Angeborene Immunität. Eine konzertierte Aktion, Deutsches

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Yersinia pseudotuberculosis ruft Darmerkrankungen hervor.
Circa 90 Prozent aller
Infektionen werden
durch die angeborene
Immunabwehr erfolgreich bekämpft.
Foto: HZI/M. Rohde
MEDIZINREPORT
ANGEBORENE IMMUNITÄT
Eine konzertierte Aktion
Im Zentrum des frühen Abwehrgeschehens steht das Inflammasom, ein
Multiproteinkomplex in Makrophagen und neutrophilen Granulozyten.
ahrzehntelang richtete sich das
Interesse der Forscher vornehmlich auf das erworbene, „adaptive“ Immunsystem, das in der fortwährenden Auseinandersetzung mit
Antigenen spezifische zelluläre Abwehrmechanismen entwickelt hat.
Es bildet molekulare Antikörper
und besitzt ein immunologisches Gedächtnis. In Gang gesetzt werden
die komplexen Abwehrstrategien
allerdings von einem zweiten (und
stammesgeschichtlich älteren) Mechanismus, dem der angeborenen
Immunabwehr. Seine Komponenten (polymorphkernige Leukozyten, natürliche Killerzellen und Makrophagen) sind stets abrufbereit
und bilden gewissermaßen die erste
Verteidigungslinie im Kampf gegen
Infektionserreger.
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Um die Erforschung des angeborenen Immunsystems haben sich unter anderem Ralph M. Steinman,
Bruce A. Beutler und Jules A. Hoffmann verdient gemacht. Sie wurden
2011 zusammen mit dem Nobelpreis
ausgezeichnet. Hoffmann und Beutler identifizierten im angeborenen
Immunsystem bestimmte AntigenRezeptoren (Toll-Like Receptors),
die körperfremde Signale aufnehmen
und Entzündungsreaktionen starten.
Mitwirkung einer Vielzahl von
Mediatoren und Botenstoffen
Steinman beschrieb mit den dendritischen Zellen eine weitere zentrale
Komponente des angeborenen Immunsystems, die von hoher Wichtigkeit für die Aktivierung der adaptiven Immunabwehr ist. Jede Im-
munantwort auf virale und bakterielle Erreger ist letztlich das Ergebnis einer konzertierten Aktion beider Systeme unter Mitwirkung einer Vielzahl von Mediatoren und Botenstoffen.
Auf dem „North Regio Day on
Infection“, der vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI)
in Braunschweig ausgerichtet wurde, ging es um die Frage, wie Infektionserreger das angeborene Immunsystem modulieren, um dessen
Abwehrstrategien außer Kraft zu
setzen. „Auch die Interaktionen
zwischen angeborenem Immunsystem, körpereigener Mikroflora und
exogenen Noxen beziehungsweise
eindringenden Krankheitserregern
sind ein großes Forschungsthema“,
erläuterte Dr. Till Strowig, Leiter
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 7 | 14. Februar 2014
MEDIZINREPORT
der Nachwuchsgruppe „Mikrobielle Immunregulation“ am HZI.
„Nur wenn wir die Funktionsweise des angeborenen Immunsystems wirklich verstehen, können
wir Infektionskrankheiten künftig
bekämpfen“, sagte Prof. Melanie
Brinkmann, Leiterin der Nachwuchsgruppe „Virale Immunmodulation“ am HZI.
Im Zentrum des frühen Abwehrgeschehens steht das Inflammasom,
ein Multiproteinkomplex in Makrophagen und neutrophilen Granulozyten, das als Sensor des Infektgeschehens fungiert. Wird das Inflammasom etwa durch bakterielle Zellstrukturen stimuliert, wird mittels
Caspase-Aktivierung und nachfolgender Interleukin-Freisetzung eine
Entzündungsreaktion in Gang gesetzt mit dem Ziel, die potenziell
krankmachenden Bakterien zu eliminieren.
Wie aber reagiert das Inflammasom auf die immense Menge an
Bakterien, Eukaryoten und Archaeen, die als zelluläre Lebewesen den
Darm besiedeln und eine gesunde
Darmfunktion sicherstellen? Mit etwa 100 Trillionen Zellen besitzt
die intestinale Mikrobiota zehnmal
mehr Zellen als der menschliche
Organismus. Die Zusammensetzung
dieser gewaltigen Zellmassen hängt
unter anderem von der genetischen
Ausstattung des Wirtsorganismus
und von der Ernährungsweise ab.
Aber auch wiederholte antibiotische Behandlungen oder Interaktionen mit dem Immunsystems können die Darmflora nachhaltig verändern, so Strowig. „Ist das empfindliche immunologische Gleichgewicht zwischen bakteriellen Symbionten, Commensalen und Pathobionten anhaltend gestört, kommt
es zu chronischen Entzündungsreaktionen.“ Es wird vermutet, dass
sie in ursächlichem Zusammenhang mit Krankheiten wie Morbus
Crohn, Colitis ulcerosa und Reizdarmsyndrom, aber auch mit Stoffwechselstörungen wie dem metabolischen Syndrom oder der Adipositas stehen.
Inflammasome steuern
Entzündungsreaktionen
Im Tiermodell konnten die Braunschweiger Wissenschaftler nun zeigen, dass entzündliche Reaktionen
im Dickdarm tatsächlich durch eine
Aktivierung des angeborenen Immunsystems ausgelöst werden. Dessen Überwachungssystem, die Inflammasome, verfügt über sogenannte NOD-like-Rezeptoren, die
(ähnlich den eingangs erwähnten
Toll-Like-Rezeptoren) als AntigenDetektoren fungieren. Bei gentechnisch modifizierten Mäusen mit einem Defekt im angeborenen Immunsystem (Caspase-1-Defizienz)
fiel die entzündliche Reaktion nach
DSS (Dextran-Sulfat-Sodium)-induzierter Kolitis deutlich geringer aus
als bei Kontrolltieren vom Wildtyp.
Allerdings hatten die DefektMäuse eine veränderte Mikroflora.
Dies scheint darauf hinzuweisen,
dass dem angeborenen Immunsystem eine wichtige Funktion für die
Aufrechterhaltung einer gesunden
Darmmikroflora und bei der Kontrolle von Entzündungsreaktionen
zukommt. Der Stellenwert des angeborenen Immunsystems und insbesondere der Inflammasome im Zusammenhang mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen soll
nun weiter in Braunschweig untersucht werden, auch im Hinblick auf
mögliche präventive beziehungsweise therapeutische Konsequenzen. ▄
Dr. med. vet. Beate Grübler
Neben dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung wurde das Treffen koordiniert von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, der Medizinischen Hochschule Hannover, der Technischen
Universität Braunschweig, dem Forschungszentrum TWINCORE in Hannover und dem RobertKoch-Institut in Wernigerode.
BAKTERIUM CONTRA IMMUNSYSTEM
Seit Urzeiten versuchen enteropathogene
Bakterien die Immunabwehr ihrer Wirtsorganismen auszutricksen. Über ein besonders
ausgeklügeltes System verfügen bestimmte
Stämme von Yersinia pseudotuberculosis,
einem Hauptverursacher von Darminfektionen. Sie produzieren in großem Maßstab den
sogenannten Cytotoxic Necrotizing Factor
(CNFγ). Diesem Toxin wurde bis dato keine
große Beachtung geschenkt, zumal nicht alle
Yersinia-Stämme das Molekül herstellen. Ein
Team um Prof. Dr. rer. nat. Petra Dersch, Leiterin der Abteilung Molekulare Infektionsbiologie am HZI, nahm CNFγ nun genauer unter
die Lupe.
„Bakterien stellen nur Moleküle her, die ihnen nutzen. Daher hat uns interessiert, wozu
Yersinia CNFγ benötigt“, erläuterte Dersch
das Vorhaben. Die Gruppe arbeitete mit gentechnologisch hergestellten Bakterienstäm-
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men, deren CNFγ-Produktion blockiert war.
Diese Knockout-Stämme konnten bei infizierten Mäusen keine Darminfektionen hervorrufen und beeinträchtigten auch nicht die Immunreaktion der Tiere. Das ist insofern erstaunlich, da die Bakterien durchaus über
weitere Strategien für die Wirtsinvasion verfügen. So exprimieren sie etwa große Molekülkomplexe, mit denen sie zelltoxische Substanzen in Immunzellen schleusen. Damit dies effektiv funktioniert, scheint der untersuchte
Yersinien-Stamm allerdings zusätzlich CNFγ
zu benötigen.
Das kleine Molekül stellt die Weichen in
Richtung Infektion, indem es einen „molekularen Schalter“ umlegt. Es handelt sich dabei um
kleine Rho-GTPasen, die enzymatische Ereigniskaskaden, wie etwa Veränderungen des Zellskeletts, in Gang setzen, was den Yersinien die
Zellinvasion erleichtert. Auch die Apoptose von
Immunzellen wird durch eben diese RhoGTPasen eingeleitet. Mit dem Molekülkomplex
CNFγ besitzen bestimmte Yersinien-Stämme
offenbar ein potentes Werkzeug, um die Immunreaktion des Wirtorganismus – insbesondere die durch Makrophagen und NK-Zellen
vermittelte unspezifische Immunantwort –
effektiv zu unterdrücken.
„Wir haben einen cleveren Schachzug von
Yersinia pseudotuberculosis aufgedeckt. Mit
CNFγ braucht das Bakterium nur ein einzelnes
Protein, das die Zelle so aktiviert, dass der
bakterielle Injektionsapparat effektiver arbeiten
kann“, kommentiert Dersch. Diese Injektionsapparate (Injektosome) sind womöglich auch
ein interessantes therapeutisches Target, um
bakterielle Infektionen einzudämmen.
grue
PLoS Pathog. 2013; 9(11): e1003746. doi: 10.1371/
journal.ppat.1003746. Epub 2013 Nov 7.
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