Neue Wege zur Isolierung funktions- optimierter

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Zelloberfläche der Bakterien
Neue Wege zur Isolierung funktionsoptimierter Lipasen
HARALD KOLMAR
INSTITUT FÜR ORGANISCHE CHEMIE UND BIOCHEMIE, TU DARMSTADT
Für die Isolierung von Enzymen mit für den jeweiligen Einsatz optimierten
Eigenschaften aus Kollektionen von mehr als hundert Millionen Kandidaten wurden gekoppelte Enzymreaktionen auf der bakteriellen Zelloberfläche etabliert. Diese erlauben einen Enzymtest auf Einzelzellbasis und
die Isolierung von Varianten im Ultra-Hochdurchsatz.
An ultra-high throughput screening methodology is described that is
based on coupled enzyme reactions on the surface of Escherichia coli
cells that can be used to isolate lipase variants with enhanced enantioselectivity.
ó Der Markt für industrielle Produkte wie
Feinchemikalien, Wirkstoffe für die Kosmetik- und Pharmaindustrie, Nahrungsmittel
und Futterzusatzstoffe, die ganz oder teilweise durch Einsatz von Biokatalysatoren
hergestellt werden, wächst rasant [1]. Damit
steigt auch der Bedarf an Enzymen, die für
den jeweiligen Einsatz maßgeschneidert sind
[2, 3]. In der Regel werden diese dadurch
isoliert, dass eine möglichst große Anzahl
von zufallsmäßig erzeugten Varianten eines
Enzyms nach Abkömmlingen mit verbesserten Eigenschaften, wie z. B. erhöhte Aktivität, Stabilität und Selektivität durchmustert
wird.
Der eigentliche experimentelle Engpass
liegt häufig nicht in der molekularbiologischen Erzeugung bakterieller Produzenten,
sondern in der Durchmusterung der Bakterienkollektion nach solchen Klonen, die
Enzymvarianten mit gewünschten Eigenschaften produzieren. Gewöhnlich erfolgt
diese durch Anzucht der Bakterienklone im
Mikrotiterplattenformat, Zelllyse und Test
des Lysats auf die gewünschte Aktivität.
Damit lassen sich allerdings lediglich einige Hundert bis einige Tausend Kandidaten,
in Ausnahmefällen bis zu 100.000 Kandidaten durchmustern. Der weitaus größte
Anteil der erzeugten Klone – häufig sind
dies Millionen und mehr – bleibt damit
ungetestet.
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Präsentation von Enzymen auf der
Zelloberfläche von Bakterien
Das hier vorgestellte Verfahren ermöglicht es
dagegen, sämtliche Kandidaten einer Enzymbibliothek zu durchmustern. Es beruht darauf, dass Escherichia coli-Zellen nicht nur als
mikrobielle Produzenten einer jeweiligen
Enzymvariante eingesetzt werden, sondern
auch als lebende Mikropartikel, die diese in
vielfacher Kopienzahl in funktioneller Form
auf ihrer Zelloberfläche präsentieren [4, 5].
Damit eröffnet sich die Möglichkeit, interessante Enzymvarianten und die zugehörigen
bakteriellen Produzenten im Ultra-Hochdurchsatz auf Einzelzellbasis zu identifizieren
und zu isolieren.
Das Enzym der Wahl kann auf der Oberfläche von E. coli-Zellen durch Fusion mit
einem Protein der äußeren Membran bereitgestellt werden [6]. Dieses funktioniert als
Transporter der fusionierten Enzymdomäne
durch die innere und äußere Bakterienmembran und exponiert die Passagierdomäne auf
der Zelloberfläche. Dabei haben sich unter
anderem das Intiminprotein aus enteropathogenen E. coli [4] und die Esterase A (EstA)
aus Pseudomonas aeruginosa [5] als vielfältig einsetzbare Transportproteine erwiesen,
die Passagierproteine auf die E. coli-Zelloberfläche bringen und dort in vieltausendfacher Kopienzahl präsentieren können (Abb.
1). Durch Fusion an diese Transporter konnten unter anderem Interleukin 4, eine Immunglobulindomäne, sowie mehrere lipolytische
Enzyme funktionell auf E. coli-Zellen präsentiert werden [5, 7]. Allerdings gibt es auch
Proteine, deren Präsentation nicht erfolgreich
war, wie z. B. humanes Calmodulin oder βLaktamase. Bei diesen hat sich gezeigt, dass
eine rasche Faltung der Passagierproteine
deren Translokation durch die Zytoplasmamembran oder die äußere Membran verhin-
¯ Abb. 1: Formate
für die Präsentation
von Proteinen auf der
Escherichia coli-Zelloberfläche durch
Fusion an Intimin
(links) oder Esterase A (EstA, rechts).
Aufgrund der unterschiedlichen Orientierung der Transportproteine in der
äußeren Membran
kann das Passagierenzym wahlweise als
amino- oder carboxyterminale Fusion
präsentiert werden.
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˚ Abb. 2: Suche nach Enzymen mit lipolytischer Aktivität. (1) Chemische Konjugation von Peroxidase (HRP) auf die Oberfläche von E. coli-Zellen. (2) Zugabe eines Esters und kovalente Fixierung
des Hydrolyseprodukts (blaue Dreiecke) auf der Zelloberfläche. (3) Fluoreszenzmarkierung lipolytisch aktiver Zellen durch Zugabe eines Fluorophors und Isolierung durch FACS.
sion eines vorgegebenen Substrats zu einem
Produkt zu katalysieren. Wenn es gelingt, das
entstehende Reaktionsprodukt auf der Oberfläche derjenigen Zelle zu fixieren, die die
gewünschte Enzymaktivität trägt, erhält diese Zelle eine Markierung, die sie von anderen
Zellen unterscheidbar macht. Eine solche aktivitätsabhängige Zellmarkierung lässt sich mit
Lipasen und Esterasen durch Einsatz spezieller Substrate und Anwendung einer gekoppelten Enzymreaktion auf der Zelloberfläche
realisieren.
Zur kovalenten Fixierung des Hydrolyseprodukts eignet sich dabei insbesondere die
Tyramid-Signalamplifikation (TSA-Reaktion).
Sie basiert auf der durch Peroxidase (horseradish peroxidase, HRP) vermittelten Bildung
von Radikalen phenolischer Verbindungen
und deren kovalenter Fixierung in unmittelbarer Nähe ihrer Entstehung [8]. Diese Reaktion kann auch auf der Oberfläche von E. coliZellen stattfinden, wenn HRP durch chemische Konjugation auf der bakteriellen Zelloberfläche in unmittelbarer Nähe einer Lipase platziert wird (Abb. 2, [9]). Dabei wird als
Substrat ein Ester einer langkettigen Carbonsäure mit einem Tyramid eingesetzt. Der
Ester ist an sich kein Substrat für die Peroxidase. Erst das durch die lipolytische Aktivität
freigesetzte Tyramid kann von HRP zum Radikal umgesetzt werden, welches anschließend
kovalent auf der Zelloberfläche fixiert wird
(Abb. 3). Zellen mit Esterase-Aktivität tragen
dann eine Markierung (z. B. Biotin) und können nach Inkubation mit einem Fluorophor
durch Durchflusszytometrie identifiziert und
durch Fluoreszenz-aktivierte Zellsortierung
(FACS) isoliert werden.
Fallbeispiel: Suche nach Esterasen
mit erhöhter Enantioselektivität
˚ Abb. 3: Markierungsschema einer Esterasebibliothek. Oben links: Rotmarkierung bei Hydrolyse
von (S)-2-MDA-Tyramidester. Oben rechts: Grünmarkierung bei Hydrolyse von (R)-2-MDA-Tyramidester. Unten: FACS-Diagramm der Sortierung einer Esterase-A-Bibliothek bei simultaner Markierung mit beiden Enantiomeren und Isolierung von Zellen mit erhöhter (R)- (grünes Fenster) bzw.
(S)-Enantioselektivität (rotes Fenster). E: Esterase; P: Peroxidase; DNP: 2,4-Dinitrophenol.
dert [7]. Ob ein Passagierprotein zu dieser
Kategorie gehört, lässt sich schwer vorhersagen, kann aber rasch durch Klonierung des
Gens und Nachweis der Zellexposition des
Proteins z. B. durch Markierung mit fluoreszierenden Antikörpern und Analyse im
Durchflusszytometer geklärt werden.
Gekoppelte Enzymreaktion auf der
bakteriellen Zelloberfläche am
Beispiel von Lipasen
Eine Zelle, die ein Enzym mit der gewünschten Aktivität auf seiner Oberfläche präsentiert, unterscheidet sich von anderen Zellen
dadurch, dass sie in der Lage ist, die Konver-
In einem Modellexperiment wurde das oben
beschriebene Verfahren auf die Isolierung von
enantioselektiven Varianten der P. aeruginosa-Esterase EstA angewandt [10]. Durch
error prone-PCR wurde eine Kollektion von
EstA-Varianten hergestellt, die zwei bis vier
Aminosäureaustausche tragen. Als Substrat
wurde ein Tyramidester der chiralen Verbindung 2-Methyldekansäure (2-MDA) eingesetzt
(Abb. 3). EstA zeigt hinsichtlich der Hydrolyse
von 2-MDA-Estern nahezu keine Enantiopräferenz. Für eine Durchmusterung dieser
Sammlung oberflächenpräsentierter Varianten nach solchen, die bevorzugt einen Tyramidester der (R)-2-MDA hydrolysieren, wurde den Bakterien eine 1:1-Mischung zweier
Tyramidester von (R)- und (S)-2-MDA angeBIOspektrum | 03.10 | 16. Jahrgang
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boten, die jeweils unterschiedliche Indikatorgruppen tragen (Abb. 3). Zellen, die
bevorzugt das (R)-2-MDA-Estersubstrat
hydrolysieren, setzen 2,4-Dinitrophenyltyramid frei, welches kovalent auf der Zelloberfläche deponiert wird. Dieses vermittelt nach Markierung mit einem Fluorophor-konjugierten Anti-DinitrophenylAntikörper eine grüne zelluläre Fluoreszenz. Zellen, die bevorzugt den (S)-2MDA-Ester hydrolysieren, erhalten eine
Biotinmarkierung, die mit einem rot fluoreszierenden Streptavidin-Konjugat im
FACS nachgewiesen werden kann (Abb.
3).
Nach Zweifarbenmarkierung wurden
aus einer Kollektion von ca. 108 verschiedenen EstA-Varianten im FACS solche Zellen aussortiert, welche eine erhöhte grüne
und eine reduzierte rote Fluoreszenz aufwiesen, da sie bei der Spaltung des Esters
dem (R)-Enantiomer der 2-MDA den Vorzug gaben. So konnten mehrere Varianten
mit erhöhter (R)-Enantioselektivität isoliert werden, darunter eine, die den (R)-2MDA-Ester mit 15fach höherer katalytischer Effizienz umsetzte als das (S)-Enantiomer [10]. Die erhöhte Enantioselektivität ist auf einen einzigen Aminosäureaustausch (W185R) zurückzuführen.
Warum die Einführung einer Argininseitenkette an dieser Position eine bevorzugte
Umsetzung des (R)-Enantiomers zur Folge
hat, ist gegenwärtig noch unklar und
bedarf weiterer strukturbiologischer und
enzymologischer Untersuchungen.
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Weiterführende Arbeiten zielen darauf ab,
mehrstufige gekoppelte Reaktionen auf
der bakteriellen Zelloberfläche ablaufen
zu lassen, um maßgeschneiderte Vertreter anderer Enzymklassen mit biotechnologischer Relevanz, wie z. B. Oxidasen und
Dehydrogenasen, in die Hand zu bekommen.
ó
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Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten,
dass die Kombination von Präsentation
von Lipasen und Esterasen auf der Zelloberfläche von E. coli und kovalenter Fixierung des fluoreszenzmarkierten Reaktionsprodukts auf der Zelloberfläche es
ermöglicht, per FACS Enzymbibliotheken,
die mehr als 108 Varianten umfassen, in
einem einzigen Arbeitstag nach Aktivität
und Enantioselektivität zu durchmustern.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Harald Kolmar
Institut für Organische Chemie und Biochemie
Technische Universität Darmstadt
Petersenstraße 22
D-64287 Darmstadt
Tel.: 06151-164742
Fax: 06151-165399
[email protected]
www.chemie.tu-darmstadt.de/kolmar
AUTOR
Harald Kolmar
Jahrgang 1961. Biochemiestudium an der Universität Tübingen, 1987 Diplom.
1992 Promotion bei Prof. Dr. Fritz an der Universität Göttingen; Postdoktorat/Fellowship bei Prof. Dr. Sauer, MIT, Cambridge, MA, USA. 1999 Habilitation für das Fach Molekularbiologie und Genetik, Universität Göttingen. Seit
2005 Professor für Biochemie am Institut für Organische Chemie und Biochemie an der TU Darmstadt.
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