Molekulare Medizin - Max-Planck

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Fässler, Reinhard | Molekulare Medizin
Tätigkeitsbericht 2004
Entwicklungs- und Evolutionsbiologie/Genetik, Immun- und Infektionsbiologie/Medizin
Molekulare Medizin
Fässler, Reinhard
Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Ziel unserer Abteilung ist es, die Integrin vermittelte Zelladhäsion in verschiedenen Geweben in vivo zu
verstehen. Hierzu erzeugen wir Mäuse mit gezielten Veränderungen in Genen von Integrinen und
Integrin-assoziierten Proteinen. Die Auswirkungen der Genveränderung untersuchen wir einerseits
während der Mausentwicklung, um so die normale, physiologische Funktion des mutierten Gens zu
erforschen, und andererseits in verschiedenen Kranheitsmodellen, um so die Rolle der mutierten Gene
bei Erkrankungen aufzuklären. Diese Untersuchungen werden mit immunhistochemischen,
zellbiologischen und biochemischen Methoden durchgeführt und mit strukturellen Arbeiten unterstützt.
Abstract
We investigate integrin-mediated adhesion in various tissues of mice. To this end we establish mouse
models with targeted mutations in extracellular matrix proteins, integrins and integrin-associated
proteins. The consequence of the mutations are analyzed during mouse development, which allows to
assess the physiological function of the mutant gene, and disease situations such as inflammation tissue
repair and tumor formation.
Zelladhäsionsrezeptoren vermitteln die Anheftung von Zellen an die extrazelluläre Matrix und die
Interaktion mit Nachbarzellen. Die Zelladhäsion ist wichtig für die Embryonalentwicklung und für den
Verlauf von vielen Krankheiten, wie etwa bei der Wundheilung, Krebsmetastasierung und entzündlichen
Erkrankungen. Integrine sind eine große und funktionell wichtige Gruppe von Zelladhäsionsrezeptoren,
die extrazellulare Matrixproteine, wie zum Beispiel Kollagen, Laminin und Fibronektin binden. Integrine
bestehen aus zwei verschiedenen Proteinketten (einer α und einer β Kette). Es gibt insgesamt 16 α und
8 β Ketten, die in unterschiedlichen Kombinationen mindestens 24 verschiedene Integrine bilden können.
Zellbiologische und genetische Untersuchungen in der Maus, Fliege und beim Wurm haben gezeigt, dass
Integrine neben der Adhäsion auch die Migration, das Wachstum und das Überleben von Zellen steuern.
Diese Funktionen werden von Signal- und Adaptormolekülen vermittelt, die mit der zytoplasmatischen
Domäne der Intgerine assoziieren und dabei einerseits chemische Signale erzeugen und andereseits die
Integrine mit dem Akingerüst der Zelle verknüpfen.
Die Verknüpfung der Integrine mit dem Aktingerüst ist von zentraler Bedeutung für die Integrinfunktion.
Nach Bindung der Integrine an die extrazelluläre Matrix wird Aktin mithilfe von Adaptoren, wie zum
Beispiel Talin oder α-actinin, an die Integrine rekrutiert. Die Integrin-Aktin-Interaktion führt dann zu
einer Aggregation der Integrine und zur Ausbildung von fokalen Adhäsionsstellen (focal adhesion sites,
FAs) (Abb. 1). Die FAs sind Verankerungs- und Schaltstellen der Zelle, die nicht nur stabile Adhäsion
garantieren, das Aktingerüst reorganisieren und Aktinfilamente an der Zellmembran verankern, sondern
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auch Integrin vermittelte Signale weiterleiten, um so Zellpolarität und gerichtete Zellwanderung,
Zellwachstum und Überleben der Zellen zu regulieren.
Abb. 1 : Immunologische Anfärbung der Integrine und des Aktingerüsts in einer wandernden Bindegewebszelle.
Die Integrine (rot) sind in den FAs aggregiert und mit den Aktinfasern (grün) verbunden. An der Zellfront sieht
man ein Lamellipodium, das feine Aktinablagerungen an der Zellmembran (Pfeil) aufweist. Die Zugspannung am
hinteren Teil der Zelle führt zu einer enormen Vergrößerung der FAs (Pfeilkopf).
Bild : Max-Planck-Institut für Biochemie / Fässler
Die Wechselwirkungen zwischen den Integrinen und dem Aktingerüst sind dynamisch und sehr kurzlebig
und werden in den verschiedenen Kompartimenten der Zelle unterschiedlich reguliert. An der Zellfront
von wandernden Zellen zum Beispiel binden Integrine an Matrixproteine und lösen nach Aktivierung
der Rho-GTPasen Rac1 und Cdc42 und ihrer Verankerung in der Zellmembran eine örtlich begrenzte
Reorganisation des Aktingerüsts aus, die zu charakteristischen Ausdehnungen der Zellmembran (so
genannte Fiolopodia und Lamellipodia) führt. Am hinteren Teil der Zelle wird die Anheftung der
Integrine an die Matrix und die Verknüpfung mit dem Aktingerüst aufgelöst, was zu einer Ablösung der
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Zellmembran von der Matrixunterlage führt und nach Kontraktion eine Vorwärtsbewegung der Zelle
ermöglicht.
Untersuchungen der Integrin-Matrix-Wechselwirkungen mit zellbiologischen Methoden und in
verschiedenen Tiermodellen haben auf beeindruckende Weise gezeigt, dass Integrine während der
Embryogenese, im Erwachsenenalter und bei Krankheiten entscheidende Funktionen ausüben. Integrine
können mit einer Vielzahl von zytoplasmatischen Molekülen interagieren und viele verschiedene
Signalketten aktivieren. Zellspezifisch stehen aber jeweils bestimmte Interaktionen und Mechanismen
im Vordergrund.
Arbeitsgruppe Fässler
Analyse von Fibronektin und Perlecan in der Maus
In den vergangenen Jahren untersuchten wir die Funktion von Fibronektin und Perlecan, zwei
prototypische Matrixproteine, die verschiedene Integrine, Wachstumsfaktoren und Matrixkomponenten
binden. Zellbiologische Untersuchungen zeigten, dass Fibronektin die Adhäsion, Proliferation und das
Überleben von Zellen steuert. Deletion des Fibronektingens in der Maus führt zum Absterben des
Embryos kurz nach der Gastrulation. Um die embryonale Letalität zu umgehen, haben wir das
Fibronektin-Gen spezifisch in Leberzellen ausgeschaltet und so eine Maus hergestellt, die kein
Fibronektin im Blut (Plasma-Fibronektin) hat, aber normale Mengen in allen anderen Geweben. Mit
dieser Mausmutante konnten wir zeigen, dass verschiedene, dem Fibronektin zugeschriebene
Funktionen, wie zum Beispiel Verklumpung (Aggregation) der Blutplättchen bei Blutgerinnung und
Zellwanderung während der Wundheilung der Haut in Abweseneheit von Plasma-Fibronektin normal
ablaufen, aber andere Funktionen, wie das Überleben von Nervenzellen nach Hirnschlag, von Fibronektin
abhängig sind. Perlecan (das mit langen Zuckerketten modifiziert wird) ist ein Bestandteil der
Basalmembran, einer teppichartigen Struktur von verschiedenen Matrixproteinen, die allen Epithel- und
Endothelgeweben unterliegt. Darüber hinaus ist es auch im Knorpelgwebe exprimiert. Tiere ohne
Perlecan zeigen Defekte im Herz und Gehirn, die auf Grund einer defekten Basalmembran entsehen. Der
Verlust von Perlecan im Knorpelgewebe führt zum proteolytischen Verlust von Knorpelkollagenen und
schweren Skelettanomalien (Abb. 2). Zurzeit werden Mäuse mit Veränderungen in bestimmten Domänen
und in den Integrinbindungsstellen hergstellt und analysiert, um die vielen Funktionen einer bestimmten
molekularen Interaktion zuordnen zu können.
Analyse der β1-Integrinfamilie in der Maus
Die β1-Integrinfamilie besteht aus 12 Mitgliedern, die nach Deletion der β1-Kette nicht mehr exprimiert
werden. Wir konnten zeigen, dass der Verlust dieser Integrine zu einem Absterben des Embryos kurz
nach der Einnistung in den Uterus führt. Die Ursache liegt in einer abnormalen Expression von Laminin,
nicht an einer defekten Proliferation oder einem verminderten Überleben von embryonalen Zellen.
Spezifische Deletion der β-Familie in Blutstammzellen blockiert ihre Einwanderung in fötale Leber und
das Knochenmark. Eine Deletion des β1-Integringens in der Haut wiederum führt zum Verlust der Haare
(wahrscheinlich Migrationsdefekt der Haarstammzellen), Blasenbildung (Adhäsionsdefekt der
Hautzellen), Proliferationsdefekt der Hautzellen und zu einer starken dermalen Fibrose. Diese Ergebnisse
zeigen eindrucksvoll, dass Integrine eine gewebespezifische Funktion ausüben. In Zusammenarbeit mit
der Gruppe Brakebusch werden zurzeit Bindungsstellen und funktionell wichtige Aminosäuren in der
zytoplasmatischen Domäne des β1-Integrins in der Maus mutiert und deren Auswirkungen in der Haut
untersucht.
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Abb. 2 : Skelettpräparation von normalen und Perlecan-defizienten, neugeborenen Mäusen. Der Knochen ist rot
und der Knorpel blau gefärbt. Perlecan-defiziente Mäuse haben kurze und deformierte Extremitäten und eine starke
Rückgratverkrümmung. Diese Defekte werden durch Abbau der extrazellulären Matrix (wie zum Beispiel der
Kollagenfibrillen) im Knorpelgewebe verursacht.
Bild : Max-Planck-Institut für Biochemie / Fässler
Analyse des ILK/Pinch/Parvin Komplex
Aktivierte Integrine rekrutieren mit ihrer intrazelluären Domäne zytoplasmatische Proteine, mit denen
sie spezifische Signalwege anschalten oder modulieren. Ein wichtiges β1-Integrin-assoziiertes Protein
ist die Integrin-linked-Kinase (ILK) (Abb. 3). Zellbiologische Untersuchungen zeigten, dass ILK unter
anderem PKB/Akt und GSK3 phosphoryliert und Adaptorproteine wie zum Beispiel Pinch und Parvin
in die FAs rekrutiert. Mit der Phosphorylierung von PKB/Akt und GSK3 durch ILK glaubte man einen
molekularen Mechanismus für die adhäsionsabhängige Zellproliferation und den Zelltod entdeckt zu
haben. Wir konnten bei Mäusen, bei denen das ILK-Gen ausgeschaltet worden ist zeigen, dass der Verlust
der ILK-Expression zu massiven Defekten des Aktingerüsts führt, die Phosphorylierung von PKB/Akt
und GSK3 aber nicht verändert ist. Zurzeit werden Mutationen in der Kinasedomäne in vivo untersucht
und Mäuse etabliert, denen die Adaptoren Pinch und Parvin fehlen.
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Abb. 3 : Komponenten, die mit dem Integrin/Integrin-linked Kinase (ILK) Komplex assoziert sind. ILK bindet die
Adaptorproteine Pinch, Parvin und Paxillin. Pinch verknüpft Integrine mit den Rezeptortyrosinkinasen, Paxillin
verstärkt die Integrinbinding von ILK und Parvin rekrutiert Aktinfilamente. Die Kinaseaktivität von ILK wird über
die Bildung von PIP3 reguliert. Die Zielproteine der Kinase sind GSK3 und PKB/Akt, die wichtige Funktionen in
der Zelle regulieren.
Bild : Max-Planck-Institut für Biochemie / Fässler
Arbeitsgruppe Brakebusch
Die Reorganisation des Zytoskeletts ist von entschiedender Bedeutung für die Zellwanderung. Rho
GTPasen wie zum Beispiel Cdc42, Rac1 oder RhoA regulieren diese Reorganisation und sind
verantwortlich für die Extension und Polarisierung der Zelle in Wanderrichtung, die Kontraktion des
Zellkörpers und die Ablösung des hinteren Zellteiles von der umgebenden Extrazellularmatrix. Darüber
hinaus beeinflussen Rho GTPasen aber auch zahlreiche andere zelluläre Prozesse wie zum Beispiel
Proliferation, Zelltod, Endozytose und Zell-Zell-Kontakte. Die Aktivität von Rho GTPasen wird durch
viele externe Stimuli (z. B. Wachstumsfaktoren, Zell-Matrix-Kontakte, Zell-Zell-Kontakte) über mehr
als 100 aktivierende (GEFs) und inaktivierende Proteine (GAPs) gesteuert und ist daher sowohl vom
Zelltyp als auch vom Umfeld der Zelle abhängig (Abb. 4). Unsere Arbeitsgruppe untersucht die Funktion
von Rho GTPasen auf molekularer und zellulärer Ebene und im lebenden Organismus, indem Mäuse mit
gewebespezifischen Mutationen in Rho GTPase-Genen erzeugt und analysiert werden. Hierbei stehen
die Haut und das hämatopoetische System im Mittelpunkt unseres Interesses. Neben der Funktion der
Rho GTPasen während der Entwicklung, untersuchen wir ihre Aufgaben in Reparaturprozessen (z. B.
Wundheilung) und in Krankheitsmodellen (z. B. Tumorentstehung).
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Abb. 4 : Rho GTPasen können nur im aktiven, GTP-gebundenen Zustand mit Effektoren interagieren und
verschiedene zelluläre Prozesse regulieren. Die Aktivierung wird durch guanine nucleotide exchage factors (GEFs)
katalysiert, die zur Inaktivierung führende Hydrolyse von GTP zu GDP durch GTPase activating proteins (GAPs)
gefördert. Zusätzlich können guanine nucleotide dissociation inhibitors (GDIs) inaktive Rho GTPasen im Zytosol
sequestrieren. Die zellspezifische Expression von über 100 potenziellen GEFs und GAPs und mehr als 60 Effektoren
ist die Ursache der hohen Zellspezifität der Rho GTPasen.
Bild : Max-Planck-Institut für Biochemie / Brakebusch
In Keratinozyten ist Cdc42 wichtig für die Haarfollikelmorphogenese und den Erhalt der Zell-ZellKontakte. In Abwesenheit von Cdc42 kommt es zu einem erhöhten Abbau von β-Catenin und
Plakoglobin, da die Aktivität einer den Abbau induzierenden Kinase, GSK3β, gesteigert wird. β-Catenin
ist wichtig für die Induktion von Haarfollikel-spezifischen Genen im Zellkern, wo es zusammen mit
Molekülen der LEF/TCF-Familie als Transkriptionsfaktor fungiert. An der Zellmembran sind β-Catenin
und Plakoglobin an den Zell-Zell-Kontakten beteiligt. Hier führt der Verlust von β-Catenin und
Plakoglobin zu einer reduzierten Membranlokalisation des Zelladhäsionsmoleküls E-Cadherin. Da
β-Catenin eine wichtige Rolle in der Tumorgenese spielt, wollen wir jetzt die Auswirkungen des
Verlustes von Cdc42 in Hauttumormodellen untersuchen. In Hepatozyten kommt es nach Deletion des
Cdc42-Gens zu defekten Zell-Zell-Kontakten, zur Hyperproliferation und zur Bildung von Tumoren. Im
hämatopoetischen System ist Cdc42 wichtig für die Lymphopoese. Diese Ergebnisse zeigen die
zellspezifisch sehr unterschiedlichen Funktionen von Cdc42 und belegen die Bedeutung von genetisch
veränderten Mäusen für das Verständnis der Aufgaben von Rho GTPasen im lebenden Organismus.
Arbeitsgruppe Sasaki
Unsere Gruppe beschäftigt sich mit Struktur-Funktionsbeziehungen bei Proteinen der extrazellulären
Matrix, mit dem Schwerpunkt auf Basalmembran-Komponenten (Laminine, Nidogene, Perlecan, BM40, Kollagen Typ XV und Kollagen Typ XVIII). Anhand rekombinant hergestellter Protein-Domänen
untersuchen wir die Bindung an andere Matrixproteine und zelluläre Rezeptoren. Zusammen mit E.
Hohenester (Imperial College, London) und J. Stetefeld (Biozentrum Basel) arbeiten wir an der
Strukturanalyse der von uns hergestellten Domänen.
Seit einigen Jahren beschäftigen wir uns intensiv mit den LG-Modulen der Laminine. Diese Gruppe von
Basalmembranproteinen ist sehr wichtig für den Aufbau der Struktur der Basalmembran und für die
Wechselwirkung zwischen Matrix und Zellen. 15 verschiedene Lamininisoformen sind bisher bekannt.
Sie entstehen durch Kombination verschiedener α (α1-α5), β (β1-β3) und γ (γ1-γ3) Ketten zu
kreuzförmigen Molekülen, die über ein "coiled-coil" Strukturelement trimerisieren. Die α-Ketten
enthalten 5 globuläre LG-Module (LG1-LG5) an ihrem C-terminalen Ende. Diese LG-Module enthalten
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Bindungsstellen für zelluläre Rezeptoren (Integrine, α-Dystroglycan und Syndecane) und für
membranständige Kohlenhydratliganden, die wichtig für Zell-Matrix-Wechselwirkungen und die
Synthese der Basalmembran sind. Kürzlich haben wir die Kristallstruktur des LG4-LG5-Tandems der
Laminin α2-Kette aufgeklärt (Abb. 5). LG4-LG5 bindet Heparin, Sulfatide und α-Dystroglycan. Die
Bindung an α-Dystroglycan ist besonders wichtig für die Muskelfunktion. Dystroglycan besteht aus einer
stark glykosylierten extrazellulären Untereinheit (α-Dystroglycan) und einer TransmembranUntereinheit (β-Dystroglycan), die sich mit anderen membrangebundenen Proteinen zum DystrophinGlykoprotein-Komplex (DGC) zusammenlagern. Im Menschen führen Mutationen in der α2Lamininkette oder in Komponenten des DGC zu angeborenen muskulären Dystrophien. Mit der
Röntgenstrukturanalyse der Tandems konnten wir zeigen, dass sich über das ganze LG4-LG5-Molekül
eine basische Region erstreckt, die möglicherweise Bindungsstellen für das negativ geladene Heparin
und α-Dystroglycan sowie 2 unvollständig koordinierte Kalziumionen enthält. Kalzium ist für die
Funktion von α-Dystroglycan wichtig und wird vermutlich an negativ geladene Seitenketten gebunden.
Ausgehend von der dreidimensionalen Struktur induzierten wir gezielt Punkmutationen im Laminin α2
LG4-LG5-Doppelmodul, um die Feinstruktur der α-Dystroglycan- und der Heparin/
Sulfatidbindungsstelle zu kartieren. Die Hauptbindungsstelle für Heparin und Sulfatide liegt demnach
auf LG5 und besteht aus den Lysinen 2953, 3030, 3088, 3091 und 3095. Eine Bindungsstelle mit
schwächerer Affinität wurde in LG4 (Lysine 2870 und 2871) gefunden. Arginin 2803 und die Lysine
2870 und 2871 sowie die kalziumbindenden Asparaginsäuren 2808 und 2876 in LG4 sind wichtig für
die α-Dystroglycanbindung während die Kalzium-Bindungsstelle auf LG5 keine Bedeutung für diese
Interaktion hat. Während also die Bindungsstellen für Heparin und Sulfatide einerseits und
α-Dystroglycan andererseits in der α2-Kette auf unterschiedlichen LG-Modulen liegen, binden diese
Liganden in der Laminin α1-Kette ausschließlich an das LG4-Modul.
Arbeitsgruppe Moser
Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Familie von AP-2-Transkriptionsfaktoren, die aus fünf
Mitgliedern besteht und überwiegend während der Embryonalentwicklung in mesodermalen und
ektodermalen Geweben gebildet werden. Inaktivierungen der Gene von AP-2α, β oder γ führen zum Tod
der Maus während oder kurz nach der Embryonalentwicklung. Histologische Untersuchungen der
Mutanten und zellbiologische Analysen zeigen, dass AP-2-Moleküle bei der Zelldifferenzierung eine
Rolle spielen, aber auch den Zelltod unterdrücken. Dies erfolgt zum einen durch Induktion des
Zellzyklusinhibitors p21 und durch Repression des cyclin D2-Gens, zum anderen durch Aktivierung von
Wachstumsfaktoren und deren Rezeptoren und durch eine Hemmung der c-myc-induzierten Apoptose.
Interessanterweise scheinen auch Tumore diese Eigenschaft von AP-2 als Überlebensfaktor zu nutzen.
Derzeit konzentrieren wir uns auf die Bedeutung von drei AP-2-Faktoren: AP-2β, AP-2δ und AP-2ε.
AP-2β-Mausmutanten sterben auf Grund eines schweren Nierenschadens, der mit einem massiven
Zelltod in den Nierentubulusepithelzellen und Zystenbildung einhergeht. Darüber hinaus weisen diese
Mutanten Handanomalien auf. Vor kurzem wurden bei humanen Patienten Mutationen im AP-2β-Gen
identifiziert. Patienten, die dieses als "Char-Syndrom" bezeichnete Krankheitsbild aufweisen, haben
meist auch verkürzte oder fehlende Fingerglieder. Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass AP2-Transkriptionsfaktoren die Genexpression von BMP (bone morphogenic proteins)-Genen
kontrollieren.
Während AP-2α, β und γ in vielen verschieden Geweben gebildet werden, findet man die beiden erst
kürzlich identifizierten AP-2-Gene, AP-2δ und ε, fast ausschließlich im Nervensystem. AP-2δ wird dabei
sehr stark im hinteren Teil des Mittelhirns gebildet, in dem keines der anderen AP-2-Moleküle exprimiert
wird. Eine Inaktivierung von AP-2δ in der Maus ergab, dass exakt diese Struktur apoptotisch abstirbt,
während andere Zellen, die neben AP-2δ noch andere AP-2-Typen exprimieren, überleben (Abb. 6).
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Dieser Befund deutet erneut auf die essentielle Funktion von AP-2-Proteinen für das Überleben von
Zellen hin. Zurzeit untersuchen wir die molekularen Ursachen des Zelltods.
Abb. 5 : A. Darstellung der Oberflächenladung der Laminin α2 LG4-LG5-Struktur. Positive Potenziale sind blau
und negative Potenziale rot dargestellt.
B. Ca-Gerüst der LG4-LG5-Struktur. Die in unseren Versuchen zu Alanin mutierten basischen Seitenketten und
kalziumbindenden Asparaginsäure-Seitenketten sind in blau bzw. rot eingetragen. Die lilafarbenen Kugeln stellen
Kalziumionen dar. Die Hauptbindungsstellen für Heparin und α-Dystroglycan sind in lila bzw. grün markiert.
Bild : Max-Planck-Institut für Biochemie / Sasaki
Schließlich wurde vor kurzem in unserer Abteilung ein neues, fünftes Mitglied der AP-2-Familie
identifiziert, das besonders stark in Nervenzellen des Riechkolbens und im Vomeronasalen Organ
exprimiert wird (Abb. 6). Dieses Organ ist für die Rezeption von sozialen und sexuellen Botenstoffen,
so genannten Pheromonen, verantwortlich. Im Moment generieren wir Mausmutanten des AP-2ε-Gens.
Arbeitsgruppe Aszodi
Matriline sind Adaptorproteine der Extrazellularmatrix mit bislang unbekannter biologischer Funktion.
Während alle bislang bekannten Matriline (Matrilin-1, -2, -3, -4) im Knorpel exprimiert werden, sind
Matrilin-2 und Matrilin-4 auch außerhalb des Skelettsystems exprimiert. Um die Funktion von Matrilinen
in vivo aufzuklären, haben wir murine Defektmutanten von Matrilin-1, -2 und -3 erzeugt und generieren
zurzeit Matrilin-4 Mutanten. Überraschenderweise zeigen keine der Matrilin-Mutanten einen
offensichtlichen Phänotyp, was auf eine funktionelle Redundanz zwischen den Proteinen schließen lässt.
Unsere Hypothese wird durch die erst kürzlich erzielten Untersuchungen unterstützt, die eine zweifache
Hochregulation der Matrilin-4-Expression in Matrilin-1 und -3 Doppelmutanten zeigen. Um die Frage
der funktionellen Redundanz zu klären, werden derzeit in unserem Labor Mehrfachmutanten erzeugt.
Alternativ versuchen wir, die Funktion von Matrilinen unter besonderen zellulären Stress-Bedingungen
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zu untersuchen und werden dazu Wundheilungsassays, Heilung von Knochenfrakturen oder Analysen
von Geweben unter extremen mechanischen Belastungen untersuchen.
Abb. 6 : A. AP-2ε-Färbung an einem 12 Tage alten Mausembryo. AP-2ε wird sehr stark im späteren Riechkolben
der Maus gebildet (Pfeil).
B. Die Inaktivierung des AP-2δ-Gens in der Maus hat einen Verlust des hinteren Mittelhirns zur Folge (oben mit
einem Rechteck markiert). Längsschnitte durch das Gehirn von eineinhalb Monate alten normalen (oben) und
mutierten (unten) Mäusen.
Bild : Max-Planck-Institut für Biochemie / Moser
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