Gustav Epstein erbte 1864 von seinem Vater ­Lazar, später Leopold, Epstein ein beträcht­ liches Vermögen. Leopold Epstein war mit der Produktion von Kattunstoffen und mit Wechsel­ stuben reich geworden. Der aus Prag zugewan­ derte Epstein spielte rasch eine wichtige Rolle im Wiener Bankwesen und wurde unter ande­ rem zum Direktor der Oesterreichischen Natio­ nalbank berufen. Sein Sohn Gustav verwendete einen Teil des ererbten Vermögens, um eine ei­ gene Bank, das Bankhaus Epstein, zu gründen. Über seine Bank investierte Epstein in unter­ schiedliche Unternehmen und er lieh 1866 auch dem Staat beträchtliche Summen zur Finanzie­ rung des Österreichisch-Preußischen Kriegs. Als Folge der Niederlage bei Königgrätz musste Österreich Reparationszahlungen an Preußen leisten. Geld dafür kam von Epstein. Epstein war auch für sein soziales Engagement be­ kannt, er stellte alljährlich rund 30.000 ­Gulden (der Betrag entspricht in der Kaufkraft aktuell etwa 300.000 Euro) für wohltätige Zwecke zur Verfügung. Zudem war Epstein in verschiede­ nen wirtschaftlichen Interessenverbänden ak­ tiv. Auch zur Architektur der Ringstraße leistete Epstein zweimal einen wesentlichen ­Beitrag. Das eine Mal, als er sich selbst auf dem best­ möglichen verfügbaren Bauplatz, nämlich un­ mittelbar neben dem künftigen Parlament, ein Palais nach Entwürfen von Theophil Hansen er­ richten ließ (1868–71). Das andere Mal, als er in seiner Funktion als Börse­rat ­durchsetzte, dass 16 W Das Palais Epstein mit seiner bewegten Geschichte dient nun dem Parlament als Dependance ikgikgik Dr.-Karl-Renner-Ring 1 p p Theophil Hansen zum Archi­tekten des neuen Börsengebäudes bestellt wurde. Epstein hatte viel übrig für Kunst und Kultur. Er war ein gro­ ßer Kunstsammler und in seinem Palais gab es 1872/73 wöchentliche musikalische Soireen, bei denen Berühmtheiten wie Anton ­Rubinstein und Clara Schumann auftraten. Epstein, bei dem sich schon früh ein Kehlkopfleiden bemerkbar gemacht hatte, unternahm häufig Reisen in den Süden, vor allem nach Italien, von wo er gerne Kunstgegen­stände mitbrachte und in seinem Palais zur Schau stellte. Auch im Mai 1873 be­ fand er sich auf einer Italienreise, als am 9. Mai De r Dr . -K a r l-R e n n e r -R in g 17 18 ikgikgik 1873, dem Schwarzen Freitag der Wiener Börse, die Kurse dermaßen dramatisch einbrachen, dass die Börse schon um 13 Uhr behördlich geschlossen werden musste. ­Epstein kehrte umgehend nach Wien zurück, doch er konnte nur mehr mit Mühe den sofortigen völligen Zu­ sammenbruch seines Bankhauses verhindern. Das übrige betriebliche Vermögen der ­Familie Epstein war verloren. – In einem späteren Nach­ ruf auf Gustav Epstein in der „Neuen ­Freien Presse“ wurde das so beschrieben: „Als er heimkehrte, war er ein ruinierter Mann, und aus dem Millio­när war ein armer Bürger geworden.“ Zu allem Überdruss hatte auch noch der Kassier des Bankhauses eigene Schulden aus der Kas­ se der Bank beglichen und Selbstmord verübt. Gustav Epstein war gezwungen, seinen verblie­ benen Besitz zu veräußern, eine von Otto ­Wagner entworfene Villa in Baden, die Kunstwer­ke, Lie­ genschaften. Das Palais am Ring konnte vor­ erst, mit Hypotheken belastet, gehalten werden. Die Bank wurde – wie es hieß – „in Ehren“ ge­ schlossen. Nach dem Tod seines Sohnes Fried­ rich 1877 veräußerte ­Epstein das Palais an die britische Imperial Continental Gas Associa­tion p p AW Die Ähnlichkeiten der ObergeschoSSzone des Palais Epstein mit der des rund sieben Jahre später entstandenen Hauses Wagner am Schottenring sind sicherlich kein Zufall (siehe Seite 172 und Seite 178 f.) (I.C.G.A.), die zu diesem Zeitpunkt einen Gutteil der Wiener Gasversorgung in Händen hielt. Die schlechte Qualität der Gasversorgung durch das britische Privatunternehmen veranlasste den Wiener Gemeinderat, auf Betreiben des Bürger­ meisters Karl Lueger am 21. Oktober 1896 den Beschluss zu fassen, den mit der I.C.G.A. bis 1899 laufenden Vertrag nicht zu verlängern und den Briten keinerlei Ablöse für ihre Installatio­ nen zu zahlen. Stattdessen wurde innert dreier Jahre eine kommunale Gasversorgung auf die Beine gestellt. Die I.C.G.A. zog sich in der Folge aus Österreich zurück, das Palais Epstein ging in Staatsbesitz über. 1902 zog hier der Verwal­ tungsgerichtshof ein, 1922 wurde das Gebäude zum Sitz des Stadtschulrats. Die Nationalsozia­ listen quartierten den Stadtschulrat aus und brachten hier zwischen 1938 und 1945 eine Dependance des Reichbauamts unter. Von 1945 De r Dr . -K a r l-R e n n e r -R in g 19 Das Palais Epstein ist ein strenghistoristischer Bau in den Formen der römischen Renaissance, mit rechteckigem, glasüberdachtem Innenhof. An der Ringstraßenfassade fällt das Hauptpor­ tal mit seinem dreiachsigen Balkon besonders ins Auge. Die vier balkontragenden ­Karyatiden stammen von Vincenz Pilz. Pilz hat auch die ­Hygieia geschaffen, die als Brunnenfigur in ei­ ner Rundbogenädikula im Innenhof steht. Im Haus selbst sind das Vestibül, die Marmorstie­ ge und die Beletage von ­besonderem Interes­ se. Der ehemalige von Theophil Hansen und Carl Rahl entworfene Tanzsaal wurde 1922 zu einem Verhandlungssaal umgebaut. Die his­ toristische Raumgestaltung mit den korinthi­ schen Pilas­tern, den Ädikulatüren und der reich geschmück­ten Kassettendecke blieb erhalten. A Otto Wagner mal zwei. Links beim Haus Prohaska als entwerfender Architekt, rechts beim Palais Epstein als ausführender Mitarbeiter des Architekten Theophil Hansen 20 ikgikgik bis 1955 beherbergte das Palais die Sowjetische Kommandantur in Wien. Nach dem Abzug des sowjetischen Stabs kehrte der Stadtschulrat ins Palais Epstein zurück. Seit 2005 dient das Haus dem benachbarten österreichischen Parlament als Dependance. p p Die Entwürfe zu den Bildern in den Kassetten­ feldern stammen von Carl Rahl, die Ausfüh­ rung oblag Christian Griepenkerl (1871/72). Von ­Griepenkerl sind auch die Gemälde im Emp­ fangssalon. Gut erhalten sind auch der Winter­ garten, der Empfangssalon, das Boudoir und das Speisezimmer. Bei der Gestaltung der Kas­ settendecke im Spielsalon soll sich Hansen am Gewölbe von Santa Maria dei Miracoli in Venedig orientiert haben. Mit einiger Phantasie und viel gutem Willen kann man Parallelen erkennen. Das Palais Epstein ist nur im Rahmen von Füh­ rungen durch das Parlament zu besichtigen. Bellariastraße 4 Die Pläne des Palais Epstein stammen von Theophil Hansen. Die Bauführung oblag da­ mals dem jungen Architekten Otto Wagner. Während Wagner Hansens Pläne ­umsetzte, konnte er auf dem benachbarten ­Grundstück für den Hausherrn Matthias Prohaska ein ­eigenes Projekt umsetzen. Das Mietshaus Bellariastraße 4 (1869/70) ist Wagners erstes großes, eigenständiges Gebäude in Wien, ein strenghistoristischer viergeschoßiger Bau mit rustizierter Basiszone, mit Giebelfenstern, Erkern und karyatidengestützten Ädikulafens­ tern in den Obergeschoßen. Theophil Hansens Einfluss ist hier noch erkennbar. De r Dr . -K a r l-R e n n e r -R in g 21 Zwischen 1864 und 1872 wurden nach Plä­ nen von Carl Schumann für unterschiedliche ­Bauherren etliche Mietshäuser im Bereich zwischen Museumstraße, Bellariastraße, Volksgartenstraße, Schmerlingplatz und ­Ringstraße errichtet. Die einzigen Ausnah­ men ­waren das Palais Epstein von Theophil Hansen, das Haus Prohaska von Otto Wagner und das Haus ­Fröhlich (Bellariastraße 10) von Franz Xaver Fröhlich. Die beiden bedeutends­ ten der verschiedenen Schumann-Bauten sind die ­Gebäude Hansenstraße 1–5 und Hansen­ straße 2–6. 22 W Carl Schumann war ein gefragter Architekt der RingstraSSe. Er traf, wie hier beim Wohnhaus Theophil Hansens, den Geschmack des Zeitgeistes perfekt. ikgikgik Hansenstraße 1–5, Hansenstraße 2–6 p p Das Haus Hansenstraße 1–5 (damals noch Amalienstraße) war das Wohnhaus Theophil Hansens. Nach seinem Tod 1891 wurde die Gasse 1894 nach ihm benannt. Das Haus ist ein strenghistoristisches Gebäude mit klar geglie­ derter Fassade und Mittelrisalit (Nummer 3). Über der rustizierten Sockelzone zieren tos­ kanische Säulen, Giebel und puttentragende Konsolen die Fenster der Obergeschoße. Die Attikazone ist mit einer Balustrade ­versehen. Die Einfahrt wird von zwei reich verzierten ­Vasen in Nischen flankiert. Auch das Haus Hansenstraße 2–6 ist ein ­strenghistoristischer Bau mit dominantem ­Mittelrisalit, Säulenbalkonen und üppigem ­Dekor (Löwen und Büsten) auf den Konsolen über den Fenstern. Die Einfahrt ist mit Stuck­ marmor und ionischen Pilastern versehen. Museumstraße 2A So wie das Konzerthaus, das Akademietheater und das Ronacher ist das Volkstheater eines von über 40 Theater- und Konzertgebäuden, die das Architekturbüro Fellner & Helmer zwi­ schen 1873 und 1914 errichtete. Das Wiener Volkstheater entstand 1888/89 und war mit da­ mals insgesamt 1.843 Plätzen lange Zeit das größte Theater im deutschsprachigen Raum. Die Hauptportalfassade des zweigeschoßi­ gen Baus ist präzise nach Osten ausgerichtet und steht damit schräg zu den vorbeiführen­ den Straßen. Das macht die Eingangssituation De r Dr . -K a r l-R e n n e r -R in g 23 W Mit dem Volkstheater entwarfen Fellner und Helmer (siehe auch Band 1, Seiten 90-93) das lange Zeit gröSSte Sprechtheater Der Zuschauerraum ist (bis auf einige fehlen­ de Karyatiden und Hermen) noch im Original­ zustand erhalten. Die reiche Stuckdecke hat Ludwig Strictius gestaltet, die malerische Aus­ stattung (Mittelbild, Medaillons, Proszeniums­ gemälde) stammt von Eduard Veith (Decken­ 24 im deutschen Sprachraum ikgikgik aber besonders reizvoll. Das Hauptportal ist mit einer Balustradenterrasse überdacht. Das Obergeschoß wird von einer Riesensäulenord­ nung mit Riesenpilastern an den Seiten, unter einem flachen Giebel, dominiert. Drei große Rundportale führen auf die Terrasse. p p gemälde im Proszenium mit den Volksdichtern Ferdinand Raimund und Ludwig Anzengruber). In den Wandelgängen gibt es Büsten der Schau­ spielerin Helene Odilon (Viktor Tilgner), der Dichter Ernst Marinelli und Ludwig Anzengru­ ber (Johann Scherpe) und des Architekten Fer­ dinand Fellner (Josef Engelhart). Neben dem Gebäude wurde eine Büste der Volksschauspie­ lerin Hansi Niese (Josef Müllner) aufgestellt. Schmerlingplatz 10–11 Am Anfang war das Wort des Kaisers. Franz ­Joseph I. verfügte am 4. September 1874 „in steter Fürsorge für die Bedürfnisse der Rechtspflege und der rechtssuchenden Be­ völkerung“, dass ein zentraler Justizpalast für die Gerichts­höfe der Haupt- und Residenzstadt Wien gebaut werden möge. Das Grundstück dafür hatte er im Jahr zuvor schon bestimmt. Aus dem Architektenwettbewerb ging Alexan­ der Wielemans als Sieger hervor. Er entwarf einen voluminösen Palast, der stilistisch den Übergang vom Strengen zum Späten Historis­ mus verkörpert. Der Justizpalast spielt in der österreichischen Geschichte eine ganz beson­ dere Rolle. 1927 führten hier die Spannungen zwischen den zwei großen politischen Blöcken der Ersten Republik, sozialdemokratische Ar­ beiterschaft einerseits und katholisches Bür­ gertum andererseits, zu einer ersten Explo­ sion, die das Ende der jungen österreichischen Demokratie vorwegnahm. Bei einem Auf­ marsch des republikanischen ­Schutzbundes De r Dr . -K a r l-R e n n e r -R in g 25 26 ikgikgik im burgenländischen Schatten­dorf hatten Mitglieder der sogenannten Frontkämpfer­ vereinigung aus einem Wirtshaus heraus ei­ nen Kriegsinvaliden und ein Kind erschossen. Die Täter wurden von einem Geschworenen­ gericht in Wien freigesprochen, weil das nöti­ ge Zweidrittelquorum für einen Schuldspruch nicht zustande gekommen war. Daraufhin kam es am 15. Juli 1927 zu einer spontanen Demonstration, bei der der Justizpalast in Brand gesteckt wurde. Der Polizei wurde vom konservativen Wiener Polizeipräsidenten und späteren Bundeskanzler Johann Schober der Schießbefehl erteilt. Diese Entscheidung kos­ tete 89 Menschen das Leben. Die Folgen für p p W Die Riesenpilaster am Mittelrisalit wurden dem Justizpalast erst nach dem Brand bei seiner Österreich waren fatal. Eine Versöhnung zwi­ schen Sozial­demokratie und Christlichsozia­ len war völlig unmöglich geworden. Dies führte letztlich in die Diktatur des Austrofaschismus und 1938 zum Anschluss an Nazideutschland. Umgestaltung durch Heinrich Ried hinzugefügt A Geschichtsträchtiges Gebäude: Der Justizpalast wurde nach einem Skandalurteil im Jahre 1927 von den empörten Massen in Brand gesteckt. Beim darauffolgenden Polizeimassaker kamen 89 Demonstranten zu Tode. Der Brand des Justizpalastes zerstörte große Teile des Gebäudes und dazu wichtige Doku­ mente, wie eine der größten juristischen Bib­ liotheken Europas und das hier untergebrach­ te Grundbuch für die meisten Bezirke Wiens. Der bauliche Schaden wurde 1928–31 unter der Federführung von Heinrich Ried behoben, das Gebäude wurde dabei teilweise verändert. Es wurde aufgestockt, erhielt ein neues Attika­ geschoß, eine andere Eingangshalle, auf den Festsaal wurde verzichtet. Der Justizpalast zeigt sich heute mit einer sechsgeschoßigen, stark gegliederten Fas­ sa­de, mit einem rustizierten Sockel und ver­ zierten Giebelfenstern zwischen ­korinthischen De r Dr . -K a r l-R e n n e r -R in g 27 28 ikgikgik Pilastern. Unter dem weit auskragenden Kranz­gesims über der Obergeschoßzone ist ein umlaufendes Keramikrelief mit Fluss­ göttinnen und -götter und traubenhaltenden Putti von Franz Barwig d. Ä. angebracht. Die Schmerlingplatzseite dominiert ein mächti­ ger Mittelrisalit. Zum Hauptportal führen eine ­geschwungene Auffahrt und eine Freitreppe, die von zwei Löwen (Emanuel Pendl) flankiert wird. Über dem dreiachsigen Portal wurden 1928–31 der Fassade wuchtige korinthische Riesensäulen auf Quadersockeln vorgeblendet. Zwischen diesen stehen drei ­Arbeiterfiguren p p von Alfred Hofmann, Michael Drobil und Karl Stemolak. Auf dem Attikagebälk sind Karyati­ den und Löwenkämpfer von Michael Drobil und Theodor Stundl angebracht. Im Inneren des Gebäudes sind die Aula und die monumentale Prunktreppe besonders sehenswert. Die Aula ist ein glasüberdachter Arkadeninnenhof mit wuchtigen rot-weißen toskanischen Marmor­ pfeilern in der Erdgeschoßzone. Der Umgang im Obergeschoß ist mit ionischen Granitsäulen versehen. Die Prunktreppe aus Untersberger Marmor führt direkt auf eine in einer Nische thronende Justitia von Emanuel Pendl zu. Die Nische wird von mächtigen korinthischen Mar­ mordoppelsäulen eingerahmt. Auf dem Gebälk befindet sich eine Ädikula mit Hermenpilas­ tern, Kaiserkrone und Doppeladler. Heute sind im Justizpalast der Oberste Ge­ richtshof, die Generalprokuratur, das Oberlan­ desgericht Wien, die Oberstaatsanwaltschaft Wien und das Landesgericht für Zivilrechts­ sachen Wien untergebracht. W Die Aula des Justizpalastes gilt als einer der bedeutendsten überdachten Arkadenhöfe des späten Historismus. An Untersberger Marmor wurde hier nicht gespart. Schmerlingplatz Anton Ritter von Schmerling (1805–1893) war ein Jurist und liberaler Politiker, der in der poli­tischen Entwicklung der ­Donaumonarchie im 19. Jahrhundert mehrmals eine ­wichtige De r Dr . -K a r l-R e n n e r -R in g 29