Die Antworten weiß nur der Wnt Signalweg

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Schlaglicht
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Eine Frage zu Krebs?
Die Antwort weiß nur der Wnt Signalweg
Slava Chtarbova und Oliver Müller
Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie, Dortmund
Wnt (gesprochen: Wint) bezeichnet eine
der am längsten bekannten Proto-Onkogen
Familien. Bereits seit mehr als 20 Jahren ist
bekannt, dass die Virus induzierte Wnt Expression zur Bildung von Brusttumoren in
der Maus führt[1]. Der Name Wnt setzt sich
zusammen aus dem Namen des homologen
Gens wingless in Drosophila und der ursprünglichen Bezeichnung dieses Gens in
der Maus, „int“. Dieser Name wiederum
leitet sich ab von „Int“, dem chromosomalen Lokus, innerhalb dessen das krebsauslösende Mäusevirus integriert, was die Expression des „int“/Wnt Gens induziert. Der
Wnt Signalweg reguliert die Embryonalentwicklung, die Zelldifferenzierung und die
Zellteilung. In den letzten Jahren wurde
klar, dass der Signalweg auch eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Tumoren im Menschen spielt[2]. Gene des Wnt
Signalwegs gehören zu den am häufigsten
mutierten Genen in menschlichen Tumoren.
Mindestens zehn extrazelluläre, cytosolische
und nukleäre Proteine dieser Kaskade sind
direkt an der Zelltransformation und der
Entstehung von Krebs beteiligt[3].
cher der 19 Wnt Faktoren mit welchem der
10 verschiedenen Transmembranrezeptoren
der Frizzled Familie (Fz) interagiert und
welche Korezeptoren dabei aktiviert werden.
Die Aktivierung des klassischen Wnt Signalwegs setzt die Wnt aktivierte Fz Dimerisierung mit dem Korezeptor LRP (lowdensity lipoprotein receptor related protein)
voraus (Abb. 1). Auf der ersten intrazellulären Ebene wird dann endgültig über den
weiteren Verlauf des Signals entschieden.
Die Casein Kinase 2 (CK2) phosphoryliert
das Fz aktivierte Dishevelled (Dsh). Dies
führt zur Hemmung der Serin/Threonin Kinase Glykogensynthase Kinase-3β (GSK3β).
Das Schlüsselprotein: β-Catenin
Das nicht phosphorylierte β-Catenin hat eine deutlich höhere Lebensdauer als die
phosphorylierte Form. Die β-Catenin Konzentration steigt im Cytosol und im Zellkern.
Dort bindet β-Catenin an einen Transkriptionsfaktor der TCF/Lef Familie. Der Komplex aus β-Catenin und TCF/Lef aktiviert
anschließend die Transkription. In Abwesenheit des Wnt Signals, wenn also GSK3β
nicht gehemmt wird, bildet sich ein MultiProteinkomplex aus zahlreichen Proteinen.
Die wichtigsten Proteine in diesem Komplex sind GSK3β, β-Catenin und die Tumor
Suppressor Proteine APC (Adenomatous
Polyposis coli) und Axin/Conductin. In diesem Komplex kann GSK3β die Proteine βCatenin, APC und Axin phosphorylieren.
Phosphoryliertes β-Catenin wird von βTrCP, einer Komponente der Ubiquitin Ligase, ubiquitinyliert und so für den anschließenden proteolytischen Abbau markiert. Dadurch bleibt die Menge des β-Catenins im Cytosol und im Zellkern gering. In
Abwesenheit von β-Catenin reprimiert
TCF/Lef zusammen mit Korepressoren im
Zellkern die Transkription.
Proto-Onkoproteine und Tumor Suppressor
Proteine
Da das Wnt Signal die Zellteilung und die
Tumorentstehung stimuliert, sollten Aktivatoren des Signalwegs Proto-Onkoproteine
und Inhibitoren Tumor Suppressor Proteine
sein. Diese einfache Regel trifft nicht auf alle beteiligten Proteine zu. Vielmehr ist der
Drei verschiedene Wnt Signalwege
Die sekretierten Glykoproteine der konservierten Wnt Familie können in den parakrinen Zielzellen drei verschiedene Signalkaskaden aktivieren[4]: 1. Den Wnt/Ca2+ Signalweg, der über ein trimeres G-Protein zu
einem erhöhten intrazellulären Ca2+ Spiegel
und zur Aktivierung der Proteinkinase C und
der Ca2+-Calmodulin-abhängigen Proteinkinase II führt, 2. einen Signalweg, der die
Organisation und den Aufbau des Zytoskeletts über die kleinen GTPasen Rho und Rac
und damit die planare Zellpolarität reguliert
und 3. den klassischen oder kanonischen
Wnt Signalweg, der die cytosolische Konzentration des transkriptionsaktivierenden
Proto-Onkoproteins β-Catenin und so die
Expression von Zielgenen steuert. Hier soll
vor allem die Rolle des klassischen Wnt Signalwegs in der Tumorentstehung erläutert
werden.
Der Start
Für die Entscheidung, welcher der drei Wnt
Signalwege aktiviert wird, ist wichtig, welBIOspektrum · 6/03 · 9. Jahrgang
Abb. 1: Stark vereinfachtes Schema des Wnt Signalwegs. In der Wnt aktivierten Zelle wird β-Catenin
nicht phosphoryliert und kann im Zellkern zusammen mit TCF/Lef die Transkription von Zielgenen und
damit die Zellteilung aktivieren (links). In der nicht aktivierten Zelle wird β-Catenin durch das
Zusammenspiel mehrerer Proteine im Cytosol abgebaut (rechts). Bei Überaktivierung der Proto-Onkoproteine (Rot) oder bei Inaktivierung der Tumor Suppressor Proteine (Grün) kommt es auch in Abwesenheit des Wnt Signals zur Aktivierung des Signalwegs. Der onkogene Charakter des Wnt Gens wurde
bisher nur in der Maus bewiesen. TCF/Lef kann transkriptionsaktivierende (links) oder –reprimierende
Eigenschaften (rechts) haben.
Schlaglicht
702
Kidney
Kidney
Abb. 2: Die Expression von HERPUD1 und TR3, den menschlichen Homologen der Wnt Zielgene
Herpud1 und Nr4a1 in der Maus. Die relativen Mengen der transkribierten mRNAs wurden in Normalgeweben (obere Reihen) und Tumoren verschiedener Organe (untere Reihen) miteinander verglichen.
Die Größe und die Intensität der Schwarzfärbung zeigen die Stärke der Expression. Während
HERPUD1 ähnliche Expression in Normal- und Tumorgewebe zeigt, ist die TR3 Expression in vielen
Tumoren geringer als in den entsprechenden Normalgeweben.
Signalweg ein komplexes Zusammenspiel
von zahlreichen multifunktionellen Proteinen.
Der Namensgeber des Signalwegs ist
gleichzeitig der Prototyp eines Proto-Onkoproteins in der Maus. Eine kausale Rolle
der Wnt Gene bei der Tumorentstehung im
Menschen konnte bisher nicht gezeigt werden. Ebenso ist der Zusammenhang zwischen Krebs und der Fz Aktivierung nicht
klar. Es konnte zwar gezeigt werden, dass
der Fz Rezeptor, dessen Expression in Speiseröhrentumoren nachgewiesen werden
konnte, die TCF/Lef induzierte Transkription und damit wahrscheinlich auch die Zelltransformation aktiviert. Tumorspezifische
Fz Mutationen konnten allerdings nicht gefunden werden. Auch wenn Dsh die Wnt
Kaskade aktiviert, spielt es aufgrund seiner
Beteiligung an mehreren Signalwegen bei
der Krebsentstehung keine Rolle. Dagegen
führt die transgene Expression der Dsh aktivierenden Kinase CK 2 zu Lymphomen.
Aktivierende Mutationen in β-Catenin
wurden in zahlreichen Tumorarten nachgewiesen. Die häufigsten Mutationen führen
zum Verlust der aminoterminalen Phosphorylierungsstellen. Nicht phosphoryliertes
β-Catenin kann nicht an β-TrCP binden und
nicht abgebaut werden. Folge ist die Erhöhung der cytosolischen und nukleären Konzentration des β-Catenins. Mutationen in βCatenin und APC schließen sich aus. Dies
wird deutlich bei Darmtumoren, die zu mehr
als 80 % APC Mutationen tragen, während
β-Catenin Mutationen ausschließlich in Tumoren ohne APC Mutation auftreten. Im
Zellkern bindet β-Catenin an TCF/Lef, was
aus dem Transkriptionsrepressor TCF/Lef
einen Transkriptionsaktivator macht. Von
TCF-4 wurden tumorspezifische Splice-Va-
rianten und Mutationen in menschlichen
Tumoren gefunden, die zum vorzeitigen
Translationsstopp und zum Verlust der carboxyterminalen Region führen. Diese Region ist verantwortlich für die Bindung an einen Korepressor. Verkürztes TCF-4 kann
nicht an diesen Repressor binden, was zur
unkontrollierten Aktivierung der Transkription führt. Tatsächlich führt der transgene
Knockout dieser Region zu Mäusen mit
Darmtumoren. Damit kann TCF/Lef sowohl als Proto-Onkoprotein als auch als Tumor Suppressor Protein wirken. Ein klassischer Tumor Suppressor ist Axin. Möglicherweise dient Axin als Gerüst für GSK3β,
β-Catenin, APC und andere Proteine, die an
der β-Catenin Regulation beteiligt sind. Das
Axin Gen ist vor allem in Lebertumoren mutiert. Mutiertes Axin kann nicht mehr an βCatenin binden und dessen Phosphorylierung erleichtern. APC ist eines der am häufigsten mutierten Tumor Suppressor Gene.
Ursprünglich entdeckt als verantwortlich für
die vererbte Krebsprädisposition FAP (Familiäre Adenomatöse Polyposis coli), wurde schnell klar, dass APC Mutationen auch
für die Mehrzahl der nicht vererbten Darmtumoren verantwortlich sind. Strukturuntersuchungen zeigen, dass das APC Protein wahrscheinlich eine lange Kette von
einzelnen Domänen mit unterschiedlichen
Funktionen und Bindungspartnern ist[5].
Das mehr als 300 kD lange APC Protein
könnte so für die Bindung und die unabhängige Regulation zahlreicher Proteine mit
verschiedenen Zellfunktionen verantwortlich sein. Fast alle APC Mutationen führen
zu einem Translationsstopp. Das verkürzte
APC Protein kann zwar noch an β-Catenin
binden, aber den β-Catenin Abbau nicht
mehr aktivieren. APC ist nicht nur am cytosolischen Abbau, sondern auch am Export
des β-Catenins aus dem Zellkern beteiligt.
Damit verringert APC die nukleäre β-Catenin Konzentration und dessen transkriptionsaktivierende Eigenschaften. Dieses klare Bild des Tumor Suppressors APC wird etwas getrübt durch Befunde, die zeigen, dass
APC auch die Tumorbildung begünstigen
kann. FAP Patienten mit sehr kurzen APC
Formen haben eine bessere Prognose als Patienten mit Mutationen in der Mitte des Proteins. Möglicherweise enthält das längere
APC Protein Regionen, die die TCF/Lef induzierte Transkription und damit die Zellteilung aktivieren können.
Zielgene
Der Wnt Signalweg steuert zahlreiche Gene, deren Translationsprodukte Schlüsselfunktionen in der Zelle einnehmen (http://
www.stanford.edu/~rnusse/pathways/targets.
html). Beispiele für wichtige Zielgene sind
der Wachstumsfaktor VEGF, der Zellzykluskinase-Aktivator Cyclin D1 und der Transkriptionsfaktor c-jun. Entscheidend für die
Aktivierung der Proliferation ist die Aktivierung des Zielgens c-MYC, was zur Repression des Tumor Suppressors und Zellzykluskinase-Inhibitors p21CIP1/WAF1 führt.
Viele Zielgene sind identisch oder homolog
zu Genen im Signalweg, wie zum Beispiel
β-TrCP, frizzled oder Axin2. Wie in den
meisten Signalwegen dienen solche Rück-
Tab. 1: Überblick über einige tumorrelevanten Gene des Wnt Signalwegs und die menschlichen Gewebe, in denen Veränderungen dieser Gene nachgewiesen wurden. Über- und Unterexpression wurden
meistens auf RNA Ebene nachgewiesen. Daher sind viele Ursachen möglich, wie z.B. eine Promotormutation oder die Aktivitätsänderung eines übergeordneten Signalwegs.
Gen
Art der Veränderung
Nachgewiesen in menschlichen Tumoren
APC
Genverlust (LOH), Deletion, Insertion,
Punktmutation, andere
Dickdarm, Magen, Speiseröhre, Haut, Ovar, Brust,
Prostata, Leber, Pankreas, Sarkom
Axin
Punktmutation
Ovar, Leber
β-Catenin
Punktmutation
Dickdarm, Magen, Speiseröhre, Haut, Lunge, Ovar,
Uterus, Brust, Prostata, Leber, Niere, Pankreas,
Sarkom
CK2
Überexpression
Brust
TCF-4
Punktmutation, Überexpression
Dickdarm
BIOspektrum · 6/03 · 9. Jahrgang
Schlaglicht
kopplungsschleifen der genauen Regulation.
Die Identifikation des Androgen-induzierten Herpud1 und des Mitglieds der Steroidrezeptor-Familie Nr4a1, Maus-Homolog von
TR3, als Zielgene des Wnt Signalwegs zeigt
eine mögliche Verknüpfung mit dem Steroid Signalweg. Beide Gene werden aktiviert
von Wnt. Allerdings werden die betreffenden homologen Gene im Menschen nicht
von β-Catenin aktiviert[6]. Außerdem ist das
Expressionsmuster in Tumoren sehr heterogen. Diese Ergebnisse sind Hinweise auf
Verzweigungen innerhalb dieses komplexen
Signalwegs (Abb. 2).
Der Wnt Signalweg in der
Krebsbekämpfung
Die Proteine und Gene des Wnt Signalwegs
sind Ansatzpunkte für Krebsprävention, -diagnose und -therapie. Der nicht-steroidale
Entzündungshemmstoff Sulindac wird zur
Prävention der Adenombildung in FAP Patienten eingesetzt. Wahrscheinlich kann Sulindac die APC Funktion kompensieren. Zur
Zeit werden neue Sulindac Derivate entwickelt, die auch in der Prävention und Behandlung nicht vererbter Tumorformen eingesetzt werden können[7]. Das APC Gen ist
das am frühesten und das am häufigsten mutierte Gen in menschlichen Darmtumoren.
Daher könnte die Analyse von APC Mutationen in Stuhlproben bisherige Techniken
zur Frühdiagnose von Darmtumoren ergänzen[8,9]. Intrazelluläre Konzentration und
Lokalisation des β-Catenin Proteins lassen
sich in bestimmten Tumoren mit Progressionsstadium und Prognose korrelieren[10].
β-Catenin könnte so als Parameter in der
prognostischen Diagnose dienen. Schließlich machen sich auch innovative Therapiekonzepte die neuen Erkenntnisse über den
Wnt Signalweg zunutze. Inhibitoren der
Wechselwirkung zwischen β-Catenin und
TCF/Lef sind in der experimentellen Prüfung. Außerdem ist die selektive Abtötung
von Zellen mit überaktiviertem Wnt Signalweg mit Hilfe eines Killergens unter der
Kontrolle des TCF/Lef abhängigen Promotors möglich[11]. Dieser Ansatz könnte neue
Möglichkeiten zur Behandlung von Wnt
überaktivierten Tumoren eröffnen.
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Offene Fragen
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Trotz erster Erfolge steht die molekulare
Krebsforschung noch am Anfang. Wichtige
ungelöste grundlegende Fragen sind: Was
passiert in der Zelle, wenn aus einer normalen Zelle eine Tumorzelle wird? Warum reagieren die Zellen mancher Tumoren auf
Apoptose induzierende Signale, Zellen anderer Tumoren dagegen nicht? Aktuelle klinisch orientierte Fragestellungen sind: Wie
können die unzureichenden Methoden der
nicht invasiven Tumorfrühdiagnose verbessert werden? Wie kann das Wachstum von
Tumoren gestoppt werden? Können molekulare Tumormarker die Prognose erleichtern? Diese und andere Fragen wird uns eine der wichtigsten Signalkaskaden beantworten: der Wnt Signalweg.
Korrespondenzadresse:
Priv.-Doz. Dr. Oliver Müller
Arbeitsgruppe Tumorgenetik
Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie
Otto-Hahn-Straße 11
D-44227 Dortmund
Tel.: 0231-1332158
Fax: 0231-1332199
[email protected]
www.mpi-dortmund.mpg.de/departments/dep1/
mueller/index2.html
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