69 REPORTAGE FNR-Neubau Ein Musterbeispiel für nachhaltiges öffentliches Bauen Text: Ragnar Vogt Fotos: FNR/Michael Nast und Dörthe Hagenguth Das Gebäude fällt auf, kaum dass man von der Hauptstraße abgebogen ist. Es ist ein quergestreifter braungrauer Quader. Die Fensterrahmen ragen aus der Fassade heraus, sie bestehen aus grellgrünem Glas. Das alte Herrenhaus gegenüber mit seiner gefälligen Klinkerfassade und dem mächtigen Ziegeldach hebt den Kontrast noch hervor: Der Neubau der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) will so gar nicht den Sehgewohnheiten hier entsprechen. So ein Haus könnte es vielleicht in einem avantgardistischen Viertel einer Großstadt geben, aber es steht mitten in dem mecklenburgischen Dorf Gülzow – drumherum Ställe, Fachwerkhäuser und Felder. Nachwachsende Rohstoffe I Stoffliche Nutzung 69 REPORTAGE Foyer im Erdgeschoss und Galerie im ersten Stock des Neubaus »Wir haben uns bewusst für einen Gegenpol zur vorhandenen Architektur entschieden«, sagt FNR-Geschäftsführer Andreas Schütte. »Wenn man Besuchern das Gebäude zeigt, dann gibt es nur zwei Reaktionen: Die überwiegende Mehrheit findet es rundherum toll – und dann gibt es ganz wenige, die zwar die Innenräume mögen, denen aber die Fassade gar nicht gefällt.« Dass die Erscheinung des Hauses polarisiert, überrascht nicht, denn sie ist außergewöhnlich. Auffällig sind beim näheren Hinsehen die grauen, beigen und braunen Holzbalken der Außenwände. Es sieht ein wenig unordentlich aus, wie sie angebracht sind, manche hängen tiefer, andere stehen etwas vor. »Das Gebäude soll an einen Holzstapel erinnern«, beschreibt der Rostocker Architekt Christian Blauel die Grundidee für seinen Entwurf. »Solche Langholzstapel sieht man hier häufig in den Sägewerken der Umgebung.« Ungewöhnlich ist nicht nur das Aussehen, auch die Herkunft des Baumaterials weicht ab von den gängigen Mustern. Denn sämtliche Eichenholzbalken haben eine eigene Geschichte: Bevor sie den FNR-Neubau zierten, hatten sie ein Vorleben in anderen Gebäuden der Umgebung. Damit entspricht die Fassade des Neubaus gleich doppelt dem Nachhaltigkeitsleitbild der FNR: Zum einen ist sie aus Holz und damit aus einem nachwachsenden Rohstoff, zum anderen besteht sie aus recyceltem Material, ist also Teil der Kreislaufwirtschaft. »Inzwischen ist der FNR-Neubau zu einem Musterbeispiel für nachhaltiges öffentliches Bauen geworden«, sagt Geschäftsführer Andreas Schütte mit Stolz in der Stimme. »Mitarbeiter von Bundes- und Landesministerien und -behörden kommen hierher, um das Gebäude zu studieren.« »Oh, hier möchte ich gerne arbeiten« Im Foyer springt einem eine Wand ins Auge. Wie ein Sandbild ist sie geschichtet, mit roten, grauen, beigen Streifen; kleine Kieselsteine ragen heraus. »Das ist die Stampflehmwand«, sagt der Architekt Christian Blauel zu einer Gruppe Menschen. Die Besucher sind vom Fach: Sie bilden eine Delegation vom Dachverband Lehm, einer Vereinigung von Lehmbauern. Die Wand ist das zentrale Gestaltungselement, sie macht das ohnehin schon sehr überraschend erscheinende FNRGebäude zu etwas Außergewöhnlichem. Sie ist zudem Teil eines ausgeklügelten Heizungs- und Lüftungssystems. Die Lehmwand soll die Hitze des Sommers 70 mildern und im Winter Wärme spenden, zudem kann sie je nach Bedarf Feuchtigkeit aufnehmen oder abgeben. »Oh, hier möchte ich gerne arbeiten«, sagt eine der Besucherinnen. Tatsächlich herrscht ein ganz angenehmes Raumklima, nicht so trocken wie sonst in Büros und auch nicht so künstlich wie Klimaanlagenluft. »Ja, das höre ich oft, dass die Luft hier so gut ist, nicht nur von den Besuchern, sondern auch von den Menschen, die hier täglich arbeiten«, sagt Christian Blauel. »Das ist schön, wenn man mitbekommt, dass die Menschen emotional anspringen auf das, was man gebaut hat.« Auch Geschäftsführer Schütte ist zufrieden mit dem Ergebnis seines Bauvorhabens, er kommt gerne die paar Meter von seinem Büro im Altbau hergelaufen, um seine Mitarbeiter im Neubau zu treffen. Doch so sehr er sich über das angenehme Raumklima freut, wichtig ist ihm vor allem, dass das Gebäude ein Vorzeigeprojekt für seine Mission ist. »Wir müssen mit unseren Ideen vom nachhaltigen Bauen an die Schreibtische der zuständigen Behördenmitarbeiter kommen«, sagt er. Der FNR-Neubau leistet dabei schon jetzt gute Dienste. Architekt Christian Blauel mit Besuchern vor dem Neubau, im Hintergrund das Hauptgebäude der FNR Überzeugender Entwurf erst im zweiten Anlauf Beinahe hätte es diesen herausragenden Musterbau nicht gegeben. Seit ihrer Gründung im Jahr 1993 hatte die FNR ihren Sitz in dem Herrenhaus gegenüber mit der Klinkerfassade. Doch mit der Zeit beschäftigte die Agentur immer mehr Personal und brauchte mehr Räume – ein Neubau musste her. Die Anträge waren schnell bewilligt und die Baubehörde des Landes Mecklenburg-Vorpommern begann mit der Planung. »Als ich die Entwürfe sah, wusste ich gleich: Nein, das ist nicht mein Gebäude«, erinnert sich Andreas Schütte in seinem großen repräsentativen Büro im Herrenhaus. Was die Landesbehörde geplant hatte, war ein Standardbau mit einer Fassade aus Faserzementplatten. »Wir von der FNR engagieren uns dafür, dass im Bauwesen viel mehr nachwachsende Rohstoffe eingesetzt werden«, sagt Schütte. »Und nun sollten wir selbst einen Neubau bekommen, der ganz konventionell aus Stein und Beton besteht. Aber wir können doch nicht Nachhaltigkeit predigen und das Gegenteil repräsentieren!« Also setzte Andreas Schütte all seine Überzeugungskraft ein, um die Baubehörde von ihrem Entwurf abzubringen. Mit Erfolg: Die Planung für den FNR-Neubau wurde neu vergeben, diesmal mit der expliziten Anforderung, vorrangig nachwachsende Rohstoffe zu verwenden. So kam Christian Blauel ins Spiel. Der Rostocker Architekt ist mit seinem Büro »matrix architektur« spezialisiert auf nachhaltiges Bauen. »Das war ein sehr schönes Projekt«, erinnert er sich. »Sonst muss man beispielsweise bei öffentlichen Bauten dafür kämpfen, dass in Kindergärten kein PVC verlegt wird. Mit der FNR dagegen haben wir auf einer ganz anderen Ebene diskutiert, weil die Nachhaltigkeit ganz selbstverständlich vorausgesetzt wurde.« So konnten auch neue Ansätze ausprobiert werden – wie etwa die Konstruktion der Fassade mit den vorgehängten Eichenholzbalken. Dafür wurde sogar die Wissenschaft herangezogen: Forscher und Studenten der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde testeten in Eins-zu-einsModellen die beste und langlebigste Bauweise für die Außenwände. Wenn man das Gebäude betritt, dann umfängt einen der Geruch von frisch bearbeitetem Holz. Und der Eindruck trügt nicht: Nicht nur die Außenfassade ist aus Holz, auch beim Innenausbau wurde vor allem dieser nachwachsende Rohstoff verwendet. Selbst die Stufen im Treppenhaus bestehen aus massivem Eichenholz. »Das geht vom Brandschutz in Ordnung?«, fragt eine Besucherin überrascht den Architekten. »Ja, mit einem schlüssigen Brandschutzkonzept haben wir die Genehmigung problemlos bekommen.« Auf Nachhaltigkeit wurde nicht nur bei den sichtbaren Teilen gesetzt. Das wird deutlich, als Christian Blauel ein Modell der Außenfassade zeigt: »Schauen Sie, hier wird beim herkömmlichen Bauen Glaswolle verwendet. Wir haben stattdessen die Hohlräume mit Zellulosedämmstoffen gefüllt.« Ein dunkelgrüner Teppich bedeckt den Boden im zweiten Stock. Es ist nicht irgendeine herkömmliche Auslegware, das macht der Architekt deutlich, als er sich hinkniet und mit der Hand über die Fasern streicht: »Der ist aus reinem Ziegenhaar.« Nachwachsende Rohstoffe I Stoffliche Nutzung 71