special sakralbauten Kirche und Pfarrei “St. John Evangelist” in Zagreb/Kroatien Faszinierender architektonischer Zeitzeuge Die Planung von Sakralbauten ist eine komplexe und zugleich reizvolle Aufgabe, bei der es darum geht, Spiritualität in Architektur zu kleiden. Dafür ist ein hohes Maß an Sensibilität erforderlich: Das Bauwerk soll von außen durchaus Zeichen setzen und erkennen lassen, was im Inneren stattfindet. Gleichzeitig ist Zurückhaltung gefragt, um der Würde einer religiösen Stätte gerecht zu werden, die geistige Sammlung zu fördern und meditative Ruhe zu vermitteln. Maßgeblich unterstützt wird dieses anspruchsvolle Ziel durch entsprechende Farb- und Formensprache, ausgewogene Proportionen und sorgfältige Materialauswahl. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist die „Church of St. John Evangelist“ mit angegliederter Pfarrei in Zagreb. D ieses sakrale Projekt ist in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich: Die Planung begann bereits Anfang der 1990er Jahre im damaligen sozialistisch geprägten Jugoslawien, die Fertigstellung erfolgte schließlich im heutigen unabhängigen Kroatien. Architektonischer Zeitzeuge Dazwischen lagen drastische ökonomische, politische, kulturelle und soziale Veränderungen. Diese turbulenten Umwälzungen spiegeln sich im spannenden Werdegang dieses Bauwerks wider, das so gesehen ein architektonischer Zeit- 18 element + BAU 2/2011 zeuge der jüngeren Geschichte ist. Es handelt sich um eine der ersten Kirchen in Kroatien, deren Gestaltung durch einen freien Architekturwettbewerb entschieden wurde. Die Wahl fiel auf zwei renommierte kreative Köpfe: Prof. Andrej Uchytil und Prof. Renata Waldgoni, die sich als kongeniales Duo diesem Kraftakt mit bewundernswerter Zähigkeit und Hingabe widmeten. Beide weisen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf: Sie sind Mitte der 1950er Jahre in Zagreb geboren und demnach eng verwurzelt mit dem Standort des Projekts. Beide schlossen Anfang der 1980er Jahre ihre Ausbildung an der Architektur-Fakultät der Universität Zagreb ab, an der sie später dann selbst lehrten, errangen zahlreiche nationale bzw. internationale Architektur-Preise, schrieben Fachbücher und entwarfen Bauten unterschiedlichster Art. Diese geballte Kompetenz und reichhaltige Erfahrung floss ein bei der knapp zwei Jahrzehnte dauernden Realisierung der „Church of St. John Evangelist“. Prägendes Element: Fassade aus blauen Fliesen Eine besondere Rolle innerhalb des Konzepts spielt wie so oft die Fassade. Sie ist das rund um die Uhr sichtbare Antlitz des Bauwerks. Als Bekleidungs- material hatten Uchytil und Waldgoni aus bestimmten Gründen keramische Fliesen in exakt definierten Blau-Nuancen vorgesehen. Fündig wurde man schließlich bei Agrob Buchtal, einem international bekannten Hersteller, zu dessen besonderen Stärken projektspezifische Sonderfertigungen zählen. Dort war man so fasziniert vom ungewöhnlichen Werdegang dieses Projekts und der Leidenschaft der beiden Protagonisten, dass man Uchytil und Waldgoni zu einem Besuch in das Werk einlud, in dem die verwendeten Keramikfliesen gefertigt worden waren. Hintergrundgespräch Geführt von Robert Hofmann, staatlich geprüfter Bautechniker (FS) und Technischer Berater im Hause Agrob Buchtal mit Frau Prof. Waldgoni und Herrn Prof. Uchytil. R. Hoffmann: Dass wir sie heute begrüßen dürfen, hat einen bestimmten Grund: Das außergewöhnliche Projekt der „Kirche des Heiligen Johannes dem Evangelisten“ (Crkva sv. Ivana Evangjelista i pastoralni centar). Die Fassade dieses Projektes wurde mit Keramik von Agrob Buchtal ausgeführt. Was waren die Hauptgründe für die Wahl dieses Baustoffs und dieses Fabrikats? Prof. Waldgoni/Prof. Uchytil: Die Fassade sollte eine interessante, authentische, natürliche und zugleich „würdevolle“ Ausstrahlung haben. Keramik stellte dafür aus unserer Sicht die prädestinierte Lösung dar. Andere Baustoffe wie z. B. Glas, Stein, Kunststoff oder Metall spielten in den Planungen nie eine Rolle. Auch die Kirchengemeinde favorisierte schon zu Planungsbeginn den Baustoff Keramik. Nach mehreren Jahren der Planungs- und Bauphase erschienen der Gemeinde die Kosten für eine keramische Fassade zu hoch. Allerdings wollten wir aus konzeptionellen architektonischen Gründen unter keinen Umständen von unserer ursprünglichen Intention abweichen. Wir haben deshalb intensiv recherchiert, welcher Hersteller im Stande ist, unsere Vorstellungen umzusetzen, und zwar im Rahmen des finanziell Machbaren, aber ohne gestalterische Abstriche. Über die Fa. KeramItal (Zagreb) und den uns bekannten Mitarbeiter Branimir Mojsov kam dann schließlich der Kontakt zu Agrob Buchtal zustande. Natürlich war uns dieses Unternehmen als international renommierte Marke geläufig. Allerdings war der erste Gedanke, dass die entsprechenden Produkte eventuell sehr teuer sein dürften und dies die Kirchengemeinde nicht akzeptieren würde. Diese Bedenken stellten sich jedoch als unzutreffend heraus. special Wir hatten unsere Farbvorstellungen in Form von drei exakt definierten Blautönen klar vor Augen. Agrob Buchtal präsentierte uns fünf entsprechende Blau-Alternativen zur Auswahl, worin wir „unsere“ drei gewünschten Töne sofort wiederfanden. R. Hoffmann: Warum fiel ihre Wahl ausgerechnet auf die Farbe Blau? Prof. Waldgoni/Prof. Uchytil: Als Symbol für die Ewigkeit und Metapher für das Weltall, das sich immer mystisch dunkelblau darstellt. Außerdem kann man mit verschiedenen Blau-Nuancen eine Hülle, d.h. in diesem Fall die Fassade des Gebäudes, optisch „dematerialisieren“. Dies wäre z. B. mit Grün nicht möglich gewesen. Zudem sollten ohne künstliche Hilfsmittel auf natürliche Weise je nach Tageszeit, Wetter und Blickperspektive unterschiedliche Stimmungen entstehen. Gewünscht war ein reizvolles Spiel von Licht und Schatten (das übrigens auch im Inneren gekonnt genutzt wird), um so das Bauwerk innerhalb des urbanen Umfelds als Solitär erscheinen zu lassen, der sich harmonisch integriert und zugleich durch subtile Präsenz abgrenzt. Unterstützt wird dies durch einen ganz besonderen Effekt: Aus größerer Entfernung wirkt das Gebäude monochrom. Je näher man tritt, desto erkennbarer wird der feine Schimmer und die changierende Komposition der drei unterschiedlichen Blau-Töne, bis sich dann aus nächster Nähe die spezielle Textur und farbliche Bandbreite der keramischen Oberfläche erschließt. sakralbauten die finanzielle Situation der Kirchengemeinde. Außerdem wechselten mehrmals die Geistlichen der Pfarrei, die ebenfalls eigene Vorstellungen und Wünsche hatten. Zudem bestand auf Grund des erwähnten politischen Wandels für die Kirchengemeinde weder die Möglichkeit noch die Notwendigkeit das Gebäude zügig fertig zu stellen. All diese Faktoren bewirkten schließlich, dass es ein Projekt mit außergewöhnlich langer Laufzeit wurde. R. Hoffmann: Wurden bei der Planung auch ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt? Prof. Waldgoni/Prof. Uchytil: Natürlich wurde den europäischen Standards für nachhaltiges Bauen Rechnung getragen. Diese Thematik war übrigens auch ein Kriterium „pro Keramik“, da es sich dabei um ein extrem langlebiges Material handelt, das aus natürlichen Rohstoffen hergestellt wird und sich seit Jahrtausenden auch im Außenbereich hervorragend bewährt. Die Verlegung erfolgte auf einem zeitgemäßen Wärmedämm-Verbundsystem, mit dem entsprechende Energie-Einsparungen realisiert werden. R. Hoffmann: Das urbane Umfeld der Kirche sowie das „angedockte“ Pfarrei-Gebäude sind streng geometrisch gehalten, die Kirche dagegen hat eine weiche, schmeichelnde Form. Was ist der Grund dafür? Prof. Waldgoni/Prof. Uchytil: Sie haben die gewünschte Wirkung treffend beschrieben: Die Kirche sollte sich wie erwähnt als „spezifischer“ Bereich abheben. Deshalb gibt es zwei Formensprachen: Einerseits das geradlinig gehaltene PfarreiGebäude, das sozusagen als Referenz und Übergang an die klar strukturierte Umgebung fungiert. Andererseits den Kirchenkorpus mit seiner organischen fließenden Form, die bewusst abweicht und sich dadurch wie gewünscht eigenständig präsentiert: selbstbewusst, aber nicht aufdringlich, markant, aber ohne billige Effekthascherei. R. Hoffmann: Wie waren bzw. sind die Reaktionen auf diesen außergewöhnlichen Kirchenbau? Prof. Waldgoni/Prof. Uchytil: Der Gewinn des damaligen Planungswettbewerbs 1991 und der Baubeginn 1993 liegen bereits länger zurück. Dennoch ist der Stil auch aus heutiger Sicht nach wie vor komplex und die Ausnahme von der Regel bei Sakralbauten. Ein so ambitioniertes Projekt kann und soll nicht „everybodies darling“ sein, sondern Diskussionen entfachen, Impulse auslösen, Inspirationen vermitteln, Anstöße geben. Ein weiteres Ziel bestand darin, wegen des besonderen Standortes das Ensemble wohl dosiert aus der Uniformität herauszulösen, mit freien Formen zu experimentieren und verblüffenden Proportionen zu arbeiten. Dies ist offensichtlich gelungen wie die Reaktionen aus architektonischen und klerikalen Kreisen bzw. der breiten Öffentlichkeit belegen. R. Hoffmann: Aus welchem Grunde ergab sich eine solch große Zeitspanne vom Beginn der Planung bis zur Fertigstellung? Prof. Waldgoni/Prof. Uchytil: Eines vorab: Das Projekt ist immer noch nicht ganz fertig, z. B. in Bezug auf den Glockenturm oder die Außenbereiche. Dieses Bauwerk wurde im ehemaligen Jugoslawien geplant und im unabhängigen Kroatien fertig gestellt. Dazwischen lagen turbulente Jahre mit einem drastischen sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Umbruch. Die architektonische Konzeption ist demnach ein Resultat zahlreicher Einflüsse, die es im Laufe der Zeit gab. So spielten z. B. die wechselnden Verhältnisse auf Seiten des Bauherren (die Kirchengemeinde) und gesellschaftlich-soziologische Veränderungen eine elementare Rolle: Das Stadtviertel wurde ursprünglich bewohnt von einer relativ gut situierten Mittelschicht mit ausgewogener Altersstruktur. Danach entwickelte sich eine relativ „ärmliche“ Gegend mit einem hohen Anteil älterer Bewohner mit geringem Einkommen. Somit änderte sich nicht nur der Geschmack, sondern auch 20 element + BAU 2/2011 Die Pfarrei ist schnörkellos geradlinig so wie urbane Umgebung. Die Kirche weicht bewusst davon ab und fungiert als Solitär, der sich deutlich abgrenzt, ohne in billige Effekthascherei zu verfallen. Bildnachweis: Andrej Uchytil