27 2 Grundfragen der Ethik Die traditionelle philosophische Ethik unterscheidet drei thematische Schwerpunkte: • das Nachdenken über die Normen (Pflichtenlehre), • das Nachdenken über die Tugend (Tugendlehre), • das Nachdenken über die Handlungszwecke (Güterlehre). In dieser Differenzierung zeigt sich die Komplexität jeder sittlichen Handlung, in der stets subjektive und objektive Momente zusammenwirken. Zu den subjektiven Voraussetzungen gehören sowohl die persönlichen Motive, also die Beweggründe, die einer Handlung zugrunde liegen, als auch die Intention, also die Handlungsabsicht, die dabei verfolgt wird. Auf der objektiven Seite stehen die Handlungsfolgen, also die Auswirkungen und Konsequenzen, die sich aus dem Handeln ergeben und die mit der Handlungsabsicht nicht unbedingt identisch sein müssen. In dieser Komplexität ist letztlich auch die menschliche Verantwortlichkeit begründet, auf die im letzten Abschnitt dieses Kapitels noch genauer eingegangen wird. Bevor nun einige zentrale ethische Aspekte aufgegriffen werden, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, ist noch eine weitere wichtige Unterscheidung einzuführen, die sich als Ordnungsmuster für die unterschiedlichen ethischen Argumentationsformen bewährt hat und die im Laufe dieser Ausführungen immer wieder eine Rolle spielen wird: die Unterscheidung zwischen dem deontologischen und dem teleologischen Ansatz der Normbegründung. Die deontologische Ethik leitet sich von dem griechischen Wort to deon (die Pflicht, das Schuldige) her und umfasst damit alle normativen Vorgaben und Regelungen, die einer konkreten Handlung zugrunde liegen. Ein Beispiel 28 Grundfragen der Ethik für diese Art und Weise der ethischen Argumentation ist die Pf lichtethik, derzufolge eine Tat dann und nur dann als sittlich gut einzustufen ist, wenn sie der Erfüllung einer vorgegebenen Pflicht dient; die möglichen Folgen der Tat bleiben in diesem Zusammenhang unberücksichtigt. In der teleologischen Ethik (abgeleitet von griech. telos: das Ziel) sind dagegen die zu erreichenden Handlungsziele oberster Maßstab für die Bewertung einer Handlung; eine Handlungsweise kann demzufolge dann und nur dann als gut angesehen werden, wenn sie in der gegebenen Situation zweckmäßig ist. Ein typisches Beispiel dafür ist der Utilitarismus (abgeleitet von lat. utilis: nützlich), der das gesamte Verhalten eines Menschen dem Nutzenkalkül unterwirft; in extremer Zuspitzung könnte man diese Einstellung auch mit dem Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“ umschreiben. Kehren wir zu den drei Themenschwerpunkten ethischer Reflexion zurück, so ist die Normenproblematik – in Verbindung mit Fragen der Wertorientierung – ebenso wie die Tugendlehre eher der deontologischen Argumentationsweise zuzuordnen; in beiden Fällen werden Voraussetzungen für die sittliche Handlung thematisiert, die allerdings im ersten Fall objektiv vorgegeben, im zweiten Fall im Subjekt selbst zugrunde gelegt sind. Dagegen ist die Erörterung der Handlungszwecke bzw. die so genannte Güterlehre eher teleologisch ausgerichtet. An erster Stelle werden nun Fragen der Wertorientierung und Normbegründung behandelt, die als Voraussetzung einer jeden Pflichtenlehre zu den unabdingbaren Grundlagen eines deontologisch begründeten Ethos zu rechnen sind.