NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews

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Dossier
NS-Zwangsarbeit.
Lernen mit
Interviews
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
2
Einleitung
Das nationalsozialistische Deutschland schuf eines der größten Zwangsarbeits-Systeme der
Geschichte. Über 13 Millionen zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und
Häftlinge arbeiteten im Zweiten Weltkrieg im Deutschen Reich. Auch in den besetzten Gebieten wurden
Millionen Männer, Frauen und Kinder zur Arbeit für den Feind gezwungen.
Erst 55 Jahre nach Kriegsende rief die Entschädigungs-Debatte die lange Zeit vergessenen Opfer der
Zwangsarbeit wieder ins Gedächtnis. Um diese Erinnerung auch in Zukunft lebendig zu halten, stellt
das Interview-Archiv Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte (http://www.
zwangsarbeit-archiv.de/") 590 Erinnerungsberichte ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter im Internet bereit.
Auf diesen lebensgeschichtlichen Video-Interviews beruht das von der Stiftung "Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft" geförderte neue Online-Bildungsangebot Lernen mit Interviews (http://
zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de) der Freien Universität Berlin: Sieben biografische Kurzfilme
vermitteln unterschiedliche Erfahrungen in Lagern und Fabriken; zwei Hintergrundfilme informieren
über Thema und Quellengattung. Zusatzmaterialien und interaktive Aufgaben unterstützen das
forschende Lernen zu Zwangsarbeit und Oral History.
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Inhaltsverzeichnis
1.
Überblick: Die nationalsozialistische Zwangsarbeit
4
2.
Begriffe: Fremdarbeiter – Zwangsarbeiter – Sklavenarbeiter
7
3.
Zeitzeugen erzählen
11
3.1
Sinaida Baschlai. Eine ukrainische "Ostarbeiterin" in Haushalt und Rüstungsindustrie
12
3.2
Reinhard Florian. Verfolgung und Sklavenarbeit eines deutschen Sinto
14
3.3
Helena Bohle-Szacki. Eine deutsch-jüdische Polin in KZ und Emigration
16
3.4
Claudio Sommaruga. Zwangsarbeit und Verweigerung eines italienischen Militärinternierten
18
3.5
Victor Laville. Ein französischer Zwangsarbeiter in Bayern
20
3.6
Anita Lasker-Wallfisch. Musikerin – Jüdin – Überlebende
22
4.
Profiteure, Helfer, Handlungsspielräume
24
5.
Nach 1945: Vergessene Opfer, vergessene Lager
29
6.
Der lange Weg zur Entschädigung
35
7.
Oral History als Methode
40
8.
Lernen mit Interviews
43
9.
Expertengespräche
48
9.1
Zum Umgang mit der NS-Zwangsarbeit seit 1945
49
9.2
Das Projekt „Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und
Zwangsarbeitern“
51
9.3
Zur Entstehung und Arbeit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"
53
10.
Literatur
55
11.
Redaktion
56
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4
Überblick: Die nationalsozialistische
Zwangsarbeit
Von Cord Pagenstecher
1.6.2016
Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich
Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".
Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs arbeiteten über 13 Millionen zivile Zwangsarbeiter,
Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich. Die Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter hielten landwirtschaftliche Versorgung und Rüstungsproduktion aufrecht. Die
Industrie profitierte von der Ausweitung der Produktion, deutsche Beschäftigte stiegen in
Vorarbeiter-Stellen auf.
Zwangsarbeit in der Kriegswirtschaft
Im Zweiten Weltkrieg fehlten der deutschen Kriegswirtschaft in großem Umfang Arbeitskräfte. Daher
setzten Staat und Wirtschaft auf den massenhaften Einsatz von ausländischen Arbeitskräften. Alle
überfallenen Länder wurden als Arbeitskräftereservoir für Deutschland genutzt. Anfängliche
Anwerbungsversuche hatten geringen Erfolg; nach Tschechien und Polen wurden ab 1940 auch aus
Westeuropa immer mehr Männer und Frauen – zum Teil in kompletten Jahrgängen –
zwangsverpflichtet.
Die große Wende brachte aber das Jahr 1942, als das Deutsche Reich nach dem Scheitern der "
Blitzkrieg"-Strategie auf die Kriegswirtschaft des"totalen Kriegs" umstellte. Dies war angesichts der
Einberufung fast aller deutschen Männer nur mit der massenhaften Ausbeutung ausländischer
Arbeitskräfte durchzuführen. Sie bildeten mehr als ein Viertel, in manchen Werksabteilungen bis zu
60 Prozent der Belegschaft. Nur mit ihnen wurde die Versorgung der Bevölkerung und die von Albert
Speer als dem zuständigen Minister organisierte Rüstungsproduktion aufrechterhalten.
Großunternehmen wie auch kleine Handwerksbetriebe, Kommunen und Behörden, aber auch Bauern
und private Haushalte forderten immer mehr ausländische Arbeitskräfte an und waren so
mitverantwortlich für das System der Zwangsarbeit. Die Industrie profitierte von der starken Ausweitung
der Produktion, die dadurch erst möglich wurde.
Auf dem Höhepunkt des "Ausländereinsatzes" im August 1944 arbeiteten sechs Millionen zivile
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Deutschen Reich, die meisten davon aus Polen und der
Sowjetunion. Über ein Drittel waren Frauen, von denen manche gemeinsam mit ihren Kindern
verschleppt wurden oder diese in den Lagern zur Welt brachten. Außerdem mussten 1944 fast zwei
Millionen Kriegsgefangene in der deutschen Wirtschaft arbeiten. Immer stärker griff die deutsche
Industrie auch auf Konzentrationslager-Häftlinge zu.
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Die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
Die Lebensbedingungen der zwangsweise in Deutschland oder in den besetzten Gebieten für
Deutschland arbeitenden Menschen waren je nach Nation, rechtlichem Status und Geschlecht
unterschiedlich. Menschen aus der Sowjetunion (im NS-Jargon sogenannte Ostarbeiter) und aus Polen
waren durch diskriminierende Sondererlasse der Willkür der Gestapo und anderer polizeilicher
Dienststellen wehrlos ausgeliefert. Sie durften ihre Lager oft nur zur Arbeit verlassen und mussten
entsprechende Kennzeichen ("OST", "P") auf der Brust tragen.
Gestützt wurde diese rassistische Hierarchie des NS-Regimes durch die innerhalb der deutschen
Bevölkerung weit verbreiteten antislawischen Vorurteile, die zu vielen zusätzlichen Beleidigungen,
Denunziationen und Misshandlungen führten. Auch die nach dem Kriegsaustritt Italiens im Herbst 1943
als "Militärinternierte" nach Deutschland verschleppten Italiener wurden als angebliche Verräter
miserabel behandelt.
Erträglicher, aber dennoch entbehrungsreich und demütigend, war das Leben für westeuropäische
oder der "nordischen Rasse" zugerechnete Facharbeiter und Ingenieure. Am schlimmsten war das
Schicksal der Konzentrationslager-Häftlinge, vor allem der zur "Vernichtung durch Arbeit
" vorgesehenen Jüdinnen, Juden, Sinti und Roma.
Ein System rassistisch-bürokratischer Repression
Alle ausländischen Arbeitskräfte wurden durch einen rassistisch-bürokratischen Repressions- und
Kontrollapparat aus Wehrmacht, Arbeitsamt, Werkschutz, Polizei und SS streng überwacht. Sie wurden
in zugige Baracken oder in überfüllte Gaststätten und Festsäle eingepfercht. In den Lager- und
Betriebskantinen wurden sie nur äußerst unzureichend verpflegt; ohne Lebensmittelmarken konnten
sie von ihrem geringen Lohn nichts zu Essen kaufen und litten ständig Hunger. Die wenigen nach der
oft zwölfstündigen Arbeitsschicht verbleibenden Stunden Freizeit nutzten sie zunächst, um ihr
Überleben zu sichern. Sie versuchten auf dem Schwarzmarkt Brot zu erstehen oder putzten – gegen
ein Mittagessen – für eine deutsche Familie. Damit konnten sich auch ärmere Deutsche ein
Dienstmädchen oder einen Bauarbeiter ins Haus holen – wortwörtlich für ein Butterbrot.
Den Bombenangriffen waren die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter noch wehrloser ausgesetzt
als die deutsche Bevölkerung, da sie meist keinen Zugang zu Schutzräumen hatten. Viele Frauen
litten unter zusätzlichen Schikanen und Gewalttätigkeiten.
Trotz Repression, Denunziation, Orientierungslosigkeit und der verheerenden Lebensbedingungen in
der besetzten und ausgeplünderten Heimat versuchten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
immer wieder zu fliehen; auch gab es Ansätze zu Widerstand und Sabotage. Ohne juristische
Einspruchsmöglichkeiten und allein schon bei Verdacht auf diese Delikte konnten sie im Extremfall in
Konzentrationslager eingewiesen oder gar hingerichtet werden. Im Falle von "Bummelei" oder
Arbeitsverweigerung drohten die berüchtigten Arbeitserziehungslager.
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Nach der Befreiung
Das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte Millionen versklavter und todesbedrohter Menschen die
Befreiung. Nach ihrer Befreiung machten sich viele ehemalige Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter auf eigene Faust sofort auf den Heimweg; andere lebten als "Displaced Persons" oder "
Repatrianten" weiterhin in Lagern und warteten auf ihre Rückkehr oder Ausreise ins westliche Ausland.
Für viele, insbesondere sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter war der Leidensweg
1945 noch nicht zu Ende. Sie wurden in ihrer Heimat pauschal der Kollaboration mit den Deutschen
verdächtigt; nicht wenige verschwanden in den stalinistischen Lagern. Die meisten leiden noch immer
und besonders im Alter unter den psychischen und physischen Folgeschäden des "Totaleinsatzes" (so
die tschechische Bezeichnung für die NS-Zwangsarbeit). In vielen osteuropäischen Ländern leben sie
nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften am Rand des Existenzminimums. In
Deutschland wurde die NS-Zwangsarbeit – trotz ihrer Verurteilung in den Nürnberger Prozessen –
jahrzehntelang als übliche Begleiterscheinung von Krieg und Besatzungsherrschaft bezeichnet und
damit zugleich bagatellisiert, nicht aber als spezifisches NS-Unrecht anerkannt.
Entschädigung und Erinnerung
Die deutschen Regierungen und die von dem Sklaveneinsatz profitierenden Betriebe lehnten lange
Zeit – von wenigen Ausnahmen abgesehen – jegliche Übernahme von Verantwortung für diese Opfer
ab. Erst 65 Jahre nach Kriegsende rief die Entschädigungs-Debatte die lange Zeit vergessenen Opfer
der Zwangsarbeit wieder ins Gedächtnis. Überall in Deutschland erforschten lokale Initiativen die
Geschichte der Zwangsarbeit, organisierten Begegnungen, sammelten Erinnerungen und errichteten
Gedenkstätten.
Die im Jahr 2000 gegründete Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" zahlte eine
Gesamtsumme von rund 4,7 Mrd. Euro an 1,7 Mio. Überlebende aus. Um die Erinnerung an die NSZwangsarbeit auch in Zukunft zu bewahren, stellt das Interview-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945.
Erinnerungen und Geschichte" 590 Erinnerungsberichte ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter im Internet bereit. Die dazugehörige Online-Lernumgebung "Lernen mit Interviews
" stellt beispielhaft sieben Video-Interviews vor.
Weiterführende Links
Interview-Archiv Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte (http://www.zwangsarbeitarchiv.de)
Lernumgebung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945", Hintergrundfilm Zwangsarbeit und
Entschädigung (http://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/ hintergrund/zwangsarbeit-und-entschadigung#)
mit Zusatzmaterialien (Registrierung notwendig)
Bücher und Medien zur NS-Zwangsarbeit (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/buecher_medien/index.
html)
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de
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Begriffe: Fremdarbeiter –
Zwangsarbeiter – Sklavenarbeiter
Von Cord Pagenstecher
1.6.2016
Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich
Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".
In Quellen und Literatur werden unterschiedliche Begriffe verwendet, um die
nationalsozialistische Zwangsarbeit zu bezeichnen. Der Oberbegriff "Zwangsarbeit" umfasst
verschiedene Formen des Arbeitseinsatzes und konnte unterschiedliche Lebensumstände
bedeuten.
Auch in den zeitgenössischen Quellen finden wir verschiedene Bezeichnungen für Zwangsarbeit: Oft
schrieben die Dienststellen oder Betriebe von "Ausländern", aber auch von "Gefangenen" oder "
Fremdvölkischen", manchmal sogar von "Gastarbeitern". Im mündlichen Sprachgebrauch waren auch
Schimpfwörter wie "Polenschweine" oder "Russenweiber" gängig. Hier werden die wichtigsten
Bezeichnungen kurz erläutert.
Zwangsarbeit
Arbeit, die mit nicht-wirtschaftlichem Zwang und unter Androhung von Strafe verlangt wird. Unter
Zwangsarbeit im Nationalsozialismus versteht man insbesondere die Verschleppung und Ausbeutung
von über 13 Millionen ausländischen KZ-Häftlingen, Kriegsgefangenen und zivilen Arbeitskräften in
Deutschland. Zwangsarbeit gab es auch in Ghettos, Arbeitserziehungslagern und anderen Lagern im
gesamten besetzten Europa und betraf insgesamt etwa zwanzig Millionen Menschen. Deutsche
Jüdinnen und Juden und deutsche Häftlinge leisteten ebenfalls Zwangsarbeit. Daneben herrschte in
vielen besetzten Ländern ein allgemeiner Arbeitszwang für die Zivilbevölkerung. Davon abzugrenzen
sind die Arbeitspflichten für die deutsche Bevölkerung (Reichsarbeitsdienst, Dienstverpflichtung,
Landjahr), die unter völlig anderen Bedingungen stattfanden.
Fremdarbeiter
Umgangssprachliche Bezeichnung für zivile Zwangsarbeiter im Nationalsozialismus. Der Begriff "
Fremdarbeiter" verschleiert den Zwang als Grundlage des Arbeitseinsatzes. Selbst die ursprünglich
freiwillig, d. h. oftmals aus wirtschaftlicher Not nach Deutschland gekommenen "Fremdarbeiter" durften
später ihren Arbeitsplatz nicht mehr verlassen. Der in den Quellen nur selten verwendete Begriff "
Fremdarbeiter" fand nach 1945 Verbreitung, um den nationalsozialistischen Ausländereinsatz von der
Beschäftigung der "Gastarbeiter" in der Bundesrepublik zu unterscheiden. In politischen Debatten
werden Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten noch heute gelegentlich als "Fremdarbeiter
" bezeichnet.
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Fremdvölkische
Nationalsozialistische Bezeichnung für Menschen, die nicht "germanischer Abstammung" waren und
nicht zur "Volksgemeinschaft" zählten. Als "fremdvölkisch" galten alle Ausländerinnen und Ausländer,
die nicht aus "germanischen" Ländern wie den Niederlanden oder Skandinavien kamen. Als "rassisch
minderwertig" wurden insbesondere Slawinnen und Slawen angesehen. Ganz unten in der NSRassenhierarchie standen Jüdinnen und Juden, "Zigeuner" und "Farbige"; sie galten als "fremdvölkisch
", auch wenn sie Deutsche waren.
Sklavenarbeiter
Heutige Bezeichnung für völlig rechtlose Arbeitskräfte, vor allem für die Häftlinge von
Konzentrationslagern. Der Begriff "Sklavenarbeiter" wurde in den Nürnberger Prozessen für alle zur
Arbeit ins Reich Verschleppten verwendet. In den Entschädigungsverhandlungen der 1990er Jahre
bezeichnete er dagegen nur die Gruppe der KZ-Häftlinge, die für die SS, für private oder staatliche
Unternehmen arbeiten mussten und extrem ausgebeutet wurden ("Vernichtung durch Arbeit"). Der mit
diesem Begriff verbundene Vergleich der NS-Zwangsarbeit mit der Sklaverei in anderen Epochen ist
umstritten, unter anderen, weil die SS im Unter-schied zu anderen Sklavenhaltern kaum am Überleben
ihrer "Sklavenarbeiter" interessiert war.
Am 1. Oktober 1946 endete der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, der die "Sklavenarbeit" als zentrales
Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten verurteilte. Im folgenden Video sprechen zwei Zeitzeugen und eine
Zeitzeugin über Zwangsarbeit als Sklaverei. Sie verwenden den Begriff "Sklave" in unterschiedlichen Bedeutungen.
Ausschnitte aus den Video-Interviews mit den Zwangsarbeitern Wasyl B., Bloeme E. und Claudio S. (http://www.bpb.
de/mediathek/227592/sklavenarbeit)
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Zivilarbeiter
Heutige Bezeichnung für Zwangsarbeiter, die keine Kriegsgefangenen oder KZ-Häftlinge waren. Im
Sommer 1944 gab es im Deutschen Reich rund 5,7 Millionen ausländische Zivilarbeiterinnen und
Zivilarbeiter. Sie wurden von privaten Firmen, Behörden, Bauern oder Familien beschäftigt,
untergebracht und überwacht. Kriegsgefangene und Militärinternierte unterstanden dagegen der
Wehrmacht, Häftlinge der SS oder der Gestapo. Die Bezeichnung "Zivilarbeiter" verweist also nicht
auf besonders zivilisierte Lebensumstände, sondern nur auf die nicht-militärische Verantwortung für
ihre Zwangsarbeit.
Ostarbeiter
Nationalsozialistische Bezeichnung für Zivilarbeiter, die aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion
stammten. Nach der anfänglichen Anwerbung von Freiwilligen folgte sehr bald die gewaltsame
Verschleppung von 2,1 Millionen sowjetischen Frauen und Männern nach Deutschland. "
Ostarbeiterinnen" und "Ostarbeiter" mussten das diskriminierende "OST"-Abzeichen tragen, wurden
meistens in besonderen Lagern untergebracht und weitaus schlechter behandelt als
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus anderen Ländern. Nach der Befreiung wurden viele von
ihnen in der Sowjetunion wegen angeblicher Kollaboration diskriminiert oder verfolgt. Menschen aus
Polen zählten nicht zu den "Ostarbeitern", wurden aber als Slawen ebenfalls besonders schlecht
behandelt.
Am 20. Februar 1942 gab Heinrich Himmler die "Ostarbeiter-Erlasse" heraus. Sie unterwarfen über drei Millionen aus
der Sowjetunion verschleppte zivile Arbeitskräfte einem diskriminierenden Sonderrecht. Im folgenden InterviewAusschnitt (Audio) berichtet eine Zeitzeugin, wie sie bei der Zwangsarbeit in Chemnitz als "Ostarbeiterin" behandelt
wurde. Audio-Slideshow mit Ausschnitten aus dem Audio-Interview und Fotos der sowjetischen Zwangsarbeiterin
Hanna Fedoriwna H., Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945". Aktuelle Fotos der Diamant-Werke: Udo Thierfelder (http://
www.bpb.de/mediathek/227595/20-februar-1942-die-ostarbeiter-erlasse)
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Weiterführende Links
Nationalsozialistische Lager: Begriffserklärungen zu Konzentrations-, Kriegsgefangenen-,
Zwangsarbeiter- und anderen Lagern (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/zwangsarbeit/erfahrungen/
lager/index.html) auf der Webseite "Zwangsarbeit 1939-1945"
Lexikon in der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945" mit ca. 150
Begriffserläuterungen zur NS-Zwangsarbeit (http://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/dictionary/)
(Registrierung notwendig)
Themenfilm 8. März 1940: Die Polen-Erlasse (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/zwangsarbeit/
ereignisse/polenerlasse) auf der Webseite "Zwangsarbeit 1939-1945" (Ausschnitte aus 3 Interviews,
10 Minuten)
Themenfilm 8. September 1943: Die italienischen Militärinternierten (http://www.zwangsarbeit-archiv.
de/zwangsarbeit/ereignisse/8-september/) auf der Webseite "Zwangsarbeit 1939-1945" (Ausschnitte
aus 3 Interviews, 9 Minuten)
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de
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Zeitzeugen erzählen
11.10.2016
Der Begriff „Zwangsarbeit“ umfasst verschiedene Formen des Arbeitseinsatzes, die unterschiedliche
individuelle Erfahrungen bedeuteten. Zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hatten mehr
Freiraum als Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge. Die Zwangsarbeit in Bergwerken und Bunkerbauten
war schlimmer als ein Einsatz in der Haus- und Landwirtschaft. In den besetzten Gebieten herrschten
andere Bedingungen als im Reich selbst. Frauen litten unter zusätzlichen Schikanen. Menschen
slawischer Abstammung wurden besonders diskriminiert. Viele Roma und jüdische Häftlinge wurden
sogar zu Opfern der „Vernichtung durch Arbeit“, während ihre Arbeitsfähigkeit andere wiederum
zumindest zeitweise vor der Ermordung rettete.
Die Vielfalt dieser Erfahrungen zeigt sich in den höchst unterschiedlichen individuellen Erinnerungen
der Überlebenden. Ihre verschiedenen Lebenswege eröffnen zugleich eine internationale Perspektive
auf die NS-Zwangsarbeit als Teil der europäischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs. In der OnlineAnwendung Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945 (http://zwangsarbeit.lernen-mitinterviews.de) (Registrierung notwendig) berichten sechs Vertreterinnen und Vertreter
unterschiedlicher Opfergruppen von ihren Erfahrungen in Lagern und Fabriken. Ihre Lebenswege
werden hier vorgestellt.
Weiterführende Links:
Themenfilm 8. September 1943: Die italienischen Militärinternierten (http://www.zwangsarbeit-archiv.
de/zwangsarbeit/ereignisse/8-september/) auf der Webseite „Zwangsarbeit 1939-1945“ (Ausschnitte
aus 3 Interviews, 9 Minuten)
Themenfilm Sinti und Roma: Der Beginn der Verfolgung (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/
zwangsarbeit/ereignisse/sintiundroma/) auf der Webseite „Zwangsarbeit 1939-1945“ (Ausschnitte aus
einem Interview, 8 Minuten)
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Sinaida Baschlai. Eine ukrainische "Ostarbeiterin" in
Haushalt und Rüstungsindustrie
11.5.2016
1942: Verschleppung nach Berlin und Arbeit in der Fabrik (© 2016 Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945") (http://www.bpb.
de/mediathek/240044/sinaida-baschlai)
1914: Geburt in Belgorod
(Russisches Reich, heute Russland)
1916-1942: Kindheit und Jugend in Charkow
Umzug nach Charkow
Schulbesuch und Studium als technische Zeichnerin und Konstrukteurin Arbeit als Ingenieurin bei "
Giprokoks"
1942: Zwangsarbeit in Berlin
Verschleppung zur Zwangsarbeit bei der Firma "Schwarzkopf" in Berlin-Tempelhof
Später Arbeit als Dienstmädchen bei einer baltendeutschen Familie in Berlin-Steglitz
1943: Zwangsarbeit in Bäckerei in Schönstadt
Nach Luftangriffen auf Berlin zieht die Hausherrin nach Hessen und nimmt Sinaida Baschlai mit
Arbeit in einer Bäckerei in Schönstadt bei Marburg
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Sommer 1944: Zwangsarbeit für die WASAG in Allendorf
Arbeit in der Munitionsfabrik, Unterbringung im "Russenlager"
April 1945: Überprüfung in Filtrierlager Magdeburg
Befreiung durch US-Truppen, dann Überprüfung in einem Filtrierlager in Magdeburg (Sowjetische
Besatzungszone)
Oktober 1945: Rückkehr nach Charkow
(Sowjetunion, heute Ukraine)
Wiedereinstellung bei "Giprokoks"
1978: Rente
1984: Heirat
Weiterführender Link:
Sinaida Baschlai. Eine ukrainische ‘Ostarbeiterin’ in Haushalt und Rüstungsindustrie (http://
zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/menschen/sinaida-baschlai)
Biografischer Kurzfilm in der Online-Anwendung „Lernen mit Interviews“ (Registrierung notwendig)
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
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Reinhard Florian. Verfolgung und Sklavenarbeit
eines deutschen Sinto
11.5.2016
"Es fängt alles klein an und groß hört es auf." (© 2016 Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945") (http://www.bpb.de/
mediathek/240053/reinhard-florian)
1923: Geburt in Matheninken bei Insterburg
(Ostpreußen, heute Ugrjumowo, Oblast Kaliningrad, Russland), Schulbesuch
1937: Zwangsverpflichtung als Melker auf einem Rittergut
1941: Inhaftierung in Insterburg
(Ostpreußen, heute Tschernjachowsk, Oblast Kaliningrad, Russland) Monatelanger Transport durch
zahlreiche weitere Gefängnisse in Deutschland
1941: Einlieferung ins KZ Mauthausen
Sklavenarbeit im Steinbruch
1942: Zwangsarbeit im KZ Auschwitz
Gefangenschaft im KZ Auschwitz und seinen Nebenlagern Monowitz, Rydultau (Charlottengrube) und
Blechhammer
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Sklavenarbeit unter anderem im Bergbau
Januar 1945: Transport ins KZ-Außenlager Melk
Wegen Herannahen der Roten Armee Transport über Mauthausen ins KZ Melk (Außenlager von
Mauthausen)
Mai 1945: Befreiung im KZ Ebensee
(Außenlager von Mauthausen)
Nach 1945: Leben in Bayreuth
Lebt als Staatenloser in Bayreuth.
Infolge der KZ-Haft lange arbeitsunfähig
Bis 2014: Aktiv für die Erinnerung
Erst nach 1990 Wiedererlangung der deutschen Staatsangehörigkeit
Ehrengast bei der Eröffnung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma
Europas in Berlin am 24. Oktober 2012
17. März 2014: Reinhard Florian stirbt im Alter von 91 Jahren
Weiterführender Link:
Reinhard Florian. Verfolgung und Sklavenarbeit eines deutschen Sinto (https://zwangsarbeit.lernenmit-interviews.de/menschen/reinhard-florian)
Biografischer Kurzfilm in der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews" (Registrierung notwendig)
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de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
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Helena Bohle-Szacki. Eine deutsch-jüdische Polin in
KZ und Emigration
11.5.2016
1944/45: Im Außenlager Helmbrechts des KZ Flossenbürg (© 2016 Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945") (http://www.
bpb.de/mediathek/240054/helena-bohle-szacki)
1928: Geburt in Białystok (Polen)
Vater deutsch, Mutter jüdisch
1939: sowjetische Besatzung
seit 1941: deutsche Besatzung
Ermordung der Schwester
illegaler Schulbesuch
April 1944: verhaftet
Juni 1944: Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück
Transport ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, inhaftiert als "asoziale Halbjüdin"
Arbeitseinsatz im Lager
Herbst 1944: Transport ins KZ Helmbrechts (Außenlager von Flossenbürg) in Oberfranken
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Zwangsarbeit in der Rüstungsfabrik Neumeyer
Freundschaft mit Gruppe aus Lodz
April/Mai 1945: Todesmarsch nach Falkenau-Zwodau
Todesmarsch nach Böhmen
Befreiung durch amerikanische Truppen im Lager Falkenau-Zwodau (heute Svatava, Tschechien)
1945: Leben in Łódź
Rückkehr über Bialystok nach Łódź (Polen)
Beginn des Kunststudiums
1950: Tod des Vaters nach Verhaftung durch Staatssicherheit
1968: Emigration
Emigration nach West-Berlin wegen Antisemitismus in Polen
Arbeit in der Modebranche und als Künstlerin
21. August 2011: Helena Bohle-Szacki stirbt in Berlin
Weiterführender Link:
Helena Bohle-Szacki. Eine deutsch-jüdische Polin in KZ und Emigration (https://zwangsarbeit.lernenmit-interviews.de/menschen/helena-bohle-szacki)
Biografischer Kurzfilm in der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews" (Registrierung notwendig)
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de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
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Claudio Sommaruga. Zwangsarbeit und
Verweigerung eines italienischen Militärinternierten
11.5.2016
1945: Befreiung und Rückkehr (© 2016 Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945") (http://www.bpb.de/mediathek/240056/
claudio-sommaruga)
1920: Geburt in Genua (Italien)
Schulbesuch
1939: Studium der Geologie
4. September 1943: Einberufung als Offizier
8. September 1943: Gefangennahme in Alessandria (direkt nach der deutschen Besetzung Italiens)
Transport nach Deutschland
September 1943: Ankunft im Kriegsgefangenenlager Stalag X B Sandbostel (bei Bremerhaven)
Anwerbung zu den faschistischen Truppen verweigert
September 1943 - Januar 1944: Kriegsgefangenschaft im Stalag 367 in Tschenstochau (Polen)
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Januar 1944: Transport ins Stalag 307 Dęblin (Polen)
dort später im Offizierslager Oflag 77
im März wegen des russischen Vorstoßes Abtransport nach Westen
Sommer 1944: Kriegsgefangenschaft im Stalag VI G Duisdorf-Hardhöhe (bei Bonn)
weitere Anwerbungsversuche verweigert
August 1944: Zwangsarbeit in Köln
"Straflager AK96", Zwangsarbeit bei der Fallschirmfabrik Glanzstoff & Courtaulds in Köln
Krankenhausaufenthalt
Oktober 1944: Transport nach Wietzendorf
über das Straflager Forellenkrug ins Oflag 83 Wietzendorf (Niedersachsen), auf 38 Kilo abgemagert
April 1945: Befreiung durch kanadische Truppen
August 1945: Rückkehr zur Familie nach Varese (Italien)
Fortsetzung des Studiums an verschiedenen Orten, dann Arbeit als Geologe
seit den 1980er Jahren aktiv in der Erinnerungsarbeit für die italienischen Militärinternierten
4. November 2012: Claudio Sommaruga stirbt
Weiterführender Link:
Claudio Sommaruga. Zwangsarbeit und Verweigerung eines italienischen Militärinternierten (http://
zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/menschen/claudio-sommaruga)
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Victor Laville. Ein französischer Zwangsarbeiter in
Bayern
11.5.2016
1943: Im Bahnkonvoi nach Bayern (© 2016 Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945") (http://www.bpb.de/mediathek/240055/
victor-laville)
18. Juli 1921: Geburt in Grau du Roi (Frankreich)
1928: Schulbesuch in Sète
Bekanntschaft mit dem späteren Chansonnier Georges Brassens, Abitur
1940: Studium in Montpellier
Beginn des Kunststudiums in Montpellier, 1941 Marseille
Veröffentlichung von Zeichnungen
1941 - Juni 1942: Arbeitsdienst in den Cevennen
Waldarbeiten bei den „Chantiers de Jeunesse“ (Arbeitsdienst des Vichy-Regimes) in den Cevennen
März 1943: Zwangsarbeit bei der Luitpoldhütte Amberg (Oberpfalz)
Verpflichtung zum Service du Travail Obligatoire (STO, „Pflichtarbeitsdienst“) bei der Luitpoldhütte der
„Reichswerke Hermann Göring“ in Amberg
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April - Juni 1943: Zwangsarbeit in Hirschau (Oberpfalz)
Arbeit im Zementwerk von Polensky und Zöllner in Hirschau
1943: Zwangsarbeit in Penzberg (Oberbayern)
Vermessungsarbeiten auf einer Baustelle der Reichsbahn
Mai 1944: Rückkehr nach Sète
Victor Laville bleibt nach Heimaturlaub in Sète und taucht in der Nähe unter
Bombardierung seiner Heimatstadt
Nach 1945: Leben in Paris
Arbeit als Gestalter und Redakteur bei „Paris Match“
1981: Rente und Rückkehr nach Sète
Pflegt die Erinnerung an seinen alten Freund, den französischen Chansonnier Georges Brassens
Weiterführender Link:
Victor Laville. Ein französischer Zwangsarbeiter in Bayern (https://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.
de/menschen/victor-laville)
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Anita Lasker-Wallfisch. Musikerin – Jüdin –
Überlebende
11.5.2016
Im Frauenorchester von Auschwitz-Birkenau: 1943 bis 1944 (© 2016 Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945") (http://www.
bpb.de/mediathek/239478/anita-lasker-wallfisch)
17. Juli 1925: Geburt in Breslau
Vater Rechtsanwalt, Mutter Geigerin und Hausfrau, zwei ältere Schwestern, Marianne und Renate
Besuch einer Privatschule und Musikunterricht in Breslau (heute Wrocław, Polen)
Ausreise der ältesten Schwester Marianne 1939 nach England
März 1940: Zwangsumzug
Zwangsumzug und Zusammenleben mit Verwandten
Januar bis Juni 1941: Besuch einer jüdischen Schule Bemühungen des Vaters um die Ausreise
der Familie
Herbst 1941: Zwangsarbeit in Papierfabrik
Zwangsarbeit der Schwestern Anita und Renate in der Sacrauer Papierfabrik, Unterstützung
französischer Kriegsgefangener
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9. April 1942: Deportation der Eltern ins Durchgangsghetto Izbica in Polen
Todesdatum und -ort unbekannt
September 1942: Fluchtversuch und Verhaftung, Gerichtsverhandlung und Gefängnisurteil
Herbst 1943: KZ Auschwitz-Birkenau
Inhaftierung im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Häftlingsnummer 69388; Arbeitskommando:
Frauenorchester
Oktober 1944 bis April 1945: KZ Bergen-Belsen
Ende Oktober 1944 Evakuierungstransport in das KZ Bergen-Belsen
15. April 1945: Befreiung
1945: Nach der Befreiung
Leben im DP-Lager Bergen-Belsen
Herbst 1945 Zeugin im Lüneburger Bergen-Belsen-Prozess, Ausreise nach Brüssel und 1946 nach
England
Ausreise der Schwester Marianne aus London nach Palästina
Ab 1946: Leben in London
Musizieren mit verschiedenen Orchestern
1948 Mitbegründerin des „English Chamber Orchestra“
1952 Heirat mit dem Pianisten Peter Wallfisch; Tod der ältesten Schwester Marianne in Israel
1953 und 1958 Geburt des Sohnes und der Tochter
1990er Jahre: Besuche in Deutschland
Anfang der 1990er Jahre erstmalig wieder in Deutschland, seitdem Auftritte als Zeitzeugin in der
deutschen Öffentlichkeit
1993: Tod des Ehemannes
1996: Anita Lasker-Wallfischs Erinnerungen „Inherit The Truth“ erscheinen
Die deutsche Ausgabe „Ihr sollt die Wahrheit erben. Die Cellistin von Auschwitz“ kommt 1997 heraus
Weiterführender Link:
Anita Lasker-Wallfisch. Musikerin – Jüdin – Überlebende (http://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.
de/menschen/anita-lasker-wallfisch)
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Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Profiteure, Helfer, Handlungsspielräume
Von Cord Pagenstecher
1.6.2016
Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich
Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".
Neben der Rüstungsindustrie profitierten auch öffentliche Dienststellen, Handwerker und
Bauern sowie private Haushalte von der Zwangsarbeit. Mehr noch als andere
nationalsozialistische Massenverbrechen fand die Zwangsarbeit direkt vor der Haustür statt.
Die "Fremdvölkischen" waren auf ihren langen täglichen Arbeitswegen ebenso unübersehbar wie in
den Fabriken und Lagern. Die allgegenwärtige und überall sichtbare Ausbeutung und Diskriminierung
der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurde von der deutschen Bevölkerung weithin
hingenommen oder – wie die hohe Zahl von Denunziationen bei der Gestapo zeigt – gar begrüßt und
unterstützt.
Nicht nur die Rüstungsindustriellen, auch einfache Deutsche profitierten von der Zwangsarbeit, die
ihnen die Lebensmittelversorgung sicherte und einen gewissen sozialen Aufstieg ermöglichte.
Persönliche Kontakte waren verboten, durch Misstrauen und Sprachbarrieren aber ohnehin selten.
Viele ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter berichten gleichwohl von kleinen Anzeichen
von Solidarität oder konkreten Hilfsleistungen wie dem Zustecken von Nahrungsmitteln.
Zwangsarbeit für Industrie, Staat und Handwerk
Die meisten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter waren in den großen
Fabriken der Rüstungsindustrie tätig. Ab 1942 bemühten sich die Firmen aktiv
um die Zuweisung von immer mehr ausländischen Arbeitskräften, um damit
Rüstungsaufträge übernehmen zu können und so an dem von Albert Speer
(http://www.chotzen.de/bibliothek/biografien/albert-speer) organisierten Wirtschaftsboom
teilzuhaben. Ohne Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hätten die
meisten Fabriken schließen müssen, mit ihnen konnten sie ihre
Produktionskapazitäten erheblich ausbauen. Zu Kriegsende produzierte etwa
die zum Flick-Konzern gehörende Spandauer Stahlindustrie mit einem Anteil
von über 80 Prozent Ausländern an der Belegschaft. Millionen von
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in ganz Europa arbeiteten für
große Baufirmen, oft in Verbindung mit der Organisation Todt (http://www.
chotzen.de/bibliothek/glossar/die-organisation-todt). Auch der Bergbau setzte
massenhaft Zwangsarbeiter ein; der Sinto Reinhard Florian etwa musste als
Häftling in einer oberschlesischen Kohlengrube arbeiten. Besonders schlecht
waren die Bedingungen in den Untertage-Projekten, mit denen die
Rüstungsfirmen unterirdische, vor Luftangriffen geschützte Produktionsstätten
einrichteten.
Der Großindustrielle
Günther Quandt besaß
viele Rüstungsfirmen,
die Zwangsarbeiter
einsetzten, 1941. Lizenz:
cc by-sa/3.0/de (Bunde­
sarchiv, Bild 183-B03534)
Ohne Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wäre nicht nur die Rüstungsindustrie, sondern auch
die Versorgung der Deutschen rasch zusammengebrochen. Bahn und Post, Krankenhäuser und
Friedhöfe sowie die meisten städtischen Werke bedienten sich der Zwangsarbeit: Die Berliner
Verkehrsbetriebe (BVG) etwa berichteten dem Arbeitsamt über die "vielen Ostarbeiterkinder bei uns
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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". Der 19-jährige Pole Roman Melnyk musste ab 1940 bei der Berliner Stadtreinigung arbeiten, ehe
er 1942 – vermutlich weil er sich über die schlechten Bedingungen beschwerte – ins
Konzentrationslager Sachsenhausen eingewiesen wurde. Allein für die Reichsbahndirektion Berlin
schufteten 20.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Der Franzose Victor Laville arbeitete
erst für eine Eisengießerei, dann auf einer Baustelle der Reichsbahn. Viele der Verschleppten waren
auch bei kleinen Handels- und Handwerksbetrieben beschäftigt. Die Kreuzberger Weinhandlung
Robert Boos beschäftigte ein Dutzend Ostarbeiter. Der Ukrainer Roman F. arbeitete als Heizergehilfe
im Hotel Adlon.
Zwangsarbeit auf Bauernhöfen und in Privathaushalten
Viele deutsche Bauernhöfe setzten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ein, die die zur
Wehrmacht eingezogenen Knechte, Mägde und Landarbeiter ersetzten. Auf dem Land waren die
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter meist besser verpflegt und weniger von Bombenangriffen
betroffen als in der Stadt; doch mussten sie hart arbeiten, waren isoliert von ihren Landsleuten und
der Willkür ihrer Bauernfamilien ausgesetzt.
Besonders viele sowjetische Zwangsarbeiterinnen wurden als Dienstmädchen in bürgerlichen
Haushalten beschäftigt. Viele leitende Angestellte von Unternehmen und NS-Bürokratie nutzten ihre
Beziehungen, um ihren Ehefrauen eine Haushaltshilfe zu besorgen.
Für die "Ostarbeiterinnen“ bedeutete das eine bessere Versorgung, aber auch lange Arbeitszeiten,
persönliche Willkür und eine höhere Gefahr sexueller Ausbeutung. Die aus Charkow nach Berlin
verschleppte Ingenieurin Sinaida Baschlai wurde zunächst bei der Kosmetikfirma Schwarzkopf
eingesetzt, kam dann aber als Haushaltshilfe in eine Villa am Stadtpark in Steglitz. Ihre Herrin
behandelte sie klassenbewusst, aber nicht schlecht: "Sie war die Herrin, ich ihr Dienstmädchen. Ich
arbeitete den ganzen Tag, und sie konnte sich ans Klavier setzen; sie dachte, wenn sie spielte und
ich arbeitete, würde ich eine bessere Laune bekommen."
Nachbarschaft
Die Zwangsarbeit fand direkt vor der Haustür der Bevölkerung statt; fast jeder Deutsche hatte ein
Zwangsarbeiterlager in der Nachbarschaft. In Münster sind 180 solcher Unterkünfte nachgewiesen,
in Hamburg 1300, in Berlin über 3000. Mancher Volksgenosse protestierte gegen die Einrichtung eines
Ausländerlagers in seinem Wohngebiet und die – so ein Berliner in einer Beschwerde – damit drohende
"Überflutung der Gegend durch herumlungernde Ausländer".
Josef Kroupa erinnert sich
Auf einem Privatfoto aus dem Jahr 1942 feiert Familie K. im Garten hinter dem Haus eine Einschulung;
im Hintergrund sieht man eine Baracke. In diesen Baracken in der Steinstraße lebten Zwangsarbeiter
der Reichspostdirektion Berlin. Der Tscheche Josef Kroupa erinnerte sich 1997: „Wir schliefen auch
bei strengsten Frösten nur unter einer Decke. Wir haben uns einen Ofen organisiert, Zweige und Kohle
am Bahnhof gesammelt, um uns wenigstens Tee zu kochen. […] Es war ein Hundeleben.“* Im
Nachbargarten jedoch lief das bürgerliche Familienleben unberührt weiter. Was der Familie K. über
das benachbarte Zwangsarbeiterlager bekannt war, ist unbekannt – die auf dem Foto vorne abgebildete
Zeitzeugin erinnert sich kaum noch daran.
* Erinnerungsbericht von Josef Kroupa, 1997, Sammlung Berliner Geschichtswerkstatt
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Auch auf ihren langen täglichen Arbeitswegen waren die "Fremdvölkischen" unübersehbar. Viele
Deutsche erinnerten sich noch lange nach dem Krieg an das typische Klappern der Holzpantinen auf
dem Pflaster, wenn die Lagerinsassinnen und -insassen zur Arbeit geführt wurden. Mit einem
Sonderfahrplan regelte die Reichsbahndirektion Berlin im Juli 1944 den S-Bahn-Transport von
russischen Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen durch Berlin. Danach passierte beispielsweise jeden
Werktag um 6:16 Uhr ein Sonderzug mit Ostarbeitern den Bahnhof Bornholmer Straße. Die Direktion
merkte an: "Die Sonderzüge sind auf allen Bahnhöfen mit dem Richtungsschild 'Nicht einsteigen'
anzukündigen."
Misstrauen
Die von der NS-Sondergesetzgebung vorgegebene Abschottung der "Fremdvölkischen" beschränkte
die Kontakte zwischen Deutschen und Ausländern. Der "verbotene Umgang" wurde teilweise streng
verfolgt. Die Sprachbarriere und das gegenseitige Misstrauen taten ein Übriges, um – in der Großstadt
ohnehin seltenere – persönliche Beziehungen zu verhindern. In die anfangs oft siegesgewiss
überhebliche Wahrnehmung der Ausländer mischte sich gegen Ende des Krieges nun häufiger Angst
vor den Fremden. Die Journalistin Ursula von Kardorff notierte Ende 1944 in ihrem Tagebuch: "Die
Fremdarbeiter sollen vorzüglich organisiert sein. Es heißt, daß Agenten unter ihnen sind, Offiziere,
Abgesandte der verschiedenen Untergrundbewegungen, die gut mit Waffen ausgerüstet seien, auch
mit Sendegeräten. […] Zwölf Millionen Fremdarbeiter gibt es in Deutschland. Eine Armee für sich.
Manche nennen sie das Trojanische Pferd des heutigen Krieges."[1]
Hilfsleistungen
Nahezu drei Millionen Frauen, Männer und Kinder aus Polen mussten während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeit
in Deutschland leisten. Die Begegnungen mit Deutschen prägten entscheidend ihre Erinnerung daran. In diesem
Video sprechen eine Zeitzeugin und ein Zeitzeuge über ihre Erfahrungen mit einzelnen Deutschen. Ausschnitte aus
den Videointerviews mit Janina Halina G. und Zdzisław D. (http://www.bpb.de/mediathek/227598/gute-deutscheschlechte-deutsche)
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Viele ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter berichten gleichwohl von konkreten
Hilfsleistungen wie dem Zustecken von Nahrungsmitteln. Dieses zwischenmenschliche Mitgefühl war
von großer Bedeutung für das Überleben der Ausländer, aber auch für die moralische Integrität der
Helfenden. In Berlin ist eine ganze Reihe von Hilfsaktionen aus Reihen des deutschen, vor allem des
Arbeiterwiderstands dokumentiert. Die Zwangsarbeiter registrierten aufmerksam jedes Anzeichen von
Solidarität. Jerzy Bukowiecki aus Polen etwa erinnerte sich 1998: "Es arbeitete dort auch ein alter
Mann […]. Dieser sehr sympathische alte Mann fing jede Unterredung mit 'Hitler kaputt' an. Er hasste,
nicht weniger als wir, Hitler und alle Nazileute. Sein Gruß war: 'Hitler kaputt.' Allen Ausländern war er
sehr sympathisch."[2]
Zustimmungsdiktatur
Überwiegend wurde die "Apartheid nebenan" von den Deutschen aber akzeptiert, wenn sie nicht gar
die nationalsozialistische Herrenmenschen-Ideologie fanatisch unterstützten. Die meisten
Verhaftungen und Bestrafungen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern gingen auf Anzeigen
von Meistern und Lagerführern, aber auch auf Denunziationen von unbeteiligten Nachbarn oder
Passanten zurück. Gerade im Kontext der Zwangsarbeit erscheint Götz Alys Wort von der
"Zustimmungsdiktatur"[3] zutreffend. Auch die deutschen Arbeiter profitierten schließlich von dem
massenhaften Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Zwar trug Zwangsarbeit dazu
bei, dass auch immer mehr Facharbeitern die Einberufung an die Front drohte, da Ausländerinnen
und Ausländer ihre Arbeit übernahmen. Andererseits erlaubte die Zwangsarbeit einfachen Arbeitern
einen sozialen Aufstieg, etwa durch Aufrücken in Vorarbeiter-Stellen, und bewahrte viele, vor allem
allerdings bürgerliche, Frauen vor einer Dienstverpflichtung in der Rüstungsindustrie. Zusammen mit
der durch die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gesicherten Versorgung der deutschen
Bevölkerung stärkte dies den Zusammenhalt unter den "Volksgenossen".
Lagerführer
Die meisten Deutschen hatten freilich nur begrenzte Handlungsspielräume, sofern sie nicht in ihrer
beruflichen Position mit den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern zu tun hatten, etwa als
Abwehrbeauftragter, Werkschutzmann oder Lagerführer. Besondere Verantwortung trug der
Abwehrbeauftragte, in kleineren Betrieben meist identisch mit dem Betriebsführer. Ihm unterstanden
die Werkschutzmänner, die die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter oft in gewalttätiger Weise –
beaufsichtigten.
Die Lagerführer der betriebseigenen Lager unterstanden ebenfalls dem Abwehrbeauftragten. Vor Ort
hatten die Lagerführer einen großen Handlungsspielraum gegenüber ihren Insassen, waren aber auch
mit einer Vielzahl organisatorischer Aufgaben beschäftigt. In einem Lager der Evangelischen Kirche
Berlin verhielt sich etwas ein Lagerführer ruhig und verständnisvoll, während der andere häufig schlug
und mit der Gestapo drohte.
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
28
Weiterführende Links und Literatur
Hintergrundfilm Zwangsarbeit und Entschädigung (https://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/
hintergrund/zwangsarbeit-und-entschadigung#) mit Zusatzmaterialien in der Online-Anwendung
"Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945" (Registrierung notwendig)
Zwangsarbeit. Die Zeitzeugen-App
geschichtswerkstatt.de/app.html)
der
Berliner
Geschichtswerkstatt
(http://www.berliner-
Buggeln, Marc/Pagenstecher, Cord: Zwangsarbeit, in: Berlin 1933-1945, hg. v. Michael Wildt und
Christoph Kreutzmüller, München: Siedler 2013, 127–142
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de
Fußnoten
1.
2.
3.
Ursula von Kardorff, Berliner Aufzeichnungen 1942-1945, München 1962
Bericht Jerzy Bukowiecki, Archiv Berliner Geschichtswerkstatt, zwa.br.pl 599.
Vgl. Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt/M. 2005
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Nach 1945: Vergessene Opfer,
vergessene Lager
Von Cord Pagenstecher
1.6.2016
Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich
Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".
In Deutschland wurde Zwangsarbeit lange als Begleiterscheinung von Besatzung und Krieg
bagatellisiert. Erst in den 1980er und 1990er Jahren gelang es Opferverbändern und lokalen
Erinnerungsverbänden, sich Gehör zu verschaffen. Die Entschädigungsdebatte Anfang der
2000er Jahre ließ die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter schließlich aus ihrer Rolle als
"vergessene Opfer" heraustreten.
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zählten lange zu den vergessenen Opfern des
Nationalsozialismus. Nach ihrer Befreiung machten sich viele auf eigene Faust sofort auf den Heimweg
und waren damit schlagartig aus dem Blickfeld der Deutschen verschwunden. Andere lebten als
"Displaced Persons" (http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration/56359/nach-dem-2weltkrieg) (DPs) oder "Repatrianten" weiterhin in Lagern und warteten auf ihre Rückkehr oder
Weiterreise. Für viele, insbesondere sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter war der
Leidensweg 1945 noch nicht zu Ende. Sie wurden in ihrer Heimat pauschal der Kollaboration mit den
Deutschen verdächtigt; nicht wenige verschwanden in den stalinistischen Lagern.
In Deutschland wurde die NS-Zwangsarbeit – trotz ihrer Verurteilung in den Nürnberger Prozessen –
seitens der Politik und der Gerichte jahrzehntelang als übliche Begleiterscheinung von Krieg und
Besatzungsherrschaft bezeichnet und damit zugleich bagatellisiert, nicht aber als spezifisches NSVerbrechen anerkannt. Ausländische NS-Opfer hatten im Nachkriegsdeutschland ohnehin kaum eine
Stimme. Erst in den 1980er und 1990er Jahren konnten sich Opferverbände und lokale
Erinnerungsinitiativen allmählich Gehör verschaffen. Um die Jahrtausendwende ließ die
Entschädigungsdebatte dann die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus dem Status der
"vergessenen Opfer" heraustreten.
Interview: Zum Umgang mit der NS-Zwangsarbeit seit 1945
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
30
Prof. Dr. Constantin Goschler im Interview, Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (FU Berlin, CeDiS)
Prof. Dr. Constantin Goschler ist Zeithistoriker an der Ruhr-Universität Bochum. Er spricht im Interview
über gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen, die zur Gründung der Stiftung
„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ führten. Die Stiftung organisierte und beaufsichtigte die
Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Goschler geht
auch der Frage nach, weshalb sich die Entschädigungsforderungen über Jahrzehnte nicht durchsetzen
konnten und erläutert, inwiefern die Zahlungen überhaupt bei den Opfern angekommen sind. Weiter...
(http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/235774/zum-umgang-mit-der-nszwangsarbeit-seit-1945)
Die Befreiung: Zwischen Freude und Verzweiflung
Die bedingungslose Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschland am 8. Mai 1945 markierte
das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Monate und Tage vor diesem symbolischen Datum
erlebten Millionen Menschen ihre Befreiung: aus den Konzentrations- und Arbeitslagern, den Orten
der Zwangsarbeit und der Verschleppung, aber auch von der grausamen deutschen Herrschaft in ihren
Ländern. Dies war freilich kein einmaliger Akt, sondern ein langsamer Prozess, der sich mit der
Verschiebung der alliierten Front im Osten und Westen vollzog und extrem unterschiedliche Aspekte
hatte. In den ersten Tagen und Monaten nach der Befreiung starben noch Unzählige.
Die oft freudig begrüßten Soldaten der Roten Armee befreiten einerseits Osteuropa von den Deutschen,
brachten den Menschen andererseits aber eine erneute Bedrängnis. Nicht wenige der nach
Deutschland Verschleppten galten in ihren Ländern als Heimatverräter. Frauen litten besonders unter
Vergewaltigungen und sexuell konnotierten Verratsvorwürfen. Viele Menschen mussten zwischen Exil
und Heimkehr wählen. Noch anders die jüdischen Überlebenden: Nach der Ermordung ihrer
Familienangehörigen und der Auslöschung ihrer Gemeinden konnten sie nur mühsam einen Neuanfang
in der Fremde starten.
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Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Displaced Persons und Repatrianten
Nach ihrer Befreiung lebten die nach Deutschland deportierten Zwangsarbeiter zunächst als
"Repatrianten" oder "Displaced Persons" in Lagern und warteten auf ihre Repatriierung in ihre
Heimatstaaten oder die Emigration ins westliche Ausland.
Als DPs wurden die etwa 6,4 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in den DP-Camps der britischen,
französischen und vor allem amerikanischen Besatzungszone bezeichnet. Repatrianten hießen die
rund 1,6 Millionen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in den Repatriierungs- und
Filtrierlagern der sowjetischen Besatzungszone.
Die historische Wahrnehmung der DP-Camps ist aber vor allem geprägt von Berichten jüdischer DPs,
die später in die USA oder nach Israel emigrierten – wenn nicht noch die feindseligen "Plünderer"Stereotypen der deutschen Nachkriegsgesellschaft nachwirken. Ehemalige Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter stellten im Frühjahr 1945 aber die große Mehrheit der Displaced Persons und
Repatrianten, während Überlebende der Shoah nur einen kleineren Teil ausmachten.
Eher unpolitisch, oft weniger gebildet und schreibgewandt, schrieben sie ihre Erinnerungen seltener
auf als die politisch Verfolgten, zumal ihnen ein anerkannter Opferstatus fehlte. Besonders gilt dies
für Frauen und für die vielen Jugendlichen, die im April und Mai 1945 aus den Lagern kamen, und
generell für Erinnerungen in mittel-, ost- und südeuropäischen Sprachen. Italiener – meist ehemalige
Militärinternierte – zählten als ehemalige Verbündete Deutschlands eigentlich nicht zu den Displaced
Persons, wurden in der Alltagsrealität der Besatzungsbehörden aber doch ähnlich behandelt und in
vielen lokalen Berichten genannt.
Erst die 2005 und 2006 als Audio- oder Video-Interviews aufgezeichneten mündlichen Zeugnisse
eröffnen den Blick auf ihre vielfältigen individuellen Lebenswege in dieser Zwischenphase zwischen
Befreiung und Neuanfang. In diesen Berichten bestätigt sich, wie stark die nationale Gruppenbildung
bei den Befreiten war. Immer wieder wird die gute Versorgung in der amerikanischen Zone, die schlechte
Versorgung und misstrauische Durchleuchtung in der sowjetischen Zone thematisiert.
Heimkehr
Für viele, insbesondere sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, war der Leidensweg
1945 noch nicht zu Ende. Sie wurden nach ihrer Rückkehr in ihrer Heimat pauschal der Kollaboration
mit den Deutschen verdächtigt; einige verschwanden in den stalinistischen Lagern. Auch in anderen
Ländern trafen die Zurückkehrenden auf eine Mischung aus Desinteresse, Misstrauen und offener
Ablehnung. In Italien etwa standen die Partisanen im Zentrum der Erinnerung; in Frankreich
distanzierten sich die politischen Deportierten von den nur zur Arbeit Verschleppten.
Die meisten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter litten lange Zeit und besonders im Alter unter
den psychischen und physischen Folgeschäden des Arbeitseinsatzes. In vielen osteuropäischen
Ländern lebten sie nach dem Ende des Kommunismus oftmals am Rand des Existenzminimums.
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Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Vergessene Lager und Erinnerungsorte
Auch die über 30.000 Zwangsarbeiterlager in Deutschland wurden zu "vergessenen Lagern". Die
Baracken wurden abgetragen oder nach Kriegsende als Flüchtlings- oder "Gastarbeiter"-Unterkünfte
weiter genutzt. Beispielsweise errichtete die Rote Armee in Sachsenhausen und Buchenwald neue
Speziallager, in Ravensbrück eine Kaserne. Dachau wurde von der US-Armee verwaltet; auf dem
Areal des ehemaligen KZ Neuengamme bei Hamburg entstand eine Justizvollzugsanstalt. Viele
Barackenkomplexe wurden bis in die 1990er Jahre gewerblich oder als Wohngebiet genutzt, etwa die
Zwangsarbeiterlager Berlin-Schöneweide und München-Neuaubing oder die Kriegsgefangenenlager
Sandbostel bei Bremervörde und Trutzhain bei Marburg.
Zwar wurden bald nach 1945 an einigen Orten, vor allem auf Friedhöfen, erste Denkmäler für NSOpfer errichtet, dies geschah aber meist ohne konkreten Bezug auf ehemalige Zwangsarbeiterinnen
und Zwangsarbeiter. Erst nach den 1980er Jahren machten zahlreiche lokale Erinnerungsinitiativen
die Allgegenwart der Lager und das Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter immer
mehr bewusst. Allenthalben wurden Lokalstudien, Spurensuchen und Zeitzeugenbegegnungen
unternommen, oft begleitet von Ablehnung durch das lokale und universitäre Establishment. Seit 1993
etwa engagierte sich die Berliner Geschichtswerkstatt für ein – 2006 tatsächlich eröffnetes –
Dokumentationszentrum zur NS-Zwangsarbeit in den noch erhaltenen Baracken des
Zwangsarbeiterlagers Berlin-Schöneweide.
Motiviert durch nationale Erinnerungs-Debatten, etwa um die unter Helmut Kohl 1993 umgestaltete
„Neue Wache“ in Berlin, um das 2005 eingeweihte zentrale Holocaust-Denkmal oder um die
Zwangsarbeiter-Entschädigung, hat sich inzwischen ein dicht gespanntes Netz von lokalen und
regionalen Erinnerungsorten an Stellen ehemaliger NS-Lager gebildet. Die Zwangsarbeiter konnten
damit nach und nach aus dem Status der "vergessenen Opfer" heraustreten.
Europas Geteiltes Gedächtnis. Zwangsarbeit in anderen Erinnerungskulturen
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Die Erinnerung der Deutschen und der Zwangsarbeiter. Zwei Zeitzeuginnen und ein Zeitzeuge berichten, wie sie die
Erinnerungskultur der Deutschen erleben und wie sie selbst sich an die Zwangsarbeit erinnern. Ausschnitte aus den
Video-Interviews mit Sinaida B. ("Ostarbeiterin" aus der Ukraine), Barbara Sz. (in Karlruhe eingesetzte Polin) und
Iossif G. (jüdischer Zwangsarbeiter aus Weißrussland) (http://www.bpb.de/mediathek/227599/die-erinnerung-)
Die nationalsozialistische Zwangsarbeit ist ein komplexer, vielfach traumatischer Teil der Geschichte
Europas. Die in 26 Ländern gesammelten lebensgeschichtlichen Erinnerungen im Interview-Archiv
„Zwangsarbeit 1939-1945“ zeigen, dass die nationalsozialistische Zwangsarbeit trotz ihrer
europäischen Dimension in den nationalen Erinnerungskulturen sehr unterschiedlich präsent ist. Es
gibt Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa, aber auch innerhalb der beiden Blöcke des Kalten
Kriegs. Oft stehen die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Schatten der
nationalen Helden- und Opfer-, Widerstands- und Kollaborations-Diskurse.
Als Träger einer transnationalen Erinnerungskultur können im – zunehmend digitalen – 21. Jahrhundert
internetgestützte Archiv- und Bildungsprojekte dienen, wenn es ihnen gelingt, statt eines universellen
Europa-Diskurses vielmehr die Hinterfragung nationaler Narrative zu fördern.
Weiterführende Links und Literatur
Themenfilm Die Befreiung. Zwischen Freude und Verzweiflung (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/
zwangsarbeit/ereignisse/befreiung/)
Erinnerung an Zwangsarbeit in Russland. Expertengespräch mit Dr. Natalia Timofeeva (http://www.
zwangsarbeit-archiv.de/projekt/experteninterviews/timofeyeva)
Erinnerung in Kroatien. Expertengespräch Christian Schölzel (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/
projekt/experteninterviews/schoelzel)
Erinnerung in Serbien. Expertengespräch Barbara Wiesinger (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/
projekt/experteninterviews/wiesinger)
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Erinnerung in Ungarn. Expertengespräch Éva Kovács (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/projekt/
experteninterviews/kovacs)
Cord Pagenstecher: Orte des Gedenkens – Die nationalsozialistische Zwangsarbeit im deutschen
Geschichtsbild, in: Rüstung, Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit im "Dritten Reich", im Auftrag von MTU
Aero Engines und BMW Group hrsg. v. Andreas Heusler, Mark Spoerer, Helmuth Trischler, München
2010, S. 295 – 31
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de
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Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Der lange Weg zur Entschädigung
Von Cord Pagenstecher
2.6.2016
Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich
Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".
Viele Jahre mussten ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auf eine
Entschädigung warten. In Form von sogenannten Globalabkommen leistete die Bundesrepublik
lediglich an einzelne Staaten Entschädigungszahlungen. Nach langwierigen Verhandlungen
wurde im Jahr 2000 die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Entschädigung
von Zwangsarbeit gegründet.
Zwischen 2001 und 2007 erhielten die Überlebenden eine einmalige Zahlung zwischen 500 und 7.700
Euro. Kriegsgefangene sowie westeuropäische zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
blieben von der Entschädigung ausgeschlossen.
Verweigerte Verantwortung
Nach ihrer Befreiung litten viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter den psychischen und
physischen Folgeschäden der Zwangsarbeit, besonders im Alter. In vielen osteuropäischen Ländern
leben einige nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften am Rand des
Existenzminimums. Individuelle Entschädigungsansprüche oder wenigstens Lohnnachzahlungen
wurden ihnen verweigert; die deutschen Regierungen und die von der Zwangsarbeit profitierenden
Betriebe lehnten – von wenigen Ausnahmen abgesehen – jede Verantwortung ab.
Das 1953 in Kraft getretene Bundesentschädigungsgesetz (https://cms.bpb.de/nachschlagen/lexika/
recht-a-z/22094/entschaedigung) schloss im Ausland lebende sowie nicht rassistisch oder politisch
Verfolgte weitgehend von seinen Leistungen aus. Im parallel abgeschlossenen Londoner
Schuldenabkommen gelang es der Bundesrepublik, die Entschädigung von ausländischen
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern rechtlich als „Reparationsansprüche“ zu definieren und
damit auf die Verhandlungen um einen endgültigen Friedensvertrag zu verschieben. Vereinzelte Klagen
von Überlebenden blieben erfolglos.
Globalabkommen mit anderen Staaten
Zur Beförderung der Westintegration leistete die Bundesrepublik lediglich Zahlungen an einzelne
Staaten in Form sogenannter Globalabkommen, nämlich 1952 an Israel (3,5 Milliarden DM als
materielle Aufbauhilfe) sowie zwischen 1959 und 1964 an mehrere westeuropäische Staaten
(insgesamt 900 Millionen DM). In dieser Phase zahlten auch mehrere Großunternehmen einige
Millionen DM an die Jewish Claims Conference.
Die DDR lehnte aufgrund ihres Selbstverständnisses als antifaschistische Neugründung jegliche
Entschädigung für ausländische NS-Opfer ab.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 folgten im Zuge des 2+4-Vertrags noch einmal
Globalabkommen mit Polen (500 Millionen DM) sowie mit Belarus, der Ukraine und Russland
(zusammen eine Milliarde DM). Russland und Belarus hatten dabei auch die NS-Opfer in den
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Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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inzwischen souveränen baltischen Staaten zu berücksichtigen. Mit diesen Zahlungen sahen Regierung
und Wirtschaft ihre Verantwortlichkeit damals als erfüllt an.
Die Debatte um die Entschädigung
Erst Ende des 20. Jahrhunderts beschäftigte die Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter wieder die nationale und internationale Öffentlichkeit. Die ersten politischen Initiativen
der Bundestags-Grünen, des Europa-Parlaments oder der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste
blieben noch erfolglos.
Erst 1998 einigten sich die Fraktionen des Bundestags darauf, eine Stiftung zur Entschädigung von
Zwangsarbeit unter finanzieller Beteiligung der deutschen Wirtschaft einrichten zu wollen. Parallel
dazu führten Sammelklagen und Boykottdrohungen in den USA zur Gründung der "Stiftungsinitiative
der deutschen Wirtschaft": Vor allem die exportorientierten Großunternehmen boten an, sich – ohne
ein Schuldeingeständnis – an der Stiftung zu beteiligen. Als Bedingung verlangten sie die Zusicherung
von "Rechtssicherheit" für die Unternehmen vor weiteren Klagen in den USA.
Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
Nach langwierigen internationalen Verhandlungen wurde am 12. August 2000 durch ein Bundesgesetz
die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) gegründet. Deutsche Unternehmen
beteiligten sich mit rund fünf Milliarden DM an dem 10-Milliarden-DM-Fonds zur Entschädigung der
ehemaligen Zwangsarbeiter und anderer NS-Opfer sowie zur Einrichtung eines speziellen Fonds
„Erinnerung und Zukunft“. Nach Feststellung der "Rechtssicherheit" durch den Bundestag am 30. Mai
2001 konnten die Auszahlungen beginnen.
Interview: Zur Entstehung und Arbeit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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(FU Berlin, CeDiS) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Günter Saathoff ist seit 2003 im Vorstand der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ).
Im Interview spricht er über die Entstehung und die Ziele der Stiftung. Er erläutert die Auszahlungspraxis
an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und geht auf die durch den Fonds "Erinnerung
und Zukunft" geförderten Bildungsprojekte ein. Er erläutert auch, warum die Zahlungen für die
Zwangsarbeiter erst so spät kamen und was die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit dem
Geld gemacht haben. Weiter... (http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/235770/
zur-entstehung-und-arbeit-der-stiftung-erinnerung-verantwortung-und-zukunft)
Die Regelung der Entschädigung mittels einer Stiftung sollte unbürokratisch sein und den
Unternehmen, aber auch den betagten Opfern individuelle Gerichtsverfahren ersparen. In der Tat
hätten die wenigsten Überlebenden das Ende solcher langwierigen Prozesse noch erlebt. Dennoch
war die Entschädigung unterschiedlichster Opfergruppen in verschiedenen Ländern ein recht
kompliziertes Verfahren, das in Kooperation mit sieben internationalen „Partnerorganisationen
“ umgesetzt wurde. Diese waren für die Antragsannahme, die Feststellung der Leistungsberechtigung
und die Auszahlungen zuständig. Ihr jeweiliger Finanzrahmen war in den internationalen
Verhandlungen vorab festgelegt worden.
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Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Die individuellen Auszahlungen
Aus dem Gesamtfonds von über 4,6 Milliarden Euro zahlte die Stiftung EVZ Entschädigungen
insbesondere an ehemalige KZ-Häftlinge und an deportierte mittel- und osteuropäische
Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter. Über 1,6 Millionen Überlebende erhielten einmalige Zahlungen,
die je nach Herkunftsland und Schwere der Lagerbedingungen differierten.
KZ- und Ghetto-Häftlinge erhielten den Maximalbetrag von 7.669 Euro (Kategorie A), Inhaftierte in
Arbeitserziehungslagern und sogenannten „anderen Haftstätten“ bekamen zwischen 3.068 und 7.669
Euro, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der Industrie in der Regel 2.556 Euro (Kategorie B).
Die Partnerorganisationen konnten dank einer Öffnungsklausel im Rahmen ihrer finanziellen Mittel
weitere Opfergruppen berücksichtigen. Im Rahmen der Öffnungsklausel erhielten unter anderem in
der Landwirtschaft Eingesetzte und Kinderhäftlinge zwischen 536 und 2.235 Euro. Wenn die
Betroffenen nach 1999 verstorben waren, hatten die Angehörigen Anspruch auf die Leistung.
Gesonderte Entschädigungen wurden aus den weiteren Mitteln der Stiftung für Versicherungs-,
Vermögens- und „sonstige Personenschäden“ gezahlt.
Nicht Entschädigte
Mitglieder der Theatergruppe OSTARBEITER protestieren gegen eine Ausstellung des Industriellen-Erben und
Kunstsammlers Friedrich Christian Flick. (© picture-alliance/AP)
Keine Zahlungen erhielten Kriegsgefangene, sofern sie nicht in Konzentrationslagern inhaftiert waren.
Dies galt auch für sowjetische Kriegsgefangene, die unter härtesten Bedingungen Zwangsarbeit leisten
mussten, wenn sie nicht schon in den Wehrmachtslagern verhungert waren. Erst im Jahr 2015
beschloss der Bundestag eine Zahlung, die aber nur noch wenige Überlebende erreichte. Auch die
1943 gefangen genommenen italienischen Militärinternierten erhielten trotz ihrer späteren Einstufung
als Zivilarbeiter und ihrer besonders schlechten Behandlung keinerlei Entschädigung. Mit ihren Klagen
vor deutschen und europäischen Gerichten hatten sie ebenso wenig Erfolg wie die sowjetischen
Kriegsgefangenen.
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Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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West- und südeuropäische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden nur anerkannt, wenn
sie unter Haftbedingungen arbeiten mussten. Die meisten aus Frankreich, Belgien oder den
Niederlanden Verschleppten erhielten daher keine Entschädigung. Menschen, die in ihrem eigenen
Heimatland von den Deutschen zur Arbeit gezwungen worden waren, wurden nur teilweise in
Tschechien, Polen und Belarus berücksichtigt.
Ebenfalls leer aus gingen die bereits vor 1999 Verstorbenen sowie diejenigen, die ihre Zwangsarbeit
nach 65 Jahren nicht mehr nachweisen oder wenigstens glaubhaft machen konnten.
Historische Bedeutung
Der finanzielle Aspekt der Entschädigung war angesichts der bedrückenden Armut vieler älterer
Menschen in Osteuropa für die Betroffenen überaus wichtig. Daneben haben die Debatte um die
Entschädigung, das Nachweis- und Auszahlungs-Verfahren selbst sowie die folgenden Aktivitäten der
Stiftung und anderer Initiativen (Begegnungsprogramme mit Überlebenden, Ausstellungen zum Thema
Zwangsarbeit usw.) dazu beigetragen, die lange vergessenen Opfer der Zwangsarbeit wieder ins
öffentliche Gedächtnis zu rufen, in ihren Heimatländern ebenso wie in deutschen Kommunen, Betrieben
und der „großen Politik“.
Weiterführende Links
Hintergrundfilm Zwangsarbeit und Entschädigung (https://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/
hintergrund/zwangsarbeit-und-entschadigung#) mit Zusatzmaterialien in der Online-Anwendung
Lernumgebung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945" (Registrierung notwendig)
Mit Stempel und Unterschrift. Digitale Werkstatt für Quelleninterpretation (http://www.mit-stempel-undunterschrift.de) von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Oral History als Methode
Von Cord Pagenstecher
1.6.2016
Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich
Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".
Das Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerung und Geschichte“ bietet eine Sammlung von
Zeitzeugen-Erinnerungen, die im Rahmen des Projektes "Dokumentation lebensgeschichtlicher
Interviews mit ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern" entstand. Mit Hilfe der Oral History
vermitteln die Audio- und Video-Interviews die Geschichte der Zwangsarbeit und die Erinnerung
an sie.
Das Interview-Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945“
Das digitale Interview-Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte“ bewahrt die
Erinnerung an die über zwanzig Millionen Menschen[1], die für das nationalsozialistische Deutschland
Zwangsarbeit geleistet haben. Knapp 600 ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus
26 Ländern erzählen ihre Lebensgeschichte in Audio- und Video-Interviews.
Die Sammlung von Zeitzeugen-Erinnerungen entstand 2005 bis 2006 im Rahmen des Projekts
„Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern“. Das
Archiv umfasst 32 Teilsammlungen, die unter Regie der Fernuniversität Hagen von Interview-Teams
erarbeitet wurden. Die Koordination und methodische Anleitung des von der Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“ finanzierten Kooperations-Projekts lag beim Institut für Geschichte und
Biographie der Fern-Universität Hagen (PD Dr. Alexander von Plato, Dr. Almut Leh, Dr. Christoph
Thonfeld).
Ende 2007 begann die Aufbereitung der Sammlung an der Freien Universität Berlin und am Deutschen
Historischen Museum. Im Januar 2009 wurde das Online-Archiv präsentiert, das seit 2014 auch in
einer russischen und englischen Version zur Verfügung steht. Ausgewählte Interview-Ausschnitte
werden im Deutschen Historischen Museum und in weiteren Ausstellungen und Museen gezeigt. Die
weitere wissenschaftliche Erschließung, didaktische Aufbereitung und öffentliche Verbreitung ist noch
im Gang. Digitale Bildungsmaterialien machen die Interviews in Schulen und Gedenkstätten
zugänglich. Eine Online-Lernumgebung steht auf Deutsch, Tschechisch und (ab 2017) Russisch zur
Verfügung.
Im Online-Archiv können Sie die vollständig transkribierten und ins Deutsche übersetzten Interviews
per Volltext durchsuchen und anhören bzw. ansehen. Die Webumgebung zeigt mitlaufende Untertitel
in der Originalsprache und auf Deutsch. Dazu gibt es Kurzbiografien, Inhaltsverzeichnisse, Fotos und
weitere Begleitmaterialien. Durch Kategorien wie Verfolgungsgruppe, Einsatzbereich oder Sprache
können die Interviews gefiltert werden. Über eine Karte lassen sich biografische Stationen der
Interviewten recherchieren. Für die Nutzung des Archivs müssen sich Nutzerinnen und Nutzer aus
Gründen des Persönlichkeitsschutzes anmelden und die Nutzungsbedingungen anerkennen.
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Oral History als Methode
Die Interviews vermitteln die Geschichte der Zwangsarbeit und die Erinnerung an die Zwangsarbeit
mit Hilfe der Oral History. Der englische Begriff „Oral History“ („mündlich überlieferte Geschichte“)
bezeichnet eine Methode, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu befragen, diese Interviews aufzuzeichnen
und wissenschaftlich auszuwerten.
Interview: Das Projekt „Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen
Sklaven- und Zwangsarbeitern“
Prof. Dr. Alexander von Plato im Interview, Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (FU Berlin, CeDiS)
Prof. Dr. Alexander von Plato ist Historiker und langjähriger Leiter des Instituts für Geschichte und
Biographie der Fernuniversität Hagen. Er war einer der Koordinatoren des Projekts "Dokumentation
lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern". Im Interview spricht
er über die Entstehungsgeschichte des Projekts, die Herausforderungen bei der Umsetzung und die
Bedeutung der geführten Interviews für Wissenschaft und Bildung. Was musste geschehen, damit
eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik Zwangsarbeit möglich wurde? Wer wurde
interviewt? Weiter... (http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/235776/
das-projekt-dokumentation-lebensgeschichtlicher-interviews-mit-ehemaligen-sklaven-und-zwangsarbeitern)
Die mündliche Weitergabe von Erzählungen ist die älteste Form der geschichtlichen Überlieferung.
Allerdings beruhen die Berichte in Interviews auf einem oft jahrzehntelangen Verarbeitungsprozess,
der von der individuellen Biografie, von gesellschaftlichen Erinnerungskulturen und von der konkreten
Interview-Situation beeinflusst wird. Daher sind mündliche Erinnerungen manchmal weniger verlässlich
als schriftliche Dokumente.
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Für die Alltags- und die Erinnerungsgeschichte sind Zeitzeugen-Berichte aber eine unverzichtbare
Quelle. Auch über die nationalsozialistischen Lager wüssten wir ohne die Aussagen von Überlebenden
nur wenig.
Als wissenschaftliche Methode wurde die Oral History zunächst in den USA entwickelt. In den 1970er
und 1980er Jahren verbreitete sie sich in Deutschland in der Bewegung der Geschichtswerkstätten,
die unter dem Motto „Grabe, wo Du stehst“ die Lokalgeschichte und die „Geschichte von unten
“ erforschten.
Interviewtechnik und der Interpretationsmethoden der Oral History wurden seit Mitte der 1980er Jahren
verfeinert und auch auf Video-Interviews angewendet. In lebensgeschichtlichen Interviews sollen die
Interviewten möglichst frei erzählen und selbst die Schwerpunkte ihrer Lebensgeschichte setzen. Bei
der Analyse muss bewusst sein, dass diese Erzählung – wie jede Geschichte – immer eine deutende
Konstruktion von Vergangenheit ist.
Weiterführende Links und Literatur
www.zwangsarbeit-archiv.de (http://www.zwangsarbeit-archiv.de) Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945.
Erinnerungen und Geschichte"
Hintergrundfilm Oral History (http://zwangsarbeit.lernen-mit-interviews.de/hintergrund/oral-history) mit
Zusatzmaterialien in der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945"
(Registrierung notwendig)
Plato, Alexander von / Leh, Almut / Thonfeld, Christoph (Hrsg.), Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche
Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich, Wien 2008
Cord Pagenstecher, Doris Tausendfreund: Das Online-Archiv ‚Zwangsarbeit 1939-1945‘, in: Erinnern
an Zwangsarbeit. Zeitzeugen-Interviews in der digitalen Welt, Berlin: Metropol 2013, S. 71-96
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de
Fußnoten
1.
Im gesamten besetzten Europa leisteten über zwanzig Millionen Menschen Zwangsarbeit für das
nationalsozialistische Deutschland, über 13 Millionen davon im Deutschen Reich.
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Lernen mit Interviews
Von Cord Pagenstecher
2.6.2016
Historiker, geb. 1965, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin, Bereich
Interview-Archive, Online-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945".
Die Online-Anwendung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945" verbindet die
Anschaulichkeit lebensgeschichtlicher Video-Interviews mit der Interaktivität digitaler Medien.
Die Lernumgebung fördert historische und mediale Kompetenzen und eine aktive Erinnerung
an die NS-Zwangsarbeit und ihre Opfer.
Die Online-Lernumgebung
Die neu entwickelte Online-Anwendung "Lernen mit Interviews" ist ein kompetenzorientiertes
Unterrichtsangebot für 14- bis 18-Jährige. Im Mittelpunkt stehen Lebensgeschichten ehemaliger
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Sieben Mitglieder unterschiedlicher Opfergruppen
berichten von ihren Erfahrungen in Lagern und Fabriken, dem Verhalten der Deutschen und ihrem
Leben danach.
Die 25-minütigen biografischen Kurzfilme beruhen auf Video-Interviews aus dem Online-Archiv
"Zwangsarbeit 1939-1945"; zwei 17- bzw. 20-minütige Hintergrundfilme informieren über Thema und
Quellengattung. Infotexte und Methodentipps, Zeitleiste und Lexikon, Dokumente und Karten helfen
bei der Kontextualisierung. Die kompetenzorientierten Aufgaben können direkt im Arbeitsfenster der
Lernumgebung bearbeitet werden. Die Arbeitsvorschläge sind für unterschiedliche Niveaustufen
geeignet und auf eine 90-minütige Unterrichtseinheit abgestimmt.
Transkripte und Übersetzungen, Navigation und Aufgaben, Arbeitsfenster und Portfolio-Funktion
erlauben ein forschendes Lernen im Regelunterricht, bei Projekttagen und Präsentationsprüfungen.
Den Lehrpersonen ermöglichen didaktische Kommentare, Merkfunktionen und Ergänzungsmöglichkeiten
eine effektive und gruppenspezifische Vorbereitung.
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Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
Trailer der Online-Anwendung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit
mediathek/238100/lernen-mit-interviews-zwangsarbeit-1939-1945)
44
1939-1945"
(http://www.bpb.de/
Video-Interviews im Geschichtsunterricht
Lebensgeschichtliche Interviews vermitteln die Geschichte der NS-Zwangsarbeit sehr anschaulich.
Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten über ihre persönlichen Erfahrungen, Ängste und Träume
als Jugendliche, über die Trennung von den Eltern und die Verschleppung in ein fremdes Land, über
Ausgrenzung, aber auch Freundschaft und Widerstand. Diese konkreten Erinnerungen erleichtern den
Schülerinnen und Schülern den emotionalen und kognitiven Zugang zur Geschichte der Zwangsarbeit.
Die Arbeit mit den Interviews erweitert das Quellenverständnis sowie die narrative und mediale
Kompetenz der Lernenden. Gleichwohl sichern Zusatzmaterialien und Hilfsmittel eine ausreichende
Kontextualisierung der individuellen Biografien, d. h. ihre Einbettung in die "große Geschichte".
Die Video-Interviews können ein persönliches Gespräch mit Überlebenden des Nationalsozialismus
nicht ersetzen, deren moralische Autorität und Authentizität gerade im direkten Dialog erfahrbar wird.
Andererseits erlauben die Interviews gerade deswegen eine aktive Quellenarbeit, kritische Analysen
und eigene Deutungsversuche. Entsprechend soll ein lebendiger Dialog mit dem Material angestoßen
und gleichzeitig ein respektvoller Umgang mit den Berichten der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen
gewährleistet werden.
Dabei muss der spezifische Charakter eines lebensgeschichtlichen Interviews und des damit
verbundenen Zeugnisablegens verständlich werden: Die Interviewten gehen ein großes Risiko ein,
wenn sie ungeschützt vor der Kamera einen Bericht formulieren, den sie – anders als schriftliche
Interviews oder Memoiren – nicht mehr korrigieren können. Einige Aufgabenvorschläge thematisieren
daher die Bedeutung der Interviewführung sowie des Zusammenschnitts der mehrstündigen Interviews
zu 25-minütigen Filmen und schulen dadurch die Medienkompetenz.
Multimedial unterstützte Erzählungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen tragen ein starkes
Realitätsversprechen in sich. Die Berichte sind von der individuellen Biografie, gesellschaftlichen
Erinnerungskulturen und der konkreten Interview-Situation beeinflusst. Die Aufgabenvorschläge
machen dies deutlich, ohne die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen als unglaubwürdig zu diskreditieren.
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Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Die Video-Interviews ermöglichen die Wahrnehmung mit verschiedenen Sinnen; Mimik und Gestik
sind wichtige Teile der Erzählungen. Bei fremdsprachigen Interviews kann die Übersetzung
ausgeschaltet werden, sodass nur die Originalstimme zu hören ist. Die Sprachenvielfalt öffnet damit
zusätzliche Wege für mehrsprachige Lerngruppen: Manche Schülerinnen und Schüler aus
zugewanderten Familien können ihre Sprachkompetenz demonstrieren, Europa- und Auslandsschulen
finden partnersprachliches Unterrichtsmaterial zur deutschen Geschichte.
Die nationalsozialistische Zwangsarbeit im Geschichtsunterricht
Das Thema NS-Zwangsarbeit ist besonders geeignet für den problem- und kompetenzorientierten
Geschichtsunterricht. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, damals oft noch im Schulalter,
gehörten zur "Normalität" des NS-Alltags. Sie arbeiteten nicht nur in der Industrie, sondern auch auf
Bauernhöfen, in Werkstätten und Privathaushalten. Ihre Baracken lagen oft mitten in Wohngebieten.
Daher gibt es überall zu entdeckende Spuren: in der Familiengeschichte, in Gedenkstätten, an
historischen Orten, in Heimatmuseen oder bei lokalen Erinnerungs-Initiativen.
Weil die Zwangsarbeit so tief im Alltag der Deutschen verankert war, eröffnet ihre historische
Aufarbeitung Zugänge zu einer Vielfalt von Themen: der Wirtschafts- und Sozialpolitik des NS-Staates,
der Rassenideologie, den Handlungsspielräumen der Deutschen (von Kollaboration bis zur Hilfe für
die Verschleppten), dem Widerstand von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Die
exemplarischen Interviews können auch eingesetzt werden für Lerneinheiten über den Zweiten
Weltkrieg und die deutsche Besatzungspolitik, über den Holocaust und die Verfolgung der Sinti und
Roma. Anhand der Biografien lassen sich zudem Themen der Nachkriegsgeschichte wie die
Sowjetisierung Polens oder europäische Gedächtniskulturen ansprechen. Die individuellen
Erinnerungen aus verschiedenen Ländern ermöglichen damit eine internationale Perspektive auf die
deutsche und europäische Geschichte. Die jahrelange Diskussion um die Entschädigung –
Musterbeispiel einer geschichtspolitischen Kontroverse – zeigt, wie stark historische Deutungen
aktuelle Politik beeinflussen können.
Die Berichte der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter verdeutlichen, dass der
Oberbegriff "Zwangsarbeit" verschiedene Formen des Arbeitseinsatzes umfasste: vom Leben als
Dienstmädchen bis zur Hoffnungslosigkeit der "Vernichtung durch Arbeit". Diese Unterschiede fordern
eine differenzierte Betrachtung und einen quellenkritischen Ansatz.
Anknüpfungspunkte an aktuelle Problemfelder
Die Analyse der je nach Herkunft unterschiedlichen, im Alltag weithin akzeptierten Diskriminierung der
"Fremdvölkischen" vermittelt Orientierungskompetenz auch in Anbetracht aktueller Formen von
Rassismus und stärkt die Fähigkeit, Bedeutung und Gefährdungen der Menschenrechte zu erkennen.
Fragen nach Arbeit, Zwang und Freiheit sind auch relevant in einer postindustriellen Gesellschaft, in
der viele Schülerinnen und Schüler von der Arbeitslosigkeit ihrer Eltern und unsicheren eigenen
Berufsaussichten betroffen sind. Didaktisch können Vergleiche – nicht Gleichsetzungen – mit aktuellen
Formen von Zwangs- und Kinderarbeit, Sklaverei und Menschenhandel sinnvoll sein.
Besonders für multikulturelle Lerngruppen ist die mit der NS-Zwangsarbeit verbundene
Zwangsmigration ein wichtiges Thema. Anhand der in den Interviews erzählten Erfahrungen von
Fremdheit, Ausgrenzung und Ausbeutung lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen
Wanderungsprozessen (z.B. von "Gastarbeitern" oder Flüchtlingen) diskutieren. Auf diese Weise kann
das Thema NS-Zwangsarbeit problemorientiert und Erkenntnis fördernd auch in die Geschichte von
"Wirtschaftswunder", Migration und europäischer Integration eingebettet werden.
bpb.de
Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Termine und Fortbildungen
Bundesweite Lehrerfortbildungen (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/bildung/lehrerfortbildungen/
index.html) präsentieren und erproben die Online-Anwendung "Lernen mit Interviews" gemeinsam mit
den Teilnehmenden.
Im Rahmen der Fortbildungen erhalten Lehrkräfte, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren eine fundierte
Einführung in das historische Thema, in methodische Probleme des Lernens mit Interviews und in die
didaktischen Konzepte die der Lernumgebung zugrunde liegen. Gemeinsam mit den anderen
Teilnehmenden erproben Lehrerinnen und Lehrer dann die Lernumgebung und konzipieren eigene
Unterrichtseinheiten, die sie im Schulunterricht direkt einsetzen können.
Die Autorinnen und Autoren der Lernumgebung an der Freien Universität Berlin organisieren und leiten
diese Seminare gemeinsam mit den für die Lehrerfort- und -ausbildung zuständigen Einrichtungen der
Bundesländer, aber auch mit Akademien, Universitäten, Museen und Gedenkstätten in verschiedenen
Regionen Deutschlands. Digitale Angebote zur Online-Fortbildung und Vernetzung sind in
Vorbereitung.
Methodentipp: Wie analysiere ich ein Zeitzeugen-Interview?
Dieser Methodentipp empfiehlt Arbeitsschritte bei der quellenkritischen Analyse lebensgeschichtlicher
Interviews.
Eindruck:
Wie ist dein erster Eindruck?
Themen:
Worüber spricht der Zeitzeuge / die Zeitzeugin?
Welche Schwerpunkte werden gesetzt?
Gibt es deiner Ansicht nach Lücken, fehlen bestimmte Aspekte?
Interviewführung:
Wie verhält sich der Interviewer / die Interviewerin?
Wie hat das Interviewteam Beleuchtung und Kameraführung gestaltet?
Wie wirkt sich das auf das Interview aus?
Erzählung oder Kommentar:
Wann wird erzählt, wann wird die eigentliche Erzählung kommentiert?
Achte auf Bewertungen und Lehren, die aus einer Geschichte gezogen werden; auf Parallelen oder
Bezüge zu anderen Ereignissen.
Sprache:
Was sind die Besonderheiten der Sprache?
Spricht der Zeitzeuge / die Zeitzeugin Dialekt, Umgangssprache, Hochsprache?
Ist der Satzbau eher einfach oder kompliziert?
Gibt es ungewöhnliche Wörter (altmodische oder Dialektwörter, Fremdwörter, drastische Ausdrücke)?
Werden diese Wörter bewusst eingesetzt?
Wann werden Zitate, Sprichwörter, Metaphern verwendet?
Wie wirkt die Sprache auf dich?
Gestik, Mimik, Stimme:
Auch Gesten, Gesichtsausdruck und Sprachmelodie können etwas erzählen.
Gibt es Auffälligkeiten in Körpersprache, Mimik oder Stimmlagen?
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Stimmen sie mit den Inhalten und der Erzählweise überein?
Welche Gefühle vermitteln sie?
Was hat dich an der Erzählweise besonders beeindruckt?
Dieser und andere Methodentipps stehen in der Online-Anwendung Lernen mit Interviews (https://
lernen-mit-interviews.de/materials#/566) bereit. (Registrierung notwendig)
Weiterführende Links und Literatur
Lernumgebung (https://lernen-mit-interviews.de/zwangsarbeit/) "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit
1939-1945" (Registrierung notwendig)
Videografierte Interviews mit Überlebenden im Schulunterricht. Geschichtsdidaktische Überlegungen.
Expertengespräch Michele Barricelli (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/projekt/experteninterviews/
barricelli1) (30 Min, 6 Kapitel), v.a. Kapitel 2, 3, 4 (18 min)
Weitere Bildungsmaterialien (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/bildung/unterrichtsmaterialien/index.
html) auf der Webseite „Zwangsarbeit 1939-1945“
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-ncnd/3.0/de/ Autor: Cord Pagenstecher für bpb.de
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Expertengespräche
19.10.2016
Fachleute aus Wissenschaft und Praxis kommentieren wichtige Fragen zur NS-Zwangsarbeit, zur
Entschädigung, zu Erinnerungsmustern und zu lebensgeschichtlichen Interviews. Mitglieder des
Projektteams haben die teilweise mehrstündigen Expertengespräche seit 2009 geführt und zu knapp
halbstündigen Filmen zusammengefasst.
Weitere Expertengespräche (http://www.zwangsarbeit-archiv.de/projekt/experteninterviews/index.
html) auf der Webseite „Zwangsarbeit 1939-1945“
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Zum Umgang mit der NS-Zwangsarbeit seit 1945
1.2.2017
Prof. Dr. Constantin Goschler ist Zeithistoriker an der Ruhr-Universität Bochum. Er spricht im
Interview über gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen, die zur
Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ führten. Die Stiftung
organisierte und beaufsichtigte die Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter.
Prof. Dr. Constantin Goschler im Interview, Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (FU Berlin, CeDiS)
Zur Person
Constantin Goschler wurde 1960 in Göppingen geboren. Nach dem Lehramtsstudium an der LudwigMaximilians-Universität in München wechselte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Institut für
Zeitgeschichte. Nach der Promotion 1992 war er in Berlin als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl
für Zeitgeschichte der Humboldt Universität tätig. Aufenthalte als Gastdozent und wissenschaftlicher
Mitarbeiter führten ihn u.a. nach Prag, Harvard und Jena, bevor er 2006 den Lehrstuhl für Zeitgeschichte
an der Ruhr-Universität Bochum übernahm. Sein Band „Schuld und Schulden“ gilt als Standardwerk
zur Geschichte der „Wiedergutmachung“ in Deutschland nach 1945.
Welche Rolle spielte die NS-Zwangsarbeit in der deutschen Gesellschaft?
Wie wurden Zwangsarbeiter in der Nachkriegsgesellschaft wahrgenommen?
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Welche Entwicklungen waren notwendig, damit Zwangsarbeiter als Opfer des Nationalsozialismus
anerkannt und entschädigt wurden?
Weshalb konnte sich der Großteil ehemaliger Zwangsarbeiter mit Entschädigungsforderungen über
Jahrzehnte nicht durchsetzen?
Welche Auswirkungen hatte die Wiedervereinigung?
Wie kam es zur Gründung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"?
Wie kam es zur Einigung über die Höhe der zu leistenden Entschädigung?
Wer wurde entschädigt?
Welchen Ansatz verfolgte die Stiftung bei den Auszahlungen und wie waren die Reaktionen?
Wie wurden die Entschädigungszahlungen organisiert?
Ist die Entschädigung bei den Opfern angekommen?
Was ist der Zukunftsfonds der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"?
Zum Interview
Datum: 12. August 2009
Interviewer: Thomas Irmer
Kamera und Schnitt: Branka Pavlovic
Bearbeitung: Thomas Irmer und Doris Tausendfreund
Rechte: Freie Universität Berlin, Center für Digitale Systeme, cc by-nc-nd/3.0/de
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
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Das Projekt „Dokumentation lebensgeschichtlicher
Interviews mit ehemaligen Sklaven- und
Zwangsarbeitern“
1.2.2017
Prof. Dr. Alexander von Plato ist Historiker und langjähriger Leiter des Instituts für Geschichte
und Biographie der Fernuniversität Hagen und war einer der drei Koordinatoren des Projekts
"Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und
Zwangsarbeitern". Er übernahm die methodische Anleitung zur Interviewführung. Im Interview
spricht er über die Entstehungsgeschichte des Projekts, die Herausforderungen bei dessen
Umsetzung und die Bedeutung der geführten Interviews für Wissenschaft und Bildung.
Prof. Dr. Alexander von Plato im Interview, Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (FU Berlin, CeDiS)
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Zur Person
Alexander von Plato wurde 1942 geboren. Nach einem Studium der Philosophie, Soziologie und
Theaterwissenschaften an der Freien Universität Berlin promovierte er 1973 und arbeitete
anschließend als Studienleiter und Dozent beim Evangelischen Studienwerk Villigst. Von 1980 bis
1983 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Lutz Niethammer an der Universität Essen tätig.
Anschließend wechselte er an die Fernuniversität Hagen, wo er 1993 das Institut für Geschichte und
Biographie gründete, das er bis zum Jahr 2007 leitete. Von 1996 bis 2000 war er Sekretär der
„International Oral History Association“, von 2006-2008 Vizepräsident. Alexander von Plato ist
Mitherausgeber und Redakteur von „BIOS - Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und
Lebensverlaufsanalysen“.
Was musste geschehen, damit eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik
Zwangsarbeit möglich wurde?
Was waren die finanziellen Voraussetzungen für die Durchführung des Projektes?
Weshalb entschied sich die Stiftung EVZ, lebensgeschichtliche Interviews durch das Institut für
Geschichte und Biographie durchführen zu lassen?
Wer wurde interviewt?
Wie gelang es, Interviewer zu finden und Interviewstandards zu etablieren?
Welche Mitarbeiter des Instituts für Geschichte und Biographie waren maßgeblich an der Umsetzung
des Projekts beteiligt?
Welche Ergebnisse konnten durch den internationalen Rahmen des Projektes gewonnen werden?
Kann man vom Entstehen einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur sprechen?
Welche nachhaltigen Effekte hat das Projekt für Wissenschaft und Bildung?
Zum Interview
Datum: 8. August 2009
Interviewerin: Gerda Klingenböck
Kamera und Schnitt: Branka Pavlovic
Bearbeitung: Malte Lührs und Doris Tausendfreund
Rechte: Freie Universität Berlin, Center für Digitale Systeme, cc by-nc-nd/3.0/de
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Zur Entstehung und Arbeit der Stiftung "Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft"
1.2.2017
Günter Saathoff ist Vorstand der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". In dem
Interview spricht er über die Entstehung und die Ziele der Stiftung. Er erläutert die
Auszahlungspraxis an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und geht auf die
durch den Fonds "Erinnerung und Zukunft" geförderten Bildungsprojekte ein.
Günter Saathoff im Interview, Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (FU Berlin, CeDiS)
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Zur Person
Günter Saathoff wurde 1954 in Emden geboren. Als wissenschaftlicher Koordinator für Innen- und
Rechtspolitik der Bundestagsfraktion „Bündnis 90/Die Grünen“ bearbeitete der Jurist die Themen
Entschädigungsrecht für NS-Opfer und Opfer des DDR-Unrechts. In dieser Funktion war er maßgeblich
an der Vorbereitung und Ausformulierung des EVZ-Stiftungsgesetzes und anderer Regelungen zur
Entschädigung von NS-Opfern beteiligt. Seit 2000 war er als Generalbeauftragter der Stiftung
"Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" für die Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen der
Stiftung zuständig. Seit 2003 ist er im Vorstand der Stiftung.
Wie entstand die Stiftung und wie hat sie gearbeitet?
Wie wurde die Stiftung finanziert?
Warum haben sich die deutschen Firmen an der Stiftung beteiligt?
Wer hat Zahlungen von der Stiftung bekommen?
Warum wurden italienische Militärinternierte ausgeschlossen?
Was haben die ehemaligen Zwangsarbeiter mit dem Geld gemacht?
Sind die ausgezahlten Beträge als Entschädigung zu verstehen?
Was ist der sogenannte Fonds "Erinnerung und Zukunft"?
Warum kamen die Zahlungen für die Zwangsarbeiter erst so spät?
Wo würden Sie den Beginn der jüngsten Auseinandersetzung um Entschädigung für NS-Zwangsarbeit
ansetzen?
Zum Interview
Datum: 24.04.2009
Interviewer: Alexander von Plato
Bearbeitung: Thomas Irmer und Wolfram Lippert
Ton: Branka Pavlovic
Rechte: Freie Universität Berlin, Center für Digitale Systeme, cc by-nc-nd/3.0/de
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Literatur
4.5.2016
Apostolopoulos, Nicolas/ Pagenstecher, Cord (Hrsg.), Erinnern an Zwangsarbeit. ZeitzeugenInterviews in der digitalen Welt, Berlin 2013
„Gemeinsame Verantwortung und moralische Pflicht“. Abschlussbericht zu den Auszahlungsprogrammen
der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, hrsg. v. Jansen, Michael und Saathoff, Günter,
Göttingen 2007
Goschler, Constantin, Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit
1945, Göttingen 2005
Goschler, Constantin, Der Umgang mit den Opfern des Nationalsozialismus in Deutschland nach 1945,
in: Nach den Diktaturen. Der Umgang mit den Opfern in Europa, hrsg. v. Günther Heydemann u.
Clemens Vollnhals, Göttingen 2016, S. 27-45
Herbert, Ulrich, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft
des Dritten Reiches, Berlin/Bonn 1985
Herbert, Ulrich, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter,
Gastarbeiter, Flüchtlinge (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bd. 410), Bonn
2003
Plato, Alexander von / Leh, Almut / Thonfeld, Christoph (Hrsg.), Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche
Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich, Wien 2008
Spoerer, Mark, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und
Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa, Stuttgart, München 2001
Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg. Begleitband zur Ausstellung, hrsg.
v. Knigge, Volkhard / Lüttgenau, Rikola-Gunnar und Wagner, Jens-Christian im Auftrag der Stiftung
Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora , Weimar 2010
Zwangsarbeit in Hitlers Europa. Besatzung – Arbeit – Folgen, hrsg. v. Dieter Pohl und Tanja Sebta,
Berlin 2013
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de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
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Dossier: NS-Zwangsarbeit. Lernen mit Interviews (Erstellt am 04.04.2017)
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Redaktion
14.2.2017
Herausgeber
Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn © 2017
ViSdP: Thorsten Schilling
in Kooperation mit der Freien Universität Berlin, Center für Digitale Systeme (CeDiS) (http://www.cedis.
fu-berlin.de/)
Konzept und Redaktion bpb
Inga Jochimsen, Sabine Schmidt-Peter, Tim Schmalfeldt
Rieke Wönig, Alexander Mattern (studentische Mitarbeit)
Konzept, Autor und Redaktion Freie Universität Berlin
Cord Pagenstecher (Center für Digitale Systeme, Projekt „Zwangsarbeit 1939-1945“) unter Mitarbeit
von Angela Martin, Doris Tausendfreund und Dorothee Wein
Die Lernumgebung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939 – 1945" wurde mit Mitteln der Stiftung
"Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (http://www.stiftung-evz.de/start.html) gefördert.
Rechtenachweise
Trotz sorgfältiger Nachforschungen konnten nicht alle Rechteinhaber ermittelt werden. Diese haben
die Möglichkeit, sich an die Bundeszentrale für politische Bildung, Adenauerallee 86, 53113 Bonn zu
wenden.
Online-Dossier
http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/
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