)
Unkontrollierbarer Stress am
Arbeitsplatz
+ Persönliche
Verletzlichkeit
Tod eines
Angehörigen,
Trennung,
Scheidung,
Innerfamiliäre
Konflikte
Genesung
Burn-out
Selbsterkenntnis
+ Unterstützung
Depression
Angsterkrankung
Tinnitus
Somatisierungsstörung
Alkohol- und
Medikamentenmissbrauch
?
Depression
Netter: Farbatlas der Nervenheilkunde 1999
Dysthymie
Hirarchisierung der psychiatrischen
Diagnostik
• Vom Symptom zum Syndrom zur
Diagnose
– Anamnese
– Psychopathologischer Befund
– Neurologisch-Internistischer Befund
– Syndrombeschreibung (z.B Panikreaktion)
– Verdachtsdiagnose (nach ICD 10)
– Weiterführende Diagnostik
• Fremdanamnese
• Bildgebung, EEG Blutwerte usw.
Aktuelle Klassifikationssysteme
ICD 10 Kapitel F
APA DSM IV
• Operationalisierte Diagnostik
– Einschlußkriterien z.B. Anzahl von
psychopathologische Merkmale über gewissen
Zeitraum
– Ausschlußkriterien
– --> Aufgabe von ätiologischen Vorstellungen
(S.Freud: innerpsychische Konflikte)
Einteilung psychischer Erkrankungen nach
ICD-10 Kapitel F (seit 1990)
F0 Organische, einschließlich symptomatischer psychische Störungen (z.B.
Demenz vom Alzheimertyp)
F1 Psychische Störungen durch psychotrope Substanzen (Sucht)
F2 Schizophrenie und wahnhafte Störungen
F3 Affektive Störungen (Manie, Depression, bipolare Störung)
F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen (z.B. Angst und
Zwang)
F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen (z.B. Essstörungen)
F6 Persönlichkeitsstörungen (z.B. emotional-instabile P.)
F7 Intelligenzminderung
F8 Entwicklungsstörungen (z.B. Autismus)
F9 Verhaltensstörungen mit Beginn in der Kindheit (z.B. ADHD)
Kapitel F0 (Organische
Störungen)
F00 Demenz vom Alzheimer Typ
F01 Vaskuläre Demenz
F02 Andere Demenzen
–
–
02.0 Frontotemporale Demenz (M. Pick)
02.3 Parkinson Demenz
F05 Delir, nicht Alkohol bedingt
(Durchgangssyndrom)
F06 Zb organische Halluzinose
F09 Organische Pesönlichkeitsänderung
Wie ging es Theodor Fontane
vor 100 Jahren?
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Vielen Dank
Psychopathologischer Befund (AMDP)
• Merkmale in 10 verschiedenen Kategorien
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Bewußtsein
Orientierung (zeitlich, örtlich, situativ, zur Person
Gedächtnis und Merkfähigkeit
Psychomotorik
Formale Denkstörungen (z.B. Gedankenabreißen)
Inhaltliche Denkstörungen (Wahn und Zwang)
Sinnestäuschungen
Ich-Störungen (z.B. Gedankenausbreitung)
Affekt
Störungen des Trieb- und Sozialverhalten (z.B.
Krankheitseinsicht, Suizidalität)
Psychologie
/ Medizin
Bewusstsein
Definition
Psychopathologiefolien von OA Dr. Rapp 2009
Definition: es gibt keine allgemein
anerkannte Definition für Bewusstsein in der
Medizin.
Aber bei den Bewusstseinsstörungen unterscheidet man:
Quantitative
Bewusstseinsstörungen
Qualitative
Bewusstseinsstörungen
Quantitative Bewusstseinsstörungen
Definition
Ein Zustand der Schläfrigkeit, in dem
auf Umgebungsreize unzureichend reagiert wird
die Aufmerksamkeit, Konzentration und das Gedächtnis
eingeschränkt sind
verlangsamtes / formal gestörtes Denken bestehen
Quantitative Bewusstseinsstörungen
Schweregrade
Benommenheit
Somnolenz
Sopor
Koma
Schweregrad
Quantitative Bewusstseinsstörungen
Exkurs: Koma bei psychiatrischen Patienten
Ursachen
Jakob-Creutzfeld-Erkrankung
Drogenintoxikation
Intoxikation bei Selbstmordversuch
Quantitative Bewusstseinsstörungen
Andere Begriffe
Bewusstseinsverminderung
= synonym
Stupor
Der Patient ist stumm, immobil und reagiert nicht. Er
scheint aber wach zu sein und seine Augen sind offen.
Das ist eine andere Definition als in der Neurologie !
Qualitative Bewusstseinsstörungen
Bewusstseinseinengung
Bewusstseinsverschiebung
Ich - Störungen
IchStörungen
Definition:
Störungen, bei denen die Ichhaftigkeit des Erlebens
verändert ist
Oder die grenze zwischen dem Ich und der Umwelt
durchlässig erscheint.
Ich - Störungen
Gedankenausbreitung
Definition:
Der Kranke klagt darüber, dass seine Gedanken nicht
mehr ihm alleine gehören, dass andere daran Anteil
haben und wissen, was er denkt.
Ich - Störungen
Gedankenentzug
Definition:
Der Kranke hat das Gefühl, es würden ihm die
Gedanken weggenommen.
Gedankeneingebung
Definition:
Der Kranke findet seine Gedanken und Vorstellungen
von außen eingegeben, beeinflußt, gelenk, gesteuert.
Ich - Störungen
Fremdbeeinflussungserlebnisse
Definition:
Der Kranke findet sein Fühlen, Streben, Wollen als von
Außen gelenkt und gesteuert.
Ich - Störungen
Depersonalisation
Definition:
Das eigene Ich oder Teile des Körpers werden als
unwirklich oder verändert erlebt.
Drogenrausch
Schizophrenie
Borderline Persönlichkeitsstörung
Ich - Störungen
Depersonalisation
Definition:
Das eigene Ich oder Teile des Körpers werden als
unwirklich oder verändert erlebt.
Derealisation
Definition:
Die Umgebung erscheint dem Kranken unwirklich und
verändert.
Orientierung
Qualitäten der Orientierung
zeitlich
örtlich
situativ
zur
Person
Aufmerksamkeit
Auffassungsstörung
Konzentrationsstörung
Gedächtnis - Störungen
Kurzzeit
gedächtnis
Langzeit
gedächtnis
Altgedächtnis
Merkfähigkeits
störungen
Gedächtnis
störungen
Gedächtnis - Störungen
„nix“
„Fehlerinnerungen“
Konfabulationen
Paramnesien
Paramnesien
Falsches Wiedererkennen
oder
vermeintliche Vertrautheit
Ekmnesien
Störung des Zeiterlebens
Hypermnesien
gesteigerte Erinnerungsfähigkeit
Befürchtungen und Zwänge
Misstrauen
Hypochondrie
Phobien
Zwänge
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Zwänge
Problembereich Krankheitseinsicht
Störung mit
Krankheitseinsicht
Direkte Frage möglich
Störung ohne
Krankheitseinsicht
Selbst beurteilen
Formaler Denkablauf
Im psychiatrischen Befund soll der Denkablauf eingeschätzt
werden.
Es werden unterschieden:
Quantitative
formale
Denkstörungen
Qualitative
formale
Denkstörungen
= Störungen der
„Denkgeschwindigkeit“
= Fehler im gedanklichen
Ablauf / in der Logik
Quantitative formale Denkstörungen
„Denkgeschwindigkeit“
zu
langsam
Denkverlangsamung
Definition:
Gedankengang ist langsam.
Antwortlatenzen
zu
schnell
Denkbeschleunigung
Definition:
Denkablauf ist so schnell, dass
die Umgebung nicht folgen kann
Quantitative formale Denkstörungen
Denkverlangsamung
Denkbeschleunigung
Die Störung in der Denkgeschwindigkeit kann vom
Patienten selbst bemerkt werden (das ist dann meist sehr
unangenehm) oder nicht (fehlende Einsicht)
Denkhemmung
Gedankenrasen
Qualitative formale Denkstörungen
Passt die Antwort zur Frage ?
Umständliches Denken
eingeengtes Denken
Denken ist „weitschweifig“.
Wesentliches wird nicht von
Unwesentlichem getrennt
Einschränkung des inhaltlichen
Denkumfangs. Der Patient „haftet“ an
einem Thema.
Qualitative formale Denkstörungen
Passt die Antwort zur Frage ?
Vorbeireden
Der Patient geht nicht auf die Frage ein,
sondern bringt inhaltlich etwas anderes
vor. Er hat jedoch die Frage verstanden.
Qualitative formale Denkstörungen
Ist die Antwort präzise ?
Umständliches Denken
Perseveration
Denken ist „weitschweifig“.
Wesentliches wird nicht von
Unwesentlichem getrennt
Ständige Wiederholung von Worten oder
gleichen Denkinhalten
Qualitative formale Denkstörungen
Verliert der Patient den „Faden“?
Ideenflucht
Übermäßig einfallsreicher Gedankengang.
Der Patient verliert das Ziel aufgrund von
zwischenzeitlich auftretenden
Assoziationen.
inkohärentes Denken
Sprunghafter Gedankengang, bei dem die
logischen Verknüpfungen fehlen
Denkzerfahrenheit
Extremform des inkohärenten Denken.
Die Sprache ist vollständig unverständlich.
Qualitative formale Denkstörungen
Verliert der Patient den „Faden“?
Gedankenabreißen
= gesperrtes Denken
Der Gedankengang wird ganz plötzlich
unterbrochen. Evtl. spricht der patient zu
einem völlig anderen Thema weiter.
Assoziativ
gelockertes Denken
Der Patient stellt „grosszügig“
Sinnzusammenhänge her
Inhaltliche
Denkstörungen
Wahn - Systematik
Wahn - Begriffsdefinitionen
Wahneinfall
Definition:
Plötzliches Aufkommen von wahnhaften Überzeugungen
„Da ist mir plötzlich alles klar geworden:
das sind Außerirdische, die mich auf
eine übernatürliche Weise beeinflussen !“
Wahn - Begriffsdefinitionen
Wahnwahrnehmung
Definition:
Richtige Sinneswahrnehmungen eine im Sinne des
Wahnhaften abnorme Bedeutung
„Dass der Arzt das Namensschild
auf der linken Seite trug bedeutet, dass ich
Krebs habe“
Wahn - Begriffsdefinitionen
Wahndynamik
Definition:
Affektive Anteilnahme am Wahn.
Äußert sich im Ausmaß des Antriebs und der Stärke der
Affekte, die im Zusammenhang mit dem Wahn wirksam
werden.
Wahn - Begriffsdefinitionen
Systematischer Wahn
= systematisierter Wahn
Definition:
Wahnideen werden durch logische und paralogische
Verknüpfungen zu einem Wahngebäude ausgestaltet.
Wahn - Begriffsdefintionen
Wahnerinnerung
Definition:
Wahnhafte Selbstüberschätzung bis hin zur
Identifizierung mit berühmten Persönlichkeiten der
Vergangenheit oder Gegenwart.
Wahn - Begriffsdefinitionen
Beziehungswahn
Beziehungsideen
Definition:
Äußerungen von anderen Menschen und Ereignisse in
der Umwelt werden wahnhaft vom Patienten auf sich
selbst bezogen.
Wahn - Begriffsdefinitionen
Bedeutungswahn
Beziehungsideen
Definition:
Einem an sich zufälligen Ereignis wird eine besondere
Bedeutung zugeschrieben.
Wahn - Sonderformen
Beeinträchtigungswahn
Verfolgungswahn
Definition:
Der Kranke erlebt sich wahnhaft als Ziel von
Beeinträchtigung und Verfolgung.
Meinen Sie, dass bestimmte
Menschen etwas gegen Sie haben ?
Schizophrenie
Wahn - Sonderformen
Eifersuchtswahn
Definition:
Wahnhafte Überzeugung, vom Partner betrogen zu
werden.
Haben Sie Grund zur Eifersucht ?
Organische Psychosen
Schizophrenie
Schizoide Persönlichkeiten
Wahn - Sonderformen
Liebeswahn
Definition:
Wahnhafte Überzeugung, von einem anderen geliebt zu
werden
Schizophrenie
Wahnhafte Störung
Wahn - Sonderformen
Schuldwahn
Definition:
Wahnhafte Überzeugung, gegen Gott, die Gebote, eine
höhere Instanz verstoßen zu haben.
Schizophrenie
Wahn - Sonderformen
Verarmungswahn
Definition:
Wahnhafte Überzeugung, dass die finanzielle
Lebensbasis ernsthaft bedroht oder verloren gegangen
ist.
wahnhafte Depression
Wahn - Sonderformen
hypochondrischer Wahn
Definition:
Wahnhafte Überzeugung, dass die Gesundheit ernsthaft
bedroht oder verloren gegangen ist.
wahnhafte Depression
Wahn - Sonderformen
Nihilistischer Wahn
Definition:
Wahnhafte Überzeugung, alles sei verloren, alles sei
hoffungslos, alles sei aussichtslos, u.a.
wahnhafte Depression
Wahn - Sonderformen
Größenwahn
Definition:
Wahnhafte Selbstüberschätzung bis hin zur
Identifizierung mit berühmten Persönlichkeiten der
Vergangenheit oder Gegenwart.
Wahn - Sonderformen
Doppelgänger-Wahn
Definition:
Wahnhafte Vorstellung, dass ein Doppelgänger
existiert.
Sonderform:
CAPGRASSyndrom
Alle wichtigen
Familienangehörigen
sind durch Doppelgänger
ausgetauscht
Ängste und Traumatisierungen
der Kriegsgeneration
Gliederung
•
•
•
•
•
Bilanz des 2. Weltkriegs
Geburtskohorten
Traumatisierungen
Vulnerabilität und Resilienz
Aktualisierung der Erinnerungen im Alter
– PTSD
– Depression
– Pathologische Trauer
– Ängste und paranoide Entwicklungen
Die dunklen Schatten unserer Vergangenheit
Klett-Cotta Verlag 2005
•
•
•
•
Klaus Radebold Jg. 1927
„Flak-Generation“
Psychotherapeut
Zeitgeschichtliche Aspekte in der
Diagnostik und Therapie
• Verstehen des Vorgefallenen
• Empathie
• Transgenerationale Aspekte
„Bilanz“ des 2. Weltkriegs
• Europa:
– 50 Millionen Tote
– 6 Millionen ermordete Juden
– 20 Millionen Kriegshalbwaisen
• Deutschland: 11% der Bevölkerung 7 Mill.
– 2,7 Mill. Wehrmachtstote
– 1,24 Mill. Vermisste und
Kriegsgefangenschaftstote
– 1,5 Mill. Kriegsversehrte
• 800.000 Ziviltote
meist durch
Bombenangriffe
• 161 Städte wurden
bombardiert
• 1,7 Mill. Witwen
• 2,5 Mill. Halbwaisen
• 100.000 Vollwaisen
Flucht und Vertreibung
• 7 Mill. Vertriebene aus den Ostgebieten
• 5 Mill. aus den ausländischen
Siedlungsgebieten (Tschechoslowakei,
Polen, Jugoslawien, Ungarn, Rumänien,
Baltikum, Danzig)
• Davon 3,3 Mill. Kinder, Jugendliche und
junge Erwachsene < 25 Jahren
Schätzungen:
1,4-1,9 Mill. vergewaltigte
deutsche Frauen
Berlin: ca. vergewaltigte
100.000 Frauen
10.000 getötete oder
verwundete Frauen
Menschen mit ihrem letzten Besitz in Worms (22. März 1945):
Im Alter kehren die Erinnerungen zurück
http://www.medicamondiale.org/
Medica mondiale unterstützt traumatisierte Frauen
und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten.
Die Ärztin Monika Hauser: "Vergewaltigungen haben
kriegsstrategische Bedeutung. Soldaten üben Macht und
Rache aus. Sie verletzen den Feind, indem sie ihm die
Frau nehmen."
Szene aus dem Film "Anonyma":
Kriegsvergewaltigungen gehören bis
heute zu den Tabus des Zweiten
Weltkrieges (mit Nina Hoss)
Allein von Soldaten der sowjetischen Roten Armee
waren in den letzten Kriegstagen und danach
schätzungsweise knapp 1,9 Millionen Frauen
vergewaltigt worden, davon rund 1,4 Millionen in den
damaligen deutschen Ostgebieten und während Flucht
und Vertreibung.
Kriegskinder: Verdrängte Erlebnisse 27.02.2009 Spiegel Onlin
Eltern und Kinder in Deutschland (Juni 1940): Viele Kriegskinder haben ihre
Traumata verdrängt - und auch an die nachfolgende Generation weitergegeben
Kriegskinder: Verdrängte Erlebnisse
27.02.2009 Spiegel Online
Flüchtlingskinder in einer Notunterkunft (nach 1945): Erinnerungen
können verdrängt, aber nie vollständig gelöscht werden
1, 2 Mill. Kinder ohne
Vater
25% ohne Vater
1,5- 2 Mill.
Kriegswitwen
20.000 Kinder ohne
Angehörige unterwegs
Söhne übernehmen
früh die Vaterrolle
Kriegskinder: Verdrängte Erlebnisse
27.02.2009 Spiegel Online
Uerdingen am 19. März 1945: Ein Junge zieht einen Wagen mit
Habseligkeiten durch die Straßen - hinten schiebt seine Mutter.
Traumatisierende zeitgeschichtliche
Erfahrungen im 2. WK
1. Verluste von Vätern und Partnern,
Söhnen, Geschwistern und anderen
2. Verlust von Heimat, Sicherheit und
Geborgenheit
3. Gewalterfahrungen (aktive und passive
Kriegsteilnahme, Bombenangriffe,
Verletzungen und Vergewaltigungen
Geburtskohorten
• Jahrgänge 1910- 1927 Männer waren
zumeist Soldaten (Aktive Teilnahme)
• 1920-1925 (bereits bei Kriegsbeginn Soldat)
• 1926-1929 „Flakgeneration“
• 1930-1940 bewußte Kindheits- und
Jugenderinnerungen und Prägung (z.B. HJ)
• 1940-1945 Trennungen von Vätern, Armut
und Vertreibung
Auswirkungen
• Das Schweigen der 50 und 60-Ziger
• „Hauptsache man hat überlebt“
• Väter kommen als gebrochene Männer aus
der Gefangenschaft oder als zurück
• Zurückdrängen der Frau aus der Berufswelt
• Vorwürfe der 68-ziger an die Väter (Jg. bis
1927) als Täter
• Tabuisierte Traumatisierungen zeigen sich
im Alter?
sychische Störungen bei
Älteren
Neben Demenzen 10-25% am häufigsten
• Depression 5-10%
• Angststörungen 5-10%
• Pathologische Trauer 2-3%
– keine ICD 10 Diagnose
• 44% der Älteren in Berlin ohne relevante
psychische Diagnose (Helmchen et al.
1996)
Traumareaktivierung bei Kriegen
• „Live-Bilder“ im Golfkrieg I 1991 und
Golfkrieg II 2003
• Bosnienkrieg und Kroatienkrieg 1991-1995
• Amokläufe
• Afghanistaneinsatz mit gefallenen
Deutschen Soldaten seit 2001
sttraumatische Belastungsstörun
F43.1 (akut oder Komplex)
A Traumatisches Ereignis von aussergewöhnlicher Schwere:
Schwerer Unfall, Überfall, Mord, Vergewaltigung u.ä.
Innerhalb von 6 Monaten nach Trauma:
Unausweichliche Erinnerung oder Wiederinszenierung
im Gedächtnis, Tagträumen oder Träumen
Emotionaler Rückzug
Gefühlsabstumpfung Vermeidung von Trauma-assoziierten
Reizen
z.B. Erhöhte Schreckhaftigkeit
Psychotraumatologie
(Heuft et al., 2000)
Kindheitstraumatisierung
Kumulatives
Trauma
Traumatisierung/
TraumaRetraumatisierung
Reaktivierung
Hohes Alter
Symptome
Mittleres Alter
Symptome
Junge
Erwachsene
Symptome
PTBS
Jugend
Symptome
Kindheit
2. Trauma
Trauma
Kumulatives
Trauma
Schwere
repetitive
Konflikte
Trauma
Trauma
Morbide Phase
Prämorbide Phase
Stress-Vulnerabilitätsmodell für psychische Erkrankungen (M 3.16)
Körperliche Faktoren
(entweder ererbt oder
erworben)
Psychosoziale Faktoren
(Erziehung, familiäre Kommunikation, Lernsituation,
Traumata)
Schutzfaktoren z.B.
Stressbewältigungskompetenz,
soziale Unterstützung
Disposition, Vulnerabilität
Uncharakteristische
Erkrankungszeichen
Aktuelle Belastung
(life event) ARBEIT
Manifeste Erkrankung
Rückfallgefährdung
Therapie, psychosoziale
Einflüsse, Krankheitsbewältigung
Chronifizierung
Gesundung
Fallbericht
• Flakhelfer RHJg 1929 Organische Halluzinose (F
06.0)
– Seit Oxycodongabe wegen Spinalstenose nachts
Alpträume, sieht Szenen von früher, tagsüber verwirrt
– Zunehmend depressiv
– 1945 15 Jahre Freund wird durch Luftangriff getötet
– Er läuft weg in Panik
– Soll als Deserteur hingerichtet werden
– Weint bitterlich nur bei erster Schilderung
– Nach adäquater Antidepressivagabe
– Keine weiteren Alpträume und
– Stabilisierung
Traumatic Events of Women Who Experienced
Wartime Rape as Assessed by the Modified PDSa
Interviews with 27 German women (76-89 years)
Age at rape 12-26 years
Traumatic Event n (%)
Wartime rape 27 (100)
63% Displaced from Eastern Prussia,
Starvation 23 (85)
Seeing dead and mutilated bodies 21 (78) Pommerania and Silesia
in 2008:
Violent assault 19 (70)
5 (19%) PTSD,
Sexual assault with age < 18 19 (70)
8 (30%) partial PTSD
Combat exposure 18 (67)
Thirst 16 (59)
Forced displacement 15 (56)
Threat to be murdered 15 (56)
Life-threatening disease 13 (48)
Severe accident or explosion 12 (44)
Witnessing mass rapes 12 (44)
aPercentage refers to the total number of
Kuwert et al. (J Nerv Ment Dis 2010;198: 450–451)
participants, n 27.
Böwing et al Nervenarzt 2008
Böwing et al Nervenarzt 2008
Böwing et al Nervenarzt 2008
Birnbaum 1919, nach Böwing et al Nervenarzt 2008
-> dauerhaft Haloperidol?
-> Vermeidung von Retraumatisierung
• Einfache Trauer
– Trauerreaktion mit
Rückzug und
häufigem Weinen.
– Allmähliche
Anpassung an die
neue Situation.
– Keine
gesundheitliche
Folgen
– Nur kurzfristiger
sozialer Rückzug
• Komplizierte Trauer
– Depressive Reaktion, Panik,
Reizbarkeit, Intrusionen
– Starke impulsive Reaktionen
wie Wut, Schuldgefühle und
Angst. Keine Anpassung
– Schlaf- und Essstörungen,
Infektanfälligkeit
– Vernachlässigung des
sozialen Netzes,
Vereinsamung
Therapie der pathologischen Trauer II
• Ressourcenaktivierung
– Aktivierung sozialer Kompetenzen
– Aktivierung positiver Gefühle
– Aktivierung sozialer Netzwerke
– positive Erfahrung mit verstorbener Person
ermöglichen
• Problemaktivierung
– Thematisieren des Verlustes
– schmerzhafte Gefühle ansprechen
– helfen, der Trauer Ausdruck zu verleihen
– Rekonstruktion der Beziehung zur
verstorbenen Person
Psychotherapie bei Älteren (Märcker et al.)
Möglichkeiten der multimodalen Behandlung
und Hilfen I (Hirsch 2005)
• Problematisierung von
Einsamkeitsgefühlen und deren
bisherige Bewältigung/Nichtbewältigung
-unter Einbeziehung der Lebensgeschichte
und Bezugspersonen
• Strategien, allein sein zu können und
sich dabei nicht einsam zu fühlen
• Beachtung und gegebenenfalls Hilfen
bei Seh-, Hör- und Gangstörungen
sowie Inkontinenz
Weitere Therapieansätze
•
•
•
•
Schreibtherapie
Zeitzeugnis abgeben
Zeitgeschichtlich denken
Rücksicht nehmen
– Bei der Pflege
– Bei der Wahl der Pflegenden
• Med. Ansätze
– SSRI Lyrica?
Vielen Dank
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