Einführung / Allgemeine Psychopathologie 2014 – Reformstudiengang 4. Studienjahr Vorlesung Psychiatrie und Psychotherapie Zentralinstitut für Seelische Gesundheit F. Markus Leweke Andreas Meyer-Lindenberg [email protected] WARUM SIE PSYCHIATRIE BRAUCHEN Psychiatrie in der Chirurgie WARUM DIE PSYCHIATRIE SIE BRAUCHT Gehirnmechanismen vermitteln zwischen Gen und Verhalten Kognition Sozialverhalten Psychiatrische Erkrankungen Temperament Therapierfolg Gene: Zellen: Systeme: Verhalten: Multiple Varianten, Interaktionen Subtile molekulare Alterationen Gestörte Interaktionen, neuronale Plastizität, Informationsverarbeitung Psychopathologie, Soziale Integration, Therapieerfolg Neue Behandlungsansätze in der Psychiatrie sind nur möglich durch molekulare Pathophysiologie Insel and Scolnick, Mol Psychiatry 2006 PSYCHOPATHOLOGIE Psychopathologische Merkmalsbereiche • Bewusstseinsstörungen • Orientierungsstörungen Akute org. bedingte Störungen / Delir ⎬ Org. bedingte Störungen • Aufmerksamkeits- u. Gedächtnisstörungen • Befürchtungen und Zwänge Affektive und schizophrene Psychosen Angststörungen / Zwangsstörung • Wahn (Affektive und) schizophrene Psychosen • Formale Denkstörungen • Sinnestäuschungen • Ichstörungen ⎬ Schizophrene Psychosen • Zirkadiane Besonderheiten Affektive Psychosen Affektive Psychosen • Suizidalität Affektive Psychosen • Störungen der Affektivität Bewußtseinsstörung Leitsymptom akuter zerebraler Funktionsstörung: Trauma Infektion Intoxikation Blutung / Ischämie ... Akutes erstes Auftreten: Notfall!! Bewusstseinsstörungen • Quantitative Bewusstseinsstörungen – Vigilanz: Benommenheit, Somnolenz, Sopor, Koma • Qualitative Bewusstseinsstörungen – Bewusstseinstrübung • z.B. Desorien,ertheit, Angst, Halluzina,onen, Störung des Schlaf-­‐Wach-­‐ Rhythmus und vegeta,ve Störungen – Bewusstseinseinengung • erlebnisbedingte, gedankliche oder emo,onale Fixierung auf einen Erlebensaspekt => verminderte Ansprechbarkeit, verschobene Bewussseinslage und Amnesie. – Bewusstseinsverschiebung • Veränderung im Wacherleben mit Gefühlen der Intensitäts-­‐ oder Helligkeitssteigerung Quantitative Bewußtseinsstörung • Störungen der Wachheit und Vigilanz • Benommenheit, Somnolenz, Sopor, Koma Von der allgemeinen zur speziellen Psychopathologie Delir Bew.Störung + Demenz - Schizophrenie - Depression / Manie - Qualitäten der Orientierung • zur Zeit • zum Ort • zur Situation • zur Person Störungen bei: Delir Demenz Von der allgemeinen zur speziellen Psychopathologie Delir Bew.Störung Orientierungsst. + + Demenz + Schizophrenie - Depression / Manie - Gedächtnisstörungen • Amnesien – inhaltlich oder zeitlich begrenzte Gedächtnislücken • Immediatgedächtnis – Sofortgedächtnis (10 Sekunden) ● Paramnesien – Déja-vu, Jamais-vu, Hypermnesien Gedächtnis Normal, 75 years old Alzheimer’s disease, 75 years old De Leon MJ, 1999 Gedächtnisstörung = Leitsymptom der Demenzen Hippokampus = relevante Struktur für deklaratives Gedächtnis Von der allgemeinen zur speziellen Psychopathologie Delir Demenz Schizophrenie Depression / Manie Bew.Störung Orientierungsst. + + + - - Auffassung / Konz.Störung + + + + Gedächtnisst. + + - (+) Formale Denkstörungen Dimensionen • Schnelligkeit – gehemmt (subjektiv gebremst) – verlangsamt - beschleunigt (fremdbeobachtet) • Geradlinigkeit – umständlich (viel nebensächliches) – perseverierend (haftenbleibend) – Grübeln (im Kreis) – Ideenflüchtig (assoziativ) – Gesperrt /Gedankenabreissen Formale Denkstörungen umständlich Frage Antwort Formale Denkstörungen ideenflüchtig Frage Antwort Formale Denkstörungen vorbeireden Frage Antwort Antwort Formale Denkstörungen Frage Perseverieren Antwort Frage Antwort Frage Antwort Inkohärent / zerfahren • Denken und Sprechen ohne logischen oder gefühlsmäßigen Zusammenhang. • Schizophrene Psychosen ! • „Seele, man kann schön leben und schaffen aber man geht kaputt. Es ist auch wie Sequestrierung, die der liebe Gott dann heilt mit Salben und Maschinen ins Herz getan“ Von der allgemeinen zur speziellen Psychopathologie Delir Demenz Schizophrenie Depression / Manie Bew.Störung Orientierungsst. + + + - - Auffassung / Konz.Störung + + + + Gedächtnisst. Formale DS + + + (+) - (+) Logik Tempo Themen Formale Denkstörungen bei Psychosen: Signal-RauschVerhältnis im Gehirn Nach Meyer-Lindenberg et al. Nat Neuroscience 2005 Sinnestäuschungen - Illusionen • Bei der Illusion liegt eine physikalische Reizquelle vor. • Realitätskontrolle ist reduziert oder aufgehoben. • Ängstliches Kind verkennt im Dunkeln Gegenstände als drohende Gestalten. Sinnestäuschungen - Halluzinationen Es liegt keine Reizquelle vor ! Einteilung nach ihrer Komplexität • Einfache (elementare) Halluzinationen – Klopfen, Klicken, Blitze, Lichter, usw. • Komplexe Halluzinationen – Bilder, Personen, Stimmen • Szenische Halluzinationen – Theaterstücke, Musikstücke, Dialoge Sinnestäuschungen - Halluzinationen Einteilung nach dem Sinnesgebiet ● Akustisch – Stimmenhören (Phoneme) – Andere akustische Halluzinationen (Akoasmen) ● ● Optisch Körper – Taktil / haptisch – Leibempfinden / Zoenästhesien ● ● Olfaktorisch Gustatorisch Sinnestäuschungen Stimmenhören (Phoneme) • Erstrangsymptome der Schizophrenie (K. Schneider) - dialogisierend - kommentierend - imperativ • „Ich habe die Stimme meiner toten Mutter gehört. Sie hat mich immer gelobt oder getadelt, je nachdem was ich gemacht habe“ Von der allgemeinen zur speziellen Psychopathologie Delir Demenz Schizophrenie Depression / Manie Bew.Störung + - - - Orientierungsst. Auffassung / Konz.Störung + + + + + + Gedächtnisst. + + - (+) Formale DS + (+) Logik Tempo Themen Halluzination Szenisch (+) Akustisch Leibhall. selten Stimmenhören (Phoneme) % 3 2 1 Signaländerung0 -1 -2 -3 20 40 60 80 100 120 scan Vom Pat. bezeichnete Halluzinationsphasen Dierks, Linden, Jandl et al.; Neuron 1999 Wahn Wahnkriterien • • • • Subjektive Gewißheit Wahn ist unmittelbar evident Wahn ist unkorrigierbar Inhalt ist objektiv falsch (??) Wahnstimmung • Ich oder die Welt werden verändert erlebt. • Bedeutungszumessen, Inbeziehungsetzen, das von Gesunden nicht nachvollzogen werden kann. • „Es liegt etwas in der Luft, alles um mich herum ist merkwürdig verändert, alles so seltsam; die Leute machen so ein böses Gesicht, da muss doch was passiert sein, oder ?“ Wahnwahrnehmung • wahnhafte Fehlinterpretation einer an sich richtigen Wahrnehmung. • „In der Beiz kam ein grosser Mann herein. Da habe ich gewusst, dass das der Teufel ist“ Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn • Patient erlebt sich selbst als Ziel von Feindseligkeiten. • Er wähnt sich bedroht, gekränkt, verspottet. • Andere trachten nach seinem Hab und Gut, nach seiner Gesundheit oder seinem Leben. Eifersuchtswahn Schuld- und Versündigungswahn Verarmungswahn Hypochondrischer Wahn Grössenwahn Von der allgemeinen zur speziellen Psychopathologie Delir Demenz Schizophrenie Depression / Manie Bew.Störung + - - - Orientierungsst. Auffassung / Konz.Störung + + + + + + Gedächtnisst. + + - (+) Formale DS + (+) Logik Tempo Themen Halluzination Szenisch - Akustisch Leibhall. selten (+) (+) ++ Spez. Themen Wahn Verhältnis Wahn und Realität • Wahnwirklichkeit als einzige Wirklichkeit • Wahnwirklichkeit als beherrschende, aber nicht einzige Wirklichkeit • Wahnwirklichkeit und Realität bestehen nebeneinander in „doppelter Buchführung“ (E.Bleuler 1911) • Wahnwirklichkeit und Realität fliessen ununterscheidbar ineinander • Wahn als Störung der Persepektivität Wahn: Entstehung und Verlauf Formale Aspekte • Wahnstimmung • Wahngedanken u. wahrnehmungen • Wahnarbeit • Wahnsystem • Nachlassende Akuität • Nachlassend Handlungsleitend • Distanz • Korrektur Inhalte / Themen ● Beeinträchtigung / Verfolgung ● Eifersucht ● Schuld ● Verarmung ● Hypochondrie ● Größenwahn Affektivität Unterscheide: Stimmung Überdauernd durchgehend vs. Affekt Aktuell Situativ bedingt wechselnd Affektivität Unterscheide: Stimmung Depressiv vs. Euthym Dysphorisch - mißmutig Gehoben - gereizt Gehoben - heiter Affekt Ratlos Affektarm Affektstarr Gefühl der Gefühllosigkeit Klagsam Ambivalent Parathym Affektlabil affektinkontinent Affekte und Amygdalaregulation Heinz, Braus, Smolka et al., Pezawas, Meyer-Lindenberg et al., Nat Neurosci 2005 # Suizidalität • Weites Begriffsfeld – Todeswünsche, – Absichten oder Pläne, sich das Leben zu nehmen – Vorbereitung zur Selbsttötung – Selbsttötungsversuche • Suizidgedanken, Suizidhandlungen • Erweiterter Suizid – Tötung Anderer vor dem Suizid Begriffe zum Thema Suizid • Suizidalität – Neigung zur Selbsttötung. Das Ausmass der bei einem Kranken bestehenden Tendenz, sein Leben zu beenden • Suizidal – Selbstmordgefährdet, sich mit Gedanken an Selbsttötung beschäftigend. • Parasuizid – Nicht auf Selbsttötung sondern auf Unterbrechung des Unerträglichen gerichtete Selbstschädigung