Biophysik – Janosch Deeg Rendezvous im Dienste der Immunabwehr Der menschliche Organismus hat im Laufe der Evolution ein raffiniertes System zur Abwehr von Krankheiten entwickelt. Mit ausgeklügelten Methoden versuchen Forscher dieses System im Detail zu verstehen, um es irgendwann gezielt zu beeinflussen. Die Möglichkeiten einer derartigen Kontrolle wären immens. Frühjahr 1987. Die Hand einer besorgten Mutter auf der feuchten Stirn ihres Sohnes. Dieser: Blass, hustend und von Schüttelfrost geplagt. Er ahnt nichts von dem geschäftigen Treiben in seinem Körper, von dem komplexen System, welches schweres Geschütz auffährt, um der Krankheit Herr zu werden. Der kleine Junge wird wieder gesund. Mehr noch, sein Immunsystem hatte dazugelernt. Das menschliche Immunsystem besteht aus einem ganzen Heer aus Immunzellen. Es gibt verschiedene kooperierende Abteilungen mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen: Der Feind muss zunächst identifiziert und anschließend unschädlich gemacht werden. Im Idealfall merkt sich das Immunsystem die Eigenschaften des Krankheitserregers, um ihn das nächste Mal schneller zu erledigen – es hat gewissermaßen gelernt den Angriff sofort abzuwehren. Damit die Krankheitsbekämpfung von Anfang bis Ende reibungslos funktioniert, muss zwischen den Protagonisten eine Art Kommunikation stattfinden – das Gefecht will schließlich organisiert werden. Zunächst ist ein aufmerksamer Überwachungsapparat stetig darauf bedacht, potentielle Gefahren zu erkennen. Insbesondere die sogenannten professionellen antigenpräsentierenden Zellen sind Teil dieser Spähtruppen. Anhand verschiedener Informationen auf der Oberfläche von Zellen sind sie in der Lage, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Finden sie gefährliche Zellen informieren die Aufpasser andere Einheiten des Immunsystems, indem sie auf ihrer eigenen Zelloberfläche Moleküle des Störenfrieds präsentieren. Diese, den Erreger charakterisierenden Biomoleküle, nennt man Antigene. Sogenannte T-Helferzellen können ebensolche Antigene auf der Oberfläche von antigenpräsentierenden Zellen erkennen. Entdecken sie welche, dann kommt es zu einem ausgiebigen Zell-Zell-Kontakt, sozusagen einem Rendezvous im Dienste der Immunabwehr. Im Fachjargon wird diese Verbindung als immunologische Synapse bezeichnet. Sie besteht üblicherweise über einen Zeitraum von etwa einer Stunde und bewirkt, dass die T-Helferzelle in einen aktivierten Zustand übergeht. Anschließend versucht die aktivierte T-Zelle weitere Immunzellen für den Kampf gegen den Erreger zu rekrutieren. In den Neunziger Jahren haben Forscher die immunologische Synapse erstmals wissenschaftlich beschrieben. Doch rasch wurde klar, dass diese erste Schilderung längst nicht alle auftretenden Phänomene umfasste, geschweige denn erklären konnte. Bis heute streiten Experten etwa darüber, wieso sich im Bereich der Kontaktstelle ein merkwürdiges Muster ausbildet oder welche Funktionen die vielen beteiligten Moleküle übernehmen. Würde man die immunologische Synapse besser verstehen, wäre es vielleicht möglich die Krankheitsbekämpfung gezielt zu initiieren – so die Vision. 1 Biophysik – Janosch Deeg Sommer 2010. Der Junge ist erwachsen geworden - neugierig und voller Tatendrang sitze ich im Labor in Gesellschaft von T-Helferzellen. Meine Kollegen der New Yorker Universität haben sie der Milz von Mäusen entnommen. Endlich sind sie in Heidelberg eingetroffen und ich kann mit meinen Forschungen beginnen! Mich treibt die Frage um was genau die T-Zellen brauchen, um in einen Alarmzustand überzugehen. Oder anders ausgedrückt: Was sind die ausschlaggebenden Eigenschaften einer echten antigenpräsentierenden Zelloberfläche, die schließlich dazu führen, dass die T-Zelle aktiviert wird? Ich konzentriere mich bei diesen Eigenschaften auf die involvierten Biomoleküle: Welche und wie viele davon werden benötigt und wie müssen diese zueinander angeordnet sein, damit die T-Zellen stimuliert werden? Meine Strategie besteht schließlich darin, eine echte antigenpräsentierende Zelle durch eine künstliche Zelloberfläche zu simulieren. Dadurch kann ich den Aktivierungsprozess besser beeinflussen und zugleich dessen Komplexität verringern. Die ersten Rendezvous meiner T-Zellen mit meinen stimulierenden Zellimitaten verlaufen jedoch ernüchternd – die Reisestrapazen sind ihnen deutlich anzumerken: Keine Anzeichen für Aktivierung. Geschwächte oder gar tote Zellen können nicht aktiviert werden – das leuchtet mir ein! Eine erfolgreiche Aktivierung würde sich etwa dadurch bemerkbar machen, dass die Zelle zunächst fest auf der Oberfläche sitzt und eine bestimmte Form annähme. Anschließend finge sie an, sich vermehrt zu teilen und Signalmoleküle auszuscheiden, die dann zusätzliche Zellen stimulierten. Mein Plan ist also, derartige Ereignisse zu untersuchen. Anhand der Beobachtungen kann ich schließlich erkennen, ob und in welchem Umfang eine Aktivierung stattgefunden hat. Doch damit nicht genug: Die gewonnenen Informationen sollen mir helfen ein ideales Partnerprofil anzufertigen – also ein Arrangement aus verschiedenen Molekülen, welches meine Zellen optimal stimuliert. Nur: Moleküle genau auf einer Oberfläche zu platzieren ist gar nicht so einfach – zumindest nicht mit einer Präzision wie ich es benötige: im Nanobereich, also in Größenbereichen von Millionstel Millimeter. Es existieren keine Apparate, die in der Lage wären solche molekularen Muster herzustellen. Deshalb zunächst ein kleiner Umweg: Es gibt bestimmte Kleinstteile, die sich auf Grund ihrer Struktur und gegenseitigen Wechselwirkung selbst zu wohl geordneten Mustern formieren – ganz ohne Zutun von außen. So auch die winzigen Polymerkügelchen, die ich schließlich benutze. Auf einer festen Oberfläche ordnen sie sich selbstständig zu einem hexagonalen Muster an – ähnlich wie Billardkugeln, die man eng zusammen packt. Im Zentrum der Kügelchen ist noch ein klein wenig Platz, wo ich im Voraus geringe Mengen an Gold deponiere. Nachdem sich die Kügelchen selbstständig geordnet haben, verbrenne ich das Polymer. Zurück bleiben nur winzige Goldnanopartikel, die nun wohlgeordnet und fest auf der künstlichen Zelloberfläche sitzen. Gold ist auf Grund seiner Materialeigenschaften ein idealer chemischer Anker und ich kann nun einzelne Biomoleküle mit hoher Präzision über chemische Bindungen ankoppeln. Den Abstand der Biomoleküle justiere ich passend, indem ich den Durchmesser der Polymerkügelchen verändere. 2 Biophysik – Janosch Deeg In der Zwischenzeit sind auch neue T-Zellen eingetroffen. Ich stelle also verschiedene Molekülmuster her und beobachte wie die Zellen auf diese reagieren. Eine langwierige Experimentierphase, gespickt mit vielen Hürden, folgt. Mal funktioniert die Anbindung der Biomoleküle an die Nanopartikel nicht, ein anderes Mal sind die T-Zellen nicht vital genug oder die Nachweismethode für eine Aktivierung erweist sich als unbrauchbar. Doch nach und nach stellen sich die ersten Erfolge ein und die Anforderungen der T-Zellen an die künstliche Zelloberfläche werden deutlich: Es ist möglich, die TZellen durch genügend Antigene zu aktivieren, ohne dass andere Biomoleküle vorhanden sind. Bislang hatte man vermutet, dass solche zusätzlichen Moleküle notwendig sind, um eine vollständige Aktivierung herbeizuführen. Meine Ergebnisse zeigen aber, dass dies nur für geringe Konzentrationen von Antigenen zutrifft, so wie es auch im Körper der Fall ist. Dann nämlich müssen weitere Biomoleküle die Synapse stabilisieren. Durch die arrangierten Treffen von T-Zellen mit künstlichen Zelloberflächen verstand ich die Bedürfnisse der T-Zelle besser: Sie binden sich nur fest, wenn sie eine gewisse Menge an stimulierenden Molekülen auf der antigenpräsentierenden Zelloberfläche vorfinden. Dadurch wird die T-Zelle aktiviert. Entgegnen der Erwartung spielt es dabei keine Rolle, ob die beiden Zellen ein molekulares Muster an ihrer Verbindungsstelle ausbilden. Wie bei einem echten Rendezvous ist also der »erste Eindruck« enorm wichtig. Irgendwann wird man unsere Immunabwehr vermutlich ausreichend verstanden haben, dass man sie gezielt steuern und gegen auch bislang unheilbare Krankheiten einsetzen kann. Herbst 2059 – Der Großvater sitzt am Bett seiner Enkelin. Mit beruhigender Stimme erklärt er ihr, wie ihr kleiner Körper gerade gegen die Krankheit ankämpft. Er schmunzelt. Er erinnert sich an sein erstes enttäuschendes Rendezvous als Doktorand - mit T-Helferzellen. Damals konnte er sich kaum vorstellen, dass Immuntherapien irgendwann gang und gäbe sein würden. 3