Messungen zur Manipulation der Glucose

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Messungen zur Manipulation der Glucose-abhängigen
Tumorsäuerung in vivo *
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Abteilung für experimentelle Zellforschung im Physiologisch-Chemischen Institut
der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster/Westfalen
(Z. Naturforschg. 23 b, 1461—1475 [1968] ; eingegangen am 10. Juni 1968)
On experimental rat tumors, preferentially on DS-Carcinosarcoma, special glass electrodes were
used to measure and to register development of tissue-pH after injection of glucose into the rats.
On tumor surface pH-values were lowered more quickly and increased much faster as in tumor
depth. The lowest registered pH was about 5,9.
High s. c. dosages of Insulin caused a marked decrease of pH-values for nearly one hour too. In
metabole effective small tumors tumor acidity could be regulated satisfactory with administered
glucose and insulin between pH 7,0 and 6,0.
Determination of lactate concentration in tumor tissue, surrounding the electrode, indicated a
linear correlation between pH-value und lactate concentration in the range between pH 6,0 and 7,0.
Regression coefficient comes to —40,9 + 2,2X10“ 3 mMol/g wet weight and pH-unit.
It is emphasized that according to the varying cell supply the compact tumor shows no homo­
geneity on pH-rates, acidification kinetics, and sensibility against acidotic cell lesion.
Results are criticized with reference to other publications and their significance for the theory
of tumor lesion by alkylating agents is discussed.
Zu den allgemeinen Merkmalen solider Tumoren
gehört der hohe Lactat-Gewebespiegel, der eine Si­
cherung physiologischer H 3 0® -Aktivitäten und ihrer
Regulationsfunktionen nicht mehr zuläßt. Mit stän­
dig verbesserten Methoden der Gewebs-pH **• -^Mes­
sung ist unter Variation des arteriellen Glucose-Angebots die Überlastung der Pufferkapazität im Krebs­
gewebe vielfach vom kinetischen Aspekt beleuchtet
worden2-6. In jüngerer Zeit wurden die bisher be­
kannten Faktoren, die ursächlich an der Aussteuerung
des Gewebs-pH-Wertes beteiligt sind, in eine mathe­
matisch formulierte Theorie integriert7. pH-Messungen mit Glaskapillarelektroden an DS-Carcinosarkomen der Ratte haben inzwischen eine wichtige Aus­
sage dieser Theorie bestätigt, da für den pH-Bereich
von 6,1 bis 7,1 eine praktisch lineare Beziehung zwi­
schen pH-Wert und Lactatgehalt im Tumorgewebe
gesichert werden konnte8. Die Versuchsergebnisse
zwangen andererseits dazu, den Anwendungsbereich
der Theorie auf distinkte Tumorbezirke einzuschrän* Ausgeführt mit Sondermitteln des Kultusministeriums
Nordrhein-Westfalen und der Deutschen Forschungsge­
meinschaft.
** Der Terminus „Gewebe-pH“ wird in dieser Arbeit zur
Kennzeichnung des Säure-Basen-Verhältnisses im Interstitium des Tumorgewebes verwendet. Er ist daher grund­
sätzlich anders zu interpretieren als der für einphasige
Pufferlösungen definierte pH-Begriff. Siehe dazu 1.
1 M. F r i e d r i c h : Untersuchungen zur Glykolyse und Gewebe­
acidität von Experimentaltumoren der Ratte in vivo.
Inaugural-Diss. Münster 1968.
2 C. V o e g t l i n , R. H. F i t s c h , H. K a h l e r , J . M. J o h n s o n u . J .
W. T h o m p s o n , Nat. Inst. Health 164,1 [1935].
ken, da sie nicht mit der Vorstellung homogener pHVeränderungen im gesamten Tumor vereinbar waren.
Im folgenden berichten wir über Versuche zur exter­
nen pH-Steuerung am gleichen Experimentaltumor.
W ir gingen bei diesen Versuchen wiederum nicht von
der Vorstellung homogener pH-Verhältnisse im ge­
samten Tumorgewebe aus, sondern wählten vorwie­
gend Meßanordnungen zur vergleichenden Registrie­
rung der Säuerungskinetik in Gewebebezirken, die
sich hinsichtlich ihrer Verbindung mit dem Kreislauf
des Wirtstieres stark voneinander unterschieden. Da­
zu bot sich die gleichzeitige Messung im Tumorinnern und auf der Tumoroberfläche an.
Methodik
1. Tumoren
Das interstitielle Gewebs-pH wurde an drei Trans­
plantationstumoren der Ratte gemessen, am DS-Carcinosarkom, am Jensen-Sarkom und am Yoshida-Sarkom. Das DS-Carcinosarkom erhielten wir von Herrn
3
H.
K a h le r u .
W. B.
R o b e rts o n ,
J. nat. Cancer Inst. 3, 495
[1943].
4
5
6
7
M. E d e n , B. H a i n e s u . H . K a h l e r , J. nat. Cancer Inst. 16,
541 [1955].
P. S c h e i d u . P. K u n z e , Acta Univ. Inst. Cancer 18, 256
[1962].
B. S . A s h b y , Lancet 1966, 2, 1:312.
M. v o n A r d e n n e u . F. R i e g e r , Z. Naturforschg. 21b, 472
[1966].
8 H.
M.
R
auen,
M.
F
r ie d r ic h u
. K. N
orpoth,
Z. Naturforschg.
22 b, 1018 [1967].
Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschung
in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der
Wissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht:
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Nutzungsformen zu ermöglichen.
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of the Creative Commons License condition “no derivative works”). This is
to allow reuse in the area of future scientific usage.
Dr. D. G e r i c k e , Farbwerke Hoechst, Frankfurt/MainHöchst, das Yoshida-Sarkom von Herrn Prof. Dr. N.
B r o c k , Asta-Werke, Brackwede/Westfalen, das JensenSarkom von Herrn Prof. Dr. C. G . S c h m i d t , Klinikum
Essen, wofür wir an dieser Stelle danken. Ratten eines
Wistar-II-Inzuchtstammes des Züchters S . W ü n d r i c h ,
Altenberge/Westfalen, erhielten Tumorzellsuspensionen
gleicher Zelldichte in konstanter Dosierung einseitig
subcutan in die Leistenbeuge injiziert, worauf sich in­
nerhalb von 8 —14 Tagen kompakte Tumoren von 2 bis
3 cm Durchmesser entwickelten. Es handelte sich bei
den Ratten um konventionelle, männliche Versuchstiere,
die bei der Tumortransplantation ca. 200 g schwer
waren. Sie wurden in MakroIonkäfigen bei 25 °C gehal­
ten und bekamen Altromin-I-Futter und Trinkwasser
ad libitum.
2. Messung und Registrierung der Tumoracidität
Zur pH-Messung dienten Halbmikro-Glaselektroden
der Firma Dr. W. Ingold, Frankfurt a. M. Bei der in
Abb. 1 rechts dargestellten Elektrode handelt es sich
um ein Serienfabrikat vom Typ 203 M3 mit 400 —1000
MegaOhm Zellwiderstand bei 25 °C und einem Zellen­
nullpunkt £ 0 = pH7,0. Sie wurde der freigelegten Tu­
moroberfläche mit geringem Drude aufgesetzt.
Die Elektrode links ist eine nach unseren Angaben
gefertigte verkleinerte Nadelmembran-Elektrode vom
Typ 206 M3 mit 1500 MegaOhm Innenwiderstand bei
25 °C und E 0 = pH 7,0 als Zellennullpunkt. Mit ihr
/
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wurde der pH-Wert im Tumorgewebe bis zu einer Tiefe
von ca. 5 mm gemessen. Ihre spitzkegelförmige Meßmembran gewährleistete einen engen Kontakt mit dem
anliegenden Gewebe und verhinderte durch gute Ab­
dichtung der Einstichöffnung eine Gewebseintrocknung.
Bei pH-Messungen in größeren Tumoren (ca. 2 —2,5 cm
Durchmesser) wurden auch Einstichelektroden mit
1 0 mm langer, im übrigen aber gleichdimensionierter
Spitzkegelmembran verwendet. Bei jedem Versuch wur­
den drei bis vier Meßelektroden eingesetzt: ein bis zwei
Einstichelektroden für die Tumortiefe und je eine
Flachmembranelektrode für die pH-Messung auf der
Tumoroberfläche und auf der normalen Oberschenkel­
muskulatur. Als Bezugselektrode diente eine gesättigte
KCl-Kalomel-Elektrode vom Typ 304 der Firma Dr. W.
Ingold. Die gesamte Meßkette wurde derart zusammen­
gesetzt, daß die drei bis vier an den verschiedenen
Stellen des Tierkörpers placierten Meßelektroden über
ein Becherglas mit R i n g e r - Lösung, in die der ange­
ritzte Schwanz der Ratte eintauchte, mit einer allen ge­
meinsamen Referenzelektrode in elektrischer Verbin­
dung standen. Diese Meßkettenanordnung „mit Über­
führung“ vermied weitgehend den bei Kontakt mit pro­
teinhaltigen Flüssigkeiten an der Referenzelektrode
auftretenden Eiweißfehler. Auch die Kontakt- und Dif­
fusionspotentiale an den verschiedenen Phasengrenzen
dieser Meßkette sind praktisch zu vernachlässigen. Da­
bei waren der Operationstisch, auf dem die Ratte lag,
die Elektroden selbst und die Infusionspumpe, die über
den Infusionsschlauch mit der Ratte in leitender Ver­
bindung stand, gegen Erde isoliert. Potentialverluste
durch Kriechströme entlang dem Elektrodenschaft wa­
ren bei einer Schaftlänge von 10 cm so gut wie ausge­
schlossen.
Von jeder der insgesamt sechs Meßelektroden des
Versuchsstandes führten die abgeschirmten Ableitun­
gen über je ein pH-Meßgerät vom Typ E 300 (Ein­
gangswiderstand 2 -IO11 Ohm Meßgenauigkeit 0,01 pHEinheit) der Firma Metrohm AG., Herisau, Schweiz,
zu einem Sechs-Farben-Punktschreiber Typ NSK 61
derselben Firma. Auf diese Weise war die Simultan­
registrierung von je drei pH-Meßstellen in zwei Tieren
möglich. Die Meßanordnung wurde vor jedem Versuch
mit Standard-Pufferlösungen auf pH 7,0 und pH 6,0
geeicht und nach Beendigung der Messung nachkontrol­
liert. Geringe Steilheitsunterschiede der Elektroden
wurden dadurch eliminiert, daß entsprechend den Eichmarken jeder einzelnen Elektrode eine durchsichtige
Ableseschablone angefertigt und bei der späteren Um­
zeichnung der registrierten Kurven jeweils danach ab­
gelesen wurde. So konnte auch der Eiweißfehler an den
Meßelektroden ausgeschaltet werden, der bei dem lang­
dauernden Kontakt mit dem Gewebe verschieden stark
auftrat. Die unter diesen Bedingungen erreichte Meß­
genauigkeit betrug ± 0,02 bis + 0,03 pH-Einheiten.
3. Konditionierung der Versuchstiere.
0
1
2
3 14
5
6
7
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i
i
8
9
10
j __ i__ i
11 12 13 14 mm
Abb. 1. Aufbau und Bemessungen der Nadelmembran-Elek­
trode (links) und der Flachmembran-Elektrode (rechts).
Die Ratten erhielten zur Narkose 1 ml/100 g KG
einer 10-proz. Urethanlösung intraperitoneal injiziert.
Anschließend wurde das Fell der Tiere an der vorderen
Halsregion und über dem Tumor gründlich rasiert.
Dann banden wir die Tiere in Rückenlage auf dem
Operationstischdien fest.
Nach operativer Freilegung der Trachea wurde tracheotomiert und ein 2 —3 cm langer, nicht zu flexibler
PVC-Sdilauch eingebunden. Diese Maßnahme war we­
gen der durch die unphysiologische Rückenlage be­
dingten Einengung der oberen Atemwege notwendig
und schaltete die bei längerer Registrierdauer sonst
periodisch auftretenden respiratorischen Acidosen aus.
Bei der zweiten Versuchsreihe unterbanden wir dann
die rechte Vena jugularis externa nach kranial und
führten nach kaudal eine Braunüle Größe OR ein. Das
Operationsgebiet wurde mit physiologischer Kochsalz­
lösung benetzt, durch Zusammenziehen der Wundränder
mit Kunststoffklämmerchen wieder verschlossen und so
vor dem Eintrocknen geschützt. Das Operationstisch­
chen mit der Ratte wurde nun auf ein kipp- und
schwenkbares Stativ aufgeschraubt und der angeritzte
Schwanz der Ratte in ein in der Tischplatte versenk­
bares Becherglas mit R i n g e r - Lösung eingehängt.
Anschließend wurden die geeichten, abgespülten und
getrockneten Elektroden mittels Kugelgelenkklemmen
an einem weiteren Stativ entsprechend der Tumorlage
justiert und durch etwa 5 mm große circuläre Haut­
schnitte 6 mm tief in das Tumorgewebe eingesenkt bzw.
der Tumorober fläche und Oberschenkelmuskulatur mit
geringem Andruck aufgesetzt. Eine absolut ruhige, von
den Atembewegungen des Tieres und sonstigen Mani­
pulationen unbeeinflußte Lage der Elektroden in bzw.
auf dem Gewebe war notwendig, um eine durch Druck
oder Reibung verursachte „Reizungsacidose“ zu ver­
meiden. Die Vorbereitung der Tiere bis zum Beginn
der Registrierung beanspruchte etwa 3/ 4 Stunden. Wäh­
rend der nun folgenden, für die Einstellung eines sta­
bilen Ausgangs-pH-Wertes nötigen Einstellzeit von ca.
einer Stunde wurden die Injektionslösungen angesetzt
und die damit beschickte Infusionspumpe über eine
Schlauchverbindung an die in der V. jugularis ext. lie­
gende Braunüle angeschlossen. Nach Ablauf der Ein­
stellzeit starteten wir die Glucose-Infusion, die bei einer
Einlaufgeschwindigkeit von 0,375 ml/min in 5 —10
Min. beendet war. Als Infusionspumpe diente das Ge­
rät Unita I der Firma B. Braun, Melsungen. Weitere
Infusionsstöße konnten im späteren Versudisverlauf
ohne die geringste Manipulation am Tier wiederholt
werden.
Die Tiere waren von Beginn der Narkose an wäh­
rend der gesamten Versuchsdauer durch eine in etwa
75 cm Abstand angebrachte, 250 W starke InfrarotLeuchte, die nur die Brust- und Bauchpartie bestrahlte,
vor Unterkühlung geschützt. Nach ca. neun Stdn. wurden
die Elektroden aus dem Tierkörper entfernt, abgespült,
und ihre Potentialeinstellung wurde mit den beiden
oben erwähnten Standard-Pufferlösungen nachkontrol­
liert.
9 H.
J.
H o h o rs t,
F.
H . K re u tz
u.
T h. B üch er,
Biochem. Z.
332, 18 [1959].
10 S. K o l l e r , Statistische Auswertungsmethoden in „Biochem.
Taschenbuch“, Hrsg. H. M. R a u e n , 2. Bd., S. 964, Sprin­
ger-Verlag, Berlin 1964.
4. Beeinflussung der Tumoracidität
Zur Erhöhung der Tumoracidität injizierten wir in
einer ersten Versuchsserie intraperitoneal D-Glucose in
Höchstdosen von 6 g/kg KG als 30 —60-proz., auf den
pH-Wert 7,46 eingestellte, wäßrige Lösung. Um die
hierbei auftretende osmotische Belastung der Tiere her­
abzusetzen und ferner die Tumorglykolyse in vivo bes­
ser steuern zu können, infundierten wir in einer zwei­
ten Versuchsserie D -G lu co se a ls 50-proz., wäßrige, phos­
phatgepufferte Lösung vom pH-Wert 7,46 intravenös.
Bei der besseren Verträglichkeit dieser Applikations­
art konnte die Maximaldosis von 6 g/kg KG erheblich
überschritten werden. Eine weitere Steigerung der invivo-Glykolyse sollte erreicht werden durch kurz nach
der Glucoseinfusion oder zum Zeitpunkt des Säuerungs­
maximums subcutan injiziertes Alt-Insulin (Insulin
„Hoechst“) in Dosen bis zu 60 I.E. pro kg KG.
5. Beziehung zwischen Milchsäurekonzentration und
pH- Wert im DS-Carcinosarkom und Blutplasma
der Ratte
Nachdem mit der oben geschilderten Versuchstech­
nik durch abgestufte Dosen D-Glucose verschiedene sta­
tionäre Aciditätsgrade im Tumorgewebe erreicht waren,
wurden alle Elektroden zugleich entfernt, binnen weni­
ger Sek. die Gewebeteile um die Einstichöffnungen der
Elektroden in Portionen zu je 250 —500 mg excidiert
und in flüssigen Sauerstoff eingetragen. Makroskopisch
sichtbare Nekrosen wurden dabei streng gemieden. Die
tiefgefrorenen Tumorstückdien wurden nach der Vor­
schrift von H o h o r s t 9 weiterverarbeitet. Zur quantitati­
ven Bestimmung der L-Lactat-Konzentration diente der
LDH-Test Boehringer TC-G15977. Die Regressions­
funktion wurde nach den Angaben von K o l l e r 10 und
mit Hilfe der Tabellen in DOCUMENTA GEIGY 11 er­
rechnet.
Zur Gewinnung von Rattenblutplasma wurden vier,
etwa 250 g schweren, heparinisierten Ratten durch Carotispunktion anaerob, d. h. ohne jeden Luftzutritt, je
9 —10 ml arterielles Blut entnommen, die Proben unter
einer Paraffinölschicht von 2 —3 cm getrennt zentrifu­
giert sowie die abpipettierten Einzelplasmen vereint
und gut durchmischt. In einem 1,0-ml-Aliquot dieses
Mischplasmas wurden der pH-Wert elektrometrisch
und die Ausgangs-L-Lactat-Konzentration enzymatisch
ermittelt. Anschließend setzten wir in einem ersten Ver­
such zu je 1,0 ml Mischplasma je 0,05 ml racemisdier
DL-Lactatlösungen steigender Konzentrationen zu, deren
Molaritäten mittels n/lOO-NaOH titrimetrisch genau
eingestellt waren. Nach sorgfältigem Mischen und stabi­
ler Potentialeinstellung wurde der jeweilige pH-Wert
notiert. Im zweiten Versuchsansatz pipettierten wir an
Stelle der racemischen DL-Milchsäure (Milchsäure
puriss. E. Merck) reine L-Milchsäure (1-n.. L-Lactat11 Documenta Geigy, Wissenschaftliche Tabellen, S. 170, 5 ff.,
Basel 1960.
Standard zum LDH-Test Boehringer) in steigenden
Konzentrationen zu, ermittelten den pH-Wert und be­
stimmten den resultierenden L-Lactatgehalt der einzel­
nen Plasmaproben enzymatisch.
Ergebnisse
1. D ie B e z i e h u n g z w i s c h e n G e w e b s -pH
u n d M i 1c h s ä u r e -G e h a 11 b e i m
DS-Carcinosarkom
Messungen zur Kinetik des Gewebs-pH im Tumor
nach Erhöhung des arteriellen Glucoseangebots spie­
geln unmitelbar die Bewegungen des Lactatgehalts
im Tumorgewebe. Dies wurde bewiesen am DSCarcinosarkom 8, dem von uns vorwiegend unter­
suchten Tumor, und die lineare Beziehung zwischen
Lactatgehalt und pH im Tumorgewebe ist folglich
eine der wichtigsten Interpretationsgrundlagen bei
der Beurteilung der pH-Wert-Veränderungen. Sie
soll, nachdem bereits kurz darüber berichtet wurde 8,
im folgenden ausführlich dargestellt werden.
Voraussetzung der Vergleichsmessungen war die
im methodischen Teil beschriebene Säuerung durch
i. v. Glucosezufuhr bei einem Teil der Tumoren. Sie
konnte auf jedem gewünschten pH-Niveau zwischen
pH 6,1 und 7,1 unterbrochen werden. Ferner hat of­
fensichtlich die getrennte Untersuchung der den ver­
schiedenen Meßelektroden anliegenden Gewebebezirke
das Auffinden einer gesetzmäßigen Beziehung zwi­
schen Lactatgehalt und pH-Wert überhaupt erst er­
möglicht.
Abb. 2 gibt 24 Einzelmessungen des Milchsäure­
gehaltes im DS-Carcinosarkom der Ratte bei ver­
schiedenen Gewebs-pH-Werten wieder. Die pH-Werte
sind über den pH-Bereich von 6,1 bis 7,1, die Lactatgehalte über einen Bereich von 1 bis 5 ‘ I O - 5 Mol/g
Frischgewicht verteilt. Die eingezeichneten Werte
sind nicht nach dem Blutgehalt des Tumors korrigiert
und deshalb im Sinne von H o h o r s t et al. 9 als Ge­
halts- und nicht als Konzentrationsangaben aufzufas­
sen. Aus ihnen errechnet sich ein Regressionskoeffi­
zient von —39,7 ± 2 , 2 * • 1 0 - 3 mMol/g Frischgewicht
und pH-E., der die Steilheit der gestrichelten Regres­
sionsgeraden angibt. Berücksichtigt man bei der Be­
rechnung der Regression den am DS-Carcinosarkom
der Ratte ermittelten Blutraum von 4,5 ±1,8 Vol.-% 12
sowie die Tatsache, daß bei der progressiven Tumor* Früher mitgeteilte Werte für die Standardabweichung8
werden hiermit korrigiert.
Abb. 2. Beziehung zwischen Lactatkonzentration und pH im
DS-Carcinosarkom (Kurven c und d) und im Blutplasma
(Kurven a und b) der Ratte. — a: enzymatisch und b: titrimetrisch bestimmte Lactatkonzentrationen in zwei verschiede­
nen Plasmaproben. — c: aus den Lactatkonzentrationen be­
rechnete Werte. — d: nach Korrektur unter Berücksichtigung
des Blutgehaltes des Tumorgewebes. — Aus den an a und b
angelegten Tangenten errechnen sich: ,/?a= —9,9• 10 _ 3 mMol/
ml und ßx>— —8,9 • 10“ 3 mMol/ml pro pH-Einheit.
Säuerung für den Ausgangs-pH-Wert ein BlutlactatSpiegel von durchschnittlich 33 mg-% und zum Zeit­
punkt der maximalen Tumorsäuerung von durch­
schnittlich 53 mg-% gefunden wurde, dann ergibt
sich ein Regressionskoeffizient von —40,9 ± 2,2
•10 - 3 mMol/g Frischgewicht und pH-E. Dieser Wert
liegt im Vergleich zu anderen Körperflüssigkeiten
und Geweben recht hoch.
Zum Vergleich sind in Abb. 2 zwei Pufferungs­
kurven von Rattenblutplasma wiedergegeben. Ob­
wohl beide Kurven an verschiedenen Plasmen (unter­
schiedlicher L-Lactatspiegel bedingt Parallelverschie­
bung der Kurven) mit unterscheidlichen Milchsäure­
präparaten (s. Methodik) und Bestimmungsmethoden
ermittelt wurden, verlaufen sie doch angenähert par­
allel. Geht man von der V a n S 1y k e sehen Defini­
tion der Pufferungskraft als der pro pH-Einheit be­
nötigten Säure- oder Basenzugabe aus, so entnimmt
man den Kurven a + b gemäß der Steigung der im
pH-Bereich von 7,4 bis 6,9 angelegten Tangenten
M. R a u e n , K. N o r p o t h
schaften 54, 540 [1967].
12 H .
u.
N.
van
H usen,
Naturwissen­
eine Pufferkapazität von —9,9 bzw. — 8 ,9 + IO - 3
mMol/ml und pH-E., die mit fallenden pH-Werten
und steiler werdendem Kurvenverlauf immer größer
wird.
Die pH-skalierte Darstellung der Pufferkapazität
wird aber den tatsächlich vorliegenden Pufferungs­
verhältnissen kaum gerecht. Dies verdeutlicht die
Abb. 3, in der unter Verwendung der Meßwerte der
Abb. 2 die Beziehung zwischen Lactatkonzentration
und H 3 0® -Aktivität im Tumorgewebe und Ratten­
blutplasma wiedergegeben ist. Unter der Pufferkapa-
sowie von DS-Carcinosarkom (c und d) der Ratte. - Abszisse:
mMol Lactat/ml Rattenblutplasma bzw. g TumorgewebeFeuchtgewicht. — Ordinate: lineare H30®-Aktivitätsskala
(rechts), logarithmisdie pH-Skala (links). — a : enzymatische,
b: titrimetrische Lactatkonzentrationen in zwei verschiedenen
Plasmen. — c: Berechnung auf den Lactatgehalt. — d: Kor­
rektur nach Berücksichtigung des Blutgehaltes des Tumor­
gewebes.
der Darstellung in Abb. 2, mit fallenden pH-Werten
nunmehr eine abnehmende Pufferkapazität. Diese
vermindert sich von 4,7 bzw. 5,0* 10 - 3 mMol/ml
Plasma und 0,1 *10- 6 Mol// H 3 0®-Aktivitätszunahme
bei pH 7,4 bis 6 , 8 auf 1,56 bzw. 1,67 • 10 - 3 mMol/ml
Plasma und 0,1 • 10- 6 Mol// H 3 0®-Aktivitätszunahme
bei pH 6,1, d. h. in beiden Fällen um den Faktor 3.
Die Pufferungskraft des Tumorgewebes nimmt im
gleichen pH-Intervall um den Faktor 4,5 ab und fällt
damit unter die Ausgangspufferkapazität des Blut­
plasmas. Ihre fortschreitende Abschwächung folgt
einer Exponentialfunktion.
Abb. 4 a. Verlauf des pH in einem großen Jensen-Sarkom (ca.
3 cm 0 ) und der Blutglucose nach i.p. Zufuhr von 6 g d-G1ucose-kg-“ 1 als 30-proz. wäßrige gepufferte Lösung (Pfeil).
w
MUSKEL
zität ist nunmehr diejenige Milchsäuremenge zu ver­
stehen, die eine Erhöhung der H 3 0®-Aktivität im
Tumorgewebe bzw. Plasma um einen bestimmten
Absolutbetrag verursacht. Bei dieser Begriffsfassung
ist, im Gegensatz zu der V a n S 1y k e sehen Defini­
tion, ein Vergleich von Pufferkapazitäten auf ver­
schiedenen Aciditätsstufen möglich. Danach ist die
Pufferungskraft des Tumorgewebes im pH-Bereich
zwischen 7,1 und 6,1 keineswegs konstant, sondern
nimmt von 12,3‘ IO - 3 mMol/g Frischgewicht und
0,1 ’ IO - 6 Mol// H 3 0 G-Aktivitätszunahme bei pH 7,0
bis 6,7 auf 2,73’ IO - 3 mMol/g Frischgewicht und
0 , 1 • 10 ~ 6 Mol// H 3 0®-Aktivitätszunahme bei pH 6 , 1
ab. Aber auch das Blutplasma zeigt, im Gegensatz zu
♦
7,0
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8
Abb. 4 b. Verlauf des pH in einem großen Yoshida-Sarkom
(2—3cm 0 , subcutane Infiltration). — I.p. Zufuhr von 6 g
D-Glucose-kg- 1 als 30-proz. wäßrige, auf pH 7,40 gepufferte
Lösung (Pfeil).
h
9
im Tumorgewebe an einen immer ungünstigeren Ar­
beitspunkt ihrer Pufferungskurve geraten und immer
mehr in den Zustand der Aussteuerung übergehen.
2. p H -V e r ä n d e r u n g e n im T u m o r n a c h
e i n m a l i g e r i. p. -I n j e k t i o n v o n
D-Glucose
a) Reaktion verschiedener Tumoren
Abb, 4 c. Verlauf des pH in einem DS-Carcinosarkom, Seiten­
knoten eines Tumors von ca. 3 cm 0 . — I.p. Zufuhr von 6 g
D-Glucose-kg- 1 als 30-proz., wäßrige, auf pH 7,25 gepufferte
Lösung (Pfeil).
PH
Abb. 4 d. Verlauf des pH in einem DS-Carcinosarkom von
2 cm 0 . — I.p. Zufuhr von 6 g D-Glucose als 30-proz., wäß­
rige, auf pH 7,30 gepufferte Lösung (Pfeil 1). — I.p. Punk­
tion von 11 ml Ascites vom pH 7,2 (Pfeil 2), darauf i.p. In­
jektion von 3 ml physiol. NaCl-Lösung.
Die einmalige i. p.-Injektion einer hohen Glucose­
dosis erhöht über Stdn. den Blutzuckerspiegel der
Ratte 13. Bei Tumor-tragenden Tieren finden wir eine
entsprechend lange anhaltende Senkung des pH so­
wohl im Interstitium tieferer Gewebeschichten als
auch an der Oberfläche des Tumors (Abb. 4, b —d ) .
Die Tiefen-pH-Werte sinken mit einer Latenzzeit von
ca. 15 Min. nach dem Ansteigen der Blutglucose
(Abb. 4 a). Bei den verschiedenen Transplantations­
tumoren ist der Zeitverlauf der pH-Veränderungen
prinzipiell gleich. Die Gewebesäuerung beginnt an
der Oberfläche jeweils mit größerer Geschwindigkeit
als im Tumorinneren. Die pH-Kurve durchläuft dort
in der Regel ein tieferes pH-Minimum (eine Aus­
nahme ist in Abb. 4 d dargestellt) und ist durch emp­
findliches Ansprechen auf respiratorisch bedingte
kurzzeitige pH-Schwankungen, die auch in der Mus­
kelableitung zum Ausdruck kommen, gekennzeichnet.
Sie wird dadurch, verglichen mit der pH-Kurve der
Tiefen-Elektrode, ausgesprochen unruhig. Die in den
Abbn. 4 b —d gezeigten pH-Kinetiken lassen ferner
erkennen, daß an der Tumoroberfläche jeweils be­
reits innerhalb der Versuchszeit von 6 —9 Stdn. die
Gewebesäuerung wieder zurückgeht. In der Tumor­
tiefe ist diese Rückbildungsphase verlangsamt, oft
sogar stark verzögert. Der gesetzmäßige Verlauf der
Tumorsäuerung kann durch Punktion von Glucose­
haltigem Ascites aus der Bauchhöhle der Ratte in den
mittleren und späten Versuchsphasen beeinflußt wer­
den (Abbn. 4 d und e ). Im Versuch der Abb. 4 e
dürfte der 2 V2 Stdn. nach der Glucose-Injektion ge­
wonnene Ascites nach Angaben von K ahler und
Buchanan 13 noch etwa 30% der zugeführten Glucose­
dosis enthalten haben. Die in Abb. 4 d wiedergegebene Oberflächen-pH-Kurve läßt einen abrupten An13 H. K a h l e r
[1948].
u.
G.
B uchanan,
J. nat. Cancer Inst.
8,
163
Abb. 4e. Verlauf des pH in einem Jensen-Sarkom (1,5-20 cm
0 ) . — I.p. Zufuhr von 6 g D-Glucose-kg- 1 als 30-proz., wäß­
rige Lösung (Pfeil 1). — I.p. Punktion von 12 ml Ascites
vom pH 7,9 (Pfeil 2), darauf i.p. Injektion von 3 ml physiol.
NaCl-Lösung.
stieg um 0,15 Einheiten in dem Augenblick erken­
nen, in dem durch Ascitespunktion der Glucosezufluß
zum Tumor gedrosselt wurde. Muskel und Tumor­
tiefe reagieren kaum merklich mit.
Unterschiede der einzelnen pH-Kinetiken in Abb. 4
sind mehr auf wechselnde Tumorgröße und Stoff­
wechselaktivität als auf spezifische Reaktionsweisen
der verschiedenen Tumorgewebe zurückzuführen. Wir
fanden aber beim DS-Carcinosarkom besonders gün­
stige Versuchsbedingungen, da anders als bei den
übrigen untersuchten Tumoren nur eine geringfügige
„Reizungsacidose“ nach Einführen der Tiefenelek­
trode zu verzeichnen war (Abbn. 4 c und d ) .
Die Acidose, die dem Aufsetzen der Oberflächen­
elektrode unmittelbar folgte, war in der Regel nicht
so ausgeprägt wie in den beiden abgebildeten pHVerläufen oder sie bildete sich schneller zurück. Aus
diesem Grunde wurden zur Sicherung der Unter­
schiede in der Säuerungskinetik oberflächlicher und
tiefer Tumorgewebeschichten und zum weiteren Stu­
dium der artifiziellen Tumorsäuerung ausschließlich
DS-Carcinosarkome untersucht.
b) Säuerungsverlauf an der Oberfläche und im
Tiefengewebe des DS-Carcinosarkoms
Nachdem sich bei pH-Messungen an verschiedenen
Experimentaltumoren ein unterschiedliches Anspre­
chen der oberflächlichen und tieferen Gewebeschich­
ten auf gesteigerte Glucosezufuhr gezeigt hatte, ver­
suchten wir, diesen Befund durch Serienuntersuchun­
gen am DS-Carcinosarkom zu objektivieren. Ein Ver­
gleich der pH-Minima, die innerhalb von 30 Min.
nach Verstreichen der Latenzzeit zwischen Glucose­
injektion und Säuerungsbeginn registriert wurden,
gibt Aufschluß über die Geschwindigkeiten der initia­
len pH-Senkung (Abb. 5). An der Oberfläche wurde
der pH-Wert im Schnitt um 0,37 + 0,07 Einheiten,
im Tumor dagegen nur um 0,24 ± 0,07 Einheiten ge­
senkt. Die Signifikanzberechnung im t-Test unter
Voraussetzung der Normalverteilung führt zu einem
Niveau von p < 0,005 für die Annahme eines realen
Unterschiedes.
In Tab. 1 sind als weitere Kriterien des unter­
schiedlichen pH-Verhaltens von Tumoroberfläche und
-tiefe die mittleren maximalen pH-Differenzen, die
in der gesamten Versuchszeit gemessen wurden, und
ihre durchschnittlichen Zeitwerte angegeben. Bei
einem Ausgangsniveau von 6,94 + 0,16 auf der Tu­
moroberfläche bzw. 6,98 + 0,12 im Tumorinnern
fällt der pH-Wert auf dem Tumor innerhalb durch-
PH'ABFALL beim DS-CARCINOSARKOM in den ersten
30 MIN. nach i.p. ZUFUHR von 6g/kg K.G. D-GLUCOSE
30*/. ig (
gemessen:
Abb. 5. Gegenüberstellung der maximalen pH-Abfallraten
von Tumoroberfläche und Tumortiefe.
sdinittlich 105 Min. auf ein Minimum von 6,25
+ 0,18, im Tumorinneren in durchschnittlich 168
Min. auf ein Minimum von 6,44 + 0,19.
Während die Ausgangs-pH-Werte sich nicht signi­
fikant unterscheiden, ist die Differenz der mittleren
pH-Minima an den Oberflächen- bzw. Tiefenelektro­
den signifikant bei einem p < 0,025. Der mit der
Einstichelektrode im Muskelgewebe gemessene Ruhe­
pH-Wert von 7,46 + 0,09 wurde durch die Glucose­
injektion in durchschnittlich 36 Min. auf 7,34 + 0,09
gesenkt. Tab. 1 enthält zu allen angegebenen pHWerten die äquivalenten Werte der H aO®-Aktivitä­
ten, so daß auch die Gewebeaciditäten unmittelbar
verglichen werden können. Eine anschauliche Vor­
stellung von den Aciditätsänderungen an der Peri­
pherie und im Inneren des DS-Carcinosarkoms ver­
mittelt Abb. 6 . Der graphischen Darstellung liegen
14 bzw. 10 pH-Registrierungen nach i. p.-Zufuhr von
6 g/kg D-Glucose zugrunde. Stark eingezeichnet ist
der Verlauf der mittleren Acidität, dazu sind mit
schwächerer Markierung die Kurven der Standard­
abweichungen eingetragen. Es wird deutlich, daß die
Oberfläche nicht nur schneller sauer wird und früher
einen höheren Aciditätsgrad erreicht als das Tumor­
innere, sondern auch wieder schneller dem AusgangspH zustrebt. Die zusammenfassende Kurvenberech­
nung bestätigt damit, daß die oberflächlichen Schich­
ten des untersuchten Tumors auf das gesteigerte
Glucoseangebot mit einer wesentlich dynamischeren
Säuerungskinetik antworten als das tiefer gelegene
Gewebe.
auf der
Tumoroberfläche
Ausgangsacidität
oh® •10-8
pH
Maximalacidität
nach
Glucose
öh® • 10-#
pH
Zeit bis
Aciditätsmaximum
Ausgangsacidität:
Maximalacidität
in der
Tumortiefe
auf der
Muskulatur
Tumoracidität
Muskelacidität
0 115*^"®’®**^
’
-0,037
(TV=14)
6,94 ±0,16
0 104~*”®’® ^
’
-0,025
(7V=34)
6,98 ±0,12
0
0 3 5-"^’^
®
U,Uii
0,006
(TV=27)
7,46 ±0,09
3,0-3,3 : 1
0,5 pH-E
n ^ + 0’29
’ -0,19
(TV= 10)
6,25 ±0,18
n ofi+0,20
’ -0,13
(TV=14)
6,44 ±0,19
0
045^"®’®
^
u,U4o
o,oo8
7,9-12,3 : 1
7,34 ±0,09
0,9-1,1 pH-E
1,76 ± 0,85 h
(TV= 10)
2,80 ± 1,34 h
(TV=14)
0,60 ±0,21 h
(TV=15)
1 : 4,9
1 : 3,5
1 : 1,3
Tab. 1. Aciditätswerte beim DS-Carcinosarkom der Ratte vor und nach i.p.-Zufuhr von 6 g/kg D-Glucose.
PH-ABFALL im DS-CARCINOSARKOM in den ersten
30 MIN. nach
Abb. 6. Verlauf des pH in Muskel, Tumoroberfläche und Tu­
mortiefe (DS-Carcinosarkom) der Ratte nach i.p. Zufuhr von
6 g D-Glucose-kg-1, berechnet aus 10 bzw. 14 Einzelmessun­
gen.
3. p H - V e r ä n d e r u n g e n i m D - C a r c i n o s a r k o m n a c h e i n m a l i g e r i. v. -I n j e k t i o n
v o n D-Gl uc os e
Durch i. v. Glucoseapplikation gelingt es, dem
Kreislauf der Ratte innerhalb 5 — 10 Min. 6 —9 g/kg
als 50-proz. Lösung zuzuführen. Dadurch wird einer­
seits ein sehr steiler Anstieg des Blutglucosespiegels
erreicht. Andererseits verebbt die Glucose-„Überschwemmung“ des Organismus schnell, da ein großer
Teil der zugeführten Flüssigkeits- und Glucosemenge
schon während oder kurz nach der Infusion renal
ausgeschieden wird. Die hochdosierte intravenöse
Glucosezufuhr führte im Vergleich zur intraperito­
ZUFUHR von D-GLUCOSE
Abb. 7. Gegenüberstellung der maximalen pH-Abfallraten im
DS-Carcinosarkom der Ratte nach i.p. und nach i.v. Zufuhr
von D-Glucose.
nealen Applikation zu einer deutlich verstärkten
Säuerung des Tumors. Aus Abb. 7 sind die Ge­
schwindigkeiten der initialen pH-Senkung nach i. p.
Gabe von 6 g/kg und nach i. v. Zufuhr von 6 — 9 g/kg
Glucose (50-proz.) zu entnehmen. Die 30 Min. nach
Beginn der Säuerung erreichten mittleren pH-Minima
unterscheiden sich (wiederum ist Normal Verteilung
vorausgesetzt) signifikant ( p < 0 ,0 0 1 ).
Im Zuge des erwähnten schnellen Anflutens und
Verebbens der „Glucosewelle“ wurde ein steiler Ab­
fall, ein nur kurzfristig durchlaufenes Minimum und
eine frühzeitige und vollständige Rückbildung des
Tumorinnen-pH-Wertes beobachtet. Sein Verlauf, der
durch Abbildungen des nächsten Abschnitts belegt
ist, zeigt etwa die gleiche dynamische Charakteristik
wie die Oberflächen-pH-Kurve nach intraperitonealer 8,o.
Glucoseinjektion. Die Registrierung des Oberflächen­
pH-Wertes nach i. v.-Injektion der hohen Glucose- ’ dosis ließ in der Regel noch stärkere Ausschläge und 6,7.
größere Geschwindigkeiten der Säuerungskinetik er- 6,fL
kennen.
6,5‘
w.
4. S t e u e r u n g d e r T u m o r a c i d i t ä t d u r c h
wiederholte Glucose-Injektion und
zusätzliche Behand lun g mit Insulin
6,3
6,2.
Die Beobachtungen zur Tumorsäuerung mit ein­
maligen hochdosierten Glucoseinjektionen geben in
mancher Hinsicht Aufschluß über Grundlagen und ’’
Grenzen einer Steuerung der Tumoracidität durch
Variation des Glucoseangebots im Rahmen einer Injektions- bzw. Infusionsbehandlung. Sie lassen unter
anderem erkennen, daß es schwierig ist, eine anhal­
tende und zugleich befriedigende Senkung des Tie- Abb. 8. Verlauf des pH bei einem DS-Carcinosarkom der
fen-pH zu erzwingen. Dazu sind sehr hohe Blutglu­ Ratte (ca. 1 cm 0 ) . — I.p. Zufuhr von 6 g D-Glucose-kg- 1
als 30-proz., wäßrige, gepufferte Lösung (Pfeil 1). — S.c. Zu­
cosespiegel erforderlich, doch genügt es offenbar, fuhr von 60 I.E. Insulin-kg- 1 (Pfeil 2). — Nochmals die­
wenn sie nur kurzfristig erzeugt werden. Durch wie­ selbe Zufuhr (Pfeil 3). — S.c. Zufuhr von 2-60 I.E. Insulinkg- 1 (Pfeil 4). — I.p. Punktion von 5,5 ml Ascites (Pfeil 5)
derholte i. v.-Injektion großer Glucosedosen sollte und i.p. Zufuhr von 6 g D-Glucose-kg_1 als 30-proz., wäßrige,
daher eine bessere Kontrolle über die Entwicklung
gepufferte Lösung.
des Tumor-pH-Wertes zu erreichen sein.
W ir haben die in kurzen Abständen wiederholte
Glucoseinfusion mit Insulingaben zu verschiedenen
Zeitpunkten kombiniert. Folgende Insulin-Effekte
wurden beobachtet: S. c.-Gaben von 40 —50 Einhei­
ten/kg Insulin verursachen während der Säuerungs­
phase einen weiteren pH-Abfall um etwa den glei­
chen Betrag, wie er durch Wiederholung der Glucose­
gabe erzielt werden kann. In Abb. 8 ist zu erkennen,
daß diese Wirkung eintrat, nachdem die Tumorsäue­
rung bereits rückläufig geworden war. Die Abb. 8
zeigt ferner die Wirkungslosigkeit einer weiteren In ­
sulinzufuhr und ist auch insofern repräsentativ (s.
auch Abb. 9). Zusätzliche Säuerungen, die mit Insu­
lin allein erreicht werden konnten, waren von kurzer
Dauer und auffälliger Rückbildungsgeschwindigkeit
(Abb. 8 ). Wurde Insulin zu Beginn der Tumorsäue­
rung gleichzeitig mit einer zweiten oder dritten Glu­
cosedosis injiziert, so wurde der pH-Wert im Tumor­
inneren stark und anhaltend erniedrigt. Abb. 9 zeigt
eine solche Versuchsanlage, mit der sich die H 3 0®Aktivität für Stdn. auf ein hohes Niveau bringen Abb. 9. Aciditätsverlauf bei einem DS-Carcinosarkom (ca.
1 cm 0 , starke subcutane Infiltration) der Ratte. — I.v. Zu­
läßt.
fuhr von 8,5 g D-Glucose-kg—1 als 50-proz., wäßrige, auf pH
Das Ziel, die H 3 0®-Aktivität im Tumorgewebe 7,46 gepufferte Lösung (Pfeil 1). — I.v. Zufuhr von 6,4 g
zeitlich und quantitativ durch exogene Beeinflussung D-Glucose-kg—1 (Pfeil 2). — I.v. Zufuhr von 0,42 g d-G1ucose-kg- 1 + s.c. Zufuhr von 40 I.E. Insulin'kg- 1 (Pfeil 3).
der in-vivo-Glykolyse zu manipulieren, wird auf
— S.c. Zufuhr von 50 I.E. Insulin‘kg- 1 (Pfeil 4).
diese Weise aber nicht voll erreicht, da sich die hohe
Acidität im Tumorinneren über einen größeren Zeit­
raum eigengesetzlich zurückbildet. Diesem Ziel kommt
der in Abb. 10 dargestellte Versuch näher, bei dem
die Glucoseinfusion erst jeweils nach dem Durch­
gang des Tiefengewebes durch ein Säuerungsmaxi­
mum wiederholt wurde. Zunächst ließ sich durch i. v.
Zufuhr von 6,6 g/kg D-Glucose (P feil 1) ein sehr
PH a H +- 1 0 ' 6
8,0j.0,01
7,fe,
M USKEL
7, 0: ■0,1
0,2
• TUMORTIEFE
.0,3
i
■OH
\
•i
•
Mol// bei Pfeil 2 und 3. Die Abschwächung des Säue­
rungseffektes ist möglicherweise auf die Nachwir­
kung der hochdosierten Insulin-Injektion zurückzu­
führen. Vergleicht man die Phase des nachfolgenden
Aciditätsrückgangs mit dem entsprechenden A b ­
schnitt der Säuerungskinetik in Abb. 9, so fällt die
wesentlich höhere Geschwindigkeit auf, mit der die
Acidität im Tumor wieder abnimmt. Zweifellos war
nach jeder Säuerungsschleife ohne die Nachinjektion
von Glucose mit einer relativ schnellen Säuerungs­
rückbildung zu rechnen. Der Versuch repräsentiert
damit sowohl von der Ausgangssituation im Tumor­
gewebe wie auch von der Anordnung der Glucose­
zufuhr her solche Verhältnisse, bei denen sich die
Steuerung der Acidität innerhalb des pH-Bereichs
zwischen 6,0 und 7,0 bis zu einem gewissen Grad
über die Glykolyse allein verwirklichen läßt.
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Abb. 10. Aciditätsverlauf bei einem DS-Carcinosarkom der
Ratte. — I.v. Zufuhr von 6,6 g D-Glucose-kg-1 als 50-proz.,
wäßrige, auf pH 7,46 gepufferte Lösung (Pfeil 1). — I.v. Zu­
fuhr von 3,3 g D-Glucose-kg-1 (Pfeil 2). — I.v. Zufuhr von
3,3 g D-Glucose-kg“ 1 + s.c. Zufuhr von 60 I.E. Insulin-kg-1
(Pfeil 3 ). — I.v. Zufuhr von 3,3 g D-Glucose-kg-1 (Pfeil 4).
großer erster Anstieg der H 30®-Aktivität von 0,14
auf 1,34-10-6 Mol// erzielen. Kurz nachdem in der
registrierten pH-Kurve der Wendepunkt sichtbar ge­
worden war, infundierten wir (bei Pfeil 2 bis 4)
dreimal die halbe Dosis nach. Bei Pfeil 3 wurden
60 I. E./kg Insulin s. c. gegeben. Die folgende Säue­
rungsschleife wird dadurch im Vergleich zur voraus­
gegangenen etwas tiefer und weiter. 90 Min. später
wurde noch einmal Glucose in gleicher Dosierung in­
jiziert (P feil 4 ). Die H 30®-Aktivität stieg auch jetzt
wieder an, jedoch nur noch um 0,2 ■10-6 Mol// ge­
genüber einem Anstieg von 0,35 bzw. 0,41 • 10-6
Der ursächlich noch ungeklärte Glykolysezwang,
durch den alle bekannten Krebszellen bis zur Er­
schöpfung ihrer glykolytischen Kapazität je nach
Glucose-Angebot die zum Lactat führende Stoffwech­
selsequenz betätigen müssen, hat im Gewebeverband
solider Tumoren ein Absinken der interstitiellen
Glucosekonzentration zur Folge. Die Nachlieferung
von Glucose aus dem Wirtsorganismus beansprucht
im allgemeinen nur einen geringen Teil der glyko­
lytischen Potenz der Tumorzellen und wird damit
zum limitierenden Faktor der Lactatbildung. Sie
reicht andererseits aus, der Geschwindigkeit, mit der
Lactat entsteht, ein Übergewicht über die Geschwin­
digkeit des venösen Abtransports zu verleihen, so
daß bei einem großen Spektrum untersuchter Tumo­
ren lactatbedingte Abweichungen der H 30® -Aktivi­
tät vom physiologischen Niveau gefunden wurden.
In zahlreichen Untersuchungen mit zunächst unzu­
länglichen Methoden der intravitalen Gewebs-pHMessung sind die Gesetzmäßigkeiten der Glucose­
abhängigen Tumorsäuerung erkundet worden. Die
Vorstellungen, die aus dem gesamten Experimental­
befund abgeleitet werden können, sind heute keines­
wegs lückenlos und frei von Widersprüchen. Ande­
rerseits haben sich die Aussichten, durch weiterfüh­
rende Versuche zu einer zutreffenden und in sich
schlüssigen Anschauung zu gelangen, in den letzten
Jahren wesentlich gebessert; und zwar aus zwei
Gründen. Einmal sind heute die Bedingungen und
die wichtigsten Fehlerquellen, die bei der pH-Mes-
sung im lebenden Gewebe zu beachten sind, aus der
angesammelten Experimentalerfahrung bekannt. Zum
zweiten wurde die Meß- und Registriertechnik weiter­
entwickelt. Während zur Zeit bereits über zuverläs­
sige Methoden der intracellulären pH-Messung dis­
kutiert wird 14-185 gilt die Bestimmung interstitieller
H30®-Aktivitäten kaum noch als problematisch. Seit
kurzem steht dazu eine Referenzelektroden-freie V er­
suchsanordnung zur V erfü gu ng19. Aber auch spe­
zielle Anordnungen, die noch Bezugselektroden ent­
halten, sind, wie w ir kürzlich zeigen konnten 8, hin­
reichend zuverlässig, um damit offen gebliebene Fra­
gen zur artifiziellen Tumorsäuerung durch Glucose
zu entscheiden.
Zum ersten Mal konnte an Experimentaltumoren
eine gesetzmäßige Beziehung zwischen Lactatgehalt
und H30® -Aktivität nachgewiesen und berechnet
werden. Die im Ergebnisteil dieser Arbeit noch ein­
mal ausführlich dargestellten Befunde geben Anlaß
zu der Feststellung, daß eine Funktion mit so gerin­
ger Schwankungsbreite nicht hätte ermittelt werden
können, wenn die gemessenen pH-Werte auf den
Lactatgehalt im ganzen Tumor bezogen worden wä­
ren und nicht nur auf das Elektroden-nahe Gewebe.
Diese Tatsache spricht sehr gegen die Vorstellung
homogener Lactatkonzentrationen und pH-Verhält­
nisse in den Experimentaltumoren. Ferner ist eine
bemerkenswert hohe Pufferkapazität des Tumor­
gewebes aufgedeckt worden, wie sie auch von K a h ­
l e r und R o b e r t s o n 20 auf Grund ihrer pH-Messun­
gen am Hepatom 31 vermutet wurde. Aus der Be­
ziehung zwischen Lactatgehalt im Tumorgewebe und
pH-Wert bzw. log H30®-Aktivität kann nun auf
die den pH-Wert-Änderungen zugrunde liegen­
den Stoffwechselvorgänge geschlossen werden. Zwar
spiegeln die Prozesse der Lactatansammlung im Tu­
morgewebe, die wir mit den pH-Messungen erfassen,
die glykolytische Lactatbildung nicht unmittelbar. Sie
repräsentieren jeweils nur die Resultante aus der
Lactatbildungs- und Lactatef flux-Geschwindigkeit.
Es sollten sich aber durch die Berechnung dieser
Resultante noch wichtige Auskünfte über die gly­
kolytische Leistung der Tumorzellen bei verschiede­
nen Graden der Gewebeacidität gewinnen lassen.
14 P. C . C a l d w e l l , J. Physiology 1 4 2 , 22 [1958].
15 N. W. C a r t e r , F. C . R e c t o r , D. S. Campion u. D. W . S e ld in ,
Federat. Proc. 2 6 , 1322 [1967].
18 J. A. M. H in k e , Nature [London] 1 8 4 , 1257 [1959].
17 J. A. M. H in k e , J. Physiology 1 5 6 , 314 [1961].
18 S. H ir a k a w a u. H . Y osh im u ra , Jap. J. Physiol. (G A N N )
1 4 , 45 [1964].
W ir haben nun mit der gleichen Meßanordnung
und am gleichen Experimentaltumor, dem DS-Car­
cinosarkom der Ratte, folgende Problemstellung
aufgegriffen: Gibt es charakteristische Säuerungs­
kinetiken im Tumor in Abhängigkeit von den V er­
hältnissen der Tumortopographie, vom Applikations­
schema bei der Glucose-Zufuhr und von zusätzlichen
Insulin-Injektionen? A lle drei Einzelfragen sind mit
Sicherheit zu bejahen. Sie sollen im folgenden ge­
trennt erörtert werden.
Die Abhängigkeit der Tumor-pH-Kinetik von der
injizierten Glucosemenge, der Applikationsart, dem
Tumoralter und der Gefäß Versorgung an der pHMeßstelle wurde zuerst von K ahler und M oore 21
studiert. Man kann davon ausgehen, daß bei ihren
wie bei allen Messungen des Tumor-Innen-pH mit
Kapillarglaselektroden die pH-Bewegungen im Interstitialraum gemessen wurden. So fanden Gullino und
Mitarbb. 22 in der mittels implantierter Diffusions­
kammern gewonnenen Interstitialflüssigkeit verschie­
dener Experimentaltumoren der Ratte pH-Werte, die
selbst in den Standardabweichungen geradezu auf­
fällig mit den von uns im DS-Carcinosarkom gemes­
senen Werten übereinstimmen. Da aber der Interstitialraum als Transitstrecke des Stoffaustausches zwi­
schen Gefäßsystem und Einzelzelle aufzufassen ist,
wird die Reaktionsweise seines inneren Milieus u. a.
durch die Entfernung vom Gefäßsystem, aber auch
durch die Stoffwechselintensität und Lagerungsdichte
der umliegenden Zellen bedingt sein. So ist zu ver­
stehen, daß von E den, H aines und K ahler 4 in Tu­
moren von etwa Kirschgroße mit sechs Einzelelektro­
den sechs verschiedene pH-Werte gemessen und je ­
weils unterschiedliche Reaktionen auf die GlucoseInjektion an den verschiedenen Meßstellen gefunden
wurden. Die Streuung der Ausgangs-pH-Werte inner­
halb eines Tumors war mit 0,105 pH-Einheiten ge­
genüber 0,150 pH-Einheiten zwischen den Tumoren
erheblich. Bei unseren Untersuchungen an DS-Carcinosarkomen mit drei bis vier Einstich-Elektroden
fanden wir ebenfalls starke Schwankungen der pHund Lactatwerte im gleichen Tumor. Doch läßt sich
gegen die Vorstellung homogener pH-Verhältnisse
und -Veränderungen und für die Annahme einer pH19 D. W. L u b b e r s , Pfluegers Arch. ges. Physiol. Menschen
Tiere 276, 407 [196 3].
20 H. K a h l e r u . W . B. R o b e r t s o n , J. nat. Cancer Inst. 3, 495
[194 3],
21 H. K a h l e r
u.
B.
M oore,
J. nat. Cancer Inst. 28,561 [1 9 6 2 ].
22 P. M . G u l l i n o , F. H. G r a n t h a m u . S . H. S m it h , Cancer Res.
25, 727 [196 5].
Topographie im Tumor aus der Vergleichsmessung
mit Oberflächen- und Einstich-Elektroden noch weit
stärkeres Beweismaterial anführen.
Verschiedene Untersucher berichten übereinstim­
mend, daß die Säuerung des tiefen Tum orgewebes
durch Glucose-Injektionen erst nach einer gewissen
Latenzzeit einsetzt. Eden, H aines und K a h le r 4 kön­
nen aus registriertechnischen Gründen diese Latenz­
zeit nur abschätzen und geben eine Spanne von 2
bis 20 M in. an. K a h l e r und R o b e r ts o n 20 nennen
eine Zeit von etwa 10 M in., V o e g tlin , F itch et al. 2
10 — 40 M in., A s h b y 6 fü r menschliche Tum oren 10
bis 90 Minuten. D ie A n gab e n stimmen gut mit den
M eßergebnissen überein, die mit Einstich-Elektroden
am D S-C arcinosarkom gewonnen wurden und eine
Latenzzeit von
gegenüber
0 — 15 M in. erkennen ließen. D em ­
reagierte
die
Tum oroberfläche
sofort,
ohne m eßbare Verzögerungszeit. D ie p H -W erte fielen
dann an der Oberfläche schneller als im Tum orinnern
ab. D as M inim um w urde früher erreicht und lag
signifikant niedriger ( p < 0,025) als das des Tiefen­
gewebes. Anschließend stiegen die p H -W erte schnel­
ler w ieder an. F ü r eine höhere Stoffwechselaktivität
der Zellen in der Tum orrandzone sprechen zahlreiche
E xperim entalbefunde, unter anderem die von Reiss
und H o c h w a ld 23, C asperson, N yström und Santess o n 24 sowie K a lle n b a c h ,
S c h u ster und G r e g l 25.
K a h l e r und M o o re 21 wiesen mit H ilfe des Lissam inGrün-Testes nach, daß Gewebebezirke mit schnellem
p H -A b fa ll besser mit Blut versorgt sind als die nur
langsam reagierenden. D ie von A l g i r e
und C h a l-
key 26, A l g i r e und L e g a lla is 27 studierte periphere
G efäßversorgun g transplantierter M äusetum oren läßt
einen raschen und ungehinderten A ntransport in ji­
zierter Glucosemengen durch weite Gefäßlum ina ver­
muten.
A lg ir e
und
C h a lk e y 26 fanden
Transplantationstumoren
bei
ihren
eine hyperämische R an d ­
zone mit stark dilatierten und geschlängelten K a p il­
laren, in denen das Blut in träger Ström ung (P eristase) floß. Nach innen nahm die Dichte des G efäß ­
netzes immer mehr ab, das Tum orzentrum w ar prak­
blutgefüllten Zysten wurden. Die Untersucher heben
die auffallende histologische Ähnlichkeit der peritumoralen Gefäßbindegewebs-Reaktion mit derjeni­
gen im frischen Granulationsgewebe hervor. Scheid 28
konnte am Mesenterium von Mäusen mit TumorAscites starke Kapillarsprossung und Bindegewebsproliferation sowie abgekürzte und atypische Gefäß­
reaktion auf Adrenalin wie im Granulationsgewebe
nachweisen. Ausgehend von diesen Befunden zeigten
und N iekamp 29 an Transplantationstumoren
der Ratte, daß mit Adrenalin eine Weitstellung der
Tumorgefäße bei gleichzeitiger Vasokonstriktion im
B ro ck
Bereich des umgebenden Normalgewebes erreicht
werden kann. Ohne Adrenalin färbten sich nach Trypanblau-Infusion nur die oberflächlichen Tumor­
schichten. Die dem Morphologen bekannte und als
unspezifische Antwort auf einen Entzündungsreiz
klassifizierte „Stroma-Reaktion“ des Tumorrand­
gebietes wird von Scheid 28 pathogenetisch auf die
Ansammlung von H 30®- und Lactationen zurückge­
führt. Aus den genannten Befunden geht hervor, daß
es sich bei der Tumorrandzone im allgemeinen um
ein hyperämisches Gewebe mit regem Stoffaustausch
handelt. Hinsichtlich der unterschiedlichen pH-Kinetik in oberflächlichen und tiefergelegenen Tumor­
schichten nach massiven Glucosegaben ergibt sich
demnach folgende Anschauung. Eine plötzliche Er­
höhung des Blutglucosespiegels führt infolge der
guten peripheren Vascularisation zu einem starken
Glucoseeinstrom in die Tumorperipherie und bewirkt
bei der hohen Stoffwechselaktivität der dort gelege­
nen Zellen in kurzer Zeit eine erhebliche Milchsäure­
freisetzung mit entsprechend steilem pH-Abfall auf
ein frühes und tiefes Minimum. Danach nimmt bei
fallenden Blutglucosewerten die Lactatbildung ab und
der pH-Wert steigt infolge vermehrter Säureaus­
schwemmung relativ schnell wieder an. Im Tumor­
inneren trifft dagegen die „Glucosewelle“ infolge
der Abschöpfungsvorgänge in der Peripherie, der
längeren Transportstrecke und wegen der Verlang­
ihres beträchtlichen K alibers nicht in Arteriolen oder
samung der Blutströmung später und mit verminder­
ter Stärke ein. Sie wird außerdem an den durch die
Venolen differenziert und bildeten zahlreiche Anasto-
schlechte Versorgung bereits vorgeschädigten Zellen
mosen, die später zu sinusoiden Erweiterungen und
weniger wirksam.
tisch gefäßlos. D ie wenigen Tum orgefäß e w aren trotz
R e is s
u.
A. H o c h w a l d , Med. Klin. 28, 1391, 1432
[1932].
T. C a s p e r s o n , C . N y s t r ö m u . L. S a n t e s s o n , Naturwissen­
schaften 29, 29 [1941].
H. H. K a l l e n b a c h , R . S c h u s t e r u . A. G r e g l , Z. Krebs­
forsch. 66,218 [1964].
23 R .
24
25
26 G. H.
A l g i r e u . H. W. C h a l k e y , J. nat. Cancer Inst. 6, 73
[1945],
27 G. H. A l g i r e u . F. Y. L e g a l l a i s , J. nat. Cancer Inst. 12,
399 [1951].
28 P. S c h e id , Z. Krebsforsch. 3 , 137 [1959].
29 N . B r o c k u . T. N ie k a m p , Arzneimittel-Forsch. 18, 2 [1968].
Vergleicht man nun die nach i. p.-Injektion und
i. v.-Infusion der Glucose gemessenen pH-Kinetiken,
so wird deutlich, daß sie den Bewegungen des Blutglucose-Spiegels folgen. Nach i. p.-Injektion massiver
Glucosegaben stellten K ahler und B uchanan 30 ein
stark verzögertes Eindringen der Glucose in den
Kreislauf mit Erhöhung des Blutglucosespiegels über
Stdn. fest. Zugleich strömte Flüssigkeit aus dem
Extracellulärraum ins Peritoneum, bis nach etwa drei
Stdn. der gebildete Ascites mit ca. 12 ml sein Maxi­
mum erreichte. Wenn auch danach der Flüssigkeits­
rüdestrom in die Körpergewebe einsetzte, so ver­
loren die Tiere doch durch Abdunstung 0,6 — 0,75
ml/100 g K.-Gew.-h_1 und befanden sich nach etwa
9-stdg. Registrierdauer im Zustand erheblicher Ex­
sikkose. R eiss und H ochwald 23 stellten nach i. p.-In­
jektion hochprozentiger Glucoselösungen bei Ratten
mit Jensen-Sarkom fest, daß sich der Flüssigkeits­
gehalt des Tumorgewebes um 10 — 15% verringerte.
Daraus wird verständlich, warum die Säuerungs­
kinetik nach i. p.-Injektion von Glucose gegenüber
der i. v.-Injektion protrahiert und weniger dyna­
moren an. Es besteht insofern eine Analogie zu den
unterschiedlichen Säuerungskinetiken oberflächlicher
und tiefer Tumorschichten. Daraus geht hervor, in­
wiefern die Möglichkeiten, die Tumoracidität durch
Variation des arteriellen Glucoseangebots zu steuern,
von Faktoren der feingeweblichen Tumorstruktur be­
grenzt werden.
misch verlief und nicht zu ähnlich ausgeprägten A ci­
ditätsgraden führte. Die kurzfristigen, starken Stei­
gerungen des arteriellen Glucoseangebots über die
i. v.-Infusion, deren Auswirkung auf das Tumor-pH
aus Abb. 10 ab gelesen werden kann, stellen daher
tatsächlich günstige Eingriffe zur Manipulation der
unempfindlich.
Tumoracidität dar. Es ist selbstverständlich nicht an­
zunehmen, daß nur die Blutspiegelkinetik der zuge­
führten Glucose über Reaktionszeit, Aciditätsmaxi­
mum und die Geschwindigkeit des Lactateffluxes in
Z u r F rage der Insulin w irkung au f Tum orzellen
gibt es bis heute keine allgemein anerkannte K o n ­
zeption. B u rk
und M it a r b b .31-33 konnten zeigen,
daß Insulin in vitro die Glykolyse von S 91 -M elanom Schnitten bis zu 40% steigert. Eine durch Tem pera­
turstress der T iere hervorgerufene Herabsetzung der
Glykolyse in den Gewebsschnitten konnte mit Insulin
praktisch wieder aufgehoben werden. D ie Autoren
diskutieren
daher
die
A bhän gigk eit
der
T u m o r­
glykolyse im S 91 -M elanom von einem Stress-modifizierbaren Insulin-Anti-Insulin-System . D as am ela­
notische S 91 A -M elan o m , eine entdifferenzierte V a ­
riante des
S 91 -M elanom s,
w ar
gegenüber
diesen
hormonalen Einflüssen wesentlich w eniger em pfind­
lich, das stark anaplastische K rebs-2-Carcinom völlig
R y e r 34 hat nach
in -vivo-V erabrei-
chung von Insulin an Kaninchen mit B row n-PearceEpitheliom Steigerungen der in-vitro-Glykolyserate
beobachtet. Angriffspunkt des Insulins soll nach B u r k
neben einer vermuteten G efäßw irku n g die Glucose­
phosphorylierung durch H exokinase sein, was schon
C olow ick, C o r i und S l e i n 35 angenommen haben.
H ochstein 36 zeigte
später,
daß
die
Glykolyserate
von Mitochondrien aus S 91 -M elanom , die im enzy­
matisch inaktivierten Hom ogenatüberstand resuspen-
den Kreislauf entscheidet. Der Tumor kann nur
schnell reagieren und das gebildete Lactat schnell
ausschwemmen, wenn er sowohl hauptsächlich aus
stoffwechselaktivem Gewebe zusammengesetzt wie
auch hinreichend mit Gefäßen versorgt ist. Die Fak­
diert waren, durch Glucose und Insulin um 15 bis
toren der glykolytischen Aktivität und der Blutver­
sorgung scheinen in enger Beziehung zueinander zu
stehen. Gut durchblutete, junge Tumoren enthalten
kinase sei. Es ist allerdings fraglich, ob diese E rg e b ­
zweifellos relativ viel stoffwechselaktives Gewebe und
sprechen daher insgesamt auf Glucose mit stärkerer
Dynamik als ältere bzw. schlecht durchblutete Tu­
brauch von Ehrlich-Ascites-Zellen durch Insulin nicht
30 H . K a h l e r u . G. Buchan an , J. nat. Cancer Inst. 8, 163
[1948].
31 D . B u r k , Klin. Wschr. 22, 1102 [1957].
32 M. W . W o o d s , K . W i g h t , J. H u n te r u. D . B u r k , Biochim.
biophysica Acta [Amsterdam] 12,329 [1953].
34 R . R y e r , zitiert nach P. L. S av a n t, I. D . D e s a i u. A. L.
T a p p e l, Arth. Biochem. 105, 247 [1964].
70% gesteigert werden konnte, nicht d agegen durch
Insulin und Glucose-6-phosphat. E r zog daraus den
Schluß, daß der eigentliche Ansatzpunkt der Insulin­
wirkung im S 91 -M elanom die mitochondriale H e x o ­
nisse auf andere Tum oren übertragen werden dürfen.
Gra
ff
und M c C a rty 37 fanden, daß der G lucose-V er­
verändert w ird.
Nach A n gab e n von M o r e t t i und
DeOme 38 w ird die hohe Glucoseaufnahm e von T u -
35 S.
P. C o lo w ic k , G. T. C o r i
u.
M. W . S le in , J. b io l. C h e ­
m istry 168, 583 [1947].
36 P. H o c h s t e in , Science [Washington] 125, 496 [1957].
37 S. G r a f f u . K. S. M c C a r t y , Cancer Res. 18, 741 [1958].
33 M. W o o d s, J. H u n t e r u . D. B u r k , J. nat. Cancer Inst. 16,
351 [1955].
38 R. L. M o r e t t i u. K. B. D eO m e, J. nat. Cancer Inst. 29, 321
[1962].
morzellexplantaten des Adeno-Carcinoms der Maus
durch Insulin nidit beeinflußt, die geringe Glucose­
aufnahme normaler Brustdrüsenzellen dagegen stark
erhöht.
A lle diese Befunde zur Insulinwirkung auf die
Tumorglykolyse stammen aus in-vitro-Untersuchungen. Es ist deshalb hervorzuheben, daß durch un­
sere pH-Messungen am DS-Carcinosarkom einwand­
frei eine Glykolyse-steigernde Wirkung des Insulins
in vivo nachgewiesen wurde. Weitere Versuche müs­
sen zeigen, ob dieser in-vivo-Effekt bei Tumoren nur
vereinzelt oder — etwa im Sinne der von B u r k und
Mitarbb. diskutierten Tumorgefäßwirkung des Insu­
lin s31-33 — mit größerer Regelmäßigkeit auszulösen
ist.
tochondrien von pH 6,6 ab mit fallendem pH-Wert
der 0 2-Verbrauch und die oxydative Phophorylieru ng42. Die Mitochondrien schrumpfen. Das P : OVerhältnis ist nur zwischen pH 6,6 und pH 7,4 kon­
stant. So beobachteten R e i s s und H o c h w a l d 23 nach
5-stdg. Übersäuerung des Jensen-Sarkoms ausge­
dehnte Gewebsnekrosen, vor allem in den zentralen
Tumorbezirken. F r u n d e r 43 fand an normalem Binde­
gewebe bei längerem Andauern einer Übersäuerung
um pH 6,6 massenhafte Leukocytenemigration und
bei weiterem Absinken des pH-Werts vollständigen
Gewebezerfall. Andererseits war in den von R e i s s
und H o c h w a l d 23 übersäuerten Jensen-Sarkomen die
Tumorrandzone von den Nekrotisierungs-Vorgängen
ausgespart.
Im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer se­
lektiven Übersäuerung des Tumorgewebes sind man­
nigfache Aspekte einer praktischen Nutzung dieses
Prinzips zur gezielten Schädigung maligner Tumoren
in Betracht zu ziehen. Zweifellos hätten Glucose­
infusionen auch ohne jede Kombination mit anderen
tumortoxischen Maßnahmen große Bedeutung für die
Tumortherapie erlangt, wenn nicht durch Hemmung
der Glykolyse bei interstitiellen pH-Werten um 6,0
der weiteren Lactatansammlung eine scharfe Grenze
gezogen wäre. Schon W arburg et al. 39 stellten an
Flexner-Jobling-Carcinom-Schnitten fest, daß die invitro-Glykolyse bei pH 6,0 praktisch zum Erliegen
kommt. In Übereinstimmung damit fanden O c k e l et
al. 40 die Hexokinase aus Kaninchenblut bei pH 6,0
fast vollständig inaktiv. Daher kann es nicht über­
raschen, wenn in unseren Versuchen der pH-Wert
selbst durch hohe Glucosedosen immer nur auf ein
Niveau von 6,0, ganz selten auf 5,9, gesenkt werden
konnte. In diesem pH-Bereich ist indessen, je nach
Dauer der metabolen Acidose, bereits mit ausgedehn­
ten Gewebeschäden zu rechnen. R eiss und H och­
w a l d 23 fanden nach Glucosegaben in abgestufter D o­
sierung am Jensen-Sarkom der Ratte mit beginnen­
der Säuerung zunächst ein Absinken der oxydativen
Stoffwechselaktivität, nach stärkerer Lactatansamm­
lung dann eine Abnahme der Glykolyse. Nach B usch
et al. 41 nimmt die Citratbildung in Tumorschnitten
mit fallendem pH-Wert ab. Allgemein sinkt in Mi-
Daraus ist die Vermutung abzuleiten, daß Tumor­
bezirke bzw. Tumoren mit guter Gefäßversorgung
und entsprechend hoher Stoffwechselaktivität gegen
Schädigungen durch Übersäuerung relativ wider­
standsfähig sind. Anders wäre auch die Säuerungs­
kinetik der Abb. 10 nicht zu erklären. Denn bei der
dritten, mit Insulin kombinierten Glucoseinfusion
befand sich der Tumor an der Stelle der pH-Mes­
sung bereits seit drei Stdn. in einem Aciditätsbereich
zwischen den pH-Werten 6,0 und 5,9. Trotzdem
konnte die 90 Min. vorher erzielte Lactatfreisetzung
noch übertroffen werden. Um diesen Sachverhalt zu
verstehen, muß man sich vor Augen halten, daß es
nicht ohne weiteres möglich ist, vom extracellulären
pH-Wert auf die Aciditätsverhältnisse in der Zelle
zu schließen. Vielmehr ist der intra-extracelluläre Re­
aktionsgradient als eine komplexe Funktion des ex­
tracellulären pH-Werts, des externen Gehalts an H y­
drogencarbonat und des p C 0 2 aufzufassen 44. Nach
a r b u r g , K. P o s e n e r u. E. N e g e l e i n , Biochem. Z. 152,
309 [1924].
E. O c k e l , S. R a p o p o r t , U. H i n t e r b e r g e r u. W . G e r i s c h e r M o t h e s , Folia haematol. [Leipzig] 78, 477 [1962].
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A. N o v e l l i , G . N a n n i u . I. B a l d i n i , Experientia [Basel] 18,
558 [1962].
43 H. F r u n d e r , „Die Wasserstoffionenkonzentration im Ge­
webe lebender Tiere“, Verlag Gustav Fischer, Jena 1951.
44 A. S. R e lm a n , Ann. N. Y. Acad. Sei. 133, 160 [1966].
45 D. T. P o o l e , T. C. B u t l e r u . W . J. W a d d e l l , J. nat. Cancer
Inst. 32, 939 [1964].
39 0 . W
40
41
42
B utler und W add el 45 besteht bei EhrlichAscites-Zellen eine lineare Beziehung zwischen intraund extracellulärem pH-Wert nur im Bereich zwi­
schen pH 6,6 und 7,0, jedoch in dem Sinne, daß die
Zelle im Inkubationsmedium unterhalb pH 7,1 zu­
nehmend alkalischer wird. Unter pH 6,6 nimmt der
intra-extrazelluläre Reaktionsgradient wieder ab.
W ird bei intakter Zellmembran der Stoffwechsel
durch Abkühlen auf 4 °C gestoppt, so gleichen
intra- und extracellulärer pH-Wert sich aus, die in
P o o le ,
vivo gebogene C 0 2-Titrationskurve wird eine lineare
Funktion des p C 0 2 46. Es zeigt sich, daß der extra­
intracelluläre Reaktionsgradient nicht aus der M o­
dellvorstellung einer interpolierten semipermeablen
Membran, sondern nur als Resultat fundamentaler
Stoffwechselleistungen der lebenden Zelle erklärt
werden kann.
Es wird nunmehr verständlich, daß die Ausgangs­
situation des Tumorgewebes nicht gleichgültig für
die Beurteilung der Acidose-Toleranz sein kann. N e­
ben einer besonderen Empfindlichkeit vorgeschädig­
ter Zellen in Gebieten schlechter Substratversorgung
ist ferner die Möglichkeit eines Lactateffektes zu er­
wägen, der nicht auf der Gewebesäuerung beruht:
Zweifellos kommt mit der interstitiellen Lactatansammlung auch ein zunehmender Lactatstau im
Zellinneren zustande. Insofern ist zwischen Lactatbedingten und anderen Acidosen zu unterscheiden.
Aus dem Gesamtüberblick über die bereits gesi­
cherten Fakten ergibt sich die Konsequenz, daß im
Gegensatz zur Schädigung durch ionisierende Strah­
len und eine Vielzahl chemotherapeutischer Maßnah­
men die acidotische Deletion weniger die Tumor­
bezirke mit hoher Stoffwechselrate als vielmehr die
schlecht versorgten Gewebeschichten zu treffen ver­
mag.
Die hier geschilderten pH-Messungen in Experi­
mentaltumoren der Ratte beanspruchen auch insofern
das Interesse der Krebs-Pharmakologie, als wieder­
holt die Möglichkeit diskutiert worden ist, den gegen­
über Normalgeweben tieferen pH-Wert des Carcinomgewebes
zur
Optimierung
der Krebs-Chemo­
46 S. A d l e r , A . M. R o y u. A . S. R e lm a n , J. clin. Invest. 43,
1251 [1964],
47 W . C. J. Ross, „Biological Alkylating Agents“, Butterworth
& Co., Ltd., London 1962.
48 W . C. J. Ross, Biochem. Pharmacol. 8, 235 [1961].
therapie auszunutzen. Analog hat man versucht, die
selektive Tumorwirksamkeit mancher Cytostatica mit
diesem Unterschied zu erklären. Das Problem ist vor
allem für alkylierende Substanzen erörtert worden.
So ist erstens denkbar, daß die cytotoxische Wirkung
von Alkylantien im sauren Milieu gesteigert ist 47, 48.
Dies ist z. B. vom NH-Lost bekannt, dessen cytotoxisches Folgeprodukt V-2-Chloräthyl-aziridin im Sauren
stabilisiert wird 49. Zweitens kann man sich vorstel­
len, daß vor allem basische Alkylantien pH-abhängig
im sauren Tumorgewebe angereichert werden 48. Eine
weitere Erklärungsmöglichkeit wurde von R a u e n et
al. 50 in der verminderten Reaktion des NH-Losts mit
Hydrogencarbonat im Tumorgewebe gesehen. Für
die Bildung von ungiftigem V-2-Chloräthyl-oxazolidon steht zweifellos infolge des erniedrigten TumorPH weniger Hydrogencarbonat zur Verfügung 51.
Folgte man der theoretischen Begründung von
Ross 48 für die Anreicherung basischer Alkylantien
im Tumorgewebe, so müßte man eine lineare Be­
ziehung zwischen dem Anreicherungsfaktor für
Krebszellen und der H 30®-Aktivität in der Krebs­
zelle annehmen. Dabei wird übersehen, daß aus­
schließlich das intra-extracelluläre H 30®-Ionen-Verhältnis für die Verteilung dieser Substanzen zwischen
Zell- und Extracellulärraum maßgebend ist. Solange
nicht sicher ist, ob dieses Verhältnis durch Ansäue­
rung des Tumorgewebes wesentlich verändert wird
bzw. schon primär von dem Verhältnis bei normalen
Zellen abweicht, kann eine Begründung des selek­
tiven Prinzips bei der Alkylantientherapie maligner
Tumoren auf Grund pH-abhängiger Anreicherungs­
vorgänge nicht einleuchten.
49 H .
M. R a u e n u. A. R eisch , Arzneimittel-Forsch. 14, 752
[1964],
50 H . M. R a u e n , K . N o r p o t h u. K . P. K r m e r , ArzneimittelForsch. 15, 1048 [1965].
51 P. M. G u lli n o , F. H . G ra n th a m , S. H . Sm ith u. A. C. H a g ­
g e rt y , J. nat. Cancer Inst. 34, 869 [1965].
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