Forensische Psychiatrie Manuela Dudeck Klinik und Poliklinik für Psychiatrie & Psychotherapie Ernst-Moritz-Arndt-Universität im Hanse-Klinikum Stralsund Allgemeine Grundlagen Rechtliche Rahmenbedingungen & Implikationen für den Psychiater Psychiatrische Krankheitslehre Besondere Fragestellungen an die forensische Psychiatrie Zivilrecht 2 Rechtsstellung in Abhängigkeit von Lebensalter (nach Schüler-Springorum 1988) ____________________________________________________________________________________________________________ Alter Vollendung der Geburt Bedeutung Rechtsfähigkeit, Grundrechtsfähigkeit (zivilprozessuale) Parteifähigkeit 50 ZPO 1BGB; Art.1 ff GG, 6 Jahre Schulpflicht Landesschulgesetze 7 Jahre Beschränkte Geschäftsfähigkeit 106 BGB Beschränkte (zivilr.) Deliktfähigkeit 828 ff BGB Beschränkte Religionsmündigkeit 5 (vgl. 2III) RelKErzG 12 Jahre §§ 14 Jahre Volle Religionsmündigkeit 5 RelKErzG (71 III JWG) Bedingte Strafmündigkeit 1,3 JGG Ende des strafr. Kinderschutzes 176 StGB Bes. Mitbestimmungs-u. Anhörungsrecht1746,1765,1671,1778 BGB; 55b,c, Beschwerderecht im FGG-Verfahren 59 FGG 15 Jahre Ende der allg. Schulpflicht; BerufsSchPfl.Landesschulgesetze 3 _________________________________________________________________________ 16 Jahre Bedingte Ehemündigkeit 1 EheG Testierfähigkeit, Eidesmündigkeit 2229 BGB (ziv.pr.) Parteivernehmung 60 StPO, 393,455 ZPO teilweise Ende des strafr. Jugenschutzes170 d, 174,180,182 StGB 18 Jahre Volljährigkeit, Heranwachsendenalter 2 BGB pp,1,105 JGG 21 Jahre Ende der Anwendbarkeit des JugendStrR 1,105 JGG 24 Jahre Ende des Jugendstrafvollzugs 92 JGG _________________________________________________________________________ 4 Geschäftsfähigkeit BGB § 104: Geschäftsunfähigkeit Geschäftsunfähig ist: 1. Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat; 2. Wer sich in einem die freie Willensbstimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. 5 BGB § 105: Nichtigkeit der Willenserklärung 1. Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig; 2. Nichtig ist auch eine Willenserklärung, die im Zustande der Bewusstlosigkeit oder vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird. 6 Prozessunfähigkeit • Zivilprozessordnung ZPO § 52 Umfang der Prozessfähigkeit 1. Eine Person ist insoweit prozessfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann. 7 Testierfähigkeit BGB § 2229 1. Ein Minderjähriger kann ein Testament erst errichten, wenn er das 16. Lebensjahr vollendet hat; 2. Der Minderjährige bedarf zur Errichtung eines Testaments nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters; 3. 4. Wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, kann ein Testament nicht errichten. 8 Testierfähigkeit erfordert: Dass der Erblasser 1. 2. 3. 4. 5. weiß, dass er ein Testament errichtet; Den Inhalt der letztwilligen Verfügung kennt; Bei der Erstellung nicht dem Einfluss Dritter erliegt; Seinen letzten Willen formulieren kann; Die Tragweite seiner Bestimmungen in wirtschaftlicher und persönlicher Hinsicht erfassen kann; 6. Die sittliche Berechtigung seiner Verfügung beurteilen kann. 9 Testierunfähigkeit muss ebenso wie Geschäftsunfähigkeit von dem Bewiesen werden, der sie behauptet. 10 Betreuungsrecht Am 1.1.1992 löste das Betreuungsrecht das seit 1896 bestehende Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht ab. Die Anfänge dieser Rechtsreform sind auf die Psychiatrie Enquete 1975 zurückzuführen. 11 Rechtliche Grundlagen • • • • BGB § 1896: Betreuung BGB § 1903: Einwilligungsvorbehalt BGB § 1905: Sterilisation BGB § 1906: Unterbringung 12 Einwilligung in die ärztliche Behandlung Ärztliche Eingriffe, auch psychotherapeutische Eingriffe, sind Rechtsverletzungen und somit prinzipiell strafbare Handlungen !!! Aufklärung über: 1. Vorgehen bei Diagnostik und Therapie 2. Folgen einer Behandlung samt den Folgen von Behandlungsalternativen 3. Risiken einer Behandlung 4. Folgen einer Nichtbehandlung 13 Einwilligungsfähigkeit • • • • Verständnis Verarbeitung Bewertung Bestimmbarkeit des Willens ist aufgrund von Minderjährigkeit, psychischer Krankheit oder geistiger Behinderung nicht gegeben Die Fähigkeit zur Einwilligung ist in jedem Einzelfall zu prüfen und zu dokumentieren. Es gibt ein „Vetorecht“, das bestimmte Eingriffe auch bei Einwilligungsunfähigen verbietet, wenn diese sich dagegen aussprechen. Der natürliche Wille eines Menschen ab Geburt wird jedem zugebilligt. 14 Eherecht Geschäftsunfähige können keine Ehe eingehen (§ 2 EheG). Nach Vollendung des 16. Lebensjahres und vor Vollendung des 18. Lebensjahres kann mit einer Ausnahmegenehmigung des Vormundschaftsgerichts und mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters die Ehe eingegangen werden, wenn der Partner volljährig ist und über eine für die Eheschließung erforderliche sittliche und geistige Reife verfügt. 15 Zurechnungsfähigkeit BGB § 827: Ausschluss und Minderung der Verantwortlichkeit z.B. • Massive intellektuelle Einbußen • Wahn • Erhebliche Denkstörungen 16 Sozialrecht Versorgungseinrichtungen: • • • • • • Gesetzliche Krankenversicherung Gesetzliche Rentenversicherung Gesetzliche Unfallversicherung Versorgungsämter Sozialämter der Gemeinden Landesämter für Entschädigung 17 Sozialrecht Begrifflichkeiten: • • • • • • • • • • (Eigenstudium!!!) Krankheit Behinderung Gebrechen Arbeitsunfähigkeit Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) Grad der Behinderung (GdB) Berufsunfähigkeit (BU) Erwerbsunfähigkeit (EU) Dauerhafte Dienstunfähigkeit Positives und negatives Leistungsbild 18 Unterbringung 19 Unterbringungsformen Strafrecht: §§ 63,64 StGB §§ 81, 126a StPO Zivilrecht: § 1906 Öffentliches Recht: landesrechtliche Unterbringungsgesetze 20 Voraussetzung für eine Unterbringung 1. Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung, welche zur Einsichtsunfähigkeit in die Notwendigkeit einer Behandlung führt. 2. Erhebliche Gefährdung der Gesundheit des Betroffenen. 21 Öffentlich – rechtliche Unterbringung • Landesrechtliche Unterbringungsgesetze • Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) Die Unterbringung kann sofort und vorübergehend, aber auch längerfristig (Höchstdauer 2 Jahre). Die richterliche Anordnung der Unterbringung muss bis zum Abend des der Unterbringung folgenden Tages vorliegen. 22 Straßenverkehr und Fahreignung • Straßenverkehrsgesetz (StVG) • Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) regeln Zulassung und Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs 23 Medizinisch Psychologische Untersuchung Wenn: • 18 Punkte in Flensburg • Wiederholt unter Alkoholeinfluss Verkehrsverstöße oder erstmals > 1,6 Promille • Wiederholt erhebliche Verkehrsverstöße und/oder ungewöhnliche Unfälle 24 Grundlagen der medizinischen Beurteilung • Eignungsrichtlinien des Bundesministeriums für Verkehr • Veröffentlicht im Verkehrsblatt 1982, berichtigt 1983, geändert 1989 • Gutachten „Krankheit und Verkehr“ 1973, aktuell in der fünften Auflage, Lewrenz und Friedel, 1996 25 Der psychopathologische Befund Allgemeine Psychopathologie Erfragen von: • psychopathologische Symptomatik • Zeitlicher Verlauf • Frühere ähnliche Symptomatik • Frühere psychische Erkrankungen • • • • • • Allgemeine Krankheitsanamnese Analyse körperlicher Veränderungen Psychosoziale Belastungen Prämorbide Persönlichkeit Biographie Familienanamnese 27 Bewusstsein Man unterscheidet zwischen qualitativen und quantitativen Veränderungen der Bewusstseinslage. Quantitativ: Benommenheit Somnolenz Sopor Koma Qualitativ: Bewusstseinstrübung Bewusstseinseinengung Bewusstseinsverschiebung 28 Orientierung Orientierung: zur Person zur Ort zur Situation zur Zeit Aufmerksamkeit und Konzentration • Reduzierte Fähigkeit, verschiedene Wahrnehmungsinhalte in einen Sinnzusammenhang zu bringen • Testaufgaben gut geeignet: 100 minus 7 etc., Wochentage rückwärts aufsagen 29 Auffassung Prüfung durch: • Prüfung mittels Fragen zum Allgemeinwissen und Überprüfung von Denkleistungen • Bsp.: Unterschiede von konkreten Begriffen (Kind/Zwerg), • Unterschiede von abstrakten Begriffen (Lüge/Irrtum), Gemeinsamkeiten finden (Wolf/Löwe), Erklären von Sprichwörtern Gedächtnis • • • • • • Störungen der Merkfähigkeit Störungen des Altgedächtnisses Störungen der Neugedächtnisses Amnesie (retrograd, anterograd, total, lakunär) Konfabulationen Paramnesien 30 Intelligenz Störungen der Intelligenz: • Angeboren- Intelligenzminderung ( leicht, mittel, schwer) • Erworben- dementielle Erkrankungen 31 Formales Denken Formale Denkstörungen: • • • • • • • • • • • Denkverlangsamung Umständliches Denken Eingeengtes Denken Perserveration Ständiges Grübeln Gedankendrängen Ideenflucht Vorbeireden Sperrung/ Gedankenabreißen Inkohärenz/ Zerfahrenheit Neologismen 32 Wahn Als Wahn bezeichnet man eine krankhafte falsche Beurteilung der Realität, die erfahrungsunabhängig auftritt und an der mit subjektiver Gewissheit festgehalten wird. Die Überzeugung steht also im Widerspruch zur Wirklichkeit und zur Überzeugung der Mitmenschen. • • • • • • • • • • • • Wahnstimmung Wahndynamik Systematischer Wahn Beziehungswahn Bedeutungswahn Beeinträchtigungs-/ Verfolgungswahn Eifersuchtswahn Schuldwahn Verarmungswahn Hypochondrischer Wahn Größenwahn Wahnerinnerung 33 Wahrnehmung Halluzinationen: Als Halluzinationen werden Wahrnehmungserlebnisse ohne entsprechenden Außenreiz bezeichnet, die aber trotzdem für wirkliche Sinneseindrücke gehalten werden, bezeichnet. • • • • • Akustische Halluzinationen Optische Halluzinationen Olfaktorische Halluzinationen Gustatorische Halluzinationen Zönästhesien • • • • Bei akustischen Halluzinationen unterscheidet man: Dialogische Stimmen/ Imperative Stimmen Kommentierende Stimmen Andere akustische Halluzinationen 34 Ich - Erleben Ich- Störungen: Unter Ich- Störungen werden Störungen verstanden, bei denen sich die Ichhaftigkeit des Erlebens verändert oder bei denen die Grenze zwischen dem Ich und der Umwelt durchlässig erscheint. • • • • • • Depersonalisation Derealisation Gedankenausbreitung Gedankenentzug Gedankeneingebung Fremdbeeinflussungserlebnisse 35 Affektivität Störungen der Affektivität: Der Bereich der Affektivität umfasst sowohl die meist nur kurz dauernden Affekte und die längerfristig bestehenden Stimmungen. 36 Affektivität Man unterscheidet: • Affektlabilität/Stimmungslabilität • Affektinkontinenz • Affektarmut (gleichgültig) • Gefühl der Gefühllosigkeit • Innere Unruhe • Dysphorie • Gereiztheit • Ambivalenz • Euphorie • Läppischer Affekt • Depressivität/ Deprimiertheit • Angst • Störung der Vitalgefühle • Insuffizienzgefühle • Gesteigerte Selbstgefühle • Parathymie = Gefühlsausdruck und Erlebnisinhalt stimmen nicht überein 37 Zwänge, Phobien, Ängste, hypchondrische Befürchtungen Angst: Gefühlszustand der Bedrohung und Gefahr, ist gewöhnlich von körperlich vegetativen Erscheinungen begleitet. Phobie: Objekt- bzw. situationsabhängige Angst. Misstrauen: Befürchtung, dass jemand etwas gegen einen im Schilde führt. 38 Hypochondrische Befürchtungen: sachlich nicht begründbare, beharrlich festgehaltene Sorge um die eigene Gesundheit. Zwangsideen: Aufdrängen von nicht unterdrückbaren Denkinhalten, die entweder selbst sinnlos oder in ihrer Persistenz und Penetranz als unsinnig und meist als quälend empfunden werden. Zwangshandlungen: In der Art oder Intensität als sinnlos erkannte und meist als quälend empfundene, nicht unterdrückbare Handlungen, meist aufgrund von Zwangsimpulsen oder Zwangsbefürchtungen. 39 Antrieb und Psychomotorik Störungen des Antriebs und der Psychomotorik: Unter den Störungen des Antriebs und der Psychomotorik werden üblicherweise alle Störungen zusammengefasst, die die Energie, Initiative und Aktivität eines Menschen betreffen (Antrieb) sowie die durch psychische Vorgänge geprägte Gesamtheit des Bewegungsablaufes (Psychomotorik). Diese Störungen ergeben sich größtenteils spontan aus der Beobachtung des Patienten. 40 • • • • • • • • • • • • • • • • Antriebsarmut Stupor Antriebshemmung Mutismus Logorrhoe Antriebssteigerung Motorische Unruhe Automatismen Ambitendenz Stereotypien Tic Paramimie Manierismen Theatralisches Verhalten Aggressivität Sozialer Rückzug / Soziale Umtriebigkeit 41 Beurteilung der Selbst- und Fremdgefährdung 42 43