- Evolution von Bewusstsein und Intelligenz

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DIE EVOLUTION VON BEWUSSTSEIN
UND INTELLIGENZ
Von der RNA zum Denken
Walter Grünsteidl
Mitwirkung:
Herbert Grünwald
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DIE EVOLUTION VON BEWUSSTSEIN
UND INTELLIGENZ
Von der RNA zum Denken
Walter Grünsteidl
Mitwirkung: Herbert Grünwald
WIEN 2016
1
The Cover : Data visualisation of Bio-Evolution based on rRNA sequences
Yo
u
ar
e
he
re
2
The Phylogenetic Tree of Life
This phylogenetic tree, created by David Hillis, Derreck Zwickil and
Robin Gutell, University of Texas, depicts the evolutionary relationships of about 3,000 species throughout the Tree of Life. Less
than 1 percent of known species are depicted.
The tree is based on an analysis of small subunit rRNA sequences
obtained from about 3,000 species from throughout the Tree of
Life.
The species were chosen based on their availability, with an attempt to include most of the major groups, sampled very roughly
in proportion to the number of known species in each group (although many groups remain over- or under represented). The number of species represented is approximately the square-root of the
number of species thought to exist on Earth (i.e., three thousand
out of an estimated nine million species), or about 0.18% of the
1.7 million species that have been formally described and named.
The original file is also available for download on their website. <http://www.zo.utexas.edu/faculty/antisense/DownloadfilesToL.html>
3
Bemerkungen und Diskussionsbeiträge sind willkommen auf
http://bewusstsein-evolution.jimdo.com
4
INHALT
ZUSAMMENFASSUNG ALS VORWORT
S.11
I. WIE HAT DAS ALLES BEGONNEN?
S.17
MATERIE BEGINNT ZU LEBEN
ZEITTAFEL
DIE BASIS VON BEWUSSTSEIN UND INTELLIGENZ
(Ursprünge und Grundlagen des biologischen Informations-systems)
Die evolutionären Grundlagen
Die RNA
Die Rolle der Mutation
DNA
DIE ROLLE DER DNA IM BIOLOGISCHEN INFORMATIONS-SYSTEM
Gene und Codierung
DIE EPIGENETIK
II. DER BESCHEIDENE ANFANG KOMMENDER VIELFALT S.27
PROKARYOTEN
EUKARYOTEN
Die ersten „informierten“ Tiere ?
III. ...UND DANN FLIESST INFORMATION
DER WEG ZUM BEWUSSTSEIN
Das biologische Informationssystem
Neuronen (Nervenzellen)
Wie funktioniert das im Detail
5
S.31
Neuronen in der Informationsverarbeitung
Anatomie und Physiologie der Bewusstseinsentwicklung
Quantenmechanische Überlegungen
DIE ZEITDIMENSION
IV. ORDNUNG UND CHAOS, HIRN ALS MASTERMIND S.37
DIE EVOLUTION DER NEURALEN NETZE UND DES HIRNS
DAS MENSCHLICHE HIRN
Die Anatomie
Hirnfunktionen
Feinstruktur und Eigenschaften
NEUROLOGISCHE GRUNDLAGEN VON BEWUSSTSEIN UND
GEDÄCHTNIS
HIRNFORSCHUNG
Forschungsbereiche und Projekte
Das menschliche Hirn ein Computer?
DAS NEURALE SYSTEM DES MENSCHEN (insbesondere sein
Hirn)
Aufbau und Funktionsweise
Feinstruktur und Eigenschaften
V. WIESO WISSEN WIR WAS WIR WISSEN?
S.51
ÜBERTRAGUNG, CODIERUNG UND VERARBEITUNG IM NEURALEN SYSTEM
Die „Neuronensprache“
VI. WIESO WISSEN WIR, DASS WIR WISSEN?
BEWUSSTSEIN
6
S.53
Evolution und Charakteristika
Protobewusstsein Reflexe und Instinkt
Basisbewusstsein
Primärbewusstsein (Low Order Consciousness)
Höheres Bewusstsein des Homo Sapiens (High Order
Consciousness)
Bewusstseinsentstehung (beim Menschen)
VII. WIESO WISSEN WIR WAS WIR SCHON WISSEN?
S.61
INFORMATIONSSPEICHERUNG, GEDÄCHTNIS, ASSOZIATION
Kurzzeitgedächtnis / Arbeitsspeicher
LANGZEITGEDÄCHTNIS UND SEINE FUNKTIONEN
Wiedererkennen, Erinnern
Episodisches Gedächtnis
Semantisches Gedächtnis
Assoziatives Gedächtnis
Bewusste und unbewusste Aufmerksamkeit
VIII. WIE IST BEWUSSTSEIN GEWORDEN?
S.67
DIE ROLLE DER EVOLUTION
EINBLICKE IN DIE EVOLUTION DES BEWUSSTSEINS
DIE ARCHÄOLOGISCHEN BEFUNDE ZUR GEHIRN-ENTWICKLUNG
Gehirnvolumen
Gehirnfunktionen
7
IX. DIE BAUELEMENTE DES BEWUSSTSEINS
S.77
DIE EVOLUTION FUNKTIONELLER BEREICHE (MODULE) IM
HIRN
Der Vormensch und der „Soziale Intelligenz Modul“
Der Frühe Mensch, „Problemspezifische Intelligenz“
Naturgeschichtliche Intelligenz
Technische Intelligenz
Der Weg zum Modernen Menschen, „Kognitive Fluidität“
X. UND WAS IST DARAUS GEWORDEN
S.83
DIE ERWEITERUNG DES LEBENSRAUMS
DIE ERWEITERUNG DER KOMMUNIKATIONSFÄHIGKEITEN
Sprache und „Sprachliche Intelligenz“
ENTFALTUNG (UND BEHERRSCHUNG) DER KOMPLEXITÄT
ZUGANG ZUR ABSTRAKTION
Wissenschaft
Religion
Kunst, Ästhetik, künstlerisches Bewusstsein
Musik
Schrift
MEME
ENTWICKLUNG ab ca. 10.000 v Chr.
AUSSERKÖRPERLICHES BEWUSSTSEIN, SEELE, FREIER WILLE
Einige kritische Bemerkungen
8
XI. BEWUSSTSEIN HEUTE UND MORGEN
S.103
BEWUSSTSEIN UND INTELLIGENZ HEUTE
ZUKUNFTSSZENARIEN DER EVOLUTION DES BEWUSSTSEINS
UND DER INTELLIGENZ - Der Verlust unserer Welt?
Allgemein - Weltpolitik
Technisch
Sozial
FUSSNOTEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
S.114
ANHANG I Erläuterung zur Sprache der Neuronen
S.116
ANHANG II „Plausibility of Life“ (Kirschner)
S.118
9
10
DIE EVOLUTION VON BEWUSSTSEIN UND INTELLIGENZ
ZUSAMMENFASSUNG ALS VORWORT
Bewusstsein gestattet einem Lebewesen auf Grund empfangener
und verarbeiteter Sinnenreize ein „Szenario“ seiner Umwelt zu erstellen (englisch: „A Mental Map“).
Mit Hilfe der Intelligenz kann dieses Szenario als Ausgangspunkt
für Handlungen zur Gestaltung und Absicherung des Lebens herangezogen werden
Die Erforschung des Bewusstseins ist heute der weltweit am intensivsten betriebene Wissenschaftszweig. Hauptbeteiligt sind die
Neurowissenschaften, vor allem Neurochemie und Neurophysik.
Dieser intensive Aufwand hat zur Folge, dass das Phänomen „Bewusstsein“, das vor wenigen Jahren, auch von namhaften Wissenschaftlern, noch als das „große, wahrscheinlich unlösbare, Geheimnis der Natur“ bezeichnet wurde, heute einer Lösung bereits
sehr nahe gekommen ist.
Zugleich wurde auch die Erkenntnis untermauert, dass Bewusstsein einzig auf körperlichen, chemisch-physikalischen Vorgängen
beruht. Mit anderen Worten: Ein Bewusstsein ohne Materie gibt es
nicht.
Wie bereits mehrfach in der Geschichte der Menschheit, hat auch
diesmal die Verschränkung von technischer und sozialer Evolution
das Weltbild des Menschen und sein Bewusstsein verändert. Waren es in der Vergangenheit technische Neuerungen, wie Teleskop
und Mikroskop, oder Dampfmaschine und Elektromotor, die ein
neues Weltbild und eine neue Gesellschaft zur Folge hatten, ist es
heute Halbleitertechnologie, Quantenphysik, Informations- und
Gentechnologie sowie Raumfahrt (Hubble Teleskop), die das neue
Weltverständnis prägen.
11
Diese Entwicklungen haben Veränderungen in Gang gesetzt, die
reichen von ersten Schritten zur Ausbildung eines globalen Bewusstseins, und einer globalen Kultur, bis zu einer sich verändernden Arbeitswelt (z.B. durch Automatisierung und Robotisierung), eine neue Coevolution von Mensch und Maschine durch
zunehmende Leistungsfähigkeit und „Vermenschlichung“ mit Hilfe
von künstlich intelligenten Artefakten und Systemen.
Dazu finden während der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, beginnend in der „westlichen Welt“, Veränderungen der zwischenmenschlichen Beziehungen statt: Verlassen traditioneller Formen,
wie z.B. Ehe und Familie, sowie die Herausbildung einer neuen
Rolle des Staates (wie z.B. Verschwinden der Nationalstaatenstruktur), Infragestellung des „westlichen“ Demokratiemodells,
Verschiebung des globalen Schwerpunkts in Richtung Asien.
Dieses neue Bewusstsein hat einen weitreichenden Paradigmenwechsel in der globalen Gesellschaft zur Folge, in etwa vergleichbar mit dem historischen Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit.
Eingriffe in Landschaft und gewachsene Strukturen hatte bereits
der Ackerbau verursacht. Ab der Mitte des 19. Jh. mit dem Aufkommen der Industrialisierung jedoch, hat der Mensch seinen Lebensraum und seine Lebensbedingungen so umfassend und
nachhaltig in globalem Maßstab verändert, wie noch nie zuvor.
Es wurde vorgeschlagen diese neue Epoche in der Erdgeschichte
„Anthropozän“ zu benennen.
Ein neues „Bild der Welt“ entfaltet sich und beeinflusst Kultur, Sozialverhalten und Zivilisation.
Diese Entwicklung verdankt Homo Sapiens der Leistungsfähigkeit
seines hochentwickelten neuralen Systems (Hirn und neurales
Netz), das seine Ausformung schrittweise im Lauf der menschlichen Evolution erhalten hat.
12
Es ist vor allem die Fähigkeit unterschiedlicher Hirnbereiche, gegebenenfalls schnell und mühelos miteinander zu verkoppeln,
kreativ zu denken und zu handeln, sich durch Anpassungsfähigkeit
und Kreativität von Beschränkungen durch Naturgegebenheiten zu
befreien, und vor allem Sprach- und Kommunikations-Fähigkeit zu
erwerben, die den Menschen zum ausgeprägtesten und fähigsten
Universalisten im Tierreich machte.
Diese sogenannte „Cognitive Fluidität“ steht auch an der Wiege
der Entstehung von menschlicher Kultur.
Kulturinhalte und Charakteristika können in Gedächtnisbündeln,
sogenannten „Memen“, kommuniziert und vererbt werden. Auf
dieser Ebene kann die menschliche Evolution unabhängig von den
zeitlichen Beschränkungen der chemischen Bioevolution beschleunigt weiter verlaufen.
Sein Hirn ist das komplexeste System mit dem es der Mensch je
zu tun hatte. Es besteht aus Milliarden Schaltelementen (Neuronen
und Synapsen) in ständiger Fluktuation, registriert, verarbeitet und
speichert Signale und andere Wahrnehmungen aus der Umgebung im Dauerbetrieb und es steuert Entscheidungs-vorgänge
und Handlungen.
Aus dem Zusammenspiel von einer großen Zahl von Hirnbereichen
entsteht in einem Abgleichprozess zwischen erhaltenen Signalen
und gespeicherten Informationen das Bewusstsein. Für diesen,
bis zu einem gewissen Grad bereits experimentell untermauerten
Vorgang, schlage ich in diesem Buch ein neues integriertes Modell
vor.
Darin wird berücksichtigt, dass die Rolle von Gedächtnis und verschiedener Gedächtniskategorien bei den gängigen Erklärungsversuchen zur Bewusstseinsentstehung im Allgemeinen vernachlässigt wird.
Hier wird darauf hingewiesen, dass eine Urform von Gedächtnis
bereits im Erbgut - in der DNA - unverrückbar angelegt ist. Es
wird von mir als Protobewusstsein bezeichnet. Das Protobewusst13
sein ist die Grundlage für reflexive, instinktive, überlebenssichernde Handlungen.
Nervenzellen (Neuronen) erlauben die Entwicklung sukzessive
komplexerer Bewusstseinszustände, sie sind eine der größten
„Erfindungen” der Evolution. Ihre Struktur erlaubt die Überleitung
von elektrochemischen Signalen an jede beliebige Stelle im Körper
und im Hirn. Damit sind sie die Grundelemente eines somatischen, biologischen Informationssystems, das den damit ausgestatteten Lebewesen einen deutlichen evolutionären Selektionsvorteil bietet.
Nach neueren Erkenntnissen werden Informationen in den Nervenbahnen durch eine differenzierte Codierung, und damit eine
(qualitative)
Zuordnung, der Signale übertragen. Dies erlaubt
auch, nach entsprechender Verarbeitung, die Entstehung von differenziertem Bewusstsein, wie in der vorliegenden Schrift dargelegt wird.
Hirn und Zentralnervensystem sind die Schaltzentrale dieses Informationssystems. Seine heutige Größe hat das menschliche
Hirn im Lauf der evolutionären Entwicklung, beginnend beim gemeinsamen Vorfahren des Vor-Affens und Homo Sapiens, vor 5
Millionen Jahren erreicht. Seither haben sich schrittweise verschiedene Funktionsbereiche entwickelt, wie aus der Analyse von
fossilen Schädelfunden abgeleitet werden kann.
Diese funktionelle Entwicklung ist bei Homo Sapiens am weitesten
fortgeschritten. Sie erlaubt Homo, zum Unterschied von anderen
Tieren, verschiedene Hirn-Bereiche und ihre Gedächtnisinhalte bei
Bedarf zu verkoppeln und dadurch seine Entscheidungs-, Anpassungs- und Handlungsfähigkeit stark zu erweitern.
Die gewonnene Flexibilität erlaubte die Erweiterung des Siedlungsraums und der Ernährungsgrundlage (vom Pflanzen- zum
Fleischfresser).
14
Die Evolution des menschlichen Bewusstseins verlief mit diesen
Entwicklungen und Fähigkeiten parallel.
Mehr, oder minder ausgeprägte Formen von Bewusstsein finden
sich, vom Entwicklungsstand abhängig, auch im Tierreich, wie
neuere Forschungen belegen.
Eine rudimentäre Form von Bewusstsein findet sich zum ersten
Mal in der Evolution als Basis für Reflexbewegungen bei bestimmten Eukaryoten, z.B. Geißeltierchen.
Ganz zu Beginn des Lebens, und als erste biologische Informationsspeicher, standen RNA und DNA. Sie leiteten die spontane
Entstehung des Lebens, seine dauerhafte Fortsetzung und seine
Vervielfältigung ein.
Durch sie konnte die Verknüpfung von Information und Leben und
damit die unglaubliche Vielfalt der organischen Welt entstehen.
Zusammenfassend lässt sich der Inhalt dieses Buches wie folgt
grafisch wiedergeben:
15
Nachsatz:
„Die Empfindung, der Gedanke, das Bewusstsein, sind die höchsten Produkte der in besonderer Weise organisierten Materie“
(Wladimir Iljitsch Lenin)
DANK:
Ohne die Mitarbeit, vor allem die umfangreichen Literaturrecherchen und die profunden, kritischen Diskussionsbeiträge
meines Freundes Herbert Grünwald im Lauf der Entstehung
dieser Arbeit, hätte dieses jetzt vorliegende Buch nie geschrieben werden können.
Dafür möchte ich ihm an dieser Stelle herzlich danken!
Für wertvolle Hinweise, Anregungen, Korrektur, Editing und LayOut danke ich der jungen Generation: Tanja, Alexander und
Anthony.
WALTER GRÜNSTEIDL
Wien, im Juni 2016
16
I. WIE HAT DAS ALLES BEGONNEN?
MATERIE BEGINNT ZU LEBEN
DIE BASIS VON BEWUSSTSEIN UND INTELLIGENZ
Ursprünge und Grundlagen des biologischen Informationssystems
Zum besseren Verständnis der Einbettung des Bewusstseins in
das Geschehen der Bioevolution folgt hier ein kurzer Rückblick auf
die Uranfänge.
(Ausführlicher behandelt im Buch: „Vom Big Bang zum Internet“,
the Nature of Evolution,
Walter Grünsteidl und Herbert Grünwald, Wien 2012, Eigenverlag)
Ein wesentlicher Schritt von der unbelebten zu belebter Materie
war die spontane Entstehung von RNA (Ribonuklein-Säure) in der
sogenannten Ursuppe der, nach geologischen Begriffen, noch
relativ jungen Erde vor ungefähr 3.8 Milliarden Jahren. Aus diesen
bescheidenen molekularen Anfängen entstand im Verlauf der Evolution die enorme Vielfalt und Breite des organischen Lebens. RNA
war die Urmutter des Lebens.1
17
entstanden
Millionen Jahre
0,000001
~ sec
Internet
0,01
Ackerbau und Viehzucht
0,17 sec
0,03
Kunst und Handel
0,5 sec
1,13
Homo Sapiens
2,2 sec
1,8
Homo Erectus
5
Australopithecus
1,4 min
6
Abzweigung Schimpansen
1,7 min
30
sec
33
Menschenaffen
80
Affen
23
min
200
Säuger
1
std
280
Reptillien
1,3
std
360
Amphibien
1,7
std
420
Fische
2
std
470
Wirbeltiere
2,3
std
600
Vielzeller
2,9
std
9,5 min
4,8
std
1000
Sexualität
2100
Eukaryoten
10
std
2500
Photosynthese
12
std
2600
Cyanbakterien -autotroph
12,5
std
3600
Prokaryoten
17,3
std
3700 ?
DNA
17,8
std
3800
RNA - Protozellen
18,2
std
5000
Erde
24
std
Abb. Evolution des Lebens
18
Erdalter = 1 Tag
ZEITTAFEL
Die Evolution des Bewusstseins ist ein Resultat der Bioevolution.
Ihre Einordnung in die Gesamtevolution ab der Entstehung der
Erde bis auf heute verdeutlicht das nebenstehende Schaubild.
Dazu kann, um einen Eindruck von den Dimensionen zu bekommen, als Gedanken-experiment das Dasein der Erde auf 24 Stunden komprimiert dargestellt werden. In diesem komprimierten Modell hat die Bioevolution vor 17 Stunden ihren Anfang genommen,
der Mensch bevölkert unseren Planeten erst seit wenigen Minuten.
Zu beachten gilt übrigens, dass die meisten Zeitangaben in der
Literatur oft unsicher und vor allem nur als Grobeinschätzungen
aufzufassen sind. Das gilt daher notgedrungen auch für viele der
hier verwendeten Daten. Dazu kommt, dass von Seiten der Wissenschaft wiederholt Änderungen vorgenommen werden.
19
Die RNA
RNA (Ribonukleinsäure) bildet Ketten und besteht aus drei Grundbausteinen: einem Zucker als Gerüstträger, einem Phosphor säurerest, der beim Energieumsatz eine Rolle spielt und einem
stickstoffhaltigen Teil, den sogenannten Nukleinbasen, als Informationsträger.
Die Stickstoffbasen sind in wechselnder Reihenfolge, die einen
Code ergibt, in die Kette eingebaut. An sie, als Grundmuster,
können sich freie Basen zwecks Bildung einer Kopie anlagern.
Dadurch können sie sich und die enthaltene Information vermehren.
Der Code ist die Information für den Bau von körpereigenen Proteinen (Eiweißstoffe) sowie für Erbinformation.
In der RNA sind zwei essentielle evolutionäre Schritte verwirklicht:
- Die Funktion als organischer Informationsträger
- Die Möglichkeit zur Vervielfältigung und Übertragung
(„Replikation“) dieser
Information.
Mit der Entstehung der RNA und ihren besonderen Eigenschaften
vollzog sich der Übergang von der unbelebten zur belebten Welt.
Sie war der erste evolutionär veränderbare, kopierbare Informationsträger und stellt das Bindeglied zwischen der chemischen
Evolution und dem Aufkommen erster zellulärer Lebensformen dar. Sie war die erste Stufe in Richtung „Leben“, der
Grundstein des Lebens.
Die Rolle der Mutation
Beim Kopieren einer Kette entstehen nicht nur identische RNA,
sondern auch kurze Aminosäureketten, die ihrerseits die Bildung
neuer RNA katalysieren. Während dieses sogenannten „Hyperzyk20
lus“ 2 können sich relativ leicht Kopierfehler einschleichen, die
modifizierte RNA mit unterschiedlicher Stabilität liefern. Es entstehen Mutanten. Von diesen können diejenigen mit einer stabileren
Struktur die Ursprünglichen verdrängen. D.h. bereits auf dieser
Stufe wirkt das Darwin´sche Gesetz von Variation, Selektion und
dem Überleben des Stärkeren.
DNA
RNA ist auf Grund ihrer chemischen Struktur nicht sonderlich stabil. Das bewirkte einerseits die Entstehung einer Vielzahl von Mutationen, andererseits macht sie aber gerade diese Eigenschaft als
Langzeit - Informationsträger wenig geeignet.
Es ist daher kein Wunder, dass ein Mutant die Oberhand gewann,
der diese Aufgabe besser erfüllen konnte als eine einzelne RNA.
Dieser Mutant ist die „Desoxyribonucleinsäure“, besser bekannt
als DNA, die sozusagen aus 2 verschlungenen RNA Molekülen
besteh
Bild: Strukturformeln der Nukleobasen von Roland1952. Lizenz Creative commons 3.0
21
DNA verdankt ihre erhöhte Stabilität der korkenzieherartigen Doppelhelix-Struktur, sie ist sozusagen ein quasi „geschlossenes System“ und daher auch chemisch weniger angreifbar. Mit anderen
Worten, sie ist als Informationsträger über längere Zeiträume viel
besser geeignet als RNA.
In der Abbildung oben wird der Unterschied zwischen RNA und
DNA deutlich. Die grauen Spiralen sind dabei das Gerüst aus
Zucker-Phosphat-Molekülen, die horizontalen Elemente sind die
stickstoffhaltigen Basen, die den Code formen. (Siehe nächstes
Kapitel.)
Für den Verlauf der Bioevolution war die weitgehend ungestörte
Weitergabe von Information, einschließlich der gelegentlichen Mutationen, von großer Bedeutung.
Auf Basis der DNA entstanden die ersten einzelligen Lebewesen,
die Prokaryoten.
Das bedeutet allerdings nicht, dass RNA verschwand, sie spielt
nach wie vor eine wichtige Rolle für die Proteinsynthese und
während der Replikation.
DIE ROLLE DER DNA IM BIOLOGISCHEN INFORMATIONSSYSTEM
Gene und Codierung
Wie funktioniert nun dieses einfachste biologische Informationssystem DNA, sowohl als Informationsspeicher, wie auch als Informationsüberträger?
Die stickstoffhaltigen Komponenten, die Nukleotide (in obiger Abbildung Sold horizontale Elemente eingezeichnet) sind in der DNA
ähnlich den Sprossen einer Leiter angeordnet. Eingebettet in bestimmten Abschnitten von DNA, den Genen, fungieren sie, wie
22
Buchstaben in einem Text. Erst aus ihrer Kombination ergeben
sich „Wörter“, bzw. Codewörter genannt.
Gene sind gebündelte Informationen und fungieren als „Blaupausen“, bzw. Erbinformation, zum Aufbau (Proteinsynthese) eines
Organismus. Sie umfassen die Codierung zum Aufbau eines
Lebewesens, sowie auch Programme zum Ablauf, bzw. der
Steuerung der Lebensprozesse.
Das Grundrepertoire der Gene, die Basenpaare, ist recht stabil,
und sichert somit die, vorwiegend lebenslange, Erhaltung der
genetischen Codierungen.
Ein weiterer stabilisierender Faktor in der DNA ist ihre DoppelhelixStruktur, bei der die zwei Stränge an den Berührungspunkten der
Basen (Siehe Abb. oben) durch sogenannte „Wasserstoffbrücken“,
miteinander verbunden sind.
Allerdings haben diese „Wasserstoffbrücken“ nur ein Zehntel der
Bindekraft einer „normalen“ chemischen Bindung innerhalb des
Moleküls. Dies ist besonders wichtig für den Vorgang der Replikation. Die Doppelhelix kann nämlich durch bestimmte Enzyme ähnlich einem Reißverschluss „aufgezippt“ werden. In diese offene
Struktur können sich Nucleotide, RNA, oder Proteine aus dem
Umfeld nach bestimmten stereochemischen Regeln so anlagern,
dass Kopien mit dem Erbgut der ursprünglichen DNA entstehen.
Das ist die Grundlage der genetischen Informationsweitergabe, die
Vererbung.
Wenn bei diesem Prozess zufällig Kopierfehler auftreten, entsteht
ein Mutant. Dieses Wechselspiel zwischen Informations-Festlegung und Varianz durch Zufall ist die treibende Kraft im
Prozess der Evolution.3
DIE EPIGENETIK
Innerhalb eines DNA-Stranges befinden sich nur 5-10% festgelegte funktionell aktive Bereiche mit dem Erbgut. Die restlichen
23
90-95 Prozent galten bis vor Kurzem als funktionslos („Trash“,
„Junk“).
In den vergangenen 10 Jahren hat sich jedoch herausgestellt,
dass in diesen Abschnitten, die als Epigenome bezeichnet werden, Gene temporär, oder über längere Zeiten aktiviert, bzw. deaktiviert werden können. Dies geschieht durch An- oder Abdocken
von sog „Markern“, im allgemeinen sind dies Methylgruppen.
Dieser Vorgang wird durch bestimmte Enzyme gesteuert.
Die Abbildung unten zeigt schematisch den Schaltvorgang mittels
Methylgruppen an einem DNA Strang. Links das Ausgangs-Chromoson, danach die um bestimmte Proteine gewickelt DNA, an der
in einem folgenden Schritt Marker (Methylgruppen) andocken
können. Dadurch können physische und psychische Eigenschaften beeinflusst werden (ohne dass die DNA selbst verändert
wird).
Abb.: Andocken von Markern an DNA (Methylierung)
http://commonfund.nih.gov/epigenomics/figure.aspx
Dieser Schaltvorgang kann im Prinzip in jeder Phase des Lebens
stattfinden. Im Embryonalstadium wird die funktionelle Bestim24
mung der pluripotenten Stammzellen durch körpereigene Signale sogenannte Gen Regulations Proteine - ausgelöst, wodurch die
funktionelle Zugehörigkeit einer sich entwickelnden Zelle (wie z.B.
zu einer Hirn-, Nerven-, Muskelzelle) festgelegt wird.
Darüber hinaus spielen epigenetische Einflüsse aus dem Erbgut,
oder im Mutterleib erworben, eine Rolle. Die sogenannte epigenetische Prägung erfolgt über die Gene des Vaters, oder der
Mutter.
Erste Hinweise auf die Vererbung von Markern bei Mäusen stammen aus Studien in 1999.4
Studien zu diesem Thema wurden auch von Eva Jablonka, Cohn
Institute Universität Tel Aviv, präsentiert.5
Inzwischen gehört epigenetische Vererbung zum weitgehend
gesicherten Wissensbestand. Es konnten bereits vier Mechanismen, die eine epigenetische Form der Vererbung in einem Organismus erzeugen, identifiziert und beschrieben werden. D.h.:
Genetische Regler, „Methylierungen“, sind vererbbar.6
Diese Theorien, bzw. Befunde erinnern übrigens an die, lange Zeit
umstrittenen - und in der Sowjetära von T.D. Lyssenko politisch
missbrauchten - Thesen von Jean Babtiste Lamarck (1744-1829)
zum Einfluss des Milieus auf die Vererbung.
Eine epigenetische Aktivierung kann im Laufe des Lebens durch
äußere Umstände, wie Essgewohnheiten, Stress-Hormone, seelische Erschütterungen, Drogen, ganz allgemein durch das Milieu
usw., ausgelöst werden. Die in diesem epigenetischen Bereich,
erworbene genetische Information ist Teil der Lebensgeschichte
eines Menschen. Sie umfasst neben den erwähnten pränatalen,
vor allem auch während des Lebenslaufs erworbene Dispositionen, wie z.B. Anfälligkeit für bestimmte Erkrankungen, psychische
Labilität, Drogenabhängigkeit usw. Das heißt, über die im Erbgut
befindlichen Eigenschaften können Charakter, Dispositionen, Veranlagungen, epigenetisch bestimmt sein (siehe Fußnote 7).
25
Auch Karzinome werden mit großer Wahrscheinlichkeit durch epigenetische Veränderungen hervorgerufen. Dementsprechend versucht man neuerdings in der Krebsforschung Therapien mittels
der Beeinflussung der „Marker“ zu entwickeln.
Wir haben also auf Gen-Niveau drei Informationsebenen:
Die in der DNA festgelegte, unverrückbare Erbinformation
Das von einem Elternteil ererbte epigenetische Niveau
Das Niveau der im Laufe des Lebens epigenetisch erworbenen Informationen
Im Epigenom ist jedenfalls ein Teil der Lebens- ja sogar der Familiengeschichte, eines Menschen aufgenommen. Es spielt daher
auch eine wichtige Rolle bei der weiteren individuellen Bewusstseins-Entwicklung und bestimmt indirekt das Bild, das sich ein
Mensch von seiner Welt macht.
Zum Zusammenhang von epigenetischer Vererbung und Kultur
siehe Kapitel „Meme“ bzw. „Kultur“.
An dieser Stelle erhebt sich natürlich die Frage:
Was macht also die Individualität eines Menschen aus?
Grob vereinfacht lassen sich drei Ebenen definieren:
- Das genetische, in der DNA festgelegte, Programm
(Genotype)
- Das aufgenommene, evt. teils ererbte, epigenetische
Programm, ausgelöst durch innere und äußere Einflüsse.
- Der Einfluss der im Gedächtnis gespeicherten persönlichen Informationen, als bewusstes Gedächtnis, und „Verhaltensprogramme“, wie z.B. die in der Kindheit erlernte
Sprache (Phenotype).
Nach diesem Exkurs in die Ursprünge und Grundlagen des biologischen Informationssystems, wollen wir uns wieder der
Geschichte der Evolution des Bewusstseins und dem weiteren
Verlauf der Evolution des Bewusstseins zuwenden. 26
II. DER BESCHEIDENE ANFANG KOMMENDER VIELFALT
PROKARYOTEN
Als erste Lebewesen, d.h. mit Zellstruktur, Stoffwechsel, Reproduktionsfähigkeit und Potential zu Differenzierung, gelten die vor
3.6 Milliarden Jahren auftretenden einzelligen, zellkernlosen
Prokaryoten, Sie waren die einzigen Lebewesen und Alleinherrscher in der Beginnphase der Bioevolution Bei ihnen kam
DNA als genetischer Informationsträger zum ersten Mal zum Einsatz.
Über den Grund warum die Entstehung der DNA innerhalb der
RNA-Welt und die Bildung von Protozellen viele Millionen Jahre
auf sich warten ließ, wodurch erst die Entstehung von Leben
möglich wurde, kann man nur spekulieren. War es „das Warten auf
den Zufall“, der ja in der Evolution immer eine wesentliche Rolle
gespielt hat?
Hier sei auf zwei Bücher zu diesem Thema verwiesen:
„The plausibility of Life“ von M.W. Kirschner und J.C. Gerhart, Yale
University Press 2012
„Gipfel des Unwahrscheinlichen“ , Richard Dawkins , Rohwolt
2001. (S. 104, 313 ff)
Prokaryoten, wie u.a. die heutigen Bakterien, zählen bezüglich
Überlebensfähigkeit zu den erfolgreichsten Lebewesen auf unserem Planeten. Sie verdanken das nicht einer Abwehr-, oder
Vermeidungsstrategie, wie spätere Lebensformen, dafür würde sie
ihr einfacher Bau gar nicht befähigen, sondern einer Überrumpelungsstrategie durch massenhaftes, epidemisches
Auftreten, wie der Mensch aus leidvoller Erfahrung gelernt hat.
Das Vorhandensein eines Bewusstseins mit seinen Charakteristika, wie bewusste Wahrnehmung, „Gedächtnis-“, so wie aktive
Reaktionsfähigkeit, scheint in der Phase der Prokaryoten wegen
27
ihres sehr beschränkten Erbguts und ihrer strukturellen Komplexität unmöglich.
Während der folgenden ca. 900 Millionen Jahre veränderten sich
die Bedingungen auf der Erde infolge der weiteren Abkühlung
stetig.
Dadurch nahm der Vulkanismus ab, die Landmassen wurden stabiler, es herrschten weniger chaotische Verhältnisse.
Die Bio-Evolution konnte daher unter stabileren Verhältnissen
weitergehen. Es entstanden vor ca. 2.1 Milliarden Jahren die,
bereits mit einem Zellkern ausgestatteten, Eukaryoten.
EUKARYOTEN
Waren die Eukaryoten die ersten „informierten Tiere“?
Mit dem Auftreten der Eukaryoten erfolgte der Übergang vom
passiven zu reaktiven Leben
Bei den noch einzelligen, aber bereits mit einem Zellkern ausgestatteten, Eukaryoten entstanden erstmals Reiz/Signal-Empfänger,
in Kombination mit Bewegungsfunktionen. Wir würden vermuten,
dass in der DNA im Zellkern bestimmte Aktionsprogramme gespeichert sind, wie z.B. bei manchen Geißeltierchen, die es dem Tier
gestatten, eine reaktive Überlebensstrategie zu führen.
Eine der am besten untersuchten Arten sind die einzelligen Euglena (Augentierchen). Sie sind bereits komplexe Zellen, mit Zellkern,
Photorezeptor, bestehend aus einer Akkumulation von
lichtempfindlichen Pigmenten (Augenflecken) und einer Geißel.
Eine zweite kleinere Geißel ist photosensitiv und steht mit dem
Augenfleck in Verbindung.
28
Unterstützt durch eingelagertes Chlorophil erzeugt Euglena photosynthetisch Glucose als Energielieferant. Das dafür benötigte Licht
kann Euglena mithilfe der größeren Geißel (der Flagella) aufsuchen, ein Phänomen, das Phototaxis genannt wird. Eine zweite,
kleinere, Geißel ist dabei eine Art Navigationshilfe. Sie kann die
Richtung und Intensität der Lichtquelle signalisieren und so die
Bewegung der Geißel in optimale Richtung zur Lichtquelle beeinflussen. Sollte jedoch die Intensität des Lichts schädigend hoch
sein, wird eine Bewegung weg vom Licht eingeleitet. Es entsteht
so ein perfekter Rückkoppelprozess in einem geschlossenen System.
Euglena ist folglich ein Zwitterwesen zwischen Pflanze und Tier.
Das beschriebene Verhalten bedeutet, dass es bei Euglena eine
intrazellulare Reizüberleitung zwischen dem Augenfleck und der
Parallelgeißel geben muss, m.a.W. einen primitiven Vorläufer eines
neuralen Systems. Das Tier kann Signale aus der Umgebung zielführend verarbeiten, wodurch es einen ersten Ansatz von quasi
„intelligentem“, instinktivem Verhalten zeigt.
Intelligenz wird auch definiert als ein (offenes) codiertes Programm, das ein Verhalten steuert, welches für das Tier auftretende
Probleme lösen hilft. Euglena bietet hierfür ein schönes Beispiel.
29
30
III. …UND DANN FLIESST INFORMATION
DER WEG ZUM BEWUSSTSEIN
Das biologische Informationssystem
Neuronen (Nervenzellen)
In den folgenden Evolutionsphasen kam es zur Entwicklung eines
zu mehr Differenzierung fähigen biologischen Informations-systems, das in seiner Leistungsfähigkeit über das einigermaßen
starre RNA-DNA System, sowie die simple Reflexüberleitung der
Eukaryoten hinausging. Es brachte eindeutig Vorteile, indem es
erlaubte auf mehrfache und differenziertere Weise auf Umweltsignale zu reagieren und damit die Überlebenschancen zu erhöhen.
Es brachte eine Bereicherung der evolutionären Möglichkeiten und
öffnete das Tor zu Entwicklung und Erweiterung des Bewusstseins.
Das Schlüsselelement dabei ist die „Erfindung“ von Zellen die eine
Signalüberleitung und Verarbeitung möglich machen: die Nervenzellen und Synapsen.
Wie jedes einfache Informationssystem besteht auch das biologische aus drei Grundelementen: Input, d.h. Elemente zur Signal Reiz Aufnahme (Sensoren), ein Signal-Reiz Überleitungs-System,
Signalverarbeitung und -speicherung.
Die Signal-Reiz Aufnahme, d.h. die Umsetzung in elektro-chemische Impulse, erfolgt durch die Sinnesorgane mit ihren reizspezifischen Sensoren, optisch, akustisch, thermisch, haptisch usw.
Die Signalüberleitung und teilweise auch die Signalverarbeitung,
geschieht durch das Nervensystem, den Neuronen und
31
Synapsen. Neuronen (Nervenzellen) stellen sozusagen eine der
großen „Errungenschaften“ der Evolution dar.
Wie funktioniert dies im Detail?
Nervenzellen unterscheiden sich von „normalen“ Körperzellen
dadurch, dass sie empfangene elektrochemische Signale mittels
einer die Zelle umhüllenden Membran, dem sog. Axon, weiterleiten
können. Man spricht von einem Membranpotential.
Am Ende der Zelle befinden sich „Stecker“ bzw. „Schaltstellen“
die Synapsen, mit feinen Verästelungen, den Dendriten, die den
Kontakt zu anderen Neuronen herstellen, Dendriten spielen aber
auch, wie wir später sehen werden, eine Rolle als Informationsspeicher in der Gedächtnisfunktion.
Abb. Aufbau einer Nervenzelle
Neuronen in der Informationsverarbeitung
Sobald die durch einen Reiz im Neuron hervorgerufene Änderungen einen gewissen Schwellenwert überschreiten „feuert“ die
Zelle ein sogenanntes Aktionspotential ab. Die Frequenz mit der
diese Aktionspotentiale beim Empfänger eintreffen gibt eine
32
codierte Information über die Art des Senders. Das derart vorbereitete, codierte Signal wird an eine Synapse übergeleitet, die die
Funktion einer Schaltstelle erfüllt. Am Ausgang dieser Synapse
wird die Information an die der Codierung entsprechenden Aktoren übertragen, z.B. für Drüsen- oder Muskelzellen des vegetativen bzw. somatischen Nervensystems, Bei diesem Prozess spielen Botenstoffe eine wichtige Rolle.
Anatomie und Physiologie der Bewusstseinsentwicklung
Zur kurz- oder längerfristigen Entstehung von Bewusstsein spielt
Verfügbarkeit, Zugriff, Ablage und Verknüpfung von Information
eine Schlüsselrolle. Hier kommt den Synapsen als Schalt- und Verarbeitungsstellen neuraler Informationsinhalte eine wichtige Rolle
zu.
Synapsen befinden sich in einem ständigen Auf-und Abbauprozess. Dadurch kann ihre Signalfähigkeit zeitweilig variiert
und neuen Bedingungen und Bedürfnissen angepasst werden.
Dies ist die Grundlage der sogenannten neuronalen Plastizität. Die
betreffenden Schaltstellen befinden sich an den Dendriten.
Eine derartige Veränderung an Dendriten kann über sehr unterschiedliche Zeiträume von Sekunden bis über ein ganzes Menschenleben hinweg als sogenanntes Langzeitpotential festgelegt
sein. Wie neuere Forschungsergebnisse zeigen, können diese
Veränderungen mittels des sog. 2-Photonen Mikroskops sogar
sichtbar gemacht werden.8
Wir haben es hier mit der anatomischen Grundlage des Gedächtnisses zu tun.
Während einer Gedächtnisleistung, d.h. Informationsspeicherung,
oder -abruf, während eines Bewusstwerdungsprozesses, verschaltet sich das betreffende Neuron mit einer Vielzahl von, verstreut
über andere Hirnbereiche liegenden, Neuronen, wodurch eine
abgerufene Information durch eine Reihe von Querbezügen angereichert werden kann, also zum Beispiel von einer Person zugle33
ich ihr Bild, die Stimme, Vergangenheit, Erfahrungen, Netzwerk
usw. zugleich ins Gedächtnis gerufen werden.
QUANTENMECHANISCHE ÜBERLEGUNGEN
Mit der Identifizierung von Veränderungen an Dendriten alleine ist
die Funktionsweise von Gedächtnis vorläufig noch nicht völlig
geklärt, wie z.B. die oben erwähnten simultane Adressierung, Verschaltung und Bearbeitung über verschiedene auseinanderliegende Hirnbereiche hinweg, Rückkoppelprozesse und dergleichen.
Im Zuge der Forschung auf dem Gebiet der Quantencomputer
wurden kürzlich Überlegungen und Theorien für sog. Quantum
Cognition entwickelt und vorgestellt (Matthias Fisher, Kavil Institute for Theoretical Physics, University of California). Dabei wird
untersucht, ob quantenmechanische Phänomene bei Gedächtnisvorgängen und Informationsbearbeitung im Hirn eine Rolle
spielen könnten.
Erste Untersuchungsergebnisse weisen darauf hin, dass tatsächlich bestimmte Phosphorverbindungen (sog. „Posner Moleküle“)
das Potential haben in Neuronen zu Quanteneffekten zu führen,
die im Neuron zwei verschiedene Zustände gleichzeitig entstehen
lassen. Damit werden Signaleigenschaften von Neuronen an auseinanderliegenden Orten gleichzeitig verändert, die während der
Formung von Gedanken und Gedächtnisleistungen eine Rolle
spielen und mit hoher Geschwindigkeit im neuralen Netz übertragen, modifiziert und gespeichert werden können.
Schlussfolgerungen sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch
spekulativ und bedürfen der experimentellen Untermauerung.
Möglicherweise findet sich hier der Schlüssel zur Erklärung der
annähernd simultanen Übertragung von Signalimpulsen zwischen
verschiedenen Hirnregionen „in dem warmen, nassen Environment
des Hirns“ (Roger Penrose). In der Fachwelt ist diese Theorie vorläufig noch umstritten.9
34
DIE ZEITDIMENSION
(Siehe auch Zeittafel am Beginn)
Wenn wir uns die Zeitskala der, im Vorigen erwähnten, evolutionären Entwicklungen vor Augen führen und sie in Relation setzen bis zum Heute, sehen wir folgenden Ablauf:
Nach dem Erscheinen der ersten Prokaryoten vor ca. 3.6 Milliarden Jahren vergingen 1.5 Millionen Jahre bis zum Erscheinen der
ersten Eukaryoten.
Bis zum Auftreten der Vielzeller vergingen weitere 1,5 Milliarden
Jahre.
Danach waren offensichtlich wesentliche Voraussetzungen für eine
rasante weitere Entwicklung gegeben, man könnte auch sagen,
der Baukasten, sowie die elementaren Baupläne mit den
wesentlichen Elementen, wie z.B. der funktionelle „Grundriss“ der
Körper, waren vorhanden. („Plausibility of Life“ Kirschner u.a.)10
Mit der ”kambrische Explosion”, vor etwa 570 Millionen Jahren,
kam es, primär durch anatomische Veränderungen, zu einer stürmischen Beschleunigung der Bioevolution, in der die Vorfahren
fast aller uns heute bekannten Tiere auftraten. Nach etwa 500 Millionen Jahren erschien dann der Mensch.
Bei Betrachtung des exponentiellen Verlaufs der Zeitkurve der
Bioevolution, könnte man zu der (spekulativen) Vermutung gelangen, dass es jeweils der Erreichung eines bestimmten
Schwellenwerts an Komplexität des neuronalen Systems
bedurfte, bevor eine folgende Beschleunigung der Evolution in
Richtung erweiterter und differenzierter Lebensformen möglich
war.
35
36
IV. ORDNUNG UND CHAOS, HIRN ALS MASTERMIND
DIE EVOLUTION DER NEURALEN NETZE UND DES HIRNS
In den Phasen der Evolution, nach der Dominanz der einzelligen
Eukaryoten, kam es zur Ausbildung der Mehrzeller mit differenzierten Zellen und Zellverbänden (Gewebe und Muskel) für spezifische Funktionen, z.B. für den Bewegungsapparat, sowie verfeinerte Sensoren, wie Augen, Geruchs- und Hör-Organe, usw.
Waren in den Uranfängen noch einzelne Neuronen für bestimmte
Funktionen zuständig, mussten zur Bewältigung der komplexeren
Aufgaben spezialisierte Neuronenbündel, verkoppelt in neuralen
Netzen, angesteuert werden.
Parallel dazu entwickelten sich auch komplexere bewusstseinsähnliche Phänomene und Gedächtnisfunktionen, wodurch die
nötigen Rückkoppelungen für gerichtete Re/Aktion, sukzessive
verbessert und damit die Fähigkeit für effektivere Handlungsweise
hergestellt wurden. (Siehe dazu noch später!)
Erste Ansätze zur Steuerung von Körperfunktionen gab es in Form
spezieller Neuronen, beispielsweise den „Schrittmacherneuronen“
für Bewegungsabläufe bei bestimmten Würmern.
Sobald es in der Weiterentwicklung im Körper strukturell ein
„Vorne“ und „Hinten“ gab, mit anderen Worten sich bilateralsymmetrische Wesen entwickelten, wurde die Steuerfunktion mehr
und mehr an einer Stelle konzentriert, dabei nahm gleichzeitig die
Komplexität zu. Bei Hohlwürmern und Fadenwürmern entwickelten sich daraufhin primitive neurale Netze, bzw. Stränge.
Die nächste Stufe führte zur Entwicklung von Verarbeitungszentren
in Nervenknoten, den Ganglien. Eine zunehmend prominente Rolle
bei der Verarbeitung von Sinnesreizen begann das sogenannte
Oberschlundganglion zu spielen, es bildete quasi den Vorläufer
37
des Hirns im inzwischen entstandenen Kopf, verbunden mit den
Sensoren durch ein Strickleiter-nervensystem. Man kann dies
auch als Vorläufer eines Zentralnervensystems auffassen.
Abb. Oberschlundganglion und Strickleiternervensystem eines
Wurms
Diese Grundstruktur hat sich bei den Gliederfüßern, wie Insekten,
Krebsen und Spinnentieren bis heute erhalten.
Die weitere Entwicklung in Richtung Homo Sapiens war gekennzeichnet durch die Vergrößerung des Hirns, der zunehmende Bedeutung aufgabenspezialisierter Hirnregionen und der Rolle des Zentralnervensystems, wodurch die meisten Funktionen des Nervenund des Muskelsystems zentral gesteuert werden können, wie das
bereits bei den ersten Kopffüsslern und Wirbeltieren der Fall ist.
Mit dem Homo Sapiens hat die Evolution schließlich das komplexeste und intelligenteste Bio-(Informations-)System hervorgebracht (auch wenn´s in der täglichen Praxis vielleicht nicht immer
danach aussieht).
38
DAS MENSCHLICHE HIRN
Die Anatomie
Abb. Hirn, Aufbau
Das menschliche Gehirn ist das Resultat einer schrittweisen Entwicklung während der vergangenen 500 Millionen Jahre.
Dies spiegelt sich im Aufbau des Hirns wider.
Im Inneren liegen die, entwicklungsgeschichtlich gesehen, ältesten
Teile, wie das Stammhirn, das sogenannte „Reptilienhirn“, das die
lebensnotwendigen körperlichen, unbewusst verlaufenden, Grundfunktionen regelt, wie Herzschlag, Atmung, aber auch, teilweise
bewusste, Bewegungen, wie Kauen, Schlucken und Darmfunktionen.
Dahinter befindet sich das Kleinhirn, verantwortlich für Körperhaltung, Motorik und deren Erlernen.
39
Mit dem Auftreten der Säugetiere kam dazu das Limbische System. Es regelt Körpertemperatur, Herzschlag, Blutdruck, und sorgt
darüber hinaus für instinktive, emotionelle Reaktionen.
Das limbische System ermöglicht es uns, Sinnenreize zu
beurteilen (als „bekannt?“ „angenehm?“ „bedrohlich?“ etc.),
Gefühle und Emotionen (Freude, Lust, Angst, Trauer) zu empfinden, zu bewerten, zu merken und zu verarbeiten, und mit
entsprechenden Taten (Hinwendung, Abwehr, Flucht) und physiologischen Vorgängen (Hormonausschüttung, Blutdruckänderung,
Pupillenweite etc.) zu beantworten, sowie Motivation aufzubauen.
Mit seiner Funktion ist auch die Fähigkeit des Lernens eng
verknüpft.11
Daran gekoppelt befindet sich der Hypothalamus mit der Hypophyse (Hirnanhangdrüse), die Schnittstelle zwischen dem hormonellen und dem nervlichen System des Körpers.
Beim Menschen ist der größte Teil des Hirns das Großhirn, umgeben von der dünnen Großhirnrinde (Cortex), die sich aus einfachen
Anfängen seit dem Aufkommen der Säuger vor ca. 200 Millionen
Jahren zu einer zunehmend komplexeren Struktur entwickelte, die
beim Menschen am weitesten gediehen ist.
Im Cortex findet das eigentliche Denken statt. Dort werden
Wahrnehmungen eingeordnet und organisiert, Handlungspläne entworfen. Man kann annehmen, dass hier, zusammen mit
einem in Körper weitverzweigten neuralen System die Grundlagen für das Bewusstsein entstehen.
Hirnfunktionen
Wurden bis vor kurzem noch streng abgegrenzten Arealen im Hirn
spezifische Funktionen zugeschrieben, hat sich inzwischen die
Erkenntnis durchgesetzt, dass Hirnfunktionen durch ein kompliziertes Zusammenspiel aller Gehirnareale unter dauernder Rückkoppelung mit dem Körper zustande kommen, wobei dann eine
Signal-Bündelung in funktions-spezifischen corticalen Bereichen
stattfindet.
40
Hinweise auf die evolutionäre Entwicklung der funktionellen Leistungsfähigkeit des Gehirns lassen sich, wie bereits erwähnt, aus
dem Studium von fossilen Schädelinnenseiten und den „Abdrücken“ der Hirnlappen gewinnen. Diese Methode ergänzt sehr wesentlich die Aussagen, die sich aus der Entwicklung des Hirnvolumens ergeben.
Abb.: Die Hirnlappen
41
Abb. Die funktionellen Bereiche im Hirn
So sorgt der Hirn-Vorderlappen für die Steuerung mechanischer
Bewegungen und einiger Emotionen. Im Hinterhauptlappen werden optische Wahrnehmungen verarbeitet, während vom Schläfen-Seitenlappen das Gedächtnis angesteuert wird.
Darüber befindet sich der Scheitellappen funktionell verantwortlich
für die Verarbeitung sinnlicher Wahrnehmungen, wie Sehen, Hören, Riechen, Fühlen.
Beim Menschen sind Scheitel- und Schläfenlappen viel ausgeprägter entwickelt und vorherrschender, als beim Affen.
Feinstruktur und Eigenschaften:
In seiner Komplexität erscheint das menschliche Gehirn wie ein
brodelnder „Hyper-Dschungel im Kopf“ (Zitat G. M. Edelman).
Die Grundform wurde schon vor 3 Millionen Jahren festgelegt. So
betrachtet, unterschieden sich Mensch und
Australopithecus
12
kaum.
42
Heute verfügen wir allerdings über ein Hirn, das bezogen auf das
Körpergewicht neunmal so groß ist, wie bei anderen Säugern, unser Schädel als kugelförmiges Behältnis erlaubt optimale Raumausnutzung, der Energieverbrauch dieses Organs beträgt 20% unseres Grundumsatzes, 10% des aufgenommenen Sauerstoffs, und
40% des Blutzuckers.
Es wiegt knapp 1.500 Gramm (ca. 2% des Körpergewichts)
und enthält 100 Milliarden Neuronen, die durch etwa 100 Billionen Synapsen eng miteinander verbunden sind. Durchschnittlich
ist ein Neuron demzufolge mit 1000 anderen Neuronen verbunden
und könnte von jedem beliebigen anderen Neuron aus in höchstens vier Schritten erreicht werden.
Die Großhirnrinde (Cortex), enthält über 30 Milliarden Neuronen
und weit mehr als 30 Billionen neuronale Verknüpfungen.
Wenn wir uns mit der Zahl der möglichen neuralen Schaltkreise
befassten, hätten wir es mit einer hyperastronomischen Zahl
(Dennett®) mit einigen hundert Stellen zu tun.
Die Gesamtlänge aller Nervenzellen im Hirn beträgt 5.8 Millionen
km, das ist so viel wie 145 Erdumrundungen.
NEUROLOGISCHE GRUNDLAGEN VON BEWUSSTSEIN UND
GEDÄCHTNIS
Hirnforschung
Erweiterung von Wissen und Können
Die Gesamtheit der gegenwärtigen bearbeiteten naturwissenschaftlichen Forschungsbereiche umfasst einen faszinierender
und spannenden Bogen: Von den Dimensionen der Weite des Alls,
gemessen in Lichtjahren, bis hin zu der faszinierenden neuralen
Mikro-Welt in unseren Schädeln, dem Gehirn, den Neuronen und
schließlich den Nano-Bereich der DNA.
43
Wir haben in dieser Spannweite sozusagen die Eckpfeiler der Evolution vor uns.
Möglich geworden ist das dadurch, dass die Evolution die
Menschheit auf einen Punkt in ihrer Entwicklung gebracht hat, ab
dem sie fast selbstverständlich mit Dimensionen umgehen zu
können glaubt, für die sie im Wesen weder sensorisch noch begrifflich, oder emotional ausgestattet war. Unser natürliches, im
Lauf der Evolution entstandenes, Sensorium ist auf die Umweltbedingungen zugeschnitten, unter denen sich die Bio-Evolution
ereignet hat.
Erst mit Hilfe der Entwicklung geeigneter Artefakte konnte man
die Ausstattung mit Sensoren drastisch erweitern und ergänzen,
einerseits ins Große, in den Weltraum hinein, mittels Weltraumteleskop, Radioastronomie, Weltraumstation, Roboter und andererseits ins Kleine, in die Mikro- und Nano-Welt, mittels Elektronenmikroskop, Magnetresonanz-Scanner, Tomographie, Array-Scanner und dergleichen. Mit dieser Sorte Artefakte können wir die
Phänomene zunehmend besser „Begreifen“, auch wenn das „Verstehen“ im Rahmen der gängigen Logik manchmal schwer fällt
(Stichwort Quantenphysik).
Dazu kommt die weit entwickelte Abstraktionsfähigkeit, die es gestattet, uns mit Dingen zu beschäftigen, die wir (prinzipiell) gar
nicht a priori wirklich „verstehen“, d.h. intellektuell einordnen, können - wer kann schon das Phänomen „eine Milliarde Lichtjahre“,
oder die Dimension eines Atoms wirklich verstehen? Dank der
Abstraktions-Fähigkeit des modernen Menschen jedoch, können
wir uns dennoch damit sinnvoll beschäftigen und ja sogar damit
rechnen, - im wahrsten Sinn des Wortes - sowie Modellvorstellungen entwickeln und dergleichen mehr.
Die hier angeführten Bemerkungen gelten naturgemäß auch für die
Erforschung des Hirns, des Nervensystems, des Denkens und des
Bewusstseins.
44
Das menschliche Hirn, zusammen mit dem umringenden neuralen
Netz, stellt wohl das komplexeste und am schwierigsten zu fassende System dar, mit dem es der Mensch bisher zu tun hatte. Es
befindet sich in dauernder Veränderung, in einem fortwährenden
Wechselspiel zwischen fluktuierenden Vernetzungen und Interaktionen einer gigantischen Zahl von Neuronen und Synapsen. Es ist
nach gängigem Maßstab „schwer zu fassen“. Die herkömmlichen
Instrumente und Methoden versagen in manchen Bereichen. Es ist
also kein Wunder, dass ausgerechnet über das Zentrum unseres
Wissens noch ziemlich große Wissenslücken bestehen.
Forschungsbereiche und Projekte
Der Versuch zur Entschlüsselung der Grundlagen des Denkens,
des Fühlens und des Bewusstseins liegt hauptsächlich im Aufgabenbereich der Neurowissenschaften.
Sie umfassen Gebiete der Medizin, Psychologie, Kognitionswissenschaften und Biologie. In letzter Zeit gewinnen in der Hirnforschung Neuro-Chemie und Neuro-Physik eine zunehmende Bedeutung vor allem bei der experimentellen Aufklärung der Vorgänge in Gehirn und Nerven.
Ein wichtiges Instrument der Hirnforschung ist der Kernspin-Tomograph. Mit ihm können Abläufe im Hirn sichtbar gemacht, gemessen und verfolgt werden (N.B: insbesondere in diesem Zusammenhang spricht man in der Literatur von „Bildgebung“ oder
„bildgebenden Verfahren“).
Die Neurowissenschaften zählen gegenwärtig zu den intensivsten
Forschungsbereichen weltweit. Jährlich erscheinen auf diesem
Gebiet an die 100.000 Publikationen.
Namhafte Forschungszentren sind u.a. das Max-Planck Institut für
Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig, das Californian
Institute of Technology, Los Angeles, sowie die École Polytechnique Fédéral de Lausanne.
45
Prominentestes Projekt zurzeit ist das, von der EU als „Flag-Ship
Project“ mit einer Milliarde Euro dotierte und 2005 gestartete,
„Blue Brain Project“, mit dem die funktionelle Architektur des
menschlichen Gehirns ergründet und ein funktionsfähiges Modell
entwickelt werden soll. 2023 sollte im Rahmen dieses Projekts ein
erstes Resultat mit einer Simulation auf molekularer Ebene, mit
100 Milliarden Nerven-Zellen, fertiggestellt sein. Neben der zentralen Gruppe in Lausanne arbeiten eine Reihe weiterer ForschungsInstitute daran.
Man erhofft sich daraus nicht nur rein wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch wertvolle Einsichten in die Hirn- und Nerventätigkeit für Prävention, Diagnose und Therapie verschiedenster
Krankheiten.
An dieser Stelle sei noch die Bemerkung erlaubt, dass sich beim
Studium einschlägiger Publikationen und Übersichten der Eindruck aufdrängt, dass neurowissenschaftliche Forschung zwar
mit großem Aufwand, aber wenig fachübergreifend koordiniert,
betrieben wird.
Das menschliche Hirn ein Computer?
Hinsichtlich einiger weniger Funktionen des Gehirns (vor allem
Gedächtnis, mathematisch-logische, tabellarische, Suchen und
Erkennen) wäre man geneigt diese Frage, mit Einschränkungen, zu
bejahen.
Bei näherer Betrachtung jedoch zeigen sich signifikante Unterschiede, die wir hier kurz zusammenfassen (nach G.M.Edelman)13:
·
·
·
46
Das Gehirn ist auf eine Weise vernetzt, an die bislang kein
von Menschen geschaffenes Gerät heranreicht.
keine zwei Gehirne sind gleich.
in jedem Gehirn ist seine, sowohl durch Vererbung bestimmte Entwicklungsgeschichte, als auch seine individuelle Erfahrungsgeschichte unverwechselbar eingegraben.
·
·
Signale, die das Gehirn empfängt sind mit Sicherheit nicht
wie ein Lochstreifen, präsentiert.
Funktional getrennter Areale werden OHNE zentralen Prozessor koordiniert.
Allein diese Tatsachen belegen die Unvergleichbarkeit des menschlichen Hirns gegenüber einem herkömmlichen Computer.
Dazu kommen aber auch funktionelle und operationelle Unterschiede:
Hinsichtlich Komplexität, Flexibilität und spontaner Verfügbarkeit
übertrifft unser Hirn seinen künstlichen Namensvetter und ist in
seiner Gesamtheit im wahrsten Sinn des Wortes unvergleichlich.
Der, im Wechselspiel mit unserer Evolution entstandene, „HirnComputer“ ist für die Aufgaben, die er zum Überleben und zur Unterstützung eines Menschen zu erfüllen hat, im Allgemeinen erstaunlich gut und besser geeignet, als ein Computerartefakt.
Unübertroffen sind „echte“ Computer vor allem hinsichtlich der
Speicherkapazität. Ein Computer der neuesten Generation, wie
z.B. der Apple G5, hat die 16.000-fache Kapazität eines menschlichen Hirns. Die Gedächtnisinhalte werden dabei allerdings exakt, 1 zu 1 abgelegt und müssen später beim Abruf wieder schrittweise adressiert und aktiviert werden.
Dies ist die Folge des, in den meisten gängigen Heim- und Bürocomputern angewendeten, „v. Neumann“ Prinzips. Nach diesem
werden die einzelnen Arbeitsschritte, wie Datenabruf, Verarbeitung, Speicherung, sequentiell, das heißt nacheinander ausgeführt.
Beim menschlichen Hirn hingegen, ist die Speicher- und die
Verarbeitungslogik in einem neuralen Netzwerk zusammengeschaltet, das heißt, Speichervorgänge und Verarbeitung verlaufen
gleichzeitig parallel neben- und miteinander. Dadurch können z.B.
neue und gespeicherte Information laufend verglichen, modifiziert
und verkoppelt werden. Auf diese Weise ergibt sich eine enorme
47
Flexibilität und die für das menschliche Hirn so charakteristische
Plastizität, die eine stetige Veränderung und Umformung von Information und Speicherinhalten ermöglicht.
Diese Art von Informationssystem bedeutete für die Gattung
Homo in evolutionärer Hinsicht einen signifikanten Vorteil. Die dadurch mögliche, relativ schnelle, Reaktions- und Anpassungsfähigkeit auf Reize aus Umwelt und diverser anderer Lebensumstände, bietet einen unschätzbaren Bonus im Überlebenskampf.
Durch die erwähnte Plastizität des Hirns in Kombination mit der
Fähigkeit verschiedene funktionelle Hirnbereiche spontan und flexibel zu verkoppeln, mittels der sogenannten Cognitiven Fluidität,
eine Eigenschaft auf die wir später noch zurückkommen.
Obendrein ist das Hirn, zum Unterschied von einem Computer,
ständig eingeschaltet, d.h. funktionsbereit (auch im Schlaf) und
dadurch (fast) ständig verfügbar. So müssen angesichts einer Bedrohung nicht -zig Uploads und Algorithmen hintereinander durchlaufen werden, bevor adäquat reagiert werden kann.
Dies alles bedingt aber einen, im Vergleich mit einem herkömmlichen Computer, stark erhöhten Energiebedarf. So werden 20%
des Grundumsatzes eines Menschen für die Antriebsenergie des
Hirns benötigt. Dieser Wert kann bei intensiver Denkerfordernis
zeitweilig bis auf 90% ansteigen („Denken macht müde“).
Damit geht auch eine hohe Empfindlichkeit des Hirns gegenüber
diversen Störungen einher. So haben zum Beispiel relativ kurze
Energieausfälle bereits drastische Folgen: Ein Ausfall der Sauerstoffversorgung von nur 10 Sekunden führt zu ersten funktionellen
Störungen. Bei längerem Ausfall treten Dauerschäden und schließlich der Tod ein.
Für den Fortschritt der Bio-Evolution, und nicht nur für den Menschen, war die Entstehung dieser neuralen Gesamt-Strukturen von
großer Bedeutung.
48
DAS NEURALE SYSTEM DES MENSCHEN
(insbesondere sein Hirn)
Aufbau und Funktionsweise
Die „Atome“ des neuralen Systems sind die elektrisch erregbaren
Neuronen, sie liegen allen Gehirn- und Nervenaktivitäten zugrunde.
Sie sind bei einem gesunden Menschen in einem „Dauerbetrieb“
und senden ungefähr 100 Impulse, in der Fachsprache „Feuerrate“
genannt, pro Sekunde aus.
Neuronen sind aufgebaut wie jede andere Zelle im Körper, sie unterscheiden sich jedoch durch ihre Fähigkeit empfangene Signale
zu modulieren (d.h. zu verarbeiten, zu verändern) und über eine
weitere Synapse weiterzuleiten.
Jeweils 70.000 Neuronen sind in sogenannten neocorticalen Säulen, wie der Name schon sagt, im Neocortex, gebündelt. Neocorticale Säulen sind funktionelle Cluster, zuständig z.B. für Motorik,
Hören, Sehen, usw. Der Mensch hat 2.5 Millionen solcher Säulen.
Darauf wird später bei der Besprechung der funktionellen „Moduln“ (nach Stephen Mithen)14 noch zurückgekommen. Im Neocortex liegt, wie man heute weiß, der Schlüssel zum Verständnis
der Gehirntätigkeit im Zusammenhang mit Bewusstsein und Intelligenz.
Feinstruktur und Eigenschaften
Durch die Verknüpfungen der Neuronen über Synapsen entsteht
im Hirn ein dichtes und sehr komplexes Netzwerk, in dem ein
dauernder Austausch von elektro-chemischen Signalen stattfindet.
Synapsen können bei Wiederholung der gleichen Impulse selbst
eine Veränderung, eine Konditionierung, erfahren, so dass sie, bei
Wiederholung des gleichen Signals, schneller reagieren können.
49
Dadurch beschleunigt sich auch der weitere Übertragungsprozess
im Hirn.
Auf diese Art werden übrigens Lernprozesse möglich und unterstützt.
Durch elektro-chemische, messbare Veränderungen an Synapsenübergängen können Informationen gespeichert werden. So
scheint das Gedächtnis zu funktionieren.
Die Synapsen (zwischen 1.000 bis 10.000 pro Neuron) sitzen auf
den Neuronen, die mit ihrer Hilfe auch neue Verbindungen eingehen können. Dadurch verändert sich das neurale Netz im Hirn
praktisch fortwährend.
Die beschriebene ständige Anpassung der neuronalen Netzwerke
im Gehirn, mit Aufbau, Modifikationen und Abbau der Verbindungen, ist die Grundlage der bereits erwähnten „Plastizität“ des Gehirns.15
Die Struktur der Neuronen ist übrigens bei allen Gewebetieren völlig gleich, einzig die Anzahl variiert zwischen den verschiedenen
Arten.
Das eigentliche Denken findet, zusammen mit Input vom Neocortex im Cortex statt. Christof Koch (Stanford) spricht in diesem Zusammenhang vom „Neuronalen Korrelat“, und Edelman vom „Dynamic Core“ (dem „Dynamischen Kerngefüge“).
Im Cortex werden Signale der Umwelt, Input von anderen Hirnregionen, u.a. dem Neocortex, sowie Gedächtnisinhalte gebündelt
und zu einem „Bild“, einem Eindruck, von der Umwelt verarbeitet.
Mit anderen Worten hier liegt der Schlüssel für die Entstehung von
Bewusstsein.
50
V. WIESO WISSEN WIR WAS WIR WISSEN ?
Nach heutiger Erkenntnis lässt sich das Hirn, wie bereits erwähnt,
sinnbildlich als „chaotischer, brodelnder Dschungel in dauernder
Veränderung“ beschreiben. Wieso können wir dann mit diesem
Instrument unsere Umwelt erkennen, beschreiben und klare Gedanken formen? Wieso können wir inmitten dieser Dauerveränderung bleibende Erinnerungen bewahren?
In diesem vermeintlichen Chaos muss es offensichtlich auch Stabilitäten geben?
Antworten auf diese Fragen ist die Wissenschaft in neuerer Zeit
näher gekommen, wie in diesem Kapitel gezeigt werden soll. Eine
wesentliche Rolle spielt dabei die Art und Weise wie eintreffende
Signale im neuralen Netz verarbeitet werden.
ÜBERTRAGUNG, CODIERUNG UND VERARBEITUNG IM
NEURALEN SYSTEM
Die „Neuronensprache“
Einen, teilweise auch bereits experimentell untermauerten, Ansatz
zur Erklärung des Prozesses der Signalverarbeitung, Überleitung
und Speicherung im neuralen System lieferten Mathias Bethge
und Klaus Pawelzk, vom Institut für theoretische Physik der Universität Bremen.16
Sie entdeckten, dass die informationsverarbeitenden- und die
Speicher-Aktivitäten in den Nervenzellen und im Hirn auf einer
elektrochemischen Kennzeichnung der eintreffenden und zu verarbeitenden Signale beruhen.
Physikalische Reize der Außenwelt (Schall, Berührung, Duftmoleküle und dergleichen) werden über viele, im ganzen Körper verteilte, Signalrezeptoren empfangen und in Nervensignale umgesetzt.
(Siehe zum Vorgang der Nervenleitung Kap. III). Diesen Überset51
zungsvorgang nennt man, in Anlehnung an vergleichbare Vorgänge in der Datenverarbeitung, Codierung.
Bei einer Zunahme der Zahl dieser Signale über einen bestimmten
Schwellwert wird ein Impuls ausgesendet, das betreffende Neuron
„feuert“. Eine Flut von solchen eintreffenden Signalen wird im Gehirn so zusammengefasst, dass daraus beispielsweise die Wahrnehmung eines betrachteten Gegenstandes in unserem Hirn sich
als rote Blüte darstellt.
Das geschieht mittels einer Abfolge von Codierungsschritten, die
z.B. an Hand der Frequenz der eintreffenden Signale und der Zahl
der Pulse per Zeiteinheit, erst einmal Aufschluss geben über die
Art des Senders. Nach einigen weiteren Codierungsschritten wird
das Signal so aufbereitet, dass eine Bewertungscodierung als
„bedeutsam“ oder „irrelevant“ eingestuft werden kann.
Mittels derart vorbereiteter Signale werden daraufhin die relevanten, sozusagen zuständigen, corticalen Neuronengruppen (z.B.
motorische, oder visuelle) aktiviert, die dann in der Folge ihrerseits entsprechende Aktionen, motorischer, oder neuronaler Art
veranlassen.
Eine etwas ausführlichere Darstellung dieses Prozesses findet sich
unter den „ERLÄUTERUNGEN ZUR SPRACHE DER NEURONEN“
im Anhang I.
Mit der Entdeckung der „Neuronensprache“, basierend auf Codierung und Puls-Rate, wurden die wesentlichen Basis-Elemente der
Informationsverarbeitung der Neuronen geklärt.
52
VI. WIESO WISSEN WIR, DASS WIR WISSEN
BEWUSSTSEIN
Evolution und Charakteristika
Bewusstsein verschafft den damit ausgestatteten Wesen ein „integriertes mentales Szenario der Gegenwart“ als Handlungsgrundlage (G.M. Edelman).13
Die Welt in der wir leben, ist ein evolutionäres System, in dem Reihen von Gesetzmäßigkeiten und Zufällen zur Entstehung von immer komplexeren Zuständen und Strukturen führt. Evolution, Aufbau und die Funktionsweise des menschlichen Gehirns ist ein
prominentes Beispiel dafür.
Bewusstsein ist das Produkt eines sehr komplexen Systems, das
an vielen Orten im Gehirn gleichzeitig Sinnenreize aufnimmt und
simultan verarbeitet. (Christof Koch) 17
Ch. Koch beschreibt in einem Vortrag 2015 Bewusstsein als „The
rise of Experience“, bzw das „Phänomen des inneren Erlebens,
Sehens, Hörens, Erinnerns, das sich entwickelnde Bündel an inneren, gespeicherten Erfahrungen“.18 Mit dieser Beschreibung wird
das Wesen von Bewusstsein als das Resultat von Abstimmung
zwischen Gegenwartserfahrung und Erinnerung gut umrissen.
Das bedeutet, dass Bewusstsein, zum Unterschied von reflexartigem Verhalten, einer bestimmten neuralen Ausstattung, mit der
Fähigkeit der Signalverarbeitung und Speicherkapazität bedarf,
wie sie corticale Systeme z.B. Insekten und Wirbeltiere besitzen.
Die Evolution des Bewusstseins verlief stufenweise gleichzeitig mit
der Evolution der Arten, wie im Schaubild unten dargestellt. Ein
Bewusstwerdungsprozess eines Lebewesens verläuft ebenfalls
53
über dieselben Kategorien. Auch wir Menschen, mit einem höheren Bewusstsein, haben noch immer tief drinnen ein Reptilienhirn.
Abb. Schema der Stufen der Bewusstseinsevolution
Protobewusstsein, Reflexe und Instinkt
Die Evolution hat fast alle (tierischen) Lebewesen mit Ur-Instinkten ausgestattet, die, in mehr oder weniger ausgeprägter Form
vom ersten Moment der Geburt an, der Lebenserhaltung und Vermehrung dienen. Sie bestimmen Flucht- und Verteidigungsreflexe,
so wie Nahrungssuche und die Fortpflanzung.
Der Organismus antwortet dabei unwillkürlich und rasch in gleichartiger Form mit einem Reflex. Reflexe werden neural vermittelt.
Diese Ebene wird hier als Protobewusstsein bezeichnet, sie manifestierte sich zum ersten Mal bei Eukaryoten, u.a. bei Geißeltier-
54
chen, wie zum Beispiel der in Kap. II beschriebene Agnella. Die
dazugehörigen Programme sind bereits als fix codierte Signalkategorien im Erbgut, d.h. in der DNA festgelegt. Das darauf begründete Verhalten bedarf daher keines Lernprozesses.
Auslösende Trigger-Signale (z.B. Temperatur, Licht und andere
physische Ereignisse) vermitteln dem Lebewesen unmittelbar eine
Information, die automatische Verhaltensweisen auslöst. Bei Sigmund Freud wird dies „Unreflektiertes Verhalten“ genannt. (In der
Literatur, weniger geglückt, auch als „Zombie“ -Verhalten bezeichnet.)
Protobewusstsein gehört zur Grundausstattung aller tierischen
Lebewesen und daher auch des Menschen.
So ist z.B. auch der erste Schrei eines Babys, d.h. die reflexartige
Arbeitsaufnahme der Lungen bei der Geburt, gleichzeitig die erste
Manifestation dieses lebensnotwendigen Automatismus.
Im Protobewusstsein vollzieht sich sozusagen die Weichenstellung zwischen Reflex, oder völlige, bzw. teilweise Weiterleitung
des Signals zur Verarbeitung in der nächsten Stufe, dem Basisbewusstsein.
Basisbewusstsein
Das reflexauslösende Signal, bzw. Teile davon, wie auch alle sonstigen Signale, können aber auch bei Tieren mit entsprechend entwickelter neuronaler Ausstattung zu spezifischen Neuronenbünd e l n , s o g . N e u ro n a l e G r u p p e n ( E d e l m a n ) b z w.
„Gedankenmuster“ (Koch) durchgeleitet werden und im Ultrakurzzeitgedächtnis durch Codierung eine erste Wahrnehmungs-Kategorisierung erfahren (siehe „Sprache der Neuronen“).
Es entsteht mit diesem Inhalt kurzfristig ein Basisbewusstsein mit
sozusagen „preprocessed“ Information, die bei entsprechender
neuraler Entwicklung weiterverwendet werden kann
55
Bei den Reptilien ist die evolutionäre Entwicklung über diese Stufe
nicht hinausgekommen.
Die über Jahrmillionen erfolgreichen Dinosaurier hatten im Vergleich zur Körpergröße minimale Hirne, wie z.B. ein typischer
„Sauropode“, der bei einer Körperlänge von 15 m ein Gehirn von 8
cm Durchmesser hatte. Seine Umwelt als Pflanzenfresser erforderte keine hastigen, überlegten Bewegungen. Gemessen an ihrem
relativ kleinen Hirn muss diese kognitive Beschränkung auch für
die karnivorischen Saurier gegolten haben, was zielgerichtetes Jagen schwierig machte. Es gibt Hinweise darauf, dass der größte
Raubsaurier, Tyrannosaurus Rex, im Gegensatz zu seiner Charakterisierung im Film „Jurassic Park“ ein träger Aasfresser gewesen
sein könnte. Es ist sowieso schwer vorstellbar, wie ein Tier von
ca. 7 t Lebendgewicht einen für erfolgreiches Jagen erforderlichen Sprint hinlegen könnte. Hier besteht offensichtlich noch Forschungsbedarf.
Primärbewusstsein (Low order Consciousness)
Veränderte Umwelt- und Lebensbedingungen durch neue klimatische Bedingungen, die Konfrontation mit neuen Siedlungsgegebenheiten und Konkurrenten prägten auch die weitere Evolution
des Bewusstseins. Zur Bewältigung der neuen Herausforderungen
war es nötig das Basisbewusstsein mit erweiterten Möglichkeiten
zu ergänzen. Vor allem wurde es wichtig, erhaltene Signale und
Informationen in mehrfacher Hinsicht nach Werte- bzw. qualitativen Kategorien zu beurteilen. Dazu müssen, im Kurz- und Langzeitgedächtnis gespeicherte Zusatzinformationen, wie Erfahrungen, Signale aus dem Protobewusstsein, Reihen von Assoziationen und dergleichen herangezogen, verglichen und bewertet werden.
Für diese Aufgabe zuständig ist das Limbische System über das
an anderer Stelle berichtet wird.
In Summe entsteht aus diesem Zusammenwirken ein sogenanntes
Primärbewusstsein (Low Order Consciousness). Schimpansen
sind typische Vertreter dieser Bewusstseinskategorie.
56
„Höheres Bewusstsein“ des Homo Sapiens (High Order Consciousness)
Es muss unbändige Neugierde gewesen sein, die Homo Sapiens
dazu brachte, sich auf immer herausfordernde Abenteuer einzulassen, wie das Vordringen in ungewohnte Siedlungsräume, Experimente mit der Nahrung (z.B. Fleischkonsum) zu beginnen, Herausforderung von neuen Konkurrenten zu begegnen, die eine Erweiterung der Hirnfunktionen notwendig machte. Die zunehmende
Komplexität der sich ergebenden Aufgaben verlangte auch eine
komplexere Signalaufnahme- und Verarbeitungsmöglichkeit. Dies
wurde erreicht durch die Entwicklung der Fähigkeit, bislang aufgabenspezifisch getrennte Hirnbereiche zu verkoppeln und integriert
einsetzen zu können. Nach St. Mithen wird diese Fähigkeit Cognitive Fluidität genannt.
Sie ist die Basis für das „Höhere Bewusstsein“ des Homo Sapiens.
Dieses neue Bewusstsein eröffnete für den Menschen ein breites
Gamma von neuen Chancen und Entwicklungen, unter anderem
auch die Fähigkeit symbolische und semantische Gedankenmuster und Sprachfähigkeit, sowie Selbstreflexion und Selbstbewusstsein zu entwickeln.
Durch die Möglichkeit in Sprachkategorien zu denken nimmt die
Kommunikationsfähigkeit sprunghaft zu.
Höheres Bewusstsein wird auch begleitet von reflektierenden, bewertenden, vergangenheits- und zukunftsbezogenen Gedanken,
die auf der Aktivität von großen Nervenzellen-Verbänden, sowie
deren kausalen Zusammenhängen, Verknüpfungen und Interaktionen beruhen. Dieses System erzeugt „phänomenale“ (wahrnehmbare, beschreibbare) Zustände.
Kurz zusammengefasst:
„Höheres Bewusstsein“ beschreibt den Zustand des Bewusstseins, dass „man sich bewusst ist, das man sich bewusst ist“.
57
Bewusstseinsentstehung
(beim Menschen)
Neuronen, die „Atome“ des Bewusstseins, bilden Im Lauf eines
Lebens kleine spezialisierte Neuronengruppen mit speziellen individuellen Inhalten. (z.B. Bild einer Persönlichkeit). Solche Gruppen
wurden in Tests experimentell nachgewiesen.18
Diese Neuronengruppen interagieren (dauernd) mit ihresgleichen,
aber auch mit anderen Inhalten. Dadurch kann sich der jeweilige
Bewusstseinszustand nach Bedarf verändern.
Signale
Aktuelle Szene
Sensoren
sofortiger Reflex
Limbisches System
Ultrakurzzeitgedächtnis
unbewusst
Sensorische Gedächtnis
visuell
auditiv
tactil etc.
0,01 - 1
Sek.
Von Szene aktuell
erregtes Neuronenbündel
Aufarbeitung
Erkennen der
Reizelemente
Wiedererkennen von
Mustern
Merkmalanalyse
Benennen
ReEntry
Erlebte Szene
Bewusstsein
Arbeitsspeicher
Kurzzeitgedächtnis
visuell
phonologisch
etc.
Aufarbeitung
Aufarbeitung
Modiizierende
Einübung
Wiederholende
Einübung
Echo von ähnlicher
Szene erregte
Neuronenbündel
20 - 45
Sek
Langzeitspeicher
Deklaratives Gedächtnis
sematisch
episodisch
assoziativ
Prozedurales Gedächtnis
Abb. der Prozess der Bewusstseinsentstehung
58
Minuten Jahre
Mit anderen Worten, das Bewusstsein beinhaltet jeweils ein fluktuierendes Bündel von Zusatzinformation (Man denkt z.B. an eine
Person und gleichzeitig an ihren Wohnort, gemeinsame Erlebnisse
u. dergl.)
Wird allerdings eine neue neuronale Verbindung längere Zeit nicht
genutzt, kann sie wieder abgebaut werden, das ist die Grundlage
des Vergessens. Wie man zeigen konnte, ist der Abbau jedoch
selten 100 prozentig. Ein verbliebener Rest erleichtert dann doch
noch die Abrufbarkeit einer früher gespeicherten Information. Man
kann sich dadurch z.B. an weiter zurückliegende Ereignisse erinnern, oder wie es heißt „die Erinnerung kommt zurück“.
Während einer alltäglichen Bewusstseins-Entstehung kann man,
grob vereinfacht, die folgenden Stufen unterscheiden:
1. Ein eintreffendes Signal kann einerseits Anlass geben zu einer
direkten, spontanen Reflexhandlung. Damit wäre die Sache erledigt.
2. Das Reizsignal kann aber auch zur Gänze, oder teilweise ins
Ultrakurzzeitgedächtnis weitergeleitet werden. Hier wird es einer
groben Kennzeichnung (Siehe „Sprache der Neuronen) unterzogen und ins eigentliche Kurzzeitgedächtnis, den Arbeitsspeicher, übergeleitet.
3. Daraufhin beginnt ein Bearbeitungsprozess, ein Pendeln zwischen dem Kurzzeit- und dem Langzeitgedächtnis mit einer Unzahl von Bearbeitungsschritten, Codierungen usw. Dieser Vorgang wird (nach Edelman) als „Reentry“-Prozess bezeichnet.
4. Je mehr sich Typus und Inhalt des Signals herauskristallisieren,
umso mehr wird es zur Information, die einer Bewertung, u.a.
auch mittels „Echos“, d.h. Abgleichungen mit gespeicherten
Informationen, auf Relevanz und Qualität unterzogen werden
kann. Diese Aufgabe erfüllt das bereits besprochene Limbische
System. Nach diesen, hier stark vereinfachten, Schritten, die im
Regelfall nur Sekunden dauern, eröffnet sich ein neuer Bewusstseinsinhalt, oder wird ein „verlorenes“ Bewusstsein wiedererweckt.
59
Von all den unzähligen Signalen und Reizen, die ein Individuum
empfängt, wird nur ein relativ kleiner Teil bewusst wahrgenommen.
Ein beträchtlicher Rest der unbewusst aufgenommenen Impulse
wird aber dennoch gespeichert und kann u.U. aus dem unbewussten Bereich später aufgerufen werden. Diese Inhalte fließen oft
auch in spätere Entscheidungsprozesse ein. Sie können dann Teil
der zahlreichen, unbewussten Einflüsse sein, denen menschliche
Entscheidungen unterworfen sind. Dabei baut sich jeder Mensch,
experimentell nachweisbar, seine eigenen, individuellen Schaltkreise zu persönlichen Gedankenmustern auf. Daraus ergibt sich
auch die Erkenntnis: „Gedankenmuster sind so einmalig wie
Fingerabdrücke“. Sie können sogar im Kernspintomographen
sichtbar gemacht werden. (Referat Christof Koch)18
Man kann übrigens, den oben beschriebenen Verlauf der Entstehung von Bewusstsein weiterführend, davon ausgehen, dass andere komplexe Systeme die über vergleichbare, funktionelle, verkoppelbare Elemente verfügen, ein Bewusstsein entwickelt können, wie das z.B. im Tierreich der Fall ist. Letztendlich gilt das aber
genauso gut für vergleichbare, zukünftig künstlich hergestellten,
Systeme, wie z.B. Roboter (Ref. Chr. Koch)18
60
VII. WIESO WISSEN WIR WAS WIR SCHON WISSEN?
INFORMATIONSSPEICHERUNG, GEDÄCHTNIS, ASSOZIATION
In Anbetracht ihrer Bedeutung für die Entstehung von Bewusstsein, soll die Gedächtnisfunktion näher betrachtet werden:
Im Gegensatz zu den Zentren für Sprache, Motorik oder dem Sehen, gibt es kein ausgesprochenes abgegrenztes Zentrum für Gedächtnis. Die Gedächtnisfunktion ist über das ganze Gehirn verteilt. Sehr wohl spielen aber bestimmte Hirnregionen eine dominantere Rolle bei der Bündelung, Verknüpfung und während der
Verarbeitung von Gedächtnisinhalten. So befinden sich z.B. das
Arbeitsgedächtnis (Ultrakurzzeit- und Kurzzeitgedächtnis) im präfrontalen Cortex, dem Vorderhirn, und das Langzeitgedächtnis im
Cortex (der Gehirnrinde) und dem Hippocampus, der auch als „Tor
zum Gedächtnis“ bezeichnet wird. Langzeit-Informationsspeicherung findet offenbar bevorzugt im Cortex statt (Siehe Abb. Hirn).
Die codierte Information selbst wird zur Speicherung als eine kurz-, oder längerfristige - Veränderung im neuralen Netzwerk
festgelegt, und zwar an Dendriten der Synapsen einzelner, oder
mehrerer Neuronen.
Die stets mögliche, veränderbare Festlegung, die jeweils ergibt,
welche Neuronen und Netze, über welche Synapsen miteinander
kommunizieren, wird, wie bereits erwähnt, als „Plastizität“ des Gehirns bezeichnet. Obwohl auch bei Tieren vorkommend, ist diese
Fähigkeit vor allem beim Homo Sapiens sehr ausgeprägt und bildet die Grundlage für besondere Flexibilität, Anpassungsvermögen und Lernfähigkeit.
61
Das Kurzzeitgedächtnis (der Arbeitsspeicher)
betreibt aktives Informationsmanagement und verarbeitet auch
Wahrnehmungen unter Einschaltung von Informationen aus dem
Langzeitgedächtnis, wie z.B. Erinnerungen, Erfahrungen, Abgleichungen, sowie auch Bewertungen unter Einschaltung des Limbischen Systems.
Der Output besteht aus Handlungsentscheidungen, Informationen
zur Speicherung im Langzeitgedächtnis, sowie motorische Signale
zur Ausführung von Tätigkeiten und dergl.
Die Verweilzeit der Information im Arbeitsspeicher ist kurz und beträgt beim Menschen im Allgemeinen, je nach Aufgabe und geistiger Fitness, um die 15 Sekunden. Die kurzen Reaktionszeiten zwischen Wahrnehmung und Handlung waren und sind, aus der Sicht
der Evolution gesehen, wesentliche Voraussetzungen für das
Überleben, wie z.B. für die Reaktionszeit bei Gefahr, nicht nur bei
Säugern, sondern auch verbreitet im Tierreich, wie jeder bezeugen
kann, der versucht eine Fliege zu erschlagen.
Langzeitgedächtnis und seine Funktionen
Bei der Behandlung der Funktionsweise des Gehirns kamen die
heute gängigen Auffassungen über die physiologischen Grundlagen der Gedächtnisbildung und die Rolle der Dendriten dabei, zur
Sprache.
In diesem Kapitel werden die „Funktionsbereichen“ von Gedächtnis beschrieben.
Gedächtnis erstreckt sich über verschiedene Funktions-Gruppen.
Bei deren Beschreibung wollen wir versuchen gleichzeitig auch
einen Eindruck zu vermitteln, wie die Gedächtnisentwicklung in
Zusammenhang mit der Evolution des Bewusstseins einhergegangen sein könnte.20
62
Wiedererkennen und Erinnern
Dieses Gedächtnis ist im Alltag von „lebensnotwendiger“ Bedeutung und stellt die einfachste Leistung des Langzeitgedächtnisses
dar. Es ist bereits im Säuglingsalter weitgehend entwickelt (z.B.
Erkennung der Mutter, der Nahrung, der Umgebung etc.,) und erhält sich beim gesunden Menschen bis ins hohe Alter. Es ist für
die Funktionstüchtigkeit des Individuums in der Umwelt und in
der Gruppe entscheidend und hat sich daher sicherlich sehr früh
im Lauf der Evolution bei Mensch und Tier entwickelt.
Episodisches Gedächtnis
Im episodischen Gedächtnis werden zeitlich datierte, lokalisierte
und persönliche Erfahrungen gespeichert. In der Evolution wird es
sich wahrscheinlich verstärkt entwickelt und ausgeprägt haben,
sobald sich Menschen in kompliziertere, neue Umgebungen z.B.
zur Jagd, oder zu Raubzügen begaben.
Semantisches Gedächtnis
Im semantischen Gedächtnis werden Informationen klassifiziert
und nach Bedeutungs-zusammenhängen, und auch nach phonetischen Merkmalen gruppiert. Es hat sich wahrscheinlich in der Evolution erst rudimentär (ev. für akustische Signalisierung) entwickelt,
jedenfalls verstärkt im Verlauf der Erlangung der Sprachfähigkeit.
Im semantischen Gedächtnis wird im späteren Leben das schulische und berufliche Wissen gespeichert.
Assoziatives Gedächtnis
Darin werden ursprünglich getrennte Gedächtnisinhalte miteinander verknüpft. Die Verknüpfungen können stark von Erfahrungsbewertungen, gespeichert im „Limbischen System“, beeinflusst
sein. Zum Beispiel die Assoziierung einer Speise mit schlechten
63
Erfahrungen, oder die Resultate gewonnen aus den Experimenten
von Pawlow (Assoziation eines bestimmten Glockenklangs mit
Angebot Futter).
Verständlicherweise spielt die Herstellung von assoziativen Verknüpfungen eine wichtige Rolle bei Lernprozessen.
Solche assoziativen Verknüpfungen können auch festgelegt und
auch auf Basis von Traditionen weitergegeben werden, sie liegen
z.B. dem Rassismus zugrunde. Dabei finden unter Umständen
auch epigenetische Markierungen statt, die letztlich auch vererbbar sein können
In der täglichen Praxis kommt es, abhängig von der Art der gestellten Aufgabe, auf Grund der, dem Menschen eigenen, Cognitiven Fluidität, zu verschiedentlich ausgeprägten Überlappungen
und Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Gedächtniskategorien, wie z.B. semantische mit begrifflichen, oder mit episodischen Erfahrungen.
Ungewöhnliche, von der Norm abweichende assoziative Zugriffe
und Verknüpfungen von Inhalten verschiedener Gedächtniskategorien liegen der kreativen und künstlerischen Tätigkeit zugrunde.
Ein typisches Kennzeichen des Gedächtnisses ist die Verbindung
zwischen Fixierung und Flexibilität. Gespeicherte Informationen
bleiben nicht immer unverändert, sondern verändern ihre Struktur
durch Ergänzungen, Anpassungen an neue Verhältnisse, oder Vereinfachungen.
Andererseits können jahrelang gespeicherte Informationen auch
unverändert u.U. ein Leben lang, erhalten und abgerufen werden.
Wie man neuerdings weiß, sorgt im gegebenen Fall für diese
Langzeitsicherung ein Protein, NogoA, das nur im Hippocampus
und im Rückenmark vorkommt. Das sind die Bereiche, wo sich
der Übergang von Kurzzeit- zum Langzeitgedächtnis vollzieht.
Dieses Protein blockiert dann die Möglichkeit zu weiterer Veränderungen von Nervenzellen und ihren Dendriten, wodurch dauerhafte
64
Strukturen erhalten und gespeicherte Inhalte lebenslang geschützt
bleiben können.21
Bewusste und unbewusste Aufmerksamkeit
Christof Koch, (Californian Institute of Technology) beschreibt Bewusstsein und Aufmerksamkeit, als zwei deutlich voneinander zu
unterscheidende Phänomene.
Sinnvoller scheint jedoch von bewusster und unbewusster Aufmerksamkeit zu sprechen.
Beide sind für das Überleben besonders wichtig. In beiden geht es
um Datenreduktion, nämlich eine Auswahl zu treffen, aus einer
großen Datenmenge, allerdings auf unterschiedliche Art.
Bei der bewussten Aufmerksamkeit liegt ein Auswahlkriterium a
priori fest, wie z.B. Konzentration auf eine bestimmte Nahrung, auf
eine Farbe, auf eine Stimme. Man könnte auch von einer bewusst
gesteuerten Aufmerksamkeit sprechen.
Bewusste Aufmerksamkeit hält die Sinne auch für Unvorhergesehenes offen und unterstützt dadurch die Flexibilität und Reaktionsfähigkeit.
Dem gegenüber steht die unbewusste Aufmerksamkeit. Sie ermöglicht z.B. die mehr oder minder automatische Ausübung eingelernter Fähigkeiten (Klavierspielen, Autofahren) Diese können
aber, interessanterweise, wenn sie in den Bewusstseinsstatus gehoben werden (z.B. „man denkt daran“), unter Umständen sogar
beeinträchtigt werden. (Man trifft plötzlich die Taste am Klavier
nicht, man verschaltet sich beim Autofahren.)
Die betreffende Fertigkeit ist eine im Langzeitgedächtnis einprogrammierte Subroutine, die plötzlich in den Status der bewussten
Aufmerksamkeit gehoben wurde.
Unbewusste Aufmerksamkeit hilft die Menge von Suchläufen und
Verarbeitungsschritte zu reduzieren und schöpft Bewährtes aus
dem Langzeitspeicher.
65
Dem könnte man noch eine dritte Form hinzufügen, die „Spontane Aufmerksamkeit“ (von C. Koch gar nicht erwähnt!)
In diesem Fall liegen von Vorhinein keine Suchkriterien fest. Sie
werden erst nach Eintreffen des Signals im Prozess des „Reentry“
während des Informations-Abgleichs entwickelt und angewendet.
Sollten sie sich für das Lebewesen als bedeutsam erweisen, können sie als Suchkriterien für die Zukunft in den Langzeitspeicher
aufgenommen werden.
66
VIII. WIE IST BEWUSSTSEIN GEWORDEN?
DIE ROLLE DER EVOLUTION
Es entspricht im Allgemeinen dem Prinzip der Evolution, von einer
Vielzahl von Möglichkeiten, letztendlich die lebenstauglichste hervorzubringen.
Im Fall der neuralen Netze bedeutet dies, auf einen Reiz mit möglichst geringem, der aktuellen Situation angepassten Aufwand zu
reagieren. Hirn und Nervensystem liefern dafür gute Beweise.
Die Effizienz und die Qualität der Informations-Verarbeitung und Übertragung sind dabei entscheidend.
Vom Signal-Rezeptor über den Cortex bis z.B. einer Muskelaktivierung, durchläuft das Signal eine Vielzahl von neuronalen Netzen
und Verarbeitungsstufen. Dieser Vorgang muss schnell und möglichst störungsfrei verlaufen. Gleichzeitig muss die Information, wie
oben beschrieben, „gesiebt“ und auf das Wesentliche reduziert
werden, um eine sinnvolle Entscheidung zu ermöglichen
Die Evolution hat diese Qualitäts- und Effizienz- Kriterien auf bewundernswerte Art verwirklicht.
Beim Homo Sapiens kamen dazu noch die Anforderungen, die
sich aus seinem Streben ergeben, eine Vielfalt von Aufgabenstellungen, reichend von rein operativen (Alltags-) Aufgaben bis zu
planerischen, wie kulturellen Tätigkeiten anzugehen und Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln, zu erlernen und umzusetzen.
Homo Sapiens ist auf Grund seines weit entwickelten biologischen
Informationssystems unter allen Tierarten der herausragende Universalist.
67
EINBLICKE IN DIE EVOLUTION DES BEWUSSTSEINS
Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln primär die neurologischen Grundlagen von Bewusstsein und Gedächtnis behandelt
wurden, soll in der Folge die physiologischen und anthropologischen Rahmenbedingungen, Ursachen und Effekte behandelt
werden, die die Evolution von Bewusstsein und Intelligenz ermöglichten und begleiteten. Dazu gehört die Zunahme der Gehirngröße, die Erweiterung der Hirnfunktionen und - Kapazität. Dadurch
erhielt der Mensch die Fähigkeit zur Sozialisierung und zur Erweiterung seines Lebensraums.
DIE ARCHÄOLOGISCHEN BEFUNDE ZUR GEHIRNENTWICKLUNG
Schlüsse auf die Entwicklung des menschlichen Gehirns und die
daran verbundene Evolution des Bewusstseins, können Archäologen ableiten aus der Vermessung und Analyse der Struktur von
Schädelfunden aus verschiedenen Epochen der menschlichen
Vergangenheit.
Dies erlaubt den konkreten Forschungsbereich über die Zeit der
Entstehung menschlicher Artefakte, wie Bauten, Schriften, Kunstwerke etc., vor zu verlegen in die Urgeschichte bis zum Beginn der
Menschwerdung, mit dem „Common Ancestor“.
Die Einbeziehung der Archäologie danken wir Stephen Mithen.14
Von ihm stammen auch maßgebliche Beiträge zum Thema.
Der Startpunkt für die Vorgeschichte des menschlichen Bewusstseins liegt nicht weniger als 6 Millionen Jahre zurück. Damals lebte
der „common ancestor“, der gemeinsame Vorfahre des Schimpansen und des Menschen.
68
Abb.: Vom Common Ancestor zum Homo Sapiens
BWD Commons Wikimedia
Vor ca. 5 Millionen Jahren, erfolgte dann die Trennung der Entwicklung von Affen und Menschen (Siehe Zeittafel zu Beginn)
Gehirnvolumen
Aussagen zur Entwicklung des Gehirnvolumens in Zusammenhang mit Befunden zur Struktur fossiler Schädelinnenseiten aus
verschiedenen Epochen geben Auskunft über Anwesenheit und
Grad der Ausbildung bestimmter funktioneller Hirnteile, wie z.B.
Schläfen-, Stirn-, Scheitel-Lappen. Dadurch gewinnt man genauere Einsichten in die Entwicklung der Leistungsfähigkeit des
Hirns.
69
Dabei zeigt sich, dass Australopithecus, der Vormensch vor 2 - 5
Millionen Jahren, als die Trennung Homo - Schimpanse bereits
stattgefunden hatte, trotz einer, den Affen ähnlichen Hirngröße von
450 m3, funktionell bereits besser ausgestattet war, als diese.
Erst nach einer weiteren Millionen Jahre, bei „Homo Rudolfensis“,
hatte die Hirngröße auf 800 cm3 zugenommen und war damit bereits doppelt so groß, wie die der Schimpansen. Im Lauf der folgenden Entwicklung erfolgte eine kräftige Zunahme der Gehirngröße und erreichte beim Homo Erectus vor 1.8 Mill. Jahren 1.000
cm3.
Die weitere Zunahme auf die heutige Größe von 1.300 cm3 vollzog
sich innerhalb relativ kurzer Zeit.
70
Gehirnfunktionen
Wozu diente der ganze Aufwand, wofür ist das gut? Immerhin, die
Evolution erzeugt im Allgemeinen keine dauerhaften, sinnlosen
Ergebnisse?
Vor 2.5 Millionen Jahren wurde der Vormensch, (der Australopitecus) mit dem Beginn einer Eiszeit und den dadurch verursachten
wechselhaften Klimaänderungen konfrontiert. Überleben konnte
nur wer sich an die neuen Umweltbedingungen, vor allem das geänderte, bzw. verminderte Nahrungsangebot anpassen konnte.
Damit zusammenhängend mussten soziales Leben, Konfliktlösung-Vermögen, und viele andere Parameter wiederholt neu erfunden und geordnet werden.
Australopithecus begegnete dieser Herausforderung durch Entwicklung eines kräftigeren, robusteren Gebisses zur Erhöhung von
Menge und Effizienz bei der Aufnahme pflanzlicher Nahrung. So
konnte er innerhalb der angestammten Siedlungsgebiete bleiben,
seine Kreativität wurde nicht auf die Probe gestellt.
Homo hingegen erschloss sich neue, zusätzliche Nahrungsquellen und wurde zum Allesfresser und da vor allem durch Fleischkonsum.
Dies hatte weitreichende Folgen für die weitere Entwicklung der
Gattung Homo.Vor allem erlaubte das erhöhte Angebot an Proteinen aus Fleisch einen Entwicklungsschub in der bis dahin stagnierenden Entwicklung des Hirns. Fleisch ist eine echte „Hirnnahrung“.
In diesem Zeitraum könnte sich beim Menschen wahrscheinlich
die sogenannte problemspezifische Intelligenz, entwickelt haben, d.h. die Verknüpfung von Wissen über die Umwelt, die sog.
„Naturgeschichtliche Intelligenz“ mit der „Technischen Intelligenz“,
z.B. Herstellung von Werkzeugen und Gebrauchsgegenständen.
71
Die Nahrungsbeschaffung durch Jagen erfordert die Fähigkeit zu
planen, zu denken, sowie auch verfeinertes Gedächtnis und vor
allem verbesserte (sprachliche) Kommunikation.
Die daraus entstehenden geistigen Anforderungen verlangten in
zunehmendem Maß die simultane, flexible Verknüpfung fast aller
Hirnbereiche. Daraus entwickelte sich die für Homo Sapiens spezifische Eigenschaft, die im Beitrag schon wiederholt erwähnte
„Cognitive Fluidität“ und das für den Menschen spezifische Höhere Bewusstsein (Higher Order Consciousness), unterstützt durch
die „Plastizität“ des Gehirns.
Dies ist der Grund, warum sich im menschlichen Hirn in der Folge
die Schläfen- und Frontallappen überproportional entwickelten,
wie die Schädelfunde ab dieser Periode belegen.
Es waren also ökologische und soziale Faktoren und ihre koevolutionären Beziehungen, die eine Erweiterung der Hirnfunktionen
beim Menschen erforderten und ermöglichten.
Neue Siedlungsräume konnten erschlossen werden, die Sexualität
konnte sich von der Beschränkung auf Brunftperioden befreien,
das Bevölkerungswachstum nahm zu, die mentale Flexibilität führte auch zu technischer Innovation.
Ein schönes Beispiel für Letzteres ist die, durch Fossilienfunde belegte, Erfindung des Wurfspeers, womit die Effizienz der kraft- und
zeitraubenden Jagd beträchtlich erhöht werden konnte.
72
William Calvin, (2001) 22 weist darauf hin, dass diese Jagdmethode
ausgeprägte Fähigkeiten für Strategien, Berechnen und Bewegungskoordination erfordert, Kapazitäten die vor allem in Stirnund Schläfenlappen angesiedelt sind und ihre Weiterentwicklung
förderten.
In der Zeit zwischen 1.0 und 0.4 Millionen Jahren wurde im Zusammenhang mit der Fähigkeit der Zähmung des Feuers das Kochen erfunden. Daher konnte durch die dadurch mögliche „Auslagerung“ eines Teils der Aufschließung der Nahrung, die freiwerdende Energie anderweitig eingesetzt und obendrein ein beträchtlicher Teil des Pflanzenfresser-Darms eingekürzt werden.
Ungefähr in diesem Zeitraum war, wie die Schädelfunde belegen,
die anatomische Hirnentwicklung der Gattung Homo eigentlich
weitgehend abgeschlossen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte aber die funktionelle, kognitive, emotionale und kulturelle Evolution des Menschen, getrieben von der
Evolution der Meme bereits wesentlich zur weiteren funktionellen Hirnentwicklung beigetragen und tut dies in unvermindertem
Maß auch heute.
73
Der Großwildjäger Homo Neandertalis, hatte bereits ein Hirn in der
Größe des Homo Sapiens. Er war ein sehr guter, erfolgreicher Jäger und Planer und herrschte 100.000 Jahre lang in Europa und
Kleinasien vor.
Um 40.000 v.Chr. trat ein tiefgreifender Wandel ein, ausgelöst
durch die Einwanderung des Homo Sapiens, der aus Ostafrika
kommend sich sukzessive über Kleinasien und Europa und später
über die ganze Erde ausbreitete.
Ausbreitung des modernen Menschen (Homo sapiens) über die
Welt. Die Zahlen geben den Zeitraum der Ausbreitung an, die Zahlen bedeuten Jahre vor unserer Zeit. (Die Karte stellt die heutige
Verteilung der Landmassen und der Meere dar; zur Zeit der Wanderungen war diese anders, so bestand eine Landbrücke zwischen Sibirien und Alaska.) Die Karte basiert auf Daten von Spencer Wells. (The Journey of Man, Princeton 2006)
Der Neandertaler verschwand ohne Hinterlassung anderer Spuren
als, offensichtlich durch Einkreuzungen entstandene Reste im Genom des Homo Sapiens, sowie Fossilien, Siedlungsspuren, wie
Feuerstellen und Faustkeile. Bemerkenswert ist, dass sich dieser
Übergang relativ kurz und unabhängig gleichzeitig in Europa und
Asien vollzog, wie sich archäologisch belegen lässt.
74
Die Gründe für das Aussterben der Neandertaler sind noch unklar.
Der Zeitpunkt fällt jedenfalls zusammen mit der Einwanderung des
Homo Sapiens in Europa.
Auf dieser Wanderschaft, die insgesamt ca. 100.000 bis 50.000
Jahre gedauert haben könnte, traf Homo Sapiens auf für ihn neue,
stark abweichende Umweltbedingungen, die ihn zwangen entsprechend angepasste, neue zerebrale Fähigkeiten, mittels der
Cognitiven Fluidität zu entwickeln. D.h. Homo Sapiens musste, um
sich behaupten zu können, innovativ denken lernen. Dem hatte
der „konservative“ Neandertaler offenbar nichts entgegen zu setzen.
Zu diesem Thema könnte die Paläontologie noch Hinweise liefern.
Der Vergleich von Neandertaler Schädelinnenseiten mit denen von
Homo Sapiens, berechtigen zur Vermutung, dass die kognitiven
Fähigkeiten des Neandertalers im Vergleich zu Homo Sapiens weniger entwickelt waren,23 was einen ernsten Konkurrenznachteil
bedeutet hätte. Außerdem ist noch nicht geklärt, ob die Neandertaler über ausgeprägte, differenzierende Sprachfähigkeiten verfügten.
Der Homo Sapiens tritt von da ab die Vorherrschaft an. Es erscheinen Zeugnisse verfeinerter Fertigkeiten, wie filigran gearbeitete, geschnitzte und gebohrte Artefakte, aus verschiedenen neuen Materialien, wie Schmuckstücke aus Elfenbein, bearbeitete
Knochen, Kleinskulpturen. und aufwendige Höhlenmalereien. Der
Mensch war somit auch Künstler geworden.
Manche Archäologen bezeichnen diese Periode in der der Mensch
ganz plötzlich begann, sich künstlerisch zu betätigen, als einen
„kreativen Big Bang“.
Was diesen Sprung menschlicher Entwicklung ausgelöst hat ist
bis jetzt noch nicht eindeutig geklärt. Er ist jedenfalls nicht an irgendeiner, archäologisch belegbaren, plötzlichen Änderung der
Gehirnstruktur abzulesen.
75
Welche Veränderungen physiologischer Art damals auftraten und
wie sich neurale Netzstrukturen eventuell änderten, ist uns naturgemäß unbekannt.
Die erstaunliche Gleichzeitigkeit dieser Entwicklung, unabhängig
über verschiedene Erdteile hinweg, bleibt vorläufig ebenfalls rätselhaft.
Unbestritten ist, dass damit der Homo Sapiens mit einem erweiterten Bewusstsein das Reich von Abstraktion, Symbolik und anspruchsvoller kreativer, innovativer Tätigkeit betreten hat.
In der Abbildung aus „Stammbaum des Menschen, Hirnentwicklung und Leistungen“ aus Wikipedia, wird diese Entwicklung noch
einmal zusammengefasst.
76
IX. DIE BAUELEMENTE DES BEWUSSTSEINS
DIE EVOLUTION FUNKTIONELLER BEREICHE (MODULE) IM
HIRN
Die mit der Entwicklung des menschlichen Hirns einhergehende
Kapazitätszunahme von Intelligenz und Bewusstsein hat Stephen
Mithen (The Prehistory of the Mind“ 1996)22 mit dem schrittweisen
Erscheinen von, wie er es nennt, „Modulen“ zu beschreiben versucht.
Diese „Module“ sind nicht streng abgegrenzte Domänen im Hirn,
sondern vernetzte neuronale Cluster, die, wie bereits beschrieben,
bestimmte zusammenhängende Gedächtnisbereiche (auch „Programme“ genannt) abdecken.
Folgende Module und ihr Erscheinen im Lauf der Evolution sollen
hier erwähnt werden:
das Sozialen Intelligenz Modul
das Problemspezifischen Modul
das Modul der kognitiven Fluidität
Der Vormensch und das „Soziale Intelligenz Modul“
Vor 56 Millionen Jahren lebten frühe Primaten, auch Halbaffen genannt, die Vorfahren, unter anderen, der heutigen Lemuren. Aus
der
Beobachtung des sozialen Verhaltens heutiger Halbaffen
schließt man auf das Auftreten erster „Sozialer Intelligenz“ bei
ihren stammesgeschichtlich fernen Vorfahren.
Demnach entwickelten diese ein, wiewohl nur beschränkt vergleichbar, den Schimpansen verwandtes, und ähnliches Sozialverhalten, das sich in der Folge in Richtung zum „Common Ancestor,
77
dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Schimpanse und
Mensch weiter ausdifferenzierte.
Als Ergebnis der, im weiteren Verlauf der Evolution erfolgten
Trennung sind vor 5 Mill. Jahren, wie im vorigen Kapitel beschrieben die „Australopithecen“, und nach 2.5 Mill. Jahren die
Gattung „Homo“, entstanden. Beide müssen vorerst noch sehr
ähnliche Wesenszüge gehabt haben. Neben einem doch ziemlich
intelligenten Sozialverhalten vermutet man – ebenfalls im Sinn des
Analogieschlusses vom Schimpansen auf die „Vormenschen“(laut Mithen) eine verhältnismäßig primitive und inflexible Verwendung (nicht so sehr Herstellung) von Werkzeugen, sowie das Aufkommen gemeinsamer Nahrungsbeschaffung (Forage).
Die Soziale Intelligenz war überlebenswichtig für die Gruppe. Sie
förderte den Zusammenhalt und damit die Sicherheit, ganz besonders dann, sobald sich die Gruppe in unbekanntes, neues Terrain vorwagte.
Auf dem Gebiet des Werkzeuggebrauchs und der „Abenteuerlust“
hatten sich durch das Angehen neuer Herausforderungen die Unterschiede zwischen Vormensch und Schimpansen verstärkt.
Die „Mental Maps“ der Vormenschen, d.h. das Bewusstsein von
der Welt, in der sie lebten, war, so lässt sich ebenfalls im Analogieschluss vermuten, noch beschränkt.
Der frühe Mensch (Homo Erectus) und die „Problemspezifische Intelligenz“ (Domain specific Modules, nach Mithen)
Ungefähr 2 Millionen Jahre nachdem sich das „Programm“ für Soziale Intelligenz etabliert hatte, entstanden sogenannte „Problemspezifischen Intelligenz-Programme„ oder, wie Mithen sie nennt
„Domain-specific Mental Modules.“
78
Mithen nennt die folgenden zwei Bereiche dieses Moduls:
Naturgeschichtliche Intelligenz:
Dies umfasst das Wissen und Erfahrungen über Natur- und Umweltphänomene, wie Tiere, Pflanzen, Topographie, Wasser und
Nahrung, Wetter, verschiedene Zyklen und dergleichen.
Technische Intelligenz:
Sie enthält Wissen und Erfahrung in der Verwendung und Herstellung einfachster Werkzeuge, Jagd- und Kampfwaffen (Speere, Bogen, Keile)
Mit dem Erwerb der problemspezifischen Intelligenz hat der
Mensch einen entscheidenden Schritt, weg vom tierischen Verhalten gesetzt.
Es entstand eine Wechselwirkung zwischen den Resultaten der
zunehmenden Intelligenz-Leistungen und der Entwicklung des
Gehirns.
Mithen weist, was die Vergrößerung und Leistungsfähigkeit des
Gehirns betrifft, auf eine Zeit der Stagnation von 3,5 – 2,5 Millionen Jahren hin. Dies wird dem geringen Eiweißgehalt der pflanzlichen Nahrung zugeschrieben, als auch dem schwierigen körperlichen Energieaustausch in den heißen Savannen. Diese beiden
Handicaps hatte sich der Pflanzenfresser aus dem Wald beim Vordringen in die Savannen eingehandelt.
Gelöst wurde das Problem durch Fleischkonsum und durch die
Entwicklung des Bipedalismus.
Der aufrechten Gang reduzierte die Absorptionsflächen für einfallendes Sonnenlicht. (N.B: Diese Theorie, so schön sie klingt, ist
neuerdings nicht ganz unumstritten.)
Überdies erhöhte der aufrechte Gang die Mobilität und Reichweite
bei der Futtersuche. Die Hände wurden frei und konnten für die
mannigfachsten Tätigkeiten eingesetzt werden, wie die Herstellung von Geräten, von Waffen, Bekleidung, zur Ernte usw. und
nicht zuletzt zum Jagen.
79
Lebte der Mensch vorher als Aasfresser von dem, was flinkere
Räuber übrigließen, konnte jetzt durch Konsum von erjagtem frischem Fleisch der Eiweißmangel behoben und die weitere Entwicklung des Gehirns wieder angekurbelt werden
Darüber hinaus verfügte der Zweibeiner über verbesserte Beobachtungs- und Flucht-Möglichkeiten, wodurch sich seine Überlebenschancen beträchtlich erhöhten.
Der Weg zum modernen Menschen:
Das Modul der „Kognitiven Fluidität“
Während der folgenden 1 Million Jahre erweiterte sich das menschliche Bewusstsein schrittweise durch die Ausbildung der bereits früher erwähnten Kognitiven Fluidität (Cognitive Fluidity).
Mithen sagt dazu:
“The first step towards cognitive fluidity appears to have been an
integration between social and natural history intelligence that is
apparent from the Early Modern Humans of the Near East, 100,000
years ago. This is before Modem Humans dispersed into Asia and
Europe, where they either replaced or interbred with existing Early
Human populations. The final step to a full cognitive fluidity occurred at slightly different times in different populations between
60,000 and 30,000 years ago. This involved an integration of technical intelligence, and led to the changes in behavior that we refer
to as the Middle/Upper Paleolithic transition. In other words; it
created a cultural explosion: the appearance of the modem mind.”
Homo hatte also die Fähigkeit erlangt, die einzelnen problemspezifischen und anderen Module flexibel zu verkoppeln und zu integrieren. Die Umwelt konnte dadurch in einem erweiterten Rahmen
gesehen und erfahren werden. Entscheidungen konnten ab nun
innerhalb eines größeren Ganzen getroffen werden. Das Abwägen
von Alternativen wurde möglich.
80
Dies alles erlaubte eine noch weitere Zunahme der Flexibilität und
damit ein verbessertes Anpassungsvermögen an neue Situationen
wie Klimaschwankungen, Umweltbedingungen in neuen Habitats,
aktive Gestaltung seines Lebensraums und dergleichen mehr.
Man muss bedenken, dass der Mensch zusammen mit der erwähnten einschneidenden Abkühlungsperiode vor 2.5 Mill Jahren
innerhalb seiner frühen Evolutionsphase nicht weniger als acht
drastische Klimaschwankungen überleben musste, Eiszeiten mit
damit einhergehenden schwerwiegenden Veränderungen von Flora und Fauna.
Abb. Klimaschwankungen, W. Beringer 24
Um es nochmals zu betonen: Der Erwerb der Kognitiven Fluidität
war ein ganz wichtiger Meilenstein in der beschleunigten Evolution
des menschlichen Bewusstseins und für die Erhöhungen der Intelligenzleistungen.
Ausgestattet mit dem erworbenen Bewusstsein und universalem Denkvermögen konnte sich Homo Sapiens daran machen schrittweise, im wahrsten Sinn „die Welt zu erobern“,
wie im folgenden Abschnitt beschrieben wird.
81
82
X. UND WAS IST DARAUS GEWORDEN
DIE ERWEITERUNG DES LEBENSRAUMS
Zähmung des Feuers
Die Zähmung von Wildfeuern (entstanden beispielsweise aus
Blitzschlägen oder Erdbränden) und später die Erlangung der
Kunstfertigkeit, Feuer zu entfachen, waren wichtige Schritte der
menschlichen Entwicklung.
Die Verwertung der fleischlichen Nahrung wurde nun durch Garen
optimiert. Erhitzen erleichterte den enzymatischen Aufschluss der
Nahrung und entlastete damit den Verdauungstrakt.
Der Gesamt-Energiebedarf wurde dadurch gesenkt. Außerdem
konnte Nahrung durch Räuchern länger haltbar gemacht werden.
Feuer bot zugleich Wärme, Licht und Schutz vor Raubtieren und
Insekten und konnte gegebenenfalls bei der Treibjagd auf flüchtiges Wild eingesetzt werden.
Sehr frühe archäologische Belege der Feuernutzung durch Australopithecinen (vor 4 - 1,5 Millionen Jahren) ebenso wie durch Homo
habilis (vor 2,5 - 2 Millionen Jahren) sind bis heute umstritten.
Spuren von Feuerstellen entstehen durch den höheren Grad der
Erhitzung des darunterliegenden Sediments, als bei einem natürlichen Grasbrand. Die erste archäologisch gesicherte Feuerstelle,
die mit Homo erectus in Verbindung gebracht wird, ist etwa
790.000 Jahre alt.
Die Beherrschung des Feuers spielte in mehrfacher Hinsicht eine
wichtige Rolle bei der Erschließung neuer Lebensräume und
Jagdgründe in relativ unwirtlichen und klimatisch weniger geeigneten Gebieten. Die Verwendung der Felle der erlegten Tiere für Bekleidung kam dem zustatten.
Der Bedarf an Werkzeugen und Geräten für die Jagd, für die Fallenstellerei und zur Aufbereitung der Nahrung führte auch zur Er83
findung und Verwendung einer Vielzahl von unterstützenden Artefakten. Es entstand damit ein wichtiger Antriebsfaktor für die beschleunigte Entwicklung der menschlichen technischen Intelligenz und Innovations-fähigkeit.
DIE ERWEITERUNG DER KOMMUNIKATIONSFÄHIGKEIT
Sprache und „sprachliche Intelligenz“
Zu den bedeutendsten Schritten im Laufe der Evolution des menschlichen Bewusstseins gehört zweifellos die Entwicklung einer
nuancierten, ausdrucksreichen Sprache. Sie hebt Homo Sapiens
mit seinem weit entwickelten Bewusstsein von sich selbst und
seiner Intelligenz über alle anderen Lebewesen hinaus und bildet
die Grundlage von Selbstreflexion und Selbstbewusstsein.
Die für den Sprachgebrauch nötige subtile Motorik von Kiefer,
Zunge und Kehlkopf wurde erst möglich, nachdem es zu entsprechenden anatomischen Veränderungen, unter anderem auch des
Schädels gekommen war. Der Übergang zum Allesfresser hat dabei eine wichtige Rolle gespielt.
Was die ersten Schritte des Spracherwerbs des Menschen betrifft,
wäre es verlockend Analogien zum Spracherwerb kleiner Kinder
im Vergleich zu Menschen-Affen zu ziehen.
Dazu sagt Stephen Mithen (University of Reading, England):
Der Vorgang des Spracherwerbs (durch Lernen) ist völlig verschieden zwischen Affen und kleinen Kindern.
Im frühesten Stadium, d.h. den ersten zwei Jahren, können beide
mittels allgemeiner Lernhilfen einfachste Sprache erlernen. Sobald
aber nach 2 Jahren spezialisierte Sprach-Module, und deren Kombination, ins Spiel kommen, ist die Lernfähigkeit eines Schimpansen zu Ende. Affen verfügen nicht über die dafür benötigte sprachliche Intelligenz.
84
Sobald Menschen sich im Rahmen ihrer Sozialkontakte auszutauschen beginnen, z.B. über Jagd, Sammeln von Nahrung, Werkzeugherstellung und dergl., entwickelt sich Sprache als Hilfe für
den Allgemeingebrauch, sie wird Teil der kognitiven Kapazität des
Menschen.
Sprache wird einer der entscheidenden Aspekte der Intelligenz mit
wahrscheinlich sehr komplexen Programmen, die auch in der DNA
spezifiziert sein müssen, um bei Kindern ab dem zweiten Lebensjahr verstärkt entwickelt zu werden! (Das Problem der Spezifikation gilt natürlich für alle vererbten Programme.)
Die Sprache erlaubte einen wahren Bewusstseins-Erweiterungsschub für den Menschen und bedingte auch das Verständnis,
selbst ein integraler Teil der persönlichen „Social Map“ zu sein, mit
anderen Worten, sie unterstützte das Aufkommen des Selbstbewusstseins.
ENTFALTUNG (UND BEHERRSCHUNG) DER KOMPLEXITÄT
UND GEBRAUCH DER VIELFALT
Sobald der Mensch den aktiven, formenden Umgang mit verschiedensten Materialien und deren Bearbeitung, und Gestaltung
zu funktionellen Werkzeugen einigermaßen gelernt hatte, begann
mit Steigen der Ansprüche, die Komplexität der Aufgaben und
damit die Anforderungen an die Lösungsmöglichkeiten zu zu
nehmen.
Homo Sapiens begann den Umgang mit Komplexität zu erlernen
und zu verstehen, sie zu erkennen, sie wohl auch selbst zu schaffen und, so gut es ging, zu beherrschen.
Davon zeugen die Produkte der Steinzeitmenschen im Neolithikum.
Geräte der frühen Jäger und Sammler bestanden aus geeigneten
Steinsplittern von u.a. Obsidian, die einfache Schneideflächen hat85
ten. Vor 500.000 Jahren hatte sich Feuerstein zum bevorzugten
Rohmaterial in fast allen Teilen der damaligen Welt etabliert auf.
Grund der relativ einfachen Bearbeitbarkeit und seiner Gebrauchsfähigkeit.
Abb. Werkzeuge des Frühen Menschen
Michal Maňas Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic
Funde beweisen die Existenz von wahren „Faustkeil-Manufakturen“, die ihre Produkte über weitere Abstände handelten.
Man konnte Faustkeile verwenden für eine Vielzahl von Zwecken,
wie Zurichten der Nahrung, Bearbeitung von Holz und anderen
Materialien, als Waffen, usw. Die typischsten Werkzeuge dieser
Periode waren sorgfältig gearbeitete Steinäxte mit erstaunlich genau ausgeführten Einsatzlöchern für die Stiele.
Bald darauf wurden Feuersteinspitzen in die Wurfspeere eingesetzt, die in verschiedenen Ausführungen gefunden wurden.
Die komplexesten Geräte dieser Zeit sind kurze Wurfspeere mit
sorgfältig eingesetzten Steinspitzen.
86
Wurfspeerspitzen, Neolithikum
Der „Mechanismus“, um dieses Artefakte zu bauen, musste bereits
auf dem mentalen Bild einer komplexen Welt beruhen, das die Neandertaler bereits gehabt haben müssen. Auch etwas wie Planen
(und freiem? Wollen) des Ichs der Hersteller der Jagdgeräte musste bereits entwickelt gewesen sein. (Zitat St. Mithen)
Können wir uns bei diesen Vorfahren „Programme“ zum Bau weitgehend differenzierter Werkzeuge denken?
Die dazugehörigen Vorstellungen, Überlieferungen und Traditionen
komplexer Tatbestände und Wissen müssen damals in der Frühzeit zum Alltag gehört haben. Vermutlich war das vor ungefähr
400.000 Jahren bereits der Fall.
Soviel also zur Entstehung des „Weltbilds“ des (frühen) Menschen.
Die Umsetzung in die Realität in Form von Artefakten, und der zugehörigen sozialen Einbettung (Rituale, Hierarchien, Gruppendynamik, Tabuisierungen und dergl.) verlangen eine weitere Eigenschaft, nämlich abstraktes Denkvermögen und Vorstellungskraft.
87
ZUGANG ZUR ABSTRAKTION
Als Gegensatz zur konkreten Wirklichkeit
Sprache, zusammen mit dem Verwenden von Symbolen für die
Beschreibung von Gegenständen, Geschehnissen, von momentan
Nicht-Vorhandenem, oder Erdachtem, hat den Menschen bereits
einen bedeutenden Schritt in die Welt der Abstraktion tun lassen.
Die Umformung von natürlichem Ausgangsmaterial, wie Stein,
Holz, Bein und dergleichen in Artefakte nach seinen Vorstellungen,
hat den Menschen schrittweise gelehrt, in abstrakten Kategorien
zu denken. Das führte teilweise so weit, dass er sich mit Dingen
und Gedanken beschäftigen konnte, die keine direkte Entsprechung in der, ihn umringenden, Welt hatte. Es erlaubte ihm auch
überdies, sich seine eigene „Welt“ zu erfinden sie (neu) zu definieren und festzulegen.
Die dazu nötigen Grundlagen, nämlich Behandlung von Komplexität, die Fähigkeit zu abstrahieren, sowie die Verfügbarkeit der dazu
erforderlichen mentalen Kapazitäten, wie kognitive Fluidität, als
ererbte Disposition, stehen an der Wurzel der Entwicklung von
Wissenschaft, Kunst und Religion.
Wissenschaft
Motto:
„Wissenschaft ist der Inbegriff des menschlichen Wissens, das
nach Prinzipien geordnete Ganze der Erkenntnis“ (Immanuel Kant).
Die enormen Veränderungen des menschlichen Bewusstseins
spätestens seit der „neolithischen Revolution“ sind nicht (mehr)
neuro-physiologischen Neuerungen zuzuschreiben.
Mit der im Lauf ihrer Evolution entwickelten neuralen Ausstattung
konnte die Menschheit daran gehen, für Absicherung eines besseren, längeren, sichereren Lebens, die erworbene und neu gewonnene Erkenntnisse zu bewahren, zu ordnen, zu codieren und in
88
komplizierte Ideen, Modelle und Theoriesysteme zu fassen. Damit
waren die Wissenschaften geboren.
Karl Eibl sagt dazu:
“Die körperlich nicht vererbbaren kulturellen Errungenschaften von Einzelmenschen oder Gruppen (phänotypisch) fanden ihren Niederschlag in sehr wohl vererbbaren extrasomatischen, kulturellen Speichern.”
Diese umfassen Institutionen und Diskurse, Bibliotheken, Filme
usw. Vor allem aber umfassten sie, und umfassten bereits in vorschriftlicher Zeit, unsere Mitmenschen, insofern sie Wissen mit
sich tragen und grundsätzlich zur Verfügung stellen wollen und
können.
Wissenschaft bedeutet eine erweiterte Durchschaubarkeit der
Welt.
Entwicklungsgeschichtlich kann man bei der Landschaftswahrnehmung anknüpfen, bei der Landschaft als Entdeckungsraum
empfunden wird. Der Sammler, Jäger, Fallensteller ist ja ständig
auf der Suche. Eine Landschaft wird dann für ihn „lesbar“, sobald
er sich Orientierungszeichen einprägt, die man beim Erforschen
der Umwelt braucht und als Wissen abspeichert, um den Rückweg zu finden. Die „Lesbarkeit“ einer Landschaft kann als pars pro
toto für die Durchschaubarkeit/Lesbarkeit der Welt stehen. 25
Grundlage für Wissenschaft ist die Verknüpfung mehrerer Hirnbereiche, wie sie Cognitive Fluidität ermöglicht, wobei Sprache
eine dominante Stellung einnimmt.
Dadurch ist es möglich die „naturwissenschaftlichen Module“ Mithens zu „vergesell-schaften“ und zu abstrahieren.
Eibl sagt dazu in etwa Folgendes:
„Der adaptive Wert der (Menschen-) Sprache besteht nicht
nur in der Möglichkeit sehr elastischer Kommunikation, sondern in
89
der Befähigung, Gewebe von vergegenständlichten Begriffen zu
knüpfen, die wir Konzepte, Modelle, Theorien nennen.”
Erst damit können kulturelle Vorräte - Informationen und Regeln exosomatisch gespeichert werden, und das wiederum ist Voraussetzung für die kaskadierende (kumulative) Vermehrung von technisch-kulturellen Elementen über die Generationen hin: Es können
bereits erreichte technische Fertigkeiten - beziehungsweise bereits
gespeichertes Wissen - zur Grundlage neuer Fertigkeiten - neuen
Wissens - gemacht werden.
Technisches Wissen kann jetzt in Worte gefasst werden, in weiteren Schritten gebündelt als Modelle / Theorien der Welt.
Gedanken sind auch ohne Sprache möglich; aber verwickelte Gedankengänge und damit schwierige Techniken und Wissenschaft,
sind mit Sprache (im Selbstgespräch, in Notizen, als mathematische „Sprache“) jedenfalls weiter zu entwickeln als ohne
Sprache.“
Religion
Glaube und Religion sind mit dem Bewusstsein und der Fähigkeit
zur Selbstwahrnehmung, entstanden, d.h. als sich der Mensch als
Individuum in einem größeren, naturgegebenen und sozialen, Zusammenhang eingebettet erfuhr.
Glaube und seine praktische Ausformung in Religion befriedigt
zudem auch evolutionär bedingte Grundbedürfnisse wie
- Das Gefühl erhöhter Sicherheit, sowie persönliche Identifikation
als Teil einer Gruppe.
- Die Sucht, einer Erklärung des „Unerklärlichen“ näher zu kommen.
- Das Verhältnis zu Sterben und Tod zu klären.
Vor allem der zunehmende Einsatz von naturwissenschaftlicher,
sozialer und sprachlicher Intelligenz erlaubte den Menschen, den
Versuch zu unternehmen, in Kommunikation zu treten mit „Geis90
tern“ und „Göttern“ mit dem Ziel, diese für ihr Wohlergehen günstig zu stimmen, und obendrein Näheres über Bestimmung und
Sinn ihres Daseins zu erfahren, sowie Einfluss auf Zukunft und
Schicksal zu erhoffen. „Wer sind wir, woher kommen wir, wohin
gehen wir?“
Das im Rahmen der Evolution des Bewusstseins sich erweiternde
„Bild der Welt“, stellte den Menschen vor neue, unbekannte Herausforderungen, die einen angepassten Umgang mit diesen rätselhaften Mächten und Ereignissen verlangten, denen er sich ausgeliefert sah, als da sind Gestirne, Sonne, Mond, das Wetter, aber
auch Geburt, Krankheit und Tod.
Es galt also zur möglichst weitgehenden Befriedigung des Sicherheitsbedürfnisses, die vermeintlichen Lenkern und Verursacher
von, sowohl Glück, wie Verderben, zu identifizieren, bzw. zu erfinden, mit ihnen zu kommunizieren und sie gnädig zu stimmen. In
der Folge wurde diese Kommunikation in mannigfacher Form ritualisiert und als Religion institutionalisiert.
Religion und Glauben in den verschiedensten Ausformungen wurden im Lauf der Menschheitsgeschichte zu einem fixen Bestandteil aller menschlichen Gesellschaften.
„Glauben“ und sein Einfluss auf das Bewusstsein ist jedoch verschränkt mit der menschlichen kulturellen und sozialen Evolution.
Glaube, Übernatürlichkeit und Religionen sind also beinahe
zwangsläufig entstandene Fiktionen, um nicht zu sagen Irrtümer.
Sie sind der Versuch evolutionär-genetisch bedingte (lebenserhaltende) Grundbedürfnisse halbwegs zu befriedigen.
Glaube ist jedenfalls sicher nicht zurück zu führen auf ein eigenes
„Gottes-Gen“, wie es in mancher populärwissenschaftlichen Literatur beschrieben wird.
Glaube und Religiosität sind sehr wahrscheinlich, zusätzlich zu
den oben beschriebenen evolutionären Bedingtheiten, das Resultat epigenetischer Markierung (Siehe Kap. I.), d.h. einer Disposition, die im Rahmen eines kulturellen Umfelds (traditionell) ererbt,
oder im Lauf des Lebens erworben wurde. 91
Kunst, Ästhetik und künstlerisches Bewusstsein
Das Entstehen von Kunst, Kunstausübung und Kunstverständnis
bei Homo Sapiens, zwischen 40.000 und 30.000 v.Chr., d.h. ästhetisches Empfinden, beruht anfänglich auf evolutionären Anpassungen und der Entwicklung von Vorlieben, die für das menschliche Überleben und für die Fortpflanzung förderlich waren.
Am Beginn standen sogenannte (ästhetische) Schlüsselreize, wie
z.B. der positiv erfahrene Anblick von Flusslandschaften (er verspricht Wasserangebot), oder halboffenen Parklandschaften (verspricht Nahrungsangebot, gepaart mit Schutzmöglichkeit ), also
die Kombination von Savanne - Wasser - Sicherheit, die auch den
heutigen Menschen instinktiv ansprechen. Diese elementar-ästhetischen Schlüsselreize sind bemerkenswerter Weise in allen Kulturen auszumachen.
Evolutionär begründetes ästhetisches Empfinden beherrscht beim
Menschen auch die sexuelle Selektion. So versprechen seit eh
und je symmetrische Gesichtszüge und Körperbau Gesundheit,
Kraft, sowie erfolgreiche Fortpflanzung und werden daher als ästhetisch positiv erfahren und bevorzugt.
Im Lauf der Evolution herausgebildete optische und akustische
Signale als Selektionsmerkmale, denen wir Menschen ästhetische
Kategorien zuschreiben, spielen auch im Tierreich eine wichtige
Rolle, haben dort aber nicht zu künstlerischer Betätigung und Weiterentwicklung Anlass gegeben.
Mit der Veranlagung sich künstlerisch zu betätigen, konnte Homo
Sapiens die Entdeckung von ästhetischen Kategorien in immer
abstraktere, symbolische Bereiche ausweiten.
So führten stilistisch, abstrahierende Transformationen und Abwandlungen, gepaart mit weiter entwickelten Hand- und Kunstfertigkeiten in der Jungsteinzeit, vor 40 - 35 Tausend Jahren, zu ersten künstlerischen Äußerungen, wie die bekannten Höhlenmalereien von Lascaux, Tonfiguren, wie die Venus von Willendorf und verzierter Gebrauchs-Keramik.
Die Kunstwerke hatten anfänglich sowohl kultischen, gebrauchsmäßigen, sowie beschwörenden Charakter.
92
Kult ?
Kunst ?
Pornografie ?
Kunst entwickelte sich auch zur Kommunikationshilfe innerhalb
der Gesellschaft, wie auch zwischen Künstler und seinen Mitmenschen
Damit war der Mensch, dank verbesserter Abstraktionsfähigkeit,
auch imstande räumlich entfernte Objekte wiederzugeben, bzw.
fest zu legen.
Von da an führte die Entwicklung des künstlerischen Bewusstseins
zusammen mit der Möglichkeit in komplexeren Strukturen zu denken, zu ersinnen und diese auch auszuführen, zu Glanzleistungen,
wie etwa in unseren Tagen und Breiten von Michelangelo, Giacometti, Tizian, oder Picasso.
Musik
Die starke emotionale Kraft, die von Musik auf Menschen ausgeht,
weist auf eine lange evolutionäre Vergangenheit und Bindung hin.
Sie ist facettenreich im Bewusstsein des Menschen verankert.
Musik und Sprache hatten wahrscheinlich eine gemeinsame, evolutionär bedingte Wurzel in einer „Protosprache“14 bestehend aus
Warn- und Kommunikationsrufen, die dann später in Anlehnung an
den Vogelgesang, repetiert und strukturiert wurden.
93
Neandertaler hatten im Prinzip die anatomische Ausstattung für
Musik und Sprache, die Abwesenheit von symbolischen Artefakten und ein vermutlich unterentwickelte neurales Netz, mit einem
Mangel an Cognitiver Fluidität, legt jedoch die Vermutung nahe,
dass sie einer akzentuierten Sprache und Musikausübung nicht
fähig waren.
Stattdessen verwendeten sie, und wahrscheinlich auch der gleichzeitig lebende Homo Heidelbergensis, ein musikähnliches Kommunikationssystem aus Kehl-Lauten, Körperbewe-gungen, Gesten, vokalen Imitationen unter Einsatz der sog. „Emotionale Intelligenz“ vor allem gemeinschaftlich in Gruppen ausgeführt. Dieses
Amalgam war der Ursprung der „Protosprache“, auch „Musilanguage“ genannt.26
Die Neandertaler haben dieses Kommunikationssystem während
100.000 Jahren offensichtlich erfolgreich bis zu ihrem Verschwinden angewendet. Es gibt sogar Vermutungen, dass diese „Musilanguage“ möglicherweise viel ausdrucksvoller und ausdrucksreicher gewesen ist, als das, was wir heutzutage als „Musik“ bezeichnen.
Der aus Afrika, um ca. 40.000, einwandernde Homo Sapiens hatte
dank bereits weiter entwickelten cerebralen Fähigkeiten, wie die
„Cognitive Fluidität“, vermutlich die Protosprache in Richtung eines artikulierten Einsatzes für Sprache und Musik entwickelt.
Komplexere, musikalisch/rhythmisch differenzierte Ausdrucksformen, und Urmelodien, entstanden, ähnlich denen, die auch heute
noch bei Naturvölkern zu hören sind, funktionell eingesetzt zur Beschwörung der Geister, zu Ritualen, sowie zur Brautwerbung, oder
für Bestattungsrituale.
Musik ist im Zusammenwirken mit körperlichen Bewegungen, Gesichtsausdruck, und Stimme, mit dem Einsatz der Emotionalen
Intelligenz ein ausdrucksstarkes Mittel des Menschen zur Kommunikation von Emotionen und hilft diese auch mit anderen in
sozialer Interaktion zu teilen. Das gilt von Naturvölkern bis zum
heutigen Pop-Festival.27
Aus der Zeit vor 35.0000 Jahren sind die ersten instrumentalen
musikalischen Betätigungen des Menschen mit einfachen Knochenflöten aus Funden belegt.
94
Aus diesen Anfängen entstand mit zunehmender struktureller musikalischer Komplexitäts-Beherrschung und dem musikalische
Bewusstsein des modernen Menschen Leistungen in einem breiten musikalischen Spektrum von Monteverdi, der Klassik, Richard
Wagner bis Anton Schönberg, sowie in der Volks- und der PopMusik. Unterstützt wird diese Entwicklung von den Resultaten der
Weiterentwicklung der „Technischen Intelligenz“ und dem darauf
basierenden Instrumentarium, beginnend mit jener Knochenflöte
und heute kulminierend in der Anwendung der Elektronik für Musik-Erzeugung und Wiedergabe.
Wie keine andere Kunstform ist Musik durch ihre unmittelbare
breite Zugänglichkeit, Ausübung und emotionelle Aussagekraft,
die alle Sinne erfassen kann, auf das Engste koevolutionär verbunden mit der Formung der Gesellschaft und des menschlichen
Bewusstseins.
Musik erreicht das Bewusstsein des Menschen direkt, sie benötigt
im Prinzip keine Vermittlung, „Singen und Trommeln kann jeder“.
Sie erreicht die Emotionen aller Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, vom Kleinkind bis zum Greis, von der Laubhütte Afrikas
bis in die vergoldeten Konzertsäle der „westlichen Welt“, sie
spricht den Analphabeten genau so an, wie den sog. „Bildungsbürger“.
Sie formt und bezeugt das Bewusstsein der Gesellschaft, sei es in
ihrer rituellen, beschwörenden Rolle, oder in Tempeln und Kirchen,
in Theater und Oper, als Begleiterin der Kämpfer im Krieg, oder
Propagandamittel, oder beim Dorffest und beim Kirtag, sowie als
Teil gigantischer Gesamtkunstwerke wie den Pop-Shows, denken
wir nur an die gesellschaftliche Bewusstseinsveränderung durch
„Woodstock“.
95
Schrift
Vor der Entwicklung der Schrift war nur die mündliche Überlieferung von Wissensinhalten möglich. Sinnentstellungen sowie das
Weglassen oder Hinzufügen von Inhalten sind bei der mündlichen
Vermittlung zumeist unvermeidlich. Psychologische, soziale und
kulturelle Faktoren spielen bei der mündlichen Überlieferung eine
wesentliche Rolle. Weltweit wurden von jeher überlebenswichtige
Informationen, aber auch geheimes Wissen, Rituale, Mythen, Legenden und Sagen mündlich weitergegeben (wie u. a. die Geschichte von der großen Sintflut), die einen ähnlichen Kern aufweisen, in ihren Details aber beträchtlich voneinander abweichen
können.
Allerdings gehen der uns heute bekannten Schrift Felszeichnungen, z. B. in der Höhle von Lascaux, vor ca. 20.000 Jahren voraus.
Auch dort wurden bereits abstrakte Zeichen verwendet, die wohl
magischen und symbolischen Charakter hatten. Seit zehntausenden von Jahren benutzen Menschen diese Zeichen und Bilder, um
Botschaften zu hinterlassen. Von Schrift kann allerdings erst gesprochen werden, wenn ein festgelegtes Zeichensystem zum
Ausdruck für verschiedene Informationen zur Verfügung steht. Bereits in der Jungsteinzeit (Neolithikum) wurden Steine mit geometrischen Linien hergestellt, von denen die Forschung mit einiger
Gewissheit sagen kann, dass sie zum Zählen dienten, der wahrscheinlich wichtigsten Grundlage einer echten Schriftentwicklung.
Die Erfindung der Schrift gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften der Zivilisation, da sie die Überlieferung von Wissen und
kulturellen Traditionen zuverlässig über Generationen hinweg erlaubt, und deren Erhaltung (in Abhängigkeit von der Qualität des
beschrifteten Materials und von anderen natürlichen, aber auch
gesellschaftlichen Umstände) über einen langen Zeitraum ermöglichen kann. Alle bekannten frühen Hochkulturen (Sumer, Ägypten,
Indus-Kultur, Reich der Mitte, Olmeken) werden mit der Verwendung der Schrift in Verbindung gebracht.
Traditionell wird Sumer als die Kultur genannt, in der die Schrift
erstmals verwendet wurde. Die wohl ältesten Schriftfunde, aus
dem 4. Jahrtausend vor Christus, stammen von dem Fundort
Uruk. Es handelt sich dabei um Wirtschaftstexte. Die verwendete
Schrift lässt allerdings keine Rückschlüsse auf die Sprache zu, es
96
ist daher falsch, diese Schrift im strengen Sinne als sumerisch zu
bezeichnen.
Die ägyptischen Hieroglyphen werden oft als eine aus Vorderasien
importierte Idee angesehen; neuere Funde von Günter Dreyer in
Ägypten stellen diese Lehrmeinung allerdings in Frage, und er
vermutet eine eigenständige Erfindung.
In China und Mittelamerika (Maya) wurde die Schrift ebenfalls unabhängig entwickelt. Beim ersten bekannten Schriftzeugnis Mittelamerikas handelt es sich um einen in Veracruz entdeckten Steinblock, in den insgesamt 62 Symbole eingeritzt sind. Derzeit geht
man davon aus, dass die zwölf Kilogramm schwere Schrifttafel
rund 3000 Jahre alt ist.
MEME
Abgesehen von direkter mündlicher Kommunikation, Schriftzeichen und Symbolen überträgt Homo Sapiens Wissen, Fertigkeiten,
Erfahrungen, und vor allem kulturelle Inhalte an seine zeitgenössischen und zukünftigen Artgenossen mittels abgeschlossener Gedächtnis- und Gedanken-Cluster, Bündel. Nach einem Vorschlag
von Richard Dawkins werden diese als Meme bezeichnet.28
Nach den heutigen Einsichten über die Funktionsweise des Hirns,
kann man davon ausgehen, dass die einem solchen Cluster entsprechenden Gedächtnisbausteine, und Gedankenmuster sich
über das ganze Hirn verteilt befinden und bei Bedarf als „Meme“
zusammengefasst werden können.
Diese Cluster verhalten sich nach „Darwins Gesetzen“, d.h. sie
unterliegen denselben Sequenzen von Mutation, Selektion und
Bewährung. Ihre Ausformung, Veränderung, Neuentstehung,
sowie Kommunikation und ihre Evolution kann dadurch, dass sie
zum Unterschied von der klassischen Bioevolution nicht auf
chemisch-physikalischen Prozessen beruht, sehr viel schneller
vonstattengehen.
97
Auf diese Weise konnte, und kann, Homo Sapiens, im Gegensatz
zu allen anderen Lebewesen, seine Evolution beschleunigt weiterführen.
Stil, Fertigkeiten, Religion, Glauben, Lebensgewohnheiten, Musik,
Folklore usw. werden so von einer Gruppe und von einer Generation auf die andere übertragen.
So gesehen sind Meme die Träger von Kulturkommunikation und
Entwicklung
Sind Meme auch vererbbar? Wenn man die Hartnäckigkeit, die
Persistenz, vom „kulturellen Erbe“, z.B. in Form von Traditionen, in
Betracht zieht, scheint dem tatsächlich so zu sein.
Vorstellbar wäre, dass es eine epigenetisch vererbbare, milieubedingte, Komponente - d.h. Markierungen im Epigenom – gibt, die zu
einer bestimmten Prädisposition (Glaube, Drogen, kulturelle Inhalte usw.) Anlass gibt. Nach der Geburt wird diese Disposition
durch die Einbettung in die entsprechende, passende Umwelt virulent und ev. weiter vertieft und epigenetisch verankert.
Dadurch entstehen für das Individuum und für die Gruppe milieubedingte Selektionsvorteile. Dawkin spricht von einem „Mempool".
ENTWICKLUNG AB ca. 10.000 v. Chr.
Mit dem Zeitalter nach 10.000 vor unserer Zeitrechnung, dem
Neolithikum, öffnet sich für uns das Bild des Menschen auf Grund
von hinterlassenen Artefakten aller Art und anderer historisch belegter Spuren. Sie zeugen auch von einer sich beschleunigenden
Evolution des Bewusstsein und steigender intellektueller Fähigkeiten.
Typisch dafür sind die radikalen gesellschaftlichen Veränderungen:
98
Aus Jägern, Sammlern, Häuptlingen und Schamanen wurden:
Bauern, Vieh-züchtende Nomaden, Könige, Priester und Soldaten
Aus Horden wurden: Stämme, Länder und Imperien
Alle diese Veränderungen waren jeweils begleitet von einem umwälzenden Bewusstseinswandel, einem sich ändernden Weltbild.
Ackerbau und Viehzucht führten zur Erfahrung der schicksalshaften Abhängigkeit von einer „berechenbaren“ zyklischen Welt, und
erforderten Planung und Vorratshaltung.
Ein illustratives Beispiel für die dadurch geänderten Vorstellungen
bieten die im Neolithikum u.a. in Europa weit verbreiteten Kreisgrabenanlagen, rund um viele dörfliche Ansiedlungen, die offensichtlich Kalenderfunktion zur Angabe wichtiger Himmelsereignisse, für Ritualtermine, aber auch zur Planung landwirtschaftlicher
Tätigkeiten (Aussaat u. dergl.) hatten, als sogenannte Steinzeitkalender.29
Ein besonders spektakuläres Beispiel ist das berühmte Stonehenge das offensichtlich rituellen Zwecken diente.
Wesentliche und prägende Errungenschaften der Zivilisation
entstanden im weiteren Verlauf, wie unter anderen:
die Verfeinerung der Schrift
der Bau von Grabstätten für Gott-Gewordene, wie die Pyramiden
Schaffung von Gesetzen
Zunehmende Rolle der Wissenschaft
Rechen- und Messwesen
Geld als Wirtschaftsfaktor
Aufstieg der Künste
99
In den folgenden 2.000 Jahren ereignete sich auf Grund des erwachenden und umfassenderen Bewusstseins und zunehmender
Intelligenz der exponentielle Aufstieg der Menschheit.
Mehrere Gesellschafts- und Staatsformen lösten sich in allen Weltteilen hintereinander ab. Die Weltbevölkerung nahm exponentiell
zu, mit Ausnahme der Antarktis wurde die ganze Erde besiedelt.
Der Mensch war zur die Erde beherrschenden Spezies geworden,
die es schließlich geschafft hat, die Vision Marshall Mc Luhans 31
zu realisieren: „Ihr Zentralnervensystem zu einem weltumspannenden Netz zu entwickeln“,
oder aber wie Karl Kraus sarkastisch/prophetisch meinte:
„Großes Heil ist uns ersprossen, der Hausmeister ist ans Weltall
angeschlossen“. Das Internet ist der prominenteste Zeuge dieser
Entwicklung.
Abb: Produkte der Intelligenz vom Paläolithikum bis jetzt
100
„AUSSERKÖRPERLICHES BEWUSSTSEIN“, „SEELE“, „FREIER WILLE“
Einige kritische Bemerkungen
Die Ergebnisse der Hirnforschung in den vergangenen Jahren, betreffend Aufbau und Funktionen des neuralen Systems, festigen
die Erkenntnis, dass sogenannte „geistige und seelische“ Zustände und Befindlichkeiten eines Menschen, körperlichen Gegebenheiten entspringen, die durch das Zusammenwirken von Nerven,
Hirn und deren Verknüpfungen zustande kommen, wobei in diesem Netz messbare elektro-chemische Prozesse ablaufen.
Ein Bewusstsein ohne Materie kann es nicht geben. Auch Gedanken und ihre Entwicklung brauchen einen materiellen Träger.
Das bedeutet, es gibt, dieser Logik folgend, auch nicht etwas wie
eine nichtkörperliche, eigenständige „Seele“, oder ein anderes
körperunabhängiges Bewusstsein. Entstehung und Beeinflussung von Neuronenpotentialen haben jedenfalls innerkörperliche
(z.B. neurale, hormonelle) oder extrasomatische z.B. visuelle,
akustische, etc., jedenfalls materielle, Ursprünge. (Auch z.B. während einer „spiritistischen“ Sitzung....)
In diesem Licht müssen wir auch das Phänomen des sogenannten
freien Willens betrachten.
Karl Eibl sagt dazu (in „The Theory of the Mind“):
„Ein Bild der Welt haben“ setzt, irgendwie codierte, genetische und in offenen Programmen enthaltene Informationen voraus,
die wir schrieben und benötigen, um leben zu können. Das Aufrufen der passenden Bilder – und des dazu passenden Verhaltens muss im agierenden Leben durch Reize aus der Umwelt und aus
dem „Inneren des Wesens“ (u.a. Gedächtnis, Anm. Red.) erfolgen.
Gegeben die Unendlichkeit der Welt müssen sehr viele mögliche
Reize gesiebt und oft mehrfach gefiltert werden. Die „Letzte Filterung“ führt zu Entscheidung.
101
Auch dieser Prozess ist für das menschliche Wesen „Weltgeschehen“, es erlebt ihn als ein Entscheider. Solche im äußeren Weltgeschehen auftretende „Entscheidungen“ kennt er ja von früher
Kindheit. So hat sich die Idee des „Freien Willens“ festgesetzt.
Relevant wird die Situation, wenn es um Entscheidungen für richtige oder falsche Handlungen geht, und zwar sowohl im technischen wie im moralischen Sinn. Oder zumindest um die Überwindung eines inneren Widerstandes. Erst damit wird die Frage nach
dem freien Willen aktuell - und erledigt sich zugleich von selbst.
Denn sie erweist sich nun vollends als falsch gestellt.
Wenn ich nämlich meine Entscheidungen treffe, ohne dass genetische und soziale Determinanten dabei eine Rolle spielen, dann
muss ich diese Determinanten vergessen, und zwar restlos, einschließlich des entscheidungsrelevanten Wissens und damit auch
der Kategorien von Richtig und Falsch. Ich könnte die Entscheidungen ebenso gut einem Würfel überlassen: Der Wille ist dann
„frei“, wenn es egal ist, wie er entscheidet.“
„Freier Wille“ entspricht auch nicht den Prinzipien der Logik. Dazu
nochmals Eibl:
„Der freie Wille ist außerhalb der theologischen Paradoxienschmieden gar nicht lebensfähig. „Freier Wille“ ist eine „contradictio in adjecto“, eine logische Unmöglichkeit, da jeder Wille, der
nicht bloßer Zufall ist, seine Bestimmungsgründe hat.“
Gleichwohl können wir sagen, wie wir überhaupt auf die intuitive
Vorstellung gekommen sind und immer noch kommen, dass unser
Wille frei sei: Es ist eine Konstruktion ex post. Nach jeder Entscheidung wissen wir, dass es auch andere Möglichkeiten gegeben hätte und dass die eine oder andere dieser Möglichkeiten
vielleicht besser gewesen wäre: Die Grunderfahrung, aus der die
Vorstellung vom freien Willen erwächst ist ein „Gefühlter Freier Wille, so wie es –zurecht- eine gefühlte Temperatur gibt.
Schopenhauer meinte dazu:
„Der Mensch kann tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was
er will.“
102
XI. BEWUSSTSEIN HEUTE UND MORGEN
BEWUSSTSEIN UND INTELLIGENZ HEUTE
Mit der abnehmenden Bedeutung des agrarischen Bereichs und
dem Aufkommen der Technologisierung im 19. und 20. Jahrhundert, entwickelte sich ein verändertes Bild des Menschen und seines Verhältnisses zur Natur. Ein neues Selbstbewusstsein „die
Dinge selbst in die Hand nehmen zu können“ entstand.
Jetzt hatte der Mensch die Mittel geschaffen, um sich „die Erde
wahrhaft Untertan zu machen“ Man konnte sich zum ersten Mal
fast ganz von der Natur entkoppeln und dabei vergessen, das
heißt das Bewusstsein verlieren, dass man selbst unwiderruflich
immer Teil der Natur war und bleibt.
Die Wirtschaft des 19. und 20 Jahrhunderts richtete sich hauptsächlich nach technischen und finanz-ökonomischen Parametern.
Die „Natur“ wird als abgetrennte, autonome Größe erfahren und
vor allem als jederzeit verfügbarer, rein wirtschaftlich aufgefasster,
„Rohstoff“ im weitesten Sinn.
Grenzübergreifende Energiepolitik gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Welch ein Bewusstseinswandel ist das gegenüber den bäuerlichen
Vorfahren!
Ganze Sektoren werden dem Menschen von Maschinen buchstäblich „aus der Hand genommen“, die Mechanisierung verändert die menschliche Gesellschaft.30
Mit der Zeit entwickelt sich, zu Recht oder zu Unrecht, der Eindruck fast alles wissen und machen zu können, ein fundamentaler
Bewusstseinswandel gegenüber früheren Gesellschaften hat
stattgefunden.
103
Das neue Selbstbewusstsein zerschlägt gewachsene Strukturen,
Feudalsysteme und Machtverhältnisse, unterstützt zugleich aber
auch die Individualisierung und Demokratisierung der Gesellschaft.
Intelligenz wird demokratisiert und gefordert. Die Verbindung von
Elektronik und Hydraulik im 20. Jh. erlaubt Artefakte mit menschenähnlichem Gehaben und ersten Ansätzen von primitiver Intelligenz, zu erschaffen, die in einem Kontext handeln können, in
Form von ersten Robotern vom Haushalt bis ins All.
Abb. Mäh-Roboter
Abb. Marsroboter „Curiosity“
NASA/JPL-Caltech Wikimedia
Dieses Bewusstsein und die darauf basierende Grundhaltung findet deutliche Ausformung in Literatur, Kunst, Musik, Theater und
Tanz des 19. und 20. Jahrhunderts. Informationszugang und Zugang zur Kultur wird unterstützt durch die neuen technischen
Möglichkeiten demokratisiert, dafür sorgen die „Medien-“ und
„Unterhaltungsindustrie“.
Vor allem das 20. Jh. ist gekennzeichnet durch dynamisch-verlaufende und pluriforme Bewusstseins-Veränderungen, moralischethische Grenzverlegungen, auseinanderklaffende Strömungen
inmitten einer zusammenwachsenden, globalisierenden Welt.
Als Resultat dieser gesellschaftlichen Schizophrenie sehen wir auf
der einen Seite die Unterzeichnung der „Erklärung der Menschen-
104
rechte“ und auf der anderen die Ausrufung des „Islamischen
Staats“ und die Entfachung von Religionskriegen.
In der zweiten Hälfte des 20. Jh. und dem beginnenden 21. Jh.
setzt wieder eine Rückbesinnung ein, es kommt zu einer Korrektur
des Verhältnisses Mensch - Natur. Prinzipien der „Nachhaltigkeit“
und „ökologisches Systemdenken“ beginnen die wirtschaftspolitischen Debatten in der sogenannten industriellen Welt zu beeinflussen und finden in Industrie- und Industriepolitik Eingang.
Ein (wiederentstandenes) „ökologisches Bewusstsein“ bildet
sich heraus und findet Eingang in die Gesellschaftsentwicklung
über weite Gebiete unseres Planeten. Zu dieser Bewusstseinsveränderung, mit dem Verständnis der Begrenztheit des „Raumschiffs
Erde“, hat die technologische Meisterleistung der Mondlandung
und die dabei von den Astronauten geschossenen Bilder einen
wesentlichen Beitrag geliefert.
105
ZUKUNFTSSZENARIEN DER EVOLUTION DES BEWUSSTSEINS UND DER INTELLIGENZ
„Der Verlust unserer Welt?“
Allgemein - Weltpolitisch
Zu Beginn des 3. Jahrtausends haben sich die bereits im letzten
Jahrhundert eingesetzten Entwicklungen und Veränderungen in
der Welt und damit auch des Bewusstseins auf allen Niveaus fortgesetzt und beschleunigt.
Die durch Informations- und Kommunikations-Technologie getriebene Vernetzung hat den letzten Winkel des Globus erfasst, fast
alle Arten von Informationen und Ideen sind beinahe simultan
überall verfügbar und beeinflusst das Bewusstsein der Menschen
auf vielerlei Weise.
Zusammen mit Ungleichgewichten hervorgerufen durch Klimaveränderung, demographische Entwicklungen, Armutsgefälle, Wanderbewegungen und rücksichtslose Machtpolitik entstehen gewaltige, explosive Potentiale für grundlegende Veränderungen. Herkömmliche Staatsgefüge und ihre Strukturen sind den entstehenden Herausforderungen immer weniger gewachsen.
Abfolgen von kleineren und größeren Krisen und kriegerischen Ereignissen sind die Folge und werden von jetzt an lange Zeit für
Verwirrung sorgen, aber gleichzeitig wird auch das Bewusstsein
für die Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung zunehmen.
Die im Gang befindliche technische und soziale Entwicklung hat
eine globale Gesamtkomplexität von einer noch nie dagewesenen
Dimension hervorgebracht, eine Entwicklung deren Ende schwer
abzusehen ist. Diese Komplexität übersteigt menschliche Lösungsvermögen im Rahmen gängiger Methodik und Struktur.
106
Nach I. Prigogine ist ein „system far from equilibrium“ entstanden,
ein System, das auf einem „Bifurcation Point“ zusteuert, mit der
Chance auf Chaos einerseits, oder aber einen Sprung in eine neuen Ordnungszustand, getragen von einem grundlegenden Paradigmenwechsel. (Ilya Progogine)32
Das „Weltbewusstsein“ und die staatlichen Strukturen zu Mitte
dieses Jahrhunderts werden jedenfalls völlig anders sein (müssen),
als heute.
Welche Entwicklung lässt sich absehen auf technischem und auf
sozialem Niveau?
Technisch:
Der Aufwand für Forschung und Entwicklung von Technologie wird
weltweit weiter zunehmen.
Das bedeutet, dass die dadurch mitbedingten gesellschaftlichen
Entwicklungen und Veränderungen sich ebenfalls beschleunigt
weiter fortsetzen werden. Die Welt steht vor einer Phase einer Art
fließender, kontinuierlichen Bewusstseinsveränderung, deren Ende
vorläufig nicht absehbar ist. Man könnte auch von einer sich beschleunigenden Evolution der „Meme“ sprechen.
Die Vernetzung wird weltweit weitergehen mit zurzeit unabsehbaren politischen und sozialen Folgen.
Der Trend, bislang menschliches, bewusstes Handeln einem technischen System zu überantworten, wird sich, soweit absehbar,
weiter verstärken, sowohl im industriellen, wie im privaten Bereich.
Waren es hauptsächlich einfache Regelkreise, wie (robotisierte)
Montagvorgänge in der industriellen Fertigung, oder im Haushalt
Heizung, Wäschewaschen, die unbemerkt, autonom geschehen
sind, werden in der nahen Zukunft komplexere von Menschen an
die Technik „ausgelagerten“ Tätigkeiten zunehmen. Sie werden vor
allem dann, sobald die ausführenden Artefakte immer „intelligenteren“ , sozusagen „menschenähnlicheren“ Charakter annehmen,
107
immer weniger als einem abgesonderten technischen Bereich zugehörig erfahren, sondern als integraler Teil der menschlichen Gesellschaft erlebt werden. So wie bereits jetzt schon zum Beispiel
der als „Mensch“ wahrgenommene Pflegeroboter, aber auch bereits der schon länger als „Blechtrottel“ personifizierte, „verfluchte“ Computer, sobald „ER“ nicht wunschgemäß funktioniert, beschimpft wird.
Intelligent Sensors, die bereits Signale interpretierend aufbereiten,
verbessertes Parallelprocessing, Artificial Intelligence, u.a., werden
es erlauben, technische Systeme (Maschinen, Roboter) mit Empathie und Emotionen auszustatten, sie werden immer menschenähnlicher, oder anders ausgedrückt, die Schnittstelle (Interface)
zwischen Mensch und Technosystem wird zunehmend transparenter.
Ab einer bestimmten Komplexität ist es durchaus möglich, dass
künstliche Systeme der Zukunft ein eigenes Bewusstsein erlangen
(C. Koch )
Dies wirft sehr bald ein ganzes Bündel von rechtlichen, ethischen
und moralischen Fragen auf, z.B. welche moralischen Wertekategorien gibt man einem Roboter mit? Gibt es dafür globale, aufgabenabhängige oder auch kulturelle Richtlinien?
Im Zusammenhang mit Einflüssen auf das Bewusstsein sollte auch
erwähnt werden, dass sich sehr wahrscheinlich das Spektrum und
der Gebrauch von ausgefeilten, bewusstseins-verändernden Drogen, sog „Designerdrogen“, erweitern wird, und epigenetische
Veränderungen im Erbgut bewirken könnten.
In der Medizin können in verstärktem Maß individuelle, computergestützte maßgeschneiderte Therapien Eingang finden, ev. auch
unter Einbeziehung von präventiver Genmanipulation.
Der offensichtliche, oder „gefühlte“ Gap zwischen den „Dümmsten“ und den „Gescheitesten“ (gemessen nach den Kriterien einer
sog. Leistungsgesellschaft) könnte sich auf Grund der weiteren
Öffnung der Reichtums- und Einkommensschere weltweit vergrö-
108
ßern, aber möglicherweise in den wohlhabenden Ländern durch
Einsatz von Drogen und Genmanipulation, Bioengineering auch
wieder korrigiert werden.
Die Resultate der Entwicklungen der im Entstehen begriffenen
NBIC (Nano-Biomedizin-Informatik-Kongnitionswissenschaftlichen) Komplexe, wie Google sie gegenwärtig bereits plant und
auszuführen beginnt, werden bedeutende Eingriffe in das globale
Geschehen bedingen, nicht zuletzt dadurch, dass sie möglicherweise sehr potente Herausforderer und Konkurrenten für herkömmliche staatliche Machtstrukturen werden.
Zur Unterstützung der Forschungs- und Entwicklungsarbeit hat
Google zusammen mit der NASA die „Singularity University“ unter
der Leitung ihres Entwicklungsleiters Raimond Kurzweil in Kalifornien errichtet.
Als „Singularity“ bezeichnet man in diesem Fall den Zeitpunkt, ab
dem künstlich intelligente Maschinen sich in solchem Tempo
selbst verbessern würden, dass die weitere Entwicklung und ihre
Richtung dem Menschen entgleiten.
Menschen könnten, bzw. müssten, diese, nach heutiger Sicht unausbleibliche, Herausforderung beantworten durch die Erringung
eines Selektionsvorteils gegenüber den künstlichen Rivalen. Entweder durch eine Art „Bildersturm“, das würde einen globalen
Bewusstwerdungsprozess und Konsens bedingen, oder aber z.B.
mittels elektronischer Implantate, oder auch durch Bioengineering.
d.h. Manipulation des menschlichen Genoms zur Verbesserung
der Intelligenzleistung.
Letzteres wird nach Ansicht mancher Futurologen vorerst verstärkt
in China, ungehindert von „westlichen“ bioethischen Restriktionen,
betrieben werden.
Es ist gegenwärtig schwierig abzusehen, was die angedeuteten
möglichen Entwicklungen für die weitere Evolution des menschlichen Bewusstseins bedeuten werden. Das „Bild der Welt“ und das
„Selbstbewusstsein“ wird jedenfalls ein anderes sein, als bisher.
109
Die Meinungen der Experten, ob und wann echte autarke Systeme
realisiert werden können, gehen weit auseinander und reichen von
Bewertungen als „unfundierte Utopie und Science Fiction“ bis zu
konkreten Vorschlägen für eine (vermeintliche) nahe Zukunft. (u.a.
Hans Moravec, Ray Kurzweil), an die offensichtlich Google und
andere, wie beschrieben, glauben.
Dazu ein Zitat von Gerald Edelman:
Mag auch der Tag, an dem wir imstande sein werden, bewusste
Artefakte zu konstruieren, in weiter Ferne liegen - wir werden diesen Weg womöglich gehen und synthetische Mittel einsetzen
müssen, wenn wir den Prozess des Denkens von Grund auf verstehen wollen. So weit der Tag ihrer Konstruktion auch noch entfernt sein mag, solche Geräte werden gebaut werden. schließlich
und endlich ist dies einmal bereits gelungen - und zwar im Verlauf
der Evolution.
Sozial
Kurzfristig kann, und wird, weltweit das bereits vorhandene, aber
aus Milieu-, politischen und sozialen Gründen noch mangelhaft
erschlossene, Bewusstseins- und Intelligenzpotential in der Welt
weiter erschlossen werden Das heißt, dass der „Globale Intelligenzquotient“ zunehmen wird.
Die weltweit, beinahe flächendenkende, Anwendung der Informations- und Kommunikations-Technologien hat bereits jetzt schon
drastische Bewusstseins- und Verhaltens Veränderungen zur Folge gehabt und wird dies auch weiterhin tun.
Informationssysteme bedingen eine weitere Auflösung und Neuordnung bestehender Organisations- und Sozialstrukturen in allen
gesellschaftlichen Schichten und Bereichen. Es bilden sich neue
Bewusstseins-Inhalte und vor allem auch verändertes GruppenBewusstsein aus.
110
Die, durch leicht zugängliche Informations- und Kommunikationsmittel bedingte, globale Vermischung von Ethnien, Kulturen, Religionen, ausgelöst durch klimabedingte, politische und religiöse
Faktoren sowie auseinanderklaffendem Wohlstandsgefälle, könnte
das „westliche“ Demokratiemodell und ethische Prinzipien ins
Wanken bringen.
Herkömmliche Konzepte und Strukturen verärgern die Situation
mehr, als sie zu lösen.
Die globale Gesellschaft wird noch pluriformere Züge annehmen,
wodurch herkömmliches Nationalitäten-Verständnis aufgeweicht
wird und an Bedeutung verliert.
Die Arbeitswelt wird unter dem Einfluss der Robotisierung völlig
neu definiert werden müssen und erfordert neue Kriterien für Arbeit, Beruf, Organisation, Planung, Freizeit usw.
Zunehmend werden nicht nur einfache, sondern auch viele höher
qualifizierte Jobs von Robotern übernommen. Im Gegensatz zur
vorigen industriellen Revolution, noch dazu vor dem Hintergrund
der Zunahme der Weltbevölkerung, ist das Entstehen von ausreichender, kompensierender Ersatzbeschäftigung zumindest im
Rahmen unserer heutigen Wirtschafts- und Finanzmodelle vorläufig schwer auszumachen.
Hoffnung ergibt sich jedoch aus der einzigartigen Eigenschaft des
Homo Sapiens, der Cognitiven Fluidität, die an mehreren Stellen in
diesem Buch beschrieben wurden. Sie hat den Menschen schon
mehrfach in seiner Geschichte mit kreativem Denken „aus der
Patsche geholfen“.
Allein schon dadurch, dass traditionell festgefügte BewusstseinsBlöcke im Zusammenhang mit entsprechenden hierarchischen
Strukturen, sich auflösen, entsteht der Raum für eine Proliferation
von neuen Ideen, einer Vielfalt von „neuem Bewusstsein“ z.B. in
kleinzelligen innovativen Mustern und in fluktuierenden Formen.
Das Bewusstsein für eigene Initiative, Lösungsstrategien und
Handeln kann dadurch massiv zunehmen.
111
Auf der anderen Seite wächst gleichzeitig das Bewusstsein für die
Einbettung in ein größeres Ganzes ebenfalls: Diese Zusammenhänge werden grenzübergreifend, regional, kontinental und letztlich global erfahren.
Es entsteht das Bewusstsein von einer „Großen Welt, die kleiner,
und als vermeintlich überschaubarer gefühlt wird“.
Diese Situation wird den Menschen des 21sten Jahrhunderts zunehmend bewusst werden: „Die Welt ist aus den Fugen
geraten“ (Kofi Annan). Lösungen sind noch nicht in Sicht.
Die Chancen und Bedingungen für eine Reihe von Krisen bleiben
unverändert hoch solange bis es tatsächlich zu einem Bewusstseinswandel auf globalem Maßstab kommt.
Aus den Erfahrungen des Scheiterns, der Konflikte, Lösungsversuchen, baut sich jedoch eine globale Erfahrungskurve der
Menschheit auf, die schlussendlich zu Lösungen auf Basis eines
Gesamtkonsenses führen könnte. Erste positive Zeichen und erfolgreiche Ansätze sind bereits vorhanden.
Dazu gehören:
- Das Problemverständnis steigt.
- In vielen Ländern nimmt das ökologische Bewusstsein stark zu.
- Nachhaltige Konzepte in Industrie und im Heim nehmen zu.
- Forschung für alternative Energiegewinnung und Gebrauch hat
stark zugenommen.
- Der Anteil an alternativen Energieformen steigt stark
- Die Waldverluste werden kontinuierlich geringer.
- Die Gestaltung der Umwelt bekommt bewusst einen anderen
Wert und Charakter.
In seiner Gesamtheit könnte das beschriebene zukünftige
Szenario für die Menschheit einen evolutionären Schritt bedeuten, der vergleichbar wäre mit dem Übergang von der Gesellschaft der Jäger zum Ackerbauern, oder vom Industriellen
zum Internet-User.
112
Bemerkungen und Diskussionsbeiträge sind willkommen auf
http://bewusstsein-evolution.jimdo.com
113
FUSSNOTEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
1. Alonso Ricardo, Jacack Szosrak, The Origin of Life, Scientific American 2009
2. Manfred Eigen, Nature, 1971
3. Varianz und Stabilität der Gene, Jürgen Schmitz u.a., Uni Münster
4. Emma Whitlaw, Epigenetic Inheritance in Mammals, Science 2006,
Sidney
5. Eva Jablonka, Cohn Institute Universität Tel Aviv, Jablonka & Lamb,
Evolution in Four Dimensions, MIT Press
6. Bruce Alberts, Alex Johnson, Julian Lewis, Lehrbuch, Molekulare
Biologie der Zellen, Kap. 7.14.16, 2011. S. 524
7. In neuesten Studien konnten 5 epigene Marker identifiziert werden,
die einer Disposition für Homosexualität bei Männern zugrunde zu
liegen scheinen. (Eric Vilain, Tusk Ngun, University of California,
präsentiert Oktober 2015)
8. Tobias Bonhoeffer u. Mark Hübner, Max Planck Forschung 1/13
9. Mathias Fisher, Annals of Pysics , vol. 362, p.593, Nov. 2015
10. Kirschner u.a, Plausibility of Life. (siehe Anhang II)
11. Physiologie des limbischen Systems, Meduni Graz
12. Ralph Holloway, Columbia University, Studies on Brain Evolution
13. G.M. Edelman, A Universe of Consciousness, Basic Books, 2000
14. Stephen Mithen, The prehistory of the mind, Thames and Huson,
1996
15. Quelle: WIKI, Funktion der Neuronen, Vorlesung
16. Mathias Bethge, Klaus Pawletzk: Die Geheimsprache der Neuronen. In „Gehirn und Geist" 02/2002, Universität Bremen. Und: Mathias Bethge, Klaus Pawlezk: "Neural Rate Coding“ Neurocomputing,
1999, Elsevier.
17. Christof Koch, Was ist Bewusstsein? Spektrum der Wissenschaft,
Interview 21.05. 2013
18. Ref./Zitat Vorlesung Christof Koch 2012
19. Quelle: „Synapsen und Informationsspeicherung“, Wikipedia
114
20. Psychologie seiten.de
21. M. Korte, TU Braunschweig, 2011
22. William Calvin,The Ascent of Mind, Universe, 2001
23. Phillip Gunz, Max Planck Institut Leipzig, ANHANG
24. W. Beringer „Kulturgeschichte des Klimas“, DTV 2009
25. Karl Eibl, Kultur als Zwischenwelt, eine evolutionsbiologische Perspektive, Suhrkamp 2009. Und: Karl Eibl, Animal Poeta, Bausteine
der biologischen Kultur, Paderborn 2004
26. S. Brown, MIT Press, 2000
27. Steven Mithen: The Singing Neandertals, Orion 2006
28. Richard Dawkins, The selfish Gene, Oxford University Press, 1976
29. W. Neubauer, G Zotti, Uni Wien
30. Siegfried Giedion, Die Herrschaft der Mechanisierung, Europäische
Verlagsanstalt, 1982
31. Marshall Mc Luhan, The Medium is the Message, 2009
32. Ilya Progogine, Order out of Chaos, Bantham Books, 1984
115
116
ANHANG I
Erläuterung zu SPRACHE DER NEURONEN
Das Hirn empfängt laufend eine Vielzahl von unterschiedlichen,
wichtigen und unwichtigen Signalen.
Es muss also im Hirn entschieden werden, welche Prozesse in der
Nervenzelle, oder in ganzen Nervengruppen, wesentlich sind und
welche vernachlässigt werden können.
Ein Neuron empfängt seine Signale über eine Art umringendes
„Wurzelwerk“: die Dendriten. Im Zellkern des Neurons werden die
Signale integriert (zusammengefasst) und anschließend zu einem
Fortsatz, dem Axon, weitergeleitet und von da über Verzweigungen an andere Nervenzellen weitergegeben.
Die Signalweiterleitung im Neuron erfolgt durch die Fortpflanzung
von Spannungs-änderungen (Membranpotential) entlang der elektrisch geladenen Zellmembran. Dort kann ein Spannungs-impuls
(ein „Aktionspotential“) ausgelöst werden, solche Spannungsimpulse werden „Spikes“ genannt. Sie unterscheiden sich durch unterschiedliche Frequenzen, zusammengesetzt ergeben sie einen
Code. „Spikes“ sind also sozusagen die Einzelbuchstaben in der
„Sprache der Neuronen“.
D.h. dass alle unsere Wahrnehmungen, Gefühle und dergleichen
auf einem, durch Kombination von Spikes aufgebauten, neuralen
Code entstehen.
Diese Kombination alleine ergibt aber noch nicht eine Information
über die Bedeutung, die Herkunft und die Zuordnung des Signals,
wie z.B. „eine rote Rose“
Dazu wird der Reiz auf der neuralen Bahn weitergeleitet, die vom
Sinnesrezeptor bis zu dem betreffenden Neuron führt. Dieser Vorgang wird „Reizmodulation“ genannt.
117
Eine weitere Präzisierung des Informationsinhalts wird durch einen
zusätzlichen Codierungs-Schritt erzielt, nämlich durch die Einbringung einer spezifischen Pulsrate der Neuronen pro Zeiteinheit, die
eine sog. „Ratenantwort“ ergibt.
Bleibt noch die Frage, wie wesentliche von unwesentlicher Information als solche erkannt werden kann. Dieses Problem wird dadurch gelöst, dass komplexe Reizmuster durch die zeitliche Abfolge der Aktionspotentiale von Neuronen-Gruppen zusätzlich codiert werden. Die Information ist dadurch kategorisiert. Sie wird
nun den zuständigen neurocorticalen Säulen, z.B. motorisch oder
visuell, zur Aktion zugeleitet.
Zusätzlich findet zwischendurch auch noch eine Evaluierung, man
könnte es auch eine Feinabstimmung nennen, der sensorischen
Informationen, mit Hilfe des limbischen Systems statt. Dabei
werden im Prozess des „Reentry“ (siehe Bewusstseinsbildung) die
eingegangenen Umweltinformationen, anhand von Gedächtnisinhalten auf ihre Bedeutung für das Individuum ausgewertet, als
z.B. „angenehm“, oder „gefährdend“, „schlecht“ oder „gut“, usw.
Man fasst dieses System auch auf als die „Brücke zwischen der
Innen- und der Außen- Welt.“
118
ANHANG II
„Plausibility of Life“ Kirschner u.a.: Genetics does not tell us
much about how genetic change causes complex changes in organisms. Only in the last few decades have such cellular and developmental mechanisms been identified. These mechanisms
speak most directly to the question of the origins of novelty. The
genomes of bacteria, fungi, plants, fish, mice and human were sequenced and compared, and it turned out that many genes are
similar across these disparate species, apparently conserved from
remote ancestors. It was realized that we possess 22,500 genes,
only six times the number possessed by a bacterial cell, the simplest of all known free-living organisms.
How can their differences of anatomy, physiology, and behaviour
be explained when many of their genes are so similar? How could
human complexity be achieved with so few genes?
The answer lies in the multiple uses of versatile conserved components. It is not the “Gesamtorganismus” in particular that is so
remarkable, but the multi-functioning protein components and
their forms of regulation that allow them to be easily connected in
many ways toward various ends.
Selection has preoccupied explaining the evolution.
Cardinal issue in evolution is the origin of complex and heritable
variation from a limited reservoir of components.
119
120
http://bewusstsein-evolution.jimdo.com
phylogenetic tree of life
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