Heft 4/2006 ISSN 0940-4163 C 21234 Gemälde von Franz Vogel Militärgeschichte im Bild: Carl Schurz (1829–1906), Namenspatron der Bundeswehrkaserne in Hardheim Carl Schurz als demokratisches Vorbild »The Second Baden Revolution« General Johannes Steinhoff Die Invasion 1944 Impressum Editorial Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt durch Oberst Dr. Hans Ehlert und Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.) Produktionsredakteur der aktuellen Ausgabe: Hauptmann Matthias Nicklaus M.A. (mn) Redaktion: Oberleutnant Julian-André Finke M.A. (jf) Oberleutnant Matthias Nicklaus M.A. (mn) Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp) Mag. phil. Michael Thomae (mt) Bildredaktion: Dipl.-Phil. Marina Sandig Redaktionsassistenz: Stefan Stahlberg, Cand. Phil. (StS) Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić Layout/Grafik: Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang Anschrift der Redaktion: Redaktion »Militärgeschichte« Militärgeschichtliches Forschungsamt Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam E-Mail: MGFARedaktionMilGeschichte@ bundeswehr.org Telefax: (03 31) 97 14 -507 Homepage: www.mgfa.de Manuskripte für die Militärgeschichte werden an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt der Herausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Honorarabrechnung erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise, fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung durch die Redaktion und mit Quellenangaben erlaubt. Dies gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen auf CD-ROM. 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Allerdings gab es Entwicklungen innerhalb der Revolutionsphase, die auch zukünftig von Bedeutung sein sollten und die zugleich das gängige Bild von der gescheiterten Revolution relativieren. Ein solcher Prozess war die politische Mobilisierung der Gesellschaft durch die Märzbewegung und die damit verbundene weitreichende Politisierung der Bevölkerung. Diese umfasste alle gesellschaftlichen Schichten und wurde bereits von zeitgenössischen Historikern wie Wilhelm Zimmermann als sichtbares Zeichen eines Emanzipationsprozesses gewertet. Die Menschen wurden sich ihrer rechtlichen, politischen, sozialen oder geistigen Abhängigkeit bewusst und strebten nach Selbstbestimmung und Mündigkeit. Sie versuchten, sich von den gesellschaftlichen Zwängen zu befreien, die ihre Unmündigkeit und Abhängigkeit bedingten. Dabei intensivierten sie ihr politisches Verhalten. Die Bevölkerung diskutierte öffentlich auf den Straßen und Plätzen, in den Gasthäusern und Lesehallen. Vereine wurden gebildet und Versammlungen abgehalten. Politische Forderungen wurden formuliert und mit Nachdruck vertreten. Dieser Wille zur politischen Partizipation und die damit verbundenen Ideen und Ideale von Freiheit und Menschenrechten, von Demokratie und Pluralismus ließen sich nicht unter den Bajonetten der Reaktion ersticken. Jedoch mussten viele Protagonisten der Revolution Deutschland verlassen. In den USA fanden sie eine neue Heimat, die es ihnen ermöglichte, ihre revolutionären Ideale in politischen Taten zu verwirklichen. Unter den über 180 000 deutschen Einwanderern, die im Amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 auf der Seite der Nordstaaten kämpften, waren viele Veteranen von 1848/49. Diese sogenannten »Forty-Eighter« bilden den thematischen Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe der Zeitschrift Militärgeschichte. Wolfgang Hochbruck und Jürgen Dick werden versuchen, Ihnen diese Wirkungsgeschichte der Revolution von 1848/49 und damit ein »externes« Kapitel deutscher Demokratiegeschichte näher zu bringen. Sollten wir dadurch Ihr Interesse an der Revolution von 1848/49 im Allgemeinen sowie an der Rolle der Achtundvierziger im Amerikanischen Bürgerkrieg im Besonderen geweckt haben, so bietet Ihnen der Beitrag von Johannes Stahlberg »1848 im Internet« in der Rubrik Medien online/digital eine Auswahl an Informationsquellen aus dem World Wide Web. Vor 40 Jahren wurde General Johannes Steinhoff zum Inspekteur der Luftwaffe ernannt. Heiner Möllers beschreibt und analysiert das Wirken dieses Mannes vor dem Hintergrund der Starfighter-Krise. Der letzte Beitrag in diesem Heft beschäftigt sich mit der Landung der Alliierten in der Normandie. Thorsten Loch widmet sich der Frage, ob die Invasion die Wende im Zweiten Weltkrieg brachte. Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich eine angenehme Lektüre der aktuellen Ausgabe und ein gesegnetes und friedvolles 2007! Ihr Matthias Nicklaus M.A. Hauptmann Inhalt Vom Revolutionär zum Namenspatron: Carl Schurz als demokratisches Vorbild 4 Das historische Stichwort: Die Polenkrise 1980/81 22 Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck, geboren 1959 in Aachen, Professor für Nordamerikanische Philologie und Kulturwissenschaft an der Albert Ludwigs-Universität Freiburg »The Second Baden Revolution« Deutsche Demokraten im Amerikanischen Bürgerkrieg Service 10 Medien online/digital 24 Lesetipp 26 Ausstellungen 28 Geschichte kompakt 30 Militärgeschichte im Bild Carl Schurz 31 Generalarzt Dr. Jürgen Dick, geboren 1949, Medical Advisor SHAPE in Mons, Belgien General Johannes Steinhoff und die Luftwaffe 14 Oberstleutnant Dr. Heiner Möllers, geboren 1965 in Senden/Westfalen, Dezernent für Politische und Historische Bildung im Luftwaffenamt Carl Schurz, Namenspatron der Bundeswehrkaserne in Hardheim. Das Portrait wurde von Franz Vogel, geboren 1925 in Miltenberg, ehemaliger Realschullehrer, anlässlich des 100. Todestags von Carl Schurz und des 40. Jahrestags der Namensgebung »Carl-Schurz-Kaserne« gemalt und dem Panzerflugabwehrkanonenbataillon 12 gestiftet. Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe: Hauptmann Patrick Oberlé, PzFlakBtl 12 Oberstabsfeldwebel Bernd Ullrich, PzFlakBtl 12 Die Invasion 1944 – Wende im Zweiten Weltkrieg? Hauptmann Dr. Thorsten Loch, geboren 1975 in Andernach, Kompaniechef 8./Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung, Berlin 18 Berichtigung: Im Heft 3/2006 sind die Herkunftsnachweise der Fotos auf den Seiten 22, 23 und 31 (oben) nicht angegeben. Die Nachweise sind: S. 22 und S. 23 (oben) akg-images, S. 23 (unten) Haus der Geschichte, Bonn und S. 31 (oben) Bundesregierung/Schaak. Wir bitten, die Fehler zu entschuldigen. Carl Schurz als demokratisches Vorbild Vom Revolutionär zum Namenspatron: Carl Schurz als demokratisches Vorbild I m Morningside Park von New York befindet sich nahe der berühmten Columbia University eine neun Fuß hohe Bronzestatue. Auf dem Sockel steht: VERTEIDIGER DER FREIHEIT UND FREUND DES RECHTS Der da seit 1913 geehrt wird, ist der deutsche Freiheitskämpfer und Exilant, Zeitungsherausgeber, Bürgerkriegsgeneral, Senator und US-Innenminister Carl Schurz. Gestorben war er im Mai 1906 und der berühmte Mark Twain hatte ihm damals einen Nachruf gewidmet, in dem er Schurz als seinen politischen Wegweiser bezeichnete. Mit Abraham Lincoln, dem amerikanischen Präsidenten, der die Sklaven befreite, war Schurz befreundet gewesen. Das ist zum einen keine schlechte Karriere für jemanden, der nach der verlorenen Revolution von 1848/49 mit knapper Not durch einen Abwasserkanal aus der eingeschlossenen Festung Rastatt entkommen war. Zum anderen weckt es Interesse: Wer war der Mann, nach dem in Deutschland und auch in den USA Straßen, Schulen, Kasernen und andere öffentliche Gebäude benannt sind? Was machte ausgerechnet den Lehrersohn aus Liblar im preußischen Rheinland zu dieser wichtigen Figur? 4 ullstein bild Carl-Schurz-Denkmal in Manhattan. Carl Schurz war ein in der politischen Verantwortung moderat gewordener »Revoluzzer«. Seine realpolitischen Wendemanöver in den USA als Senator und Innenminister brachten ihm zunächst viel Kritik von alten Weggefährten ein. Seine Rolle als Verteidiger der Menschen- und Freiheitsrechte ließ aber in der Rückschau und Erinnerung diese Kritik verblassen und führte zur Gründung einer eigenen »Carl Schurz Memorial Foundation« nach seinem Tod. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 Außerdem lässt sich feststellen, dass die Symbolfigur Carl Schurz für das bundesrepublikanische demokratische Deutschland von 1948/49 viel wichtiger wurde, als es der historische Schurz als unbedeutender Teilnehmer der Revolution von 1848/49 jemals gewesen sein konnte. Insofern lohnt sich auch für uns ein ausführlicher Blick auf die Person Carl Schurz. Für die Erinnerung an ihn hatte niemand so intensiv vorgesorgt wie Schurz selbst. Er war eine dünne, lang- Ullstein bild Carl Schurz als General der Nordstaaten im Sezessionskrieg. »I fights mit Sigel« An die dreißig Freiwilligen-Regimenter der ersten Kriegsjahre fanden sich als nahezu komplett deutsche Einheiten zusammen; viele andere Regimenter hatten deutsche Kompanien. »I fights mit Sigel« soll – in einer Mischung aus Deutsch und Englisch – das Motto vieler dieser Verbände und auch einzelner Freiwilliger gewesen sein. Der badische Bürgergeneral von 1849 Franz Sigel (Sinsheim 1824 – New York 1902) war der populärste »Achtundvierziger«/»Fortyeighter« dieser Jahre (siehe auch den Großbeitrag »The Second Baden Revolution« in diesem Heft). Der Begriff »dutch« ist eine Verballhornung von »deutsch«. Generallandesarchiv Karlsruhe, J-Ac-S/164 beinige Gestalt von fast einem Meter neunzig, dessen steifer Gang, eng sitzender Gehrock und vor allem dessen struppiger »Achtundvierziger«-Bart im glattrasierten New York von 1900 ihn eher zum komischen Typ machte als zur Denkmalsfigur. Mit der teilweisen Fertigstellung seiner mehrbändigen Memoiren noch kurz vor seinem Tod 1906 hatte sich Schurz gleichwohl selbst ein Denkmal gesetzt: Schon damals beleuchteten Politiker im Ruhestand ihr Leben natürlich gerne in einem für sie selbst günstigen Licht. Dabei hatte Schurz einiges an Einsatz und Abenteuern vorzuweisen: Er war Offizier der Revolutionsarmee in der Reichsverfassungskampagne von 1849 gewesen, hatte seinen Freund und Lehrer Gottfried Kinkel aus dem Spandauer Gefängnis befreit. Als brillanter Redner an der Seite Abraham Lincolns und entschiedener Gegner der Sklaverei war er eine der treibenden Kräfte der Bewegung zur Sklavenbefreiung in den USA gewesen. Schließlich war er einer von fünf Deutschen – alle wie er ehemalige Revolutionäre von 1848/49 –, die in der Unionsarmee den Rang eines Generalmajors erreichten. Als General hatte er allerdings, wenn auch nicht schlecht, so doch gleich mehrfach recht glücklos agiert: Bei der zweiten Schlacht am Bull Run war es Schurz trotz großer persönli- tischen« General Schurz für seinen Wahlkampf gebraucht, und so war er auf ein Kommando hinter der Front abgezogen worden. In Hinblick auf die Überprüfbarkeit seiner Selbstdarstellung in der Revolution von 1848/49 muss man feststellen, dass die Quellenlage schwierig ist. Für eine ganze Reihe von Episoden, einschließlich seiner Fluchtgeschichte aus Rastatt, ist der einzige Beleg eben seine Autobiografie. Die Stationen seiner politischen Karriere sind besser dokumentiert: Gesandter am Spanischen Hof, Senator für Missouri und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Kongresses, schließlich Innenminister in der Hayes-Administration (siehe Zeittafel nächste Seite). Schurz war ein geachteter und gefürchteter Politiker und Journalist, den schon 1867 und wieder in den 1880er Jahren der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck in Berlin empfangen hatte. Und er blieb ein Idealist, der sich, unter anderem, mit großem Eifer an eine Reform des korrupten und nach jeder Präsidentenwahl aufs Neue an Wahlhelfer und Finanziers verteilten Ämtersystems der Zivilverwaltung in Washington gemacht hatte. Franz Sigel als General der Badischen Freiheitsarmee 1849. Lithographie. Als »idealer Dutchman« in den USA cher Tapferkeit im August 1862 nicht gelungen, die Niederlage der zu diesem Zeitpunkt vom wenig fähigen General Pope kommandierten Unionsarmee zu verhindern. Bei Chancellorsville und wieder bei Gettysburg waren im Mai und Juli 1863 von ihm kommandierte Verbände in unhaltbare Situationen geraten und unter dem Druck zahlenmäßig und in ihrer taktischen Disposition überlegener angreifender Konföderierter auseinandergebrochen. Die fremdenfeindliche Presse witzelte über Schurz, indem sie dem populären Wahlspruch der Deutschamerikaner »I fights mit Sigel« ein gehässiges »... and runs mit Schurz« anhängte, was den ehrgeizigen Schurz bis an sein Lebensende kränken sollte. An der spektakulären Erstürmung des Höhenrückens von Missionary Ridge im November 1863 war Schurz’ Division nur am Rande beteiligt gewesen. 1864 hatte Lincoln den »poli- Die dreibändigen Memoiren verkauften sich nach Schurz‘ Tod gut und halfen, den alten »Forty-eighter« auf das Monument zu heben, das ihm 1913 von der »Carl Schurz Memorial Foundation« errichtet wurde. Schurz wurde in diesen Jahren für die Amerikaner der »ideale Deutsche«. Eine Stiftungsprofessur an der Universität von Wisconsin, die deutschen Gastprofessoren ein Jahr Forschung in den USA ermöglichen sollte, wurde 1912 eingerichtet als Ehrenbezeugung vor dem ehemaligen Geschichtsstudenten Schurz, der als Alterswerke noch sehr beachtliche Biografien Lincolns und des Politikers Henry Clay vorgelegt hatte. Wie sehr Schurz für das Amerika dieser Tage den idealen Typus des deutschen Einwanderer-Dichters und (politischen) Denkers darstellte, wird anhand der Erinnerung an seine Person in den Weltkriegen deutlich: Als die US-Marine mit dem Kriegseintritt Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 5 Carl Schurz als demokratisches Vorbild Zeittafel Carl Schurz 1829 1839–1846 1846/47 1847/48 1848 Febr./März 1849 1850 7. Nov. 1852 6. Juli 1854 1855 1856 1857 1858/59 1860 1861 1862 1863 1864 1865 1865/66 1867/68 1869/75 1875 1877–1881 1881–1883 1886 1888–1892 1892–1898 1901–1906 1906 14. Mai 1913 6 geb. am 2. März in Liblar im Rheinland. Schüler an einem Gymnasium in Köln. Gasthörer an der Universität Bonn. Abiturprüfung. Student der Philologie und Geschichte an der Bonner Universität. Vorlesungen bei Professor Gottfried Kinkel. Mitglied der Burschenschaft Frankonia. Revolution in Paris, Wien und Berlin. Zusammen mit Kinkel agitatorische Arbeit im »Demokratischen Club« und in der Redaktion der »Bonner Zeitung«. Ab September Vertreter der Bonner Studentenschaft beim Studentenkongress in Eisenach. Reichsverfassungskampagne. Teilnahme an Kämpfen in der Pfalz und in Baden. Flucht über Frankreich in die Schweiz. Befreiung Kinkels aus dem Gefängnis Spandau, gemeinsame Flucht nach Großbritannien. Heirat mit Margarethe Meyer in London. Im Aug./Sept. Überfahrt nach New York. Hauskauf in Watertown, Wisconsin. Europareise wegen Erkrankung seiner Ehefrau. Teilnahme an Wahlkampagne des Präsidentschaftskandidaten der neuen, sklavereikritischen Republikanischen Partei, John C. Frémont. Kandidat der Republikaner für das Amt des Vizegouverneurs von Wisconsin. Rechtsanwalt. Vortragsreisen. Vorsitzender der Wisconsin-Delegierten beim Republikanischen Nationalkonvent in Chicago. Wahlkampagne für Abraham Lincoln. Beginn der Sezessionskrise nach der Wahl Lincolns zum Präsidenten. Gesandter der USA am Spanischen Hof. Rückkehr in die USA. Ernennung zum Brigadegeneral. Generalmajor. In der Kritik nach Niederlage bei Chancellorsville. Posten in Nashville, Tennessee. Mitarbeit an Lincolns Wahlkampagne. Nach Kapitulation der konföderierten Armeen im April/Juni und Ermordung Lincolns im Auftrag von Präsident Andrew Johnson Reise durch den Süden, um über die Kriegsfolgen zu berichten. Washingtoner Korrespondent der New Yorker »Tribune«. Deutschlandreise. Treffen mit Bismarck. Senator für Missouri in Washington. Gründung der Liberalrepublikanischen Partei. Europareise. Innenminister unter Präsident Rutherford B. Hayes. Einsatz für gerechtere Indianerpolitik und Reform des öffentlichen Dienstes, gegen Arbeiterstreiks. Redakteur der »New York Evening Post« und der »Nation«. Veröffentlichung der Biografie über den Politiker und entschiedenen Gegner der Sklaverei Henry Clay (1777–1852). Generalvertreter für die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-AktienGesellschaft (HAPAG). Kolumnist für »Harper‘s Weekly«. Einsatz für die Zivildienstreform und gegen den Imperialismus. Arbeit an den Lebenserinnerungen. gestorben in New York City. Einweihung des Schurz-Denkmals in New York. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 Bibliothek für Zeitgeschichte Stuttgart Die nationalsozialistischen Machthaber konnten mit dem erklärten Sklavereigegner und Antiimperialisten Schurz nur wenig anfangen – zwei noch in den 1930er Jahren erschienene Bücher hoben stattdessen Schurz als Deutschen in Amerika in den Vordergrund, über den Bismarck gesagt haben soll: »Als Deutscher bin ich stolz auf Carl Schurz.« Als Pate der bundesrepublikanischen Demokratie S.M.S. Geier, interniert in Honolulu, ca. 1916. Carl Schurz e.V.« und 1929 fand im Reichstagsgebäude eine vom Westdeutschen Rundfunk übertragene Feierstunde zum 100. Geburtstag statt. Die bei dieser Gelegenheit aufgestellte Schurz-Büste landete aber schon bald darauf bei der Gemeinde Oberkassel – die Innenarchitektur des Reichstags wurde umgestaltet. Wenige Jahre später hatte nicht nur die Innenarchitektur keinen Platz mehr für Carl Schurz. ullstein – AKG 1917 den seit 1914 in Honolulu internierten deutschen Kleinen Kreuzer S.M.S. Geier übernahm, wurde er als USS Carl Schurz wieder in Dienst gestellt. Ebenso fuhr während des Zweiten Weltkriegs ein Liberty-Schiff, ein bewaffneter Marine-Frachter namens USS Carl Schurz, über den Atlantik. Die »Carl Schurz Memorial Foundation« gab noch jahrzehntelang, nachdem sie mit dem Carl-Schurz-Denkmal ihren ursprünglichen Zweck erfüllt hatte, die »American-German Review« heraus. Die Schurz-Professur an der Universität von Wisconsin, zu deren »Board of Regents« Schurz gehört hatte, besteht bis in unsere Tage fort. In der populären Kultur der USA wurde das Bild des hochgewachsenen Schurz allerdings seit Mitte der 1960er Jahre überlagert von John Fords Western »Cheyenne«, in welchem der kurzbeinige Schauspieler Edward G. Robinson als »Carl Schurz« gerade noch rechtzeitig erscheint, um die von der Vernichtung bedrohten Indianer zu retten. Dass Carl Schurz immerhin von der Weimarer Republik geehrt und von den Nationalsozialisten nicht propagandistisch missbraucht worden war, machte den Weg frei dafür, dass er mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter den Vorzeichen einer (west-)deutschamerikanischen Freundschaft von bisher nicht gekanntem Ausmaß zu neuen Ehren kommen konnte. 1946/47 war die deutsch-amerikanische Annäherung unter den Vorzeichen des Kalten Krieges schon unübersehbar. Mit Care-Paketen und Hoover-Speisungen kamen die Amerikaner den in bitterer Not lebenden Deutschen menschlich entgegen. Die Stuttgarter »Rede der Hoffnung« des amerikanischen Außenministers James F. Byrnes vom September 1946 sowie die Truman-Doktrin Kaiserreich, Weimar und NS-Zeit Auf der deutschen Seite blieb das Interesse an Schurz zunächst spärlich. Im Kaiserreich hatte man für den ehemaligen Revolutionär keine Verwendung und auch die Weimarer Republik machte sich das Andenken an Schurz erst spät zunutze. 1926 formierte sich in Berlin unter Beteiligung von Reichstagsabgeordneten die »Vereinigung Unterredung zwischen Carl Schurz und Reichskanzler Otto von Bismarck im Berliner Reichskanzlerpalais. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 7 Carl Schurz als demokratisches Vorbild 8 Am 18. Mai 1848 trat in der Paulskirche zu Frankfurt am Main das erste frei gewählte deutsche Parlament, die Frankfurter Nationalversammlung, zusammen. Die folgenden Monate waren von der Arbeit an einer Verfassung für ein vereinigtes Deutschland geprägt. Die Verfassung sah vor, dass Deutschland eine konstitutionelle Erbmonarchie werden sollte. Zum erblichen Kaiser wurde am 28. März 1849 der preußische König Friedrich Wilhelm IV. gewählt. Dessen Ablehnung der deutschen Kaiserwürde bedeutete jedoch das Scheitern der Paulskirchenverfassung. Der im Mai 1849 folgende Aufstand zur Durchsetzung der Verfassung, die sogenannte Reichsverfassungskampagne, wurde niedergeschlagen. Die »Grundrechte des deutschen Volkes«, die den Kern der Paulskirchenverfassung bildeten, wurden 1949 zum Teil wörtlich in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernommen. mn Die Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung tagen in der Paulskirche. 1848. Farblithographie von Gustav May. undvierziger lokal, regional und national wieder in Erinnerung gerufen werden sollten. Das scheint aber nicht oder nur begrenzt der Fall gewesen zu sein. Die Konzentration auf Schurz war 1948/49 besonders auffällig: In 35 westdeutschen Städten wurden Straßen und Wege nach ihm benannt. Manchmal liegen die Schurz-Straßen in Stadtvierteln, die den Namen prominenter Amerikaner tragen, wie die LincolnSiedlung in Braunschweig. Auch Schulen und Studentenwohnheime, vor allem an Orten, die in einer Verbindung zu Schurz gestanden hatten, erhielten seinen Namen. Im neugebauten Bonner Carl-Schurz-Colleg wurde 1956 nach 25 Jahren die Schurz-Büste aus dem Reichstag von 1929 wieder der Öffentlichkeit präsentiert. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 Schurz‘ Name wurde auch bemüht, als im hundertsten Jahr nach seiner Ankunft in den USA der Grundstein für die neue American Memorial Library in Berlin gelegt wurde. Der amerikanische Botschafter Dean Acheson erwähnte ihn in seiner Rede am 28. Juni 1952 zwar mehrfach, aber benannt wurde die Bibliothek nicht nach Carl Schurz, und auch Bemühungen, die Freie Universität Berlin nach ihm zu benennen, verliefen erfolglos. Ein Grund dafür mag sein, dass die Schurz-Erinnerung nach der deutschamerikanisch inspirierten demokratischen Welle von 1948/49 zunehmend von eher konservativen Kreisen und Wirtschaftskreisen für ihre Interessen instrumentalisiert wurde. In diesem Sinne ist das Wirken der im »Revolu- Nach Carl Schurz benannte Schulen und universitäre Einrichtungen in Deutschland und USA (Auswahl) Carl-Schurz-Grundschule Berlin Carl-Schurz-Grundschule Bonn Carl-Schurz-Realschule Bonn Grundschule an der Carl-Schurz-Straße in Bremen Carl-Schurz-Schule Rastatt Carl-Schurz-Schule Erftstadt-Liblar Carl Schurz Schule Frankfurt am Main Carl-Schurz-Schule Darmstadt Carl-Schurz-Realschule Bad Godesberg Carl-Schurz-Haus, Studentenwohnheim Ruhr Universität Bochum Carl-Schurz-Haus, Studentenwohnheim Universität Bonn Carl Schurz Elementary School New Braunfels, Texas Schurz High School Chicago Schurz Hall, University of Missouri, Columbia MO ullstein bild Paulskirche – Wiege der deutschen Demokratie ullstein bild vom März 1947 zeichneten nicht nur Strategien vor, wie die Expansion des Kommunismus einzudämmen sei, sondern auch, wie man Westdeutschland in eine neue politische, wirtschaftliche und militärische Allianz einbeziehen wollte. Für diese Zwecke wurde das Andenken an Carl Schurz nachhaltig mobilisiert. Der Befreier Kinkels und radikale Demokrat trat dazu hinter den Staatsmann und Bürgerkriegsgeneral zurück. Sein Leben wurde gedeutet als »Geschichte eines Mannes, der für den Geist der Freiheit in einem fremden Lande kämpfte, da er‘s im eigenen nicht vermochte«, so Joachim Maass in seinem 1949 erschienenen Buch »Der unermüdliche Rebell – Leben, Taten und Vermächtnis des Carl Schurz«. Maass‘ Buch wurde ebenso wie das von Hanns Höwing von den alliierten Zensurbehörden bevorzugt behandelt und in für die damalige Zeit hoher Auflage verbreitet. Der fast vergessene Schurz erlebte in jenen Tagen eine unglaubliche Renaissance. Es waren gleichermaßen der republikanische Deutschamerikaner und der Bismarck-Gesprächspartner gefragt: Schurz konnte für Demokraten wie für Deutschnationale ein Identifikationsangebot liefern. Bezeichnend ist ein Druckfehler in der Achtundvierziger-Sondernummer der American-German Review vom August 1948, in deren Inhaltsverzeichnis ein Artikel von Ottmar Bühler als »Carl Schurz and the Revolution of 1948« angekündigt wird, obwohl eigentlich die Revolution von 1848 gemeint war. Der schon 1926 an der Gründung der »Vereinigung Carl Schurz« in Berlin beteiligte Reichstagspräsident Paul Löbe war eines der Gründungsmitglieder einer neuen »Carl-Schurz-Gesellschaft«, die im August 1948 in der in aller Eile wiederaufgebauten Paulskirche in Frankfurt am Main ins Leben gerufen wurde. Die Kombination ist sinnfällig: Die Paulskirche symbolisiert den ehrenhaften, wenn auch immer fehlgeschlagenen Versuch der eigenen Republik. Schurz ist der Verbindungsmann dieser Republikaner zu den Amerikanern und von dort wieder zurück nach Deutschland: Wer es zum Senator und US-Minister gebracht hat, der darf Vorbild sein. Man hätte vermuten können, dass 1948 auch andere prominente Acht- Carl-Schurz-Schule in Frankfurt a.M. tionsjahr« 1948 gegründeten »SteubenSchurz-Gesellschaft« zu sehen. Der Beginn der Berliner Luftbrücke im Juni 1948 hatte unter anderem zu einer schlagartigen Welle von Gründungen von deutsch-amerikanischen Freundschaftsclubs und Vereinigungen zur Pflege der internationalen Beziehungen Deutschlands geführt. In Wiesbaden knüpfte man zu diesem Zweck an die »Steuben-Gesellschaft« an, die bis zu ihrer Auflösung durch die Nationalsozialisten von 1930 bis 1933 in Berlin bestanden hatte. Man fügte der Neugründung den Namen von Carl Schurz als Symbol der deutschen Demokratiebewegung hinzu. So erhielt die neue Gesellschaft, die unter dem 1. August 1948 in das Vereinsregister eingetragen wurde, den Namen »Steuben-SchurzGesellschaft«. Im Vorstand waren von Anfang an Großindustrielle, Bankiers sowie Angehörige des Hochadels stark vertreten. Bereits 1950 ging die »Paulskirchen-Schurz-Gesellschaft« in der »Steuben-Schurz-Gesellschaft« auf. Eine dritte »Carl Schurz Gesellschaft« wurde 1949 in Bremen gegründet. Sie stand von Anfang an in enger Verbindung zum Bremer Senat. Dies zeigt sich auch darin, dass fast alle Präsidenten der Gesellschaft amtierende Senatoren waren. Die Gesellschaft hat sich seit Anbeginn um die Vertiefung deutschamerikanischer Beziehungen gekümmert. Es wurden und werden immer wieder Vortragsveranstaltungen mit namhaften Referenten organisiert. Ein Schwerpunkt der früheren Arbeit war, Kontakte zu den in Garlstedt und Bremerhaven stationierten US-Truppen zu knüpfen. Dazu passt, dass die US-Kaserne in Bremerhaven den Namen Carl Schurz trug. Auch die Umbenennung der »Bauland-Kaserne« der Bundeswehr in Hardheim im November 1966 in »Carl-Schurz-Kaserne« war als Zeichen der deutsch-amerikanischen Verständigung gedacht. Zuletzt diente Carl Schurz im März 1969 als Namenspatron: Zu seinem 140. Geburtstag wurde das Freiburger Amerikahaus in Carl-Schurz-Haus umbenannt – vermutlich, um den anhaltenden antiamerikanischen Vietnamkriegsprotesten durch den Verweis auf die deutsch-amerikanischen demokratischen Gemeinsamkeiten die Schärfe zu nehmen. Man kann an dieser Benennung ablesen, wie wirksam die Symbolfigur Schurz zu diesem Zeitpunkt in Deutschland immer noch war. Schurz selbst war Zeit seines Lebens nicht in Freiburg i.Br. gewesen und hatte keinerlei Verbindung dorthin. Wenn ihm bei der Namensgebung 1969 der Vorzug gegeben wurde vor der Volkstribunsgestalt Friedrich Hecker und dem Revolutionsgeneral Franz Sigel, die beide deutliche Freiburger Verbindungen aufweisen und wie Schurz im Amerikanischen Bürgerkrieg gekämpft hatten sowie in der deutsch-amerikanischen Öffentlichkeit bekannte Figuren waren, wenn also stattdessen der Nicht-Freiburger Schurz Namenspatron werden musste, dann ist damit wieder die politische Botschaft der »Revolution von 1948/49«, die Suche nach dem deutschamerikanischen Wunschdemokraten, verbunden. Als Carl Schurz 1899 bei Vollendung seines 70. Lebensjahres von der Columbia University zum Ehrendoktor ernannt wurde, hieß es über ihn in der Festrede: »Er hat geschrieben und gesprochen und gekämpft, in der alten Welt und in der neuen, für die großen Ideen unseres Jahrhunderts.« Das kann als Vermächtnis des Carl Schurz stehen bleiben. Für die »Achtundvierziger« der neuen Bundesrepublik von 1948/49 war Schurz der Vorzeige-Revolutionär, Realpolitiker, Verteidiger der Menschenrechte und deutsch-amerikanische Demokrat, auf den sich alle einigen konnten. Diesen Schurz und die anderen Achtundvierziger, die in den USA Freiheit und Einheit verteidigen halfen und für die Abschaffung der Sklaverei sorgten, gilt es heute, in einer an positiven Vorbildern armen Zeit, wieder neu zu entdecken (siehe den Artikel von J. Dick in diesem Heft). ullstein bild Wolfgang Hochbruck Literaturtipp: Walter Kessler, Carl Schurz – Kampf, Exil und Karriere, Köln 2006 Carl Schurz in seinem Arbeitszimmer. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 9 The Second Baden Revolution »The Second Baden Revolution« Deutsche Demokraten im Amerikanischen Bürgerkrieg A ls am 5. Juli 1861 Colonel Franz Sigel, der Kommandeur einer 1100 Mann starken Unionstruppe, seiner Artillerie den Feuerbefehl gab, eröffnete er bei Carthage in der äußersten Südwestecke des USBundesstaates Missouri eines der ersten größeren Gefechte des Amerikanischen Bürgerkrieges (auch Sezessionskrieg genannt). Seine in St. Louis rekrutierten Soldaten waren überwiegend deutschstämmige Freiwillige, die Kommandosprache war Deutsch. Nach der militärischen Niederlage der Revolution von 1848/49 waren Tausende der aktiven deutschen Demokraten ins Exil gegangen und viele waren über die Schweiz nach Frankreich oder Großbritannien und schließlich in die USA gelangt. Als dort 1861 der Bürgerkrieg ausbrach, war dieser für die meisten emigrierten deutschen Demokraten – die »Forty-eighter«, wie sie in den USA genannt werden – nicht nur ein Kampf zwischen Nord und Süd um den Erhalt der Union. Auch die Sklavenbefreiung war für sie ein wesentliches Kriegsziel. Insbesondere für diejenigen, die in der sogenannten Reichsverfassungskampagne von 1849 (zur Durchsetzung der Paulskirchenverfassung; siehe Infokasten auf S. 8) in der badisch-pfälzischen Revolutionsarmee gekämpft hatten, wurde der Sezessionskrieg zum »Zweiten Freiheitskampf« oder aber – speziell in Missouri – zur »Second Baden Revolution« und somit zu einem erneuten Eintreten für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie. Achtundvierziger, die bereits in der Reichsverfas- 10 Deutsch-amerikanische Generale im Amerikanischen Bürgerkrieg, unter ihnen Franz Sigel (oben), Carl Schurz (2. Reihe re.) und Peter Joseph Osterhaus (2. Reihe v.u., re.). Stahlstich, 1865. Abb. aus: H. Greeley, Der große Conflikt in Amerika, Bd 1, Chicago 1865, S. 590 / Leihgabe aus Privatbesitz sungskampagne militärische Verantwortung getragen hatten, übernahmen auch jetzt wieder Führungsfunktionen und wurden zu Kommandeuren von Freiwilligenregimentern gewählt. Sie übten eine Vorbildfunktion für die Anwerbung weiterer deutschstämmiger Soldaten aus. Der Kampf um Missouri 1861/62 In St. Louis im US-Bundesstaat Missouri mit einem besonders hohen Anteil deutschstämmiger Einwohner war es der Revolutionsveteran Franz Sigel, der eines der vier »deutschen« Regimenter, das 3. Missouri Volunteer Infantery Regiment, aufstellte. Als 23-jähriger ehemaliger badischer Infanterieleutnant hatte er sich 1848 den Aufständischen in Baden angeschlossen. Er war einer der militärischen Führer des »Heckerzuges«, 1849 Kriegsminister in der badischen Revolutionsregierung sowie zeitweise Oberkommandierender der Revolutionstruppen. Mit ihm engagierten sich weitere Achtundvierziger in Missouri. Hierzu gehörte unter anderem Friedrich Hecker, der legendäre Führer des ersten badischen Aufstandes von 1848, der auch als »Heckeraufstand« in die Geschichtsschreibung eingegangen ist. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 Der historische Bezug der »deutschen« Regimenter im Amerikanischen Bürgerkrieg zur Revolution von1848/49 wurde bewusst hergestellt. So erhielt das Regiment Sigels Uniformen, die in Schnitt und Farbe an die Freischarhemden von 1848 erinnerten. Andere Einheiten trugen schwarz-rot-goldene Kokarden an den Hüten. Der »Spirit of 1848« spielte bei der Motivation, für die Union zu kämpfen, eine wesentliche Rolle. Gerade im Kampf um Missouri sollten die deutschstämmigen Regimenter einen entscheidenden Beitrag leisten. Denn in diesem Bundesstaat gab es starke politische Strömungen, die für eine Unterstützung der Südstaaten eintraten. Gouverneur Claiborne Jackson wollte den Bundesstaat auf die Seite der Konföderation der Südstaaten ziehen. Seine sezessionistischen Absichten versuchte er mit Hilfe der Staatsmiliz durchzusetzen. Umso mehr war der Unionskommandant von St Louis, Nathaniel Lyon, auf die deutschstämmigen Freiwilligenregimenter angewiesen. Am 10. Mai griffen Unionstruppen unter Lyon und Sigel die im Übungslager »Camp Jackson« versammelte Staatsmiliz an und zwangen diese, sich kampflos zu ergeben. St. Louis blieb in den Händen der Union. Der Kampf um Missouri sollte sich allerdings noch bis zum März ullstein bild – histopics Franz Sigel, 1824–1902, als General der Unionsarmee. 1862 hinziehen. Franz Sigel wurde nach diesem Sieg zum Idol der deutschstämmigen Unionssoldaten. Unter dem Motto »I fights mit Sigel« meldeten sich Tausende freiwillig. Bis Anfang Juli 1861 erhielten aber auch die sezessionistischen Kräfte Missouris um Gouverneur Jackson neuen Zulauf von frisch rekrutierten Soldaten aus dem Nordwesten des Staates. Diese Truppen zogen sich nach Südosten zurück, um sich dort mit den konföderierten Einheiten aus Arkansas und Texas zu vereinigen. Sigel sollte dies mit seinem Regiment, verstärkt durch Teile des 5. Missouri-Regiments und zwei Artilleriebatterien, verhindern. Am 5. Juli stieß er allerdings bei Carthage auf eine fast fünffach überlegene gegnerische Streitmacht, die versuchte, die zahlenmäßig deutlich unterlegenen »Yankees« von ihrem Rückweg abzuschneiden und zu vernichten. Es glückte, sich der Umklammerung zu entziehen und dem Gegner gleichzeitig empfindliche Verluste zuzufügen. Entscheidend hierfür war auch der gute Ausbildungsstand der bereits Monate zuvor in den Straßen von St. Louis gedrillten Soldaten. Nach einem dreistündigen Artillerieduell trat Sigel einen geordneten Rückzug an. Dennoch kam es im August desselben Jahres in Wilsons Creek, in einer seitens der Union mit hohem Risiko geführten Schlacht, zu einem ersten Rückschlag. Trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit griff Lyon den Gegner frontal an. Unterdessen startete Sigel mit seiner bereits kampferprobten Brigade einen erfolgreichen Flankenangriff: Er fiel zwei Südstaatenregimentern in den Rücken und vermochte diese zurückzuwerfen. Es kam aber zu einer verhängnisvollen Verwechslung: Als sich weitere konföderierte Truppen in großer Stärke näherten, hielt man sie für eigene Soldaten. Eine optische Unterscheidung der Kontrahenten war damals nicht möglich; die blauen Nord- und die grauen Südstaatenuniformen gab es in dieser frühen Phase des Bürgerkrieges noch nicht. Als die Unionstruppen plötzlich von dem überlegenen Gegner angegriffen wurden, war es für eine wirkungsvolle Verteidigung zu spät. Es blieb nur der Rückzug unter hohen Verlusten. Entschieden wurde der Kampf um Missouri zwischen dem 6. und 8. März 1862 in der Schlacht von Pea Ridge in der Nordwestecke des Staates Arkansas. Dort schlug eine 11 000 Mann starke Armee der Union die mit 16 000 Mann erneut zahlenmäßig überlegenen Südstaatendivisionen. Oberkommandierender der Unionstruppen war General Samuel R. Curtis. Der maßgebliche Angriffsplan wurde jedoch von Curtis‘ Stellvertreter Sigel vorgeschlagen. Er war es auch, der mit seinen beiden »deutschen Divisionen« den entscheidenden Angriff führte. Die von ihm geleitete zweistündige Artilleriekanonade war so wirkungsvoll, dass er mit seiner Infanterie die gegnerischen Linien durchbrechen und die Truppen der Konföderierten zum Rückzug zwingen konnte. Sigel stand auf dem Höhepunkt seiner militärischen Karriere. In der Folgezeit wurde Sigel allerdings zum Spielball politischer Interessen: Seine Anfangserfolge in Missouri brachten ihm Neider und Feinde. Einerseits wurde er von Präsident Abraham Lincoln als exponierter Vertreter der deutschstämmigen Wählerschaft gezielt gefördert, andererseits sahen es die in Amerika geborenen und an der Militärakademie in West Point ausgebildeten Kommandeure nicht gerne, dass ein »Ausländer« zum Generalmajor befördert und ihm nach der Schlacht von Pea Ridge das Kommando über das I. Korps der Virginia-Armee im Osten übertragen wurde. Virginia, West-Virginia, Shanandoah Valley Im Osten verliefen die Kampfhandlungen für die Union längst nicht so günstig wie im Westen. In der ersten größeren Schlacht am 21. Juli 1861 bei Bull Run artete ein Rückzug der Unionstruppen zur wilden Flucht aus. In dieser unübersichtlichen Lage behielt die Brigade des Achtundvierziger-Kommandeurs Ludwig Blenker die Nerven. Seine in New York aufgestellten Regimenter waren den ganzen Tag in Reserve gehalten worden. Als sie den Rückzug der geschlagenen Nordstaatenarmee in ihren Stellungen verharrend deckten und den Gegner an der weiteren Verfolgung hinderten, wurde Blenker zum umjubelten Held. Der ehemalige Reserveoffizier, der in der Reichsverfassungskampagne 1849 ein Freikorps befehligt hatte, erhielt daraufhin den Auftrag, eine »deutsche Division« aufzustellen. Einer seiner Stabsoffiziere war kein Geringerer als der bereits 57 Jahre alte Gustav Struve, der politische Kopf der badischen Aufstände von 1848/49. Blenker, der mit seiner Neigung zu übertriebenem Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 11 The Second Baden Revolution militärischem Pomp einige seiner alten Kameraden – zum Schluss auch Struve – verprellte, agierte während der Kampfhandlungen des Frühjahrs 1862 glücklos. Seine Division wurde ohne hinreichende logistische Unterstützung ins Shanandoahtal beordert. In der Schlacht bei Cross Keys wurde die erste Brigade unter Brigadegeneral Julius Stahel in einem aussichtslosen Angriff verheizt, das 8. New Yorker Regiment verlor ein Drittel seiner Soldaten. Als Blenker nach dieser Schlacht enttäuscht sein Kommando niederlegte, wurde ein anderer Achtundvierziger, der erst 33-jährige Carl Schurz, sein Nachfolger (siehe den Beitrag von W. Hochbruck in diesem Heft). Als einflussreicher republikanischer Politiker war er, wie im Bürgerkrieg nicht unüblich, im Range eines Brigadegenerals eingestellt worden, obwohl er über nur wenig militärische Erfahrung verfügte. In der Reichsverfassungskampagne hatte er als Leutnant gewirkt. Das Korps, zu dem auch Schurz‘ Division gehörte, erhielt kurz danach mit Franz Sigel auch einen deutschen Kommandierenden General. Während des folgenden Virginiafeldzuges im Sommer 1862 musste Sigel feststellen, dass teils versteckt, teils offen gegen ihn intrigiert wurde. In der für die Unionstruppen verlorenen zweiten Schlacht von Bull Run am 30. August kämpfte das Korps tapfer, entgegen einiger Presseberichte und der Auffassung des Befehlshabers General John Pope. Gegen die kampferprobte Truppe des legendären Südstaatengenerals Thomas J. »Stonewall« Jackson konnten am ersten Tag der Schlacht sogar Geländegewinne erzielt werden. Erst als sich Jackson mit seinen Truppen hinter einem Eisenbahndamm verschanzte, blieb der Angriff der Unionstruppen unter hohen Verlusten stecken. Am folgenden Tag war Sigel einer der ersten, die einen bevorstehenden gegnerischen Angriff in die Flanke der Unionstruppen erkannten. Es gelang ihm, zwei Stellungen so lange zu halten, bis sich das Gros der Virginia-Armee Richtung Washington zurückgezogen hatte. In den nach Niederlagen damals üblichen Schuldzuweisungen innerhalb der Generalität geriet Sigel dennoch in die Kritik. Dass er mit sei- ullstein – Granger Collection Die Zweite Schlacht von Bull Run im August 1862, an der auch das Korps von Franz Sigel beteiligt war, endete für die Unionstruppen unter hohen Verlusten. Zeitgenössische Litographie. 12 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 nem Korps die Einkesselung der Virginia-Armee verhindert hatte, wurde kaum gewürdigt. Stattdessen warf man ihm vor, in der einleitenden Schlacht des Feldzuges bei Cedar Mountain verspätet eingetroffen zu sein. Es folgten Umstrukturierungen bei den Unionstruppen. Aus dem I. Korps der Virginia-Armee wurde das XI. Korps der Potomac-Armee. Wegen weiterer Differenzen mit seinen Vorgesetzten trat Sigel im Frühjahr 1863 zurück. Sein Nachfolger Oliver Otis Howard konnte die Distanz zu seinen deutschen Divisionskommandeuren nie überbrücken. Die Rückschläge des Korps bei Chancellorsville und am ersten Tag der Schlacht von Gettysburg, eine der verlustreichsten Schlachten auf dem amerikanischen Kontinent überhaupt, die als entscheidender Wendepunkt des Bürgerkrieges gilt, wurden dennoch nicht Howard, sondern den »damned dutch« angelastet. Nachdem es Schurz trotz seiner Beziehungen zu Präsident Lincoln nicht gelungen war, Sigel das Kommando über das Korps wieder zu beschaffen, übernahm dieser 1864 die Führung der relativ kleinen Army of West Virginia im Shenandoahtal. Seine Niederlage in dem relativ unbedeutenden Gefecht bei New Market wurde von seinen Gegnern aufgebauscht und zum Anlass genommen, seine Absetzung zu betreiben. Sigel verfolgte das Prinzip, in ausweglosen militärischen Lagen seine Soldaten nicht zu verheizen, sondern sie mit einem taktischen Rückzug möglichst zu schonen. Dieses auch in New Market praktizierte Verfahren ist ihm als Schwäche ausgelegt worden. Obwohl er in den folgenden Gefechten am Potomac River die vordringenden Südstaatentruppen aufhalten konnte und den zunächst geräumten Eisenbahnknotenpunkt Harpers Ferry zurückeroberte, wurde er seines Kommandos enthoben. Diese Behandlung Sigels erfährt in der Berichterstattung und der Literatur über den amerikanischen Bürgerkrieg zum Teil bis heute ihre Fortsetzung. Sigel selbst blieb bis zu seinem Tode überzeugter Amerikaner. Ein Angebot der badischen Regierung, nach einer allgemeinen Amnestie der Achtundvierziger nach Deutschland zurückzukehren, lehnte er ab. Als er am 21. August 1902 als hochgeachteter ullstein – Pachot amerikanischer Staatsbürger starb, begleiteten über 25 000 Menschen, darunter viele Bürgerkriegsveteranen, den Trauerzug. Noch heute erinnern zwei Reiterdenkmäler in New York und St. Louis an einen der ersten deutschen demokratischen Offiziere des 19. Jahrhunderts. Die Schlacht um Chattanooga Eine der strategisch entscheidenden Schlachten des Sezessionskrieges wurde am 25. November 1863 um Chattanooga geschlagen. Der Sieg der Union öffnete den Weg in das Zentrum der Südstaaten. General William T. Shermans folgender »March to the Sea« war kriegsentscheidend, da die in Virginia bis dahin erfolgreich kämpfende Konföderiertenarmee von ihren Hauptnachschublinien abgeschnitten wurde. Es war die einzige Schlacht, in der deutschstämmige Truppen aus dem Westen und dem Osten der USA gemeinsam kämpften. Generallandesarchiv Karlsruhe J-G-B/7 August Willich, 1810–1878, der spätere General der Unionsarmee, hier während der pfälzisch-badischen Revolution im Mai 1849 mit der sogenannten Heckerbluse, die auch noch im Amerikanischen Bürgerkrieg von deutschstämmigen Soldaten getragen wurde. Blatt aus der »Portrait- und Kostümgalerie aus der badisch-pfälzischen Revolution 1849«, Karlsruhe, Verlag von Fr. Nödelke, 1849. Lithographie, teilweise koloriert. Das XI. Korps der Potomac-Armee war zur Verstärkung der unter Ulysses S. Grants Kommando stehenden Armeegruppe mit der Eisenbahn herantransportiert worden. In einem einleitenden Gefecht gelang es, die »Cracker line«, eine wichtige Nachschublinie, zu eröffnen. Schurz vermochte dadurch, seinen angeschlagenen Ruf als Truppenführer zu verbessern. Mit seiner Division wurde er jedoch im Verlauf der folgenden Kampfhandlungen weitestgehend in Reserve gehalten. Stattdessen zeichneten sich andere Achtundvierziger-Kommandeure besonders aus, etwa der in Koblenz geborene ehemalige preußische Reserveoffizier Peter Joseph Osterhaus. Er hatte bereits bei Wilsons Creek in schwieriger Lage Übersicht und Kaltblütigkeit bewiesen und damit das Vertrauen seiner Soldaten gewonnen. Als einer der beiden Divisionskommandeure Sigels hielt Osterhaus am ersten Tag der Schlacht von Pea Ridge als Führer einer Vorausabteilung dem Angriff überlegener Südstaatenregimenter stand. Am folgenden Tag führte er in Sigels Auftrag eine wichtige vorbereitende Erkundung durch und zeichnete sich durch engagierte Führung während des entscheidenden Angriffs aus. Während der folgenden Unionsfeldzüge im Westen war Osterhaus an mehreren erfolgreich geführten Gefechten beteiligt und stieg bis zum Generalmajor auf. Während Sigels militärischer Stern in der zweiten Phase des Bürgerkrieges eher im Sinken war, wurde Osterhaus zum erfolgreichsten deutschen Kommandeur. Im Gegensatz zu Sigel zeigte er im Umgang mit seinen Vorgesetzten mehr Geschick. Seine Bescheidenheit und Zuverlässigkeit wurden geschätzt. Während Shermans »March to the Sea« wurde er als Korpskommandeur eingesetzt. Nach dem Krieg war Osterhaus Militärkommandant in Mississippi und kehrte später als amerikanischer Konsul in das Deutsche Kaiserreich zurück. Auch für August Willich war Chattanooga eine Sternstunde in seiner militärischen Laufbahn. Der militärische Führer des Heckerzuges von 1848 wanderte 1853 in die USA aus. Er wurde im Bürgerkrieg Kommandeur des deutsch-amerikanischen 32nd Indiana Infantry Regiment. Nach dem Sieg in der Schlacht von Shiloh, Tennes- Peter Joseph Osterhaus, 1823–1917, General der Unionsarmee. see, sollen seine Soldaten das Arbeiterkampflied der 1848er Revolution, die Arbeiter-Marseillaise, angestimmt haben. Schließlich nahm auch er – bereits im Generalsrang – an der Schlacht von Chattanooga teil. Nach dem Krieg engagierte sich Willich in der Gewerkschaftsbewegung der USA. Neben diesen exponierten Kommandeuren stiegen zahlreiche weitere Forty-eighter in hohe und höchste Offizierränge auf. Nicht zu vergessen sind die zahlreichen unbekannten Soldaten, von denen viele ihr erneutes Engagement für Menschenrechte und Freiheit mit Krankheit, schwerer Verwundung oder dem Tod bezahlten. Sie alle haben dazu beigetragen, dass, wie Präsident Lincoln es ausdrückte, »die Herrschaft des Volkes für das Volk durch das Volk« erhalten blieb. Jürgen Dick Literaturtipp: Wolfgang Hochbruck, Ulrich Bachteler und Henning Zimmermann (Hrsg.), Achtundvierziger Forty-Eighters – Die deutsche Revolution von 1848/49, die Vereinigten Staaten und der Amerikanische Bürgerkrieg, Münster 2000 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 13 General Johannes Steinhoff Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel (l.) überreicht am 2. September 1966 in Bonn dem neuen Inspekteur der Bundesluftwaffe, Generalleutnant Johannes Steinhoff, die Ernennungsurkunde. picture-alliance/dpa/Egon Steiner »Ich bin heute zum Inspekteur der Luftwaffe ernannt worden. In mehreren Unterredungen mit dem Herrn Bundesminister der Verteidigung wurden die Grundlagen meiner künftigen Arbeit erörtert. Für entscheidend halte ich, das bisher Erreichte zu festigen und auszubauen. Zeit ist dafür erforderlich, aber auch guter Wille, er ist in hohem Maße in der Luftwaffe vorhanden. Der gute Wille der Luftwaffe genügt jedoch nicht! Ich brauche auch das Verständnis aller, um den gegebenen Auftrag erfüllen zu können.« General Johannes Steinhoff und die Luftwaffe M 14 lief ihn und verlor den Kontakt. Erst 17 Tage später wurde sein Leichnam auf einer Hallig angespült. Dieser Absturz brachte das Fass »Starfighter-Krise« medienwirksam zum Überlaufen. Die Lösung der »Starfighter Krise« ist eng mit dem Namen Johannes Steinhoff verbunden. Steinhoffs Lebensweg bis 1966 ullstein bild it diesem Tagesbefehl leitete Generalleutnant Johannes Steinhoff am 2. September 1966 seine Amtszeit als Inspekteur der Luftwaffe ein. Jedoch trat Steinhoff sein Amt in einer äußerst kritischen Situation an. Sein Vorgänger, Generalleutnant Werner Panitzki, war in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden; in der Luftwaffe selbst gab es große Probleme: 1961 war das Strahlflugzeug Lockheed F-104 G Starfighter eingeführt worden, bis zum 17. Juli 1966 waren 64 Maschinen abgestürzt oder beschädigt worden, 54 davon in den letzten zwei Jahren. Am 18. Juli 1966 stürzte Oberleutnant Siegfried Arndt über der Nordsee ab. Er konnte zwar den Schleudersitz betätigen, sich aber bei der Landung nicht mehr von dem Fallschirm trennen und ertrank. Das Minensuchboot »Düren« hatte ihn bereits gesichtet, über- Johannes Steinhoff als Jagdflieger, Träger des Eichenlaubs zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes, 1943. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 Johannes Steinhoff wurde am 15. September 1913 im thüringischen Bottendorf geboren. Ab 1932 studierte er Literatur- und Sportwissenschaften in Jena, brach allerdings sein Studium 1934 aus finanziellen Gründen ab. Steinhoff trat in die Marine ein, wurde zum Seeflieger ausgebildet, wechselte 1936 zur Luftwaffe und wurde Jagdflieger. Im Zweiten Weltkrieg diente er überwiegend in der Truppe: als Pilot, Staffelkapitän, Gruppenkommandeur und Geschwaderkommodore in Jagdgeschwadern in deutsche Flugabwehrraketentruppe einen großen Teil der NATO-Luftverteidigung zu stellen. Die Infrastruktur der Flugabwehrraketenstellungen entsprach dem aber noch nicht. Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit der Starfighter-Verbände sah Steinhoff ebenso kritisch. Die NATO stellte an sie hohe Anforderungen, zumal gerade sie für den Einsatz mit Nuklearwaffen vorgesehen waren. Die Luftwaffe hatte jedoch generelle Probleme mit dem Starfighter und seiner Technik. In seinen »Gedanken zur Situation der Luftwaffe« stellte Steinhoff im Februar 1966 angesichts der Diskussionen um die Starfighter-Unfälle die Frage, »ob die Luftwaffe überhaupt in der Lage ist, ein solches Flugzeug ›zu verdauen‹«. Führung, Organisation und Ausbildung seien maßgeblich für das Dilemma verantwortlich. Bereits im April 1960 hatte Steinhoff dem Inspekteur der Luftwaffe gegenüber seine »Sorge über die Entwicklung der Luftwaffe zum Ausdruck« gebracht, vor allem die Personalfrage betreffend. Er habe jedoch »nicht die notwendige Unterstützung« gefunden. Seine Bedenken wurden nicht berücksichtigt. Steinhoff wollte die Luftwaffenführung nicht belehren: Die Luftwaffe hatte 1958 die Einführung der F-104 G befürwortet. Sie hoffte, ihre bisher vier verschiedenen Kampfflugzeugtypen durch ein Mehrzweckflugzeug zu ersetzen. Steinhoff selbst und auch die Opposition im Bundestag waren für diese Lösung. Nun aber stellten sich gravierende Probleme ein, für die auch Steinhoff Mitverantwortung trug. Er allein jedoch – nicht zuletzt aus seiner Erfahrung als Pilot und Truppenführer heraus – benannte die Probleme und forderte Lösungen, denen die Organisationsstruktur im Wege stand. Starfighter-Krise Die Einführung des Starfighters hatte die Bundeswehr vor ungeahnte Aufgaben gestellt. Die Maschine bedeutete den Sprung in das Überschallzeitalter. Sie besaß eine umfangreiche elektronische Ausrüstung, neue Waffen und Kameras. Vorher hatte die Luftwaffe Flugzeuge, nun bekam sie ein »Waffensystem«. Ursprünglich sollte die F 104 dazu dienen, hochfliegende sowjetische Bomberflotten mit Luft-LuftRaketen zu bekämpfen. Bei der Einführung des Flugzeugs in der Luftwaffe besaß die Sowjetunion jedoch bereits Interkontinentalraketen, womit dieser Auftrag entfiel. Die Maschine hatte erhebliches Potenzial; Steigfähigkeit und Geschwindigkeit waren atemberaubend. Die Testpiloten der Luftwaf- SKA/IMZBw/Simik Frankreich, an der Ostfront, in Italien und in der »Reichsverteidigung«. Zuletzt war Steinhoff als Oberst Jagdflieger im Jagdverband 44. Im April 1945 geriet seine Me 262 beim Start in München-Riem in Brand. Steinhoff erlitt schwerste Brandverletzungen, die ihn zeichneten. 1945 bis 1947 lag er in Lazaretten, bevor er in Süddeutschland Keramikmalerei erlernte. Im Sommer 1951 begannen die Verhandlungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Steinhoff war ab Juni 1952 in der Dienststelle des »Bevollmächtigten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen« als Gutachter tätig und nahm an den EVG-Verhandlungen in Paris teil. Nach dem Scheitern der EVG folgte ab 1955 der Aufbau der Bundeswehr als Teil der NATO. Steinhoff wurde 1955 wieder Soldat und war im Bundesministerium der Verteidigung für die Planung der Luftwaffe zuständig. Als Brigadegeneral wurde er 1960 Deutscher Militärischer Bevollmächtigter im NATO-Militärausschuss in Washington und damit Vertreter der deutschen militärischen Interessen. Die amerikanischen Verbündeten vertrauten ihm und informierten ihn frühzeitig über ihre militärpolitischen Überlegungen, als sie Anfang der 1960er Jahre den Strategiewechsel weg von der massiven Vergeltung (eines sowjetischen Angriffs) mit Nuklearwaffen (»Massive Retaliation«) hin zur »Flexible Response« einleiteten, die die Verteidigung mit konventionellen Waffen stärker betonte. Die neue Konzeption wurde erst ab 1967 in der NATO umgesetzt. Von 1963 bis 1965 war Steinhoff Kommandeur der 4. Luftwaffendivision in Aurich, deren Verbände zwischen Nordsee und Ruhrgebiet stationiert waren. Es schloss sich die Verwendung als Chief of Staff und Deputy Commander der Allied Air Forces Central Europe im Hauptquartier der NATOStreitkräfte Europa Mitte an. War Steinhoff als Divisionskommandeur noch für die Einsatzbereitschaft seiner Truppe verantwortlich gewesen, konnte er nun die Luftwaffe mit anderen Luftstreitkräften vergleichen. Dem Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Werner Panitzki, teilte er regelmäßig seine Bewertungen mit. So hatte die General Steinhoff im Cockpit vor seinem Flug mit der Fiat G 91. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 15 fe waren von dem Flugzeug geblendet, das während der Entscheidung zum Kauf bereits im Dienst der US Air Force stand. »Alternativen« gab es nur in Form leistungsschwächerer Prototypen. Die F-104 bot überdies die Möglichkeit, im Rahmen der nuklearen Teilhabe enger mit den USA zu kooperieren. Man war von dem Flugzeug begeistert, obwohl man wusste, dass umfangreiche Änderungen notwendig waren, um es für die zugedachten Aufgaben zu befähigen. Gleichwohl glaubte man, es als Mehrzweckflugzeug in den Rollen Jäger, Jagdbomber und Aufklärer nutzen zu können. Nachdem die ersten Fluglehrer in den USA bei der Firma Lockheed geschult worden waren, folgte ab dem Sommer 1960 die Einführung des Flugzeugs in der Bundeswehr. Die Waffenschule 10 in Oldenburg stellte in Nörvenich eine 4. Staffel auf, um die Piloten, die bis dahin die erheblich langsamere F86F oder F-84F geflogen waren, umzuschulen. Das Jagdbombergeschwader 31 »Boelcke« in Nörvenich war am 20. Juni 1962 als erster Starfighter-Verband einsatzbereit. In schneller Folge wurden nun fünf Jagdbombergeschwader von der F84F Thunderstreak auf Starfighter umgerüstet. Es folgten die F-86-Jagdgeschwader und zuletzt die Aufklärungsgeschwader mit ihren RF-84F Thunderflash. Die vielen Abstürze in den Jahren von 1964 bis 1966 hatten komplexe Ursachen: Pilotenfehler wie Bodenberührungen, Zusammenstöße in der Luft; technische Fehler wie offene Schubdüsen, Triebwerk-, Instrumenten- oder Nachbrennerausfall u.a. traten auf. Die Masse der Abstürze ging auf das Konto vermeintlich technischer Gründe. Die Ursachen lagen jedoch auch in der Binnenorganisation der Luftwaffe. Es fehlten qualifizierte Techniker und in der Folge genügend einsatzklare Maschinen; die Piloten flogen demnach zu wenig und erwarben zu wenig Erfahrung im Umgang mit dem Flugzeug. Es gab auch zu wenig Triebwerkvorwärmgeräte, um die Maschinen entsprechend vorzuheizen, von Hallen ganz zu schweigen: Die teuren »Vögel« standen überwiegend im Freien! Hinzu kam ein aus Sicht der Piloten unzureichender Schleudersitz, bei dem die Sitz-Mann-Trennung nicht reibungslos 16 Privatbesitz Wolf Steinhoff General Johannes Steinhoff Johannes Steinhoff als Generalleutnant und Inspekteur der Luftwaffe nach einem Flug mit der Lockheed F-104G Starfighter in Büchel beim Jagdbombergeschwader 33. General Steinhoff machte sich immer wieder ein Bild von den Belastungen und Anforderungen, die an Piloten der Luftwaffe gestellt wurden. funktionierte; es kam vor, dass der Sitz den Piloten erschlug. Das Problempaket F-104 war also sehr komplex und nicht mit einigen wenigen Maßnahmen zu beheben. Der Stellvertreter des Obersten Alliierten Befehlshabers Europa (Deputy SACEUR), Sir Thomas Pike, beschrieb 1966 die Krise: »Hoher politischer Druck, einen entsprechend hochwertigen Beitrag auch im Rahmen der nuklearen Abschreckung zu leisten, geringe Erfahrungen mit technischen Systemen der F-104Generation auf Grund der Unterbrechung zwischen 1945 und 1956 sowohl im fliegerischen als auch im technischen Bereich und zu wenige verfügbare Flugstunden für das tägliche Training. Dazu bestand die Führung der Luftwaffe nicht aus auf modernen Mustern erfahrenen Flugzeugführern.« Dies war eine gefährliche Kombination, die zu einer hohen Verlustrate führte, und eine verbale Spitze gegen den Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Panitzki, der noch Anfang 1966 versucht hatte, mit einem Systembeauftragten, Generalmajor Dietrich Hrabak, für das Waffensystem F-104 der Situation Herr zu werden. Hrabak hatte zwar schnell zahlreiche Einzelmaßnahmen definiert; der Umsetzung stand jedoch die Bürokratie im Wege. Der Leidtragende, Panitzki, konnte bei Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel kein Gehör finden und reichte am 12. August 1966 seinen Abschied ein. Der Minister lehnte ab, Panitzki Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 tat, was verständlich, aber nicht opportun war: Er gab ein Interview, in dem er auf die Situation einging, Lösungsvorschläge präsentierte und das eigene Ministerium angriff. Die Folge war am 24. August 1966 seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand. An der Spitze der Luftwaffe An diesem Tag wurde Johannes Steinhoff zum Minister befohlen. Er solle die Luftwaffe übernehmen und die Krise meistern. Aus einem Tag Bedenkzeit wurden zehn. Steinhoff forderte vom Minister konkrete Vollmachten, um die Luftwaffe den Erfordernissen der Zeit anzupassen. Angesichts der militärischen Zwänge und des politischen Drucks gab von Hassel den Forderungen des Generals nach, der den Umbau der Luftwaffe in Angriff nahm, um die Strukturprobleme zu lösen. Steinhoff begann mit der Behebung der Starfighter-Probleme. Die Einführung eines technischen Gefechtsstandes in den Geschwadern und die Zentralisierung der Logistik auf Verbandsebene ging einher mit der Verbesserung der Techniker-Ausbildung. Hinzu kam die Einstellung einiger Hundert ziviler Techniker aus der Luftfahrtindustrie. Durch Kooperation zwischen der Firma Lockheed und den Geschwadern wurde schnell die Zahl der einsatzfähigen Flugzeuge, die sogenannte Klarstandsrate, um 50 Prozent erhöht. Der Absturz von Arndt führte zur Ausstattung der Piloten mit Seenotausrüs- Luftwaffe fortan effizienter gegliedert, die Zuständigkeiten waren dort angesiedelt, wo sie gebündelt dem System dienten. Diese Kraftanstrengung, der Umbau der Luftwaffe, vollzog sich indessen erst nach Abschied Steinhoffs aus der Luftwaffe. Er hatte den Umbau begonnen, die Strukturen vorgegeben und konnte nunmehr von seinem neuen Amt aus den Umbau verfolgen. Chairman der NATO Helmut Schmidt, zwischen 1969 und 1972 Bundesverteidigungsminister, sagte einmal über Steinhoff: »Der steckt zehn Staatssekretäre in die Tasche!« Die in dieser Aussage enthaltene Wertschätzung verdeutlicht, dass der machtbewusste SPD-Politiker in dem Luftwaffengeneral einen durchaus erfolgreichen, aber eben auch konstruktiv kritischen Mitstreiter im Ministerium gefunden hatte. Nach vier Jahren an der Spitze der Luftwaffe wurde Steinhoff am 24. September 1970 zum Vorsitzenden des Militärausschusses der NATO gewählt. Am 1. April 1971 trat er sein Amt an. Die folgenden drei Jahre bis zu seiner Pensionierung am 31. März 1974 waren von seinen Sorgen um den Zustand der NATO geprägt. Nationale Differenzen, militärpolitische Zwänge und vor allem die aus seiner Sicht nicht immer angemessenen Anstrengungen der Partnernationen prägten einen NATOkritischen Steinhoff. Sein Buch »Wo- hin treibt die NATO?« spiegelt dies wider. Am 31. März 1974 schied General Johannes Steinhoff aus dem Dienst. Medien und Kameraden schätzten an Steinhoff dessen analytische Schärfe, militärpolitischen Weitblick, persönliche Integrität und Courage als herausragende Charaktereigenschaften. Zeitzeugen sehen in ihm eine herausragende, aber auch komplexe Persönlichkeit. Sie stimmen dabei darin überein, dass es wohl die Schrecken des Krieges einschließlich seines persönlichen Schicksals waren, die ihn prägten. Sein Ziel war eine funktionelle, leistungsfähige Luftwaffe in der Bundeswehr, eine den Ansprüchen entsprechende Technik und ein für die Aufgaben bestmöglichst qualifiziertes Personal. Dieses Ziel hat er erreicht. Heiner Möllers Literaturtipps: Bernd Lemke, Dieter Krüger, Heinz Rebhan und Wolfgang Schmidt, Die Luftwaffe 1950–1970. Konzeption, Aufbau, Integration, München 2006 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, Bd 2) Johannes Mohn (Hrsg.), Deutsche Starfighter. Die Geschichte der F-104 in Luftwaffe und Marine der Bundeswehr. Recherchiert und geschrieben von Klaus Kropf, Köln 1994 ullstein – Camera Press Ltd. tungen mit Peilsendern, neuen Fallschirmtrennschlössern, signalroten Overalls für den Flugbetrieb und zur Einführung eines Lehrganges »Überleben See«. Hinzu kam die Ausstattung aller F-104 mit dem sichereren MartinBaker-Schleudersitz GQ7A. »Fliegen, Fliegen, Fliegen«, lautete Steinhoffs Lösung. Um das Waffensystem zu beherrschen, musste der Pilot fliegerische Erfahrung gewinnen. Dazu waren Flugstunden erforderlich, Voraussetzung waren genügend flugklare Maschinen. Diese konnten nur durch eine effiziente Geschwaderorganisation im Bereich Technik und durch qualifiziertes Personal bereitgestellt werden. Kein Kommodore konnte einfach Fachleute einstellen, dazu bedurfte es des Inspekteurs der Luftwaffe an höchster Stelle. Steinhoff vollzog ab 1968 den Umbau der Organisation der Luftwaffe, in der er bereits 1964 strukturelle Defizite erkannt hatte, wie eben auch Werner Panitzki seit 1963, und die nach seiner Auffassung die wirklichen Ursachen für die Starfighter-Krise waren: Die Luftwaffe wurde in Luftangriffs- und Luftverteidigungsdivisionen gegliedert und strukturiert. Die Lufttransportverbände wurden unter einem Lufttransportkommando zusammengefasst. 1970 folgte mit der Luftwaffenstruktur 70 der große Wurf: Die Einsatzluftwaffe wurde unter dem Kommando Luftflotte zusammengefasst. Sie trat die Nachfolge der Luftwaffengruppenkommandos Nord und Süd an, die, aufgrund ihrer Angliederung an die beiden (NATO-)Allied Tactical Air Forces (ATAF) unterschiedlich geprägt waren: eine war amerikanisch, eine britisch dominiert. Die Luftwaffe bestand damals operativ sozusagen aus zwei Luftwaffen. Die logistischen Verbände und Einrichtungen wurden dem Luftwaffenunterstützungskommando unterstellt. Unter dem neu formierten Luftwaffenamt fanden sich diejenigen Verbände, die Ausbildungs-, fernmeldeelektronische-, Führungs- und Lufttransportaufgaben für die Luftwaffe und die übrige Bundeswehr wahrnahmen. Diese »Kommandolösung«, die Steinhoff in Anlehnung an die funktionale Ausrichtung der United States Air Force (USAF) durchsetzte, sollte sich in der Luftwaffe bewähren und bis 1991 Geltung haben. Tatsächlich war die Johannes Steinhoff als Vorsitzender des Ständigen Militärausschusses der NATO in Brüssel, im Gespräch mit seinem Nachfolger, dem britischen Field Marshall Michael Carver (l.), 1973. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 17 Die Invasion 1944 »Unternehmen Overlord«: Anlandung von Truppen des V. US-Korps am Strandabschnitt »Omaha«, 7./8. Juni 1944. Die Invasion 1944 – Wende im Zweiten Weltkrieg? A m Morgen des 6. Juni 1944 marschierten in einem durch die Gezeiten festgelegten Zeitfenster ab 06:30 Uhr über 4800 Landungsund über 500 alliierte Kriegsschiffe sowie mehr als 11 000 Flugzeuge zwischen Cherbourg und Caen in der Normandie auf. Dies bildete nicht nur den Auftakt zum größten amphibischen Landungsunternehmen in der Militärgeschichte, sondern führte in Folge zum Zusammenbruch des deutschen Westheeres. Innerhalb von nur drei Monaten standen die westalliierten Heeresgruppen unter dem Oberbefehl des US-amerikanischen Generals Dwight D. Eisenhower in Paris und nur noch 100 km von der Reichsgrenze 18 entfernt. War somit das Unternehmen »Overlord«, wie die Landung in der Normandie genannt wurde, der entscheidende Schritt zur Niederringung der nationalsozialistischen Diktatur? Der Aufbau der »Zweiten Front« Die Planungen für eine mögliche Landung der Alliierten und somit die Schaffung einer »Zweiten Front« – neben der (Ost-)Front in der Sowjetunion – hatten höchste strategische und politische Priorität. Die Bedeutung des westeuropäischen Kriegsschauplatzes war eng verbunden mit der Politik der Koalitionsstrategie zwischen den Briten, Amerikanern und der Sowjet- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 ullstein – ddp union gegen das nationalsozialistische Deutschland. Die Wehrmacht, als Machtinstrument der NS-Diktatur, hatte zwischen 1939 und 1941 einen Furcht einflößenden Eroberungskrieg und spätestens seit Sommer 1941 in der Sowjetunion auch einen ideologisierten Vernichtungsfeldzug geführt. Doch hielt bereits der Winter 1941 eine Wende bereit. Vor Moskau blieb der deutsche Angriff stecken; seitdem mussten sich die deutschen Truppen an der Ostfront einem kräftezehrenden Ringen mit der Roten Armee stellen. Gleichzeitig weitete sich mit dem Angriff Japans auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 sowie der deutschen Kriegserklärung an die USA ullstein bild Konferenz von Casablanca im Januar 1943, v.l.n.r.: General Henri-Honore Giraud, Franklin D. Roosevelt, General Charles de Gaulle, Winston S. Churchill. der bislang auf Europa und Nordafrika begrenzte Krieg zu einem Weltkrieg aus. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass die USA bereits zuvor die Briten in ihrer Kriegführung vor allem mit Lieferung von Rüstungsmaterial unterstützt hatten. Amerikanische und britische Offiziere trafen sich schon seit der Niederlage Frankreichs im Sommer 1940 regelmäßig, um über die Lage Großbritanniens und die Rolle der USA im Krieg gegen die Achsenmächte zu beraten. Ab März 1941 verfolgten beide Seiten die Strategie, zuerst in Europa und danach im Pazifik für Frieden zu sorgen; sie nannten diese »Europe First«. Nach dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 trafen sich der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston S. Churchill zu Beratungen. Die obersten Militärgremien beider Staaten schlossen sich zu den Combined Chiefs of Staff zusammen. Um die Jahreswende 1941/42 wurde »Europe First« offiziell verabschiedet. Seitdem war eine Invasion in Frankreich Gegenstand von Planungen und Verhandlungen. Die USA begannen Truppen aufzustellen, auszubilden und auszurüsten, um diese in Großbritannien bereitzustellen. Amerikaner und Briten waren sich jedoch zunächst nicht einig, wann und wo eine Landung Erfolg versprechend sein könnte. Die USA bevorzugten frühzeitig Frankreich, das Vereinig- te Königreich befürwortete Nordafrika. Das Unternehmen »Torch«, die Landung der Alliierten im November 1942 in Nordafrika, war letztlich das erste Ergebnis dieses Ringens. Im Zuge der Kämpfe in Tunesien gegen das ausweichende Deutsche Afrikakorps trafen sich die alliierten Führer dann im Januar 1943 in Casablanca, wo u.a. beschlossen wurde, die Invasion in Frankreich auf 1944 zu verschieben und den Schwerpunkt zunächst auf das Mittelmeer zu verlegen. Im Juli 1943 erfolgte die Landung auf Sizilien und im September 1943 in Italien. Schließlich setzten die militärisch stärker werdenden und somit die Allianz im Westen dominierenden USA Mitte 1943 ihre Vorstellungen gegen ihren britischen Verbündeten durch: Das folgende Jahr sollte die Landung in Frankreich sehen. Unterstützt wurden die USA durch den sowjetischen Diktator Josef Stalin, der die Westalliierten immer lauter zur Eröffnung einer »Zweiten Front« in Frankreich drängte. Der Plan für »Overlord« wurde im Dezember 1943 fertiggestellt. Auf der Konferenz von Teheran legten »Die großen Drei« die Operation und eine weitere flankierende Landung in Südfrankreich (»Anvil« bzw. später »Dragoon«) als Schwerpunkte für 1944 fest. Noch im Februar 1944 unternahm Churchill den Versuch, »Overlord« zugunsten einer Landeoperation im östli- chen Mittelmeerraum (Italien oder Balkan) zu verhindern. Hierin offenbarten sich die unterschiedlichen Interessen Großbritanniens und der Sowjetunion. Großbritannien sah seine Stellung im Mittelmeer gefährdet, überließe man der Sowjetunion das Operationsgebiet Balkan. Zudem hätte eine dortige Landung der Westalliierten eine Ausdehnung der sowjetischen Einflusssphäre in Osteuropa verhindert. Dies wiederum konnte nicht in Stalins Interesse liegen. Er drängte die Westalliierten auf die Errichtung einer »Zweiten Front«. Letztlich war es aber Roosevelt, der sich gegenüber Churchill durchsetzte und sowohl das Jahr 1944 als auch Frankreich als geeigneten Raum für das entscheidende Landungsunternehmen in Europa festlegte. Der Verlauf der Landung Für die Landung hatten die Verbündeten in Großbritannien insgesamt 38 Divisionen bereitgestellt. Die Soldaten stammten aus den USA, Großbritannien und Kanada. Aber auch polnische und französische Exiltruppen nahmen an den Kämpfen in der Normandie und in Frankreich teil. Die Alliierten griffen in den Morgenstunden des 6. Juni mit einer Heeresgruppe unter General Bernard L. Montgomery an. Der Landungsstrand erstreckte sich auf etwa 100 km zwischen St. Mère-Eglise im Westen und Ouistreham im Osten. Er umfasste fünf Landungssektoren, die ihrerseits jeweils bis zu 10 km breit waren. Den US-Streitkräften waren dabei die westlichen Sektoren UTAH und OMAHA zugeteilt. Dort hoffte man später Atlantikhäfen zu erobern, um so den benötigten Nachschub aus den USA direkt anlanden zu können. Die US-Streitkräfte griffen am 6. Juni mit der 1. US-Armee und den nachgeordneten VII. und V. US-Korps an. Jedes Korps landete zunächst mit einer Division, der 4. Division an UTAH und der 1. Division an OMAHA. Die Commonwealthtruppen griffen an den östlichen Strandabschnitten GOLD, JUNO und SWORD an. Sie waren in der 2. britischen Armee mit dem XXX. brit. und dem I. brit. Korps zusammengefasst. Auf GOLD griff die 50. brit. Division, auf JUNO die 3. kanadische Division und auf SWORD die 3. brit. Division an. Ihnen standen auf deutscher Seite Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 19 Die Invasion 1944 sieben Divisionen gegenüber. Insgesamt verfügte der deutsche Oberbefehlshaber West über etwa 60 Divisionen in ganz Frankreich; davon waren jedoch weit über die Hälfte sogenannte bodenständige Divisionen und solche mit nur eingeschränktem Kampfwert. Die übrigen kampfstarken motorisierten und gepanzerten Infanterie- und Panzerdivisionen hatten Verfügungsräume weiter im Landesinneren bezogen. Es benötigte daher erhebliche Zeit, sie an den Landungsort heranzuführen, zumal die drückende alliierte Luftüberlegenheit die deutschen Bewegungen massiv behinderte. Erschwerend kam hinzu, dass die deutsche Reaktion auf die Landung durch Kompetenzüberschneidungen, unklare Befehlslagen und das Fehlen eines von den verschiedenen Befehlshabern getragenen operativen Konzeptes geprägt war. In der Nacht unmittelbar vor der Landung bombardierten alliierte Flugzeuge die deutschen Festungsbatterien; zudem setzten Luftlandeunternehmen in der Westflanke (82. und 101. USLuftlande-Division) und der Ostflanke (6. brit. Luftlande-Division) ein. Nach den nächtlichen Bombardements eröffnete die Schiffsartillerie ihr Deckungsfeuer. In deren Schutz fuhren die Landungsboote vor, ließen ab etwa 4000 Yards (ca. 3,7 km) vor der Küste Schwimmpanzer zu Wasser, welche die in der Regel später anlandende Infanterie entscheidend unterstütz- 20 ten. Die deutschen Verbände leisteten hartnäckigen Widerstand, waren aber sowohl materiell als auch personell unzureichend ausgestattet. Den Landungsabschnitt JUNO verteidigten beispielweise nur wenige Kompanien der 716. Infanteriedivision. Schon am ersten Tag erzielten die Alliierten Geländegewinne von bis zu sechs Kilometern Tiefe. Entscheidende deutsche Gegenangriffe blieben aus, weil geeignete Verbände zu weit entfernt waren, ihre Verlegung durch die alliierte Luftwaffe verzögert oder sie ganz vernichtet wurden. Erst bei Caen kamen die britischen Truppen zum Stehen. Während es hier den deutschen Verbänden gelang, unter verlustreichen Gefechten den Vormarsch des Gegners zu verzögern, konnten die USStreitkräfte nach anfänglichen Schwierigkeiten im Sektor OMAHA zunächst die Halbinsel Cotentin erobern und schließlich weiter südlich den entscheidenden Durchbruch aus dem Brückenkopf in der Normandie erzielen. Der Ausbruch aus dem Brückenkopf Bis Ende Juli vermochte die Wehrmacht, die gegnerischen Soldaten zwischen der Halbinsel Cotentin und Caen im Brückenkopf zu halten. Das VII. US-Korps stieß jedoch am 26./27. Juli bei St. Lô und schließlich am 31. Juli bei Avranches durch die gegnerische Front. In dieser Situation befahl Hitler einen Gegenan- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 griff mit Panzerdivisionen. Dazu mussten kampfstarke gepanzerte Verbände aus dem Raum Caen abgezogen werden, die bislang erfolgreich die Angriffe der britischen und kanadischen Truppen abgewehrt hatten. Der Gegenangriff nach Westen blieb jedoch nach anfänglichen Erfolgen im Feuer der alliierten Schlachtflieger liegen. Von diesen erlittenen Verlusten erholten sich die deutschen Truppen in der Normandie nicht mehr. Innerhalb kürzester Zeit stießen die Amerikaner weiter nach Süden vor, drehten nach Osten ein und überflügelten die deutschen Divisionen. Gleichzeitig hatte der Abzug der deutschen Panzerverbände aus dem Raum um Caen ebendort einen Durchbruch der Commonwealthtruppen ermöglicht. Beide alliierte Bewegungen führten zu einer Einkesselung der deutschen Verbände im Raum Falaise am 20./21. August. In diesem Kessel, in dem über 100 000 deutsche Soldaten eingeschlossen waren, fielen etwa 10 000 Mann, weitere 50 000 gerieten in Gefangenschaft. Etwa 40 000 deutsche Soldaten konnten aus dem Kessel entkommen. Gleichzeitig stießen weiter südlich US-Verbände nach Osten auf Paris vor. Der Ausbruch aus dem Brückenkopf Normandie wurde seit dem 15. August durch die Operation »Dragoon«, der Landung westalliierter Truppen in Südfrankreich, flankiert. Für das deutsche Westheer gab es kein Halten mehr. Der Rückzug aus der Normandie, aber auch aus Südfrankreich verlief nicht mehr planmäßig, an vielen Stellen wirkte er wie eine panikartige Flucht. Der alliierte Angriff kam erst im Herbst, etwa 100 km vor der deutschen Reichsgrenze, zum Stehen. Der Grund für diesen Halt lag u.a. an den überdehnten alliierten Versorgungslinien, die zu ernsthaften Nachschubkrisen führten. Die Pause ermöglichte noch einmal eine Konzentration deutscher Verbände, die schließlich im Dezember 1944 in der »Ardennenoffensive«, der letzten deutschen Offensive im Westen, gipfelte. Die Westalliierten landeten bis Anfang September etwa 1 234 000 amerikanische und 825 000 Soldaten des Commonwealth. Die Verluste auf beiden Seiten waren hoch. Die Wehrmacht verlor allein in diesen Kämpfen des Sommers 1944 über eine halbe Millionen Soldaten an der Westfront. Brachte die Invasion die Wende im Zweiten Weltkrieg? ullstein – LEONE Im Zuge der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag konnte der Eindruck entstehen – so übrigens auch, wenn man in die Normandie reist –, alleine die alliierte Landung in der Normandie habe über den Ausgang des Krieges entschieden. Dies ist nur eingeschränkt richtig. Die Invasion bestimmte maßgeblich die Machtverteilung in Europa nach dem Krieg. Die deutsche Niederlage aber war bereits lange vorher auf anderen Schlachtfeldern erzwungen worden. Dass das Reich den Krieg vermutlich nie hätte gewinnen können, lag wohl nicht zuletzt an den schier unerschöpflichen Ressourcen der USA. Dass es den Krieg aber verlor, gründet in erster Linie an den »Leistungen« der Sowjetunion (Bernd Wegner). Dass diese und die damit verbundenen Opfer nach 1945 in Westeuropa eher in den Hintergrund gedrängt wurden, geht auf die Konfrontation zwischen Ost und West im Kalten Krieg zurück. Andererseits schlachtete die Sowjetunion ihren Beitrag zum Sieg der Alliierten nach 1945 propagandistisch aus. Letztlich hätte das westliche Zugeständnis der ungeheueren Leistungen der Sowjetunion aber auch eine Legitimierung ihres Handelns nach 1945, nämlich der Besetzung halb Europas und der kommunistischen und diktatorischen Neuordnungspolitik, bedeutet, was nicht im Interesse der Westalliierten und des »freien« Europas liegen konnte. Deutlich wird dies auch daran, dass im Zuge der Feierlichkeiten zum D-Day der Operation »Bagration«, der beinahe zeitgleichen sowjetischen Offensive, welche die Heeresgruppe Mitte zusammenbrechen ließ, in den westlichen Medien oder der Öffentlichkeit kaum gedacht wurde. Dieser ersten Offensive vom 22. Juni 1944 (zugleich der 3. Jahrestag des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion), die etwa 2,5 Millionen Rotarmisten, 45 000 Geschütze, mehr als 6000 Panzer und über 8000 Flugzeuge umfasste, schlossen sich zwei weitere auf die obere Weichsel und nach Rumänien und Bulgarien an. Das Unternehmen »Bagration« war mit einer Frontlänge von über 1100 km und 600 km Tiefe eine der größten Einzeloperationen der Militärgeschichte. Es führte gleichzeitig auch zur größten deutschen Niederlage, die den Zusammenbruch des Ostheeres nach sich zog. In der Folge der weiteren Offensive schieden Bulgarien, Rumänien und Finnland aus dem Krieg aus. Die Sowjetunion begann in Osteuropa und im Baltikum eine politische Neugestaltung: Sie verschob ihre Einflusssphäre nach Westen. Die Landung der Westalliierten in Frankreich eröffnete eine »Zweite Front«, deren Bedeutung für den Ausgang des Zweiten Weltkrieges im Zuge der politischen Auseinandersetzungen des Kalten Krieges medial stets besonders hervorgehoben wurde. Die Leistungen und Opfer der Roten Armee – der Armee einer Diktatur und der Armee des »Systemgegners« – standen im Schatten dieser »Zweiten Front«. Ungeachtet dessen signalisierten der Zusammenbruch der deutschen Heeresgruppe Mitte an der Ostfront und der Ausbruch der Westalliierten aus dem Brückenkopf der Normandie das nahe Kriegsende. Der wichtigste Kriegsschauplatz in Europa war jedoch die Ostfront, an welcher die Wehrmacht seit Winter 1941 einem Auszehrungsprozess unterlag, dessen Ursachen in der »völligen Asymmetrie« (Bernd Wegner) der wirtschaftlichen und personellen Ressourcen der am Krieg beteiligten Mächte zu suchen sind. Sowohl der politische als auch der militärische Handlungsspielraum der deutschen Führung nahmen von Kriegsjahr zu Kriegsjahr ab. Sie schwanden in dem Maße, wie sich die Funktionszusammenhänge zwischen den einzelnen Fronten zu einem engmaschigen Netz verdichteten, in dem die Wehrmacht sich immer mehr verfing und so einen Kampf führte, der spätestens seit der Wende vor Moskau 1941 nicht mehr zu gewinnen war. Thorsten Loch Literaturtipps: Deutsche Soldaten während der Ardennenschlacht in einem Dorf östlich von Malmedy, um den 22. Dezember 1944. Hans Umbreit (Hrsg.), Die Invasion, Hamburg, Berlin, Bonn 1998 (= Vorträge zur Militärgeschichte, Bd 16) Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann (Hrsg.), Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 21 Service Das historische Stichwort Warnstreiks im Hüttenwerk Warszawa bei Warschau: demonstrierende Arbeiter mit Protestplakaten und Spruchbändern, auf denen auch für die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc demonstriert wird, 1980. A m 31. August 1980 ließ die Regierung der Volksrepublik Polen (VRP) offiziell die Gewerkschaft Solidarność (Solidarität) zu. Diese im ersten Moment wenig spektakulär wirkende Maßnahme besaß vor der Kulisse des Kalten Krieges ihre eigene Tragweite: zum ersten Mal seit dem Beginn der Blockkonfrontation war es in einem sozialistischen Land zur Gründung und staatlichen Bestätigung einer unabhängigen Gewerkschaft gekommen. Dadurch wurde das sozialistische Selbstverständnis, demzufolge Partei und Staatsorgane die Interessen der Arbeiterschaft wahrnehmen, grundsätzlich in Frage gestellt. Es ist vor dem Hintergrund der weltweiten Auseinandersetzung zweier unterschiedlicher politischer Systeme kaum verwunderlich, dass die Entwicklungen in der VRP die anderen sozialistischen Staaten stark beunruhigten. Ein Ausscheren einzelner Länder aus dem sozialistischen Gleichschritt konnte unter keinen Umständen toleriert werden. Nicht zuletzt aufgrund des blockinternen Drucks auf die polnische Regierung kam es daraufhin am 13. Dezember 1981 zur nationalen Verhängung des Kriegsrechts, um eine eventuell bevorstehende Intervention von Truppen des Warschauer Vertrages zu verhindern. Die Führung von 22 ullstein – PAI-Foto.pl Die Polenkrise 1980/81 Solidarność wurde interniert, die Arbeit der Gewerkschaft verboten. Am 8. Oktober 1982 folgte ihre Auflösung. Die beginnende Demokratisierung wurde jedoch nur verzögert, verhindert werden konnte sie nicht mehr. Es waren vor allem politische und ökonomische Faktoren, die zum Zusammenbruch vieler sozialistischer Staaten und zur Beendigung des Kalten Krieges geführt haben. Weitreichende ökonomische Probleme waren bei einigen Mitgliedern der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) bereits zum Beginn der 70er Jahre unübersehbar. Dies galt auch für die VRP. Um finanzielle Probleme des Staatshaushaltes zu mildern, ließ der damalige Generalsekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP), Władysław Gomułka (1905-1982), im Dezember 1970 die Preise für Lebensmittel drastisch anheben. Das Resultat dieser Verteuerung waren weit verbreitete Unruhen, die blutig niedergeschlagen wurden. Gomułkas Nachfolger seit Dezember 1970, Edward Gierek (1913–2001), versuchte der andauernden Missstimmung in der Gesellschaft durch die Rücknahme der Preiserhöhungen und eine Subventionierung von Lebensmitteln entgegenzuwirken. Er erhoffte sich durch die Aufnahme weiterer Auslandskredite Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 positive Auswirkungen auf die eigene Wirtschaft. Als derartige Effekte ausblieben, versuchte er 1976 erneut, die Lebensmittelpreise zu erhöhen. Wiederum kam es in der Bevölkerung zu Unruhen, die niedergeschlagen wurden. Es gelang Gierek in der Folge der Aufstände von 1976 nicht, die polnische Wirtschaft und den Staatshaushalt zu sanieren. Es mussten immer neue Kredite von westlichen Staaten aufgenommen werden, um die Zahlungsunfähigkeit zu verhindern. Einen Großteil der Staatskosten machten Subventionsausgaben aus, die aufgrund der maroden Staatsfinanzen drastisch gesenkt werden mussten. Aus diesem Grund wurden die Preise für Fleisch zum 1. Juli 1980 verdoppelt. Wie bereits in den Jahren 1970 und 1976 kam es zu Unruhen und Streiks im ganzen Land. Zentrum des Widerstandes war die Leninwerft in Danzig. Dort wurde der Streik am 14. August 1980 ausgerufen, nachdem zuvor die Kranführerin Anna Walentynowicz (geb. 1929), eine Symbolfigur der Unruhen von 1970, entlassen worden war. Die Streikenden in Danzig forderten aber nicht nur die Wiedereinstellung ihrer Mitstreiterin und die Zurücknahme der Preiserhöhungen für Lebensmittel, sondern auch eine grundlegende Liberalisierung des politischen Systems. Aus der Streikbewegung der Arbeiter in Danzig formierte sich unter Führung des charismatischen Elektrikers Lech Wałęsa (geb. 1943) die Gewerkschaft Solidarność. Zentrale Ziele waren die Freilassung aller politischen Gefangenen, die Gewährung des Streikrechts, die Anerkennung als freie Gewerkschaft und der Zugang zu den Medien unter Aufhebung der Zensur. Das sozialistische System an sich wurde nicht in Frage gestellt. Solidarność als Interessenvertretung der Arbeiter wurde in diesen Zielen von regimekritischen Intellektuellen wie Tadeusz Mazowiecki (geb. 1927), 1989 erster nichtkommunistischer Ministerpräsident Polens seit Ende des Zweiten Weltkriegs, und Teilen der katholischen Kirche unterstützt. Nach der Besetzung des Werftgeländes in Danzig gelang es Wałęsa am 31. August 1980, von der Regierung die Zulassung von Solidarność als freie Gewerkschaft zu erzwingen. Auch wenn es nicht in der Absicht der neugegründeten Gewerkschaft lag, wurde doch durch ihre bloße Existenz das bestehende System in Frage gestellt und das sozialistische Selbstverständnis konterkariert. Dieser Konflikt offenbarte sich auch innerhalb von Solidarność; in zahlreichen Debatten wurde diskutiert, ob man lediglich als Gewerkschaft oder auch als politischgesellschaftliche Kraft auftreten sollte. Stanisław Kania (geb. 1927), der Gierek am 6. September 1980 als Generalsekretär der PVAP abgelöst hatte, konnte die ökonomischen Probleme schaffte es nicht, sich produktiv an der Behebung der politischen und wirtschaftlichen Probleme zu beteiligen. Indes wuchs der außenpolitische Druck. Vor allem die DDR strebte aufgrund der geostrategischen Lage Polens eine schnelle Beendigung der »Konterrevolution« im Nachbarland an. Im Oktober 1981 wurde General Wojciech Jaruzelski (geb. 1923), bis dahin Ministerpräsident und Verteidigungsminister, zum neuen Ersten Sekretär des Zentralkomitees der PVAP bestimmt. Auf seinen Befehl hin wurde am 13. Dezember 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt, die Arbeit von Solidarność verboten. Bis heute ist umstritten, ob der General damit einer Invasion seines Landes zuvorkam. Zu einer militärischen Intervention in Polen ist es nie gekommen. Stattdessen kam es aufgrund anhaltenden Drucks seitens der WVO zu einer »nationalen Lösung«. Als das Kriegsrecht am ullstein – AP ullstein – UPI General Wojciech Jaruzelski verkündet am 13.12.1981 in einer TV-Ansprache das Kriegsrecht. Polens ebenfalls nicht mildern. Folge waren weitere Streikwellen, die das Land lähmten und das volle Ausmaß der wirtschaftlichen Krise offen legten. Die VRP war nicht mehr stabil, der Regierung entglitt in zunehmenden Maße die Kontrolle. Die politische Instabilität Polens wirkte aber nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Ein gesellschaftlicher Umbruch konnte nicht toleriert werden, würde doch so der Sozialismus an sich, und nicht zuletzt die Machtbasis der Regime der anderen WVO-Staaten in Frage gestellt. Eine derartige Entwicklung war nicht völlig abwegig, gingen doch die Mitgliedszahlen der PVAP deutlich zurück, während Solidarność gesamtgesellschaftlichen Zulauf aufweisen konnte. Die politischen Eliten der WVO kamen daher am 5. Dezember 1980 in Moskau zu einer Krisensitzung zusammen, um über das weitere Vorgehen in Bezug auf Polen zu beraten. Vor allem die Re- Nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen am 13.12.1981: Demonstranten werden von der Polizei mit Tränengas auseinander getrieben. gierungschefs der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), Bulgariens und der Tschechoslowakei befürworteten eine militärische Intervention der WVO in Polen. Erich Honecker bot sogar eine deutsche Division für eine Invasion an. Die Regierungschefs Rumäniens und Ungarns setzten hingegen auf eine politische Lösung des Konflikts, die auch von der Sowjetunion favorisiert wurde. Aus diesem Grund unterblieb eine militärischen Intervention vorerst, man behielt sich diese Option aber vor. Die polnische Regierung war trotz eines drohenden Militärschlags nicht in der Lage, grundlegende Entscheidungen zu treffen. Auch Solidarność 22. Juli 1983 aufgehoben wurde, waren über 13 000 Gewerkschaftler und Oppositionelle interniert worden. 800 000 Bürger, vor allem Akademiker, hatten ihr Heimatland verlassen. Doch auch wenn das System noch einige Jahre weiterbestehen konnte, seine Auflösung hatte unwiderruflich begonnen: mit dem Beginn von Perestroika und Glasnost in der Sowjetunion änderten sich auch die politischen Rahmenbedingungen in Polen. Am 5. April 1989 wurde Solidarność wieder staatlich anerkannt, Polen nach den ersten freien Wahlen im Juni 1989 eine parlamentarische Demokratie. Erster Präsident wurde Lech Wałęsa. Julian-André Finke Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 23 Service Medien online/digital Lange Kerls Legendäre »lange Kerls«. Ausgewählte Quellen zur Regimentskultur der Königsgrenadiere Friedrich Wilhelms I. 1713– 1740. Ein Hörbuch von Jürgen Kloosterhuis, in Zusammenarbeit mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg, Berlin 2006 (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Hörbuch 1), CD-ROM mit Abbildungsteil. ISBN 3-923579-08-2, 15,00 € rich Wilhelm I.«. Zu Wort kommen darüber hinaus eine »Chronistin«, ein »Kabinettssekretär«, der »Oberstleutnant von Einsiedel« sowie »König Friedrich II.«. Musikalisch untermalt werden die Ausführungen durch historisch exakte Einspielungen von Dienststücken und Märschen aus der Zeit des Soldatenkönigs. mn world wide web 1848 im Internet http://www.ub.uni-heidelberg. de/helios/fachinfo/www/gesch/ blic1848.htm Ein militärhistorisches Hörerlebnis der besonderen Art ist unter dem Titel Legendäre »lange Kerls« erschienen. Dabei handelt es sich um ein Hörbuch von Jürgen Kloosterhuis, das auf der Basis einer 2003 veröffentlichten Quellensammlung gleichen Titels entstanden ist. Während die voluminöse Quellenedition sich hauptsächlich an das historische Fachpublikum richtet, vermittelt das Hörbuch ein lebendiges Bild preußischer Militärgeschichte für jedermann. Mithilfe der sogenannten Minütenbände – Amtsbücher, in denen die Weisungen des Königs niedergeschrieben wurden – gelingt es Jürgen Kloosterhuis, dem Hörer einen Einblick in den Alltag und die Lebenswirklichkeit der Angehörigen der berühmten Gardetruppe zu gewähren und zugleich mit den gängigen Klischees aufzuräumen. So entpuppt sich die »Potsdamer Riesengarde« nicht nur als »luxuriöse Palasttruppe«, sondern auch als »hochbrisante Kampfgarde«. Die »langen Kerls« waren also mehr als nur eine teure Spielerei eines in das Militär vernarrten Monarchen. Das 3669 Mann starke Königsregiment Nr. 6 diente der preußischen Armee als Lehr- und Versuchstruppe, in der neue Exerzierreglements erprobt und ausgearbeitet wurden. Gesprochen werden die Kabinettsminüten auf der CD von »König Fried- 24 Unter den fachbezogenen Informationen der Universitätsbibliothek Heidelberg findet sich seit 1999 eine Sonderseite zur Revolution 1848/49. Darin lassen sich interessante Informationen und Hinweise auf andere Internet-Seiten zum Thema finden. Die Übersichtlichkeit durch die Auflistung der Verknüpfungen auf einer Seite und die Sortierung der Hinweise unter verschiedenen Rubriken/Überschriften erleichtern die Suche auf der Seite. Dort erhält man nicht nur die Hinweise auf die entsprechenden Seiten, sondern es werden zumeist auch ihre Inhalte kurz zusammengefasst wiedergegeben, soweit diese nicht aus dem Titel explizit hervorgehen. Des Weiteren werden bei Büchern deren Verfasser und dazu bereits veröffentlichte Rezensionen genannt. Auch diese sind, soweit online verfügbar, über einen Mausklick durch direkte Vernetzung zugänglich. Um sich einen ersten Überblick im Netz zu verschaffen, findet man unter der Rubrik »Übergreifend« Hinweise und Links zu historischen Einführungen, Forschungsseiten, themenbezogenen Enzyklopädien, Chroniken, Artikelsammlungen und Zusammenstellungen von Unterrichtsmaterialien. Zur »Vorgeschichte« gibt es derzeit nur drei Einträge, nämlich zwei Seiten Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 über Burschenschaften und einen Literaturhinweis. Die etwas umfangreichere Rubrik »Regional« verweist auf Seiten, die sich speziell mit den Revolutionen in Städten wie Mannheim, Offenburg, Berlin oder München beschäftigen. Hier findet man allerdings auch wichtige Persönlichkeiten in Verbindung mit ihrem Wirkungsort, wie beispielsweise Ludwig Feuerbach in Heidelberg. Eine Zusammenstellung sehr interessanter Seiten kann man unter »1848er in Amerika – Forty-Eighters in America« finden. Informationsseiten über die Revolutionsflüchtlinge oder auch Bibliografien ermöglichen weitere Recherchen. Unter »Persönlichkeiten« finden sich Seiten zu etwas mehr als 25 Beteiligten von 1848/49, darunter auch sieben Verweise auf Seiten zu Carl Schurz. Zum Schluss sind unter »Einzelaspekte« neben Seiten zu Turnvereinen und Flugschriften auch eine Anleitung zu einem 1848-Kartenspiel und eine Hörcollage als Textdatei aufgelistet. Zum Einstieg in die online verfügbaren Informationsseiten zu 1848 ist diese Seite optimal. http://lisa.mmz.uni-duesseldorf. de/%7Ehistsem/revolution/ Wer sich neu mit dem Thema 1848 beschäftigt, dem sei diese Infobox der Universität Düsseldorf empfohlen. Zwar konzentrieren sich die Macher der Seite auf den badischen Raum, doch lassen sich dort mithilfe der Themenübersicht Informationen zu allen wichtigen übergreifenden Begriffen finden. Nachdem ein Begriff gewählt ist, entscheidet das Interesse, ob im Ortsregister oder im Index danach gesucht werden soll. Die Indexaufstellung enthält Unterbegriffe mit teilweise speziellen geografischen Eingrenzungen. Das Ortsregister listet neben den gewünschten Informationen digital zu Regionen auch übergreifende Lexikoneinträge auf. Besonders interessant ist die umfangreiche Bibliografie, alphabetisch sortiert nach Autoren, in der die für die Seite verwendete Literatur gelb unterlegt ist. Schade nur, dass die Suchfunktion, welche schneller zum gewünschten Begriff führen würde, derzeit nicht funktioniert. http://www.uni-oldenburg.de/ nausa/1848/48start.htm Welche Rolle deutsche Auswanderer und Revolutionsflüchtlinge im Amerikanischen Bürgerkrieg gespielt haben, lässt sich auf dieser Seite der Universität Oldenburg nachlesen. Neben Zitaten der Beteiligten im historischen Kontext und in den Texten vorhandenen Links zu deren biografischen Daten werden ihre Aktivitäten im Bürgerkrieg in relativ chronologischer Folge abgehandelt. Die ca. 180 000–200 000 Deutschen, die in den Reihen der Union dienten, waren maßgeblich an wichtigen politischen wie militärischen Ereignissen beteiligt, ob als Befehlshaber oder als militärische Einheit. Die erste Seite widmet sich den Revolutionsflüchtlingen von 1848/49 und den Anfängen des Amerikanischen Bürgerkriegs, während auf der zweiten Seite schon die maßgebliche Beteiligung Deutscher am Verbleiben Missouris in der Union zurückverfolgt wird. Die nächsten drei Seiten behandeln die Aushebung der deutschen Regimenter und deren Verbindung zu den »Achtundvierzigern«. Des Weiteren werden die Schlachten beschrieben, in denen deutsche Einheiten kämpften, so zum Beispiel Gettysburg. Beim Klick auf die letzte Seite erhält man eine alphabetisch sortierte Liste der »Achtundvierziger«-Revolutionsflüchtlinge in den Vereinigten Staaten von Amerika. http://1848.ub.uni-frankfurt.de/ cgi-bin/uebersicht.rb Um sich eingehender mit der Geschichte der Revolution von 1848/49 zu beschäftigen, kann man die von der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main als PDF-Dokumente bereitgestellten Flugschriften nutzen. Die nach Personen, Orten, Chronologie und Signaturen sortierten Schriften lassen sich als JPG-Bild herunterladen oder durch einen Klick auf die Lupe rechts über dem Dokument als PDFDatei öffnen und beliebig vergrößern. Alles in allem wurden etwa 83 000 Seiten digitalisiert. Das früheste eingeordnete Dokument ist eine Karikatur aus dem Jahr 1842, während das Gros der Dokumente aus den Jahren 1848 bis 1850 stammt. Zu den Dokumenten erhält man weiterführende Informationen, wie den Entstehungszeitraum, genannte Orte und einen meist sehr hilfreichen Kommentar. Dank ihrer klaren Strukturierung und den beschriebenen Features ist diese Seite optimal für die Quellenarbeit geeignet. http://www.erinnerungsstaetterastatt.de/index.htm Der Internetauftritt der Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte in Rastatt informiert über die dortige Dauerausstellung, die von den Freiheitsbewegungen in der Frühen Neuzeit und den Revolu- tionen 1789 beziehungsweise 1848/49 über die Grundrechte und den langen Weg zur Demokratie von 1850 bis 1918 bis hin zum Widerstand in NS-Zeit, SBZ und DDR berichtet. Das Besondere an diesem Museum ist dessen pädagogisches Profil. Dieses macht die Erinnerungsstätte zu einem idealen Lernort für Exkursionen im Rahmen der historisch-politischen Bildung. Unter dem Menüpunkt »Museumspädagogik« lassen sich zur Vorbereitung erarbeitete Dokumente herunterladen und es werden ausführlich das methodische Vorgehen, die inhaltlichen Lernziele, die Zielgruppen, die benötigte Zeit und auch die Funktion der Übungen erläutert. Altersgerechtes, eigenverantwortliches und selbständiges Lernen steht dabei im Vordergrund. Es kann individuell auf die Bedürfnisse der Lerngruppe abgestimmt werden. Bezogen auf die Revolution von 1848/49 stehen folgende Themenkreise zur Auswahl: »Die Revolution 1848/49 im Überblick«, »Die Arbeit der Nationalversammlung« und »Die Revolution in Baden 1849«. Aber auch der Kreativität werden kaum Grenzen gesetzt: Ein Sketch aus dem Jahr 1848 kann nachgespielt werden, inszeniertes Lesen und das Schreiben von Gedichten werden ebenso angeboten wie eine Schreibwerkstatt zum Petitionsrecht oder die Erstellung einer Geschichtszeitung mit mehreren möglichen Rubriken. Dem Lerngruppenleiter wird unter »Downloads« eine optimale Vorbereitung mit den dort bereitgestellten Arbeitsmaterialien geboten. Mithilfe der Lernprogramme lassen die Besuchergruppen die Ausstellung nicht nur auf sich wirken, sondern beschäftigen sich intensiver und kritischer mit dem jeweils behandelten Thema. StS dig Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 25 Service Lesetipp Kriegsherren 1848/49 Spanischer Bürgerkrieg M W F Wolfram Siemann, 1848/49 in Deutschland und Europa. Ereignis – Bewältigung – Erinnerung, Paderborn 2006. ISBN 3-506-75673-7; 272 S., 19,90 Euro Antony Beevor, Der Spanische Bürgerkrieg, München 2006. ISBN 3-570-00924-6; 635 S., 26,00 Euro it einer Zusammenstellung von biografischen Skizzen ist es den Herausgebern Stig Förster, Markus Pöhlmann und Dierk Walter gelungen, in einem Bogen von der Antike bis in die Moderne 22 der bedeutendsten und wichtigsten historischen Persönlichkeiten unter dem Begriff »Kriegsherren« zu vereinen. Was diese Staaten- und Kriegslenker gemein haben sollen, ist ihre in einer Person vereinte politische und militärische Macht. Genau diese »Letztverantwortlichkeit eines Individuums für die gesamtstaatlichen Kriegsentscheidungen« zieht sich durch alle Epochen der Weltgeschichte. Dadurch erscheinen neben bekannten militärischen Führern wie Alexander der Große, Napoleon I. oder Josef Stalin auch Personen in diesem Band, die man nicht unbedingt mit dem Begriff des »Kriegsherrn« oder der »Kriegsherrin« in Verbindung bringt, so beispielsweise Abraham Lincoln (1809–1865) als ein demokratisch legitimierter Oberbefehlshaber oder die aus dem Hintergrund agierende chinesische Kaiserinwitwe Cixi (1835–1908). Alles in allem gelingt es den Autoren dieses Bandes, das Wirken der beschriebenen Männer und Frauen auf komprimierten Raum kenntnisreich darzustellen. StS Stig Förster, Markus Pöhlmann und Dierk Walter (Hrsg.), Kriegsherren der Weltgeschichte. 22 historische Portraits, München 2006. ISBN 3-406-54983-7; 415 S., 24,90 Euro 26 er mehr über die historischen Wurzeln der »Forty-Eighter« erfahren möchte, dem sei der Sammelband von Wolfram Siemann »1848/49 in Deutschland und Europa« empfohlen. Der Band, der anlässlich des 60. Geburtstags des Autors erschienen ist, umfasst 12 Aufsätze, die den Leser mit den zentralen Ereignissen der Revolution sowie deren Auswirkungen vertraut machen. Behandelt werden u.a. die Parteibildung in der Paulskirche, die sozialen Protestbewegungen, die Bedeutung von Nation und Nationalitäten, die Funktion der Presse, das politische System der Reaktion und der Umgang mit dem historischen Erbe der Revolution. Den Revolutionsflüchtlingen widmet sich der Beitrag »Asyl, Exil und Emigration der 1848er«. Darin zeigt Siemann auf, dass die Asylsuchenden von 1848/49 in der Praxis keineswegs immer »freundliche Aufnahme« fanden. Gerade vermeintlich liberale Länder wie Frankreich oder die Schweiz bemühten sich möglichst schnell um eine Ausweisung der ungeliebten Gäste, da man über die politische Ruhe im eigenen Land besorgt war. Einzig in den Vereinigten Staaten ließ sich der »Traum von der Freiheit« verwirklichen und so kämpften die ehemaligen Flüchtlinge der Revolution von 1848/49 im Amerikanischen Bürgerkrieg für ihre alten Ideale und das »Erbe von 1848«. Insgesamt bietet der Sammelband einen informativen Überblick über die wichtigsten Aspekte der Revolution. mn Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 ällt das Stichwort »Spanischer Bürgerkrieg (1936–1939)«, dann dürften »Legion Condor«, »Internationale Brigaden», »Guernica«, »Pablo Picasso«, »Wem die Stunde schlägt« und »Ernest Hemingway« wohl mit die bekanntesten Begriffe sein, die einem durch den Kopf gehen. Der Kriegsbeginn jährte sich 2006 zum siebzigsten Male und brachte eine Fülle von Neuerscheinungen hervor. Antony Beevors Buch geht dabei wohl am detailliertesten auf die Vielzahl der Gefechtshandlungen ein, ohne die politisch-multinationalen Dimensionen des »Bürgerkrieges« zu vergessen. Die innerspanischen Spannungen werden ebenso erwähnt wie die als »Säuberungen« bezeichneten Morde innerhalb der Internationalen Brigaden, die Untaten der »Nationalisten« und ihrer italienisch-deutschen Helfer sowie die Zurückhaltung der Westmächte. Letztlich kämpfte Stadt gegen Land, reich gegen arm, Katholik gegen Kommunist, Anarchist gegen Kommunist und Separatist gegen Nationalist. Beevor sieht und analysiert vielschichtig die verschiedenen Konflikte und Kriegsparteien, die seiner Ansicht nach nur unzutreffend mit dem Wort »Bruderkrieg« wiedergegeben werden können. hp Manstein E rich von Manstein (1887–1973) ist einer der bekanntesten Heerführer des Zweiten Weltkrieges. Seine nach 1945 erschienenen Bücher »Verlorene Oliver von Wrochem, Erich von Manstein: Vernichtungskrieg und Geschichtspolitik, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006 (= Krieg in der Geschichte, Bd 27). ISBN 3-506-72977-2; 431 S., 39,90 Euro Siege« und »Aus einem Soldatenleben« trugen maßgeblich dazu bei. Hinzu kamen sein viel genutztes militärisches Fachwissen, seine Popularität im Inund Ausland, seine gleichzeitige Distanz zum deutschen Widerstand und zeitweilig auch zu Repräsentanten des NS-Regimes. Oliver von Wrochem versucht in seiner Doktorarbeit Dreierlei: Erstens will er eine biografische Skizze Mansteins erstellen, zweitens von Mansteins Rolle im Vernichtungskrieg beleuchten und drittens die über ihn und von ihm abgegebenen Wertungen nach 1945 als Brennglas des Umgangs mit jüngster Geschichte in der Bundesrepublik der 1950er bis 1970er Jahre nutzen. Die Ziele werden erreicht. Für die heutige Leserschaft ist neben Mansteins Rolle im Vernichtungskrieg besonders die Analyse der Netzwerke ehemaliger Wehrmacht-Generale untereinander, in die Gesellschaft, aber auch in die frühe Bundeswehr hinein von besonderem Interesse. So wird nachvollziehbar, welches Bild von der Wehrmacht nach 1945 entstehen konnte. hp Holocaust D urch die Medien entsteht allzu leicht der Eindruck, zum Thema Holocaust sei alles gesagt und erforscht. Der Sammelband von Jürgen Matthäus und Klaus-Michael Mallmann stellt den Forschungsstand dar, benennt Lücken und bringt neue Aspekte. Die insgesamt 18 Einzelbeiträge sind auf die Sparten »Kontinuitäten und Zäsuren«, »Täter und Opfer« und »Wahrnehmungen und Wirkungen« verteilt. Vorgeschichte, Durchführung und Wirkungsgeschichte des Holocaust werden so facettenreich dargestellt. Die Rolle des Militärs im Holocaust wird in den Beiträgen »Reichswehr und Antisemitismus« (Jürgen Förster), die »Ermordung der baltischen Juden« (Wolfgang Benz) und die »Schlußphase der ›Endlösung‹ in Polen« (Christopher R. Browning) ausgelotet. Der Beitrag »Dannecker und Kappler in Rom. Neue Quellen zur Oktober-Deportation 1943« von Richard Breitmann verweist auf den Schatz deutscher Funksprüche zum Thema Holocaust, die von den Briten abgehört und an die Amerikaner weitergeleitet wurden. Sie sind in den National Archives einsehbar. Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers stellen in dem Beitrag Jürgen Matthäus und Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.), Deutsche, Juden, Völkermord. Der Holocaust als Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Konrad Kwiet zum 65. Geburtstag, Darmstadt 2006 (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd 7). ISBN 3-534-18481-1; 340 S., 39,90 Euro »Das Einsatzkommando bei der Panzerarmee Afrika 1942« die deutschen Planungen für die Zeit nach dem Sieg Rommels vor. Ein Sonderkommando war damit beauftragt, die in Palästina lebenden Juden zu ermorden. Aufgrund der Niederlage bei El Alamein kam es aber nicht zum Einsatz. Robert G. Waite stellt die wechselreiche öffentliche Wahrnehmung des Holocaust in den USA 1943-1955 dar und Frank Bajohr analysiert, wie ein ehemaliger SS-Brigadeführer unter falschem Namen 1950 außenpolitischer Redakteur der ZEIT wurde. Kurz gesagt: eine lohnenswerte Lektüre. hp Palästina S pätestens mit dem Marineeinsatz der Bundeswehr ist die Region Israel–Libanon in Deutschland gegenwärtig. Wer sich für die Geschichte Palästinas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts interessiert, der wird von Tom Segev kenntnisreich und unterhaltsam informiert. Seit dem Ende der Kreuzzüge war Palästina unter muslimischer Herrschaft, seit 1516 gehörte das Land zum Osmanischen Reich. Das Buch setzt mit der Eroberung der Region durch die Briten 1917 ein und endet mit dem Jahre 1948, also dem Abzug der Briten und der Gründung des Staates Israel. Die dazwischen liegenden 29 Jahre behandeln die britische Mandatsherrschaft über Palästina. In diesem Land lebten Christen und Muslime, Juden und Araber. Die drei großen Abschnitte des Buches tragen die Titel »Illusion (1917–1927)«, »Terror (1928–1938)« und »Entscheidung (1939–1948)«. Die Briten benötigten während des Ersten Weltkrieges die Unterstützung der Araber im Kampf gegen das Osmanische Reich, also erweckten sie den Eindruck, es werde nach Kriegsende ein unabhängiges Arabisches Palästina geben. Gleichzeitig versprach die britische Regierung in der BalfourDeclaration den Juden eine Heimstatt in Palästina. Arabische und Jüdische Nationalbewegung bekämpften sowohl sich gegenseitig als auch die britische Schutzmacht, jüdische Einwanderer kamen in großer Zahl ins Land. Dem Abzug der Briten folgte der Unabhängigkeitskampf des Staates Israel. hp Tom Segev, Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels, München 2006. ISBN 3-570-55009-5; 669 S., 14,90 Euro Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 27 Service Ausstellungen Berlin Dresden Boris Ignatowitsch. Fotografien von 1927 bis 1946 100 Jahre deutsche U-Boote Militärhistorisches Museum der Bundeswehr Olbrichtplatz 2 D-01099 Dresden Telefon: (0351) 82 30 Telefax: (0351) 82 32 805 e-Mail: MilHistMuseumBwEi [email protected] 29. März bis 8. April 2007 Dienstag bis Sonntag 9.00 bis 17.00 Uhr Eintritt frei Verkehrsanbindungen: Öffentliche Verkehrsmittel: Linien 7, 8, 91, Haltestelle »Militärhistorisches Museum« (wird angesagt), Pkw: Parkplatz am Museum. Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst Zwieseler Straße 4 (Ecke Rheinsteinstraße) D-10318 Berlin Telefon: (030) 50 15 08-10 Telefax: (030) 50 15 08 40 e-Mail: [email protected] Internet: www.museumkarlshorst.de 17. November 2006 bis 11. Februar 2007 Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt frei Verkehrsanbindungen: S-Bahn: Bis S-Bahnhof »Karlshorst«, dann zu Fuß Rheinsteinstraße (ca. 15 Min. Fußweg), bis S-Bahnhof »Karlshorst« (S3), dann Bus 396 oder mit der U-Bahn bis U-Bahnhof »Tierpark« (U5), dann Bus 396. 50 Jahre Luftwaffe der Bundeswehr. 1956–2006 Luftwaffenmuseum der Bundeswehr Kladower Damm 182 D-14089 Berlin-Gatow Telefon: (030) 36 87 26 01 Telefax: (030) 36 87 26 10 e-Mail: LwMuseumBw [email protected] Internet: www.Luftwaffenmuseum.com 15. September 2006 bis 31. August 2007 Dienstag bis Sonntag 9.00 bis 17.00 Uhr (letzter Einlass 16.30 Uhr) Eintritt frei Verkehrsanbindungen: Eingang zum Museum: Ritterfelddamm/Am Flugfeld Gatow. 28 Gemälde von Paul Segieth (1884–1969) Fort Donaumont unter französischem Feuer September 1916 Karlsruhe Koblenz Von der Reformation zu den Erbfolgekriegen – 16. und 17. Jahrhundert Die Maschinenpistole. Entwicklung und Geschichte einer Waffe unter besonderer Berücksichtigung der MP2-UZI Wehrtechnische Studiensammlung Mayener Straße 85-87 D-56070 Koblenz Telefon: (0261) 40 01 42 3 Telefax: (0261) 40 01 42 4 e-Mail: [email protected] Internet: www.bwb.org/wts 24. August 2006 bis 9. September 2007 (Rosenmontag und vom 24. Dezember 2006 bis 1. Januar 2007 geschlossen) täglich 9.30 bis 16.30 Uhr Eintritt: 1,50 Euro (für Soldaten und Bw-Verwaltung frei) Verkehrsanbindungen: PKW: Eine Anfahrtsskizze gibt es unter http://www.bwb.org/ 01DB022000000001/ CurrentBaseLink/ W26EJCH3034INFODE; Bahn/Bus: Ab Bahnhof Koblenz (Busbahnhof gegenüber) Linien 5 oder 15 bis Haltestelle »Langemarckplatz«. Ingolstadt 60 Jahre Polizei in Bayern 1946-2006. Vom Neuanfang in der Nachkriegszeit zur modernen Sicherheit heute Bayerisches Armeemuseum Ingolstadt (Reduit Tilly) Neues Schloss, Paradeplatz 4, D-85049 Ingolstadt Telefon: (0841) 93 77-0 Telefax: (0841) 93 77-200 e-Mail: [email protected] Internet: http://www. bayerisches-armeemuseum.de/ 26.September 2006 bis 23. September 2007 Dienstag bis Sonntag 8.45 bis 17.00 Uhr Sonderausstellungen Dienstag bis Sonntag 8.45 bis 12.00 Uhr und 13.00 bis 17.00 Uhr geschlossen: Faschingssonntag-Nachmittag, Faschingsdienstag, Karfreitag Ein Münchner Maler im Ersten Weltkrieg: Paul Segieth (1884–1969) Bayerisches Armeemuseum Ingolstadt (s.o.) 16. Januar bis 9. April 2007 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 Badisches Landesmuseum Karlsruhe Schloss D-76131 Karlsruhe Telefon: (0721) 92 66 514 Telefax: (0721) 92 66 537 e-Mail: [email protected] Internet: www.landesmuseum.de 11. November 2006 bis 11. März 2007 Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr Donnerstag 10.00 bis 21.00 Uhr Eintritt: 4,00 Euro ermäßigt: 3,00 Euro Schüler 0,50 Euro Verkehrsanbindungen: Straßenbahn: Vom Hauptbahnhof (Blickrichtung rechts, Hbf im Rücken) mit den Linien 2, S 1, S 4, S 11 bis Haltestelle »Marktplatz«. Ludwigsburg Vor 50 Jahren – Die Bundeswehr kommt nach Ludwigsburg Garnisonmuseum Ludwigsburg im Asperger Torhaus Asperger Straße 52 D-71634 Ludwigsburg Telefon: (07141) 91 02 412 Telefax: (07141) 91 02 342 Preußen-Museum NRW Simeonsplatz 12 D-32427 Minden Telefon: (0571) 83 72 80 Telefax: (0571) 83 72 830 Internet: www.preussenmuseum.de e-Mail: [email protected] 3. Dezember 2006 bis 18. Februar 2007 Dienstag bis Donnerstag und Sonnabend bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr Eintritt: 4,50 Euro ermäßigt: ab 2,25 Euro Verkehrsanbindungen: Einen Lageplan gibt es auf der Internetseite unter »Lageplan«. Internet: www.garnison museum-ludwigsburg.de e-Mail: stadtarchiv@stadt. ludwigsburg.de 23. September 2006 bis 28. April 2007 Mittwoch 15.00 bis 18.00 Uhr Sonnabend 13.00 bis 17.00 Uhr und nach Vereinbarung Eintritt: 2,00 Euro ermäßigt: 1,00 Euro Verkehrsanbindungen: S-Bahn: Linien S 4 und S 5 (von Stuttgart bzw. Bietigheim) bis zur Station »Ludwigsburg«. Rastatt Sonderausstellung »Damals in der DDR – 20 Geschichten aus 40 Jahren«. Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte Minden Gestaltung: www.atelier19a.de _ Cordula Holzhauer Pour le Mérite und Skizzenbuch – Kriegsskizzen des Mindeners Rudolf Lange (1874–1918) ergänzt durch eine Ausstellung des »Fördervereins Militärmuseum Brandenburg-Preußen e.V.« über die Geschichte der Kadettenkorps Simeonsplatz 12 . 32427 Minden . 05 71 - 8 3728 - 24 11-17 Uhr [außer Mo, Fr] . www.preussenmuseum.de 3.12.06 -18.2.07 Pour le Mérite und Skizzenbuch Kriegsskizzen des Mindeners Rudolf Lange 1874-1918 Bundesarchiv Außenstelle Rastatt Schloss Rastatt Herrenstrasse 18 D-76437 Rastatt Telefon: (07222) 77139-0 (Zentrale) Telefax (07222) 77139-7 e-Mail: [email protected] 18. Januar bis 25. März 2007 Dienstags bis Sonntag 9.30 bis 17.00 Uhr Montags nach Vereinbarung Eintritt frei Geschenkt, Gestiftet, Gekauft Die Neuerwerbungen des Wehrgeschichtlichen Museums der letzten 10 Jahre Wehrgeschichtliches Museum Rastatt Schloss Rastatt Herrenstraße 18 D-76437 Rastatt Telefon: (07222) 34 24 4 Telefax: (07222) 30 71 2 Internet: www.wgm-rastatt.de e-Mail: [email protected] 1. Dezember 2006 bis April 2007 Dienstag bis Sonntag 9.30 bis 17.00 Uhr Eintritt: 6,00 Euro ermäßigt: 4,00 Euro Wesel Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser Preußen-Museum NRW An der Zitadelle 14-20 D-46483 Wesel Telefon: (0281) 33 99 60 Telefax: (0281) 33 99 6330 Internet: www.preussenmuseum.de/wesel.htm e-Mail: [email protected] 11. Februar bis 9. April 2007 Dienstag bis Donnerstag und Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr Eintritt: 6,00 Euro ermäßigt: ab 1,25 Euro Verkehrsanbindungen: Einen Lageplan gibt es auf der Internetseite unter »Lageplan«; Pkw: Von der A 3 Richtung Arnheim-Oberhausen, Autobahnausfahrt »Wesel«. Ausschilderung Richtung Wesel, am Kaiserring links Richtung Hbf. Hinter dem Hbf rechts in Richtung Geldern. An der Kreuzung Schillstr./ Südring rechts in den Südring. Auf der rechten Seite befindet sich das PreußenMuseum NRW. Wien Panzerlärm an Österreichs Grenzen. Der Grenzsicherungseinsatz des österreichischen Bundesheeres 1956 Heeresgeschichtliches Museum Militärhistorisches Institut Arsenal, Objekt 1 A-1030 Wien Telefon: +43 (1) / 79 56 1-0 Telefax: +43 (1) / 79 56 117707 e-Mail: [email protected] Internet: www.hgm.or.at/ 17. Oktober 2006 bis 1. April 2007 täglich geöffnet 9.00 bis 17.00 Uhr Freitag geschlossen Eintritt: 5,10 Euro Ermäßigt: 3,30 Euro (bis 10 Jahre frei) Verkehrsanbindungen: Schnellbahn: Bis Station »Südbahnhof«; Straßenbahn: Linien 18, D, O; Autobus: Linien 13 A, 69 A; U-Bahn: U 1 nach Station »Südbahnhof«, U 3 nach Station »Schlachthausgasse«; Pkw: Eine Anfahrtsskizze findet sich auf der Internetseite unter »Museum« > »Zufahrtsplan«. Napoleon Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 29 agk-images/British Library 30. März 1856 Ende des Krimkrieges Mit dem Frieden von Paris endete im März 1856 einer der grauenhaftesten Kriege, die der europäische Kontinent bis dahin erlebt hatte. Zar Nikolaus I. hatte den Zerfall des Osmanischen Reiches genutzt, um die alten russischen Expansionsziele Konstantinopel und türkische Meerengen zu verwirklichen. Er geriet in Konflikt mit Großbritannien und Frankreich, die wiederum ihre Wirtschaftsinteressen gefährdet sahen. Auslöser des Konfliktes war ein Streit zwischen den christlichen Konfessionen um die Nutzung der heiligen Stätten in Jerusalem. Anfang Juli 1853 rückten 80 000 russische Soldaten in die osmanischen Donaufürstentümer Walachei und Moldau ein. Die Türkei erklärte, ermutigt von den Briten, Russland am 4. Oktober 1853 den Krieg. Es folgten die Kriegserklärungen Großbritanniens und Frankreichs an das Zarenreich. 1854 schließlich besetzten Habsburger Truppen die Donaufürstentümer – mit Genehmigung des Sultans. Im Herbst 1854 erlitten britisch-französische Truppen ein Debakel bei der Belagerung von Sewastopol auf der Krim. Die Kämpfe dauerten 349 Tage und endeten erst im September 1855. Bis zum Fall der Stadt mussten rund 160 000 Soldaten ihr Leben lassen, davon allein 100 000 infolge von Krankheiten bzw. Seuchen. Der Friede von Paris und Folgeverträge garantierten die Unabhängigkeit und Integrität des »kranken Mannes am Bosporus« (Zar Nikolaus I.). Der Kampf um Sewastopol ist in der Geschichtswissenschaft als Vorwegnahme der Schlacht von Verdun bezeichnet worden. Der Krimkrieg selbst gilt als erster Krieg der Moderne, in dem vor allem die materielle Überlegenheit zählte. Erstmals erfuhr hier auch die Öffentlichkeit Europas und der Welt durch Kriegsberichterstatter zeitnah vom Kriegsgeschehen – nicht zuletzt durch eine neue technische Entwicklung: die Fotografie (siehe Militärgeschichte 2006, Heft 3). mt 17. Juli 1936 ullstein bild Militärgeschichte kompakt Bürgerkrieg in Spanien: Deutsche auf beiden Seiten Am 17. Juli 1936 erhoben sich Teile des spanischen Militärs gegen die seit 1931 bestehende Republik. Der Putsch wurde zum blutigen Bürgerkrieg mit über 200 000 Toten. Er endete am 1. April 1939 mit dem Sieg der Putschisten unter General Francisco Franco, dessen Regime bis 1973 währte. Vorausgegangen waren soziale und ethnische Spannungen (vor allem im Baskenland und in Katalonien), die in Streiks und Unruhen mündeten. Das faschistische Italien (60 000 Mann) und das NS-Regime unterstützten die rechten Putschisten. Die deutsche »Legion Condor« zählte 5000 Mann, durch Kontingentswechsel waren insgesamt 20 000 Wehrmachtsoldaten eingesetzt. Die linke Volksfrontregierung in Madrid wurde von der Sowjetunion unterstützt, hinzu kamen die »Internationalen Brigaden« (40 000–45 000, durch Fluktuation etwa 15 000 Ist-Stärke), die aus Amerikanern, Kanadiern, Franzosen, Italienern, Österreichern (900–1400) und Deutschen (3000–5000) bestanden. Sie bildeten später den zentralen »antifaschistischen« Kampfmythos der DDR. Die Erschießungen von vorgeblichen Verrätern und Spionen und die Durchführung sogenannter Säuberungen in den eigenen Reihen wurden dabei verschwiegen. hp 30 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 Heft 1/2007 Service Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Vorschau Vor über 15 Jahren fand die DDR durch eine friedliche Revolution ihr Ende. Das hatte auch die Auflösung der NVA zur Folge. Die NVA war eine der modernsten Armeen des Warschauer Vertrages. Sie war aber auch eine Wehrpflichtarmee. Junge Männer in der DDR mussten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ihren Wehrdienst mit der Waffe leisten. Doch nicht wenige verpflichteten sich auch freiwillig, weil sie der staatlichen Propaganda von der Verteidigung des Friedens gegen den »Klassenfeind« im Westen glaubten oder weil sie sich einfach materielle und berufliche Vorteile versprachen. Geworben wurden sie mit zum Teil auch durchaus hehren Grundsätzen wie: es gäbe nichts Wichtigeres wie die Sicherung des Friedens. Obwohl das DDR-Regime jungen Menschen in der DDR sowohl im Kindergarten als auch später in der Schule das Militär als etwas unbedingt Positives vermittelte und sogar ein Fach »Sozialistische Wehrerziehung« an den Schulen unterrichtet wurde, wussten die wenigsten, was sie hinter den Kasernentoren erwartete. Schnell folgte dem Eintritt in die Armee oftmals die Ernüchterung, zumal die militärische Disziplin in zum Teil drastischer Weise in das Leben der jungen Männer eingriff, nicht zuletzt auch durch die Willkür der Vorgesetzten und einer manchmal als brutal empfundenen informellen Hierarchie gegenüber jüngeren Soldaten. So zeigen denn auch die neuesten Untersuchungen zur NVA, dass zumindest die meisten Wehrpflichtigen und Reservisten ihrer Dienstzeit kaum Positives abgewinnen können. Matthias Rogg zeichnet im nächsten Heft den Werdegang eines solchen jungen Mannes in der DDR nach: von der »Sozialistischen Wehrerziehung« in Kindergarten und Schule, von der Zeit in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) über die Anwerbung als Soldat bis hin zum Eintritt in die Kaserne und die Zeit in der Truppe selbst. Weitere Beiträge befassen mit dem Verhältnis von Militär und Gesellschaft im 18. Jahrhundert, dargestellt in Form eines Soziogramms einer preußischen Stadt, sowie der Zerstörung von Gernika am 26. April 1937 und schließlich werden unsere Leser in der Strategie-Reihe einen Beitrag zum Schlieffenplan erwarten dürfen. mt »Ich habe nicht der zweite sein wollen, wo ich der erste sein konnte. Ich habe nicht dienen wollen, wo ich zu befehlen verstand, aber die Subordination unter die Überlegenheit ist mir niemals schwer geworden und niemals habe ich der hoeheren Kraft, wo ich sie fand, meine Anerkennung versagt.« D PzFlakBtl 12 ieses Zitat von Carl Schurz ziert eine Wandmalerei im Treppenaufgang des Stabsgebäudes des Panzerflugabwehrkanonenbataillons 12. Der Verband wurde am 1. Oktober 1956 als Luftlandeflugabwehr-Artilleriebataillon 106 aufgestellt und zog als Flugabwehrbataillon 12 am 13. September 1966 in die neu errichtete »Bauland-Kaserne« in Hardheim (NeckarOdenwald-Kreis) ein. Die Soldaten des Bataillons konnten sich allerdings nicht mit dem Namen der Kaserne identifizieren. Gemeinsam suchten daher die Offiziere und Unteroffiziere des Bataillons nach einer Alternative. Bereits nach kurzer Zeit ergab sich als naheliegende Lösung, die Liegenschaft in Carl-Schurz-Kaserne umzubenennen. Dieses Bild zeigt Oberstabsfeldwebel Ullrich im Traditionsraum des Panzerflugabwehrkanonenbataillons 12. In seinen Händen hält er das von Ferry Ahrlé geschaffene Carl-Schurz-Portrait. Im Hintergrund ist ein zeitgenössisches Bild von Schurz zu sehen. An die Begründung, die ein Batteriechef ihm als Kommandeur vortrug, erinnert sich Oberst a.D. Hummel: »Es gab mehrere Beweggründe, Carl Schurz als Namenspatron zu wählen. Schurz war Teilnehmer an der Badener Revolution und ist daher mit der Region eng verwurzelt. Hinzu kam die enge Zusammenarbeit mit der am gegenüberliegenden Hang stationierten USFlugabwehrbatterie mit uns in der Aufbauphase.« Carl Schurz wurde somit zur Identifikationsfigur für die enge Militärgeschichte im Bild Carl Schurz – Namenspatron der Bundeswehrkaserne in Hardheim 100. Todestag Carl Schurz – 40 Jahre Carl-Schurz-Kaserne Hardheim Kooperation des Panzerflugabwehrkanonenbataillons 12 mit den amerikanischen Verbündeten in der Region. Die Patenschaft mit US-Flugabwehrverbänden aus Kitzingen wurde über 25 Jahre intensiv gepflegt. Nach der Auflösung des bis dahin letzten Patenverbandes, des 4th Bn 3rd Air Defense Artillery aus Kitzingen, im Sommer 2005 dauerte es nicht lange, bis an diese Tradition wieder angeknüpft werden konnte. Passend zum Jubiläum wurde eine neue Patenschaft mit dem 5th Bn 7th Air Defense Artillery aus Hanau geschlossen. 2006 jährte sich nicht nur der 100. Todestag des Namenspatrons, sondern auch der 50. Jahrestag der Aufstellung Verbandes und der 40. Geburtstag seines Einzuges in die Carl-SchurzKaserne Hardheim. Dieses dreifache Jubiläum wurde auch zum Anlass genommen, sich intensiver mit der Tradition des Bataillons zu befassen. Anlässlich des »Tages der offenen Tür« wurde der Traditionsraum neu eingerichtet. Es sollte auch ein Ausstellungsbereich zu Carl Schurz geschaffen werden. Auf der Suche nach geeigneten Ausstellungsstücken trat der Projektbeauftragte, Oberstabsfeldwebel Bernd Ullrich, mit der Steuben-Schurz-Gesellschaft e. V. in Verbindung. Deren Präsidentin, Dr. Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels, nutzte die Eröffnung der Sonderausstellung »Hardheim – Partner der Bundeswehr, 40 Jahre Carl-Schurz-Kaserne«, um die Zusammenarbeit mit dem Hausherrn der Carl-Schurz-Kaserne auf neue Beine zu stellen. Es folgten Einladungen zu verschiedenen Anläs- sen, darunter zur Benefizveranstaltung anlässlich des 100. Todestags von Carl Schurz im Carl-Schurz-Gymnasium Frankfurt am Main. Seit dieser Zeit ist Oberstabsfeldwebel Bernd Ullrich Eigentümer eines von Ferry Ahrlé geschaffenen Portraits des Namenspatrons, das er bei der Benefizveranstaltung in Frankfurt am Main am 14. Mai 2006 ersteigerte. Außerdem wurde dem Panzerflugabwehrkanonenbataillon 12 die Ehre zuteil, in den Besitz einer Originalhandschrift von Carl Schurz zu gelangen. In diesem Schreiben berichtet Schurz einem Unbekannten von seinen ersten politischen Schritten in seiner neuen Heimat, den Vereinigten Staaten von Amerika. Darüber hinaus wurde dem Bataillon zum 40. Jahrestag der Namensgebung »Carl-Schurz-Kaserne« ein von Franz Vogel gemaltes Carl Schurz Portrait gestiftet. Carl Schurz ist »ständiger Begleiter« der Soldatinnen und Soldaten im täglichen Dienstbetrieb. Den Eingangsbereich der Kaserne ziert der von weitem deutlich sichtbare Schriftzug des Namensgebers. Der Lebenslauf von Carl Schurz und seine Zitate finden sich ebenso im Stabsgebäude des Bataillons wie auch in der Standortbroschüre. In den Traditionsräumen werden Weiterbildungen sowie Veranstaltungen des Bataillons, der Gemeinde und des Patenverbandes durchgeführt. Carl Schurz ist aus der Tradition des Panzerflugabwehrkanonenbataillons 12 nicht mehr wegzudenken. Patrick Oberlé, Bernd Ullrich Haupteingang der CarlSchurz-Kaserne Hardheim. Im Vordergrund der Namenszug mit Wappen. Im Hintergrund ist das Stabsgebäude zu sehen. Fränkische Nachrichten Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2006 31 ��������������������������� ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� �������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������������������������������� ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������������������������������������������������ ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� �������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� ��������������������������������������������������� ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� �����������������������������������������������������������������������������������������������������