133 Die anatomische Fachsprache unterscheidet sich wesentlich

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7. WORTBILDUNGSLEHRE
Die anatomische Fachsprache unterscheidet sich wesentlich von der pathologischen
Terminologie.
Die anatomische Nomenklatur (Sammlung von Begriffen) benennt und systematisiert die
Teile des menschlichen Körpers. Es gibt etwa 6000 unterschiedliche Bezeichnungen, die auf
600 Wortstämmen basieren (davon etwa 400 lateinische und 200 griechische). Sie wurde
bereits 1895 erstmals allgemein verbindlich festgelegt. Zur Zeit gelten die 1998 festgelegten
Internationalen Nomina Anatomica (INA). Das heißt, dass ein anatomischer Begriff in
Australien, Russland ebenso wie in Deutschland gebräuchlich ist.
Festgelegt wurden folgende Grundsätze der INA:
• Jedes Organ sollte nur durch einen Ausdruck bezeichnet werden.
• Die Bezeichnungen sollten möglichst aus dem Lateinischen stammen.
• Die Ausdrücke sollten möglichst kurz sein.
• Bei topographisch engem Bezug sollten ähnliche Namen verwandt werden.
Bsp.: Arteria femoralis
Vena femoralis
• Unterscheidende Attribute sollten Gegensatzpaare sein.
Bsp.: maior
minor
• Sämtliche Eigennamen (Eponyme) sind zu vermeiden.
Bsp.: Tuba auditiva
die Ohrtrompete
(statt Tuba Eustachii nach ihrem Entdecker Bartholomeo Eustachio)
Im Gegensatz dazu gibt es bis heute kein allgemein verbindliches System der Bennenung von
Krankheiten, das diese eindeutig klassifiziert. Man muß deshalb nicht von pathologischer
Nomenklatur, sondern von pathologischer Terminologie sprechen. Die medizinisch/pathologische Fachsprache ist kein starres wissenschaftliches Bezeichnungssytem, sondern eine in
Jahrhunderten gewachsene lebendige Sprache, die täglich durch neue Begriffe ergänzt wird.
Einige Merkmale treten im Unterschied zur anatomischen Nomenklatur gehäuft bei den
Nomina pathologica auf:
• Es gibt zahlreiche Eigennamen (Eponyme).
Bsp.: Down Syndrom, Morbus Basedow
• Es werden überwiegend griechische Fachausdrücke verwandt.
Bsp.: Spondylitis
Wirbelentzündung
( nicht Inflammatio vertebrae)
• Es sind sehr viele fremdsprachliche Einflüsse festzustellen.
Bsp.: rooming in, Bypass, petit mal, Curare
Einige Versuche zur Systematisierung der Krankheitsnamen wurden schon unternommen,
z.B. SNOP (Systematized Nomenclature of Pathology), mit Ausdehnung auf die gesamte Medizin SNOMED (Systematized Nomenclature of Medicine). Für Dokumentationszwecke
(Arztpraxen, Krankenhäuser, Krankenkassen usw.) wurde die ICD (International Classification of Diseases) entwickelt, die den Krankheiten, Symptomen und Beschwerden Nummern
zuordnet.
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7.1.) Möglichkeiten der Bildung anatomischer Termini aus einzelnen Wörtern
In der anatomischen Nomenklatur gibt es nur sehr wenige Begriffe, die aus einem einzigen
Wort bestehen. Wie im Deutschen wird auf die Möglichkeit zurückgegriffen, Substantive
durch Attribute zu ergänzen und zu präzisieren.
Wir unterscheiden mehrere Bildungstypen anatomischer Termini:
•
Bsp:
Zu einem Substantiv gehören ein oder mehrere Adjektive.
Arteria communicans
Arteria femoralis profunda
die verbindende Arterie
die tiefe Oberschenkelarterie
Beachte:
Auf die Regeln der Verknüpfung von Substantiven und Adjektiven wurde bereits in
Kapitel 6.3.6. eingegangen.
Adjektive werden im Lateinischen prinzipiell nachgestellt. Bei der Übersetzung ins
Deutsche wird das Adjektiv jedoch zuerst übersetzt.
Bsp.: Ramus superficialis
der oberflächliche Ast
Bei mehreren Adjektiven werden Teile von Gegensatzpaaren immer nachgestellt.
Bsp.: Arteria palatina ascendens
die aufsteigende Gaumenarterie
Arteria palatina descendens
die absteigende Gaumenarterie
•
Zu einem Substantiv gehört ein zusammengesetztes Adjektiv (Kompositum).
Bsp.: Musculus sternocleidomastoideus
Arteria gastroduodenalis
•
Muskel zwischen Brustbein (sternum)
Schlüsselbein (gr. kleis) und
Warzenfortsatz (Processus mastoideus)
Arterie zwischen Magen (gaster) und
Zwölffingerdarm (duodenum)
Zu einem Substantiv gehören ein oder mehrere Substantivattribute im Genitiv.
Bsp.: Arcus aortae
Ligamentum capitis femoris
der Aortenbogen
das Band des Oberschenkelkopfes
Beachte:
Im Lateinischen sind Genitivattribute erheblich häufiger als im Deutschen.
Bsp: Der lat. Arcus aortae wird im Deutschen zum zusammengesetzten Wort Aortenbogen.
Deshalb ist es unumgänglich, nicht nur die Nominativendungen, sondern auch die
Genitivendungen der Substantive zu lernen!
Wann Substantiv-Attribut, wann Adjektiv-Attribut?
Grundsätzlich gilt: Das Genitivattribut findet Anwendung, wenn es sich bei dem Ausdruck
um einen echten Bestandteil (Genitivus partitivus) bzw. eine echte Zugehörigkeit (Genitivus
possessivus) handelt.
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Bsp.: Substantivattribut:
Collum femoris
der Oberschenkelhals als Teil des
Oberschenkelknochens
aber: Adjektivattribut:
Arteria femoralis
•
die in der Region des Oberschenkels
verlaufende Arterie
Zu einem Substantiv gehört eine Apposition.
Bsp.: Arteria carotis
Musculus psoas
die Kopfschlagader
der Lendenmuskel
(carotis, idis f.)
(psoas, ae m.)
Beachte:
Hauptsubstantiv und erklärendes Substantiv stehen hier im selben Casus !
•
Zu einem Substantiv gehört ein präpositionaler Ausdruck.
Bsp.: Rami ad pontem (Akkusativ!)
•
die Zweige zur Brücke (pons, tis m.)
Zu einem Substantiv gehört eine Mischung aus den vier Varianten.
Bsp.: Musculus flexor digitorum superficialis
Musculus
Flexor
Digitorum
Superficialis
der oberflächlich gelegene
Fingerbeuger
Hauptsubstantiv
musculus, i m.
Apposition
flexor, oris m.
Substantivattribut im Genitiv Pl.
digitus, i m.
Adjektivattribut zum
superficialis, is, e
Hauptsubstantiv gehörig
Ramus communicans cum chorda tympani
Ramus
Communicans
cum chorda
Tympani
der mit der Paukensaite
(Trommelfell) verbindende Strang
Hauptsubstantiv
ramus, i m.
Adjektivattribut
communicans, ans, ans
präpositionaler Ausdruck im
chorda, ae f.
Ablativ
Substantivattribut im Genitiv Sg.
tympanon, i m.
Tendo musculi extensoris carpi radialis longI
Tendo
musculi
extensoris
carpi
radialis
Hauptsubstantiv
Substantivattribut im Genitiv Sg.
Apposition zu musculi
Substantivattribut im Genitiv Sg.
Adjektivattribut im Genitiv Sg.
longi
Adjektivattribut im Genitiv Sg.
zugehörig zu musculi
die Sehne des langen
speichenseitigen Handwurzelstreckers
tendo, inis m.
musculus, i m.
extensor, oris m.
carpus, i m.
radialis, is e
longus,a,um
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Beachte:
Substantivattribute oder Appositionen können zwischen Hauptsubstantiv und zugehörigen Adjektiven eingeschoben werden (Bsp. oben), das Adjektiv kann aber auch dem
Genitivattribut vorangestellt werden:
Bsp.: musculus rectus abdominis
der gerade Bauchmuskel
7.2.) Die Bildung von Termini aus mehreren Wortelementen durch Kompositon
(Wortzusammensetzung)
Im Gegensatz zur anatomischen Nomenklatur sind die meisten medizinischen Fachbegriffe
aus dem klinischen Bereich aus mehreren Wortbestandteilen zusammengesetzt. Folgende
Wortelemente können vorkommen:
•
Wortstamm:
Diese Grundworte sind unerläßlich zum Verständnis eines Begriffs. Mit der Kenntnis
einer überschaubaren Zahl von Grundworten lassen sich viele Begriffe ohne Mühe
übersetzen. Eine Sammlung der meist aus dem Griechischen stammenden Wortstämme finden Sie in den Wortlisten, Kap. 4.1.
Bsp.: Arthr-itis
Endo-kard
•
Bindevokal:
Beim Aneinanderreihen verschiedener Wortelemente werden diese meist durch
Vokale verbunden, z. B. wenn der vorhergehende Wortstamm mit einem Konsonanten
endet und der folgende mit einem Konsonanten beginnt. In lateinischen Komposita
wird der Bindevokal –i- benutzt, in griechischen oder gemischten Komposita der
Bindevokal – o-.
Bsp.: quadr-i-ceps
Dermat –o-logie
kanzer-o-gen
•
vierköpfig
die Lehre von den Hautkrankheiten
krebserregend
Präfix (Vorsilbe):
Als Vorsilben können griechische und lateinische Präpositionen, aber auch Adjektive,
Adverbien und Zahlwörter vorkommen. Eine Zusammenstellung der präpositionalen
Präfixe finden Sie in den Wortlisten, Kap. 4.2.2. Auch in diesem Fall gilt: Die Kenntnis der wichtigen Präfixe hilft beim Verständnis des ganzen Wortes.
Es ist möglich, ein oder mehrere Präfixe einem Wortstamm voranzustellen und damit
seine Bedeutung zu modifizieren.
Bsp.: Trans-spiration
In-spiration
im-per-meabel
Bsp:
die Gelenkentzündung
die innere Herzwand
das Schwitzen (spirare/atmen)
das Einatmen
undurchlässig
Beachte:
Vorsilben können bei zusammengesetzten Begriffen auch in der Mitte des Wortes
stehen.
Zystektomie
Entfernung der Blase
Bronchiektase
Erweiterung eines Bronchialastes
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Beim Aufeinanderstossen von zwei Konsonanten können Präfixe durch Assimilation
angeglichen werden.
Bsp.: Angleichung der Vorsilbe adan, auf, zu neben:
ag
Agglutionation
Verklebung
ap
Appendix, icis f.
Anhängsel
as
Assimilation
Angleichung
Präfixe können durch Weglassen von Konsonanten oder ganzen Silben verkürzt
werden (Elision).
Bsp.: syn
Sy-stol
Zusammenziehen des Herzmuskels
hemi Mi-gräne
halbseitiger Kopfschmerz
ambi Am-putation
Abschneiden
Besonders häufig ist die Verneinungsform (In- bzw. alpha-privativum). Sie verkehrt
die usprüngliche Bedeutung in ihr Gegenteil.
Bsp.: Suffizienz
genügende Leistung Insuffizienz ungenügende Leistung
Tonisc
gespannt
atonisch
schlaff
•
Suffix (Nachsilbe):
Die Nachsilben verändern und ergänzen die Bedeutung eines Wortstammes und
bestimmen, ob es sich um ein Substantiv oder Adjektiv handelt. Wir unterscheiden
deshalb zwischen Substantivsuffixen und Adjektivsuffixen, die auf unterschiedliche
Bedeutungen hinweisen können. Vergleichen Sie dazu die Wortlisten in Kap. 4.2.3.
Bsp.: Substantivsuffix
Adjektivsuffix
•
–om (Geschwulst):
–inus (Zugehörigkeit):
Adenom
Arteria
uterina
Drüsengeschwulst
Gebärmutterarterie
Flexionsendung:
Die Flexionsendung gibt Hinweise auf den Casus, Numerus und Genus des medizinischen Begriffs. Sie spielt in der anatomischen Nomenklatur eine sehr viel größere Rolle als in der klinischen Fachsprache, wird jedoch auch hier für die Bildung des Plurals
gebraucht.
Bsp.: Klinikum
Pl.: Klinika
eingedeutscht: Kliniken
Zusammengesetzte Termini (Komposita):
Die Bedeutung eines Kompositums lässt sich im Allgemeinen aus der Bedeutung seiner Wortbestandteile bestimmen.
Die meisten medizinischen Begriffe enthalten mindestens einen Wortstamm und ein Präfix
oder Suffix, komplexere Ausdrücke können jedoch auch mehrere Wortstämme, Präfixe und
Bindevokale enthalten. Generell ergeben sich mehrere Möglichkeiten der Zusammensetzung.
•
Präfix + Wortstamm:
Bsp.: Hyper-emesis
Präfix:
hyper
Wortstamm: emesis
starkes Erbrechen
viel, zu viel
Erbrechen
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•
Wortstamm + Suffix:
Bsp.: Nephr-ose
Wortstamm: nephrSuffix:
-ose
•
Präfix + Wortstamm + Suffix:
Bsp.: Peri-kard-itis
Präfix:
peri
Wortstamm: kardSuffix:
-itis
•
Bsp:
chronische Nierenentzündung
gr. Niere
chronischer pathologischer
Zustand
Herzbeutelentzündung
um, herum
gr. Herz
Entzündung
Wortstamm + Wortstamm:
Pyloro-spasmus
Wortstamm: pylorus, i m.
Wortstamm: spasmus, i m.
Krampf der Magenausgangs
muskulatur
Magenpförtner
Krampf
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