Psychiatrie Sem 2 Allgemeine Psychopathologie Bewusstseinsstörungen Definition: Bewusstseinsstörung ist der Oberbegriff für alle Veränderungen der Bewusstseinslage. Unterschieden wird zwischen quantitativen (Bewusstseinsverminderung im Sinne der Schlaf-WachSkala) und qualitativen Bewusstseinsveränderungen. Quantitative Bewusstseinsstörungen werden je nach Schweregrad eingeteilt in: - Benommenheit: Patient ist verlangsamt - Somnolenz: Patient ist schläfrigbenommen, aber leicht weckbar - Sopor: Patient ist nur durch starke Reize weckbar - Koma: Patient ist bewusstlos, nicht weckbar Qualitative Bewusstseinsstörungen: - Bewusstseinstrübung: Verwirrtheit von Denken und Handeln - Bewusstseinseinengung: Einengung des Bewusstseinsumfangs - Bewusstseinsverschiebung: Bewusstseinsänderung, z.B. Intensitätsund Helligkeitssteigerung in der Wahrnehmung innerpersonaler oder außenweltlicher Vorgänge. Orientierungsstörungen Definition: Mangelndes Bescheidwissen über zeitliche, räumliche, situative und/oder persönliche Gegebenheiten. Je nach Intensität der Störung kann man die eingeschränkte und die aufgehobene Orientierung unterscheiden. Unterschieden werden: - zeitliche Desorientiertheit - örtliche Desorientiertheit - situative Desorientiertheit - Desorientiertheit zur eigenen Person Störungen der Aufmerksamkeit und Konzentration Definition: Die Fähigkeit, die Wahrnehmung in vollem Umfang den durch die Sinne vermittelten Eindrücken zuzuwenden bzw. die Wahrnehmung auf einen bestimmten Sachverhalt zu konzentrieren, ist beeinträchtigt Orientierende Prüfung der Konzentrationsfähigkeit: Einfache mathematische und verbale Testaufgaben können zur Diagnose beitragen. Wichtiger als die subjektive Beurteilung der Störungen in diesem Bereich durch den Patienten ist die objektive Beurteilung durch den Untersucher. Auffassungsstörungen Definition: Die Fähigkeit, Wahrnehmungserlebnisse in ihrer Bedeutung zu begreifen und miteinander zu verbinden, ist beeinträchtigt. Die Auffassung kann falsch oder verlangsamt sein oder ganz fehlen. Orientierende Prüfung: Auffassungsstörungen werden automatisch im Gespräch ermittelt (z. B. durch das Nacherzählen einer Fabel oder anhand von Bildvorlagen). Gedächtnisstörungen Definition: Die Fähigkeit, frische und alte Erfahrungen wiederzugeben, ist vermindert. Die traditionelle Psychopathologie unterscheidet Störungen der Merkfähigkeit und des Altgedächtnisses. Moderne psychologische Theorien des Gedächtnisses differenzieren in Ultrakurz- (Sekunden), Kurzzeit(Minuten) und Langzeitgedächtnis. Störungen der mnestischen Funktionen können im Allgemeinen bereits im Untersuchungsgespräch abgeschätzt werden. Störungen der Merkfähigkeit Herabsetzung oder Aufhebung der Fähigkeit, sich frische Eindrücke über einen Zeitraum von ca. zehn Minuten zu merken. Störungen der Erinnerungsfähigkeit (Altgedächtnis) Amnesie: Inhaltlich oder zeitlich begrenzte Erinnerungslücke. Man unterscheidet: -retrograde Amnesie: ein bestimmter Zeitraum vor dem Ereignis ist betroffen -anterograde Amnesie: ein bestimmter Zeitraum nach dem Ereignis ist betroffen Konfabulationen: Erinnerungslücken werden mit Einfällen ausgefüllt. Paramnesien (Wahn-, Trugerinnerungen): Z. B. das Gefühl, Situationen schon früher („Deja-vu") bzw. noch nie erlebt zu haben („Jamais-vu"). transitorische globale Amnesie: akute, vorübergehende Episode von Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen. Orientierende Prüfung der Merkfähigkeit: z. B. Vorsprechen von 7 einstelligen Zahlen, Benennen von 3 Gegenständen. Sofort und nach einem 10-minütigen Gespräch muss der Patient das Material wiedergeben. Orientierende Prüfung des Altgedächtnisses: Abfragen relevanter Daten aus der Anamnese (z.B. Berufsabschluss, Heirat). Störungen der Intelligenz Definition: Intelligenz ist eine komplexe Fähigkeit des Menschen, sich in ungewohnten Situationen zurechtzufinden, Sinn- und Beziehungszusammenhänge zu erfassen und neuen Anforderungen durch Denkleistungen zu entsprechen. Intelligenzstörungen können angeboren (Oligophrenie) oder im späteren Leben erworben sein (Demenz). Die wichtigsten Hinweise ergeben sich aus der Lebensgeschichte, z. B. Art der Schulausbildung, Schulabschluss, erreichte Stellung im Beruf. Auch Sprachstil und Denkleistungen lassen Rückschlüsse auf die Intelligenz zu. Orientierende Prüfung des Allgemeinwissens: z. B. einfache Rechenaufgaben, Fragen nach Grundwissen. Orientierende Prüfung von Denkleistungen: z. B. Unterschiede von konkreten Begriffen (Kind/Zwerg), Erklären von Sprichwörtern. Formale Denkstörungen Definition: Formale Denkstörungen sind Störungen des Denkablaufes. Sie werden vom Patienten subjektiv empfunden oder äußern sich in den sprachlichen Äußerungen. Man unterscheidet: -Denkverlangsamung -Umständliches Denken -Eingeengtes Denken -Perseveration -Ständiges Grübeln -Gedankendrängen -Ideenflucht -Vorbeireden -Sperrung/Gedankenabreißen -Faseligkeit/fehlende Spannweite des intentionalen Bogens -Inkohärenz/Zerfahrenheit -Neologismen Wahn Definition: Als Wahn bezeichnet man eine unkorrigierbar falsche Beurteilung der Realität, die erfahrungsunabhängig auftritt und an der mit subjektiver Gewissheit festgehalten wird. Die Überzeugung steht also im Widerspruch zur Wirklichkeit und zur Überzeugung der Mitmenschen. Wahnideen gehören zu den inhaltlichen Denkstörungen. Sie werden oft verheimlicht. Sie müssen von überwertigen Ideen abgegrenzt werden (diese sind im Gegensatz nicht unkorrigierbar). Nach Art der Wahnentstehung werden unterschieden: -Wahneinfall -Wahnwahrnehmung -Erklärungswahn Weitere wichtige Wahnbegriffe sind: -Wahnstimmung -Wahndynamik: affektive Anteilnahme am Wahn. -Systematischer Wahn Wahninhalte: - Beziehungswahn, Bedeutungswahn, - Beeinträchtigungs/Verfolgungswahn, - Eifersuchtswahn, Liebeswahn, - Schuldwahn, Verarmungswahn, - Hypochondrischer Wahn - Nihilistischer Wahn, - Größenwahn, - Wahnerinnerung - Doppelgänger-Wahn Orientierende Prüfung: Manchmal liefern schon die Verhaltensbeobachtung oder fremdanamnestische Angaben Anhaltspunkte auf wahnhafte Denkinhalte. Der Verdacht, dass wahnhafte Gedanken vorliegen, ergibt sich weniger aus der objektiven Unrichtigkeit des konkreten Inhaltes, sondern aus der Art der Begründung. Wahrnehmungsstörungen Halluzinationen Definition: Halluzinationen sind Wahrnehmungserlebnisse ohne entsprechenden Außenreiz, die aber trotzdem für wirkliche Sinneseindrücke gehalten werden. Sie werden auch als Sinnestäuschung oder Trugwahrnehmung bezeichnet. Wird die Unwirklichkeit erkannt, spricht man von Pseudohalluzinationen. Können auf allen Sinnesgebieten auftreten. -Akustische Halluzinationen -Optische Halluzinationen -Olfaktorische und gustatorische Halluzinationen -Zönästhesien (Leribhalluzinationen) Hypnagoge Halluzinationen sind optische und akustische Sinnestäuschungen im Halbschlaf, beim Aufwachen oder Einschlafen und kommen auch bei psychisch Gesunden vor. Illusionen: Missdeutung eines real vorhandenen Gegenstands. Orientierende Prüfung: An Halluzinationen ist z. B. zu denken, wenn der Kranke sich lauschend abwendet, unvermittelt eine abklärende Handbewegung macht, offensichtlich durch innere Erlebnisse von der Umwelt abgelenkt ist. Man versucht danach, Art und Inhalt der Halluzinationen zu erfragen. Sonstige Wahrnehmungsstörungen Die nachfolgenden Veränderungen der Wahrnehmung sind meist relativ einfach zu erfragen. -Veränderung der Wahrnehmungsintensität -Mikro-/Makropsie -Metamorphopsie Ich-Störungen Definition: Störungen bei denen sich die Ichhaftigkeit des Erlebens verändert (Derealisation, Depersonalisation) oder die Grenze zwischen dem Ich und der Umwelt durchlässig erscheint. Man unterscheidet: -Depersonalisation -Derealisation -Gedankenausbreitung -Gedankenentzug -Gedankeneingebung -Fremdbeeinflussungserlebnisse… Orientierende Prüfung: Zur genaueren Exploration fragt man, ob der Patient den Eindruck habe, dass er sich in letzter Zeit verändert habe. Möglicherweise erscheint ihm auch die Umwelt verändert. Störungen der Affektivität Definition: Der Bereich der Affektivität umfasst die meist nur kurzdauernden Affekte („Gefühlswallungen", z. B. Zorn, Wut, Hass, Freude) und die längerfristig bestehenden Stimmungen (z.B. Depression). Man unterscheidet: -Affektlabilität/Stimmungslabilität, Affektinkontinenz, -Affektarmut, Gefühl der Gefühllosigkeit, Affektstarrheit -Innere Unruhe, Dysphorie, Ambivalenz -Euphorie, Gesteigerte Selbstwertgefühle, Gereiztheit -Depressivität/Deprimiertheit, Störung der Vitalgefühle -Insuffizienzgefühle, Parathymie, Läppischer Affekt Hat der Patient z.B. durch gezielte Exploration Gelegenheit, sich emotional mitzuteilen, können vorherrschende Stimmung und Affekte beurteilt werden. Zwänge, Phobien, Ängste Angst: Gefühlszustand der Bedrohung und Gefahr, gewöhnlich von vegetativen Erscheinungen, wie z. B. Herzklopfen, Schwitzen, Atemnot, Zittern, Mundtrockenheit oder Magendruck begleitet. Phobie: Objekt- bzw. situationsabhängige Angst Zwangsideen: Aufdrängen von nicht unterdrückbaren Denkinhalten, die entweder selbst sinnlos oder in ihrer Persistenz und Penetranz als unsinnig und meist als quälend empfunden werden. Zwangshandlungen: In der Art oder Intensität als sinnlos erkannte und meist als quälend empfundene, nicht unterdrückbare Handlungen, meist aufgrund von Zwangsimpulsen oder Zwangsbefürchtungen Misstrauen Hypochondrische Befürchtungen Orientierende Prüfung: Patienten mit Ängsten sprechen meist offen über ihre Angst. Zwangshandlungen und Zwangsgedanken müssen exploriert werden. Man fragt nach ausgeprägten Gewohnheiten, zur Exploration von Zwangsgedanken fragt man, ob sich Worte, Sätze oder Gedanken aufdrängen. Störungen des Antriebs und der Psychomotorik Definition: Unter diesem Begriff werden alle Störungen zusammengefasst, die die Energie, Initiative und Aktivität eines Menschen (Antrieb) sowie die durch psychische Vorgänge geprägte Gesamtheit des Bewegungsablaufs (Psychomotorik) betreffen. Die Diagnose dieser Störungen ergibt sich meist spontan aus der Beobachtung des Patienten. Man unterscheidet: -Antriebsarmut, Antriebshemmung, Stupor, Mutismus -Logorrhö, Antriebssteigerung, Motorische Unruhe, Aggressivität -Automatismen, Tic, Stereotypien, Manierismen -Ambitendenz, Paramimie, Theatralisches Verhalten -Sozialer Rückzug, Soziale Umtriebigkeit Katatone Symptome werden unterteilt in -psychomotorische Hyperphänomene (psychomotorische Erregung, Bewegungs und Sprachstereotypien, Befehlsautomatie) -psychomotorische Hypophänomene (Sperrung, Stupor, Mutismus, Negativismus, Katalepsie, Haltungsstereotypien (Flexibilitas cerea). Abfassung des psychopathologischen Befundes Der psychopathologische Befund ist die Zusammenfassung psychopathologischer Auffälligkeiten eines Patienten. Es wird mit dem äußeren Erscheinungsbild begonnen. Anschließend werden das Verhalten in der Untersuchungssituation und das Sprachverhalten beschrieben. Dann wird auf Veränderungen von Bewusstseinslage, Aufmerksamkeit, Auffassung, Gedächtnis, Affektivität, Antrieb und Orientierung eingegangen. Ausführungen über Wahrnehmungs- und Denkstörungen folgen. Es muss ein plastisches Bild vom aktuellen psychischen Zustand des Patienten erstellt werden. Eine reine Aufzählung psychopathologischer Termini ist nicht ausreichend.