Ein Musterbeispiel für

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REPORTAGE
FNR-Neubau
Ein Musterbeispiel für
nachhaltiges öffentliches Bauen
Text: Ragnar Vogt
Fotos: FNR/Michael Nast und Dörthe Hagenguth
Das Gebäude fällt auf, kaum dass man von der Hauptstraße abgebogen
ist. Es ist ein quergestreifter braungrauer Quader. Die Fensterrahmen
ragen aus der Fassade heraus, sie bestehen aus grellgrünem Glas. Das
alte Herrenhaus gegenüber mit seiner gefälligen Klinkerfassade und dem
mächtigen Ziegeldach hebt den Kontrast noch hervor: Der Neubau der
Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) will so gar nicht den
Sehgewohnheiten hier entsprechen. So ein Haus könnte es vielleicht in
einem avantgardistischen Viertel einer Großstadt geben, aber es steht
mitten in dem mecklenburgischen Dorf Gülzow – drumherum Ställe, Fachwerkhäuser und Felder.
Nachwachsende Rohstoffe I Stoffliche Nutzung
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REPORTAGE
Foyer im Erdgeschoss
und Galerie im ersten
Stock des Neubaus
»Wir haben uns bewusst für einen Gegenpol zur vorhandenen Architektur
entschieden«, sagt FNR-Geschäftsführer
Andreas Schütte. »Wenn man Besuchern
das Gebäude zeigt, dann gibt es nur zwei
Reaktionen: Die überwiegende Mehrheit
findet es rundherum toll – und dann gibt
es ganz wenige, die zwar die Innenräume
mögen, denen aber die Fassade gar nicht
gefällt.« Dass die Erscheinung des Hauses polarisiert, überrascht nicht, denn
sie ist außergewöhnlich. Auffällig sind
beim näheren Hinsehen die grauen, beigen und braunen Holzbalken der Außenwände. Es sieht ein wenig unordentlich
aus, wie sie angebracht sind, manche
hängen tiefer, andere stehen etwas vor.
»Das Gebäude soll an einen Holzstapel
erinnern«, beschreibt der Rostocker Architekt Christian Blauel die Grundidee für
seinen Entwurf. »Solche Langholzstapel
sieht man hier häufig in den Sägewerken
der Umgebung.«
Ungewöhnlich ist nicht nur das Aussehen,
auch die Herkunft des Baumaterials
weicht ab von den gängigen Mustern.
Denn sämtliche Eichenholzbalken haben eine eigene Geschichte: Bevor sie
den FNR-Neubau zierten, hatten sie ein
Vorleben in anderen Gebäuden der Umgebung. Damit entspricht die Fassade des
Neubaus gleich doppelt dem Nachhaltigkeitsleitbild der FNR: Zum einen ist sie
aus Holz und damit aus einem nachwachsenden Rohstoff, zum anderen besteht sie
aus recyceltem Material, ist also Teil der
Kreislaufwirtschaft. »Inzwischen ist der
FNR-Neubau zu einem Musterbeispiel
für nachhaltiges öffentliches Bauen geworden«, sagt Geschäftsführer Andreas
Schütte mit Stolz in der Stimme. »Mitarbeiter von Bundes- und Landesministerien
und -behörden kommen hierher, um das
Gebäude zu studieren.«
»Oh, hier möchte ich gerne arbeiten«
Im Foyer springt einem eine Wand ins
Auge. Wie ein Sandbild ist sie geschichtet,
mit roten, grauen, beigen Streifen; kleine
Kieselsteine ragen heraus. »Das ist die
Stampflehmwand«, sagt der Architekt
Christian Blauel zu einer Gruppe Menschen. Die Besucher sind vom Fach: Sie
bilden eine Delegation vom Dachverband
Lehm, einer Vereinigung von Lehmbauern.
Die Wand ist das zentrale Gestaltungselement, sie macht das ohnehin schon
sehr überraschend erscheinende FNRGebäude zu etwas Außergewöhnlichem.
Sie ist zudem Teil eines ausgeklügelten
Heizungs- und Lüftungssystems. Die
Lehmwand soll die Hitze des Sommers
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mildern und im Winter Wärme spenden,
zudem kann sie je nach Bedarf Feuchtigkeit aufnehmen oder abgeben. »Oh, hier
möchte ich gerne arbeiten«, sagt eine
der Besucherinnen. Tatsächlich herrscht
ein ganz angenehmes Raumklima, nicht
so trocken wie sonst in Büros und auch
nicht so künstlich wie Klimaanlagenluft.
»Ja, das höre ich oft, dass die Luft hier
so gut ist, nicht nur von den Besuchern,
sondern auch von den Menschen, die hier
täglich arbeiten«, sagt Christian Blauel.
»Das ist schön, wenn man mitbekommt,
dass die Menschen emotional anspringen
auf das, was man gebaut hat.«
Auch Geschäftsführer Schütte ist zufrieden mit dem Ergebnis seines Bauvorhabens, er kommt gerne die paar Meter
von seinem Büro im Altbau hergelaufen,
um seine Mitarbeiter im Neubau zu treffen. Doch so sehr er sich über das angenehme Raumklima freut, wichtig ist ihm
vor allem, dass das Gebäude ein Vorzeigeprojekt für seine Mission ist. »Wir
müssen mit unseren Ideen vom nachhaltigen Bauen an die Schreibtische der
zuständigen Behördenmitarbeiter kommen«, sagt er. Der FNR-Neubau leistet
dabei schon jetzt gute Dienste.
Architekt Christian Blauel mit
Besuchern vor dem Neubau, im
Hintergrund das Hauptgebäude
der FNR
Überzeugender Entwurf
erst im zweiten Anlauf
Beinahe hätte es diesen herausragenden Musterbau nicht gegeben. Seit
ihrer Gründung im Jahr 1993 hatte die
FNR ihren Sitz in dem Herrenhaus gegenüber mit der Klinkerfassade. Doch
mit der Zeit beschäftigte die Agentur
immer mehr Personal und brauchte
mehr Räume – ein Neubau musste
her. Die Anträge waren schnell bewilligt und die Baubehörde des Landes
Mecklenburg-Vorpommern begann
mit der Planung. »Als ich die Entwürfe
sah, wusste ich gleich: Nein, das ist
nicht mein Gebäude«, erinnert sich
Andreas Schütte in seinem großen
repräsentativen Büro im Herrenhaus.
Was die Landesbehörde geplant hatte,
war ein Standardbau mit einer Fassade
aus Faserzementplatten. »Wir von der
FNR engagieren uns dafür, dass im
Bauwesen viel mehr nachwachsende
Rohstoffe eingesetzt werden«, sagt
Schütte. »Und nun sollten wir selbst
einen Neubau bekommen, der ganz
konventionell aus Stein und Beton
besteht. Aber wir können doch nicht
Nachhaltigkeit predigen und das Gegenteil repräsentieren!«
Also setzte Andreas Schütte all seine
Überzeugungskraft ein, um die Baubehörde von ihrem Entwurf abzubringen.
Mit Erfolg: Die Planung für den FNR-Neubau wurde neu vergeben, diesmal mit
der expliziten Anforderung, vorrangig
nachwachsende Rohstoffe zu verwenden. So kam Christian Blauel ins Spiel.
Der Rostocker Architekt ist mit seinem
Büro »matrix architektur« spezialisiert
auf nachhaltiges Bauen. »Das war ein
sehr schönes Projekt«, erinnert er sich.
»Sonst muss man beispielsweise bei öffentlichen Bauten dafür kämpfen, dass
in Kindergärten kein PVC verlegt wird.
Mit der FNR dagegen haben wir auf einer
ganz anderen Ebene diskutiert, weil die
Nachhaltigkeit ganz selbstverständlich
vorausgesetzt wurde.« So konnten auch
neue Ansätze ausprobiert werden – wie
etwa die Konstruktion der Fassade mit
den vorgehängten Eichenholzbalken.
Dafür wurde sogar die Wissenschaft herangezogen: Forscher und Studenten der
Hochschule für nachhaltige Entwicklung
in Eberswalde testeten in Eins-zu-einsModellen die beste und langlebigste Bauweise für die Außenwände.
Wenn man das Gebäude betritt, dann
umfängt einen der Geruch von frisch
bearbeitetem Holz. Und der Eindruck
trügt nicht: Nicht nur die Außenfassade ist aus Holz, auch beim Innenausbau
wurde vor allem dieser nachwachsende
Rohstoff verwendet. Selbst die Stufen
im Treppenhaus bestehen aus massivem Eichenholz. »Das geht vom Brandschutz in Ordnung?«, fragt eine Besucherin überrascht den Architekten. »Ja,
mit einem schlüssigen Brandschutzkonzept haben wir die Genehmigung
problemlos bekommen.« Auf Nachhaltigkeit wurde nicht nur bei den sichtbaren Teilen gesetzt. Das wird deutlich,
als Christian Blauel ein Modell der Außenfassade zeigt: »Schauen Sie, hier
wird beim herkömmlichen Bauen Glaswolle verwendet. Wir haben stattdessen
die Hohlräume mit Zellulosedämmstoffen gefüllt.« Ein dunkelgrüner Teppich
bedeckt den Boden im zweiten Stock.
Es ist nicht irgendeine herkömmliche
Auslegware, das macht der Architekt
deutlich, als er sich hinkniet und mit
der Hand über die Fasern streicht: »Der
ist aus reinem Ziegenhaar.«
Nachwachsende Rohstoffe I Stoffliche Nutzung
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