Seite 3 Praktikum Nr. 11 Durchlicht-Mikroskop 2. Schärfentiefe des Mikroskops 2.1 Geometrisch-optische Schärfentiefe Wird ein Objekt mit Tiefenausdehnung fotografiert (oder auf eine Mattscheibe abgebildet), so ist nur ein ebener Schnitt durch das Objekt scharf auf dem Film oder CCD-Chip abgebildet. Davor und dahinter liegende Objektteile werden auch vor und hinter dem Film abgebildet. Die Objektpunkte erscheinen dann auf dem Film als Zerstreuungskreise. In der Nähe der Filmebene abgebildete Punkte geben jedoch kleine Zerstreuungskreise. Ein aus 250 mm Abstand betrachteter Zerstreuungskreis, der ≤ 0.1 mm Durchmesser hat, wird vom Auge noch als Bildpunkt gesehen. Die objektseitige Schärfentiefe ist nun als die Tiefenausdehnung im Objektraum definiert, die vom menschlichen Auge im Bild scharf wahrgenommen wird. Allgemein ist die Schärfentiefe unseres Sehens dadurch gegeben, dass Zerstreuungskreise mit ≤ 7 μm Durchmesser auf der Netzhaut noch als Bildpunkte wahrgenommen werden (entspricht dem Sehzellenabstand in Netzhautmitte Æ begrenztes Auflösungsvermögen unseres Auges). Aus diesem Sehzellenabstand ergibt sich auch die Sehwinkelauflösung gemäss folgender Abbildung: K=K‘ ymin=0.1mm αmin,Auge 250 mm y‘min=7μm 17.1mm Der minimal auflösbare Sehwinkel αmin,Auge bestimmt sich also mit dem Abstand 17.1 mm des Augenhintergrundes vom Knotenpunkt K = K’ (in Netzhautmitte) zu: tan α min,Auge = 7 μm 17.1 mm αmin,Auge ≈ 1.4’ (häufig wird sogar 1’ angesetzt) Die kürzeste Entfernung, auf die das Auge noch akkommodieren kann wird Nahpunkt genannt. In vielen Berechnungen wird dafür die sog. „deutliche Sehweite“ von 250 mm eingesetzt. Setzt man sie als minimalen Betrachtungsabstand ein, so ergibt sich für die kleinste auflösbare Objektgrösse aus ymin = 250 mm tan α min,Auge Æ ymin ≈ 0.1 mm Da die Augenauflösung zur Peripherie der Netzhaut abnimmt, wird als "mittlere Sehwinkelauflösung" des menschlichen Auges (über die ganze Netzhaut) in der Fachliteratur angegeben: αmin,Auge ≈ 2.3’ Berechnung der objektseitigen Schärfentiefe beim Mikroskop Wir betrachten zwei Stufen der Vergrösserung: 1. Die Abbildung des Objektes auf die Bildebene (Zwischenbildebene, z.B. Okularstrichplatte, Mattscheibe, Monitor, vergrösserter Bildabzug, etc.). Die Abbildung der „idealen“ Objektebene ergibt den Abbildungsmassstab Ettemeyer, 2008 Seite 4 Praktikum Nr. 11 Durchlicht-Mikroskop ' ' β gesamt = β Objektiv ⋅ Tubusfaktor ⋅ Nachvergrösserung 2. Betrachtung des Bildes mit blossem Auge mit der Betrachtungsvergrösserung (= Sehwinkelvergrösserung verglichen mit einer Betrachtung aus 250 mm Entfernung): V= 250 mm Betrachtungsabstand bzw. bei Verwendung eines Okulars oder einer Lupe: V= 250 mm ' fOkular „ideale“ Objektebene DEP Objektiv W feste Bildebene evtl. Lupe, Okular Auge U u z th tV o u = halber Öffnungswinkel des den Achsenpunkt der "idealen" Objektebene abbildenden Strahlenbündels sin u = objektseitige Apertur n sin u = objektseitige Numerische Apertur N.A. (auf dem Objektiv angegeben) n Brechzahl im Objektraum (vor dem Objektiv) = In der Mikroskopie wird mit einem geeigneten Beleuchtungssystem (z.B. Kondensor) i. A. für volle Ausleuchtung der wirksamen Objektivöffnung (Eintrittspupille EP) gesorgt. Für den maximal zulässigen Zerstreuungskreisdurchmesser U in der Bildebene ergibt sich: U= 0.1 mm V Dieser Zusammenhang gilt auch bei einer Abbildung auf einen CCD-Array oder dergleichen in der festen "Bildebene" mit Bildbetrachtung ab einem Monitor ohne Auflösung der CCDPixel (im Monitor) durch den Betrachter. Wird hingegen das auf dem CCD-Array entstehende Bild direkt in einen Computer eingelesen und mittels einer Software ausgewertet, so ist der zulässige Zerstreuungskreisdurchmesser U (auf dem CCD-Array) direkt als Zahlenwert vorgegeben und der Betrachtungsfaktor IVI entfällt. U ist dann vom Auswertealgorithmus, der Objekt-Hell-Dunkelstruktur, der Pixelgrösse, dem Pixelmittenabstand etc. abhängig. Im Folgenden wird der Fall betrachtet, dass das Bild durch ein menschliches Auge – mit oder ohne Lupe bzw. Okular – betrachtet wird. Die Formeln für die objektseitige Schärfentiefe bei direkter Bildauswertung im Computer können analog hergeleitet werden. Ettemeyer, 2008 Seite 5 Praktikum Nr. 11 Durchlicht-Mikroskop Wir setzen zunächst voraus, dass die Abbildungsunschärfe (durch Bildfehler, Beugung) der "idealen" Objektebene vernachlässigbar klein sei. Ferner stellt o den Abstand zwischen der "idealen" Objektebene und der Eintrittspupille dar. Wir betrachten die beiden Achsenpunkte an den Grenzen des Schärfentiefenbereichs. Die diese Achsenpunkte abbildenden Strahlenbündel durchstossen die feste Bildebene in Zerstreuungskreisen mit dem gerade noch zulässigen Durchmesser U = 0.1 mm . ObV jektseitig durchstossen sie (bzw. ihre Rückwärtsverlängerung) die "ideale" Objektebene im "Urbild" dieser Zerstreuungskreise. Der Durchmesser dieses "Urbildes“ ist W = U β ' gesamt , d.h. schliesslich W= 0.1 mm ' β gesamt V mit Gesamtvergrösserung (Mikroskopvergrösserung): ' VMikroskop = β gesamt V Bedeuten tH und tV die Beträge der Schärfentiefe hinter und vor der "idealen" Objektebene, so folgt mit Hilfe des Strahlensatzes (Geometrie): DEP o + th o = = +1 W th th Daraus folgt th = o ' DEP β gesamt V ⋅10 1 −1 mm Analog erhält man tv = o ' DEP β gesamt V ⋅10 1 +1 mm Für die gesamte Schärfentiefe ergibt sich t h + tv = 1 mm 2 1 ⎞ ' β gesamt V ⋅10 ⎟ −1 mm ⎠ ' o DEP β gesamt V ⋅ 20 ⎛ ⎜ DEP ⎝ Bei Vergrösserungen bei Mikroskopen gilt im Allgemeinen ' DEP β gesamt V ⋅10 1 1 mm d.h. ' β gesamt V 0.1 mm DEP Dann darf bei th und tv im Nenner der Summand -1 bzw. +1 vernachlässigt werden und wir erhalten in guter Näherung: Ettemeyer, 2008 Seite 6 Praktikum Nr. 11 Durchlicht-Mikroskop t h = tv = o 2 DEP ' 1 β gesamt V ⋅10 2 mm = 1 20 β ' gesamt V tan u mm Man erkennt, dass die Schärfentiefe symmetrisch zur „idealen“ Objektebene ist. Die gesamte Schärfentiefe beträgt: t h + tv = 1 10 β ' gesamt V tan u mm Man bezeichnet dies als geometrisch-optische Schärfentiefe, die solange massgebend ist, als die Abbildungsunschärfe infolge Beugung (an der 0bjektivöffnung) vernachlässigbar klein ist (d.h. bei der Betrachtung des Bildes nicht aufgelöst werden kann). Dies ist der Fall, ' V unterhalb der sogenannten solange der Betrag der Gesamtvergrösserung VMikroskop = β gesamt förderlichen Vergrösserung bleibt. Bei λ0 = 550 nm (grün) beträgt die förderliche Vergrösserung eines Mikroskops etwa 500 N.A. (N.A. = objektseitige Numerische Apertur). Bei dieser Gesamtvergrösserung beginnt das Auge gerade 2 Objektpunkte getrennt zu erkennen, welche sich im (lateralen) Abstand ymin voneinander befinden, der durch das Mikroskopobjektiv gerade noch aufgelöst wird. Für eine besonders bequeme Betrachtung solcher Objektpunkte ist eine Vergrösserung bis zum doppelten Wert, also bis zu 1000 N.A. noch sinnvoll. Deshalb wird oft als förderliche Mikroskopvergrösserung der Bereich 500 N.A. bis 1000 N.A. bezeichnet. Ettemeyer, 2008 Seite 7 Praktikum Nr. 11 Durchlicht-Mikroskop 2.2 Wellenoptische Auflösung und Schärfentiefe Ist man im Bereich der förderlichen Vergrösserung, so äussert sich die beugungsbedingte Abbildungsunschärfe - sogar der "idealen“ Objektebene - bereits ganz schwach (aber noch nicht besonders störend) im Bild. Die Schärfentiefe im Objektraum ist dann als jener Tiefenraum definiert, bei dem die Unschärfe auf die feste Bildebene (Film, CCD-Chip) noch nicht merklich von der beugungsbedingten Abbildungsunschärfe der "idealen" Objektebene abweicht. Diese Schärfentiefe bezeichnet man als wellenoptische Schärfentiefe. Wenn das System eine Vergrösserung grösser als die Förderliche Vergrösserung aufweist, dann wird die Schärfentiefe durch die wellenoptische Schärfentiefe tw bestimmt. r‘min O tw n‘ d‘Airy u u‘ O‘ Optisches System Beleuchtungsstärke E n x‘, y‘ t‘w r‘min DEP Sie bestimmt sich aus der beugungsbegrenzten Abbildung und muss mit der Wellentheorie hergeleitet werden. Beugungsbegrenzte Abbildung meint, dass keine geometrisch-optischen Bildunschärfefehler vorhanden sind, eine Unschärfe also einzig aus der Beugungsbegrenzung erfolgt. Bei gleichmässiger Ausleuchtung der Eintrittspupille (DEP) ist das Bild eines Objektachsenpunktes dann ein sog. Airy-Scheibchen. Die Grösse dieses Scheibchens ist definiert als die Fläche innerhalb des ersten dunklen Rings einer Besselfunktion, in der 83.8% des gesamten Lichtstroms enthalten ist. Ihr Durchmesser ist ' d Airy = 1.22 λ0 ' n sin u ' Das Rayleigh’sche Auflösungskriterium definiert nun den kleinsten erkennbaren lateralen Bildpunktabstand y’min so, dass die erste Nullstelle des Airy-Scheibchens mit dem Maximum des Nachbarscheibchens zusammenfällt. Damit definiert sich das Auflösungsvermögen aus dem Radius des Airy-Scheibchens zu: ' ' ymin = rmin = 0.61 λ0 ' n sin u ' = 0.61 λ0 N . A.' N.A.’ = n’sinu’ = bildseitige Numerische Apertur Mit Hilfe der Abbe’schen Sinusbedingung (keine geometrisch-optischen Abbildungsfehler vorausgesetzt) ergibt sich die beugungsbegrenzte Auflösung in der „idealen“ Objektebene zu: ymin = 0.61 Ettemeyer, 2008 λ0 n sin u = 0.61 λ0 N . A. Seite 8 Praktikum Nr. 11 Durchlicht-Mikroskop Die wellenoptische Schärfentiefe (Rayleigh-Bereich) ist: Objektseitig Bildseitig (engl. Depth of Field) (engl. Depth of Focus) t h = tv = tw = n λ0 ( N . A.) 2 tw 2 = tw' t =t = 2 ' h λ0 n sin 2 u t = ' w ' v n' λ0 ( N . A. ) ' 2 = λ0 ' n sin 2 u ' Die Herleitung dieser Formeln erfolgt wellenoptisch und ist der Literatur zu entnehmen. Der Zusammenhang zwischen tw und t’w ist über den Tiefenabbildungsmassstab τ gegeben: 2 tw' n' ' ≈ τ = ( β Objektiv ⋅ Tubusfaktor ) tw n Bei beugungsbegrenzter Abbildung muss zusätzlich die Abbe’sche Sinusbedingung erfüllt ' sein: n sin u = n ' sin u ' β Objektiv Tubusfaktor Auch die wellenoptische Schärfentiefe ist symmetrisch zur "idealen" Objektebene. Ferner haben Beugungsfiguren (= unscharfe "Punktbilder“ infolge Beugung) in Einstellebenen, die gleich weit vor oder hinter der "idealen" Objektebene bzw. ihrer Bildebene liegen, das gleiche Aussehen, vorausgesetzt, dass die Abbildung geometrisch-optisch fehlerfrei erfolgt. Bei vorhandenem Öffnungsfehler ist diese Symmetrie gestört. Einen Öffnungsfehler kann man aufgrund des unterschiedlichen Aussehens der Beugungsfiguren bei intra- und extra-fokaler Einstellung erkennen (sog. Star-Test). Sind die geometrisch-optischen Bildfehler (z.B. der Öffnungsfehler) genügend klein, so wird im Bereich der förderlichen Vergrösserung die Schärfentiefe bei der mikroskopischen Abbildung durch tw mit genügender Genauigkeit angegeben. Die Schärfentiefe ist dann durch die wellenoptische Schärfentiefe gegeben, wenn die Gesamtvergrösserung des Systems grösser ist als die förderliche Vergrösserung. Vorhandene geometrisch-optische Bildfehler (z.B. Öffnungsfehler) oder eine vorhandene Zentralabschattung (wie z.B. bei einer Spiegeloptik) verkleinern die Schärfentiefe. Fasst man die beiden Funktionen der Schärfentiefe zusammen, so erhält man eine allgemein gültige Formel für die gesamte Schärfentiefe: tm = tw n λ0 n 0.15mm + t geom = + 2 ' 2 2 ( N . A.) ( N . A.) β gesamt V Diese Formel gilt gut in der Nähe der förderlichen Vergrösserung. Für λ0 = 550 nm und eine Anzahl von häufig vorkommenden Numerischen Aperturen ist in der folgenden Grafik die Schärfentiefe tm bzw. tm / n in Abhängigkeit von der Mikroskopvergrösserung grafisch darge' ' stellt. Die gestrichelten Teile der Kurven enden bei β gesamt V = 100 bzw. β gesamt V = 2000 . In der Praxis wird man sich bei einer gegebenen Numerischen Apertur des Objektivs nicht beliebig weit vom Bereich der förderlichen Vergrösserung entfernen. In den Kurven kommt deutlich zum Ausdruck, dass zu einer gegebenen Numerischen Apertur, mit der die Kurven bezeichnet sind, ein begrenzter Schärfentiefebereich gehört. Bleibt man im Bereich der förderlichen Vergrößerung, so schwankt die Schärfentiefe tm nur innerhalb enger Grenzen. Ettemeyer, 2008 Seite 9 Praktikum Nr. 11 Durchlicht-Mikroskop μm Es sei noch erwähnt, dass bei direkter visueller Betrachtung durch das Mikroskop auch die Akkommodation des Auges Einfluss auf die Schärfentiefe hat, indem sich die Einstellung des Auges von Fern- auf Naheinstellung ändert (Akkommodationstiefe, bzw. Akkommodationsbreite). Die Schärfentiefe wird dadurch etwas erhöht. Da die direkte Betrachtung mit dem Auge an Bedeutung verliert, sei an dieser Stelle auf die Literatur verwiesen. Ettemeyer, 2008