Exkursionsprogramm Glarnerland Klöntal - geo

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Exkursion
Geologie, Kuren und Künstler
Glarnerland - Klöntal
Samstag 25. Juni - Sonntag 26. Juni 2011
Klöntal am Morgen
Foto: Guido Kasper
Mark Feldmann
Dr.sc.nat ETH
Linthgeschiebe und Talboden
Bei einem Blick in die Linth fällt auf, dass die meisten der gut gerundeten Gerölle in irgend einem
Grau erscheinen und mehr oder weniger von hellen Adern durchzogen sind. Weniger häufig aber
doch ins Auge stechend sind rote und grüne Gesteine. Eine solche Zusammensetzung von Geröllen
findet man im Kanton Glarus erst flussabwärts von Schwanden, nachdem der Sernf und die Linth zusammengeflossen sind. Die meisten der bunten Gesteine stammen aus dem Sernftal und dem Freiberg Kärpf. Sie sind über 250 Millionen Jahre alt und gehören ins Erdzeitalter des Perms. Der rote
Verrucano oder Sernifit ist das Produkt einstiger Unwetterereignisse und wurde als Schlammlawine
auf dem Land abgelagert. Viele der grünen „Вöllen“ sind vulkanische Gesteine, die von einer Gebirgsbildung zeugen, lange bevor es die Alpen gab.
Die meisten der grauen Gesteine stammen aus dem Grosstal. Sie wurden vor 180 bis 100 Millionen
Jahren während der Jura- und Kreidezeit im flachen Schelfbereich eines Ozeans, der Tethys, abgelagert. In vielen dieser Gesteine entdeckt man beim genauen hinschauen noch Bruchstücke von Schalen und Skeletten einstiger Meeresbewohner. Was man hier an der Linth vermisst, sind Schiefer aus
dem Sernftal. Diese tonigen Gesteine verwittern sehr leicht, so dass sie bereits nach wenigen Metern
nur noch als feinkörnige Suspension im Wasser auftreten und teilweise für das trübe Grau der Linth
verantwortlich sind.
Seit der letzten Eiszeit schob die Linth Tausende von Kubikmetern Geröll durchs Tal und füllte so
langsam den Talboden auf. Bis heute weiss man nicht genau wie tief der feste Fels eigentlich liegt.
Am Ende der Eiszeiten war das Tal der Linth bedeutend tiefer als heute. Dieses bildete eine breite
flache Wanne, die einen Arm des riesigen Sees darstellte, der den heutigen Zürichsee, Walensee und
Bodensee verband. Seither haben Bäche, Runsen und Bergstürze den Glarnerarm dieses Sees zugeschüttet, so dass die Linth heute auf ihrem eigenen Geschiebe dahin fliesst.
Die Seenlandschaft nach der letzten Eiszeit
Gesteine bestimmen in den Linthgeschieben
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Der Bergsturz von Guppen
Vor der imposanten Kulisse von Vorderglärnisch und Vrenelisgärtli blickt man auf eine zum Teil bewaldete scharfe Erosionskammlinie. Sie markiert den mächtigen Schuttfächer des Guppenbergsturzes, der sich über die Grundmoränen des Linthgletschers ergoss.
Aus der grossen Abrissnische, die unterhalb von Mittelguppen in einer Höhe von etwa 1200 Meter
beginnt und sich gegen oben bis an den untern Rand des Guppenfirns bei etwa 2300 Meter ausdehnt,
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lösten sich in einer eisfreien Periode gegen Ende der letzten Eiszeit ca. 800'000'000 m Gestein. Die
gewaltige Trümmermasse wälzte sich zunächst von der Guppennische her über die Gegend von
Schwändi und Mitlödi, durchquerte das Tal und prallte im Gebiet des heutigen Dorfes Sool auf die
gegenüberliegende Talseite, an der ein Teil des Schuttes in Form einer mächtigen Brandungswelle
stehen blieb. Die Gesteinsmassen stauten sich im Hügel der einstigen Burg Sola bis 230 m über den
heutigen Talgrund auf. Die Hauptmasse des Schuttstromes wurde talauswärts nach Norden abgelenkt
oder flutete aus der Gegend von Schwändi fächerförmig nach Nordosten, bis er am Südrand von Gla2
rus und Ennenda zum Stehen kam. Der Bergsturz bedeckt eine Fläche von 10 km und hat eine Länge von rund 7 krn. Seine Abrissfläche sah ursprünglich wohl nicht so unregelmässig aus wie heute;
sie ist im Laufe der Zeit durch die Erosionsarbeit der Wildbäche und des Guppengletschers stark verändert worden.
Die abgelagerten Felsmassen formten einen Riegel, der das Glarner Mittelland vom Hinterland trennte. Es bildete sich ein Stausee, der mindestens bis nach Luchsingen reichte. Durch die Stauung wurden die Linth und der Sernf gezwungen, ihr Geschiebe hinter dem Riegel abzulagern, das führte bei
Schwanden zu einer Geschiebeaufschüttung, deren Oberfläche bei etwa 590 m, also 70 m über der
heutigen Linthsohle lag.
Mit der Zeit durchnagte die Linth den natürlichen Staudamm und noch bevor der letzte Gletschervorstoss der sogenannten jüngeren Dryas stattfand, verschwand der Stausee wieder.
Bergsturzmasse von Guppen-Schwanden. Abrissnischen und Abfolge der Stürze. Aufschlüsse der Sturztrümmer
und ihre ursprüngliche Oberfläche. Südgrenze des Stausees kurz nach dem Niederbruch des Sturzes.
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Gletscher und Moränen
Unterhalb der Guppenalp und weiter taleinwärts erkennt man kleine, aber charakteristische Moränenwälle, die ins Haupttal zu fliessen scheinen. Sie stammen vom einstigen Guppen- und vom BösbächiOberblegigletscher und bilden zusammen mit weiteren Moränen des Linthgletschers die Zeugen des
letzten Gletschervorstosses im Glarner Grosstal.
Im Alpenraum fanden über die vergangenen 2.5 Millionen Jahre vier grosse Vergletscherungen statt,
welche durch drei lang andauernde eisfreie Interglazialzeiten getrennt waren. Die Bildungen der älteren Eiszeiten sind in den Glarneralpen durch die jüngern Vergletscherungen wieder verwischt worden.
Deshalb ist das, was wir als Wirkungen der Glazialperiode erkennen, wohl der letzten Vergletscherung, der Würmeiszeit, zuzuschreiben.
Erst gegen Ende der Würmeiszeit, die wahrscheinlich vor 20'000 Jahren ihre grösste Ausbreitung
erlangte, sank die Eisoberfläche des Linthgletschers im Glärnischgebiet unter die Grenze der ständigen Schneebedeckung, welche auf 16’001’700 m geschätzt wird. So können Wallmoränen erst ab
dieser Zeit erwartet werden. Die meisten Ablagerungen des Linthgletschers und seiner kleineren Begleiter im Glärnischgebiet, der Bösbächi-Oberblegi-, der Nidfurner- und der Guppengletscher, sind
sogar noch etwas jünger. Nach einer kräftigen, lang dauernden Rückzugsphase bis in den Hintergrund des Linthtales vereinigten sich die Gletscher und stiessen kurzfristig noch einmal bis gegen
Netstal hinaus vor. Sie bedeckten dabei den Bergsturz von Guppen. Dieser letztere Vorstoss bezeichnet man als die jüngere Dryas. Nach einem vorerst schnellen Rückzug setzte eine Verzögerung ein
und der Rückgang der Gletscher verlangsamte sich. Dabei wurden die auffälligsten Wallmoränen im
gesamten hinteren Tal der Linth gebildet.
Vor der Dorfdeponie Sool sieht man einen angeschnittenen Querschnitt einer Wallmoräne des
Linthgletschers mit seinem typischen Inhalt: Festgepresstes, verdichtetes, kantiges Lockergestein in
allen Grössen, das sich aus verschiedensten Gesteinsarten zusammensetzt. Wir blicken gegen 300
Millionen Jahre in die Erdgeschichte zurück. Am auffälligsten sind die roten und grünen Gesteine aus
der Permzeit, die gelben und weissen aus der Trias, sowie die grauen aus dem Jura und der Kreide.
Querschnitt durch eine Moräne des Linthgletschers
bei Sool
Verkitteter Moränenschutt
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Ein geologischer Rundblick
Auf dem Weg von der Dorfdeponie ins Dorf Sool eröffnen sich geradeaus wundervolle Ausblicke auf
das Grosstal und den Tödi. Das Tödigebiet ist die geologisch älteste Region im Kanton Glarus. Der
kristalline Sockel des Tödi besteht aus Graniten, Gneisen und Glimmerschiefern und gehört zum
Aarmassiv, einem Gebirge, das am Ende des Erdaltertums vor 350-260 Millionen Jahren durch die
sogenannte variskische Faltung geformt wurde. Kurz nach seiner Bildung wurde dieses Gebirge durch
kräftige Erosion abgetragen und es bildeten sich im warm-feuchten Klima gewaltige Moore mit einer
reichen Flora an Schachtelhalmen, Farnen und Bärlapp-Bäumen, aus denen sich Kohlenlager bilden
konnten. Durch späte variskische Faltungen am Ende der Karbonzeit wurden diese Kohlenserien zwischen die alten kristallinen Schiefer eingefaltet. Am Bifertengrätli treten diese kohleführende Karbonsedimente als 150 m mächtiger kontinuierlicher Schichtverband auf, in welchem 1879 eine Karbonflora entdeckt wurde, die mit analogen Gesteinen im Aiguilles-Rouges-Massiv als älteste fossilführende
Gesteine der Schweiz belegt werden konnten.
Als Besonderheit finden sich unterhalb des Sandfirns auf einer Steinplatte des Rötidolomites über 200
Vertiefungen, die eine Gruppe Archosaurier vor rund 230 Millionen Jahren im Erdzeitalter der Trias an
der tropischen Meeresküste des Glarnerlandes hinterlassen haben.
Etwas links, schauen wir direkt in den Freiberg Kärpf, welcher uns eine andere geologische Geschichte erzählt. In der Permzeit, vor 290-250 Millionen Jahren, bildete sich eine etwa 50 km breite Inlandsenke, in der sich bis zu 1600 Meter hoch kontinentale Sedimente des rötlichen Verrucano und vulkanische Laven auf dem damaligen Superkontinent Pangäa anhäuften. Solche Gesteine bilden sich
heute in Klimazonen mit Monsunregen, in dem durch plötzliche Regengüsse verursachte Hochwasser
den angesammelten Schutt in einer breiartigen Masse mitschwemmen und in Schuttfächern ablagern.
Blickt man über das Tal gegen Westen ins Glärnischgebiet, bestehen die Berge hauptsächlich aus
Gesteinen des Juras und der Kreidezeit, welche vor 180-100 Millionen Jahren in einem tiefer werdenden Flachmeer, auf dem Schelf am Südrand des Europäischen Festlandes abgelagert wurden. Die
kalkigen Gesteine dieser Perioden bauen die meisten Berge der Glarner Alpen auf.
Blick Richtung Grosstal mit Tödi (rechts) und
in den Freiberg Kärpf (links)
Blick auf den Glärnisch
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Der Dorfbrunnen Sool – Wasser als Rarität
An der Kreuzung Dorfstrasse/Adlerstrasse erreichen wir bei einem alten Steinbrunnen das Dorfzentrum von Sool oder Obersool wie es früher genannt wurde. Der Name des Ortes kommt vom althochdeutschen „sol“, welches Suhle, Tümpel oder sumpfige Stelle bedeutet. In Untersool befanden sich im
19. Jahrhundert noch flache Tümpel.
Mit dem Obersooler Dorfbrunnen blicken wir auf eine weitere interessante kalkige Periode im Glarnerland, die Zeit der Herstellung von steinernen Brunnentrögen. Wie die eingemeisselte Inschrift an der
Westseite des Brunnens zeigt, wurde der Brunnen im Jahre 1799 fertiggestellt. Obwohl es unterschiedliche Ansichten über die Interpretation der letzten Zahl gibt - handelt es sich um eine Neun oder
um eine kleine, hochgestellte Null? - weisen alle Vergleiche mit ähnlichen Brunnen aus derselben Zeit
auf eine 9. Kleine, hochgestellte Nullen wurden nie eingemeisselt. Die Initialen vor und nach der Jahrzahl, wahrscheinlich RI und RU (RH?) dürften auf die Namen der Steinmetzen, eventuell auch des
Auftraggebers hindeuten. Im 17. und vor allem im 18. Jahrhundert profitierte im Glarnerland das bis
anhin ziemlich bedeutungslose Handwerk zunehmend von öffentlichen Aufgaben. Dies führte im späten 18. und im 19. Jahrhundert auch zu einem Aufschwung des Steinmetzgewerbes. Vor allem in Riedern wurden Bergsturzfelsen zu Brunnenbetten verarbeitet, welche dann auf unterlegten Tannen von
bis zu 60 Männern in die verschiedenen Dörfer gezogen wurden. Zur Herstellung von solchen Monolithen, Brunnen die aus einem einzigen Steinblock bestehen, eigneten sich vorzüglich Blöcke aus
Kalkstein. Dazu wurden sehr häufig, wie auch beim Sooler Brunnen, Blöcke aus Seewerkalk, einem
gelblichgrau anwitternden, dichten, wellig verlaufenden Kalk verwendet. Ums Jahr 1800 standen der
Sooler Bevölkerung zwei Dorfbrunnen zur Verfügung, die aber nur spärlich Wasser lieferten, sodass
der Brunnenplatz auch zum "Kampfplatz" um den letzten Tropfen wurde. Zeitweilig lag der Brunnen
komplett trocken, was die Sooler dann zwang, Wasser mit Tansen aus der Linth oder dem Sernf zu
holen. Da es auf der ganzen Sooler Terrasse weder eine Quelle noch einen Bach gibt, beschlossen
die Sooler Tagwensbürger im Jahre 1848, dem Wassermangel abzuhelfen. Im Hellbachgebiet, unterhalb der Alp Fessis, fasste man zwei Quellen und leitete diese zu den beiden Dorfbrunnen. Für die
neue Wasserleitung wurden 600 Tüchel (der Länge nach durchbohrte Rottannenstämme) verlegt, was
die Gemeinde 1506 Franken kostete. Schon im Jahre 1875 ersetzte man die Holzleitungen durch
Zement- und Eisen-Rohre. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden dann die Häuser direkt an die
Wasserversorgung angeschlossen.
Der Dorfbrunnen von Sool - ein Monolith aus Seewerkalk aus dem
späten 18. Jahrhundert
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Unesco Weltnaturerbe – die Glarner Hauptüberschiebung an der Lochsite
Man braucht nun nicht zu glauben, dass irgend ein Schotte in dieser Gegend war und analog zum
"Loch-ness" der "Loch-site" zu ihrem Namen verhalf. Vielmehr ist der Name Lochsite, Lochsyte, Lochsiten oder Lochseite durch die vielfältigen Versuche, den einstigen Flurnamen "Luchsete" oder "Luchsite" ins Hochdeutsche anzupassen, entstanden, wobei "Luchsete" nichts anderes bezeichnet, als
einen Schlupfwinkel für Luchse.
Die Glarner Hauptüberschiebung an der Lochsite bei Sool
(Foto: J.-M. Wittwer)
Schematische Darstellung der
Gesteinseinheiten an der Lochsite
(nach A. Heim)
An der Lochsite sieht man die messerscharfe Überschiebungslinie der Glarner Hauptüberschiebung
aus nächster Nähe. Die ausserordentliche Bedeutung dieses geologischen Aufschlusses zeigt sich
bereits darin, dass 1998 das American Museum of Natural History in New York (USA) der Glarner
Regierung den Antrag stellte, einen Abguss der Lochsite machen zu dürfen, um in einer neuartigen
Ausstellung über die "Erde als Ganzes" den Mechanismus der Gebirgsbildung mit der Lochsite als
klassischen Aufschluss der alpinen Deckentektonik zu dokumentieren. Die Glarner Hauptüberschiebung ist eine aussergewöhnlich spektakuläre Überschiebungsfläche im Grenzgebiet der Kantone Glarus, Graubünden und St.Gallen, auf der alter Verrucano aus der Zeit des Perms (ca. 250-290 Millionen Jahre), über die viel jüngeren Gesteine des Flysch (ca. 35 Millionen Jahre) zu liegen kam. Sie
steigt vom Vorderrheintal bis auf über 3000 Meter an und fällt dann stetig nordwärts, um am nördlichen Alpenrand nochmals aufzusteigen. Das überlagernde Gesteinsmaterial wurde dabei zirka 40 km
nordwärts geschoben. Als "Schmiermittel" zwischen Flysch und Verrucano, ohne welches die Überschiebung nicht stattgefunden hätte, diente der sogenannte Lochsitenkalk oder -mylonit, ein Auswalzungsgestein mit Fliess- und Knetstruktur. Die Überschiebung fand in einer Tiefe von über 10 km statt,
bei einer Temperatur von ca. 350°C und dauerte etwa 10 Millionen Jahre. Dies entspricht einer Überschiebungsgeschwindigkeit von rund 4 mm pro Jahr. An keinem andern Ort der Erde ist eine Überschiebung dieses Ausmasses in derart beispielloser Klarheit zu sehen wie im Glarnerland. Neben der
Lochsite ist die Glarner Hauptüberschiebung besonders in den Tschingelhörnern beim Segnespass
und an der Kärpfbrücke im Wildschutzgebiet Kärpf auch für Laien deutlich erkennbar.
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Lochsite - eine geohistorische Stätte
Die Glarner Doppelfalte (oben) von Escher und Heim und
die „Überschiebung“ von Bertrand
Die Glarner Hauptüberschiebung ist nicht nur ein eindrückliches geologisches Phänomen, sondern
war auch Gegenstand eines 30-jährigen Disputes, der letzten Endes zur Entdeckung des alpinen Deckenbaus führte. Ein geologisches Grundgesetz, das 1669 von Nikolaus Steno aufgestellt wurde besagt, dass in einer Abfolge von Sedimenten die älteren unter den jüngeren liegen. 1809 bemerkte
aber Hans-Conrad Escher, dass in den Glarner Alpen der ältere Verrucano über dem jüngeren Alpenkalk liegt. Er erkannte damit noch nicht den Deckenbau der Glarneralpen, war aber sicher der erste,
der realisierte, dass die Gesteinsabfolgen nicht „normal“ waren. 1848 führte Hans-Conrads Sohn Arnold als erster Geologieprofessor am Polytechnikum Zürich seinen illustren britischen Kollegen Sir
Roderick Impey Murchison über den Segnespass. Der Gast postulierte als wohl klarste Aussage in
der Mitte des 19. Jahrhunderts, die Existenz einer einzigen enormen Überschiebung. Damit drückte er
sich wohl im Sinne Arnold Eschers aus, der jedoch nicht wagte, diese Hypothese lauthals zu vertreten, da Überschiebungen und die Prozesse die dazu führen, damals gänzlich unbekannt waren. So
schuf er die Theorie der Glarner Doppelfalte welche darin begründet war, dass nicht reguläre Abfolgen
Teile überkippter Falten sind, die durch die Schrumpfung der abkühlenden Erdkruste entstanden. Auf
Escher folgte Albert Heim, die damals dominierende Figur der Schweizer Geologie. Er war durch seine Beobachtungen von verfalteten Gesteinen so sehr beeindruckt, dass er Brüche und Überschiebungen als untergeordnete Erscheinungen betrachtete. Er verteidigte die Doppelfaltentheorie seines Lehrers vehement gegen alle Kritiker und nutzte sie als Erklärung für die geologischen Verhältnisse im
Glarnerland. Diese völlig abstruse Theorie wurde 1891 zum etablierten Dogma und verhinderte wegen
eines Streites mit August Rothpletz die Entdeckung des Deckenbaus der Alpen. Rothpletz erkannte
1894, dass die Situation an der Lochsite nur mit einer Überschiebung erklärt werden konnte. Der
Franzose Marcel Bertrand demonstrierte bereits in seiner Publikation von 1884, in welcher er Heims
Profile und Beschreibungen neu interpretierte, dass die Lösung des Problems nur in einer einzigen
grossen Überschiebung sein konnte. Da er aber nie die Glarneralpen besucht hatte, nahmen die
Streithähne Heim und Rothpletz keine Notiz von seinem Artikel. 1894 zeichnete Hans Schardt aufgrund eigener Arbeiten in den Voralpen der Westschweiz das erste, ganz auf der Deckentheorie beruhende Alpenprofil. Mit dieser Erkenntnis war die heute allgemein akzeptierte Theorie zur Entstehung
der Alpen geboren – wegen wissenschaftlichen Streitereien nicht im Glarnerland. Albert Heim anerkannte erst 1902 die neue Theorie vollumfänglich.
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Das Richisau
Im Richisau entstand bereits in den 1830er Jahren eine kleine Schotten- und Molkenkuranstalt. Sie
bestand aus einer einfachen Sennhütte, die den vorwiegend einheimischen Gästen auch Platz für
Übernachtungen bot. Der Wirt war zugleich Senn, eine Kombination, die auf der Hand lag. Solchen
Kuren unterwarfen sich in den Anfängen hauptsächlich Männer, indem sie einige Wochen Aufenthalt
machten und die Schlafstätte mit dem Senn im Heu teilten. Da solches Tun den Damen nicht geziemte, wurden später spezielle Berghäuschen für eine Anzahl Kurgäste geschaffen und somit fanden sich
auch Frauen zu solchen Kuren ein.
Da die nächste Umgebung, die Ahornbäume, die Alp und die Sicht auf den Klöntalersee dem Kurort
einen ganz besonderen Reiz verliehen, fanden sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend
Gäste von ausserhalb des Kantons ein. Die Anreise erleichterte sich um ein Vielfaches, als 1840 und
1853 der Saumweg zu einem Fahrsträsschen ausgebaut wurde. Dadurch stieg auch die Gästezahl
stetig, worauf man 1856 ein grösseres Gasthaus baute, das rund 50 Gästen Platz bot. 1874 wurde
dann das eigentliche Kurhaus gebaut. In diese Zeitspanne fiel die Blütezeit des Kurhauses Richisau.
Von Palermo und St. Petersburg kamen die Gäste ins idyllische Klöntal. An den Bahnhöfen in Netstal
und Glarus standen jeweils Kutschen bereit, um die Kurgäste ins Richisau zu transportieren. Das Kurhaus Richisau war an der Wende zum 20. Jahrhundert gemäss den damaligen Komfortansprüchen
gut eingerichtet. Neben neuen Badezimmern gab es im Hause Post und Telefon. Trotzdem machte
sich nach der Jahrhundertwende ein steter Rückgang der Besucher bemerkbar. 1915, als der Besitzer
abwesend war, zerstörte ein Brand das Haus und besiegelte damit dessen Schicksal. Die Brandursache blieb ungeklärt. Zeitgenossen munkelten, dass ein Angestellter im Auftrage des abwesenden
Hausherrn das Feuer gelegt habe, da sich längst fällige Investitionen nicht mehr gelohnt hätten, das
Kassieren der Brandversicherungssumme hingegen sehr wohl.
Im Gasthaus Richisau wurde der Betrieb weitergeführt, und zwar bis in die 1980er Jahre im alten,
1856 erbauten Haus. 1987 errichtete die Erbengemeinschaft unter der Leitung von Architekt Peter
Kamm das neue Gasthaus Richisau, welches jeweils während der Sommermonate geöffnet ist.
Gasthaus Richisau heute
Kurhaus Richisau 1875
Treffpunkt der Künstler und Naturliebhaber
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Das Wirtepaar Fridolin und Martha Stähli
Das alte „Fremdenbuch Richisau“, 1858 von den Künstlern aus München mit Erinnerungen an die
früheren Aufenthalte bei den Stählis mitgebracht und mit Einträgen von 1857 bis 1894 ist ein eindrücklicher und lebhafter Beweis für ein gutes Einvernehmen zwischen Gästen und Gastgebern.
Darin schwärmten Gäste aus Philadelphia bis St.Petersburg über die Idylle im Klöntal und die Gastfreundschaft der Wirtsleute. Hatte ein Gast eine besondere Vorliebe, so bemühte sich der Hausherr,
dem Wunsche nachzukommen. So liess er die Türe zum Salon jeweils abschliessen, damit der Komponist Hermann Goetz, ein oft und gern gesehener Gast, in Ruhe seine Kreationen durchspielen
konnte.
Auch der Geologe Albert Heim, fand sich mit seiner Frau Marie Heim-Vögtlin, der ersten schweizerischen Medizinstudentin und praktizierenden Ärztin sowie Mitbegründerin der Pflegerinnenschule Zürich, nach anstrengenden Touren am liebsten für einige Ruhetage im Richisau ein, wohl nicht zuletzt
wegen dem Wirtepaar.
Albert Heim (1849-1937) schrieb und zeichnete unermüdlich gewichtige und amüsante Einträge und
bejubelte gemeinsam mit dem Musiker Hermann Goetz den Richisauer Wirt 1876 als „Euse Mah wie
Gold“.
Skizzen und Zeichnungen von
Albert Heim
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Künstler - 19. Jahrhundert
Wegen seiner lieblichen Umgebung, besonders während der Sommer- und Herbstmonate, liessen
sich im Richisau auch des öfteren Künstler inspirieren. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die
Landschaftsmalerei in Europa und die schweizerische Alpenthematik im Besonderen zu einem neuen
Höhenflug ansetzten, entdeckte der Wädenswiler und Wahlmünchner Johann Gottfried Steffan (18151905) das Klöntal und Richisau. Nach einer der frühesten Richisauer Zeichnungen von 1852, ehemals
im Besitz des Glarner Pfarrers und Kunsthistorikers Ernst Buss, warb Steffan für den imposanten Ahornrain bei seinen Schülern, Freunden und Münchner Atelierkollegen. Im Sommer 1856 trafen sich
mit Steffan erstmals der gebürtige Herisauer und spätere Schwiegersohn Traugott Schiess (18341869), der Zürcher Gustav Heinrich Ott (1828-1912) und der Münchner Friedrich Voltz (1817-1886)
bei den Richisauer Wirtsleuten Fridli und Martha Stähli. Ab 1857 gesellten sich Rudolf Koller (18281905) und der aus München nach Genf zurückgekehrte Friedrich Zimmermann (1823-1884) zur
„Künstlerkolonie“.
Sie schufen in freundschaftlichem Wettstreit an Ort und Stellle realistisch gemalte Naturstudien. Unterschiedliche Temperamente und unterschiedliche Ausdrucksweisen, vom heroisch-pathetischen
Frührealismus Steffans bis zur zaghaft beginnenden Auflösung in Farb- und Tonwerte bei Schiess,
bestimmten die persönliche Standort- und Sujetwahl. Nicht geringere Freude als die Bäume, die er
häufig malte, boten Koller die Felsen und das wilde, von der Klön gegrabene Tobel der „Richisauer
Schwammhöhe“, der mächtigen Seitenmoräne, die das eigentliche Klöntal von Richisauer Alpweiden
abriegelt. 1881 sinnierte Gottfried Keller über „die wahre ideale Reallandschaft
oder die reale Ideallandschaft“ und begeisterte sich an Rudolf Kollers erster Fassung vom Alpaufzug
mit den jugendlichen Richisauer Sennen.
Johann Gottfried Steffan. Rossmattertal.
1856. Oel auf Leinwand.
Traugott Schiess. Richisau. 1858.
Oel auf Leinwand.
Rudolf Koller. Die Richisau. 1858.
Oel auf Leinwand. Museum Oskar
Reinhart am Stadtgarten, Winterthur
Johann Gottfried Steffan. Klöntalersee 1892. Oel auf Leinwand.
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Kompositionen und Gedichte
Zur malenden Künstlerkolonie gesellten sich in der Folgezeit auch Komponisten und Schriftsteller.
Der Komponist Richard Wagner wanderte in den Jahren 1852 und 1854 durchs Klöntal. Der an Tuberkulose erkrankte Komponist Hermann Goetz reiste 1865 erstmals ins Richisau, genoss ab 1874
den Komfort des neuen Kurhotels und arbeitete während der Sommeraufenthalte von 1868 bis 1876
an seiner Oper „Der Widerspenstigen Zähmung“. Als der aus Königsberg stammende Goetz 1876, 36jährig, an einem schweren Lungenleiden starb, liessen im darauffolgenden Sommer der Wirt und einige Kurgäste im Andenken an den Verstorbenen einen Gedenkstein im Richisau errichten, in den sein
Freund Albert Heim eine Widmung meisselte.
Neben dem Schriftsteller Carl Spitteler, der in einer NZZ von 1890 die Spiegelungen des Klöntalersees in den höchsten Tönen lobte - „.. erlaube ich mir, einen der allererlesensten Landschaftsgenüsse, die es auf Erden gibt, ins Gedächtnis zurückzurufen, ich meine die berühmten Spiegelungen des
Klönthaler Sees.“ - fand auch Conrad Ferdinand Meyer den Weg ins Klöntal. Im Spätsommer 1884
entschloss er sich zu einer Kur im Richisau. Einer Freundin liess er am 18. September 1884 folgende
Worte zukommen: “... Das Gasthäuschen hier hat eine ganz angenehme Gesellschaft versammelt,
Vornehme und Geringe und mittlere Leute meinesgleichen, und konstant herrschte ein hübscher Ton
anständiger Gleichheit.“
Mit starker Handschrift schrieb Conrad Ferdinand Meyer das Gedicht „Die Bank des Alten“ ins Fremdenbuch:
Ich bin einmal in einem Thal gegangen,
Das, fern der Welt, dem Himmel nahe war,
Durch das Gelände seiner Matten klangen
Die Sensen rings der zweiten Mahd im Jahr.
Ich schritt durch eines Dörfchens enge Gassen,
Vor einer armen Hütte sass allein
Ein alter Mann, von seiner Kraft verlassen,
Und schaute empor auf den Firneschein.
Zuweilen, in die Hand gelegt die Stirne,
Seh ich den Himmel jenes Thales blaun,
Den Alten seh ich wieder auf die Firne,
Die nahen selig klaren Firne schaun.
‚s ist nur ein Traum. Wohl ist der Greis geschieden.
Aus dieser Sonne Licht, vor Jahren schwer,
Er schlummert wohl in seines Grabes Frieden.
Und seine Bank steht vor der Hütte leer.
Noch pulst mein Leben feurig; wie den Andern.
Kommt mir ein Tag, da mich die Kraft verräth;
Dann will ich langsam in die Berge wandern.
Und suchen, wo die Bank des Alten steht.
Gedenkstein Herrmann Goetz
C.F. Meyer, 1884
Dieses Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer, das er im August 1884 ins Gästebuch des Kurhauses
Richisau schrieb, lässt spüren, welch tiefe Wirkung das Klöntal auf die Reisenden des 19. Jahrhunderts ausübte und des öfteren Maler und Dichter zum Pinsel oder zur Feder greifen liess.
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Künstler - 20. Jahrhundert
Zwischen den eigentlichen Künstlerkolonien des 19. und des 20. Jahrhunderts lebte der Wiener Bildhauer Fritz Wotruba von 1938-45 als jüdischer Emigrant in der Schweiz und hielt sich zeitweilig auch
im Richisau auf. In dieser Zeit schuf er verschiedene Werke, Skulpturen und Skizzen.
Fritz Wotruba, Skulptur
Im Sommer 1981 wird im Richisau ein blautöniger Bahia-Granit (Sodalith-Syenit) aus Brasilien abgeladen. Mit der Ankunft dieses ungewöhnlichen Steines wird eine Kunst-Tradition wieder aufgenommen, die im frühen 19. Jahrhundert einsetzte und mit dem Untergang des Hotels beim Brand von
1915 ein vorläufiges Ende gefunden hatte. Die Arbeit des österreichischen Steinbildhauers Karl Prantl
bildet den Auftakt zu einem weiteren Abschnitt des Kunstschaffens im Richisau und im Klöntal: Kunstschaffen vor Ort als Auseinandersetzung mit dem Ort, so wie es Rudolf Koller oder Johann Gottfried
Steffan mehr als 100 Jahre früher getan hatten. Karl Prantl (*1923) plazierte seinen Granit-Rohling
inmitten des traditionsreichen, historischen Bergahornhaines. Bis 1985 kehrte er im Sommer jeweils
ins Klöntal zurück, um den Quader zu bearbeiten.
1991-94 Karl Prantl, Bahia Granit
Während seiner sommerlichen Arbeitsklausuren im Richisau erhält Prantl Besuch von Günther Uecker
(*1930), der mehrmals auch mit seinen Schülerinnen und Schülern der Kunstakademie Düsseldorf ins
Klöntal zurückkommt. Es entstehen 1984 unter anderem Aquarelle vom Richisauer Wasserfall, von
Silbern und vom Klöntalersee.
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1994 Günther Uecker, Klöntalersee
Die Gaststuben des neuen Restaurants, nehmen Bilder und Plastiken derjenigen Künstler auf, die im
Richisau gewirkt haben. In der Fridli-Stube kommunizieren so unterschiedliche Werke miteinander wie
Rudolf Kollers Porträt des legendären Richisauer Wirtes Fridli Stähli, Günther Ueckers Grafik und
Kachelofen sowie der der Klangstein von Elmar Daucher.
Das Gemälde „Spaziergang in den Bergen“ der Luzerner
Malerin Irma Ineichen (*1929) ist 1991 wie im Fall von
Karl Prantl aus der persönlichen Beziehung zur Besitzerfamilie des Richisau entstanden.
1991 Irma Ineichen
Spaziergang in den Bergen
1990 kommt der englische Land Art-Künstler Richard Long (*1945) erstmals in Klöntal. Auf seinem
Fussweg vom Vierwaldstättersee nach Glarus verlässt er nach dem Pragelpass den Weg und realisiert auf Silbern die ersten von einem guten Dutzend Arbeiten im Klöntal. Es entstehen u.a. Steinkreise und -männchen in der näheren und weiteren Umgebung des Richisau.
1991 Richard Long, Steinskulpturen
1991 Richard Long, Steinkreis
„Le manteau“, eine knapp zwei Meter hohe Stahlskulptur
auf der Richisauer Schwammhöhe des Innerschweizer
Plastikers Kurt Sigrist (*1943) entstand in den Jahren
1994-95 und ist die letzte Arbeit mit der sich der Kreis zu
Karl Prantl wieder schliesst.
1994-95 Kurt Sigrist, Le manteau
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Das Klöntal - ein geologisch falsches Tal
Von der Richisauer Schwammhöhe aus blickt man hinunter auf den See, ins Klöntal – ins falsche Tal:
Die Natur hat vorgesehen, dass die meisten Täler dieser Welt dort entstehen, wo zwei tektonische
Einheiten aufeinander treffen. Hier im Klöntal ist dies anders. Eine tektonische Einheit, die AxenDecke, ist auseinander gebrochen und hat sich das Klöntal geschaffen. Eigentlich treffen zwischen
dem Twiren und dem Längeneggpass die beiden tektonischen Einheiten Axen-Decke und DrusbergDecke aufeinander. Also sollte das Klöntal dort sein, wo sich heute das Tälchen Chängel – Alp Unter
Längenegg – Dejenalp befindet. Doch es ist nicht den Regeln der Natur gefolgt und so gehört nun
eben auch die linke Talseite mit dem Sulzberg, dem Mättlistock und dem Dejenstock geologisch gesehen zur Axen-Decke des Glärnisch. Die Längeneggmulde, an der sich zwei gebirgsarchitektonische
Einheiten trennen, wäre für das Klöntal vorgesehen gewesen. So hält sich eben auch die Geologie
nicht immer an ihre Gesetze.
Geologisches Querprofil durchs Klöntal. Die Darstellung zeigt, dass die Grenze zwischen den tektonischen Einheiten Axendecke und Drusbergdecke nicht im Klöntal liegt, sondern nördlich bei Längenegg. Dort müsste geologisch gesehen das Klöntal liegen.
Das richtige Tal
Das falsche Tal
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Die Arche der Besinnung
Nicht prominent, sondern versteckt im Auenwald steht das Klöntaler Kirchlein. So bescheiden sich
der Bau ausnimmt, so aussergewöhnlich ist seine Entstehungsgeschichte: Angeregt von einem
Bauern, der hier das sonntägliche Kirchengeläute vermisste, entschloss sich 1961 ein grosser
Verehrer des Klöntals, mit einer grosszügigen Spende der protestantischen Kirchgemeinde GlarusRiedern den Bau einer Kirche zu ermöglichen. Das Architekturbüro Daniel & Werner Aebli und F.
Bossi, Glarus, erhielt den Auftrag, ein kleines, rund 80 Personen fassendes Kirchlein zu errichten,
das im August 1966 eingeweiht wurde. Der Stifter dachte bei der Form der Kirche an einen schlichten
Holzbau, vergleichbar mit skandinavischen Bauten. Die Aufgabe des Architekten bestand
darin, einen Kirchenraum zu gestalten, dessen Atmosphäre den Menschen bewegt und ihn auf
den christlichen Ort der Versammlung und Besinnung einstimmt. Die Anlage und das Raumkonzept
von Kirche und Turm sind einfach: die zwei getrennten Baukörper sind je von quadratischer
Grundfläche, über der sich ein Zeltdach spannt, wobei das Dach des Turmes tannenförmig bis zum
Fundament hinuntergezogen ist. Durch die Materialien Holz und Eternit sowie die Tannen- und
Zeltform von Turm und Kirche wurde ein Zusammenspiel mit dem umgebenden Wald angestrebt.
1968 wurden die farbigen Fenster des Kunstmalers Christian Oehler (1909-1986) eingebracht.
Das Kirchlein im Klöntal
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Gasthaus & Pension Klöntal
Während der Blütezeit der Molkenkuren liess die Gemeinde Netstal 1870 im hinteren Klöntal ein Kurhaus für Bade- und Molkenkuren erstellen, das als Zweigbetrieb des renommierten Hotels 'Glarnerhof'
in Glarus geführt wurde. Nach dem Brand Ende 1883 wurde das Haus als Hotel & Pension Klöntal
wieder aufgebaut. Im Auftrag der Ida-Stiftung leitete Architekt Hans Leuzinger den Hotelumbau zum
Niederurner Ferienheim, das 1925 eröffnet wurde.
Hotel und Pension Klöntal 1908
Kursschiffe
Mit dem Aufkommen des Fremdenverkehrs wurde auch der Klöntalersee touristisch genutzt. Es fuhren Kursschiffe, welche die noblen Gäste aus aller Welt vom Rhodannenberg ins Vorauen führten, wo
bereits Pferdekutschen warteten, um sie weiter an ihr Ziel zu bringen.
Am 30. Juni 1889 wasserte hier ein erstes Dampfschiff für 12 Personen. Es gehörte M. BrunnerLegler, Hotelier im Glarnerhof und im Hotel & Pension Klöntal. 50 Rappen kostete eine einfache Fahrt
vom Rhodannenberg zum Vorauen oder umgekehrt. 1892 gab Alfred Strehler aus Wollishofen bekannt, dass er mit einem 18-plätzigen Naphta-Dampfer jeden Sonntag, während des eidgenössischen
Schützenfestes in Glarus täglich den See befahren werde. Mit dem Kraftwerkbau erlitt die Schiffahrt
einen Unterbruch. Am 28. Juni 1912 verkehrte aber wieder das 20-plätzige Motorboot Magda auf dem
Stausee. 1914 kursierte zudem ein Schiff von Anton Cavelti-Kohler aus Riedern. Die einfache Fahrt
kostete Fr. 1.-, eine Retourfahrt Fr. 1.50. Im Jahre 1917 wurde das Salonschiff Tell, das vorher auf
dem Vierwaldstättersee gekreuzt hatte, in Verkehr gesetzt. Weitere Kapitäne versuchten ihr Glück und
mit Peter Pecka aus Glarus wurde die Kursschiffahrt auf dem Klöntalersee gegen Ende der fünfziger
Jahre beendet.
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„Blaue Brünnen“ - Auenwald
Kurz vor dem Seeende, wo der Chlön in den See fliesst, nähert sich der Weg wieder den nahezu
senkrechten, feuchten Felsen. Ein Rauschen wird immer lauter. Ungebändigt strömt ein Wildbach aus
dem Berg: Die Blaben Brünnen, die Quellen, die den See nie ganz vereisen lassen. Im Frühling, wenn
das Schmelzwasser durch den Berg sickert, quellen sie über Hunderte von Metern aus den steilen
Flanken der Chlön entgegen. Das Wasser überflutet dann den weichen Talboden. Kaum ein Mensch
begeht zu der Jahreszeit diesen Ort, ein Festlaichen für die Amphibien. Dann beginnt der Auwald zu
blühen, ein durch wechselndes Hoch- und Niedrigwasser geprägtes Naturschutzgebiet, das auch dem
Vorauen am hinteren Seeufer seinen Namen gab.
Quellaustritte bei den "Blauen Brünnen"
Überflutetes Auengebiet
Wasserfall Dunggellaui
Möchten Sie einmal spüren, was es heisst,
wenn es einem den 'Schnauf' verschlägt?
Dann gönnen Sie sich eine Dusche unter
dem Dunggellaui-Wasserfall. Die fallenden
Wassermassen schlagen einem buchstäblich die Luft weg. Ein eindrückliches Erlebnis
in einer einzigartigen felsigen Duschkabine
mit prächtiger Seesicht.
PS: Nur bei sehr warmem Wetter zu empfehlen!
Wasserfall Dunggellaui
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Suworow
Brave, nationalheroisch erzogene Schüler lernten damals, dass der russische General Suworow bei
seinem mutigen Feldzug gegen die Franzosen hier seinen Schatz versenken liess: „Schritt um Schritt
kämpften sich die Russen beim Durchzug von General Suworows Heer im Jahr 1799 am Klöntalersee
vorbei. Allein beim Bärentritt ertranken über 200 Franzosen. Die wehrten sich jedoch „das es tätscht
und tämered hät mit Gwehr und Kanune, as me het chänne meine, ds Chlüntel sig de bar Hell.“
Doch Suworow erkannte, dass er zwischen diesen Bergen stecken bleiben könnte und hatte Angst um
seine Kriegskasse. Das Beste wäre, wir werfen sie in den See. Der soll sie hüten, bis wir wieder einmal vorbei kommen. Doch weder Suworow noch seine Soldaten sahen das Klöntal jemals wieder. So
liege der Schatz noch heute an der gleichen Stelle, munkelt man.
„Aber auch hoch oben, auf der Deyenalp, sah man die Soldaten aufeinander losgehen, sich am Kragen packen und gegenseitig über die Felsen hinunterstossen.“ (Heimatbuch)
Der Durchzug Suworows 1799
Nach Siegen der französischen Truppen gegen die Herren des alten Bern und die Innerschweizer war
1798 das ganze Gebiet der Schweiz besetzt (oder befreit - eine Frage des politischen Standpunktes).
Die Helvetische Republik wurde ausgerufen, die für Bürgerinnen und Bürger die politische Gleichheit,
die Religions- und Pressefreiheit brachte. Im zweiten Koalitionskrieg (1799-1802) versuchten Oesterreich, Russland und Grossbritannien mit weiteren Verbündeten, das revolutionäre Frankreich wieder
in die Schranken zu weisen und Gebiete (Oberitalien, Schweiz, Belgien, linksrheinisches Ufer), die in
den vergangenen Jahren unter französischen Einfluss gelangt waren, zurückzuerobern.
Die republikanischen Errungenschaften im Herzen Europas waren den Monarchen ein Dorn im Auge.
Bald schon konnten die Verbündeten erste Erfolge feiern. Im ersten Zürcher Krieg wurden die Franzosen von den Oesterreichern aus Zürich verdrängt, und der russische General Suworow konnte in Oberitalien Erfolge verbuchen. In der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1799 begannen sich nun die
Kämpfe der fremden Armeen ganz auf die Schweiz zu konzentrieren. Der Plan der Verbündeten sah
vor, dass Suworow von Italien her in die Schweiz eindringen, die Franzosen vom Gotthard und aus
dem Urnerland vertreiben und sich danach im Raum Schwyz mit den Truppen des Generals Hotze,
eines Schweizers in österreichischen Diensten, sowie weiteren Verbündeten vereinen sollte, um mit
geballter Kraft die französische Armee unter General Masséna zu schlagen.
Am 15. September erreichte Suworow mit rund 21‘000 Mann (Zahl unsicher) Taverne südlich des
Monte Ceneri im Tessin. Von hier brach er mit 650 Maultieren, rund 1‘500 Kosakenpferden und 25
leichten Gebirgsgeschützen Richtung Gotthard auf, wo er am 24. September erstmals auf die Franzo-
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sen traf. Suworow blieb gegen die überraschten Franzosen erfolgreich, verlor jedoch bereits hier
1‘200 Mann. Plangemäss schritt seine Armee weiter voran, immer wieder in Kämpfe mit den zurückweichenden Franzosen verwickelt. Hart umkämpft war die Schöllenen zwischen Andermatt und Göschenen, wo heute noch ein Denkmal an den Alpenfeldzug Suworows erinnert.
Am 26. September erreichte die russische Armee Altdorf. Die schnellste Verbindung nach Schwyz
wäre von hier der Seeweg gewesen. Sämtliche Schiffe waren jedoch von der französischen Armee
fortgebracht worden, die mit ihrer Flottille das Seebecken beherrschte. Die Axenstrasse gab es noch
nicht. So entschied sich Suworow, Schwyz und seine Verbündeten über den Kinzigpass und das Muotatal zu erreichen. Die nach den dreitägigen Kämpfen stark erschöpfte Armee brach bereits am nächsten Morgen auf und stieg hungrig und vom Regen durchnässt über den Kinzigpass nach Muotathal.
Hier erfuhr Suworow vom Käsehändler Sebastian Schelbert, der soeben von einer Geschäftsreise im
süddeutschen Raum via Zürich heimgekehrt war, von der Niederlage seiner Verbündeten in Zürich
und an der Linth, wo General Hotze gefallen war. Suworow war in einer ausweglosen Situation. Seine
Armee von weniger als 20‘000 Mann, gefangen in einem Tal, stand derjenigen von Masséna mit mehr
als 60‘000 Mann gegenüber. Der vorbereitete Plan war nicht mehr durchführbar. So entschloss sich
der russische General, über den Pragelpass und den Kerenzerberg zu seinen Verbündeten in Oesterreich vorzustossen. Die Verwundeten wurden in Muotathal zurückgelassen. Den rund 1‘000 gefangenen französischen Soldaten wurden die Schuhe und Strümpfe weggenommen, um sie danach durch
Regen und Schnee über den Pragel mitzuführen. Doch im Klöntal warteten bereits die Franzosen.
Wiederum folgten heftige Kämpfe mit grossen Verlusten. Bis ins glarnerische Netstal konnten sich die
Russen noch vorkämpfen, doch die französische Barriere bei Näfels konnten sie nicht durchbrechen.
Die Linthbrücke und der Weg über den Kerenzerberg waren versperrt. Die russische Armee lag am
Boden, ausgehungert und ohne Munition. Nun blieb nur noch der Rückzug über den Panixerpass. Die
Russen flohen, von den Franzosen verfolgt und in Gefechte verwickelt, nach Elm und von dort in den
frühen Morgenstunden des 6. Oktober über den bereits zugeschneiten Panixerpass nach Chur, wo sie
endlich wieder genügend Lebensmittel fanden. 6‘000 russische Soldaten kamen in diesem Monat um.
Viele der Überlebenden kamen krank oder verletzt in Chur an. Das Glarnerland war nach dem Durchzug der fremden Armeen ausgeplündert und ohne Nahrungsreserven. Die ausgehungerten Russen
stahlen das Obst von den Bäumen, gruben in den Äckern nach Kartoffeln und entwendeten Schweine,
Kühe und Geflügel. Der Pfarrer Marcus Freuler berichtet von der Zeit danach: „Sehr viele Menschen
wurden genöthiget, auf Erlaubnis der Regierung ihre Wohnungen zu verlassen und mit ihrem ausgehungerten, dem Tod ähnlichen Körper in andere Gegenden Helvetiens zu wandern.“ Verschont gebliebene Kantone nahmen Glarner Kinder zur Erholung auf. 1‘200 Kinder verliessen in den ersten fünf
Monaten des Jahres 1800 ihr Elternhaus und wurden nach Basel, Bern, Solothurn und in die Westschweiz gebracht. In einer Stadt angekommen, wurden die halbnackten Kinder auf den Marktplatz
geführt. Sich erbarmende Einwohner wählten sich ein Ferienkind aus, die anderen wurden weitergeführt, bis alle versorgt waren.
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Fossilien
Eine Fundstelle für Ammoniten, Seeigel und andere jurassische Fossilien findet sich direkt beim Bärentritt. In der steilen Geröllhalde vor der Galerie kann man sie leicht finden und erkennen.
Die Fossilien werden dem helvetischen Dogger (Mittlerer Jura) und Malm (Schiltschichten, Oberjura)
zugeordnet und sind somit um die 160 Millionen Jahre alt. Viele eisenhaltigen Sandsteine (Eisenoolithe (Blegioolith)) sind stellenweise reich an Belemniten und Ammoniten. Die klimatischen Bedingungen dieser Zeit waren ähnlich wie heute in der Karibik.
Fossiliensucher am Bärentritt
Ammonit aus der Oberen Jurazeit
Der Eisenerzabbau
Im Tiefenwinkel, ein Name der noch aus den Zeiten des ungestauten Sees herrührt, als das Ufer das
Wasser in einem sehr spitzen Winkel umgab, in einem tiefen Winkel eben, sind durch das Laub der
Bäume oben in den Felsen ein paar dunkle, nur schwer erkennbare Nischen wahrnehmbar. Es sind
die Eisenlöcher, die an die erwartungsvollen Zeiten am Ende des 16. Jahrhunderts erinnern, als man
das begehrte Eisen als Rohmaterial für Hellebarden, Spiesse, Schwerter und anderes Schlachtmaterial auf eignem Grund gewinnen wollte. Das Land Glarus hatte sich den Anspruch auf das Eisen genommen, die Grundbesitzer enteignet, eine Bergwerksgesellschaft gegründet, spekuliert und alles
verloren, denn vom Eisen gab es weder sonderlich viel noch war seine Qualität gut. Es gab Händel
und Streitereien, Eisen wurde gestohlen und Löhne nicht entrichtet. Man wollte schlau sein und hatte
das Bergwerk für eine überrissene Summe verkauft. Doch der Käufer, der Mörsberger, ein adliger
Lebemann, war noch schlauer – er hat die Summe nie bezahlt. Heute erinnern nur noch ein Haufen
gebrochenes Roteisenerz, das weit unter der Wasseroberfläche am Ufer des ehemaligen Tiefenwinkel
liegt, Eisenschlacken, Kohlplätze und Namen wie Isebergli und Kohlgrüebli an die einstige Bergwerkstätigkeit.
Eisenloch über dem Tiefenwinkel
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Gessner-Denkmal
Das Gessner-Denkmal, eine Steingruppe nur wenige Meter oberhalb des Weges, die die Natur für
Salomon Gessner, einen Zürcher Idyllendichter und Maler errichtet haben soll. Sie wurde ihm von
zwei Verehrern gewidmet, die sich 1788 zur Einweihung des Gedenksteins mit Tränen in den Augen
um den Hals fielen und küssten. Ob der Gedenkstein eher als Lob zu Ehren Gessners oder der Verewigung ihrer selbst diente, bleibt dahingestellt. 'Duo rudes, rudi saxo, rude monumentum posuere' –
nicht unpassend, dass zwei Ungeschliffene aus rohem Stein ein grobes Denkmal errichtet haben, fand
der berühmte Glarner Naturforscher Oswald Heer. Ein Reisender aus Potsdam meinte lediglich, was
dem Gessner-Denkmal an Bedeutung fehlt, ersetzt das Klöntal selbst tausendfach. Auf jeden Fall
erhielt das Klöntal mit der Publikation der Geschichte des Gessner-Denkmals im Jahre 1789 mit einem Schlag unerwartete Popularität und mit der ersten Darstellung des Denkmals wurde ein nationales Bildthema geschaffen, das für über ein Jahrhundert die Sicht vom 'Bergtal mit See' vorprägte. Ein
eigentlicher Kunsttourismus setzte nun im Klöntal ein.
Johann Heinrich Bleuler. Klöntalersee mit
Gessnerdenkmal, Ansicht von Nordosten.
Als Einzelblatt erschienen im Oktober 1788.
Mit Deckfarben kolorierte Umrissradierung
nach eigener Zeichnung. Graphische
Sammlung, Zentralbibliothek Zu!
rich.
„Salomon Gesnern
wolte die Natur
ein Denkmal
stiften und sie
lies hier seinen
Namen verewigen
durch „ 1788 Z u B“.
Johann Heinrich Bleuler. Gessner-Denkmal
am Klöntalersee. Als Einzelblatt erschienen
im Februar 1790. Radierung in Braundruck
nach Zeichnung von Ludwig Hess 1788.
Graphische Sammlung, Zentralbibliothek
Zu!
rich
.
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„Gletschern“
Im Winter verwandelt die sonnenlose Zeit das Tal jeweils in eine weisse Tiefkühlsenke. Auf der Wasseroberfläche bildet sich Eislage um Eislage. Der See senkt sich ab. Von Zeit zu Zeit bricht das Eis
mit einem peitschenden, schrillen Knall nach und legt sich wieder auf das stille, dunkle Wasser. Das
Eis ist von so ausgezeichneter Qualität, dass sich zwischen Mitte des 19. Und Mitte des 20. Jahrhunderts, zwischen Schnäggebüchel und Herberig eine eigene Industrie entwickelte, das „Gletschern“.
Fundamentmauern von Eishütten neben der alten Strasse unterhalb der Herberig, die man nur bei
tiefem Seestand sehen kann, erinnern an dieses Treiben.
„Zugleich findet ein schwunghafter Eisexport statt, der in günstigen Wintern hunderte von Pferden und
Fuhrleuten beschäftigt. 200-300 Schlitten fahren zweimal des Tages von den Stationen Netstal und
Glarus her leer hintereinander hinauf zum See und nachher mit Eisblöcken beladen wieder hinunter,
die in hunderten von Eisenbahnwagenladungen nach allen Ländern wandern.“
Ernst Buss, 1897
Johann August d‘Aujourd‘hui. Eisbrechen auf dem
Klöntalersee. Holzstich nach eigener Zeichnung
in der Leipziger Illustrirten Zeitung, 14.4 1877.
Privatbesitz.
Eisarbeiter auf dem Klöntalersee. Foto Hans
Schönwetter, um 1950. Museum des Landes
Glarus
1862 war Gabriel Leuzinger der Erste, der mit einer Säge Eisblöcke aus dem Klöntalersee sägte, sie
nach Netstal brachte und dort gut isoliert bis in den Sommer aufbewahrte. Er wurde ausgelacht. 10
Jahre später war das „Gletschern“ im Klöntal ein bedeutender Wirtschaftsfaktor geworden. In guten
Zeiten waren mehrere hundert Arbeiter damit beschäftigt, mit Pickeln und Sägen, mit Seilen und Haken das Eis zu schneiden und es auf Pferdefuhrwerke zu laden. Über 300 Fuhrwerke waren für den
Transport nach Glarus oder Netstal besorgt, wo das Eis auf die Bahn verladen wurde. Noch mitten im
Sommer wurde Eis versandt, welches man oben am See in Gletscherhütten eingelagert hatte. Bierbrauereien, Spitäler, Hotels, Restaurants, Konditoreien, und selbst Ozeandampfer waren Abnehmer.
Bis nach Köln, Paris und Marseille wurde das gefrorene Wasser exportiert.
1873 schrieb die „Neue Glarner Zeitung“: „Der Klöntalersee ist ein eigentliches Kalifornien geworden.
Jedermann will reich werden. Hr. C.A. Bauer (Eisexporteur) bezahlt wöchentlich allein in Netstal an
Arbeits- und Fuhrlöhnen bis Fr. 6‘000.-“. 1877 wurde berichtet: „Dank dem anhaltenden milden Winter
hat der Eisexport stark zugenommen ... allein in Glarus sind mindestens 2000 Wagenladungen zu 200
Zentner Eis in alle Welt versandt worden, was eine Gesamteinnahme von über Fr. 300‘000.- ergab.“
Die Erfindung der Eismaschine bedeutete den Niedergang des Gletscherns. Im Januar 1953 brachte
man die letzten Fuhren in den Eiskeller der Brauerei Wädenswil in Glarus.
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Die Entdeckung des Hochgebirges
Schauplatz und Datum stehen fest: im Klöntal, um den 10. Juni 1655, schuf der Zürcher Maler und
Kupferstecher Conrad Meyer (1618-1689) die ersten modernen Hochgebirgsdarstellungen und überhaupt die ersten Hochgebirgspanoramen. Meyer führte in Begleitung des jungen Hans Rudolf Werdmüller den Holländer Jan Hackaert (1628-vor 1700) ins Glarnerland, um hier seinem Kollegen Zeichnungserfahrungen in den Zürich nächstgelegenen Alpen zu ermöglichen. Hackaert, von Amsterdamer
Kaufherren mit einer Bilddokumentation des Handelswegs Zürich-Splügen beauftragt, lernte die Formensprache der Bergwelt und reduzierte in seinen Zeichnungen die niederländische Raumauffassung
vom weiten und hohen Himmel zugunsten der Gebirgslandschaft. Meyer hingegen steigerte die panoramaartige Weiträumigkeit und topographische Genauigkeit seiner virtuos gemalten Darstellungen.
Conrad Meyer. Der Klöntalersee, Su!
dufer mit
Glärnischmassiv. Juni 1655. Pinselzeichnung,
Graphische Sammlung ETH Zu!
rich.
Conrad Meyer. Der Klöntalersee, Nordufer.
Juni 1655. Pinselzeichnung, Kunsthaus
Zu!
rich.
Gustav Solar (1974) hat in seinen „Feststellungen um einen Fund“ nachgewiesen, dass es sich bei
Meyers Glarner Zeichnungen thematisch um „die ersten Porträts des Hochgebirges - nicht mehr nur
aus der Ferne, sondern von Standorten inmitten des Hochgebirges selbst „und um die ersten genauen
und zugleich künstlerisch anspruchsvollen Alpenpanoramen“ handelt. Dazu zählen die mit der graublauen Pinseltechnik gefertigten Zeichnungen vom Süd- und Nordufer des Klöntalersees. Entsprechend der von Hackaert übernommenen Sicht und dessen pragmatischem Arbeitsvorgang, nämlich je
nach Sujet das vorhandene Zeichnungspapier mit zusätzlich angeklebten Papieren zu vergrössern,
hat Conrad Meyer zwecks massstäblicher Wiedergabe das Klöntalersee-Blatt mit Glärnisch um 62
mm im Hochformat angestückt. Conrad Meyers aussergewöhnliche Leistung am Anfang des Barocks,
gleichsam 120 Jahre zu früh, wurde von staunenden Kunsthistorikern in den 1970er Jahren wieder
entdeckt.
Englische Malerei
Im Jahre 1776 reisten die ersten namentlich bekannten Engländer ins Klöntal. Richard Payne
Knight liess sich auf seiner auf seiner „Grand Tour“
durch die Schweiz und Richtung Italien vom Landschaftsmaler John Robert Cozens (1752-1797)
begleiten. Gelbrötlich schien der Horizont gegen
Sonnenuntergang, als Cozens im Herbst 1776 den
Klöntalersee aus verschiedenen Perspektiven
malte. Mit seiner meisterhaften, von realistischer
Genauigkeit losgelösten Aquarelltechnik erfasste
er Luft, Licht und Schatten, jene Elemente, die
einer Landschaft ihre eigentümliche Atmosphäre
verleihen und beeinflusste damit namhafte Künstler der Romantik wie William Turner und andere.
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Bergstürze
Schaut man hinauf Richtung Glärnisch sieht man die Lücke, die zwischen dem Vorderglärnisch und
dem Vrenelisgärtli klafft. Nach dem Rückzug des Klön-Gletschers, vor etwa 10‘000 Jahren stürzten
von Guppen her gewaltige Gesteinsmassen in Richtung Linthtal. Die Trümmermassen dieses Bergsturzes formen heute die Landschaft zwischen Glarus und Schwanden. Ein Teil der Felsen stürzten
jedoch die Nordseite des Glärnisch hinunter und führten zur Bildung der Hügellandschaft um den
Sackboden.
Auf der nördlichen Talseite gegenüber der Schwammhöhe liegen die steilen Wiesen von Planggen,
auf denen heute noch „wildgheuet“ wird. Über diesen Wiesen erkennt man die kahle Wand, aus der
nach dem Rückzug des Klön-Gletschers gewaltige Gesteinsmassen in die Tiefe stürzten und das
Klöntal vom Glarner Haupttal abtrennten und gleichzeitig zur Stauung des Sees führten.
Die Bergstürze im Klöntal
nach Oberholzer
Abbruchstelle Planggen
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Eisenverhüttung im 16. Jahrhundert
Uralte Mauerreste zeugen noch aus der Zeit des Eisenabbaus im 16. Jahrhundert, als der alte See
leicht angestaut wurde, um mit den mit Eisenerz beladenen Flössen zu den Verhüttungsstellen am
obersten Löntschlauf zu gelangen.
Alte Mauer die wahrscheinlich
zur Anschwellung des Sees gebaut wurde
Während der Zeit der Eisenverhüttung im 16. Jahrhundert standen im Klöntal an verschiedenen Stellen Holzkohlemeiler, die zur Herstellung von Holzkohle dienten. Die Holzkohle wiederum wurde zum
Schmelzen des Eisenerzes in einfachen Hochöfen gebraucht. Heute weisen an einigen Orten schwarze Maushügel, die Holzkohle enthalten, auf die Standorte ehemaliger Holzkohlemeiler.
Die Mäuse fördern sie - Holzkohle, die zum Schmelzen des Eisenerzes hergestellt wurde
An der Klöntalstrasse unterhalb der Staumauer kann man in der Böschung immer noch Eisenschlacken aus der Zeit der Eisenverhüttung im 16. Jahrhundert finden. Der Bau der neuen Strasse führte
mitten durch die ehemalige Verhüttungsanlage und die Schlacken wurden mit dem Strassenbau wieder in die Böschung eingebracht.
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Löntschtobel, historische Steinbogenbrücke
Mitten im bewaldeten Riegel unterhalb des Klöntals führt eine alte Steinbogenbrücke über das
Löntschtobel. Es ist ein Damm aus Schuttmassen prähistorischer Bergstürze, der das Klöntal vom
Linthtal trennt. Von hier aus sind durch das Laub die senkrechten „Flanken“ des Wiggis und die mächtigen Wände des Glärnisch zu erkennen. Unter der Brücke erstreckt sich die schattige Tiefe der
Schlucht, in der sich weit unten der donnernde Löntsch schäumend durch die jahrmillionenalten Kalkgesteine nagt.
Löntschtobelbrücke
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Wiege des Schweizerischen Skisports
Am 28./29. Februar 1893 wurde als erster Skiclub der Schweiz der Skiclub Glarus gegründet. 1902
fand auf dem Sack das erste Skirennen der Schweiz statt. Verschiedene auswärtige Blätter hatten
ihre Spezial-Korrespondenten zu diesem Anlass gesandt, der von 400 Personen, darunter auch offiziellen Vertretern des Gemeinderates Glarus, verfolgt wurde. In den nächsten Jahren folgten Rennen
über den Pragel und die Schwammhöhe nach Glarus. 1905 fanden hier die Verbandsmeisterschaften
des neu gegründeten Schweizerischen Skiverbandes statt, wobei der Sprunglauf vor einer Kulisse von
rund 10'000 Zuschauern am meisten Beachtung fand.
Offizielles Plakat fürs Skirennen von 1905
Sprunglauf vor dem Glärnisch
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Der erste schweizerische Fabrikstreik
Im 19. Jahrhundert hatten die miserablen Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken im Kanton Glarus
einen verheerenden Einfluss auf das soziale Leben und die Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung.
Die grosse Not bereitete den Nährboden für Reformen.
1816 wurde von den Arbeiterinnen und Arbeitern der Stoffdruckerei Egidius Trümpy in der Bleiche
Glarus die erste Fabrik-Krankenkasse gegründet. In der gleichen Firma traten die Arbeiter 1837 zwei
Wochen in den Ausstand, um die Einführung einer Fabrikglocke, die Anfang und Ende der Arbeitszeit
signalisierte, zu verhindern.
Hänggitürme aus der Blütezeit des Textildruckes. Rechts die Fabrik, in der der erste Fabrikstreik stattfand.
Glarner Textilindustrie
1714 Andreas Heidegger, Diakon in Glarus, brachte die Baumwollhandspinnerei ins Glarnerland.
1720 die Handspinnerei hat sich im ganzen Kanton ausgebreitet und wird zur wichtigsten Erwerbsquelle der Bevölkerung.
1740 eröffnet Johann Heinrich Streiff die erste Indiennes- oder Zeugdruckerei im Glarnerland. Indiennes, farbig bedruckte Baumwollstoffe, wurden seit dem 16. Jahrhundert von Indien nach Europa
importiert. 1678 begann man in Europa mit dem Bedrucken von Baumwolltüchern. Vom Zeugdruck, das zeitaufwendige Bedrucken von Stoffen mit Holzmodeln, hatte Streiff nicht viel Ahnung,
doch engagierte er einen fachkundigen Koloristen (Farbenchemiker) hugenottischer Abstammung.
Obwohl die indigoblauen Tücher aus Streiffs Manufaktur guten Absatz fanden, entwickelte sich die
Glarner Druckindustrie im 18. Jh. nur langsam.
1780 kommt das englische Maschinengarn auf - Wechsel von der Handspinnerei zur Handweberei
von Baumwolltüchern.
1813 eröffneten die Gebrüder Blumer in Glarus die erste fabrikmässige Spinnerei.
1814 nach Beendigung der napoleonischen Kriege, welche die gesamte Wirtschaft lahm gelegt hatten, beginnt der grosse Aufschwung der Glarner Textilindustrie, vorerst mit Zeugdruck und Heimweberei, später auch mit maschineller Weberei und Spinnerei; die Handspinnerei verschwindet vollends. Als Ursache für die Industrialisierung erwähnt später der Linthaler Pfarrer Bernhard Becker
die Berge "die uns zwischen ihnen keinen Raum lassen, dass wir unser Brod pflanzen könnten.
Wir mussten Kunstprodukte machen und von anderen Orten her das Brod uns geben lassen". Zu
Beginn der Industrialisierung gab es überhaupt keine Reglementierung der Fabrikarbeit und jede
Einmischung des Staates in die Verhältnisse zwischen Arbeitgeber und -nehmer wurde zurückgewiesen. Uneingeschränkt wurden die Arbeitsbedingungen vom Fabrikbesitzer diktiert. In den
Drucksälen herrschte eine schwüle, feuchtheisse Atmosphäre. Die Räume waren schlecht be-
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leuchtet, die Ventilation ungenügend, Oel- und Farbengerüche stiegen auf und die eintönigen Arbeiten mussten mit grosser Hektik und oft in gebückter Haltung ausgeführt werden. Die übliche Arbeitszeit lag bei 14 Stunden im Tag. "in den Spinnereien müssen die Kinder von morgens 5.00 Uhr
bis abends 19.30 Uhr, oft noch länger bis 20.00 Uhr aushalten. Haben sie, wie häufig der Fall,
noch einen weiten Arbeitsweg, so müssen sie um 4.00 Uhr oder sogar vorher aus dem Schlaf genommen werden, aus dem Schlaf, der für Kinder in reichem Masse geradezu unentbehrlich ist"
(Bernhard Becker).
1816 wurde von Arbeiterinnen und Arbeitern der Stoffdruckerei Egidius Trümpy in Glarus die erste
Fabrik-Krankenkasse gegründet.
1837 gab es im Glarnerland bereits 9 mechanische Spinnereien, die rund 400 Personen beschäftigten. In der Stoffdruckerei Egidius Trümpy traten im gleichen Jahr die Arbeiter für zwei Wochen in
den Ausstand, um die Einführung einer Fabrikglocke, die Anfang und Ende der Arbeitszeit signalisierte, zu verhindern. Der Streik führte jedoch nicht zum gewünschten Erfolg.
1840 begann die Einfuhr maschinell gewobener Tücher und viele Heimweber verloren ihre Arbeit. Die
fehlenden Verdienstmöglichkeiten zwangen in den folgenden Jahren viele Glarner und Glarnerinnen zur Auswanderung.
1844, am 9. April, sagte der spätere Ständerat und erste Präsident des Schweizerischen Bundesgerichtes, Johann Jakob Blumer. in einer Landratsverhandlung: "Früher hatten wir einen natürlichen
Abfluss, die fremden Kriegsdienste, jetzt haben wir kein anders Mittel als die Auswanderung. Mit
dem Ausbruch der Erdäpfelseuche im gleichen Jahr, breitete sich neben der Arbeitslosgkeit auch
noch eine grosse Hungersnot aus. Das Glarnerland war "eine der unglücklichsten Gegenden des
Erdbodens, wo alle Jahre viele Menschen eines langsamen Hungertodes sterben."
1845 brachen 193 Auswanderer mit Hilfe des glarnerischen Auswanderungsvereines nach Wisconsin,
USA, auf, um das Städtchen New Glarus zu gründen.
1845 Eine im November vom Regierungsrat erlassene Verordnung, die verbesserte Arbeitsbedingungen in den Fabriken vorsah, wurde auf Druck einiger Fabrikanten zwei Monate später wieder aufgehoben und durch die fabrikantenfreundliche "Fabrikherren-Verordnung" ersetzt.
1850 beginnt auch die maschinelle Weberei im Glarnerland und es kommt in den folgenden Jahren
zur Blütezeit der Glarner Textilindustrie.
1858 wurde aufgrund eines Begehrens von Pfarrer Becker die Sonntagsarbeit verboten.
1864 brachte das Fabrikpolizeigesetz, das von 4 Arbeitern aus Luchsingen zuhanden der Landsgemeinde eingereicht wurde, substantielle Verbesserungen, das Gesetz sah unter anderem vor, das
schulpflichtige Kinder nicht mehr zur Arbeit in der Fabrik herangezogen werden dürfen, die tägliche
Arbeitszeit auf max. 12 Stunden beschränkt blieb, dass von 8 Uhr abends bis 5 Uhr morgens in
den Fabriken nicht gearbeitet werden darf und Frauen vor und nach der Niederkunft, im ganzen
während 6 Wochen, nicht arbeiten sollten. Es war das erste Gesetz in Europa, das auch für erwachsene Männer einen Normalarbeitstag von 12 Stunden festlegte
1868/69 waren 3843 Leute in den 18 Spinnereien und 17 Webereien beschäftigt. Es gab noch 800
Heimweber und 80 Personen, die in den 5 Bleichereien das Baumwollgewebe für das Drucken
vorbereiteten. 5516 waren in den 22 Druckereien angestellt, 250 arbeiteten als Streicher und es
gab 70-80 Modelstecher und 40-70 Fransenknüpferinnen. Rund 10'600 Personen bei einer Gesamtbevölkerungszahl von 35'200, Kleinkinder und Greise inbegriffen, arbeiteten damals in der
Textilindustrie. Der kleine Kanton Glarus nahm damals unter den Schweizer Kantonen in der
Zeugdruckerei den ersten, in der Weberei den zweiten und in der Baumwollspinnerei den dritten
Platz ein. Mit einigen Artikeln hatte die Glarner Zeugdruckerei eine Monopolstellung auf dem
Weltmarkt.
1872 wurde die tägliche Arbeitszeit gegen den Widerstand der Arbeitgeber auf 11 Stunden reduziert.
1877 wurde der 11-stunden Tag im neuen eidgenössischen Fabrikgesetz, das stark durch die Glarner
Erfahrungen beeinflusst war, übernommen. Die Führung des ersten eidg. Fabrikinspektorates fiel
dem Glarner Arzt Fridolin Schuler zu, der sich für die Anliegen der Arbeiterschaft stark gemacht
hatte. Mit dem Aufkommen des maschinellen Druckverfahrens wurde der im Kanton Glarus gebräuchliche Hand- oder Modeldruck zunehmend verdrängt. Zudem begannen viele Staaten mit hohen Einfuhrzöllen die eigenen Waren zu schützen. Einzelne Firmen konnten diese protektionistische Politik umgehen, indem sie ihre Produktion in andere Staaten verlegten. Doch der Niedergang der Textilindustrie im Glarnerland, der bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann, war
nicht aufzuhalten.
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