249_297_BIOsp_0310.qxd 21.04.2010 14:37 Uhr Seite 277 277 Zelloberfläche der Bakterien Neue Wege zur Isolierung funktionsoptimierter Lipasen HARALD KOLMAR INSTITUT FÜR ORGANISCHE CHEMIE UND BIOCHEMIE, TU DARMSTADT Für die Isolierung von Enzymen mit für den jeweiligen Einsatz optimierten Eigenschaften aus Kollektionen von mehr als hundert Millionen Kandidaten wurden gekoppelte Enzymreaktionen auf der bakteriellen Zelloberfläche etabliert. Diese erlauben einen Enzymtest auf Einzelzellbasis und die Isolierung von Varianten im Ultra-Hochdurchsatz. An ultra-high throughput screening methodology is described that is based on coupled enzyme reactions on the surface of Escherichia coli cells that can be used to isolate lipase variants with enhanced enantioselectivity. ó Der Markt für industrielle Produkte wie Feinchemikalien, Wirkstoffe für die Kosmetik- und Pharmaindustrie, Nahrungsmittel und Futterzusatzstoffe, die ganz oder teilweise durch Einsatz von Biokatalysatoren hergestellt werden, wächst rasant [1]. Damit steigt auch der Bedarf an Enzymen, die für den jeweiligen Einsatz maßgeschneidert sind [2, 3]. In der Regel werden diese dadurch isoliert, dass eine möglichst große Anzahl von zufallsmäßig erzeugten Varianten eines Enzyms nach Abkömmlingen mit verbesserten Eigenschaften, wie z. B. erhöhte Aktivität, Stabilität und Selektivität durchmustert wird. Der eigentliche experimentelle Engpass liegt häufig nicht in der molekularbiologischen Erzeugung bakterieller Produzenten, sondern in der Durchmusterung der Bakterienkollektion nach solchen Klonen, die Enzymvarianten mit gewünschten Eigenschaften produzieren. Gewöhnlich erfolgt diese durch Anzucht der Bakterienklone im Mikrotiterplattenformat, Zelllyse und Test des Lysats auf die gewünschte Aktivität. Damit lassen sich allerdings lediglich einige Hundert bis einige Tausend Kandidaten, in Ausnahmefällen bis zu 100.000 Kandidaten durchmustern. Der weitaus größte Anteil der erzeugten Klone – häufig sind dies Millionen und mehr – bleibt damit ungetestet. BIOspektrum | 03.10 | 16. Jahrgang Präsentation von Enzymen auf der Zelloberfläche von Bakterien Das hier vorgestellte Verfahren ermöglicht es dagegen, sämtliche Kandidaten einer Enzymbibliothek zu durchmustern. Es beruht darauf, dass Escherichia coli-Zellen nicht nur als mikrobielle Produzenten einer jeweiligen Enzymvariante eingesetzt werden, sondern auch als lebende Mikropartikel, die diese in vielfacher Kopienzahl in funktioneller Form auf ihrer Zelloberfläche präsentieren [4, 5]. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, interessante Enzymvarianten und die zugehörigen bakteriellen Produzenten im Ultra-Hochdurchsatz auf Einzelzellbasis zu identifizieren und zu isolieren. Das Enzym der Wahl kann auf der Oberfläche von E. coli-Zellen durch Fusion mit einem Protein der äußeren Membran bereitgestellt werden [6]. Dieses funktioniert als Transporter der fusionierten Enzymdomäne durch die innere und äußere Bakterienmembran und exponiert die Passagierdomäne auf der Zelloberfläche. Dabei haben sich unter anderem das Intiminprotein aus enteropathogenen E. coli [4] und die Esterase A (EstA) aus Pseudomonas aeruginosa [5] als vielfältig einsetzbare Transportproteine erwiesen, die Passagierproteine auf die E. coli-Zelloberfläche bringen und dort in vieltausendfacher Kopienzahl präsentieren können (Abb. 1). Durch Fusion an diese Transporter konnten unter anderem Interleukin 4, eine Immunglobulindomäne, sowie mehrere lipolytische Enzyme funktionell auf E. coli-Zellen präsentiert werden [5, 7]. Allerdings gibt es auch Proteine, deren Präsentation nicht erfolgreich war, wie z. B. humanes Calmodulin oder βLaktamase. Bei diesen hat sich gezeigt, dass eine rasche Faltung der Passagierproteine deren Translokation durch die Zytoplasmamembran oder die äußere Membran verhin- ¯ Abb. 1: Formate für die Präsentation von Proteinen auf der Escherichia coli-Zelloberfläche durch Fusion an Intimin (links) oder Esterase A (EstA, rechts). Aufgrund der unterschiedlichen Orientierung der Transportproteine in der äußeren Membran kann das Passagierenzym wahlweise als amino- oder carboxyterminale Fusion präsentiert werden. 249_297_BIOsp_0310.qxd 278 21.04.2010 14:37 Uhr Seite 278 W I S S E N SCH AFT ˚ Abb. 2: Suche nach Enzymen mit lipolytischer Aktivität. (1) Chemische Konjugation von Peroxidase (HRP) auf die Oberfläche von E. coli-Zellen. (2) Zugabe eines Esters und kovalente Fixierung des Hydrolyseprodukts (blaue Dreiecke) auf der Zelloberfläche. (3) Fluoreszenzmarkierung lipolytisch aktiver Zellen durch Zugabe eines Fluorophors und Isolierung durch FACS. sion eines vorgegebenen Substrats zu einem Produkt zu katalysieren. Wenn es gelingt, das entstehende Reaktionsprodukt auf der Oberfläche derjenigen Zelle zu fixieren, die die gewünschte Enzymaktivität trägt, erhält diese Zelle eine Markierung, die sie von anderen Zellen unterscheidbar macht. Eine solche aktivitätsabhängige Zellmarkierung lässt sich mit Lipasen und Esterasen durch Einsatz spezieller Substrate und Anwendung einer gekoppelten Enzymreaktion auf der Zelloberfläche realisieren. Zur kovalenten Fixierung des Hydrolyseprodukts eignet sich dabei insbesondere die Tyramid-Signalamplifikation (TSA-Reaktion). Sie basiert auf der durch Peroxidase (horseradish peroxidase, HRP) vermittelten Bildung von Radikalen phenolischer Verbindungen und deren kovalenter Fixierung in unmittelbarer Nähe ihrer Entstehung [8]. Diese Reaktion kann auch auf der Oberfläche von E. coliZellen stattfinden, wenn HRP durch chemische Konjugation auf der bakteriellen Zelloberfläche in unmittelbarer Nähe einer Lipase platziert wird (Abb. 2, [9]). Dabei wird als Substrat ein Ester einer langkettigen Carbonsäure mit einem Tyramid eingesetzt. Der Ester ist an sich kein Substrat für die Peroxidase. Erst das durch die lipolytische Aktivität freigesetzte Tyramid kann von HRP zum Radikal umgesetzt werden, welches anschließend kovalent auf der Zelloberfläche fixiert wird (Abb. 3). Zellen mit Esterase-Aktivität tragen dann eine Markierung (z. B. Biotin) und können nach Inkubation mit einem Fluorophor durch Durchflusszytometrie identifiziert und durch Fluoreszenz-aktivierte Zellsortierung (FACS) isoliert werden. Fallbeispiel: Suche nach Esterasen mit erhöhter Enantioselektivität ˚ Abb. 3: Markierungsschema einer Esterasebibliothek. Oben links: Rotmarkierung bei Hydrolyse von (S)-2-MDA-Tyramidester. Oben rechts: Grünmarkierung bei Hydrolyse von (R)-2-MDA-Tyramidester. Unten: FACS-Diagramm der Sortierung einer Esterase-A-Bibliothek bei simultaner Markierung mit beiden Enantiomeren und Isolierung von Zellen mit erhöhter (R)- (grünes Fenster) bzw. (S)-Enantioselektivität (rotes Fenster). E: Esterase; P: Peroxidase; DNP: 2,4-Dinitrophenol. dert [7]. Ob ein Passagierprotein zu dieser Kategorie gehört, lässt sich schwer vorhersagen, kann aber rasch durch Klonierung des Gens und Nachweis der Zellexposition des Proteins z. B. durch Markierung mit fluoreszierenden Antikörpern und Analyse im Durchflusszytometer geklärt werden. Gekoppelte Enzymreaktion auf der bakteriellen Zelloberfläche am Beispiel von Lipasen Eine Zelle, die ein Enzym mit der gewünschten Aktivität auf seiner Oberfläche präsentiert, unterscheidet sich von anderen Zellen dadurch, dass sie in der Lage ist, die Konver- In einem Modellexperiment wurde das oben beschriebene Verfahren auf die Isolierung von enantioselektiven Varianten der P. aeruginosa-Esterase EstA angewandt [10]. Durch error prone-PCR wurde eine Kollektion von EstA-Varianten hergestellt, die zwei bis vier Aminosäureaustausche tragen. Als Substrat wurde ein Tyramidester der chiralen Verbindung 2-Methyldekansäure (2-MDA) eingesetzt (Abb. 3). EstA zeigt hinsichtlich der Hydrolyse von 2-MDA-Estern nahezu keine Enantiopräferenz. Für eine Durchmusterung dieser Sammlung oberflächenpräsentierter Varianten nach solchen, die bevorzugt einen Tyramidester der (R)-2-MDA hydrolysieren, wurde den Bakterien eine 1:1-Mischung zweier Tyramidester von (R)- und (S)-2-MDA angeBIOspektrum | 03.10 | 16. Jahrgang 249_297_BIOsp_0310.qxd 21.04.2010 14:37 Uhr boten, die jeweils unterschiedliche Indikatorgruppen tragen (Abb. 3). Zellen, die bevorzugt das (R)-2-MDA-Estersubstrat hydrolysieren, setzen 2,4-Dinitrophenyltyramid frei, welches kovalent auf der Zelloberfläche deponiert wird. Dieses vermittelt nach Markierung mit einem Fluorophor-konjugierten Anti-DinitrophenylAntikörper eine grüne zelluläre Fluoreszenz. Zellen, die bevorzugt den (S)-2MDA-Ester hydrolysieren, erhalten eine Biotinmarkierung, die mit einem rot fluoreszierenden Streptavidin-Konjugat im FACS nachgewiesen werden kann (Abb. 3). Nach Zweifarbenmarkierung wurden aus einer Kollektion von ca. 108 verschiedenen EstA-Varianten im FACS solche Zellen aussortiert, welche eine erhöhte grüne und eine reduzierte rote Fluoreszenz aufwiesen, da sie bei der Spaltung des Esters dem (R)-Enantiomer der 2-MDA den Vorzug gaben. So konnten mehrere Varianten mit erhöhter (R)-Enantioselektivität isoliert werden, darunter eine, die den (R)-2MDA-Ester mit 15fach höherer katalytischer Effizienz umsetzte als das (S)-Enantiomer [10]. Die erhöhte Enantioselektivität ist auf einen einzigen Aminosäureaustausch (W185R) zurückzuführen. Warum die Einführung einer Argininseitenkette an dieser Position eine bevorzugte Umsetzung des (R)-Enantiomers zur Folge hat, ist gegenwärtig noch unklar und bedarf weiterer strukturbiologischer und enzymologischer Untersuchungen. Seite 279 Weiterführende Arbeiten zielen darauf ab, mehrstufige gekoppelte Reaktionen auf der bakteriellen Zelloberfläche ablaufen zu lassen, um maßgeschneiderte Vertreter anderer Enzymklassen mit biotechnologischer Relevanz, wie z. B. Oxidasen und Dehydrogenasen, in die Hand zu bekommen. ó Literatur [1] Meyer HP, Turner NJ (2009) Biotechnological manufacturing options for organic chemistry. Mini-Rev Org Chem 6:300–306 [2] Cherry JJ, Fidantsef JR (2003) Directed evolution of industrial enzymes: an update. Curr Opin Biotechnol 14:438–443 [3] Kuchner O, Arnold FH (1997) Directed evolution of enzyme catalysts. TIBTECH 15:523–530 [4] Wentzel A, Christmann A, Adams T et al. (2001) Display of passenger proteins on the surface of Escherichia coli K-12 by the enterohemorrhagic E. coli intimin EaeA. J Bacteriol 183:7273–7284 [5] Becker S, Theile S, Heppeler N et al. (2005) A generic system for the Escherichia coli cell-surface display of lipolytic enzymes. FEBS Lett 579:1177–1182 [6] Daugherty PS (200) Protein engineering with bacterial display. Curr Opin Struct Biol 17:474–480 [7] Adams T, Wentzel A, Kolmar H (2005) Intimin-mediated export of passenger proteins requires maintenance of a translocation-competent conformation. J Bacteriol 187:522–533 [8] Kerstens HK, Poddidhe PJ, Hanselaar AG (1995) A novel in situ hybridization signal amplification method based on the deposition of biotinylated tyramine. J Histochem Cytochem 43:347–352 [9] Becker S, Michalczyk A, Wilhelm S et al. (2007) Ultrahigh-throughput screening to identify E. coli cells expressing functionally active enzymes on their surface. Chembiochem 8:943–949 [10] Becker S, Höbenreich H, Vogel A et al. (2008) Singlecell high-throughput screening to identify enantioselective hydrolytic enzymes. Angew Chem 47:5085–5088 Fazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Kombination von Präsentation von Lipasen und Esterasen auf der Zelloberfläche von E. coli und kovalenter Fixierung des fluoreszenzmarkierten Reaktionsprodukts auf der Zelloberfläche es ermöglicht, per FACS Enzymbibliotheken, die mehr als 108 Varianten umfassen, in einem einzigen Arbeitstag nach Aktivität und Enantioselektivität zu durchmustern. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Harald Kolmar Institut für Organische Chemie und Biochemie Technische Universität Darmstadt Petersenstraße 22 D-64287 Darmstadt Tel.: 06151-164742 Fax: 06151-165399 [email protected] www.chemie.tu-darmstadt.de/kolmar AUTOR Harald Kolmar Jahrgang 1961. Biochemiestudium an der Universität Tübingen, 1987 Diplom. 1992 Promotion bei Prof. Dr. Fritz an der Universität Göttingen; Postdoktorat/Fellowship bei Prof. Dr. Sauer, MIT, Cambridge, MA, USA. 1999 Habilitation für das Fach Molekularbiologie und Genetik, Universität Göttingen. Seit 2005 Professor für Biochemie am Institut für Organische Chemie und Biochemie an der TU Darmstadt. BIOspektrum | 03.10 | 16. Jahrgang