619_676_BIOsp_0608.qxd 660 24.09.2008 8:29 Uhr Seite 660 KA R R IE R E , KÖP FE & KON Z EPTE Wissenschaftsgeschichte 100 Jahre Nobelpreis Elie Metchnikoff und Paul Ehrlich STEFAN H. E. KAUFMANN MAX-PL ANCK-INSTITUT FÜR INFEKTIONSBIOLOGIE, BERLIN ó Auch im 21. Jahrhundert bleibt die Immunologie eine der herausragenden Wissenschaftsdisziplinen der Biologie an der Grenzfläche zwischen Grundlagenforschung und medizinischer Anwendung. Grund genug, daran zu erinnern, dass mit der Vergabe des Nobelpreises für Medizin an Elie Metchnikoff (1845–1916) und Paul Ehrlich (1854–1915) vor 100 Jahren die Geburtsstunde der Immunologie offiziell gewürdigt wurde[1]. Entscheidende Aufgabe des Immunsystems ist die Abwehr von Krankheitserregern. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, stützt sich die Immunantwort auf zwei Säulen: die angeborene und die erworbene Immunität. Die angeborene Immunität bekämpft Krankheitserreger direkt nach ihrem Eintritt in den Wirt. Sie nutzt dazu Rezeptoren mit einer Spezifität für mikrobielle Strukturen. Erst die erworbene Immunantwort bringt die Abwehr zu einem erfolgreichen Abschluss. Sie besitzt zwei einzigartige Eigenschaften: (1) Die Antwort ist für den eindringenden Erreger spezifisch. Um das riesige Repertoire von Millionen unterschiedlichen Strukturen zu erkennen, werden genetische Bausteine durch ein einzigartiges Rekombinationssystem miteinander verknüpft. (2) Die Antwort entwickelt ein „Gedächtnis“, sodass die Immunantwort auf Zweitkontakt schneller, stärker und effizienter ausfallen kann. Das Prinzip des spezifischen immunologischen Gedächtnisses stellt die Grundlage für den Erfolg der Impfung dar – bis heute eine der kosteneffizientesten Maßnahmen der Medizin. Es ist schon erstaunlich, wie genau all dies von den Begründern der Immunologie erkannt wurde. Metchnikoff beschrieb die Prinzipien der angeborenen und Ehrlich die der erworbenen Immunität. Beide Wissenschaftler entwickelten ihre Konzepte unabhängig voneinander, sodass sie erst einmal die Unvereinbarkeit der beiden Prinzipien in den Vordergrund stellten. Wir wissen heute, dass die beiden Konzepte nicht nur vereinbar sind, sondern erst gemeinsam die hohe Effizienz des Immunsystems bedingen: Das angeborene Immunsystem bietet die erste Abwehrfront und den Effektorarm der erworbenen Immunantwort. Die erworbene Immunität erhält vom angeborenen Immunsystem die Instruktionen zu ihrer Ausprägung. Schon Louis Pasteur (1822–1895) hatte endgültig mit der Idee der Spontanentwicklung des Lebens aufgeräumt und die biologische Natur der Fermentation aufgeklärt. Seine Schlussfolgerung, dass gärungsähnliche Vorgänge auch Wundentzündung und Eiter bedingen und dass durch Abschwächung von Erregern Impfstoffe entwickelt werden können, hatte die Tür zur Erforschung der Infektionskrankheiten aufgestoßen. Diese wissenschaftliche Disziplin wurde von Robert Koch (1843–1910) begründet, der die Prinzipien der medizinischen Mikrobiologie entschlüsselte. So konnte sich die medizinische Mikrobiologie von der Ansicht des Pathologen Rudolf Virchow (1821–1902) trennen, der annahm, dass sämtliche Krankheiten auf Fehlverhalten körpereigener Zellen zurückzuführen seien. Als Ehrlich und Metchnikoff ihre Untersuchungen in den beiden letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts durchführten, wurde die Forschung über Infektionskrankheiten von Mikrobenjägern dominiert, die neue Erreger identifizierten und den infizierten Wirt als wehrloses Opfer sahen. Ehrlich und Metchnikoff zeigten, dass unser Körper nicht wehrlos ist, sondern über ein Organ verfügt, das Krankheitserreger bekämpft – die Immunologie war geboren. Elie Metchnikoff war Zoologe, der sich mit der Nahrungsaufnahme bei niederen Organismen beschäftigte. Bereits 1866 zeigte er, dass partikuläre Nahrungsstoffe von spezialisierten Zellen aufgenommen werden. Aber erst Anfang der 80er-Jahre des 19. Jahrhunderts gelang ihm der Durchbruch: Er fand, dass spezialisierte mobile Zellen, die er Phagozyten nannte, Fremdkörper aufnahmen, und sah sofort die Bedeutung dieses Vorgangs für die Infektabwehr. Spezialisierte weiße Blutkörperchen – Makrophagen und Mikrophagen (heute als Granulozyten bezeichnet) – können in Entzündungsherde einwandern, wo sie Bakterien phagozytieren und abtöten. Später erweiterte Metchnikoff das PhagozyBIOspektrum | 06.08 | 14. Jahrgang 619_676_BIOsp_0608.qxd 24.09.2008 8:29 Uhr ten-Konzept, indem er zeigte, dass sich diese Zellen nicht nur gegen Eindringlinge richten, sondern auch gealterte Körperzellen wegräumen. Wie er rückblickend selbst feststellte, war damit sein Schritt vom Zoologen zum Pathologen vollzogen. Paul Ehrlich war Mediziner, der sein gesamtes Forscherleben lang das Prinzip verfolgte, dass zum Öffnen eines Schlosses der passende Schlüssel benötigt wird. Dies wird bereits in seiner Doktorarbeit von 1878 deutlich, in der er spezifische Färbemethoden für die unterschiedlichen GranulozytenTypen im Blut beschrieb: Basophile, Eosinophile und Neutrophile konnten nun differenziert werden. 1885 veröffentlichte er das zugrunde liegende Konzept im Kontext der Nahrungsaufnahme. Er spekulierte, dass kleine Moleküle, die für die Zelle lebenswichtig sind, durch spezifische Seitenketten selektiv aufgenommen werden. Zur Immunologie kam Ehrlich über die passive Immunisierung, die von Emil von Behring (1854–1917) eingeführt worden war. Er entwickelte Methoden zur Standardisierung von Antiseren gegen Diphtherie- und Tetanus-Toxine, die deren klinische Anwendung erst ermöglichten. Auf der Suche nach einer Erklärung für die spezifische Wirkung der Antiseren griff er auf das Konzept der Seitenketten zurück. Er postulierte, dass sich Toxine an bestimmte Seitenketten binden, die dadurch ihrer eigentlichen Aufgabe der spezifischen Nahrungsaufnahme nicht mehr gerecht werden können. Die Zelle produziert immer mehr Seitenketten, um diese Störung zu kompensieren. Schließlich kann die Zelle die Ketten nicht mehr tragen und entlässt sie in die Umgebung. Die löslichen Seitenketten sind die Antikörper, die die Toxine neutralisieren und damit die körpereigene Zelle vor weiteren Angriffen schützen. Damit waren die zwei Grundprinzipien der Immunität aufgeklärt. Die beiden Schulen – auf der einen Seite die Vertreter der unspezifischen Abwehr durch Zellen, auf der anderen Seite die Vertreter der spezifischen Abwehr durch Moleküle – hatten aber noch nicht zueinander gefunden. Ein erster Schritt war getan, als Ehrlich zeigte, dass das Komplement als unspezifisches molekulares Abwehrsystem durch spezifische Antikörper aktiviert wird. Anfang des 20. Jahrhunderts gelang Almroth Wright (1861– 1947) die Verbindung zwischen zellulärem angeborenem Immunsystem und erworbenem humoralem Immunsystem, indem er BIOspektrum | 06.08 | 14. Jahrgang Seite 661 zeigte, dass Antikörper die Keimaufnahme durch Phagozyten verstärken oder gar erst ermöglichen. Mit der Entdeckung der T-Lymphozyten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelang der Nachweis der Makrophagen-Aktivierung durch die zellulären Träger der erworbenen Immunität als letzter Schritt. Das Augenmerk der Immunologie lag während dieser Zeit auf der erworbenen Immunantwort – zuerst den Antikörpern und dann den T-Lymphozyten. Erst als gegen Ende des 20. Jahrhunderts TLR (Toll-Like Receptors) entdeckt wurden und damit die Erregererkennung durch Zellen des angeborenen Immunsystems molekular verstanden wurde, setzte die Renaissance der angeborenen Immunität ein. Zwei gleichberechtigte Partner waren entstanden, die nur gemeinsam der Vielfalt unterschiedlicher Erregerstrategien wirksam entgegentreten können. 100 Jahre nach der Vergabe des Nobelpreises an Metchnikoff und Ehrlich ist klar, dass die Immunität durch Reziprozität und nicht durch Dualismus geprägt wird. In Erinnerung an die Beiträge Ehrlichs und Metchnikoffs, die zur Gründung der Immunologie als eigenständige Disziplin führten, findet am 12. Dezember 2008 in der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter der Schirmherrschaft der Deutschen Akademie der Wissenschaften Leopoldina ein Festsymposium statt (www.100thanniversary2008.de), das von der European Federation of Immunological Societies – European Journal of Immunology, dem Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie und Sanofi-Pasteur gemeinsam getragen wird. ó Literatur [1] Kaufmann, S. H. (2008): Immunology’s foundation: the 100-year anniversary of the Nobel Prize to Paul Ehrlich and Elie Metchnikoff. Nat. Immunol. 9: 705–712. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan H. E. Kaufmann Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie Institut für Immunologie Charitéplatz 1 D-10117 Berlin Tel.: 030-28460-500/-502 Fax: 030-28460-501 [email protected]