RUBRIK Plattform Säure und Basen – ein Rhythmus wie Ebbe und Flut Zur Säure-Basen-Regulation habe ich eine Frage. Was passiert im Körper mit Säuren und Basen und welche Nahrungsmittel sind sauer und welche basisch? Immer wieder erhalte ich total unterschiedliche Informationen aus Zeitschriften und Büchern, die verunsichern. Vielleicht kann das Natürlich etwas Klarheit zum Säure-Basen-Kreislauf schaffen? Ilona Pregler-Reitmeier, 3075 Rüfenacht Antwort Tabellen über saure und basische Nahrungsmittel sind wenig hilfreich und verwirren nur. Viel wichtiger ist, dass die grundsätzlichen Faktoren, die zur Übersäuerung führen, beachtet werden: Es ist das Zuviel an isolierten Kohlenhydraten wie Weissmehl und Zucker, an tierischem Eiweiss, gehärteten Fetten, Alkohol oder Kaffee. Nahrungsmittel, die sauer verstoffwechselt werden, müssen jedoch nicht unbedingt ungesund sein. So bildet Rosenkohl – zusammen mit der Artischocke eines der wenigen «sauren» Gemüse – zusammen mit basischen Maroni eine ausgewogene Mahlzeit. Die Artischocke ist trotz des sauren Milieus durch die Bitterstoffe galle- und leberanregend, und die basische Zwiebel macht die Oxalsäure der Tomaten verträglicher. Es geht in der Ernährung also auch immer um die richtige Zusammenstellung und um den richtigen Zeitpunkt. Keine Pauschalbetrachtungen Dass bei der Übersäuerung neben der Nahrung auch die Psyche eine Rolle spielt, weiss der Volksmund, der davon 70 Natürlich | 7-2005 spricht, dass jemand ein saures Gesicht macht oder dass etwas sauer aufstösst. Die Säure-Basen-Regulation ist eine der für uns weitgehend unbemerkt ablaufenden Stoffwechselreaktionen, die für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit, ja für Leben überhaupt eine Schlüsselrolle einnimmt. Es ist zwar grundsätzlich richtig, dass durch die heute weit verbreitete Fehlernährung viele Menschen übersäuert sind und dass eine Entsäuerungstherapie bei vielen Krankheitsbildern ein sinnvoller Schritt ist – es ist jedoch falsch, die Base in allen Lebenslagen als Freund, die Säure dagegen als Feind zu betrachten. Wir haben es vielmehr mit Fliessgleichgewichten zu tun. Durch Nahrungsaufnahme und Ausscheidungsvorgänge findet im Organismus ein ununterbrochener Wechsel statt. Unser Stoffwechsel und die daran beteiligten Organe bewegen sich in Rhythmen wie Ebbe und Flut – Leben ist nie statisch, sondern immer dynamisch. Das wird uns bewusst, wenn wir uns den Säure-Basen-Rhythmus im menschlichen Körper einmal genauer anschauen. Haut ist von einem Säureschutzmantel umgeben, der sie gegen Bakterien und Pilze schützt. Der pH-Wert der Hautoberfläche beträgt etwa 5,5. Er kann sich durch Waschen mit alkalischer Seife bis auf 7 verändern, wird aber wieder in den sauren Bereich zurückgeführt. Der Schweiss, der auch zur Erhaltung des Säure-Basen-Gleichgewichts des Körpers beiträgt, liegt ebenfalls im sauren Bereich, was vor allem auf den Gehalt an Milchsäure zurückzuführen ist. Die Fähigkeit schwitzen zu können ist ein vielfach unterschätztes Regulationsvermögen des Körpers. Krebskranke schwitzen sehr selten und kennen auch kaum Fieber, haben also eine gestörte Wärmeregulation. Etwa 1,5 Liter Speichel werden täglich von den Speicheldrüsen ausgeschüttet und von den Unterzungendrüsen mit einem zähen Schleim gebunden. Der Speichel hat nun nicht nur die Aufgabe, die Nahrung für die Speiseröhrenpassage gleitfähig zu machen. Im Mund beginnt Organrhythmus und pH-Wert Säureschutzmantel und Basenflut Haut Mundspeichel pH 6,3–7,00 Die Haut ist das Organ mit der grössten Oberfläche. Sie umgibt den Körper nicht nur als Schutzhülle, sondern ist darüber hinaus ein echtes Organ mit vielfältigen Aufgaben, wie: Schutz gegen Krankheitserreger und Austrocknung, Regelung der Körpertemperatur, Speicherung von Fett und Feuchtigkeit, Ausscheidung von Wasser, Salzen und Abbaustoffen. Die gesunde Magensaft pH Bauchspeichel pH 7,5–8,80 Galle pH Darmsäfte pH 6,3–8,00 Blut pH 7,35–7,45 pH 5,50 1,8–3,80 7,10 Muskeln und Organzellen pH 6,90 Bindegewebe pH 7–7,3 0 Harn pH 5,5–7,00 Plattform RUBRIK Heinz Knieriemen nimmt in der Plattform zu alltäglichen, brisanten und aktuellen Themen Stellung. auch die Vorverdauung, der erste Aufschluss der Kohlenhydrate. Das dafür benötigte Enzym, die Amylase, arbeitet in einem sehr engen Bereich, im Idealfall bei einem pH-Wert von 6,34. Grund genug, dem Mundmilieu und dem Speichel grösste Aufmerksamkeit zu schenken. Werden die Kohlenhydrate nämlich nicht im Mundspeichel aufgeschlossen, geschieht dies in den Därmen, was zu Gärung mit Blähungen und Sodbrennen führt. Vor der Eigenverdauung schützen Durch die Speiseröhre gelangt die im Idealfall gut gekaute und eingespeichelte Nahrung in den Magen. Die von den Belegzellen der Magenschleimhaut gebildete Salzsäure weist einen pH-Wert von etwa 2 auf, wird durch den Speisebrei aber auf den Wert von 3 bis 4 abgepuffert. Die Magensäfte leiten die Verdauung des Eiweiss ein, Kohlenhydrate und Fette werden dagegen vom Magensaft gar nicht angegriffen. Der Magen selbst liefert zudem eindrücklichen Anschauungsunterricht für den Säure-Basen-Rhythmus: Die Nebenzellen bilden alkalischen Schleim, dem die wesentliche Aufgabe zufällt, die Magenoberfläche vor der Salzsäure, die bekanntlich ätzende Wirkung auf der Haut ausübt, zu schützen. Wird dieser Schutzmantel zerstört, kann es zu Magengeschwüren kommen. Die Bedeutung des Wechselspiels von Säuren und Basen erleben wir noch ein weiteres Mal beim Übergang des Speisebreis durch den Magenausgang (Pförtner) in den Zwölffingerdarm. Der Ma- geninhalt wird nur in kleinen Schüben in den Zwölffingerdarm abgegeben. Der saure Brei aus dem Magen schliesst den Pförtner, der erst wieder geöffnet wird, wenn genügend alkalische Säfte aus Galle und Bauchspeichel die Säuren gebunden haben. Diese rhythmischen schubförmigen Bewegungen werden nur durch chemische Säure-Basen-Reaktionen ausgelöst. Die Salzsäure gelangt also mit dem Speisebrei aus dem Magen in den Zwölffingerdarm (Duodenum). Dieser erhielt seinen Namen nach dem früher üblichen Mass der Fingerbreiten. Der Zwölffingerdarm ist das Zentrum der Verdauungsarbeit; denn hier münden der Gallengang und jener der Bauchspeicheldrüse mit ihren basischen Säften mit einem pHWert von 7,5 bis 8,8. Hier erfolgt also die entscheidende Neutralisation des aus dem Magen kommenden Speisebreis, damit der Dünndarm die Resorption der aufgeschlossenen Nahrungsbestandteile beginnen kann. Störungen im Zwölffingerdarm sind gerade wegen seiner Bedeutung für die Grundregulationen der Verdauung immer heikel. Er ist bei Fehlernährung für Entzündungen und Geschwüre äusserst anfällig. Es erkranken mehr Menschen an einem Geschwür des Zwölffingerdarms als an einem Magengeschwür. Säurestarre Eine Schlüsselstellung im Säure-BasenGleichgewicht nimmt das Blut ein. Sein pH-Wert schwankt zwischen 7,35 und 7,45, bewegt sich also im schwach alkalischen Bereich. Dieses schmale Band kennzeichnet einen gesunden Stoffwechsel. Der menschliche Körper verfügt über wirksame Puffersysteme, die gerade im Blut abrupte Verschiebungen auf die saure oder alkalische Seite verhindern. Doch diese Puffersysteme können durch Fehlernährung und Fehlverhalten ausgehebelt werden. Das zeigt sich eindrücklich am Harn. Dieser ist meist schwach sauer und liegt bei einem pH-Wert von 5,5 bis 7, also im Mittel bei 6. Ein einmaliger Harnuntersuch ist ohne jeden Aussagewert, da der pH-Wert auch beim Gesunden Tagesschwankungen von 4,5 bis 9 vorweisen kann. Bei der Regulierung des Säure-Basen-Haushalts stehen unterschiedliche Puffersysteme zur Ver- fügung: Ausscheidungen über Nieren und Haut, Pufferkapazität des Blutes, Gasaustausch in den Lungen, Ammoniak, Kochsalzkreislauf. Es gibt heute jedoch immer mehr Menschen, bei denen die körpereigenen Regulationsmechanismen ausgehebelt sind. Es kommt zu einer Säurestarre mit pH-Werten im Urin von 4,8 bis 5 – ohne die typischen rhythmischen Tagesschwankungen des gesunden Stoffwechsels. Diese Säurestarre ist kennzeichnend für chronische Erkrankungen. Wir finden sie bei der chronischen Polyarthritis, bei Gicht und auch bei Krebs. Es ist daher wichtig, dem Säure-Basen-Gleichgewicht als einer wichtigen Säule der Grundregulation grosse Beachtung zu schenken. Neutralisations-Theorie Die Erkenntnis, dass Säuren und Basen bei allen Stoffwechselfunktionen eine ausschlaggebende Rolle spielen, ist noch gar nicht so alt. Der erste Versuch, Säuren und Basen aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzungen zu bestimmen, geht auf den schwedischen Physiker Arrhenius zurück, der 1887 seine Neutralisations-Theorie aufstellte. In der Chemie ist das Gegenteil von sauer nicht süss, sondern basisch oder alkalisch. Beim Umgang mit starken Säuren wie Salzsäure ist ebenso Vorsicht geboten wie bei jenem mit starken Alkalien wie der Natronlauge. Beide üben Ätzwirkung aus. Wenn wir nun in Natronlauge tropfenweise Salzsäure geben, können wir schliesslich eine Flüssigkeit gewinnen, die weder Base noch Säure ist. Sie ist durch einen chemischen Vorgang neutral geworden (neutrum = keines von beiden). Dampfen wir diese neutrale Flüssigkeit ein, erhalten wir weisse Kristalle, die allen bekannt sind: das Kochsalz (Natriumchlorid). NaOH + HCl = NaCl +H2O Natron- Salzsäure Natrium- Wasser lauge chlorid Das Kochsalz als Neutralisationsprodukt nimmt wieder eine wichtige Stellung im menschlichen Stoffwechsel ein. Eine 0,9-prozentige Salzlösung ist die Basis aller Körperflüssigkeiten – Salz ist also das einzige Gewürz, ohne das Leben nicht möglich ist. ■ Natürlich | 7-2005 71