Arbeitspapier Fachbereich Seminar: Bearbeitet von: Dozent Quelle : Thema: Sozialwesen Klinische Psychologie Alexandra Gangl Prof. Dr. Christian Schulte-Cloos Kompendium der Psychiatrie, Karger, 1970, 40-53 STÖRUNGSMÖGLICHKEITEN in den PSYCHISCHEN FUNKTIONSBEREICHEN nach S p o e r r i URSACHEN Die Formen der seelischen Organismen erfolgt durch ihre Anlage und durch die Umwelt. Entsprechend ist zwischen ererbten (hereditären) und erworbenen (fetal, frühkindlich oder im späteren Leben) seelischen Störungen zu unterscheiden. Funktionsstörungen Erscheinungsbilder 1. WAHRNEHMUNGSSTÖRUNGEN Wahrnehmung: Erkennen eines Gegenstands in der Außenwelt durch Sinnesempfindungen Auffassung: Wahrnehmung einer gesamten Situation Aufmerksamkeit: Umfang und Intensität (Konzentration) der Auffassung von Wahrnehmungen, Vorstellungen, Gedanken; Unterscheidung in aktiv-willkürliche und massive Aufmerksamkeit sowie Beständigkeit und Ablenkbarkeit der Aufmerksamkeit. Quantitative Wahrnehmung: Ausfälle oder Verlangsamung der Wahrnehmungsvorgänge Qualitative Wahrnehmung: Sinneseindrücke erscheinen verändert, Illusionen (Missdeutung von Sinneseindrücken) Halluzinationen (Vermeintliche Wahrnehmung): Gehörs-, Gesichts-, Geruchs-, Geschmacks-, Tast-, Körperhalluzinationen 2. GEDÄCHTNISSTÖRUNGEN Die Störungsursachen werden unterteilt in: - exogen - endogen - psychogen - reaktiv (Ursache liegt „außerhalb“ des Seelischen) (ungeklärte Ursache, auf ererbter Grundlage entstand) (erlebnisbedingte Ursache, seelische Reaktionen und Neurosen) (Erlebnis bewirkt direkte, akute und kurzdauernde Reaktion) VERLAUF Die akut oder schleichend beginnende seelische Erkrankung wird meist durch uncharakteristische, der Krankheit vorausgehende Erscheinungen eingeleitet. Die Progression kann kontinuierlich, phasenhaft (wellenförmiger Verlauf mit langsam beginnenden Krankheitserscheinungen mit allmählichem Übergang in völlige Heilung) oder schubartig (abruptes und heftiges Auftreten, nach Abklingen der akuten Symptome möglicher Defekt) geschehen. Die Krankheit endet entweder mit Heilung, Defekt oder Demenz. Gedächtnis: Erinnerungs- sowie Merkfähigkeit von früheren Erlebnissen (Rezeption, Retention, Reproduktion) Hypermnesien: Überfunktion des Gedächtnisses Hypomnesien: Störungen des Altgedächtnisses (Erinnerungsfähigkeit) und des Frischgedächtnisses (Merkfähigkeit), hochgradige Merkfähigkeitsschwäche Amnesien: Retrograde/anterograde Amnesie, (Erinnerungslücken vor/nach einem schädigenden Ereignis) Paramnesien: Erinnerungstäuschungen, Gedächtnisillusionen und halluzinationen Konfabulationen: Ausfüllen von Gedankenlücken mit erstbesten Einfällen 3. ORIENTIERUNGSSTÖRUNGEN Mangelhafte Orientierung oder völlige Desorientierung in bezug auf Ort, Zeit und eigene Person Doppelte Orientierung gleichzeitige „Orientierung“ in realer und wahnhafter Welt 4. TRIEBSTÖRUNGEN Antrieb: (Intensität, Tempo): quantitatives Maß für seelische Dynamik Libido: allgemeiner Lebensdrang/sexuelle Energie Quantitativ Allgemeine Antriebssteigerung und – verminderung, vor allem Hyper- und Hyposexualität Qualitativ Perversionen (sexuelle Fehlhaltung) 5. AFFEKTIVITÄTSSTÖRUNGEN Gesamthaltung der Affektivität ist das Temperament. Affektivität wird unterteilt in Gefühl ((LustUnlust, vital bis religiös-ethische Gefühle). Affekt (Gefühlswallung) und Stimmung (Gefühlszustand längerer Dauer) Von gesteigerter Gefühlsansprechbarkeit (Hypersensibilität und Reizbarkeit) bis fehlender Gefühlslebendigkeit (Apathie und Torpidität, Stumpfheit) Affektlabilität: rascher Wechsel von Einzelaffekten, Stimmungslabilität: Wechsel der länger dauernden Gesamtstimmung Affektinkontinenz: fehlende Affektbeherrschung Ambivalenz: gleichzeitig vorkommende, gegensätzliche Gefühle, einander widersprechende Affekte Katathymis: Affekt bewirkt Umformung anderer Affekte oder Gedankeninhalte Synthymie: Direkte Wirkung einer Stimmung Hauptformen veränderter Stimmungslagen: euphorisch gehobene Stimmung (Affekte der Heiterkeit, des erhöhten Selbstgefühls) schwermütig gedrückte Stimmung (Affekte der Traurigkeit, Angst, Verzweiflung) Dysphorische Verstimmung (missmutig, gereizt) 6. Intelligenzstörungen Intelligenz: Fähigkeit zur selbständigen Lösung neuer Aufgaben Oligophrenie: angeborener/früherworbener Intelligenzmangel Demenz: erworbener Intelligenzmangel Pseudodemenz: Vortäuschung von Verblödung 7. Denkstörungen Das Denken wird gesteuert von Assoziationen, Gestaltgesetzmäßigkeiten und vom Denkziel. Die Gedankeninhalte sind von der formalen Seite des Denkvorgangs zu unterscheiden. Formale Denkstörungen: Ideenflucht (Manie): Oberflächlicher, einfallsreicher Gedankengang, ständig von einem Nebengedanken abgelenkt. Denkhemmung: Verlangsamter, einfallsarmer Gedankengang. Zerfahrenheit: Sprunghafter, aufgelöster Gedankengang ohne logische Verknüpfung, Aneinanderreihung von nichtzusammengehörigen Denkinhalten. Inkohaerenz: Zerfahrenheit bei gleichzeitiger (Verworrenheit:) Bewusstseinstrübung. Sperrung: Plötzlich kurzzeitige Unterbrechung eines Gedankengangs ohne Bewusstseinsverlust. Haften: Gedankengang stockt, Störung der Um- und Einstellung auf ein neues Denken. Perseveration: Wiederholung gleicher Gedankeninhalte. Umständlichkeit: Pedantisches Haften an Details mit Schilderung von Unwichtigem. Inhaltliche Denkstörungen: ZwangsideenAufdrängen nicht unterdrückbarer Einfälle, als und -vorstellungen krankhaft sinnlos erkannt, werden als quälend (Anankasmen): empfunden. Überwertige Ideen: Einfälle beherrschen das gesamte Denken einseitig Wahnhafte Ideen: vorübergehende Verstimmungen, aus manischen oder depressiven Verstimmungen oder Bewusstseinstrübungen abzuleiten Wahnidee: Unfähigsein objektiv Falsches trotz gegenteiliger Erfahrung zu korrigieren (systematisierter Wahn: Errichtung eines Wahngebäudes) Autismus: Denken und Verhalten wird von eigenen Überzeugungen und Strebungen beherrscht und für die reale Welt sinnentleert. 8. ICH- und PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN Eine Spaltung des Ichs, der Persönlichkeit liegt folgenden Erscheinungen zugrunde: Identifikation, Doppelgängererlebnis, Wechsel der Persönlichkeit, Depersonalisation: Fremdheitserleben des eigenen Ichs oder einzelner Körperteile Senkung des Persönlichkeitsniveaus: Nachlassen der intellektuellen Leistungsfähigkeit, Persönlichkeits- oder Wesensveränderung 9. STÖRUNGEN der trieb-, affekt- und willensbedingten ÄUSSERUNGEN und HANDLUNGEN: Oft treten Trieb-, Affekt- und Willensvorgänge nicht auf, und es kommt zu charakteristischen Verselbständigungen der motorischen Abläufe. Aktivitätsverminderung: Akinese: Abulie: Stupor: Mutismus: Antriebsschwäche: absolute Bewegungslosigkeit Willenlosigkeit relative Bewegungslosigkeit mit Einschränkung der Reizaufnahme und Reaktion (z.B. Katalepsie: „wächserne Biegsamkeit“) Nichtsprechen über längeren Zeitraum bei Intaktheit der Sprachorgane Verminderte Aktivität: (z.B. psycholokales Psychosyndrom) Aktivitätsvermehrung: allgemeine Hauptsymptom bei Manie: vor allem Antriebssteigerung Beschäftigungs- und Rededrang Hyperkinese: gesteigerte Motorik, Bewegungsdrang Raptus: Ungeordneter Bewegungssturm Qualitative Aktivitätsveränderung: Triebhandlung: triebzielgerichtetes Handeln (z.B. NahrungsGeschlechtstrieb) Dranghandlung: Richtungsloses Getriebensein (Impulshandlungen), z. B. Pyromanie (Brandstiftung), Kleptomanie (krankhaftes Stehlen), Poriomanie (Wandertrieb) Affekthandlung: Primitiv-, Explosiv, Kurzschlusshandlungen Zwangshandlung: nicht unterdrückbare Handlung obwohl als sinnlos erkannt und quälend empfunden Automatismen: ohne Willen ablaufende Handlungen Negativismus: gegenteilige oder unterlassene Handlung auf Anordnung hin Ambitendenz: Entschlussunfähigkeit aufgrund entgegengesetzter Willensimpulse Echclalie-Echopraxie: Puerilismus: Tic: Stereotypie: Verbigeration: Manirismen: Logorrhoe: Logoklonie: Neologismen: grimassieren: Inadäquate Äußerungen/Handlungen: Nachsprechen oder –machen des Gehörten/Gesehenen übertriebene Nachahmung kindlicher Sprech- und Verhaltensweisen gleichförmige unwillkürliche Muskelzuckung häufige Bewegungs- oder Stellungswiederholungen sprachliche Stereotypie sonderbare, posenhafte Verhaltensgewohnheiten Sinn- und zusammenhangloses, rasches, unaufhörliches Reden Mehrfaches Widerholen der Wortanfänge Wortneubildungen, Kunstsprache unbegründete Gesichtsverzerrungen Dem Geschehen unangemessene Reaktionen 10. BEWUSSTSEINSSTÖRUNGEN Das Bewusstsein nach der Wach-Schlaf-Skala ist keine isolierte psychische Funktion, sondern eine den Funktionen zukommende Qualität: wach und klar denken, fühlen und handeln, also sich verhalten zu können. Unterteilung der Bewusstseinsstörungen Benommenheit z.B. bei organischen Psychosen): Bewusstseinsherabsetzung mit Apathie und Verlangsamung der Formen Formen: Somnolenz: Benommenheit (leichtester Grad) Sopor: weckbar durch starke Reize Koma: völlige Bewusstlosigkeit Bewusstseinstrübung (z.B. beim deliranten Syndrom): Verwirrtheit des Denkens und Handelns mit lebhaften Affekten, Halluzinationen und Illusionen Traumhafte Bewusstseinseinengung bei Dämmerzuständen (z.B. bei epileptischen oder hysterischen Zuständen) sowie traumhafte Veränderung durch Halluzinationen