V. Zusammenfassung Global betrachtet, zählen die uterinen Karzinome zu den häufigsten Malignomen der Frau. Etablierte ätiologische Faktoren sind die Infektion mit dem Humanen Papilloma-virus Typ 16 und Typ 18 beim Zervixkarzinom und ein hoher Östrogenspiegel beim Korpuskarzinom. Nicht klar definiert ist hingegen die ätiologische Bedeutung des Rezeptors des epidermalen Wachstumsfaktors bei den uterinen Malignomen. Für verschiedene andere, vor allem plattenepitheliale Karzinome konnten vorangehende Studien eine Überexpression des EGFRezeptors nachweisen. Diverse experimentelle Arbeiten zeigten auf, daß eine vermehrte Expression des nativen EGF-Rezeptors ausreicht, um Zellen unter Ligandeneinfluß zu transformieren. Eine erhöhte Stimulation des mitogenen, vom EGF-Rezeptor adressierten MAP-Kinase-Signalweges ist jedoch auch durch konstitutiv-aktivierende Mutationen möglich. Das virale Onkogenprodukt des Tumorvirus AEV ist das der EGF-Rezeptor-Familie zugleich namengebende example par excellance hierfür, da das AEV für einen in seiner extrazellulären Bindungsdomäne trunkierten EGF-Rezeptor mit konstitutiv aktivierter Tyrosinkinase kodiert. Des weiteren ist eine erhöhte Stimulation eines der den MAP-Kinaseweg formierenden Onkogene bei unverändertem EGF-Rezeptor-Status möglich. Um der Frage des Stellenwertes der EGF-Rezeptor-Expression in zervikalen und endometrialen Neoplasien nachzugehen, wurden 24 normale, 5 dysplastische und 25 maligne Zervixgewebeproben sowie 11 normale und 19 maligne Korpusgewebeproben autoradiographisch-densitometrisch analysiert. Als Gewebestandards mit bekannt niedriger und hoher EGF-Rezptor-Dichte wurden Magenmukosa und respektive Plazenta bei jedem RadioRezeptor-Assay mitgeführt. In bezug auf diese Kontrollgewebe, deren optische Dichtewerte bei 0,212 in der Magenmukosa und bei 1,021 im Plazentagewebe lagen, zeichneten sich die meisten uterinen Gewebe durch ein intermediäres optisches Dichteniveau aus. Eine höhere optische Dichte als im oberen Referenzgewebe-Bereich (Plazenta) war bei 12,8 % der normalen zervikalen Plattenepithelgewebe und bei 20 % der plattenepithelialen Zervixkarzinome als nachzuweisen. Niedrigere 112 optische Dichtewerte im unteren Referenzgewebe-Bereich (Magenmukosa) zeigten sich im zervikalen Stroma und vor allem im myometrialen Gewebe. Im synoptischen Vergleich der verschiedenen Gewebetypen war die optische Dichte im normalen Plattenepithel am höchsten, nur wenig niedriger in den dysplastischen Epithelarealen und signifikant geringer in den zervikalen Karzinomgeweben (Abb.61). Generell zeichneten sich squamösen Gewebeformationen gegenüber adenoiden Gewebe-typen mit einem höheren Radioligandenbindungsvermögen aus. Plattenepithelkarzinome der Zervix besaßen demgemäß ein höheres optisches Dichteniveau als zervikale Adenokarzinome, deren optische Dichte vergleichbar den Endometriumkarzinomen war (Tab.14). Auch auf endometrialer Ebene war das Radioligandenbindungsniveau im Karzinomgewebe signifikant geringer als im gesunden Urspungsgewebe (Tab. 15). Das bindegewebsreiche, zellarme zervikale Stroma zeichnete sich durch eine niedrige optische Dichte aus; im myometrialen Gewebe war das spezifische Radioliganden-Bindungsvermögen auf ein Minimum reduziert (Abb.62 und Tab.14). CI N ze rv. Ep ith el (n= 5) ze rv. PlC a(n =2 En 1) do m etr ium (n= 5) ze rv. Ad Ca (n= 4) Ko rpu sC a( n= 19 ze ) rv. St rom a( n= 24 ) M yo m etr ium (n= 6) 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 (n =2 4) Radioliganden-Bindung [O.D.] Abb.62 Vergleich der Radioliganden-Bindung in den verschiedenen Geweben Verwendeten Abkürzungen in Abb.62, Tab. 14 und Tab.15: zerv.Epithel = zervikales Epithel, CIN = zervikale intraepitheliale Neoplasie, zerv. PlCa= zervikales Plattenepithelkarzinom, zerv. AdCa= zervikales Adenokarzinom, zerv. Stroma = zervikales Stroma, Endom. = Endometrium, Myom. = Myometrium 113 Tab.14 Radioliganden-Bindung in den verschiedenen Geweben (peak-Werte) zerv.Epithel CIN zerv.PlCa Endom. zerv.AdCa Korpus Ca Stroma Myom. (n=24) (n=5) (n=21) (n=5) (n=4) (n=19) (n=24) (n=6) Mittelwert 0,764 0,720 0,500 0,402 0,198 0,195 0,142 0,035 SD 0,179 0,208 0,238 0,123 0,128 0,115 0,070 0,006 Median 0,790 0,800 0,510 0,340 0,185 0,180 0,129 0,035 25% 0,677 0,542 0,348 0,305 0,090 0,095 0,101 0,030 75% 0,901 0,877 0,575 0,532 0,305 0,273 0,180 0,040 Tab.15 Statistischer Vergleich der 125I-EGF-Bindung in den verschiedenen Geweben zerv.Epithel CIN zerv.PlCa Endom. zerv.AdCa Korpus CA Stroma Myom. (n=24) (n=5) (n=21) (n=5) (n=4) (n=19) (n=24) (n=6) ------- p=0,628 p<0,001 p<0,001 p<0,001 p<0,001 p<0,001 p<0,001 CIN p=0,628 ------- p=0,072 p=0,019 p=0,003 p<0,001 p<0,001 p=0,004 Zerv..PlCa p<0,001 p=0,072 ------- p=0,384 p=0,154 p<0,001 p<0,001 p<0,001 Endometr. p<0,001 p=0,019 p=0,384 ------- p=0,045 p=0,016 p<0,001 p=0,004 Zerv.AdCa p<0,001 p=0,003 p=0,154 p=0,045 ------- p=0,968 p=0,202 p=0,010 Korpus Ca p<0,001 p<0,001 p<0,001 p=0,016 p=0,968 ------- p=0,236 p<0,001 Stroma p<0,001 p<0,001 p<0,001 p<0,001 p=0,202 p=0,236 ------- p<0,001 Myometr. p<0,001 p=0,004 p<0,001 p=0,004 p=0,010 p<0,001 p<0,001 ------- zerv.Epithl Die Korrelation mit der Morphometrie zeigte, daß die in den basalen Abschnitten des normalen zervikalen Plattenepithels nachweisbare höhere optische Dichte durch eine höhere Zellzahl bedingt war und nicht durch eine höhere EGF-Rezeptor-Expression pro Zelle. In den dysplastischen Epithelläsionen imponierte eine Reduktion des basal-apikalen optischen Dichtegradienten mit einem gegenüber dem Normalgewebe unveränderten EGF-RezeptorStatus pro Zelle. Als wesentlicher, hierfür verantwortlicher Mechanismus konnte eine Veränderung der Zellzahlverhältnisse in der alterierten Epithelarchitektur identifiziert werden. Sowohl auf Gewebe- als auch auf Einzelzellebene konnte gezeigt werden, daß das Zervixkarzinom ein signifikant geringeres Radioligandenbindingsvermögen besitzt als das normale Plattenepithel. Vor allem strukturlos proliferierende Zervixkarzinome imponierten mit 114 einem insgesamt und vor allem in den peripheren Tumoranteilen reduziertem RadioligandenBindungsniveau. Bei plattenepithelial strukturierten Zervixkarzinomen war der Bindungsunterschied zwischen malignem und originärem Gewebe weitaus weniger deutlich. Darüberhinaus waren diese Malignome durch eine höhere Radioligandenbindung in den peripheren Tumor-abschnitten gekennzeichnet. Nicht nur zwischen histologisch differenten Karzinomen sondern auch innerhalb eines Karzinomgewebes wurde eine Inhomogenität der Bindungs- respektive der optischen Dichteverhältnisse gefunden als ein möglicher Hinweis auf verschiedene Tumorzellsubpopulationen. Im theoretischen Gesamtvergleich von Zervixkarzinomgewebe und der normalen zervikalen Gewebeentität aus Epithel und Stroma war kein signifikanter Unterschied im Radioliganden-Bindungsniveau festzustellen. Werden die histologischen Relationen des Gesamtgewebeschnittes stärker berücksichtigt, da der niedrigbindende Stromaanteil im normalen Zervixgewebe oftmals größer als 50% und im Karzinomgewebe oftmals kleiner als 50% war, so ist - wie in vormals an Gewebehomogenesaten durchgeführten Radiorezeptor-Assays - ein signifikant höherer EGFRezeptor-Status im Karzinomgewebe zu konstatieren. Wie anhand der Ergebniskonstellationen dieser experimentellen Studie gezeigt, muß der Vergleich von Tumor- und Normalgewebe an die malignen und originären Gewebezellen gebunden sein und darf sich nicht auf das Gesamtgewebe beschränken. Auch im Bereich des Corpus uteri war das maligne Gewebe durch ein gegenüber dem originären Gewebe signifikant niedrigeres Radioliganden-Bindungsniveau gekennzeich-net. Eine Korrelation des EGF-Rezeptor-Status zu den etablierten Prognoseparameter des Endometriumkarzinoms wurde in dieser Studie nicht gefunden. Beim Zervixkarzinom war eine signifikant höhere EGF-Rezeptor-Expression in den nodal metastasierten Tumoren zu notieren. Verschiedene Arbeitsgruppen konnten in letzter Zeit aufzeigen, daß ein niedriger EGFRezeptor-Status mit Proliferation, eine hoher EGF-Rezeptor-Status mit Differenzierung korreliert. Die in der vorliegenden Arbeit mittels quantitativer Autoradiographie gewonnenen Ergebnisse deuten in die gleiche Richtung und zeigen auf, daß malignes Gewebe nicht notwendigerweise durch eine im Vergleich zum normalen Gewebe höhere EGF-RezeptorExpression charakterisiert sein muß. 115