Fast eine Rezeptorstruktur!

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Fast eine Rezeptorstruktur!
Christoph Weise und Ferdinand Hucho, Freie Universität Berlin
E Rezeptoren sind molekulare Mikropro-
zessoren. Sie nehmen Signale auf, verarbeiten sie und setzen sie in Effekte um. Neurotransmitter-Rezeptoren sind Membranproteine, die extrazelluläre Signale in intrazelluläre Botschaften wandeln. Prototyp
der Neurotransmitter-Rezeptoren ist der
nikotinische Acetylcholinrezeptor (nAchR),
bei dem das Signalmolekül Acetylcholin
(ACh) unter Ausnutzung seiner Bindungsenergie einen kationenspezifischen Ionenkanal öffnet. 30 Jahre biochemischer, biophysikalischer und zellbiologischer Forschung
haben eine Flut von Informationen über
seine Struktur und Funktionsweise geliefert. Nur eine Röntgenstrukturanalyse gelang hier wie bei allen anderen Ionenkanälen seines Typs nicht, weil die Kristallisation von Membranmolekülen noch immer
ein Glücksspiel ist (oder besser: ein Spiel
ungewöhnlicher Intelligenz und Kreativität). Da die Gesamtstruktur sich offenbar
der Kristallisation entzieht, versucht man,
zumindest einzelne funktionelle Domänen
in den Griff zu bekommen.
Ein überzeugendes Beispiel hierfür erschien jetzt in zwei Artikeln in Nature (SMIT
ET AL., 2001; BREJC ET AL., 2001): Eine niederländische Arbeitsgruppe entdeckte bei der
Schnecke Lymnaea stagnalis ein wasserlösliches Protein, das den Neurotransmitter
ACh bindet. Es ähnelt verblüffend der
ACh-Bindungsdomäne eines der Subtypen
des nAChR, dem im ZNS exprimierten
neuronalen α7-Rezeptor: Es bildet wie dieser Homopentamere, es weist in Bezug auf
die Agonisten und Antagonisten des
nAChR eine ähnliche Pharmakologie auf,
es ist wie extrazelluläre Rezeptordomänen
generell glykosyliert, und – vor allem – es
besitzt in 24 % der Primärstrukturpositionen identische Aminosäurereste. Im Vergleich zu einem „richtigen“ AChR fehlen
ihm eigentlich nur die kanalbildenden
Transmembranstrukturen. Über die Funktion dieses Bindungsproteins bei der Molluske kann man vorläufig nur spekulieren:
Es wird nicht von Neuronen, sondern von
Gliazellen produziert und dient möglicherweise der Regulation der Impulsübertragung an cholinergen Synapsen, indem es
den präsynaptisch freigesetzten Transmitter nach seiner postsynaptischen Wirkung
BIOspektrum . 4/01 . 7. Jahrgang
aus dem synaptischen Spalt entfernt. Es
würde also die Rolle einer Acetylcholinesterase ergänzen (über deren Anwesenheit
bzw. Aktivität in der Publikation nichts gesagt wird), allerdings als ein neuartiger Beitrag von Glia zur synaptischen Transmission
(Abb.1).
Der spannendere Teil dieser Entdeckung ist jedoch die Strukturhomologie
zwischen nAchR und ACh-Bindungsprotein (AChBP). Eine entsprechende Homologie hatte man früher für bakterielle
Glutamat-Bindungsproteine und die Bindungsdomäne von Glutamat-Rezeptoren
beobachtet (O’HARA ET AL.,1993). Das AChBP
wurde kristallisiert und die Struktur durch
Röntgenstrukturanalyse mit einer Auflösung von 2,7 Å bestimmt. Diese Struktur,
die in dem zweiten Nature-Artikel (BREJC
ET AL., 2001) beschrieben ist, zeigt, wie die
extrazelluläre Domäne des α7-nAchR möglicherweise aussieht. Doch wie sicher können wir uns sein, dass damit die Struktur
der Ligandenbindungsbereiche von nAchRartigen Ionenkanälen tatsächlich abgebildet wird? Beobachtungen auf ganz verschiedenen Ebenen sagen uns, dass wir davon mit Fug und Recht ausgehen dürfen:
1. Sequenzhomologie zwischen AChBP
und nAChR – die als funktionell wichtig
beschriebenen Positionen sind konserviert;
2. Bindungseigenschaften – die beiden
Proteine reagieren auf dieselben Liganden;
3. Quartärstruktur – beide bilden pentamere Strukturen aus;
4. Faltungskonservierung – die für die
Faltung wichtigen Reste sind auch bei den
anderen Rezeptoren der nAChR-Familie
erhalten.
Das AChBP-Pentamer bildet eine Ringstruktur, in der die fünf Untereinheiten wie
Blütenblätter erscheinen (Abb. 2). Kontakte
bestehen immer nur zwischen zwei benachbarten Untereinheiten, so dass jede Untereinheit zwei Seiten besitzt, eine Plus- und
eine Minusseite. Von der Seite gesehen erscheint das Protein als Zylinder mit einer
Höhe von 62 Å und einem Durchmesser
von 80 Å; der Durchmesser des zentralen
Loches, das im Rezeptor dem Eingang zum
Ionenkanal entspräche, beträgt 18 Å. All
das deckt sich sehr genau mit unseren bisherigen Vorstellungen vom nAChR.
Abb.1: Modell der Rolle des AChBP bei der
synaptischen Impulsübertragung (Alle Bilder sind
aus den beiden besprochenen Nature-Artikeln
mit der freundlichen Genehmigung der Autoren)
Das Protomer (Untereinheit) ist ein Protein
einer Größe von 62 x 47 x 34 Å ohne Domänenstruktur (Abb. 3). Es besteht – und auch
das ist aus elektronenmikroskopischen Untersuchungen für den nAChR so vorhergesagt (MIYAZAWA ET AL., 1999) – überwiegend
aus β-Struktur: Auf eine N-terminale α-Helix und zwei kurze 310-Helices folgen zehn
β-Stränge, die ein β-Sandwich ausbilden.
Die Anordnung dieser Stränge entspricht
mit gewissen Abweichungen der Topologie
von Immunoglobulinen („Ig fold“). Allerdings sind die β-Stränge so verdreht, dass
das Molekül dann doch so stark von den Igartigen Proteinen abweicht, dass der Vergleich mit der Datenbank ergibt, dass es
sich um eine grundsätzlich neuartige Struktur handelt.
N- und C-Terminus befinden sich im
AChBP „oben“ und „unten“ – beim Rezeptor wäre das nach außen und an der
Membran, wo die erste Membranpassage
erfolgt, also eine durchaus sinnvolle Anordnung. Im Rezeptor gibt es eine in besonderem Maße immunogen wirkende Region
(„MIR“, main immunogenic region), die
bei der Autoimmunkrankheit Myasthenia
gravis als Epitop wirkt. Es passt gut, dass
sich der entsprechende Bereich im AChBP
an einer an der Oberfläche exponierten
Stelle zeigt. Auch das AChBP enthält den
sogenannten „Cys-Loop“, der als Signatur
für die ganze Gruppe von nAChR-artigen
Ionenkanälen dient. Dieser Loop befindet
sich unten (Membranseite). Der Bereich ist
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MAN ET AL., 1991) und scheint ein allgemeines Prinzip bei der Bindung von ACh darzustellen.
Fazit: Wir müssen nicht völlig umlernen – das Alte bleibt wahr, unsere bisherigen Vorstellungen über den nAChR werden von der Röntgenstruktur des AChBP
von Lymnaea weitestgehend bestätigt. Beruhigenderweise liefern uns auch die herkömmlichen biochemischen Methoden
richtige Strukturergebnisse. Die neuen Erkenntnisse – die genaue drei-dimensionale
Anordnung der an der Bindung beteiligten
Reste in der Bindungstasche – geben uns
jetzt eine rationale Grundlage für das Design neuer Liganden für verschiedene
pharmakologisch relevante Rezeptoren.
Literatur
Smit, A., Syed, N., Schaap, D., van Minnen, J.,
Klumperman, J., Kits, K., Lodder, H., van der
Schors, R., van Elk, R., Sorgedrager, B., Brejc, K.,
Sixma, T. und Geraerts, W. (2001): A glia-derived
Abb. 2: Kristallstruktur des pentameren AChBP
acetylcholine-binding protein that modulates synaptic
transmission. Nature 411: 261-268.
im AchBP recht hydrophil, was der wässerigen Umgebung entspricht, im nAChR eher
hydrophob, dort wird er also gut mit der
Membran oder den darin eingebetteten
Proteinbereichen interagieren können.
Auch die Ligandenbindungsdomänen
weiterer Vertreter dieser Proteinfamilie
(wie des Glyzin-, des GABAA- und des
Serotonin-5HT3-Rezeptors) dürften diesem Faltungsschema folgen. Dies geht aus
einem Vergleich der Aminosäuresequenzen
hervor: Gerade die faltungsrelevanten Positionen sind konserviert.
Von herausragendem Interesse ist natürlich die Struktur der Liganden-Bindungsstelle. Im AChBP scheint sie in einer Höhlung zwischen den Untereinheiten, zum
äußeren Rand des Ringes hin, zu liegen.
Hier lagert sich ein positiv geladenes Puffermolekül ein, das dem ACh ähnelt. Die
Entfernung zum C-Terminus, also zur
Membran, beträgt etwa 30 Å. Besonders bemerkenswert ist, dass sich in dieser Tasche
eine Reihe von Aminosäureresten befindet,
von denen man aus biochemischen Experimenten (Affinitätsmarkierung und Mutagenese) schon wusste, dass sie an der Ligandenbindung beteiligt sind. Für den Rezeptor war man so zu einem Modell gekommen, demzufolge verschiedene Loops von
zwei benachbarten Untereinheiten die Bindungstasche formen. Dies wird jetzt durch
die neue Struktur vollauf bestätigt: Die
wichtigsten Reste stammen aus drei in der
Sequenz getrennten Loop-Bereichen der
Plus-Seite einer Untereinheit (im Muskeltyp-nAChR α), während die benachbarte
Untereinheit mit ihrer Minus-Seite (im Rezeptor γ bzw. δ) weitere wichtige Aminosäu-
ren beisteuert, die hier allerdings von βSträngen stammen. (Dies spiegelt überhaupt das Prinzip wieder, nach dem die Kontaktfläche zwischen zwei Untereinheiten
aufgebaut ist: Der eine Partner stellt überwiegend variable Loop-Bereiche zur Verfügung, der andere Sekundärstrukturen.)
In der Bindungstasche sind fünf aromatische Reste von zentraler Bedeutung, wobei
die eigentliche Bindung des kationischen
Liganden durch eine Kation-π-Wechselwirkung mit einem Tryptophan-Rest (DOUGHERTY, 1996) realisiert wird. Dies entspricht auch
der Situation im ACh-abbauenden Enzym
Acetylcholinestarase (WEISE ET AL.,1990; SUSS-
Brejc, K., van Dijk, W., Klaassen, R.,Schuurmanns,
M., van der Oost, J., Smit, A. und Sixma, T. (2001):
Crystal structure of an Ach-binding protein reveals the
ligand-binding domain of nicotinic receptors. Nature 411:
269-276.
Miyazawa, A., Fujiyoshi, Y., Stowell, M. und
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Goldman, A., Toker, L. und Silman I. (1991): Atomic
structure of acetylcholinesterase from Torpedo californica:
a prototypic acetylcholine-binding protein. Science 253:
872-879.
Korrespondenzadresse
Dr. Christoph Weise
und Prof. Dr. Ferdinand Hucho
Freie Universität Berlin
Institut für Chemie – Biochemie
Thielallee 63
D-14195 Berlin
Tel.: (030) 8385 5545
eMail: [email protected]
[email protected]
Abb. 3: Übersicht über die Protomer-Struktur
des AChBP
BIOspektrum . 4/01 . 7. Jahrgang
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