5. Einsteins kosmologische Konstante Λ, Unsinn oder eine neue Kraft ? 5.1. Kosmologische Modelle mit Λ ≠ 0 Wir kommen jetzt noch einmal auf die dunkle Energie zurück im Zusammenhang mit der kosmologischen Konstanten Λ . Einstein hatte, wie schon bemerkt, 1917 zunächst die Vorstellung eines statischen Universum, d.h. es sollte a&& = a& = 0 sein. Um das zu erreichen fügte zu er seinen 4 Gleichungen noch eine Konstante Λ 1 8πG Rˆ μν − g μν Rˆ = 4 Tμν + Λ g μν 2 c (5.1) was für die 00- und die 11-Komponente folgenden Ausdrücke ergibt 3 R& 2 c 2κ 8πG ( 2 + 2 )= 4 ε +Λ 2 c R c R 1 − 2 c (5.2) && R& 2 c 2κ ⎞ 8πG ⎛ R ⎜⎜ 2 + 2 + 2 ⎟⎟ = 4 p + Λ R ⎠ c ⎝ R R (5.3) Aus der 00-Komponente wird nach Multiplikation mit c 3 und Beachten von R = a (t ) R0 wieder die 2. Friedmann-Gleichung 2 2 8πG c 2κ ⎛ a& ⎞ 2 Λ − 2 2 ⎜ ⎟ = 2 ε +c 3 a R0 3c ⎝a⎠ (5.4) Wenn wir wie im vorigen Kapitel folgende Addition vornehmen (00) + 3·(11), erhalten wir die 1. Friedmanngleichung a&& 4πG Λ = − 2 (ε + 3 p ) + c 2 a 3c 3 (5.5) Das erste Glied auf der rechten Seite von Gl. 5.5 bremst die Beschleunigung. Die Bremsung wird schwächer, wenn ε und p mit der Zeit abnehmen. Das zweite Glied rechts ergibt eine zusätzliche Beschleunigung, solange Λ > 0 ist. Ein positives Λ wirkt nach (5.4) wie eine abstoßende Kraft oder eine „Antigravitation“. In der 2. Friedmann-Gleichung (5.5) dagegen vergrößert Λ > 0 die Gravitation wie eine zusätzliche Dichte. Wir erhalten Einsteins statische Lösung, wenn wir setzen p = 0 und κ = 1 also εΛ = c4 Λ und ΛR02 = 1 4πG 49 (5.6) Als Einstein später (gegen 1932) erkannte, dass Beobachtungen ein dynamisches Universum nahe legen und seine Lösung sich, wie Friedmann zuerst bemerkte, als instabil erwies, soll er von dem größten Blödsinn seines Lebens gesprochen haben. Mathematisch ist Gl. 5.1 tatsächlich die allgemeinste Form der EG, physikalisch ist es bis heute schwer dem Λ eine Bedeutung zu geben. In den letzten Jahren ist Λ wieder zu Ehren gekommen. Die Beobachtungen der Hintergrundstrahlung erfordern einerseits eine euklidische Metrik, κ = 0 , andererseits aus Beobachtungen von SN Ia in der Vergangenheit keine Abnahme von H (t ) , wie man nach Gl. 2. 20 erwarten sollte (s.a. Fig. 2.3), sondern H (t ) bleibt fast konstant, wird aber in der Zukunft mit der Zeit anwachsen (s. Fig. 5.1). Die Beobachtungen (s. unten) lassen durch eine nicht verschwindende kosmologische Konstante deuten. Damit löst sich auch das Problem eines zu kleinen Weltalters. Es ist nicht mehr t 0 < t H , sondern es wird t 0 ≅ t H . Nimmt man Λ über Tμν + Tμν′ in den Energie-Impuls-Tensor auf, so ergibt sich der Zusatz 8πG 8πG Tμν′ = 4 (ε ′ + p ′)u μ uν − g μν p ′ = g μν Λ 4 c c (5.7) und es lässt sich c4 c4 ′ Λ und p = p Δ = − Λ (5.8) 8π G 8π G als Dichte und Druck einer fiktiven Flüssigkeit deuten. Die kosmologische Konstante wirkt wie ein konstanter negativer Druck, der auf eine ziemlich ungewöhnliche Zustandsgleichung führt ε ′ = − p′ (5.9) ε′ = εΛ = Vorsichtshalber schreibt man heute lieber etwas allgemeiner pΛ = w ⋅ ε Λ (5.10) und versucht w aus Beobachtungen zu bestimmen. ε Λ wird als Dichte der „Dunklen Energie“ bezeichnet. Wie bereits erwähnt, entspricht Λ > 0 einer Abstoßung und trägt nach Gl. 5.5 zu einer Beschleunigung bei. Die dunkle Energie verhält sich wie eine Antigravitation. ε Λ hängt nicht wie die Materiedichte vom Skalenparameter a (t ) ab, sondern bleibt, während der Kosmos expandiert, immer konstant. Λ < 0 würde eine zusätzliche Anziehung beschreiben und zu einer Abbremsung der Dynamik führen. Wenn nur die dunkle Energie Λ ≠ 0 in einem sonst leeren Raum wirkt, wird aus Gl. 5.3 und 5.2 für κ = 0 a&& c 2 = Λ a 3 (5.11) und 2 2 ⎛ a& ⎞ c H (t ) = ⎜ ⎟ = Λ 3 ⎝a⎠ 2 (5.12) 50 Die Hubble-Funktion ist konstant. Für Λ > 0 erhalten wir eine exponentielle Expansion (s. Kap. 3) ⎡c2 ⎤ a (t ) = a 0 exp H 2 (t − t 0 ) = a 0 exp ⎢ Λ (t − t 0 )⎥ ⎣3 ⎦ [ ] (5.13) Diese Abhängigkeit mit Λ > 0 führt auf das so genannte Einstein-deSitter-Model. Es wurde zuerst von dem holländischen Astronomen William De Sitter (1872 - 1934) untersucht, der die Ergebnisse 1932 zusammen mit Einstein publizierte. Wir werden später noch sehen, dass das Einstein-deSitter-Model im frühen Universum eine Rolle spielte und dass sich das Verhalten von a(t) in der Zukunft unseres Kosmos immer mehr einer exponentiellen Expansion annähern wird. Heute wird in der Feldtheorie häufig der Fall Λ < 0 , das sogenannte Anti-DeSitter-Model in 4 bzw. 5 Dimensionen diskutiert, welches auf Grund der Symmetrie eine Korrespondenz zur konformen Feldtheorie aufweist. Wenn es nur Materie ε M und dunkle Energie ε Λ bei euklidischer Geometrie ( κ = 0 ) zu berücksichtigen gibt, dann lässt sich die kritische Dichte schreiben oder ε M + εΛ = εc (5.14) ΩM + ΩΛ = 1 (5.15) Fig. 5.1. Verlauf des Skalenparameters a(t) für verschiedene Werte von Ω M und Ω Λ . Von oben nach unten entsprechen den Kurven folgende Parameterwahl ( Ω M , Ω Λ ) = (0.3, 0.7) ; (0.3, 0.0); (1.0, 0.0); (4.0, 0.0) . Nach S. M. Carroll. Living Reviews in Relativity. 7 Febr. 2001. Kommen noch Strahlung und Raumkrümmung ( R0 ≠ 0 ) hinzu, wird H (t ) 2 2 ( ) ⎛ a& ⎞ 2 2 2 −4 −3 −2 ⎜ ⎟ = H 0 Ω 0γ a + Ω 0 M a + Ω 0 K a + Ω 0 Λ = H 0 E (a ) ⎝a⎠ 51 (5.16) Wir können in Gl. 5.16 a (t ) durch (1+z) ersetzen, was direkt beobachtbar ist, und erhalten wieder eine Differentialgleichung für die Rotverschiebung als z (t ) Funktion der Zeit 2 2 ⎛ z& ⎞ 2 ⎜ ⎟ = H 0 E (z ) ⎝1 + z ⎠ (5.17) Für kleine Rotverschiebungen ( z << 1 ) existiert folgende Näherungsformel c(t − t 0 ) = c [z − (1 − q0 2) z 2 + .....] H0 a&&a , t = t0 a& 2 q0 = Hier bedeutet (5.18) (5.19) Wenn man Ω 0 M + Ω 0 Λ = 1 setzt, wird q0 = Ω0M − ΩΛ . 2 (5.20) 5.2. Leuchtkraft-Abstand. Wir hatten schon erwähnt, dass es mit Hilfe von Supernovae vom Typ SN Ia möglich ist, die Entfernung von Galaxien auch bei großer Rotverschiebung zu bestimmen. Diese Entfernung heißt Leuchtkraft-Entfernung d L (luminosity distance). Das Prinzip dabei ist die Bestimmung von d L aus Leuchtkraft L [Watt] des strahlenden Objekts und dem Strahlungsstrom S [W/m2] der auf der Erde zur Zeit t0 ankommt S= L 4πd L2 (5.21) Wir wollen annehmen, dass zur Zeit t0 sich die Erde von der Lichtquelle aus gesehen im Abstand r1 a(t 0 ) befindet ( r1 ist der entsprechende Koordinatenabstand oder mitbewegter Abstand der Erde von der Lichtquelle aus gesehen r1 ≡ DC ). Der Strahlungsstrom S durchläuft die Kugelfläche 4π r12 a 02 Der Nenner 4π d L2 in (5.21) ist also durch 4π r12 a(t 0 ) zu ersetzen. Die Photonen werden von der Lichtquelle mit der Quantenenergie hv1 emittiert, haben aber eine Rotverschiebung, wenn sie auf der Erde ankommen (s. Kap. 3.3) hv0 = Auch die Zahl der Photonen hv1 . z +1 (3.25) δN 0 , die pro Sekunde auf der Erde ankommen, ist um den δt Rotverschiebungsfaktor vermindert 52 δN 0 δN 1 a(t1 ) δN 1 1 = = δt δ t a0 δ t z +1 (5.22) Berücksichtigt man alle genannten Effekte, so ergibt sich L S= 4πa02 r12 ⎛ a ⎜⎜ ⎝ a0 ⎞ ⎟⎟ ⎠ 2 (5.23) Setzen wir wieder a0 = 1 und r1 = DC , so erhalten wir durch Vergleich von Gl. 5.21 und 5.23 d L = r1 ( z + 1) = DC ( z + 1) (5.23) Um also den Leuchtkraftabstand dL zu erhalten, muss der Koordinatenabstand DC mit ( z + 1) multipliziert werden. Die Ableitung folgt St. Weinberg: Cosmology, Oxford Univ. Press 2008 Ch. 1.4. Fig 5.2. Kosmische Abstände: „naive Hubble“ meint zc = H 0 r . Der Koordinatenabstand wird in der Graphik LOSS comoving genannt, darunter die look-back-time. Luminosity distance wurde hier behandelt. Angular diameter distance wird in einem späteren Kapitel behandelt. Credit: Wikipedia. 53 5.3. Hubble-Diagramm mit SN Ia und Bestimmung von (Ω M , Ω Λ ) . Praktisch bestimmt man den Zusammenhang von scheinbarer (m) und absoluter Helligkeit (M) mit der Leuchtkraft-Entfernung dL über die Gleichung (s. dazu auch Anhang A.1) m − M = 5 log[d L (Mpc )] + 25 (5.24) wobei die Abstände in Einheiten von Mpc zu nehmen sind. Diese Gleichung ergibt sich aus Gl. A.1.6, wenn man auf der rechten Seite die Entfernung der absoluten Helligkeit auf 106 pc anstatt in Einheiten von 10 pc setzt. Die rechte Seite von Gl. 5.19 heißt Entfernungsmodul. Eine SN Ia erreicht im Maximum die absolute Helligkeit M = 19.7, wobei die Streuung über die Gestalt der Lichtkurve korrigiert werden kann (hellere SN haben einen steileren Abfall). Der Grund für die erstaunliche Konstanz der absoluten Helligkeit liegt wohl in der zugrunde liegenden Physik. Da man bei diesem Typ Supernova keine Wasserstofflinien im Spektrum beobachtet, geht man davon aus, dass es sich um einen weißen Zwerg handelt, der soviel Materie von einem Begleiter aufgenommen hat, dass die Chandrasekhar-Grenze erreicht und der Stern mechanisch instabil wird. Dabei zündet ein explosives Kohlenstoff-Brennen, dessen Energie den Stern völlig zerstört. Das nukleare Brennen führt am Ende zu den Elementen der Eisengruppe mit Massenzahl 56, die in einer sphärischen Wolke aus Gas und Staub zurück bleiben. . Die beobachteten Leuchterscheinungen werden sekundär durch die Strahlung der radioaktiven Produkte verursacht. Zuächst zerfällt das gebildete 56Ni in 56Co mit einer Halbwertszeit von 6,1 Tagen. Dann zerfällt 56Co in 77 Tagen in 56Fe: 56 28 Ni + e − → 2756 Co t1 / 2 = 6,1 Tage 56 27 Co + e − → 2656 Fe t1 / 2 = 73 Tage Die Betaprozesse laufen durch Elektronen-Einfang oder (weniger häufig) durch PositronenEmission ab. Fig. 5.3. enthält die Messergebnisse m(z) bzw. m(z) – M von Supernovae Ia mit kleiner Rotverschiebung. Fig.5.4. zeigt die Daten des „High-z-Supernova-Teams“, die sich nur dann anpassen lassen, wenn man eine nicht verschwindende kosmologische Konstante Λ > 0 annimmt. Wenn man noch einen euklidischen Raum κ = 0 aus den Messungen der Fluktuation der Hintergrundstrahlung hinzu nimmt (s. dazu Kap. 6), kommt man zu einer Kombination der Parameter ΩM + ΩΛ = 1 (5.25) wobei die wahrscheinlichsten Werte etwa bei etwa Ω M = 0,3 und Ω Λ = 0,7 liegen. Diese Ergebnisse wurden von den Mitgliedern des unabhängig arbeitenden „Supernova-CosmologyProjects“ bestätigt. Der Vorteil dieser Messungen ist ihre weitgehende Unabhängigkeit von der Theorie. Die Fehlergrenzen ergeben sich unter anderem aus der Streuung der absoluten Helligkeit der SN Ia. Die Initiatoren und Leiter der beiden Forschergruppen „SupernovaCosmology-Project“ und „High-z-Supernova-Teams“, Saul Perlmutter, David Riess und Brian Schmidt teilen sich den Physik-Nobel-Preis 2011. 54 5.3. Typischer Verlauf des An- und Abklingens der absoluten Helligkeit von SNe Ia mit kleiner Rotverschiebung. Die helleren Exemplare klingen etwas langsamer ab als die weniger hellen. Zur Korrektur werden die Zeitachsen von diesen werden etwas gestreckt und die Lichtkuvwen angepasst. Kredit: S. Perlmutter in Physics Today April 2003, p. 53 55 Fig. 5.4. Hubble-Diagramm des „High-z-Supernova-Team“. Die Linien sind berechnet mit verschiedenen normierten Dichten. Die Parameter der berechneten Kurven (Ω M , Ω Λ ) sind von oben nach unten (0.25 , 0.76); (0.20, 0.00); (1.00, 0.00) . (s. A.G. Riess, A.V. Filippenko et al. astro-ph /9805201) 56 Fig. 5.5. Hubble-Diagram des Supernova-Cosmology-Projects (s. S. Perlmutter, G. Aldering et.al. http://xxx.uni-augsburg.de/abs/astro-ph/9812133) Die Fehler der absoluten Helligkeit hängen auch davon ab, ob das Licht auf seinem Weg durch interstellare Absorption geschwächt wurde, ein Effekt, der vor allem den kurzwelligen Teil des Spektrums betrifft und somit berücksichtigt werden kann. Auch Staubabsorption kann berücksichtigt werden, da sie die Intensität im blauen Teil des Spektrums herabsetzt und den roten Teil weniger beeinflusst. Eventuell unterscheiden sich die SN Ia bei großen z von denjenigen unserer näheren Umgebung durch ihre chemische Zusammensetzung, was einen Einfluss auf die Kernprozesse und damit auf die Eichung der Leuchtkraft hätte. 57 5.6. Neuere Messungen des High-z-Supernova-Teams mit Ereignissen z > 1. Kredit : Riess, A. G., et al. 2007, ApJ, 659, p. 98. 5.4. Kosmologische Konstante oder Quintessenz Das Modell der kosmologischen Konstanten ist charakterisiert durch die Unabhängigkeit der Dichte Ω Λ vom Skalenparameter a (t ) . Da aber die Materiedichte Ω M sich wie a −3 (t ) verhält, dominiert sie bei z > 1,5., während Ω Λ sich erst bei kleinen z bemerkbar macht. Jede Art von Vakuumenergie kann sich hinter Ω Λ verbergen. Das Einfachste ist die Annahme eines skalaren Felds, das im frühen Kosmos wirksam war und seit dem wesentlich abgeklungen ist. Diesem hypothetischen Feld hat man den Namen Quintessenz gegeben. Obwohl eine solche Annahme durchaus willkürlich ist, erscheint sie von einem physikalischen Standpunkt aus besser begründet als eine kosmologische Konstante. Es gibt dazu viele Vorschläge. Die entsprechenden Felder sind alle zeitabhängig, ein Effekt der nur schwer zu beobachten ist. Dass Ω Λ und Ω M zur Jetztzeit von gleicher Größenordnung sind, ist eine weitere Merkwürdigkeit. Wäre dem nicht so, gäbe es möglicher Weise kein Leben im Kosmos, da die Strukturbildung empfindlich von den beiden Größen Ω M und Ω Λ abhängt. Nach dem Stand der Beobachtungen dürfte die Zeitabhängigkeit nur sehr schwach sein. Außerdem kann Quintessenz kaum zur Strukturbildung beitragen haben. 58 5.5. Andere Hinweise auf Λ > 0 . Das Fluktuationsspektrum der Hintergrundstrahlung (CMB) ist z. Zt. die wichtigste Quelle von Informationen, die komplementär zu den unter Kap. 5.3 angesprochenen sind. Der Bereich der Vertrauensgrenzen überlappt mit den SN Ia-Messungen am besten bei den Werten Ω M = 0,3 und Ω Λ = 0,7 . Grenzen der Materiedichte sind sehr viel schwerer anzugeben. Aus der Nukleosynthese der leichten Elemente, die in den ersten Minuten der kosmischen Evolution ablief, ergibt sich mit der aktuellen Hubblekonstanten eine Baryonendichte von Ω B ≈ 0,04 . Der Anteil der baryonischen Materie scheint aber eher klein zu sein. Die leuchtende Materie in Sternen ist wieder nur ein Bruchteil der baryonischen Materie. Die Untersuchung der Bewegung der Galaxien in Haufen mit Hilfe des Virialsatzes ( E pot = −2 E kin ) ergibt ein Ω M ≈ 0,2 . Der größte Teil von Ω M besteht demnach offensichtlich aus „dunkler Materie“, die sich nur durch Gravitation bemerkbar macht und deren mikroskopischer Aufbau bisher noch völlig unbekannt ist. Noch einmal zurück zum Fluktuationsspektrum der Hintergrundstrahlung. Um seine Struktur an die Theorie anzupassen, müssen kosmologische Parameter eingegeben werden. Man erhält auf diese Weise Ω M ≈ 0,26 . Es ergibt sich damit nicht nur kein Widerspruch zu den SN Ia–Daten, sondern diese werden eher bestätigt. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass die Auswertung der CMB-Daten nicht eindeutig möglich ist. Eine weitere geeignete Methode, Grenzen für Ω M und H0 zu bestimmen, ist der Gravitationslinseneffekt. Die Massen großer Galaxien ( M ≈ 10 M Sonne ) wirken für dahinter liegende Punklichtquellen (Quasare) wie Gravitationslinsen. Der Ablenkungswinkel des Lichts beträgt dabei 12 δα = 2 RS r (5.26) Hier bedeutet RS den Schwarzschildradius der Galaxienmasse M (für eine Sonnenmasse ist RS = 2,9979 km), r ist die Entfernung der Galaxie von uns (gerechnet als Lichtweg). Die Statistik solcher „lensing events“ hängt von den Werten von Ω M und Ω Λ ab. Daraus ergibt sich eine Obergrenze für Ω Λ < 0,7 . Eine weitere Möglichkeit für eine unabhängige Evidenz der dunklen Energie bietet das Studium grossräumiger Strukturen, die bis zu 2 Giga-pc aufgelistet sind. Zu den entsprechenden Durchmusterungen gehören der Sloan Digital Sky Servey (SDSS) und « Wiggle Z Dark Energy Survey » mit Rotverschiebungen und Abständen von 240 000 Galaxien. Es treten in der Verteilung typischer Weise Hohlräume (voids) auf, die von akustischen Schwingungen des baryonischen Plasmas zur Zeit der Entkopplung von Strahlung und Materie stammen. Sie haben einen mittleren Durchmesser von150 Mpc, sind von Galaxien umgeben und können so ein kosmisches Längenmass für große Entfernungen abgeben. Grossräumige Strukturen lassen sich inzwischen auch gut durch die Verteilung von Galaxienhaufen studieren. Im Raum zwischen den Galaxien befindet sich ein heisses Plasma (1 – 100 MeV) von sehr geringer Dichte. Elektronen wechselwirken mit den Photonen der Hintergrundstrahlung und bringen diese auf höhere Energien (inverser Compton-Effekt). Dieser Effekt wurden von Sunyaev und Zeldowich 1980 vorausgesagt und nach den Autoren genannt (SZ-Effekt). Im Umfeld von Galaxienhaufen ist der SZ-Effekt inzwischen gut messbar und 59 5.7. Vertrauensgrenzen der Ergebnisse des Supernova-Cosmology-Projects aufgetragen in einer Ω M − Ω Λ -Fläche. (s. Knop et al. 2003, Spergel et al. 2003, Allen et al. 2002) ermöglichte weitere noch unbekannte Haufen aufzufinden. Der SZ-Effekt ist unabhängig von der Rotverschiebung und hat eine typische spektrale Charakteristik. Als letztes erwähnen wir noch den Sachs–Wolfe-Effekt, genauer « the late-time integrated Sachs–Wolfe effect ». Auf dem Weg zum irdischen Beobachter durchlaufen die Photonen Bereiche des Gravitationspotentials von verschiedener Tiefe (voids and cluster), was zu 60 warmen und kalten Flecken bei der Kartierung des Anisotropie-Spektrums führt. Die zusätzliche Beschleunigung sollte zu einer Abflachung der Potientialmulden führen. 5.5. Deutungen Eine Deutung von Λ geht von dem „Vakuum“ aus, dem Grundzustand der Quantenfelder der Materie. Man kann sich diese als eine unendliche Zahl von Oszillatoren vorstellen, deren Nullpunktsenergie wie beim harmonischen Oszillator proportional ihrer Quantenergie ist (beim harmonischen Oszillator ist sie hω / 2 ). Da diese Energie divergiert, benötigt man eine Abschneide-Energie. Das wäre z.B. die Planck-Energie (etwa EPl ~1018 GeV). Könnte man diese Energie in einem Beschleuniger erzeugen, würden schwarze Löcher entstehen. Die 3 zugehörige Energiedichte ( E Pl / l Pl ) beträgt ρ Pl ≈ 4.64 ⋅ 10113 Joule / m 3 .Verglichen mit der Energiedichte der „Dunklen Energie“ ρ Λ ≈ 1.28 ⋅ 10 −26 ist das ein Faktor von 10139 . Man muss deshalb annehmen, dass alle Beiträge der Nullpunktsenergie des Vakuums sich gegenseitig zu Null kompensieren. Wäre die Vakuumenergie tatsächlich so groß wie oben abgeschätzt, dann hätte unser Universum nur sehr kurze Zeit existiert. Aber selbst bei ienr um Größenordnung kleineren Abschneide-Energie wäre das Ergebnis immer noch katastrophal. Ein anderer Ansatz geht davon aus, dass es zur Zeit der Inflation ein Materiefeld ϕ (z.B. ein skalares Feld) gegeben hat. Diese Möglichkeit wurde schon weiter oben diskutiert. Wir müssen abschließend feststellen, dass das Λ -Problem bis heute ungelöst geblieben ist, obwohl bekannte Physiker sowohl aus der Teilchenphysik wie auch aus der Gravitationsphysik sich intensiv um eine Lösung bemüht haben. Einige geben den frustrierenden Zustand der Diskussion zu. Andere geben zu bedenken, dass Λ gar keinen anderen Wert haben dürfe, sonst wäre die Strukturbildung weniger günstig verlaufen oder die Zeit für eine eventuelle Evolution von Leben zu kurz gewesen. Diese Argumentation führt auf das so genannte anthropische Prinzip in seiner schwachen Form: Wenn Λ nicht den gemessenen Wert hätte, gäbe es kein Leben, d.h. es gäbe uns auch als Beobachter nicht. Der spezielle Wert von Λ wäre demnach ein Auswahleffekt. Das bedeutet mit anderen Worten: der Wert von Λ ist zufällig. Es hätte auch irgendein anderer sein können, und es ist kein Gesetz erkennbar, nach welchem Λ gerade den gemessenen Wert haben sollte. Aber dieser spezielle Wert lässt Leben, ja sogar intelligentes Leben zu Der Kosmos, in welchem wir leben, ist offensichtlich ein sehr spezieller mit besonderen Parametern und Kopplungsstärken. Diese könnten vielleicht zu einem der 10500 Grundzustände (oder Vakua) der Stringtheorie gehören. Die Parameter treten in unseren phänomenologischen kosmologischen Modellen als Eingabegrößen auf, die nicht weiter erklärt werden können. Sie müssen nur so gewählt sein, dass Leben, ja sogar intelligentes Leben möglich ist. 5.6. Zusammenfassung Zunächst wird gezeigt, wie Einstein (vergeblich) versuchte, durch Einführung einer kosmologischen Konstanten Λ das Modell eines statischen Universums zu entwickeln. Λ kann aber auch als Energiedichte interpretiert werden, welche als Antigravitation wirkt. Diese sonderbaren Eigenschaften werden diskutiert. Moderne Hubble-Diagramme mit SN Ia als Normallichtquellen lassen sich nur so interpretieren, dass eine zusätzliche Beschleunigung existiert. Das hat zu einer modernen Wiedergeburt von Λ geführt. Beobachtungen an SNe Ia unter Voraussetzung einer euklidischen Geometrie (aus der Mikrowellenstrahlung) lassen sich nur so interpretieren, dass die kritische Dichte sich aus zwei Anteilen zusammensetzt, nämlich 61 aus etwa 70 % dunkler Energie ( Λ ) und 30 % Materie, wovon nur wiederum höchstens 4 % baryonischer Materie entsprechen. Bisher gibt es keine plausible Erklärung für Λ . Falls wir annehmen müssen, dass der Wert von Λ zufällig ist, wirft das die Frage nach einem kontingenten Kosmos oder einem anthropischen Weltbild auf: Der Kosmos ist so, wie er ist, weil wir da sind! 5.7. Literatur S.M. Carroll, The Cosmological Constant. Living Reviews in Relativity. 2001 http://relativity.livingreviews.org/Articles/lrr-2001-1/index.html P.J.E. Peebles and B. Ratra, The Cosmological Constant and Dark Energy. http://xxx.uniaugsburg.de/abs/astro-ph/0207347 A.G. Riess, A.V. Filippenko et al. http://xxx.uni-augsburg.de/abs/astro-ph/9805201 S. Perlmutter, G. Aldering et.al. http://xxx.uni-augsburg.de/abs/astro-ph/9812133 J.L. Tonry et al. ApJ 594 (2003) 1 L. Perivolaropoulos: Accelerating Universe: Observational Status and Theoretical Implications. http://xxx.uni-augsburg.de/abs/astro-ph/0601014 Leonard Susskind: The Cosmic Landscape. String Theory and the Illusion of Intelligent Design. Little Brown and Company 2005. Christian Wolf: Korrekturen an der Dunklen Energie? Sterne u. Weltraum 6/2011 S. 36 S. Perlmutter in Physics Today April 2003, p. 53 5.8. Aufgaben 5.8..1. Wir wollen Einsteins ursprüngliches Model eines statischen Universums von 1917 verifizieren. Dazu gehen wir von den Gl. (5.4) und (5.5) aus und setzen a&& = a& = 0 . Außerdem soll der Druck p = 0 und R0 soll reell bleiben. Welche Geometrie hat das Modell, welche Raumkrümmung? 5.8.2. Würde man für die Dichte die kritische Dichte einsetzten ε Λ = ε C , wie groß wäre dann der Weltradius R0 ? 5.8.3. In der Gegenwart ist der Dichtebeitrag der Materie (einschließlich dunkler Materie) etwa 30%, der Rest ist dunkle Energie. In der Vergangenheit überwog der Anteil der 62 Materiedichte gegenüber der dunklen Energie. Irgendwann war der Beitrag der dunklen Energie zur kritischen Dichte nur noch 10%. Bei welcher Rotverschiebung „z“ würde man das beobachten? 5.8.4. Ein Widergänger des statischen Kosmos ist die so genannte Steady-State-Cosmology, von britischen Kosmologen vorgeschlagen und bis in die letzten Jahrzehnte propagiert. Hier wird außer Homogenität und Isotropie des Raumes auch eine Homogenität der Zeit angenommen. Was bedeutet das? Wie könnte man in diesem Model die Hubble-Expansion verstehen? 63