Eberhard Schnebel Management. Werte . Organisation Eberhard Schnebel Management · Werte Organisation Ethische Aufgaben im Management der Industrie vor dem Hintergrund der christlichen Theologie Westdeutscher Verlag Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schnebel, Eberhard: Management, Werte, Organisation: ethische Aufgaben im Management der Industrie vor dem Hintergrund der christlichen Theologie / Eberhard Schnebel. - Opladen : Westdt. VerI., 1997 ISBN-13: 978-3-531-12981-5 e-ISBN-13: 978-3-322-85100-0 DOl: 10.1007/978-3-322-85100-0 Aile Rechte vorbehalten © Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen/Wiesbaden 1997 Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation GmbH. Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfaltigungen, Dbersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. http://www.westdeutschervlg.de Hochste inhaltliche und technische Qualitat unserer Produkte ist unser Ziel. Bei der Produktion und Verbreitung unserer Biicher wollen wir die Umwelt schonen: Dieses Buch ist auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die EinschweiBfolie besteht aus Polyathylen und damit aus organischen Grundstoffen, die weder bei der Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freisetzen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Biirkle, Darmstadt Gedruckt auf saurefreiem Papier Vorwort Die gegenwiirtige Situation der Gesellschaft weist viele Facetten auf: Rascher technischer Fortschritt in fast allen Bereichen, die Verbreitung von Technik fiber den ganzen Globus mit allen Vor- und Nachteilen, gleichzeitig die Verunsicherung fiber die Zukunft, Arbeitslosigkeit als ein weltweites Phiinomen; ein Fragen nach den Zielen und Mafistiiben, die diese Entwicklung steuern konnten. Auffallig ist der hohe Grad an Spezialisierung, der diesen Fortschritt ermoglicht. Dieser hohe Grad ist notig, liifit aber den Ruf nach interdiszipliniirer Vernetzung urn so hOrbarer und dringlicher werden. Dabei melden sich ethische Fragen immer deutlicher zu Wort: Welche Werte leiten unser Tun? Wie sehen die Folgen unseres Handelns aus? Welche Ziele haben wir? Wie sehen wir die Zukunft der neuen Generationen? Das im Jahr 1993 gegriindete Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften (TTN) an der Ludwig-Maximilians-Universitiit Miinchen ist der Versuch, auf die genannten Probleme einzugehen. TTN bietet jungen Wissenschaftlern die Moglichkeit zu interdiszipliniiren Studien, besonders auch in Fragen der Wirtschafts- und Unternehmensethik. Die nachfolgende Publikation gibt die wichtigsten Teile einer am Institut TTN entstandenen theologischen Dissertation wieder. Bedeutsam daran ist, dafi der Verfasser seine praktischen Erfahrungen als Mitarbeiter in industriellen GroBbetrieben gesammelt hat. Die Arbeit ist also in hohem Mafie praxisorientiert. Sie soIl anregen, die Strukturen in Betrieben und das Managementverhalten auf deren ethische Relevanz zu befragen. Damit ist die Uberzeugung verbunden, daB auf Dauer kein Unternehmen von Rang auf die Diskussion der ethischen Fragen verzichten soUte, ohne gesellschaftliche Akzeptanz und Glaubwiirdigkeit und damit seine eigene wirtschaftliche Basis aufs Spiel zu setzen. Der Vorstand von TTN dankt ausdrucklich allen Personlichkeiten aus vielen Bereichen, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Auch in der Zukunft wird sich das Institut TTN wirtschaftspolitischen Themen zuwenden und diese interdiszipliniir unter ethischen Fragen behandeln. Miinchen, im Miirz 1997 Ernst-Ludwig Winnacker, Trutz Rendtorff, Erhard Ratz Inhalt Hoffnungstrager Ethik ......................................................... 9 Einleitung ....................................................................... 17 1. Systematische Aufgaben im Umgang mit Werten ...................... 25 1.1 Strukturelle Hintergriinde von Werten im Management ........... 27 1.2 Methodische Konzeption der Beschreibung .......................... 29 1.3 Die "qualitative" Analyse als adaquate Moglichkeit ................ 33 1.4 Institutionelle Formen von Werten: Das Beispiel der Technikfolgenabschatzung .............................................. 40 1.5 Werte im Organisationsaufbau am Beispiel des Umweltmanagements .................................................... 48 1.6 Faktoren der Werthaltung als Werkzeuge der Unternehmensleitung .................................................... 50 2. Implizites Wertemanagement am Beispiel der MAN AG ............. 59 2.1 Wie lassen sich Werte in der MAN AG erkennen? ................. 60 2.2 Strukturelle Verhaltnisse der MAN AG .............................. 64 2.3 Das Bild des Konzerns nach auBen als Imagefrage ................. 76 2.4 Fiihrungsstrukturen als Faktor der "Corporate Identity" ........... 84 2.5 Das Umweltmanagement und seine Wert-lmplikationen ........... 91 2.6 Exemplarische Problemfelder im Umweltmanagement ........... 106 2.7 Struktur und Kultur der MAN AG als Ausdruck von Werten .... 114 8 3. Einfliisse auf die personlichen Werte von Managern ......•.......... 123 3.1 Die Rolle der "Corporate Identity" ................................... 124 3.2 Organisations- und Entscheidungsstrukturen ........................ 126 3.3 Die Rolle des Managementprinzips ................................... 127 3.4 Nationale und globale Dimensionen von Wirtschaftssystemen und Organisationsstrukturen ........................................... 129 3.5 Technikfolgenabschiitzung in industriellen Entscheidungen ...... 130 3.6 Untemehmensleitung und Untemehmensstrategie .................. 132 3.7 Wirtschaftliche Interessensgruppen: "Stakeholder" ................ 133 4. "Werte im Management" als christliche Berufsethik ................. 135 4.1 Elemente des WertbewuBtseins im Management. .................. 135 4.2 Personliche Werthaltung und institutionelle Werte ................. 139 4.3 Das Selbstverstandnis der Manager zwischen Funktion und Amt ........................................... 141 4.4 Der "Manager" innerhalb der christlichen Institutionenlehre ..... 143 4.5 Kann die Theologie die Untemehmensethik untersrutzen? ........ 146 4.6 Christliche Berufsethik und Werte im Management ............... 147 5. Schlu8bemerkungen: Unternehmensleitung und wertorientiertes Management ....•.................•••..................... 151 Ausgewahlte Literatur ................................•..................... 159 Hoffnungstrager Ethik An die Ethik richten sich in unserer Zeit zunehmend mehr Erwartungen. Man erhofft sich von ihr die LOsung gesellschaftlicher Probleme, die durch differierende Wertvorstellungen entstanden sind. Sie solI eine objektive Basis liefem, auf der das Verhalten von verschiedenen Personen beurteilt werden kann. Sie solI die Grundlage von Entscheidungen sein. Weiterhin solI Ethik Spannungen abbauen und einen geselIschaftsubergreifenden Gemeinschaftssinn herstellen. Es wird erwartet, daB sie die Konflikte zwischen einzelnen moralischen Wertvorstellungen, die auf unterschiedlichste Weise gelebt und umgesetzt werden, als ubergeordnete Instanz ausgleicht. Die Hoffnung wird auf eine Ethik mit rationaler Struktur gesetzt. Mit ihr sollen individuelle oder partielle Moralvorstellungen eingeordnet und bewertet werden. Der Klarheit einer rationalen Argumentationsstruktur wird die Hihigkeit einer objektiven Wertehierarchie unterstellt. Von dieser Hierarchie aus solI das Handeln in der Wirtschaft eingeordnet und beurteilt werden. Ethik wird damit zu einer Instanz der eigenen Moralvorstellungen. Gerade das wirtschaftliche Handeln solI durch eine solche Instanz wieder auf "moralischen" Kurs gebracht werden. Aber die Mitglieder einer Gesellschaft und die Gesellschaften untereinander sind sich im klaren, daB nicht allein eine objektive und ubergeordnete Instanz die ethischen Probleme losen kann. Ein Instanz, die so allgemeingliltig gestaltet sein mUBte, wie im Mittelalter die Kirche. Nur gemeinsame Anstrengungen urn Toleranz und Verstandnis konnen die Vorstellungen uber das Verhalten der anderen zusammenfiihren. Nur dadurch wird die menschenwfudige Gestalt der Welt erhalten und verbessert. Unabhangig von rationalen Strukturen der Moral werden die anstehenden Aufgaben vor allem durch KompromiBbereitschaft gelost. Deshalb wird nach einer kommunikativen LOsung gesucht, die den vielschichtigen Situationen und den unterschiedlichen kulturellen Zusammenhangen gerecht wird. In diesem kommunikativen Akt spielen auch die kraftvolIen Traditionen der christlichen Moraivorstellungen eine wichtige Rolle. Denn die besonderen Auspragungen der christlichen Berufsethik haben in weiten Teilen der wirtschaftlichen Welt gewirkt. Durch ihre gestalterische Funktion bilden sie wichtige Ausgangspunkte fUr neue LOsungsansatze. 10 Hoffnungstrager Ethik Eine dreifache Auseinandersetzung mit der christlichen Tradition und ihrer Auswirkung auf das okonomische Handeln ist dafiir vonnoten. Erstens miissen die ethischen Wertvorstellungen im Management uberhaupt betrachtet werden, urn eine Basis fiir die Zusammenhiinge des Verhaltens in der Wirtschaft zu den christlichen Werten zu erhalten. Zweitens sollten auf kritische Weise die christliche Tradition und deren Elemente im Wirtschaftsleben bzw. im Management untersucht werden. Drittens konnte analysiert werden, welche Elemente der christlichen Berufsethik im heutigen Wirtschaftsleben eine Rolle spielen oder spielen werden. Die Werle im Management Die Werte, die im Management relevant werden, sind kulturellen Ursprungs, werden jedoch individuell gepriigt und gelebt. Fur die einzelne Person sind diese Werte deshalb nicht allein in ihrer formalen Funktion sinnvoll, sondern die Menschen fiillen Werte mit Inhalten. Sie setzen die Werte aus dem kulturellen Rahmen in Beziehung zu den inhaltlichen Bestimmungen ihrer eigenen Lebensvorstellungen. Der kulturelle Rahmen der Werte wird yom einzelnen mit den Inhalten seiner individuellen Werte gefiillt. Und umgekehrt priigt der einzelne Mensch mit seinen inhaltlichen Wertvorstellungen unsere Gesellschaft und unsere Kultur. Erst die Inhalte fiillen die ethischen Strukturen mit Sinn. Und erst der Lebens-Sinn verschafft den Strukturen die konzeptionelle Relevanz und den Druck, den sie zur Umsetzung brauchen - auch im Management. Zwar grundet das Verhalten von Managern nicht allein in ethischen Wertvorstellungen, sondern auch in psychologischen Verhaltenskomponenten. Diese zu analysieren ist aber nicht Gegenstand ethischer Untersuchungen. Hier geht es ausschlieBlich urn ethische VerhaltensmaBstiibe und Wertvorstellungen. Sie werden als Bestandteil der Lebensgestaltung begriffen, den wir bewuBt beeinflussen konnen. Sie fmden in kommunikativen Aktionen ihren Ausdruck. Die Werte der Manager sind grundsiitzlich individuelle Werte. Sie treten zwar oft als kollektives Phiinomen auf, sind aber darin immer die Werte des einzelnen. So stoBen wir auch im Management auf eine pluralistische Vielfalt dieser Werte. Zum wichtigsten Element in dieser Situation wird nun die Toleranz. Ausgerichtet auf die eigentliche Aufgabe im Management, die gemeinsame unternehmerische Arbeit, ist es erforderlich, individuelle Verschieden- Hoffnungstrliger Ethik 11 heiten zu akzeptieren und nur grundsatziiche ArbeitsabIaufe und Organisationsprozesse pragmatisch zu harmonisieren und wechselseitig anzupassen. Die Toleranz wird in dieser Gestaltung der Garant, urn im Dialog mit verschiedenen Wertvorstellungen der multikulturellen Situation gerecht zu werden. Damit haben wir die Aufgabe, den pragmatischen Rahmen zu bestimmen, der auf der Basis kultureller Traditionen gemeinschafiliche Wertvorstellungen pragt. 1m AnschluB daran ist zu klaren, wie die jeweiligen Personen ihre individuellen Werte in diesem gemeinsamen Rahmen herausbilden und in Beziehung zu den Wertetraditionen setzen. Bei der 'Oberlegung, wie der einzelne seine Werte aus seinem gesellschafilichen Umfeld bezieht, kommen wir nicht umhin, von einer "religiosen Verwurzelung" zu sprechen. Die einzelnen WertmaBstabe tragen subjektiven Charakter und konnen nicht stringent aus allgemeinen WertmaBstiiben hergeleitet werden. Sie konnen oft nicht rational gegen andere Werte begriindet werden. Die subjektiven Werte sind in assoziativen sozialen Prozessen entstanden, in denen sich verschiedene Wertkonstellationen als sinnvoll fUr das menschliche Zusammenleben erwiesen haben. Durch den Mangel an stringenter rationaler Begriindbarkeit der Werte wird ihr subjektiver Charakter noch verstiirkt. Ob die religiOsen Wurzeln nun in einer bestimmten Religion oder eher in religionssoziologischen Phiinomenen zu suchen sind, ist dabei unwesentlich. Hier geht es um die Inhalte. Und die Lebensorientierung, die durch diese Inhalte geschieht, ist religios; man glaubt an die Werte, die man lebt. Christliche Berufsethik im Management Die Werte der Manager mit den christlichen Traditionen zu verbinden ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Beispieihaft werden verschiedene Arbeitsfelder im Management mit ihren ethischen Implikationen dargestellt. Daraus wird der Umgang mit den impliziten Werten und ihr Bezug auf christliche Elemente deutlich. Denn schon die Form, wie eine Organisation aufgebaut ist, begiinstigt bereits verschiedene Verhaltensmuster und enthiilt bestimmte Traditionen. Daraus erschlie6en sich die "Wert-Traditionen" von Organisationsstrukturen. Die Umsetzung von Werten in der Struktur von Organisationen ist eine Form des bewuBten Umgangs mit Werten. Die Verbindung mit Werttraditionen ermoglicht funktionale Beziige zwischen religios fundierten Wert- 12 Hoffnungstrager Ethik traditionen und Organisationsprozessen. Diese Bezuge konnen aktiv in der Gestaltung von Unternehmensstrukturen und ProzeBabHiufen umgesetzt werden. Sei es in Form von Methoden der Personalentwieklung oder als bewuBte Integration in die Organisationsentwicklung. Hier liegt die konzeptionelle Kraft der christlichen Traditionen: Durch die hohe Stufe, auf der ihre Werte traditionell reflektiert werden, konnen sie mit den Werten anderer Traditionen konstruktiv in Beziehung gesetzt werden. Die Tradition christlicher Berufsethik legt die Aufteilung in verschiedene Verantwortungsbereiehe nahe. Sie trennt z.B. in Institution, Organisation und Person oder beschreibt die Person im Spannungsfeld von Amt, Funktion und Mandat. Dies sind die formalen Aspekte der christlichen Ethik, wie sie im Beruf des Managers relevant werden. Inhaltlich wird die Situation schwieriger. Allgemeingiiltige RatschHige, wie die pauschalen Kardinaltugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, MaB) oder die paulinische Trias "Glaube, Liebe, Hoffnung", reichen nicht aus, urn die Wertvorstellungen des einzelnen zu beschreiben. Sie sind zu indifferent, urn in konkreten Situationen praktische Handlungsorientierung zu bieten. Die Wertbegriffe mussen sieh inhaltlich auf die konkreten Tatigkeiten und Tagesablaufe beziehen, urn situationsbezogen und aufgabenrelevant gefiillt werden zu konnen. Die meisten - auch die versierten - Manager kommen ins Stottern, wenn sie nach ihren Werten gefragt werden. Sie konnen nieht genau benennen, mit welchen Werten sie ihre Arbeit strukturieren und ihre Mitarbeiter fUhreno Restlos uberfordert sind sie, wenn sie erlautern sollen, welche dieser Werte denn nun ihrem christlichen Weltbild entsprachen. Diese Studie solI mit ihrer formalen Systematik die Grundlagen erarbeiten, nach denen dem einzelnen ermoglicht wird, seine Wertvorstellungen zu uberdenken. Das "christliche" Management Tragfiihige Antworten der christliehen Ethik auf die Aufgaben im Management sind zeitbezogen. Sie konnen nur im Kontext des heutigen Situation artikuliert werden. Dies bedingt zunachst eine exakte Analyse der Wertbezuge innerhalb der Arbeit der Manager. Diese Bezuge bilden den Rahmen der Argumentationsstruktur im Hinblick auf einen bewuBten Umgang mit Werten. In ihren Bestandteilen finden sieh die kulturellen Traditionen wieder, wie sie sieh in ihrer zeitgemaBen Gestalt prasentieren. Die Traditionen Hoffnungstrager Ethik 13 konnen aus verschiedenen Bereichen, wie Kirchen, Familie, Militiir etc., kommen. Es interessieren hier aber in erster Linie diejenigen, die ihren Ursprung in der religiosen Sphiire und im BewuJ3tsein haben. Die kulturellen Traditionen des Managerverhaltens sind in Europa oder Nordamerika christlich gepriigt. Auch wenn in den letzten Jahren zunehmend Elemente orientalischer, femostlicher oder auch indianischer Traditionen im Wertverstiindnis der Manager auftauchen, bleiben die Grundbestandteile und ihr Zusammenhang doch in der christlichen Kultur verhaftet. Allerdings sind die Traditionen aus dem genuin christlichen Bereich, wie den Kirchen, immer mehr in den Hintergrund geraten - sie sind siikular. Oft treten sie auch als gesellschaftliches Allgemeingut hervor. Sie werden nicht mehr allein von den Kirchen verwaltet, sondem iiberliefem sich selbstiindig weiter. Sie werden in weiten Teilen auch ohne die Kirchen diskutiert. Darin zeigt sich die zeitgemiiJ3e Interpretation der These der Siikularisation. In dieser These wird festgehalten, wie urspriinglich spezifisch religiose und damit kirchliche Inhalte der gesellschaftlichen Kultur mehr und mehr aus der Obhut der Kirchen in das allgemeine gesellschaftliche Leben eingehen. Die in der Wirtschaft selbstiindig gefiihrte Diskussion iiber Werte im Fiihrungsverhalten und im Management ist nur ein weiteres Indiz dafiir, daB Moral und Ethik liingst auch auBerhalb der Kirche zu Hause sind. Die Kirchen verlieren damit den Anspruch der Sachwalterschaft. Sie sind nicht mehr die einzigen, die ethische Aussagen qualifiziert beurteilen konnen. Dennoch obliegt ihnen eine besondere Verantwortung fiir diese Gebiete, da sie die Ganzheit der Werte in die Diskurse einbringen. Denn die christlichen Traditionen, die bislang in und von den Kirchen vertreten wurden, bleiben weiterhin bestimmend, wenn auch konkurrierend mit anderen Traditionen und anderen Kulturen. Der einheitliche Zusammenhang unserer gesellschaftlichen Wertvorstellung erschliefit sich nur aus diesem Zusammenhang. So ist zum Beispiel das Gebot der "Nachstenliebe" von einer individuellen Verhaltensregel, die sich aus einer religiosen Grundhaltung verstand, im sozialen Bereich zu einem siikularen Gegenstand geworden: Liingst macht man "das Wirtschaftssystem" oder "die Politik" oder "die Gesellschaft" fiir soziale Mifistiinde verantwortlich. Der einzelne gliiubige Mensch mit seiner personlichen Verantwortung verliert an Bedeutung. Die individuelle Zustiindigkeit zum Ausgleich sozialer Ungleichheiten hat keinen christlich-religiosen Charakter mehr. Aber gerade hier haben auch die Kirchen weiterhin ihre Aufgaben, wenn es darum geht, die Ganzheit der christlichen Idee zu betonen, die iiber den materiellen Gehalt hinausgeht. 14 Hoffnungstrager Ethik Urn nun die Einfliisse von neuen Zusammenhangen und anderen Kulturen entsprechend wiirdigen zu k6nnen, bleibt die Aufgabe, die Elemente der christlichen Kultur zeitgemaB zu bestimmen. Wie laBt sich z.B. die "Nachstenliebe" oder "Barmherzigkeit" in der Arbeit des Managements verstehen? Was sind in diesem Kontext "Gottesfurcht" oder "Gerechtigkeit"? Die Werte der christlichen Berufsethik werden, wenn sie als Element im Management thematisiert werden, zu einem Leistungsmerkmal, das den Eigenarten der westlichen Kulturen gerecht wird. Auch moralische Fehlentwicklungen k6nnen vielleicht durch die genaue Kenntnis der spezifischen Bestandteile aufgefangen und umgeleitet werden. Der Berufsstand des Managers wird so seinen Beitrag zur Gestaitung einer lebenswerten und menschenwiirdigen Zukunft leisten, wenn er sich in das SelbstbewuBtsein seiner kulturellen Traditionen stellt. Er wird dies in seinem SelbstbewuBtsein, seiner "Berufsethik" ausdriicken. Christliche Werte als Leistungsprinzip k6nnen aber auch eine andere Ganzheit betonen und dadurch eine "humane Leistungsorientierung" favorisieren. In der christlichen Rechtfertigungslehre ist ein Zusammenhang angelegt, der die Arbeit am Erfolg orientiert, ohne diesen Erfolg selbst zum menschlichen MaBstab zu machen und ohne die jeweilige Person dadurch zu bewerten. Der wirtschaftlich handelnde Christ ist zu freiwilligem Erfolg berufen, ohne durch ihn als guter Mensch qualifiziert zu sein. Dies ist ein Teil der humanistischen Tradition, die im Christentum deutlich wird und die den Menschen als solchen wahrnimmt. Christliche Ethik bietet aus ihrer Tradition heraus sowohl soziale Orientierung (z.B. Nachstenliebe) als auch individuelle Orientierung (z.B. Rechtfertigung ohne Leistung). Damit beschreibt sie einen groBen Rahmen, in dem sich "Lebens-Sinn" auch im wirtschaftlichen Bereich wiederfindet. Pluralistische Ethik und homogene Unternehmensethik Neben der Bestimmung und inhaltlichen Konkretion von Wertetraditionen stellt sich die Aufgabe, unterschiedliche individuelle Wertvorstellungen und gemeinschaftliche WertmaBstabe erfolgreich zu verbinden. In einer Unternehmensethik, die zwangslaufig nach Homogenitat strebt, stehen die individuellen Wertvorstellungen und die arbeitsorientierten Wertetraditionen als pluralistische Vielheit und pragmatische Einigung nebeneinander. Dies bedarf in den Unternehmen einer Fiihrungs- und Organisationsstruktur, die Hoffuungstrilger Ethik 15 beide Elemente aufnimmt. Dies bedeutet nicht die Unterstiitzung von Beliebigkeit - denn schliefilich geht es darum, in einem Untemehmen eine verbindliche Einheit zur Orientierung zu schaffen. Es bedeutet, dafi verschiedene Elemente und Werkzeuge benotigt werden, die diese unterschiedlichen und zum Teil gegensatzlichen Momente verbindet. Das erste Element ist die Bemiihung um eine homogene Wertvorstellung im Untemehmen in Form eines wie auch immer gearteten Grundkonsenses. Diese Bemiihungen sind das genuine Interesse der Untemehmensleitung und werden von ihr umgesetzt. Die Untemehmens- oder Geschaftsleitung initiiert als Untemehmensphilosophie oder Untemehmenskultur das Erscheinungsbild des Untemehmens. Diese pragmatische, homogene Wertvorstellung kann explizit in Form von Kodizes vorhanden sein oder implizit als stillschweigendes Selbstverstiindnis die gemeinsame Arbeit im Unternehmen strukturieren. Dabei bleibt aber festzubalten, dafi die zunehmende Ubermacht der vielschichtigen gesellschaftlichen Wertvorstellungen die strukturierte Arbeit im Untemehmen nur mit einem expliziten Wertverstandnis zuliiJ3t. Deshalb ist die wichtigere - und schwierigere - Aufgabe, die pluralistische Vielheit individueller Wertvorstellungen aktiv in die Fiihrungsprozesse zu integrieren. Dazu bedarf es der organisatorischen Umsetzung des Wechselspiels von Homogenitiit und Pluralismus - auf der Basis einer formalen Kenntnis der Berufsethik und ihrer Werte. 1m Idealfall werden eigendynamische Diskursprozesse einsetzen, die das Wechselspiel zwischen individueller Wertefreiheit und kollektiver Wertehomogenitiit selbstiindig steuem. Die folgende Studie beschreibt an konkreten Beispielen diese Zusammenhange und Vorgehensweisen. Sie stellt modeme Untemehmensstrukturen in modemen Zusammenhangen dar und wertet sie auf der Grundlage der christlichen Theologie in ihren ethischen Zusammenhiingen aus. Sie bildet damit die Grundlage zur Entwicklung von wertorientierten Untemehmensmodellen und Fiihrungswerkzeugen. Sie leistet die Vorarbeiten zur individuellen Bestimmung christlicher Werte im Management. Einleitung Das "Management" und die Manager riicken als gesellschaftliche Akteure zusehends in den Blickpunkt. Man wirft ihnen oft "fehlende Moral" vor oder unterstellt ihnen, daB sie "keine Ethik" hiitten. Was aber das sein soIl, was bei den Managern vermillt wird, ist unklar. Meist sind es einzelne Werte, die im Handeln dieser Manager vermillt werden. Die vorliegende Studie will kliiren, was im Management unter dem Stichwort "Ethik" subsumiert wird und wie der Bereich der Werte in ihrem Alltagsgeschiift repriisentiert ist. Sie beschreibt, daB auch Manager eine "Ethik" haben und nach ihren Wertvorstellungen handeln. Sie stellt heraus, daB sich allmiihlich gar eine Art "Zunft" der Manager gebildet hat, die eine bestimmte Berufsethik repriisentiert. Diese Berufsethik bestimmt die Kernpunkte eines Handelns, auf deren Basis die Werte der einzelnen Manager aufbauen. Manager setzen sich in erster Linie mit Organisationsproblemen auseinander. Dabei befinden sich ihre Aufgaben selbst wieder in einem komplizierten Netz von organisatorischen Randbedingungen. Sie verrichten ihre organisatorische Tiitigkeit in einem Unternehmen als in einem komplizierten Beziehungs- und Strukturgeflecht. Deshalb hat eine Ethik flir das Management zwei Dimensionen: Erstens das SelbstbewuBtsein der Handlungssubjekte als Werthaltung und zweitens die organisatorischen Bedingungen der Handlungen. Die Studie entwickelt ein organisatorisches Konzept innerhalb des "Wirtschaftsmilieus" und dessen Terminologie. "Corporate Identity", "Unternehmenskultur" und "Unternehmensethik" sind nur einige der Begriffe, die darin vieldeutig verwendet werden. Sie werden durch progressive Ansiitze flankiert, wie z.B. das Innovationsmanagement. Diese Begriffe dienen hier als Ausgangspunkt zur Erliiuterung der ethischen Problematik in der Wirtschaft. Erst mit einem "versohnten" Umgang mit der Welt und der Sprache der Manager Hillt sich deren Wertempfmden und somit deren "Standesethik" thematisieren. Wir erhalten ein Bild der Zusammenhange von Struktur und Organisation im Umfeld der Werthaltung. In der Verbindung von Organisationsstrukturen, gesellschaftlichen Zusammenhiingen und personiichem SelbstbewuBtsein liegen die Anknupfungspunkte, urn in einer christlichen Berufsethik die Grundlagen des Ma- 18 Einleitung nagementethos zu beschreiben. Auf dieser Basis kann die moralische Normenvermittlung in den konkreten Beruf stattfinden. Innerhalb einer christlichen Berufsethik sind theologisch-ethische Begriindungsmuster zu erUiutern, die dem Handeln der Manager personliche Konturen geben. Der Anteil an personlicher Verantwortung im Wechselspiel mit institutionalisierter Verantwortung bestimmt das Ethos des einzelnen Managers im alltiiglichen Handeln. Dieser Ansatz steht zwischen den beiden aktuellen Diskussionskontexten, wie sie in Unternehmensethik und Betriebswirtschaftslehre behandelt und parallel dazu in der Theologie gefiihrt werden. In diesen beiden Denkrichtungen werden entweder individuelle Wertvorstellungen thematisiert oder normative Anspriiche von Wertsystemen erstellt. * Diese Studie jedoch fiihrt zu einem zeitgemaBen Verstandnis einer Ethik fUr das Management in der Tradition christlicher Berufs- und Standesethik, die seit Luther das personliche Verantwortungsethos des Handelnden als diskursives gesellschaftliches Element betont. Greifbar wird die Grundlage des ethischen Handelns der Verantwortlichen in ihren Freiraumen und deren Begrenzung durch Reglements, die in ihren Entscheidungen vorhanden sind. Die Reglements sind genauso Ausdruck verschiedener (institutioneller) Werte wie in den Freiraumen einzelne (personliche) Werte sichtbar werden. In diesem Wechselspiel zeigt sich die individuell-ethische Qualitat von Entscheidungen. Es ist von moralischen Zielen, Werten und Gefiihlen bestimmt, die bei den jeweils Betroffenen immer schon implizit vorhanden sind. Die Wertorientierung in den Freiraumen charakterisiert das, was als das "personliche Ethos" der Manager bezeichnet werden kann. Einzelne Entscheidungen sind funktional auf das Wechselverhiiltnis dieser Werte mit denen, die in Organisationsstrukturen manifestiert sind, bezogen. * Andere Positionen der Wirtschaftsethik wurden zur Kenntnis genommen, finden jedoch in dieser Studie keine besondere Erwiihnung. Sie wurden ausfiihrlich in der Dissertation, die dieser Studie zugrundeliegt, besprochen. Vgl.: Schnebel: Ethos des Managements in Gestalt der Untemehmenskultur, 1995. Erwiihnt seien hier nur die Positionen von Peter Ulrich, Peter Koslowski und Karl Homann. Sie erkennen entweder dem individuellen Ethos keine besondere Funktion innerhalb institutioneller Rahmenvorgaben, wie die eines Untemehmens, zu. (Ulrich, Koslowski) Oder aber sie siedeln die ethische Diskussion jenseits der wirtschaftlichen Systematik an - ethische Fragen miillten deshalb aullerhalb wirtschaftlicher Fragestellungen diskutiert werden (Homann). Einleitung 19 Untemehmenskultur und Untemehmensethik Der Begriff "Untemehmenskultur" bezeichnet das grundsatzliche Verhalten der Mitarbeiter eines Unternehmens im Zusammenhang mit der Organisationsstruktur. Er ist Ausdruck fUr die Art, wie die Manager des Unternehmens handeln, wie sie ihre Freiraume wahrnehmen und wie dieses Verhalten organisatorisch strukturiert ist. Unternehmenskultur bezeichnet immer diejenige faktische Situation, die in einem Unternehmen den Umgang der Mitarbeiter untereinander und mit der Umwelt bestimmt. In dieser Studie bezeichnet der Begriff Unternehmenskultur die jeweils herrschende Situation. Sie besteht aus den faktisch gegebenen Normen, Werten und Verhaltensweisen einer Firma und ist als solche immer Ergebnis und Ausdruck eines Prozesses. Unternehmenskultur beschreibt den ProzeB der Gestaltung selbst und macht deshalb Aussagen dariiber, in welchem MaGe ein Unternehmen seine Unternehmenskultur hat und oder nieht. Dieser ProzeB kann beeinfluBt werden. Dazu bedarf es aber entsprechender Fiihrungswerkzeuge und organisatorischer Vorgaben. "Untemehmensethik" ist die absichtsvolle Gestaltung der Unternehmenskultur. Sie ist das Instrument, urn moralische und wirtschaftliehe Ziele efflZient zu verbinden und in Organisationsstrukturen UlllZusetzen. Das Wechselverhaltnis zwischen gestalterischer Unternehmensethik und Unternehmenskultur bestimmt das individuelle Verhalten der Manager in den einzelnen Entscheidungen. Unternehmensethik ist der Ort, an dem bewuBt einzelne Wertvorstellungen in Form der Unternehmensgestaltung umgesetzt werden, wo "moralisches Handeln" der "Wirtschaft" entsteht. Diese Studie beschreibt die Freiraume und die entsprechenden Reglements der ethischen Orientierung, urn die Diskrepanz zwischen gesellschaftliehen Erwartungen und unternehmerischem Handeln an tatsachliehen Handlungsmoglichkeiten auszuriehten. Dadurch konnen die Grundlagen einer "Managementethik" defmiert werden, zu denen sieh die Entscheidungstrager in Beziehung setzen. Die Berufsethik orientiert sich tiber die Verhaltnisse im Betrieb hinaus auch an der Situation in der Gesellschaft. Sie ist auch Ausdruck fUr den Bezug der Unternehmensaktivitaten auf gesellschaftliche Probleme. 20 Einleitung Ethik, Moral und Ethos: Werlhaltung Ethische Reflexion und moralisches Handeln stehen in Beziehung: Ethik ist die theoretische Struktur, die hinter allen Handlungen liegt (die reflexive, analytische Arbeit). Ethik als Wissenschaft reflektiert die Bedingungen und die Grundstrukturen menschlichen Zusammenlebens und menschlicher Wertvorstellungen und setzt sie in systematische Zusammenhange. Moral bezeichnet die jeweilige Wertgrundlage, in der die einzelnen Handlungen durchgefiihrt werden (der Bereich des konkreten Verhaltens). In diesem Sinn hat jeder Lebensbereich seine spezielle Ethik. Rationale Ethik beschreibt die Zusammenhange von moralischen Strukturen und Beziehungen. Auf der anderen Seite steht eine selbstverstandliche, immer vorhandene Gewillheit, die das eigene Handeln leitet: das "Ethos". Dieses "Ethos" bildet die Grundlage fUr das Verhalten gemaB dem individuellen Selbstverstandnis, in dem die tagliche Arbeit erfahren wird. Es ist die Basis, auf der beurteilt wird, was "richtig" oder "falsch", "gut" oder "schlecht" ist. Es bildet die Werthaltung des Handelnden. "Moral" ist in diesem Zusammenhang der Ausdruck dieser GewiBheit. Handlungen sind "unmoralisch", wenn sie diesen Inhalten zuwiderlaufen. Sie sind aber deshalb nicht "unethisch", denn nur umgangssprachlich bezeichnet "Ethik" die Werthaltung einzelner Menschen oder Gruppen hinsichtlich ihres Handelns, eben das, was mit Ethos bezeichnet wird. Der Begriff "Ethos" bezeichnet so eine bestimmte Verhaltensweise und die inhaltlich gefUllte Wertsetzung, die in der Art ihrer Informationsverarbeitung verschiedene ethische Urteile schon in sich bedingt und spezifische Kommunikationsformen hervorbringt bzw. andere gar nicht ermoglicht. Ethik ist in diesem Zusammenhang das rationale, strukturelle Moment des "Ethos". Die umgangssprachliche Bedeutung der "Ethik" wird vorausgesetzt, wenn von "Standesethik" gesprochen wird - in diesem Fall yom Berufsstand des Managers; ebenso in der amerikanischen Business-Ethics-Bewegung in der Aufteilung in "Ethik des Systems", "Ethik der Korporationen" und "Ethik der Individuen". Unternehmensethik als Pendant der Betriebswirtschaftslehre kiimmert sich urn die ethische Reflexion der innerbetrieblichen Ablaufe und deren Umsetzung im Alltag. Sie behandelt Steuerungsprobleme eines Unternehmens mit dem Ziel, Werthaltungen und Ethos fUr die Betriebswirtschaftslehre zur effizienten Arbeit eines Unternehmens in der Gesellschaft zu thematisieren. Einleinmg 21 Untersuchungsgrundlage Die folgende Situationsbeschreibung ist eine Analyse der Unternehmenssituation und -organisation zur Neufassung christlicher Berufsethik in einer hochdifferenzierten Welt mit neuen Berufsstrukturen. Der Autor beschreibt aus der Situation eines Mitarbeiters im Management eines GroBunternehmens die Situation und die Probleme der Menschen und der Organisation. Unmittelbare Teilnahme an einem sozialen Umfeld und gleichzeitige, distanzierte Beobachtung wurden durch die Methoden der "Teilnehmenden Beobachtung" erm6glicht, urn konstitutive soziale Zusammenhiinge von auBen zu reflektieren. Dazu war der Autor fUr zwei Jahre Mitarbeiter in der Stabsabteilung Technik der MAN AG, einer Holding, die verschiedene Zweige der Investitionsgiiterindustrie unter sich vereint und diese sowohl technisch als auch fmanziell koordiniert und kontrolliert. 1m Rahmen dieser Mitarbeit nahm er an Konzernsitzungen teil und arbeitete direkt in Projekten mit. Ferner hatte der Verfasser Zugang zu vielen anderen Bereichen des Unternehmens, urn mit den dortigen Mitarbeitern informelle Gespriiche zu fiihren. In der Beschreibung werden einzelne Grundmuster in der Mentalitiit des Managements deutlich, die dessen "Ethos" konstituieren. Interessant waren die konkreten Problemzusammenhiinge in Wechselwirkung mit den Organisationsstrukturen. Anwendungsfragen der Unternehmensethik: Gruppenethik und Werle Innerhalb der Unternehmensethik laBt sich zwischen Begrundungsfragen und Anwendungsfragen unterscheiden. Fiir die Anwendung wird in der Unternehmensethik unter dem Stichwort "Ethics of Organizations" die Individualethik durch eine "Gruppenethik" ergiinzt. In ihr werden in Entscheidungsbildungsprozessen auch Gruppen zu ethischen Subjekten. Gruppen sind in dieser Konstellation Verantwortungstriiger im juristischen Sinn. Sie haben eine eigene Gruppenplausibilitiit im soziologischen Sinn und entwickeln eine eigene Gruppenmoral, ein "Ethos". In diesen Gruppen bzw. in den Strukturen und Operationen dieser Gruppen erarbeitet Unternehmensethik als Wechselspiel pers6nlicher und institutioneller Momente die Beziige der einzelnen Probleme und ordnet sie den entsprechenden Gruppen zu. Dabei wird zwischen drei Ebenen der ethischen Problemen unterschieden: die ge- 22 Einleitung samtgesellschaftliche Makroebene, die organisationsbezogene Mesoebene und die individuelle Mikroebene. Der Ausgangspunkt unternehmensethischer Arbeit liegt in der Mesoebene und nicht in der Individualmoral von Mitarbeitern. Durch die funktionale Betrachtungsweise der Mesoebene wird die Polarisation zwischen individualethischer und globalethischer Betrachtung zugunsten einer sozialethisch orientierten Institutionenethik aufgebrochen. Sie raumt der personalen Verantwortung konstitutiven Charakter ein und beschreibt die funktionalen und systematischen Aspekte des Handelns der Manager. Aufbau der Studie Das "Ethos" des Managements wird als Unternehmensethik aus alltliglichen Handlungsproblemen eines Unternehmens abgeleitet. Diese Probleme zeigen sich in Konfrontation von Unternehmenskultur und individueller Wertvorstellungen der Mitarbeiter. Unternehmenskultur mufi in der Diskussion um die verantwortliche Berucksichtigung der Folgen wirtschaftlichen Handelns als Ethik- und Wertvermittlung in den wirtschaftlichen Alltag hinein beschrieben werden. Dies bezieht sich auf Inhalte, Werte und Normen, aber auch auf die Methodik, mit der die Verantwortungsbeziige strukturiert und wohlbegriindete Normen flir konkrete Situationen und Handlungsprozesse vermittelt werden, um daraus Handlungsimpulse zu gewinnen. Nur fiber das didaktische Ziel herrscht Uneinigkeit. Die einen, wie Rupert Lay oder Trutz Rendtorff, wollen eine "offene Moral" - oder eine Ethik von unten, in der die Toleranz ein wichtiges Kriterium ist. Andere propagieren die Vermittlung scheinbar objektiver Werthierarchien. Die Beschreibung industrieller Organisationen und Strukturen in ihrem Bezug auf ethische Probleme und Problembereiche im industriellen Management liefert diese Analyse, indem sie Problembereiche im Umfeld der unternehmerischen Umsetzung technischer Entwicklungen erlautert. Die Struktur entstammt als "beratende Organisationsforschung" einer kundenorientierten Problemsicht, die aus der Untersuchung einer Organisation konkrete Impulse fUr deren Verbesserung gewinnen will. In diesem Prozefi werden die theoretischen Grundlagen konkretisiert und die intendierten Handlungsaspekte hinsichtlich prozessueller Freiraume und institutioneller Verantwortung systematisiert. Wichtig ist die doppelte Ausrichtung ethischer Uberlegungen nach der Handlungs- und nach der Reflexionsseite hin. Einleitung 23 Ausgehend von der theoretischen ErHiuterung der Untersuchungsmethodik in Teil 1 werden anhand des Beispiels der MAN AG und ihrer Unternehmenskultur in Teil 2 die ethischen Implikationen und Werte einer Organisationsstruktur unter dem EinfluB wirtschaftlicher, technischer Oberlegungen dargestellt. Die organisatorischen, handlungsbestimmenden Strukturen werden als Ausdruck des Wertesystems der Manager beschrieben. In Teil 3 werden diese Aussagen verallgemeinert und in einzelne EinfluBbereiche aufgespalten. Es werden die wichtigsten Strukturen und EinfluBgroBen beschrieben, die mit den Werten der Manager in direkter Wechselbeziehung stehen und umgekehrt auch wieder eine bestimmte Werthaltung erzeugen. Die konzeptionelle Weiterfiihrung in eine allgemeine "Berufsethik" in Teil 4 bezieht die Grundprobleme des Werteverstandnisses hiemach auf die allgemeine Umsetzung innerhalb einer Managementtiitigkeit des Management-Berufs und auf die Inhalte christlicher Weltgestaltung. Die Ergebnisse werden nach den kritischen Ansiitzen einer christlichen Berufsethik bewertet. Es werden Voraussetzungen benannt, unter denen ethische Orientie rung systematisch in Entscheidungsprozessen zu einem leistungsfahigen Kriterium wird.