Wehrhafte Hilfstruppe

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Wissenschaft
MEDIZIN
Wehrhafte Hilfstruppe
Eine junge Disziplin in der Immunologie soll die letzten Geheimnisse des Abwehrsystems lüften. Wissenschaftler hoffen auf
passgenaue Waffen gegen Krebs, Aids, Rheuma oder Morbus Crohn.
N
och verfügt Hochschullehrer Eicke
Latz über ein ziemlich spartanisches
Büro: Drei Bücher, ein MacBook, ein
Telefon – das genügt dem frisch berufenen
W3-Professor, um an der Bonner Uni seine
Arbeit aufzunehmen. Erst vor ein paar Wochen ist er aus den USA zurückgekommen:
Bis vor kurzem forschte er an der University of Massachusetts Medical School.
Wenn Latz, 39, und sein Zimmernachbar Veit Hornung, 33, Professor für Klinische Chemie und Pharmakologie, aus
ihren Büros treten, stehen sie in einem
leeren Flur. Die USA-Heimkehrer sind als
erste Wissenschaftler ins nagelneue biomedizinische Forschungszentrum auf dem
Bonner Venusberg gezogen; die Kollegen
Die Forscher beschäftigen sich mit einer
Art Vorhut der Körperabwehr, die eindringende Viren oder Bakterien sofort attackiert. Diese „angeborene“ Immunität galt
lange Zeit als primitiver Schutzwall, weit
weniger ausgeklügelt als die „erworbene“
oder adaptive Immunität, die darauf beruht, gegen jeden Krankheitserreger eigene maßgeschneiderte Waffen herzustellen
und dann die Merkmale jedes bezwungenen Feindes lebenslang im Gedächtnis zu
behalten.
Wie plump schien dagegen das angeborene Immunsystem, das der Mensch mit
Würmern und Seesternen, ja sogar mit
Pflanzen und Einzellern teilt. Seine Fressund Killerzellen, so glaubte man, tun nicht
Doppelt schützt besser
aus komplexer, als jahrzehntelang vermutet wurde.
Erst Ende der neunziger Jahre fanden
Wissenschaftler heraus, dass die Zellen der
angeborenen Abwehr ihre Feinde mittels
einer Reihe von Oberflächenproteinen,
den Rezeptoren, erkennen. Wie Schlüssel
und Schloss fügen sich Rezeptor und
Fremdstoff ineinander – für die Zellen ein
Startsignal, das beispielsweise eine Entzündung in Gang setzen kann.
Vom adaptiven Immunsystem war dieses
Prinzip längst bekannt: Auch dessen T-Zellen haben spezifische Rezeptoren, die Viren
oder Bakterien erkennen; die B-Zellen wiederum bilden passgenaue Antikörper, die
sich an ihren jeweiligen Widersacher heften
und ihn unschädlich machen. Erst seit
kurzem jedoch weiß man, dass die T- und
B-Zellen gar nicht selbst die Entscheidung
treffen, ob sie Freund oder Feind vor sich
haben. Erst das angeborene Immunsystem
macht sie auf Gefahren aufmerksam und
hat damit eine Steuerungsfunktion für die
adaptive Verteidigungslinie.
„Die Entdeckung der ersten Rezeptoren des angeborenen Immunsystems war
eine Revolution“, urteilt der Immunologe
Luke O’Neill vom Trinity-College in Dub-
Die zwei Abteilungen des Immunsystems
Erreger
TLR und
andere
Rezeptoren
Antikörper
Botenstoffe
Fresszellen
B-Zellen
infizierte
Körperzelle
T-Zellen
OLIVER TJADEN
Blutgefäß
Das angeborene
Das
angeborene Immunsystem gehört zur Grundausstattung
ausstattung fast
fast aller
aller Organismen.
Organismen. Seine
Seine Zellen
Zellen
erkennen und attackieren mittels verblüffend spezifischer Rezeptoren eindringende Fremdstoffe und
lösen akute Entzündungsreaktionen oder Fieber
aus. Zudem versetzen sie das adaptive Immunsystem
system in
in Alarmbereitschaft.
Alarmbereitschaft.
Das adaptive Immunsystem reift erst im Laufe des
Lebens heran. Nach einem ersten Kontakt produziert
es passgenaue Antikörper für jeden Fremdstoff, die
es bei einem weiteren Kontakt sofort aktivieren
kann – meist verläuft die Infektion dann unbemerkt.
So funktionieren auch Impfungen.
Forscher Hornung, Latz: Die Verheißungen klingen fast zu schön, um wahr zu sein
kommen erst noch. In den Labors stapeln
sich Pappkartons voller Pipetten und Gummihandschuhe; Mikroskope, Chromatografen und Zentrifugen stehen unausgepackt herum.
Latz und Hornung sind es gewohnt, die
Ersten zu sein. Sie gehören zu den jüngsten
Professoren an der Bonner Uni, Latz leitet
das deutschlandweit erste „Institut für die
Erforschung des angeborenen Immunsystems“, Hornung hat gerade ein begehrtes
Stipendium des Europäischen Forschungsrats eingeworben. Vor allem aber ist es ihr
Fachgebiet selbst, das reichlich Gelegenheit bietet für Pionierleistungen: Die beiden
Mediziner sind Experten für das derzeit
wohl heißeste Thema der Immunologie.
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viel mehr, als mit ihren Mini-Tentakeln
feindliche Mikroben zu ergreifen, herunterzuschlingen und daraufhin molekulare
Alarmrufe in die Blutbahn zu schwemmen
– alles nur, so glaubte man, um der adaptiven Verteidigungsarmee Zeit für den eigentlichen Angriff zu verschaffen.
„Das angeborene Immunsystem schien
so trivial, dass man es lange einfach übersehen hat“, erklärt Forscher Hornung. Erst
seit wenigen Jahren ist klar: Ohne die
Zellen des verkannten Systems findet
überhaupt keine Immunantwort statt –
seine Botenstoffe bringen die sogenannten
B- und T-Zellen des erworbenen Immunsystems erst in Schwung. Und: Die vermeintlich tumbe Aushilfstruppe ist weitd e r
s p i e g e l
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lin, „der Forschungszweig ist geradezu explodiert.“
Inzwischen haben die Wissenschaftler
festgestellt, dass das Arsenal angeborener
Waffen verblüffend vielfältig ist. Rund hundert Rezeptoren haben sie entdeckt; manche davon erkennen charakteristische Sequenzen in der Erbsubstanz von Viren
oder Bakterien, andere sind Spezialisten
für Proteine, mit denen sich Invasoren als
Fremdstoffe verraten. Wieder andere schlagen Alarm, wenn sie typische Merkmale
von Parasiten oder Pilzen entdecken.
„Wir wissen jetzt viel mehr über die
frühesten molekularen Ereignisse, die eine
Immunreaktion auslösen“, erklärt Bruce
Beutler, Leiter der Abteilung für Genetik
ULLSTEIN / REUTERS
am Scripps-Forschungsinstitut im kalifornischen La Jolla, „das hat viele Türen
geöffnet.“
Beutler ist ein Mann der ersten Stunde:
Vor gut zehn Jahren hat er die Funktion
des ersten Rezeptors im angeborenen
Immunsystem von Säugetieren aufgedeckt:
den sogenannten Toll-like Rezeptor 4
(TLR4), der auf Bakteriengifte reagiert.
Inzwischen sind beim Menschen elf verschiedene TLR-Varianten identifiziert worden, sie gelten als die wichtigsten Erkennungsstrukturen des angeborenen Immunsystems.
Viele TLRs hat Beutlers Kollege Shizuo
Akira von der Universität Osaka beschrieben: Das macht den Japaner in der Fachpresse seit Jahren zum meistzitierten Wissenschaftler der Welt – und zugleich, zusammen mit Beutler und ihrem Straßburger
Kollegen Jules Hoffmann, zum heißen Kandidaten für den Medizin-Nobelpreis.
Die große Hoffnung der Zunft liegt darin, den frühesten Ursprung jeder Immunreaktion zu beeinflussen und sie je nach
Bedarf entweder anzustacheln oder einzudämmen. Damit, glauben die Immunologen, hielten sie womöglich Waffen gegen
fast jede beliebige Krankheit in Händen:
Malariapatienten: Ganz neue Impfstoffe?
• Durch Stimulation des angeborenen Immunsystems könnte die körpereigene
Abwehr dazu gebracht werden, Krebszellen zu vernichten. Erste Medikamente, die nach diesem Prinzip funktionieren sollen, sind bereits in der Testphase.
So will der Pharma-Riese Merck Krebsmedikamente auf TLR-Basis entwickeln.
28 Millionen Euro zahlte der Konzern
der US-Firma Idera Pharmaceuticals für
entsprechende Lizenzen.
• Auch bei der Entwicklung von Impfstoffen spielt das neue Wissen über die
angeborene Immunität eine wichtige
Rolle. Erst seit kurzem wissen die Pharmakologen, dass die sogenannten Adjuvantien, die Impfstoffe wie etwa die
d e r
aktuelle Schweinegrippe-Vakzine in ihrer Wirkung verstärken, vor allem das
angeborene Immunsystem anschubsen.
Mit dem richtigen Zusatzstoff, so die
Vision, werden von vielen Schutzimpfungen geringere Dosen und kaum noch
Auffrischungen nötig sein. Womöglich
lassen sich sogar ganz neue Rezepturen
entwickeln, etwa zum Schutz vor Tuberkulose, Malaria oder Aids.
• Umgekehrt könnte die Blockade bestimmter TLR-Moleküle und anderer
Rezeptoren das Immunsystem bei jenen
Krankheiten herunterregeln, bei denen
es aus dem Ruder läuft. Insbesondere
gilt dies für verheerende Entzündungsreaktionen wie die Sepsis.
• Auch Krankheiten, bei denen Immunzellen körpereigenes Gewebe zerstören,
sind ins Visier der Forscher gerückt:
etwa Rheumatoide Arthritis, Diabetes,
Morbus Crohn oder Multiple Sklerose.
Immunologe O’Neill hat selbst eine Firma gegründet: Opsona Therapeutics will
einen TLR-Blocker auf den Markt bringen, der Entzündungen zum Beispiel
nach einem Herzinfarkt eindämmen
könnte.
„Auf dem Gebiet herrscht Goldgräberstimmung“, sagt Gunther Hartmann, Leiter des Instituts für Klinische Chemie und
Pharmakologie in Bonn. Hartmann setzt
vor allem auf die Entwicklung neuer
Krebstherapien, sein Kollege Hornung interessiert sich für Rezeptoren, die Viren
erkennen können. Wissenschaftler Latz
wiederum erforscht ein Molekül namens
„Nod-like Rezeptor“, das offenbar eine
Schlüsselrolle bei Leiden wie Gicht, Arteriosklerose oder Alzheimer spielt.
Bessere Impfstoffe, Heilung für alle –
die Verheißungen der Trenddisziplin klingen fast zu schön, um wahr zu sein. Der
Berliner Rheumatologe Andreas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, warnt denn auch
vor übertriebenen Erwartungen: „Mit dem
angeborenen Immunsystem ist es wie
mit einem neuen Spielzeug – alle stürzen sich darauf.“ Noch aber wisse niemand genau, was geschieht, wenn man
an einzelnen Stellen in das System eingreift: „Gerade weil es so wichtig ist, sind
die Nebenwirkungen gezielter Eingriffe
schwer vorhersehbar.“ Deutlich zeigt sich
dies derzeit zum Beispiel bei der Grippeimpfung.
„Unser Bild vom angeborenen Immunsystem ist noch lange nicht komplett“,
räumt auch TLR-Papst Beutler ein, „wir
müssen alle Moleküle kennen, die bei seiner Funktion eine Rolle spielen.“ Für Beutlers Kollegen Ruslan Medzhitov, Immunologe an der US-Universität Yale, ist
das aber nur noch eine Frage der Zeit:
„Unser Forschungsgebiet wächst immer
noch exponentiell“, sagt er, „wir entdecken
praktisch jede Woche etwas Neues.“
s p i e g e l
Julia Koch
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