Vorwort der deutschen Ausgabe

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Vorwort der deutschen Ausgabe
Wahn und Halluzinationen gehören zu den zentralen Symptomen der schizophrenen Störung. Obwohl diese Symptome medikamentös häufig gut behandelbar sind, leiden ca. 20−30 % der Patienten trotz adäquater Pharmakotherapie
unter einer mehr oder weniger stark ausgeprägten persistierenden Positivsymptomatik. Diese geht unter anderem einher mit einer Verringerung der Lebensqualität, einer Beeinträchtigung der sozialen und beruflichen Integration, dem
Auftreten von Angst und Depressionen sowie einer gegenüber der Gesamtbevölkerung 30-fach erhöhten Suizidrate. Positivsymptome galten lange Zeit als
psychotherapeutisch nicht behandelbar und die klinische Regel, mit Patienten
am besten nicht über ihren Wahn und ihre Halluzinationen zu sprechen, um
diese nicht zu verstärken, ist auch heute noch anzutreffen. Erst in den 90er Jahren gewannen – ausgehend von Forschern aus Großbritannien, welche den
kognitiv-behavioralen Ansatz für Patienten mit schizophrenen Störungen adaptierten – psychotherapeutische Ansätze wieder an Bedeutung. Hierzu hat
wesentlich beigetragen, dass in Zeiten der evidenzbasierten Medizin die Wirksamkeit der kognitiven Therapie belegt werden konnte. So zeigte die jüngst erschienene, methodisch hochwertige Metaanalyse von Wykes et al. (2008) eine
moderate Gesamteffektgröße von 0,37 für die kognitive Therapie. Greift man
aus den recht heterogenen, eingeschlossenen Studien diejenigen heraus, die primär eine kognitive Umstrukturierung in Bezug auf Wahn und Halluzinationen
zum Inhalt haben, liegt die durchschnittliche Effektstärke bei 0,46. Dabei ist
besonders interessant, dass eine Verminderung der Positivsymptomatik mit
positiven Veränderungen in anderen Bereichen, auf die die Intervention nicht
spezifisch abzielte, einherging. So kam es auch zu einer Verbesserung der Negativsymptomatik, des Funktionsniveaus sowie der Stimmung. Dies legt nahe,
dass die kognitiv-behaviorale Therapie für Positivsymptome einen Nutzen für
den Patienten besitzen kann, der über die unmittelbar in der Intervention angesprochenen Bereiche hinausgeht. Eine ausführliche Darstellung der Evidenzbasis
findet sich in dem Abschlusskapitel, das von Antonia Barke für die deutsche Ausgabe neu hinzugefügt wurde und welches das ursprüngliche Schlusskapitel ersetzt.
Aufgrund dieser Wirksamkeitsnachweise besteht in mittlerweile allen neueren Leitlinien, darunter auch die deutsche Behandlungsleitlinie Schizophrenie
(Gaebel u. Falkai 2006), der Konsens, dass kognitiv-behaviorale Methoden bei
chronischer Positivsymptomatik eingesetzt werden sollten. Für diese Indikation
wird in der deutschen Behandlungsleitlinie eine klare A-Empfehlung ausgesprochen. Daneben wird ihr Einsatz auch zur Förderung von Einsicht, Erhöhung der
Therapieadhärenz, Verminderung des Rückfallrisikos sowie in der Prodromalphase der Erkrankung empfohlen.
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Die zunehmende Bedeutung der CBT spiegelt sich auch darin wider, dass in
jüngerer Zeit erstmalig zwei deutschsprachige Manuale zu dieser Thematik erschienen sind (Lincoln 2006; Vauth u. Stieglitz 2007). Mit der vorliegenden Übersetzung liegt dem Leser nun als dritter Beitrag das Manual von Hazel Nelson vor.
Dieses stellt aus unserer Sicht einen besonders detaillierten Ansatz zur Behandlung von Wahn und Halluzinationen dar. Die Zielsetzung der CBT nach Hazel
Nelson besteht nicht in erster Linie in einer Beseitigung der Symptome als solcher, sondern in einer Reduktion des durch die Symptome verursachten Leids
und so in einer Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen. Ausgehend
von dieser Grundvoraussetzung werden individuell auf den Patienten zugeschnittene Zielsetzungen formuliert. Hazel Nelson zeigt, wie man eine Fallkonzeptualisierung vornimmt, wie die Therapie, getrennt für die Symptombereiche
Wahn und Halluzinationen, im Einzelnen abläuft und welche Strategien dabei
zum Einsatz kommen. Dabei werden die Strategien detailliert beschrieben, sodass der Leser eine konkrete Vorstellung davon erhält, wie er vorgehen kann. So
gibt sie beispielsweise fünf verschiedene Strategien an, wie die Überzeugung
»andere Menschen können meine Gedanken lesen« einem Realitätstest unterzogen werden kann. Das Manual basiert auf der 18-jährigen klinischen Arbeit der
Autorin und zeugt von ihrer großen Erfahrung im Umgang mit diesen Patienten. Dies wird auch an den zahlreichen Beispielen deutlich, die die Strategien
hilfreich illustrieren.
Um das Manual für den deutschen Leser leichter zugänglich zu machen, wurde der ursprüngliche Text entsprechend bearbeitet und gekürzt. Außerdem wurde die ursprüngliche Zusammenfassung der Autorin (Anhang 1) erweitert und
in ein detailliertes Ablaufschema übersetzt. Anhand dieses Schemas kann der
Therapeut im konkreten Fall die Therapie planen und entsprechend vorgehen.
Die CBT für persistierende Positivsymptome ist eine sinnvolle Intervention,
die jedoch in der Praxis noch ein Implementierungsdefizit aufweist, welches die
Leitlinienempfehlung für die meisten Patienten nicht umsetzbar macht. Wir
hoffen, dass dieses Buch einen weiteren Beitrag dazu liefern wird, diese Therapieform einem größeren Kreis von Menschen, die unter diesen Symptomen leiden, zugänglich zu machen.
An dieser Stelle möchten wir Elisabeth Vögtle für ihre große Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts und ihre wertvollen Vorschläge und Mirjana Ruhleder
für ihre hilfreichen Hinweise zu verschiedenen Kapiteln danken.
Anmerkungen zur Terminologie
Der Begriff der Überzeugung wird in einem sehr weiten Sinn gebraucht. Unter
»Überzeugung« fällt alles, was wir glauben, meinen, wissen usw. Der Begriff
reicht dabei von banalen Überzeugungen über Alltagsdinge bis hin zu zentralen
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Überzeugungen, welche die eigene Person und die Welt um sie herum betreffen.
Im letzteren Fall wird auch von »Grundüberzeugungen« gesprochen.
Mit dem Begriff der Wahnüberzeugung oder wahnhaften Überzeugung
sind die Überzeugungen gemeint, aus denen ein Wahn besteht. Ein Wahn kann
nur aus einer einzigen Überzeugung bestehen, an der mit unerschütterlicher Gewissheit festgehalten wird. Es gibt aber auch komplexe Wahngebäude, die aus
vielen Überzeugungen bestehen, die ebenso unerschütterlich geglaubt werden.
Um eine gewisse stilistische Variation zu ermöglichen, werden teilweise auch die
Ausdrücke »Wahnidee« oder »Wahnvorstellung« benutzt.
Unter Evidenz sind alle empirischen Belege für und gegen eine bestimmte
Behauptung oder Überzeugung zu verstehen. Evidenz kann die Überzeugungen
stützen (Evidenz für eine Überzeugung, stützende Evidenz) oder im Widerspruch zu ihr stehen (Evidenz gegen eine Überzeugung, widersprechende oder
kontradiktorische Evidenz).
Bern und Göttingen, im Herbst 2010
Dorothee Klecha
Antonia Barke
Literatur
Gaebel W, Falkai P (2006): Behandlungsleitlinie Schizophrenie (S3 Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie). Darmstadt: Steinkopff.
Lincoln T (2006): Kognitive Verhaltenstherapie der Schizophrenie. Ein individuenzentrierter Ansatz zur Veränderung von Wahn, Halluzinationen und Negativsymptomatik.
Göttingen: Hogrefe.
Vauth R, Stieglitz RD (2007): Chronisches Stimmenhören und persistierender Wahn. Göttingen: Hogrefe.
Wykes T, Steel C, Everitt B, Tarrier N (2008): Cognitive behavior therapy for schizophrenia:
effect sizes, clinical models, and methodological rigor. Schizophr Bull 34; 523−537.
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