Die Tiefseegarnele Pandalus borealis im Nordostatlantik

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Inf. Fischwirtsch. Fischereiforsch. 47(2), 2000
SEEFISCHEREI
Die Tiefseegarnele Pandalus borealis im Nordostatlantik
– Biologie, Bestandssituation und fischereiliche Nutzung –
Rüdiger Schöne, Institut für Seefischerei
Die „Northern Shrimp“, „Pink Shrimp“ oder „Shrimp“, manchmal auch „Prawn“, wie die Tiefseegarnele Pandalus
borealis (Abbildung 1) im Nordatlantik mit Handelsnamen genannt wird, hat sich in den zurückliegenden Jahren zu
einem wirtschaftlich bedeutenden Fischereiobjekt entwickelt. Aufgrund der kritischen Bestandssituation bei vielen
nordatlantischen Fischbeständen, insbesondere bei Kabeljau, wurde die Shrimp-Fischerei intensiviert und gefördert.
Vor allem in Grönland und Kanada konnten wirtschaftliche Verluste kompensiert und ein neuer, äußerst profitabler
Fischereizweig entwickelt werden. Im Nordostatlantik ist die Shrimp-Fischerei vor der norwegischen Küste, in der
Barentssee und den arktischen Gebieten um Spitzbergen seit ca. 30 Jahren für Russland und Norwegen von fischereilicher Bedeutung. Erstmals im Jahre 1999 fischte die Deutsche Fisch-Fang Union (DFFU) mit FMS „Hannover“,
einem in Island gebauten und für die Garnelenfischerei geeigneten Trawler, vom Frühjahr bis Spätsommer im Nordostatlantik auf diese Garnelenart.
Die Fischerei war erfolgreich und soll auch zukünftig fortgeführt und möglicherweise intensiviert werden. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, auch für diese Fischerei eine wissenschaftliche Beprobung durchzuführen, um
die Entwicklung der Bestände von Anfang an durch gesicherte Daten zu erfassen.
Die Biologie und Verbreitung
Systematik
Die Tiefseegarnele gehört zur Ordnung der decapoden
Crustaceen (zehnfüssige Krebstiere). Die wirtschaftlich
wichtigsten Decapoden sind die garnelenartigen
(shrimps, prawns), die hummerartigen (lobster), die langustenartigen (crayfish) sowie die krabbenartigen
(crabs). Die weitere Klassifikation der Decapoden ist in
der Literatur uneinheitlich und eine Aufteilung in die
Unterordnungen der Natantia (die schwimmfähigen oder
pelagisch vorkommenden Arten) sowie in die Reptantia
Northern Shrimp Pandalus borealis in the North-East
Atlantic
One of the most common decapode in the North Atlantic
is the “Northern” or “Pink shrimp” Pandalus borealis
(Kröyeri). Due to decreasing fish stocks and catches the
shrimp fishery was intensified during most recent years.
In the North-East Atlantic, a profitable fishery on this
species has been carried out by Norway and USSR/
Russia off Norway, in the Barents Sea and off
Spitsbergen for about 30 years. For the first time,
Germany started a shrimp fishery with FMV “Hannover”
in this area in spring/summer 1999. This article gives
information on the biology of Pandalus borealis. A brief
description of the problems in stock analyses, stock
assessment, and the TACs (Total Allowable Catches) for
the entire North Atlantic are given.
Abbildung 1: Tiefseegarnele Pandalus borealis. Eiertragendes Weibchen (aus Smaldon 1979; mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber)
Deepsea prawn Pandalus borealis. Ovigerous female (from
Smaldon 1979; with kind permission of the publishers)
(die laufenden, benthisch lebenden Arten) ist am gebräuchlichsten. Zur letztgenannten Unterordnung, die
ca. 6400 Arten umfasst, gehören unter anderem die wirtschaftlich wichtigen marinen Krebse wie Hummer, Langusten, Krabben und Seespinnen. Die Unterordnung der
Natantia ist wiederum in die 3 Gruppen (Überfamilien)
der Penaeidea, der Stenopodidea und der Caridea aufgeteilt und beinhaltet 10 Familien mit über 2000 Arten.
Zu den Caridea zählen die meisten der ca.1650 natanten (schwimmfähigen) decapoden Krebse. In diese Grup-
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pierung gehört auch die Familie der Pandalidae, die mit
20 Arten in den Ozeanen vertreten und von denen die
Tiefseegarnele (Pandalus borealis) im Nordatlantik die
am häufigsten vorkommende und wirtschaftlich bedeutendste Art ist. Zeitweise sind im Verbreitungsgebiet und
in den Fängen auch die nahe verwandten Arten Pandalus montagui und Pandalus propinquus in jedoch sehr
viel geringeren Mengen vertreten. Die Tiefseegarnele
des Pazifiks ist Pandalus jordani, die an der Westküste
des amerikanischen Kontinents zu einer bedeutenden
Garnelenfischerei geführt hat.
Unterscheidungsmerkmale und Aussehen
Die hier erwähnten und im Nordatlantik vorkommenden Pandalusarten sehen untereinander sehr ähnlich aus
und sind deshalb schwierig zu identifizieren. Sie besitzen eine artspezifische unterschiedlich rote Färbung. Die
Gesamtlänge der erwachsenen Tiere liegt im allgemeinen zwischen 90 und 160 mm. Hauptunterscheidungsmerkmale liegen in der Länge sowie in der Anzahl der
oberen und unteren Zähne des gesägten Stirnfortsatzes
(Rostrum). Ferner ist, falls unbeschädigt, die Länge der
fadenförmig ausgezogenen zweiten Antenne ein weiteres wichtiges Bestimmungsmerkmal.
Pandalus borealis weist im vorderen Körperteil (Carapax) sowie an den Extremitäten eine blassrote Färbung
auf, während der segmentierte Hinterleib (Pleon) intensiv rot gefärbt ist. Der lang ausgezogene Stirnfortsatz
besitzt an der Oberseite 12 bis 16 und an der Unterseite
6 bis 8 Zähne. Die zweite Antenne ist deutlich länger
als der gesamte Körper.
Verbreitung und Lebensraum
Pandalus borealis kommt in weiten Teilen des Nordatlantik vor. Das Verbreitungsgebiet erstreckt sich von der
Nordsee (Doggerbank, Fladengrund), den Küsten Großbritanniens und der gesamten Norwegenküste bis hin
zu den polaren Gebieten Spitzbergens, Franz-Josef-Land
und Jan Mayens. Ferner kommt diese Art in kommerziell nutzbaren Mengen an den Küsten Islands, Grönlands sowie an der Ostküste des nordamerikanischen
Kontinents vor. Die erwachsenen Tiefseegarnelen sind
Bodenbewohner und leben in Tiefen zwischen 50 und
800 m vorwiegend auf weichen Schlick- oder verschlammten Sandböden; aber auch auf felsigem oder
festem Untergrund sind sie gefunden worden. Ihr Vorkommen wird von der Temperatur, dem Salzgehalt,
dem Bodensubstrat und der Tiefe bestimmt. Ihr bevorzugter Lebensraum liegt bei relativ hohen Salzgehalten zwischen 34 und 35,7 ‰ und Temperaturbereichen
zwischen 4 und 6 °C. Pandalus wurde jedoch auch bei
niedrigeren Temperaturen bis 0 °C und Salzgehalten
unter 34 ‰ gefunden. Die Nahrung der Shrimps besteht
aus kleinen Krebstieren, pflanzlichem und tierischem
Plankton sowie aus Schwebstoffen (Detritus).
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Geschlechtliche Entwicklung und Fortpflanzung
Die Fortpflanzungsbiologie der Tiefseegarnelen weist
einige Besonderheiten auf. Die Pandaliden sind, wie
auch einige andere hochentwickelte Krebstiere, nicht
getrenntgeschlechtlich sondern Zwitter. Man bezeichnet sie als sog. „protandrische Hermaphroditen“. Das
bedeutet, dass sie zu Beginn ihrer geschlechtlichen Entwicklung für einen gewissen Zeitraum ein männliches
Stadium durchlaufen, bevor sie sich in Weibchen umwandeln. Gesteuert werden diese Umwandlungen
durch hormonelle Veränderungen. Bei Pandalus borealis ist die Zeitspanne der männlichen Phase abhängig
vom Verbreitungsgebiet. Die Garnelen entwickeln sich
im Alter von etwa eineinhalb Jahren bei einer Länge
von etwa 90 mm zum geschlechtsreifen Männchen und
wandeln sich meistens ein Jahr später in geschlechtsreife Weibchen um. In den nördlichen, arktischen Gebieten kann jedoch eine Verminderung des Wachstums
den Eintritt in die Geschlechtsreife und damit verbunden den Wechsel in die verschiedenen Geschlechter um
mehrere Jahre verzögern. Die größte Länge der geschlechtsreifen Männchen liegt bei 120 mm, die der
Weibchen bei 160 mm. Pandalus borealis befestigt wie
viele andere Garnelenarten seine Eier bis zum Schlüpfen der Larven im Frühjahr zwischen den Schwimmbeinpaaren am Hinterleib. Eier tragende Weibchen
werden von September bis zum Mai angetroffen. Die
geschlüpften planktonisch lebenden Larven (sog. ZoeaLarven) machen bis zur erwachsenen Garnele verschiedene Zoea-Stadien und Häutungen durch. Auch als erwachsenes Tier häutet sich die Tiefseegarnele während
des weiteren Wachstums noch mehrmals. Die Lebenserwartung der Tiefseegarnelen wird zwischen 3 bis über
8 Jahre (besonders in den nördlichen Verbreitungsgebieten) angegeben.
Bestandsanalysen und Berechnungen
(Assessments)
Die stetig wachsende wirtschaftliche Bedeutung der
Shrimp-Fischerei hat es im Sinne einer optimalen Bewirtschaftung notwendig gemacht, die verschiedenen
Bestände der Tiefseegarnele zu erfassen, abzuschätzen
und zu berechnen. Aber gerade hier liegen bei den Krebsen im Gegensatz zu den Fischen erhebliche Schwierigkeiten. Einer der wichtigsten Parameter für die Erstellung eines analytische Assessments sind sichere
Altersbestimmungen. Bei Fischen ist das zumeist über
die jährlich angelagerten Strukturen in Hartteilen, vor
allem in den Gleichgewichtsorganen, den sog. Otolithen
möglich. Vergleichbare Organe für die Altersbestimmung gibt es bei den Tiefseegarnelen nicht. Hier können die Altersanalysen nur über die Längenverteilungen oder über die verschiedenen Geschlechts- oder Reifestadien versucht werden. Für die Bestände im Nordwestatlantik werden wissenschaftliche Forschungsrei-
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sen sowie Fischereiaufwandsanalysen verwendet, um
Bestandsgrößen zu ermitteln und Managementempfehlungen abzugeben. Zur Zeit werden die meisten Bestände
der Tiefseegarnele im Nordatlantik mit Hilfe von festgesetzten Gesamtfangmengen, sog. TACs (Total Allowable Catches) bewirtschaftet. Bei der Flämischen Kappe, in der Barentssee und im Spitzbergen-Gebiet wird
die Fischerei auf Shrimps durch die Festsetzung und
Vergabe von Fangtagen geregelt. Für den Nordostatlantik hat die Norwegisch-Russische Fischereikommission vorgeschlagen, Bestandsanalysen der Tiefseegarnele zukünftig innerhalb der „Arctic Fisheries Working
Group“ des ICES durchzuführen. Dieses erscheint sinnvoll, da Shrimps für einige der in dieser Arbeitsgruppe
bearbeiteten Fischbestände, vor allem für den Kabeljau, eine wichtige Nahrungsquelle darstellen, so dass
sich die Bestände wechselseitig beeinflussen können.
Fischereiliche Bedeutung, Fangmöglichkeiten und Quotierung
Die Shrimp-Fischerei im Nordatlantik hat sich für viele
Länder zu einer bedeutenden wirtschaftlichen Aktivität
entwickelt. Die derzeit ergiebigsten Fanggebiete liegen
an der kanadischen Ostküste und den davor liegenden
Bänken (Neufundlandbank, Grand Bank, Flämische
Kappe), den Küsten Grönlands, Islands und Norwegens
sowie in den arktischen Gebieten der Barentssee (Spitzbergen, Bäreninsel, Hopen-Insel, Franz-Josef-Land). Die
norwegisch-russische Fischerei auf die Tiefseegarnele
im Nordostatlantik (Barentssee) erreichte im Jahre
1984 eine Größe von 130 000 t. Danach gingen bis
1987 die Fänge auf ca. 45 000 t zurück, um bis 1990
wieder auf über 80 000 t anzusteigen. In den Jahren
1994 bis 1996 verringerten sich die Anlandungen auf
etwas unter 40 000 t.
An der Fischerei auf Tiefseegarnelen sind jedoch auch
andere Nationen interessiert und bemühen sich um Fangrechte. Für die Spitzbergen-Zone haben die Unterzeichnerstaaten des Spitzbergenvertrages die Verwaltung sowie sämtliche Kontrollmaßnahmen bezüglich der wirtschaftlichen Nutzung dieses Gebietes den norwegischen
Behörden übertragen. Norwegen behält sich daher für
die Fischerei das Recht vor, Regeln, Quoten und Fanglizenzen festzusetzen. Aufgrund des wachsenden Interesses an der Shrimp-Fischerei in diesem Teil des
Nordatlantiks drängen die Mitgliedsstaaten des Spitzbergenvertrages (meist EU-Staaten) auf eine Klärung
der z. Zt. bestehenden Rechtsunsicherheiten sowie auf
eine Mitbestimmung bezüglich der Nutzung und Quotenvergabe. Diesbezügliche Verhandlungen mit Norwegen finden bei der EU in Brüssel statt.
In der Spitzbergen Zone war die Shrimp-Fischerei bisher nur Schiffen aus Staaten erlaubt, die traditionell
diese Fischerei betrieben haben. Lizenzen, in Form von
festgesetzten Fangtagen, wurden in den letzten Jahren
an Kanada, Estland, Lettland, Färöer Inseln, Grönland,
Island, die Europäische Gemeinschaft sowie an Russland und Norwegen vergeben. Von Seiten der EU durften bislang nur 4 Schiffe für die Garnelenfischerei in
diesem Gebiet eingesetzt werden. Ihnen standen insgesamt 519 Fangtage im Jahr zur Verfügung. Der Aufteilungsmodus wird von der EU geregelt. Im Jahre 1999
gelang es der Deutschen Fischfang Union (DFFU) erstmals, eine Fanglizenz für den Shrimp-Fang zu erhalten. FMS „Hannover“ fischte im ICES-Gebiet I 1323 t
und im ICES-Gebiet II 262 t dieser Meerestiere.
Schlussbemerkung
Die Garnelenfischerei im Nordatlantik ist in der seit
ungefähr 30 Jahren ausgeübten Form ein noch recht junger Fischereizweig und hat sich für einige Fischereinationen als ein profitabler Ersatz für angegriffene oder
fehlende Fischressourcen entwickelt. Garnelen erreichen
auf dem Weltmarkt Erlöse, die denen hochwertiger
Fischprodukte gleichzusetzen sind. Die Nutzung der
Pandalus-Bestände unterliegt aber ähnlichen Einschränkungen wie die der Fische. Die Tiefseegarnelen sind
zwar kurzlebige und reproduktionsfähige Meerestiere
und können einem vergleichsweise starken Fischereidruck standhalten, reagieren aber sensibel auf eine anhaltende intensive Fischerei und Umwelteinflüsse. Erste Anzeichen von negativen Auswirkungen auf die Garnelenbestände durch die Fischerei deuten sich bei Grönland und bei der Flämischen Kappe durch sinkende Einheitsfänge und Veränderungen in den Längenverteilungen an. Das Hauptproblem für die optimale Bewirtschaftung der Shrimp-Bestände bleibt, dass bisher keine verlässlichen und analytischen Bestandsberechnungen
durchgeführt werden können. Dies ist eine Aufgabe, die
deshalb derzeit in den wissenschaftlichen Gremien der
NAFO (Nordatlantische Fischereiorganisation) und des
ICES (Internationaler Rat für Meeresforschung) mit
Nachdruck verfolgt wird.
Zitierte Literatur
Aschan, M. and Sunnana, K.: Evaluation of the Norwegian
Shrimp Surveys conducted in the Barents Sea and the
Svalbard area 1980–1997. ICES CM/Y:7, 24 S., 1997.
Bergström, B. I.: Demography and sex change in pandalid
shrimps. Dissertation, Universität Göteborg, Schweden,
1992.
Kaestner, A.: Lehrbuch der Speziellen Zoologie, Bd. I, Wirbellose, 2. Teil, / Jena: VEB Gustav Fischer Verlag, 1967.
Smaldon, G.: British Coastal Shrimps and Prawns. Synopses
of the British Fauna (New Series) No. 15. The Linnean
Society of London and The Estuarine and Brackish-water
Sciences Association. London: Academic Press 1979, 126 S.
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