Deutsches IngenieurBlatt 06/11: Nachhaltig gelungen

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Technik
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AN EINEN ZWEIGESCHOSSIGEN HOLZSTAPEL auf einem massiven, gemauerten Sockelpodest erinnert der Neubau des neuen Hauptsitzes der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) in Gülzow.
Nachhaltig gelungen
Ein Verwaltungsbau als Beispiel für das Bauen mit
nachwachsendenden Rohstoffen und für künftige
nachhaltige Baukultur im öffentlichen Raum
Nomen est omen: Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR), einer der
Projektträger des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), hat ihren neuen Verwaltungssitz als bundesweites Pilot-, Modell- und Vorbildprojekt für nachhaltiges und ökologisches Bauen auch
für das öffentliche Bauen konzipiert und dieser Tage seiner Bestimmung übergeben. Mit dem überwiegend aus nachwachsenden Rohstoffen gebauten Bürogebäude haben die FNR, der die Forschung, Entwicklung, Markteinführung und
Öffentlichkeitsarbeit für nachwachsende Rohstoffe obliegt, im öffentlichen Bauwesen all’ die Innovationen und jene effiziente Nutzung von Energie und Ressourcen realisiert, die derzeit sonst eher die privaten Bauherrn verwirklichen.
Iris Kopf
Seit über siebzig Jahren wird auf dem Landgut Gülzow, einem kleinen Ort in der Nähe
der Barlachstadt Güstrow, Pflanzenzüchtung
und Agrarforschung betrieben. Auf dem ehemaligen Gutsgelände hat noch heute die
Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft
und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern ihren Sitz. Seit 1994 befindet sich im Herrenhaus Gülzow auch die Geschäftsstelle der
1993 gegründeten Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR). Als die Bürokapazitäten für die wachsende Mitarbeiterzahl der
FNR nicht mehr ausreichten, wurde zusätzlicher Raum an anderen Standorten in der
Umgebung bereitgestellt, was jedoch ein
Problem für die Zusammenarbeit der FNRMitarbeiter war. Da die Sanierung und Umnutzung von historischer Bausubstanz am
Standort ebenfalls zu keiner Lösung führte,
fiel die Entscheidung für einen Neubau in direkter Nachbarschaft des Herrenhauses. Der
Betrieb für Bau und Liegenschaften des Landes Mecklenburg-Vorpommern (BBL M-V)
bereitete die Planung und Umsetzung des
Bauvorhabens vor. Mit finanzieller Hilfe des
Bundes und des Landes Mecklenburg-Vorpommern wurde der Neubau realisiert. Es
fanden sich in dem Bundesland mit unterdurchschnittlicher Holzbauquote auch kompetente Architekten, Fachplaner und Handwerker, die das Projekt gemeinsam umsetzen konnten.
Pilot-, Modell- und Vorbildprojekt
Die Aufgabenstellung für das beauftragte Architekturbüro matrix architektur, architekten BDA, Rostock, war der Entwurf eines
Bürogebäudes für 31 Mitarbeiter der FNR,
die an temporär eingerichteten Dienststellen
außerhalb Gülzows arbeiteten.
Das Gebäude sollte nicht nur in wesentlichen Teilen aus nachwachsenden Rohstoffen
bestehen, sondern in seiner Gestaltung erkennbar die Ziele und inhaltliche Arbeit der
FNR verkörpern. Es sollte außerdem ein Pilotprojekt des Landes Mecklenburg-Vorpommern werden mit dem Ziel, den Einsatz von
nachwachsenden Rohstoffen zu demonstrieren und die Wirtschaftlichkeit anhand eines
gebauten Beispieles zu überprüfen. Dazu
wurden parallel zur Entwurfsplanung eine
Lebenszyklusanalyse und eine Ökobilanzierung durchgeführt. Zur Berechnung wurde
das FNR-geförderte Software-Programm LEGEP (www.legep.de) verwendet. Das Programm erlaubt genaue Aussagen über die
Performance eines Gebäudes in energetischer und stofflicher Hinsicht sowie langfristige Prognosen der Betriebskosten.
Zusätzlich handelt es sich um ein Modellprojekt zur Umsetzung von NiedrigstenergieStandards im Verwaltungsbau des Landes.
Ziel ist es, den Nachweis der Wirtschaftlichkeit für Maßnahmen zu erbringen, die die
aktuellen Energiestandards der EnEV 2009
unterschreiten.
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DAS ERDGESCHOSS ist teilweise unterirdisch,
ebenerdig schließen sich im Norden Büro- und
Technikräume sowie das Treppenhaus an.
Auf dem Sockel in klassischer Massivbaukonstruktion aus Beton und Ziegeln ist ab
dem 1. Obergeschoss komplett in Holz gebaut, wobei unterschiedliche Konstruktionen eingesetzt wurden. Die Außenwände
und ein Teilbereich des Daches bestehen aus
einer Holzrahmenkonstruktion mit Zellulose- und Holzfaserdämmstoffen. Einige Innenwände, die Zwischendecke und die
Sheddächer sind als Massivholzkonstruktion
aus Brettstapelelementen gebaut, die in vielen Bereichen sichtbar geblieben sind. Auch
das Treppenhaus besteht über alle drei Geschosse komplett aus Massivholz. Dem
Brandschutz wird mit einer Innenverkleidung aus Gipskarton und einer REI-30-Unterhang-Decke genüge getan. Im Foyer wurden neben Holz ebenfalls massive Baustoffe
verwendet. Die zentral im Gebäude stehende, zwei Geschosse hohe Stampflehmwand
mit ihren mehrfarbigen Schichten und mit
Einschlüssen verschiedener Materialen bildet das zentrale Gestaltungselement im Atrium. Sie ist darüber hinaus durch ihre Masse
als thermisches Speicherelement ein wichtiger Bestandteil des Energiekonzeptes. Eine
in die Wand eingelegte Bauteilaktivierung
unterstützt diese Funktion. Lehmbaustoffe
zählen zu den mineralischen Naturbaustoffen, deshalb ergänzen sich Lehm und Holz
bei historischen wie bei modernen Bauweisen sehr gut – hier jedoch nicht in einer Verbundkonstruktion, sondern als funktional
eingebundenes massives Wandelement.
Auch die Klinkerpflasterung des Foyers ist
matrix architektur
Die Grundidee des Neubaus verkörpert einen zweigeschossigen Holzstapel auf einem
massiven, gemauerten Sockelpodest. Der
Entwurfsansatz setzt das Material Holz aber
nicht nur konstruktiv ein, sondern auch als
Ausgangspunkt der Gestaltung und führt zur
Übereinstimmung von innerer und äußerer
Wahrnehmung. Die Fassade besteht komplett aus recyceltem Eichenholz. Um die Idee
des Langholz-Stapels zu unterstützen, ist sie
nur an Nord- und Südfassade glatt besäumt,
Ost- und Westfassade haben dagegen eine
lebhaft profilierte Struktur. In die horizontal
gegliederte Fassade sind vertikale Lochfenster eingeschnitten, deren Leibungen in Anlehnung an die farbigen Holzfenster der bestehenden Gebäude des alten Gutes mit grün
gefärbtem Glas eingefasst sind. Auch der
massive Sockel nimmt mit der rotbunten
Klinkerfassade Bezug auf die historischen
Bauten der Umgebung.
Der Neubau hat eine fast quadratische
Grundfläche von 17 x 16,5 Metern und ist
zehn Meter hoch. Er ist vom „Alten Institut“
in der Nachbarschaft abgerückt und bildet
als einladende Geste für den Haupteingang
vor seiner Südfassade eine kleine Platzsituation.
Das Sockelgeschoss nutzt die Hanglage
des Geländes und ist zur Hälfte eingegraben.
Damit fügt sich der Bau in Baukörperhöhe
und Geschossigkeit in die bestehende Umgebungs-Bebauung ein. In dem teilweise unterirdischen fensterlosen Erdgeschoss befinden
sich ein großer Archivraum mit Rollregalen
als Zentralarchiv für die FNR sowie ein Lagerraum. Ebenerdig mit dem Außengelände
schließen sich an der Nordseite Büro- und
Technikräume sowie das Treppenhaus an.
Südlich vorgelagert liegt unterirdisch unter
dem Eingangsvorplatz eine Zisterne mit 196
Kubikmetern Löschwasserreserve für die gesamte Liegenschaft. Sie dient gleichzeitig als
Pufferspeicher innerhalb des Energiekonzeptes. Aufgrund vieler erdberührender Bauteile
wurde das Erd- beziehungsweise Sockelgeschoss in Massivbauweise ausgeführt.
Der Hauptzugang zum Gebäude befindet
sich an der Südseite im 1. Obergeschoss und
führt in ein atriumartiges Foyer, das über eine
zweigeschossige Holz-Glasfassade in der südlichen Außenwand und über drei Lichtbänder
in den Sheddächern belichtet wird. Vom Foyer aus gelangt man in einen großen Besprechungsraum, der auch für öffentliche Veranstaltungen genutzt werden kann, sowie in
Einzelbüros. Die Büro- und Besprechungsräume im 1. Obergeschoss können rollstuhlgerecht erreicht werden. Im 2. Obergeschoss befindet sich neben Einzelbüros ein Großraumbüro für Projektgruppen, das über eine Galerie mit dem Foyer räumlich verbunden ist.
Das Foyer kombiniert beide Obergeschosse
zu einer durchgehenden Nutzungseinheit. Die
vertikale Erschließung ermöglicht ein Treppenhaus auf der Gebäudenordseite. In Abstimmung zwischen Bauherren und Nutzer
wurde auf einen Aufzug verzichtet.
matrix architektur
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Entwurf und Raumprogramm
mit Corporate Identity
Baukonstruktion und Baustoffe
aus nachwachsenden Rohstoffen
Technik
BEI DER EINWEIHUNG des neuen Bürogebäudes in Gülzow zerschnitten (v.l.n.r.) der
Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrates, Georg Schirmbeck, der Minister für
Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz von Mecklenburg-Vorpommern, Dr.
Till Backhaus, die Bundesministerin für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner, und der Vorsitzende des Vorstandes der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe, Dr. Jörg Rothermel,
das grüne Band und eröffneten damit das
neue, durch und durch „grüne“ Bürogebäude aus nachwachsenden Rohstoffen –
und empfahlen es zur Nachahmung.
IM 1. OBERGESCHOSS befindet sich – an der
Südseite – der Hauptzugang zum Gebäude. Er
führt in ein atriumartiges Foyer, das über eine
zweigeschossige Holz-Glasfassade in der südlichen Außenwand und über drei Lichtbänder in
den Sheddächern belichtet wird.
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IM LÄNGSSCHNITT ist das Sockelgeschoss mit Archiv und Zisterne deutlich zu erkennen, das in massiver Bauweise (Ziegel, Beton) ausgeführt wurde.
LÄNGSSCHNITT AUSSENWAND:
1. Dachaufbau: einlagige Kunststoffbahn mit PV-Einlagen, einlagige Bitumenbahn, 30 mm EPS Dämmung unter PV-Modulen, 24 mm Sparschalung, 0-220 mm Gefällekeilung, Holzbalken 0-220/60 mm
mit Zellulosedämmung WLG 040, 240/60 mm Holzbalkendecke mit Zellulosedämmung WLG 040,
feuchtadaptive Dampfsperre sd > 100, 18 mm OSB/4
20. Wandaufbau Außenwand, Holzbau (West/Ost): bis 160 mm Eichholzfas sade, Insektengitter, 40 /80
mm Lattu ng als Element mit Ei chen holz, Wi ndfolie, 6 0 mm Holz weichfa serpla tte, Stöße win ddicht
verklebt, WLG 045, 240 mm Holzrahmenbauwand mit 80/240 mm Holzstützen mit Zellulosedämmung,
WLG 040, 15 mm OSB/4 (Dampfsperre), 12,5 mm Gipskartonplatte
25. Wandaufbau Außenwand, Mauerwerk: 115 mm Verblendklinker, 40 mm Luftschicht, 160 mm Holzweichfaserdämmung/EPS Dämmung WLG 035, 175 mm Poroton, 10 mm Lehmputz
41. Trespa-Platte 10 mm auf Holz UK
42. Elektrokanal 67/210 mm
60. Deckenaufbau 2. Obergeschoss: 10 mm Teppich, 70 mm Zementestrich mit Fußbodenheizung, PEFolie, 80 mm Holzweichfaserplatte, 200 mm Brettstapeldecke gemäß Statik
61. Deckenaufbau 1. Obergeschoss: 10 mm Teppich, 70 mm Zementestrich mit Fußbodenheizung, PEFolie, 80 mm Holzweichfaserplatte WLG 040, 200 mm Filigranstahlbetondecke
64. Decken aufbau Erdgeschoss : 10 mm Bodenbelag, 70 mm Estrich mit Fußbodenheizung, PE-Folie,
80 mm Holzweichfaserplatte, einlagige Bitumenabdichtung, 250 mm Stahlbetonsohlplatte, 160 mm
druckfeste Perimeterdämmung, XPS WLG 035, Bettungspolster gemäß Bodengutachten und Statik
69. Holzakustikdecke
76. Fußleiste, Eichenholz: 60 x 20 mm
91. Eichenholzfenster: dreifach Isolierverglasung, UW-Wert 1,1 W/(m2K)
92. Eichenholzfenster Festverglasung: dreifach Isolierverglasung UW-Wert 1,1 W/(m2K)
93. Glasleibung: grün, 10 mm ESG mit UK und Glashalter
100. Fensterbrett: MDF anthrazit, 20 mm
102. Raffstore mit Flachlamellen: 60 mm
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IM QUERSCHNITT wird die kompakte Gebäudekubatur deutlich. Die gestaltete Stampflehmwand an
der Rückseite des Atriums dient auch der Wärmespeicherung.
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GESTALTUNGSELEMENT und Wärmespeicher: die zweigeschossige
Stampflehmwand im Atrium
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SICHTBARE HOLZKONSTRUKTIONEN im Atrium – Blick durch den
Haupteingang in Richtung Süden
IN DEN BÜRORÄUMEN finden sich zahlreiche nachwachsende Rohstoffe:
Fenster und Türrahmen aus Eichenholz • Akustikdecken aus Holz, lasiert
mit Naturöllasur (silbergrau) • Büro-Innenwände in Holzbauweise, in den
Fluren teilweise mit Filzoberfläche • Naturhaarteppiche (stuhlrollengeeignet) • Möbel und Fensterbänke aus modernen Holzwerkstoffen (MDF,
durchgefärbt)
nicht nur gestaltendes Element, sondern
dient der Wärmespeicherung.
Die imposante Fassade besteht vollständig
aus recyceltem Eichenholz. Die Balken waren
bereits für viele Jahrzehnte – wenn nicht sogar
Jahrhunderte – Bestandteile von Gebäuden. Sie
wurden aufgesägt, auf einer Unterkonstruktion
aus Latten zu vorgefertigten Elementen zusammengefügt und an der Fassade montiert. Die
Fassadenkonstruktion verdeutlicht hervorragend den Kreislaufgedanken beim Einsatz von
nachwachsenden Rohstoffen.
Die Eichenholzfassade wurde in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Klaus Dreiner von
der HNE Hochschule für nachhaltige Entwicklung (FH) Eberswalde entwickelt. Um
die Umsetzung dieser Experimentalfassade
zu überprüfen und die Konstruktion zu optimieren, wurde ein 1:1-Modell einer Fassadenecke erstellt. Es stellt den Konstruktionsaufbau von Wänden und Decke vollständig
dar und kann auch weiter als Demonstrationsmodell benutzt werden. Auf Empfehlung
der HNE Eberswalde konnte bei den gewähl-
ten Querschnitten von 10/4 bis 14/16 Zentimeter auf chemischen Holzschutz vollständig verzichtet werden. Auf den sonst üblichen konstruktiven Holzschutz durch geneigte Ablaufflächen wurde hier aufgrund
der Lebenszyklusbetrachtung ebenfalls verzichtet. Die gesamte Konstruktion ist luftumfächert. Auf der Oberseite der Attika sind
die Hölzer durch ein Blech abgedeckt. Elemente im Spritzwasserbereich sind so ausgeführt und montiert, dass einzelne „Opferhölzer“ bei Bedarf ausgetauscht werden können.
Das Konzept Niedrigstenergiegebäude geht auf
Entsprechend den Vorgaben des Bauherrn
sollte der Neubau ein Niedrigstenergiegebäude sein, das heißt, die Unterschreitung der
EnEV 2009 um etwa dreißig Prozent. Durch
das sehr gute Messergebnis zur Gebäudedichtheit nach den Blower-Door-Tests und
mit Anrechnung des selbst erzeugten PVStroms wird die EnEV 2009 sogar um fünfzig
Prozent unterschritten. Das Gebäude wird
gemäß Energieausweis des Ingenieurbüros
Ewers (Rostock) einen Primärenergiebedarf
für die Heizung von 26 kWh/(m2a) erreichen.
Der Gesamtprimärenergiebedarf wird mit 56
kWh/(m2a) angegeben. In der Planungsphase
wurden dafür Mehrinvestitionskosten von
zwölf Prozent gegenüber einem konventionellen Gebäude errechnet.
Um diesen Energiestandard zu erreichen,
war eine hochwärmegedämmte Gebäudehülle notwendig, die sich an den Bauteilanforderungen des Passivhausstandards orientiert. Lediglich die Fenster unterschreiten
diese Anforderungen, da hier aus Kostengründen auf gedämmte Rahmen verzichtet
wurde. Mit den verwendeten Dreifachscheiben erreichen die Fenster insgesamt einen
Uw-Wert von 1,1 W/(m2K). Die Blower-DoorTests ergaben eine gemessene Luftwechselrate von n50 = 0,29 l/h.
Zweiter wichtiger Punkt des Energiekonzeptes ist die aktive und passive Nutzung der
Sonnenenergie. In den Übergangsmonaten
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im Frühjahr und Herbst funktioniert das
Foyer als Sonnenfalle. Die über die verglaste
Südfassade einstrahlende Sonnenenergie
wird in den massiven Bauteilen des Fußbodens und der Stampflehmwand gespeichert
und zeitversetzt wieder abgegeben. Um eine
Überhitzung zu vermeiden, sieht die Planung
an der Südfassade einen festen Sonnenschutz mit Photovoltaikelementen vor. Er
wurde aus Kostengründen zurückgestellt
und soll bei Bedarf nachgerüstet werden.
Dritter Punkt des Energiekonzeptes ist die
Wärmespeicherung in der 196 Kubikmeter großen Löschwasserzisterne. Dahin wird nicht
Objektdaten
Projekt: Neubau des Hauptsitzes der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR), OT
Gülzow, Hofplatz 1, 18276 Gülzow-Prüzen
Bauherr/Auftraggeber: Betrieb für Bau- und
Liegenschaften
Mecklenburg-Vorpommern,
Neubrandenburg
Nutzer: Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe
e.V. (FNR)
Planer:
Architekten: matrix architektur Rostock
Statik: Ingenieurbüro für Tragwerksplanung
Back, Lübeck
HLS: Plantec Ingenieurgesellschaft mbH,
Elmenhorst
Elektro: IHS mbH, Rostock
Bauphysik: IBE, Rettin
Beratende/prüfende Institutionen:
Beratung Holzfassade: HNE Eberswalde/
Fachbereich Holztechnik, Eberswalde
Vermesser: Wagner/Weinke, Güstrow
SiGeKo: Betrieb für Bau und Liegenschaften
M-V Neubrandenburg
Brandschutz Prüfer: Dr.-Ing. Frank Riesner,
Wismar
Gebäudedaten:
Büroarbeitsplätze: 31
Bruttogrundfläche: 923 m2
Nettogrundfläche: 732 m2
Bruttorauminhalt: 3.256 m2
Hauptnutzfläche: 533 m2
Bürofläche: 357 m2
Archiv und Technik: 179 m2
Atrium, Flure, Treppenhaus: 195 m2
Energiedaten:
Heizenergiebedarf: 15,9 kWh/(m2a)
Nutzenergie Heizung: 34,6 kWh/(m2a)
Gesamtenergiebedarf: 56 kWh/(m2a)
(Vergleichswert EnEV 2009: 112 kWh/(m2a)
CO2-Emission: 14 kg/(m2a)
U-Wert Außenwand: 0,15 W/(m2K)
Baukosten:
KG 300 + 400 Gesamtbaukosten: 1.584.622 €
KG 300 + 400 Mehrkosten für nachwachsende
Rohstoffe: 62.502 €(4,10 %)
Bauzeit: 6.4.2010 bis 10.05.2011
nur die überschüssige Wärme aus den Räumen
im Sommer, sondern vor allem auch die Abwärme des Servers abgeleitet. Hier fallen in der
Spitzenlast bis vier Kilowattstunden Wärmeleistung an. Diese Energie wird mittels eines speziellen Serverschrankes direkt an der Entstehungsstelle abgenommen und dann über Wasserleitungen und einen Wärmetauscher in die
Zisterne eingebracht. Der Temperaturbereich
des Wassers in der Zisterne bewegt sich zwischen null und zwanzig Grad Celsius.
Beheizt wird das Gebäude mit einer Wasser/Wasser-Wärmepumpe, die die Energie aus
der Löschwasserzisterne bezieht. Für die Leistungsspitzen bei Heizung und Kühlung stehen zusätzlich oberflächennahe geothermische Kompaktsonden zur Verfügung. Die Verteilung der Energie im Haus erfolgt über ein
Rohrsystem, das sowohl in den Estrichen –
vergleichbar einer konventionellen Fußbodenheizung – als auch in den massiven Speicherbauteilen des Foyers eingebaut ist (Lehmwand und Fußboden mit Klinkerpflaster).
Ein wichtiger Baustein des Gebäude-Energiekonzepts ist die kontrollierte Lüftung mit
Wärmerückgewinnung. Die Lüftungsanlage
versorgt alle Büros im Bereich der Fassade
mit Frischluft. Dadurch kann in der Heizperiode auf die Fensterlüftung verzichtet werden,
was die Lüftungswärmeverluste verringert.
Die Abluft wird oberhalb des Atriums und in
den Nebenräumen abgezogen und über einen
Wärmetauscher für die Frischluft bereitgestellt. Die Frischluft wird über einen Erdwärmetauscher unterhalb des Gebäudes angesaugt, der die Luft vorkonditioniert und im
Winter erwärmt sowie im Sommer abkühlt.
Die aktive Nutzung solarer Energien
durch Photovoltaik ergänzt das Konzept. Eine Kunststoffdachabdichtung mit integrierten Photovoltaikzellen erreicht einen Ertrag
von ca. 2.483 kWh/a. Auf den Sheddachflächen wurde die Wirtschaftlichkeit einer Photovoltaikanlage ebenfalls nachgewiesen, sie
ließ sich jedoch aus Kostengründen vorerst
nicht realisieren. Um eine Nachrüstung zu
ermöglichen, ist die Anschlussinstallation
vorgesehen. Im Falle der Nachrüstung von
Photovoltaikmodulen auf den Sheds könnte
aus dem FNR-Bürogebäude ein klimaneutrales Gebäude werden, wie von der Bundesregierung bis 2050 gewünscht.
Nachhaltigkeit und Komfort gibt
es nicht zum Nulltarif
Für die Gesamtkosten der Baumaßnahme
stand unter Berücksichtigung des Einsatzes
nachwachsender Rohstoffe und eines Energiestandards unter EnEV 2009 ein Kosten-
Beispiele für Baukonstruktionen aus nachwachsenden Baustoffen
Im neuen Bürogebäude der Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe (FNR) in Gülzow sind einige
Materialien und Konstruktionen gewählt worden, die beispielgebend für das nachhaltige Bauen der
Zukunft sein können. Hier einige Beispiele dafür, was sich in Gülzow die Architekten und Ingenieure
haben einfallen lassen:
Außenwand:
1. und 2. Obergeschoss: Holzrahmenbau mit Dämmstoffen aus Zellulose- und Holzfaserdämmstoffen
Erdgeschoss: Ziegelmauerwerk mit Holzfaserdämmstoff (im nicht erdberührten Bereich)
Fassade:
1. und 2. Obergeschoss: Eichenaltholz
Erdgeschoss (Sockelgeschoss): Klinkerfassade
Decken:
1. und 2. Obergeschoss: Ziegenhaarteppich (stuhlrollengeeignet), Zementestrich, Holzfaserdämmung (Schallschutz), Brettstapeldecke, Holzakustikdecken quer zur Raumrichtung, Stromschienen zur
individuellen Beleuchtung mit Möglichkeit der Nachrüstung, Langfeldbeleuchtung wie Möblierung
Büroräume:
Fenster und Türrahmen aus Eichenholz
Akustikdecken aus Holz, lasiert mit Naturöllasur (silbergrau)
Büro-Innenwände in Holzbauweise, in den Fluren teilweise mit Filzoberfläche
Naturhaarteppiche (stuhlrollengeeignet)
Möbel und Fensterbänke aus modernen Holzwerkstoffen (MDF, durchgefärbt)
Glastüren
Treppenhaus:
Trittstufen (schwebende Blockstufen) und Podeste aus geölter Eiche
Treppenhauswände in massiver Holzbauweise, teilweise sichtbar, teilweise mit Gipskarton verkleidet, teilweise mit Lehmputz/Wandheizung
Fenster-/Leibungsrahmen aus Eiche
runde Handläufe aus Eiche
obere Brüstung aus Glas mit Eichenhandlauf
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schutzes gegenüber herkömmlichen Dämmmaterialien und somit einen Komfortgewinn
und geringere Kühllasten für das Gebäude in
der Sommerzeit. Die für den Energiestandard erforderliche Lüftungsanlage verbessert
zudem die Luftqualität erheblich und ermöglicht auch in kleinen Büros eine ausreichende Frischluftzufuhr.
Insgesamt belaufen sich die Mehrkosten
für den niedrigeren Energiestandard auf circa zwölf Prozent, wobei die Investitionen in
die Haustechnik einen Anteil von etwa sieben Prozent ausmachen.
Alle Maßnahmen zusammen ergeben wesentlich geringere Betriebskosten in der Nutzung des Gebäudes. Die Wirtschaftlichkeit
beruht stets auf den Annahmen zur Energiepreisentwicklung.
Bauzeit zwölf Monate – mit
Bauelementen aus
nachwachsendenden Rohstoffen
Dank des hohen Grades an Vorfertigung
konnte das gesamte Gebäude innerhalb von
zwölf Monaten errichtet werden. Der Rohbau der beiden Obergeschosse dauerte nur
wenige Tage. Neben kurzen Montagezeiten
durch die Verwendung von Fertigteilen
wirkte sich vor allem die deutliche Reduzie-
rung der Baufeuchte positiv auf die Bauzeit
aus. Und wenn dann auch noch das Zusammenspiel zwischen allen Baubeteiligten
stimmt wie in diesem Fall, kann auch ein
solches öffentliches Modellvorhaben in der
vorgesehenen Bauzeit realisiert werden.
Am 10. Mai war es dann soweit: Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Dr. Till
Backhaus, Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes
Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Jörg Rothermel, Vorstandsvorsitzender der Fachagentur
Nachwachsende Rohstoffe (FNR), und Georg
Schirmbeck, Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrates DFWR, zerschnitten gemeinsam ein grünes Band und eröffneten damit das neue, durch und durch „grüne“ FNRBürogebäude aus nachwachsenden Rohstoffen – und empfahlen es zur Nachahmung in
den anderen Bundesländern.
Technik
rahmen von zwei Millionen Euro zur Verfügung. Die Mittel wurden zu einem Viertel
vom Eigentümer der Liegenschaft, dem Land
Mecklenburg-Vorpommern, und zu drei
Vierteln vom Bund aus Mitteln des Konjunkturpaketes II zur Verfügung gestellt.
Bereits in der Planungsphase war es wichtig, zu klären, wie hoch die Kosten für den
verstärkten Einsatz von Baustoffen aus nachwachsenden Rohstoffen auch im Ausbau des
Gebäudes sein würden, damit die Gesamtbaukosten nicht aus dem Ruder laufen. Ohne
Berücksichtigung der Hüllkonstruktion, die
bei den Kosten des Energiestandards berücksichtigt wurden, ergaben sich Mehrkosten
von ca. vier Prozent. Dem gegenüber steht
ein Mehrwert in Bezug auf ein verbessertes
Raumklima, niedrigere Instandhaltungskosten und Vorteile bei den späteren Entsorgungskosten im Lebenszyklus der Bauteile.
Die Mehrkosten für den besseren Energiestandard setzen sich zusammen aus den
Mehrkosten für
die Baukonstruktion, vor allem die besser
gedämmte Hüllkonstruktion, und für
zusätzliche Maßnahmen und Investitionen
in die Haustechnik.
Eine mit nachwachsenden Rohstoffen gedämmte Hüllkonstruktion bedeutet eine
Verbesserung des sommerlichen Wärme-
www.fnr.de
www.nachwachsende-rohstoffe.de
Literatur
Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR):
Neubau Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) – Eine Dokumentation zum Bauen mit
nachwachsenden Rohstoffen im öffentlichen
Bereich, FNR 2011
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