PSYCHIATRIE & SOMATIK IM DIALOG HERZLICH WILLKOMMEN Hauptsponsor: Co-Sponsoren: Psychiatrie und Somatik im Dialog Wenn der Körper die Seele quält – Einführung in die somatogene psychische Störungen Prof. Dr.med. J. Modestin Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich ZADZ www.zadz.ch Psychische und körperliche Störungen Psychische und körperliche Störungen treten bei einem Patienten häufig gleichzeitig auf! Mögliche Zusammenhänge: 1. Störungen haben nichts miteinander zu tun (z.B. Depression + Appendicitis) 2. Symptome einer Störung maskieren Symptome der anderen Störung (depressiver Stupor + Appendicitis) 3. Störungen können sich bezüglich Auftreten gegenseitig begünstigen (KHK  Depression) 4. Sie können ursächlich zusammenhängen Psychisches und Somatisches In der Regel:  Körperliche Störungen  körperliche Symptome  Psychische Störungen  psychische Symptome Aber auch umgekehrt:  Psychische Störungen  körperliche Symptome  somatoforme Störungen  Körperliche Störungen  psychische Symptome  somatogene Störungen = organisch bedingte psychische St. = exogene = körperlich begründbare St. Drei Gruppen psychischer Symptome 1. „Neurotische“ Symptome 2. „Psychotische“ Symptome 3. „Organische“ Symptome Symptome: neurotisch, psychotisch 1. „Neurotische“ Symptome: Ubiquitär vorkommend! Angst, depressive Verstimmung, Erregung, Apathie 2. „Psychotische“ Symptome: Ein einziges Symptom genügt, um eine Psychose zu diagnostizieren: 1. Wahn 2. Halluzinationen 3. Inkohärentes Denken / disorganized speech 4. Schwer desorganisiertes oder katatones Verhalten Symptome: organisch 3. „Organische“ Symptome: (nicht nur durch Hirnpathologie bedingt !)  Störungen des Bewusstseins  Störungen des Gedächtnisses (Merkfähigkeitsstörungen)  Störungen der Intelligenz (Abstraktionsvermögen, Urteilsfähigkeit, exekutive Funktionen) Diagnostischer Vorrang der Symptome Störung: neurotisch psychotisch organisch Symptome: neurotisch neurotisch psychotisch neurotisch psychotisch organisch zunehmende Spezifität der Symptome die diagnostisch wegweisenden Symptome müssen aber nicht immer vorhanden sein! Organische Symptome… … sind keine obligaten Zeichen organischer Störungen! Jede Erscheinungsart psychischer Abnormität kann organisch bedingt sein! Diagnostik erschwert infolge Noxenunspezifität des klinischen Bildes:  Verschiedene Noxen  ein Psychosyndrom Alkoholentzug, Intoxikation, Fieber  Delir  Eine Noxe  verschiedene Psychosyndrome Alkohol  Koma, Delir, Halluzinationen, Epileptischer Anfall Somatoforme Störungen ICD-10 (1991)  Charakteristisch die wiederholte Darbietung körperlicher Symptome mit Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz negativer Ergebnisse und Versicherung des Arztes, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind  Der Patient will nicht die Möglichkeit einer psychischen Ursache erwägen  Häufig ein gewisses aufmerksamkeitssuchendes Verhalten Somatoforme Störungen DSM-5 (2013) Somatoform disorders DSM-IV   Somatic symptom and related disorders DSM-5  The reliability of determining that a somatic symptom is medically unexplained is limited  It is not appropriate to give an individual a mental disorder diagnosis solely because a medical cause cannot be demonstrated  Characteristic are not the symptoms per se, but the way they are presented Somatoforme Störungen DSM-5 (2013)  Commen is the prominence of somatic symptoms associated with significant distress and impairment  Somatic presentations can bei viewed as expressionof personal suffering inserted in a cultural and social context  Diagnosis is based on positive symptoms and signs: somatic symptoms and abnormal thoughts, feelings, and behaviors in response to these symptoms more than on the absence of a medical explanation for somatic symptoms Somatogene Störungen    hirnorganisch (Hirntumor, Hirnatrophie) symptomatisch (Pneumonie, Endokrinopathie) substanzbedingt (Intoxikationen) Unspezifität der organischen Psychosyndrome Bonhoeffer (1910): „Der Mannigfaltigkeit der Grunderkrankungen steht eine grosse Gleichförmigkeit der psychischen Bilder gegenüber. Es ergibt sich die Auffassung, dass wir es mit typischen psychischen Reaktionsformen zu tun haben, die von der speziellen Form der Noxe sich verhältnismässig unabhängig zeigen. … Man ist von exogenen psychischen Reaktionstypen zu sprechen berechtigt. …das Differenzierende und die Ätiologie kennzeichnende nicht in dem psychischen, sondern fast lediglich in dem somatischen und neurologischen Befund enthalten ist.“ Wahl des somatogenen Syndroms 1 1. Persönlichkeit / Disposition  Beziehung zu ‘endogenen’ Psychosen  organische Vorschäden (Delir, Epilepsie als Komplikation Psychopharmakotherapie  Organizität ausschliessen)  Alter (Kinder, alte Menschen)  Psychologische Faktoren / Persönlichkeitsstruktur  Belastungen als unspezifischer Stressfaktor  Formgestaltung (hysteriforme Bilder)  Inhalt der Störung persönlich relevant Wahl des somatogenen Syndroms 2 2. Noxe  Art/Qualität: Entzug, Fieber  Delir; Intoxikation  Koma  Schwere/Quantität: Alkoholintoxikation  Euphorie/Depressivität  Koma Clozapinüberdosierung  Somnolenz (obligat)  Delir (fakultativ)  Tempo: Hirntumor schnell  akute Reaktionstypen langsam  amnestisches Psychosyndrom Wahl des somatogenen Syndroms 3 3. Umwelt/Milieu LSD-Intoxikation  Symptome von Milieu/Atmosphäre abhängig Traditionelle Aufteilung somatogener Störungen Akut (akute exogene Reaktionstypen) grundsätzlich reversibel  ohne Bewusstseinsstörung (Durchgangssyndrome): affektiv, pseudoneurasthenisch, hysteriform, kataton, paranoidhalluzinatorisch, konfabulatorisch, amnestisch (akuter Korsakow)  mit Bewusstseinsstörung: • quantitativ mit Störung der Vigilanz/Wachsamkeit: (Somnolenz – Benommenheit – Sopor – Koma) • qualitativ mit Störung der Luzidität/Klarheit: (Amentia – Delir – Dämmerzustand) Traditionelle Aufteilung somatogener Störungen Chronisch, grundsätzlich irreversibel:  hirndiffuses POS: Demenz, ev. Sonderform chronischer Korsakow  hirnlokales POS/organische Persönlichkeitsveränderung/Pseudopsychopathie (Stimmung, Antrieb, Triebe, Entdifferenzierung der Persönlichkeit unter Erhaltung intellektueller Funktionen)  ähnlich endokrines Psychosyndrom (Bleuler) Aufteilung somatogener Störungen ICD-10      Demenzen Amnestisches Syndrom Delir Organische Persönlichkeitsveränderung Andere organische psychische Störungen: Halluzinose – Katatonie – wahnhafte Störung – affektive Störung – Angststörung – dissoziative Störung – asthenische Störung (Pseudoneurasthenie) – leichte kognitive Störung – andere organische Störung Aufteilung somatogener Störungen DSM-5  Major neurocognitive disorder = impairment in cognitive performance  Minor neurocognitive disorder = modest cognitive decline not interfering with capacity for independence in everyday activities  Delirium = disturbance of attention and awareness Persecutory delusions are common, hallucinations may occur in any modality, mood disturbances (depression, anxiety, elation) may occur, agitation, sleep disturbances and apathy are common Zum Schluss  Akute organische Psychosyndrome werden generell seltener (schnellere Diagnostik, bessere Therapie), chronische organische Psychosyndrome häufiger (infolge der zunehmender Langlebigkeit)  Eine organische Störung kann sich unspezifisch durch jedes psychische Syndrom manifestieren, Abwesenheit organischer psychischer Symptome schliesst eine organische Störung nicht aus  Das Thema der somatogenen psychischen Störungen bleibt relevant und die mögliche Somatogenese ist bei jeder psychischen Störung zu erwägen