Diskussions-Papier Die Diskussionspapiere der S T R E S E M A N N S T I F T U N G bereiten einerseits grundlegende Fakten auf und dienen so der Versachlichung gesellschaftlicher Debatten. Andererseits beziehen die Autoren deutlich Stellung1 und setzen Impulse für die politische Diskussion. --- Zusammenfassung: Seit vielen Jahren wird ein »Linkstrend« in der deutschen Politik beklagt, sowohl das Parteiensystem betreffend, als auch die eigentlich konservativ ausgerichtete Union. Der vorliegende Beitrag untersucht, warum Versuche einer dezidiert freiheitlich-konservativen Politik innerhalb der etablierten bürgerlichen Parteien immer wieder scheitern und wie die Chancen für eine solche Politik in einer neuen Partei rechts von der CDU stehen. André Freudenberg ist Politikwissenschaftler und Journalist. Er beschäftigt sich seit Jahren wissenschaftlich und publizistisch mit dem bürgerlichen Politikspektrum. Letzte Veröffentlichung: • Freiheitlich-konservative Kleinparteien im wiedervereinigten Deutschland, Leipzig 2009: Engelsdorfer Verlag, 382 S., 18€. 1 Die Beiträge geben die Meinung der Autoren wieder und müssen nicht mit den Meinungen und Positionen der Stresemann Stiftung übereinstimmen 2 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier E INLEITUNG ben. Teil III widmet sich schließlich den konkreten Anforderungen zur Überwindung des festgestellten Repräsentationsdefizits. Parteigründungen rechts von der Mitte sind zwar ein Dauerbrenner in Hinterzimmern und Internetforen, dass große Zeitungen das Thema aufgreifen ist hingegen eher eine Ausnahmeerscheinung. Doch im Spätsommer 2010 war genau dies der Fall. Entscheidenden Anteil daran hatte die im Vorfeld stattgefundene Debatte über das Buch Deutschland schafft sich ab des damaligen Bundesbank-Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin. Kurz danach zeigte eine repräsentative Umfrage, dass sich rund jeder fünfte Befragte die Wahl einer neuen Partei, angeführt von Persönlichkeiten wie Thilo Sarrazin, Friedrich Merz oder Joachim Gauck, vorstellen könnte (zitiert nach Spiegel 2010). Die schon länger grassierende und stetig wachsende Unzufriedenheit der Konservativen in der Union rückte kurze Zeit darauf so stark in den Blickpunkt des medialen Interesses, wie selten zuvor. Angeheizt wurde dies zusätzlich durch die Ankündigung von Erika Steinbach im September 2010, den CDU-Bundesvorstand zu verlassen. Gleichzeitig können wir sehen, dass alle bisherigen Parteigründungen des im weitesten Sinne bürgerlichen Lagers bislang gescheitert sind. Dies liegt zum einen an intrinsischen Problemen, aber auch am deutschen Parteiensystem. Im Folgenden sollen deshalb die real vorhandenen Handlungsoptionen von dezidiert freiheitlich und christlich orientierten Konservativen analysiert und daraus Schlussfolgerungen gezogen werden. Dafür geht es in Teil I zunächst darum, die Möglichkeiten innerhalb der CDU auszuloten. Im zweiten Teil wird sowohl das deutsche Parteiensystem auf seine diesbezüglichen Defizite hin untersucht, als auch ein internationaler wie historischer Rahmen gege- 3 Zahlenmäßig fallen vor dabei allem diejenigen ins Gewicht, die der Union als Mitglieder und Wähler bisher die Treue gehalten haben.2 Nicht unberücksichtigt sollen jene Mitglieder anderer (etablierter) Parteien bleiben, die sich in einer ähnlichen »Zwangslage« befinden: Hier wären die Nationalliberalen in der FDP zu nennen, ebenso wie jene Sozialdemokraten, die ähnlich denken und empfinden wie Sarrazin und in ihrer Partei oft keinen leichten Stand haben. Auch auf sie treffen die hier dargelegten Sachverhalte in vergleichbarer Form zu. Nicht zuletzt geht es um die vielen »Ehemaligen«, die sich aus einer (etablierten) Partei zurückgezogen haben. Auch die ehemaligen Mitglieder konservativer Kleinparteien, deren Rückzugsgründe anderer Natur sind, wären zu berücksichtigen. Schließlich kommen noch jene dazu, die gar nicht erst in eine Partei eingetreten sind, weil das für sie passende Angebot nicht vorhanden war. Diese vielen oft unfreiwillig »Inaktiven« bilden zahlenmäßig ebenfalls ein beachtliches Potential für eine neue Partei.3 2 Wenn in den folgenden Ausführungen vorrangig von der CDU die Rede ist, bezieht sich dies auf die quantitative Relevanz. Die CSU ist in der Regel mit gemeint, da die dortigen Verhältnisse sich nicht mehr gravierend von jenen in der CDU unterscheiden. 3 Quantitativ überschätzen sollte man allerdings nicht das Lager der »parteiverdrossenen Nichtwähler«, denn aktuelle Studien zeigen, dass diese sich relativ gleich über das politische Spektrum verteilen. Demzufolge würden sich bei Mobilisierung nur die absoluten Stimmen ändern, nicht aber die prozentualen Stimmanteile (Neu 2012). 4 André Freudenberg – Rechts von der CDU? T EIL I: D IE S ITUATION DES F LÜGELS VON U N ION UND FDP Diskussions-Papier RECHTEN Die Union verstand sich von jeher als natürliche Heimat für Konservative und die allermeisten der politisch Aktiven von ihnen stehen ihr in der Tat auch nahe. Viele engagieren sich dort nach wie vor, auch wenn die als »Linkstrend« diagnostizierte Vernachlässigung und Preisgabe nationalkonservativer und rechtsliberaler Positionen und eine damit verbundene latente Unzufriedenheit schon lange vor der »Ära Merkel« festzustellen waren.4 Freilich hat die »Kombination von wirtschaftspolitischem und gesellschaftspolitischem Liberalismus« (Institut für Staatspolitik 2005: 36) unter ihr eine neue Qualität erreicht; und analog dazu wuchs die Unzufriedenheit unter Basismitgliedern und Wählern rasant. Wie darauf zu reagieren ist, darüber herrscht allerdings weitgehend Uneinigkeit. Für jene Konservativen, die die Union als »politische Heimat« betrachten, mit der sie identitär verwachsen sind, käme ein Parteiaustritt fast einem Sakrileg gleich. Sie sind abzugrenzen von jenen, die ihre Mitgliedschaft pragmatischer betrachten und grundsätzlich einen Parteiwechsel vollziehen würden, sofern ein passendes Alternativangebot vorhanden wäre. Ein kleiner Teil – hierbei handelt es sich schätzungsweise um einige zehntausend Personen – hat der Union bereits den Rücken gekehrt. Mangels passender Alternativen scheuen aber viele diesen Schritt und hoffen insgeheim auf eine »Kehrtwende«. Allerdings befinden sie sich in einem kaum lösbaren Dilemma, welches im Folgenden näher erläutert werden soll. Selbst in linksliberalen Kreisen wird kaum noch in Zweifel gezogen, dass die Stellung der Konservativen innerhalb der Union alles andere als befriedigend ist. Werner Münch, ehemaliger Ministerpräsident Sachsen-Anhalts und einer der wenigen bekannteren Politiker, der die CDU verlassen hat, schrieb im katholischen Komma-Magazin, »wertbewußte, treue Anhänger werden vergrault, kluge und fähige Köpfe werden isoliert und als Konkurrenten entmachtet. […] Jede konstruktive Kritik an der Union wird von ihren Amtsträgern als unsinnig abgebügelt.« Auch in wesentlichen Sachfragen habe die Union ihr konservatives Profil verloren, u.a. beim Schutz des ungeborenen Lebens, bei Ehe und Familie sowie bei Integrationspolitik und Islamisierung (Münch 2010). Schuld daran sind nicht nur äußere Einflüsse, sondern auch eine »Mentalität«,5 welche es den politischen Gegnern leicht macht, die Union aus der »Mitte« oder von links in die Defensive zu treiben. Diejenigen, die Münchs Analyse voll und ganz beipflichten, aber im Gegensatz zu ihm der CDU weiter die Treue halten, müssen demzufolge faktisch Personal verteidigen, deren programmatische Positionen sie kaum noch teilen. Das führt zu einem schwer lösbaren Loyalitätskonflikt, der besonders bei Wahlkämpfen zum Tragen kommt. 4 So beklagte schon Heinrich Hellwege, langjähriger Vorsitzender der Deutschen Partei und Minister unter Adenauer, bereits 1979, dass »in der CDU mehr nach links von der Mitte geschielt [werde], nach Wählern, die der CDU nur Mißoder Verachtung entgegenbrächten« (Zitiert nach: Hannoversche Allgemeine Zeitung: 1979). Nur wenige Jahre später vermissten zahlreiche Konservative die Umsetzung der von Bundeskanzler Helmut Kohl versprochenen »geistigmoralischen Wende«. Zur Entfernung der offiziellen CDU-Politik von den Vorstellungen der Konservativen Anfang der neunziger Jahre siehe Greve (1993). 5 Hierauf machte zum Beispiel der letzte DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel aufmerksam: »Meiner Meinung nach gibt es genug Konservative in der Union, die sich aber […] aus den politischen Debatten in der Partei heraushalten. Wir Konservative sind leider nicht laut genug, wir machen zu wenig Krach. Wir haben viele bürgerliche Ausreden dafür.« (Zuerst 2010b) 5 6 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier An den Aktivitäten der Initiative Linkstrend stoppen, einer konservativen Basisinitiative, die das Ziel verfolgt, entsprechenden Positionen innerhalb der Partei wieder mehr Gewicht zu verleihen, lässt sich das gut demonstrieren: Deren Aktivisten führten im Herbst 2010 eine Reihe von Protestaktionen durch. Doch dieser konservative Aufbruch wird, allen bisherigen Erfahrungen nach zu urteilen, nicht von Dauer sein. Die Gründe liegen zum einen darin, dass es vermutlich einige taktisch motivierte Zugeständnisse, vielleicht sogar ein Gespräch mit »Mutti« geben wird. Viele wähnen sich dann vermutlich bereits am Ziel ihrer Bemühungen. Der übrige Protest wird spätestens verstummen, sobald wieder Wahlen ins Haus stehen und man innerparteiliche Geschlossenheit – sprich Loyalität – demonstrieren muss. Das aber weiß die CDU-Führung und wird daher auch keine großen Anstalten machen, den Kritikern entsprechend weit entgegenzukommen. nen ein gewisser Gestaltungsspielraum bleibt. Ein offensiver Konservatismus innerhalb dieser Strukturen ist von Politikern, die etwas zu verlieren haben, nicht zu erwarten. Folglich können sie auch kaum etwas dazu beitragen, das »Nischendasein« der Konservativen insgesamt zu überwinden. Dieser Loyalitätskonflikt führt erfahrungsgemäß bei den meisten schlichtweg dazu, dass sie sich mit kontroversen Meinungsäußerungen zurückhalten. Mitunter gibt es sogar die Tendenz, auf eine dezidiert »rechte« Kritik an Kanzlerin und CDU-Führung zu verzichten6 oder sogar als illegitim zu erachten.7 Eine offensive und konsequente »Opposition« ist folglich nur durch Personen oder Gruppierungen außerhalb bzw. rechts von der Union möglich. Innerhalb der Partei verhalten sich die Konservativen in der Regel »defensiv«. Sie verteidigen ihre kleine »Nische«, in der ih- Im linken Lager wundert man sich wohl permanent, warum die Konservativen so selten öffentlich protestieren und für ihre Anliegen auf die Straße gehen. Es gibt mehrere Gründe dafür: Zum einen hat es mit Angst vor möglichen Konsequenzen zu tun. Immer wieder musste man mit ansehen, wie jene, die sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hatten – vor allem bei Themen mit geschichtspolitischem Bezug oder im Hinblick auf Islamisierung und Zuwanderung – Opfer perfider Medienkampagnen wurden. Statt die Angegriffenen in Schutz zu nehmen, wurden sie auch noch innerparteilich isoliert und liefen Gefahr, »abgestraft« zu werden.8 So ist auch die Distanz zu erklären, die von derzeit aktiven Landtags- und Bundestagsabgeordneten der Initiative Linkstrend stoppen entgegengebracht wird (Zuerst 2010). Hinzu kommt das erwähnte Mentalitätsproblem, das insbesondere durch bürgerliche Behäbigkeit, durch ein zu schnelles »Abfinden« mit den gesellschaftlichen Verhältnissen gekennzeichnet ist (Citizen Times 2012b). Es besteht die Tendenz, sich stärker auf Beruf und Familie zu konzentrieren, statt der Aufforderung Arnulf Barings Folge zu leisten, »auf die Barrikaden zu gehen« (Poller 1998). Stattdessen wird lediglich in »Bittsteller-Manier« in Z.B. Wolfgang Bosbach (Die Zeit 2012). Ein Beispiel eines defensiven Konservativen, der glaubt, Merkel vor »rechter« Kritik verteidigen zu müssen, ist der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler. Einem Merkel-kritischen Interviewer gab er folgende Antwort: »Mir geht die Art, wie Sie diese Frau kritisieren, auf die Nerven – Ihnen paßt ja überhaupt nichts. Wir sollten uns als Rechte bei der Bewertung der wichtigsten Persönlichkeiten des Staates nicht so verhalten, wie es früher die Linken getan haben: immer nur auf der Suche nach dem wunden Punkt. Das hat etwas Verächtliches.« (Junge Freiheit 2009c). 8 Eine solche Abstrafung kann bis hin zum Fraktions- oder Parteiausschluss reichen. Aber auch geschlossene Distanzierungen der eigenen Landtagsfraktion (wie z. B. im Falle Saskia Ludwigs 2012 wegen eines Gastbeitrages in der Jungen Freiheit oder Hans-Jürgen Irmer aufgrund seiner Islamismus-Kritik im April 2010) oder mangelnde Unterstützung (wie z. B. bei Erika Steinbach) zeigen die Grenzen eines offensiven Konservatismus auf. Siehe auch die Bsp. im Anhang. 7 8 6 7 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier regelmäßig wiederkehrenden Abständen die Beachtung der eigenen Werte und Positionen eingefordert. spruch erhalten. Aber wenn die Vorgänge von den Medien aufgegriffen werden, kommt es zu ersten Absetzbewegungen. Zumindest aber dringen die Anliegen nicht auf höhere Parteiebenen vor, denn spätestens dort stoßen sie auf Ablehnung und werden sie abgeblockt, oft verbunden mit negativen Folgen für die Akteure.10 Anstatt selbstbewusst seine Rechte einzufordern, ist man froh und dankbar über ein paar Millimeter Entgegenkommen. Eine solche Demutshaltung findet sich selbst beim Vorsitzenden von Linkstrend stoppen, Friedrich-Wilhelm Siebeke, dem schon die Wahrnehmung seiner Initiative bei der CDU-Spitze ausreicht (Junge Freiheit 2010b). Ein weiteres Problem ist, dass auf Distanzierungsforderungen seitens der Parteispitze sehr schnell eingegangen wird. Sanfter Druck reicht da meist schon aus.9 Wie wenig ein offensiver Konservatismus in der Union geduldet wird, insbesondere wenn er sich organisatorisch vernetzt, mussten seinerzeit schon die Akteure des Christlich-Konservativen Deutschlandforums (CKDF) erfahren. Weder wurden der Initiative Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt – die Gründungsversammlung musste schließlich auf einem Bonner Rheinschiff stattfinden – noch gab es, im Gegensatz zum Deutsch-Türkischen Forum, eine Anerkennung als offizielle CDU-Vereinigung auf Bundesebene. Prominentere Christdemokraten, wie der damalige baden-württembergische Finanzminister Gerhard MayerVorfelder, gaben dem Wunsch der Parteispitze nach und gingen auf Distanz zu der Vereinigung (Freitag 2004). Auf Orts- und Kreisverbandsebene hat es durchaus inhaltliche Vorstöße von konservativer Seite gegeben und dort auch Zu- Ein etwas länger zurückliegendes, aber eindrucksvolles Beispiel: Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Alfred Dregger sagte 1995 die Teilnahme als Festredner auf einer Veranstaltung ab, die sich gegen eine einseitige Fixierung auf den Aspekt der »Befreiung« hinsichtlich des Kriegsendes 1945 wandte. Dregger wurde von der CDU-Spitze zu dieser Entscheidung gedrängt, weil Manfred Brunner (als Vorsitzender des Bundes Freier Bürger von der CDU als unliebsame Konkurrenz betrachtet) die Veranstaltung moderieren sollte. Auch wenn die Legitimität eines konservativen Flügels innerhalb der Union also an sich nicht infrage gestellt wird, bedeutet dies keineswegs, dass von einer gleichberechtigten Mitwirkung die Rede sein kann. Das kommt mittlerweile auch im CDUGrundsatzprogramm (2007) zum Ausdruck, wo zwar von einer »christlich-sozialen« und einer »liberalen«, jedoch nicht von einer »konservativen«, sondern allenfalls einer »wertkonservativen Strömung«11 die Rede ist. Ein dezidiert konservativer Kurs wäre auch deswegen innerparteilich nicht durchsetzbar, weil die Funktionärsschicht, gegen die keine Politik gemacht werden kann, »hoch gebildet, städtisch, selbstständig« ist, im Gegensatz zum CDU-Wähler, der in der Regel »männlich, patriarchalisch, mittelständisch und provinziell« ist (Lau 2005). Auch wenn CDU-Konservative permanent erleben müssen, wie wenig auf ihre Anliegen eingegangen wird und sie lediglich eine »Alibifunktion« wahrnehmen sollen, sehen die meisten von ihnen – zumindest öffentlich – eine parteipolitische Neugründung alternativ zur CDU/CSU unter rein negativem Vorzeichen. Sie betrachten eine solche Entwicklung als »Gefahr« (Wolfgang Ockenfels) oder als »überflüssig« (Norbert Geis), oft verbunden 9 9 Der Lesbarkeit halber sind die Beispiele im Anhang aufgeführt. Das Präfix »wert-« stammt vom SPD-Politiker Erhard Eppler, der diesen Konservatismus im Gegensatz zum »rechten Strukturkonservatismus« als unterstützenswert ansieht. Die Übernahme des Begriffs in das Grundsatzprogramm ist nach Auffassung von Weißmann (2000) ein Beleg für die Linksverschiebung in der CDU. 10 11 10 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier mit der Hoffnung, dass eine solche Partei nicht entsteht (HansPeter Uhl). T EIL II: L EGITIMITÄT UND C HANCEN EINER P ARTEI DES FREIHEITLICHEN K ON- Schwer nachzuvollziehen sind diese Argumente auch deswegen, weil sie etwas ablehnen, das programmatisch wesentlich eher ihren politischen Vorstellungen entspräche, als das, was in der Funktionärsschicht von Union und FDP derzeit »Mainstream« ist. Diese Nibelungentreue ist nicht nur dem allgegenwärtigen Stigmatisierungsdruck geschuldet, sondern hat auch mit einem tief verwurzelten strukturkonservativen Denken zu tun, welches den Alleinvertretungsanspruch der CDU verinnerlicht hat und das bestehende Parteiensystem als »alternativlos« betrachtet. Die logische Folge wäre im Falle eines Austrittes oder Ausschlusses aus der Union der Rückzug aus der Politik.12 SERVATISMUS Symmetrie und Ausgewogenheit des Parteisystems als demokratieadäquater »Normalzustand« Ein funktionierter und freier Wettbewerb gilt als Wesenselement der Marktwirtschaft und die Politik trägt zu dessen Sicherung mit Hilfe von Kartellgesetzgebung und Regulierungsbehörden entscheidend bei. Ziel ist eine möglichst große Produktvielfalt für den Kunden unter Wahrung von Preisstabilität, so dass jedermann das passende und günstigste Angebot für sich findet. Monopolisierung und Kartellbildung verhindern indes diesen Wettbewerb und werden deshalb staatlicherseits bekämpft. In der Politik ergibt sich aus dem Prinzip der Volkssouveränität (Art. 20, Abs. 2 GG), welche Bestandteil des Demokratieprinzips ist und zu den Staatsformmerkmalen der Bundesrepublik Deutschland zählt, dass ein freier politischer Wettbewerb gewährleistet sein muss und der Wähler eine möglichst große und damit auch passende Auswahl an politischen Angeboten vorfindet. Nur auf diese Weise kann das Volk an der politischen Willensbildung in ausreichendem Maße partizipieren. Um es politisch handlungsfähig zu machen, benötigt es wiederum Parteien. Gegen ein Verbleib von Konservativen in der CDU ist prinzipiell nichts einzuwenden. Doch stellt sich die Frage, ob dieses Engagement aus Überzeugung erfolgt oder lediglich eine Art »Notlösung« darstellt, die im Vergleich zu möglichen Alternativen (z.B. dem Einbringen in eine chancenlose Kleinpartei oder gänzlicher Rückzug) rationaler und zielführender erscheinen mag. 12 11 Daraus ergibt sich die Forderung an den Staat und an bereits etablierte Parteien, nicht nur die Gründung, sondern auch die Entwicklung und Etablierung neuer Parteien nicht unnötig (z.B. mittels restriktiver Wahlgesetze, Abwerbung von Personal etc.) zu erschweren.13. Genau dies passiert aber hierzulande in besorgniserregender Weise. Man findet in der Bundesrepublik eine aus13 Ausführlich dazu: Köhler (2006); Freudenberg (2009: 291ff.). 12 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier geprägte »Kartellbildung« vor, mit entsprechenden Abschottungstendenzen der »politischen Klasse« vor unerwünschter Konkurrenz. Auch durch den politischen Missbrauch des Verfassungsschutzes wird das Aufkommen von als »illegitim« eingestufter Konkurrenz präventiv erschwert (Knütter/Winckler 2000). Beispielsweise konnten auf diese Weise Polizisten und Beamte von einer Mitgliedschaft bei den Republikanern mittels Androhung von Disziplinarverfahren abgehalten und die Partei dadurch entscheidend geschwächt werden. Dieser Anspruch selbst und die daraus resultierende Bekämpfung entsprechender Vorstöße scheinen aber konträr zu den o.g. Verfassungsprinzipien der Volkssouveränität, des Demokratieprinzips und des daraus resultierenden Prinzips des freien politischen Wettbewerbs zu stehen. Es handelt sich letztlich um ein ideologisches Konstrukt, mit dem unausgesprochen das Ziel verfolgt wird, konservative Einflüsse, die fälschlicherweise als »Gefahr« betrachtet werden, zurückzudrängen und zu neutralisieren.14 Die adversen Rahmenbedingungen, mit denen Kleinparteien in Deutschland generell konfrontiert sind (Boom 1999), treffen in besonderer Weise jene, die sich rechts von der Mitte verorten. Denn hier kommt die von der »politisch-medialen Klasse« betriebene Vermischung von rechts, rechtsextrem und neonazistisch besonders zum Tragen (Klonovsky 2010). Gäbe es diesen Stigmatisierungsdruck nicht oder zumindest nicht in diesem Ausmaß, hätte sich höchstwahrscheinlich schon längst eine Partei rechts der Union (z.B. die Republikaner) etabliert oder es wäre – analog zur WASG – zu einer erfolgreichen Abspaltung von Teilen des konservativen Unionsflügels gekommen. CDU und CSU akzeptieren prinzipiell zwar die Legitimität einer demokratischen Rechten, sprechen ihr aber faktisch das Recht ab, sich parteipolitisch eigenständig (also unabhängig von ihr) zu organisieren. Dies kommt insbesondere im als »Strauß-Doktrin« bezeichneten Grundsatz zum Ausdruck, dass es rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe. Daraus leitet sich ein »Alleinvertretungsanspruch« auf Teile der Mitte und insbesondere auf die demokratische Rechte ab, der bis heute vertreten wird (z.B. durch Stanislaw Tillich, vgl. Preußische Allgemeine Zeitung 2010). 13 Sobald Konservative versuchen, sich außerhalb der Partei zu organisieren, macht die CDU ihren Alleinvertretungsanspruch geltend und bekämpft den entsprechenden Versuch. Aber auch wenn Konservative innerparteilich eigenständige organisatorische Strukturen aufzubauen versuchen, werden ihnen die Akzeptanzgrenzen sehr schnell deutlich gemacht. Der Umgang der Parteispitze mit dem Christlich-Konservativen Deutschland-Forum (CKDF) ist hierfür symptomatisch. Auch neuerlichen Versuchen, dem Berliner Kreis feste organisatorische Strukturen zu geben, steht die Parteispitze ablehnend gegenüber (Müller 2012) und drohte Interessenten unverhohlen damit, im Falle eines weiteres Engagement in dieser Vereinigung deren CDU-Karriere zu verbauen (Alexander 2012).15 Dass bekennende Konservative personell kaum noch im Bundesvorstand vertreten sind, ist nur eine sehr offenkundige Folge all dieser schwierigen Begleitumstände. Nicht wesentlich anders sieht es bei der FDP aus: Als in den 1990er Jahren die »Gefahr« einer »Übernahme« des Berliner FDP-Landesverbandes durch nationalliberale Kräfte bestand, übte die Bundesspitze massiven Druck aus, der so weit ging, dass Zu den Delegitimierungsstrategien vgl. Freudenberg (2010: 254ff.). Hinzu kommt die nicht zu unterschätzende Problematik, dass die Akteure innerhalb des Berliner Kreis offensichtlich nicht in der Lage sind, sich auf eine grundlegende Strategie zu einigen, weswegen ein im Sommer 2012 angekündigtes gemeinsames Thesen-Papier nicht veröffentlicht wurde. 14 15 14 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier gar mit einer »Abspaltung« des Berliner Verbandes im Falle der Wahl des nationalliberalen Kandidaten Alexander von Stahl gedroht wurde. Der Ablauf des Mitgliederentscheides zur Eurorettung im Jahre 2011 spricht ebenfalls Bände. schen Landeskirche (SELK) angeschlossen. Wie wäre es um die Kirchenlandschaft bestellt, wenn es diese Alternativangebote nicht gäbe? Was wäre, wenn die EKD einen Alleinvertretungsanspruch auf alle evangelischen Christen erheben würde? Kaum jemand betrachtet die Freikirchen pauschal als Gefahr, auch wenn es dort vereinzelt problematische Tendenzen geben mag. Im Prinzip verhalten sich FDP- und Unionsführung – ökonomisch betrachtet – wie ein Monopolist, der weiß, dass der Kunde auf sein Produkt dringend angewiesen ist. Im Folgenden sollen einige Vergleiche verdeutlichen, wo hingegen überall Alleinvertretungsansprüche und Monopole zugunsten von mehr Pluralität verschwunden sind und welche positiven Folgen dies zeitigte. Parteienspektrum links von der Mitte Kaum ein linksorientierter Wähler muss der Wahl mangels erfolgversprechender Angebote fernbleiben. Man stelle sich einmal vor, es erginge eine Aufforderung an Mitglieder der Linkspartei, sofort in die SPD einzutreten. Gleichzeitig würden alle Strukturen, die links von SPD vorhanden sind, für illegitim erklärt. Keiner käme auf eine solche Idee, seitens der Linken würde man dies sofort empört zurückweisen. Die SPD kommt, obwohl sie auch durchaus Wähler an Die Linke verloren hat, nicht auf den Gedanken, einen wie auch immer gearteten Alleinvertretungsanspruch zu erheben, nur weil es vielleicht auch in der SPD eine dezidiert linke Strömung gibt. Struktur des deutschen Protestantismus Viele theologisch konservative (evangelikale) Christen beklagen eine zunehmende Politisierung und Entfernung der Evangelischen Landeskirche von der biblischen Lehre und dem Hauptanliegen, Gottes Wort zu predigen. Nicht wenige bleiben trotzdem weiter dort aktiv, aber etliche haben sich auch den theologisch meist bibeltreu(er)en Freikirchen bzw. der Selbständigen Evangeli15 Printmedien der Bundesrepublik Im Gegensatz zur Parteienlandschaft ist hier eine Ausdifferenzierung in bescheidenem Umfang bereits gelungen. Gerade rechtskonservativ orientierte Leser sind überaus dankbar, dass sie nicht nur die FAZ als Lektüre haben, in der gelegentlich ihre Meinung vorkommt, sondern eben auch Periodika wie die Junge Freiheit, die ihnen generell »aus der Seele sprechen« und dezidiert ihre Anliegen aufgreifen. Diese Beispiele sollten ausreichend verdeutlicht haben, wie absurd es ist, einen »Alleinvertretungsanspruch« für sich zu reklamieren. Pluralität und Vielfalt sollen überall herrschen, nur Konservativen und Nationalliberalen will man dies nicht zugestehen. Man beschwört statt dessen eine vermeintliche Stabilität, die z.B. dann in Gefahr sei, wenn es neben der CDU noch eine konservative Partei gäbe (Baring et al. 2000). Parteiensysteme anderer europäischer Länder Um ein ausdifferenziertes und vollständiges Parteiensystem mit einigermaßen fairen Rahmenbedingungen zu finden, die ein hohes Maß an Partizipation und Repräsentation sicherstellen, reicht schon der Blick in unsere europäischen Nachbarländer, was nicht zuletzt auch in der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments seinen Ausdruck findet. 16 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier In Österreich gibt es rechts von der Mitte sogar zwei Parteien, die zusammen mehr als ein Viertel der Wählerstimmen auf sich vereinigen (Abb. 1). onalen Parlamenten nicht nur vertreten, sondern meist auch als normale politische Mitspieler anerkannt. Insofern hat der österreichische Politikwissenschaftler Lothar Höbelt recht, wenn er die Struktur des derzeitigen deutschen Parteiensystems als »politische Anomalie« (Junge Freiheit 2009b) bezeichnet. Abb. 1: Österreich: Nationalratswahl 2008 Grüne 0% 20% SPÖ ÖVP 40% BZÖ 60% Parteiensystem der frühen Bundesrepublik und in der DDR nach der ersten freien Wahl FPÖ 80% 100% In den Niederlanden gibt es zwar ähnlich wie in der Bundesr Bundesrepublik zwei Gruppierungen, die links von den Sozialdemokraten stehen, dem entspricht cht jedoch eine prozentual etwa gleich starke Kraft im rechten Lager, so dass von einer »Asymmetrie Asymmetrie« des Parteiensystems keineswegs gesprochen werden kann (Abb (Abb. 2). Abb. 2: Niederlande: Wahl zur zweiten Kammer 2010 und 2012 SP (Linke) GL (Grüne) PvdA (Sozialdemokraten) D66 (Linksliberale) VVD (Liberale) CDA (Christdemokraten) CU (Orthodoxe Christen) PVV (Rechtsliberale) 2012 2010 0% 20% 40% 60% 80% 100% In fast allen europäischen Ländern sind Parteien, die als rechtsl rechtsliberal oder »rechtspopulistisch« beschrieben werden, in den nat nati17 Doch nicht nur unsere ausländischen Nachbarn zeigen, dass es in der heutigen Bundesrepublik erhebliche Demokratiedefizite gibt. Auch ein Blick in andere Epochen der deutschen Geschichte bestätigt Höbelts These. Sogar in der Nach-Wende-DDR finden wir ein Parteiensystem vor, in dem die Konservativen eigenständig parteipolitisch repräsentiert und sogar an der Regierung beteiligt waren. Das Gleiche gilt für die Weimarer Republik, das Kaiserreich sowie die Frühphase der Bundesrepublik. Auch wenn eine konservative Parteineugründung aufgrund der Diskreditierung der entsprechenden Eliten durch den Nationalsozialismus nicht möglich war, gab es in den 1950er Jahren erstaunlicherweise gleich zwei Parteien, die rechts von der CDU/CSU standen, die konservative Deutsche Partei und der Gesamtdeutsche Bund/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE). Und obwohl sie in den 1960er Jahren nicht mehr im Bundestag vertreten waren, so war doch immerhin die FDP noch eine stark nationalliberal geprägte Partei und mit Erich Mende ein Rechtsliberaler von 1960-68 ihr Bundesvorsitzender. Bezeichnenderweise begannen Ende der sechziger Jahre die ersten Versuche des Aufbaus einer neuen konservativ-rechtsliberalen Kraft, nachdem die FDP infolge der sozialliberalen Koalition nach links gerückt war, ein wichtiges Indiz für das seither bestehende Vakuum rechts von der Mitte. 18 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier Auch nach ach der ersten freien Wahl in der DDR hatte sich eine Zusammensetzung des Parlaments herausgebildet, die sich im Vergleich zur heutigen Bundesrepublik nicht nur dadurch unte unterschied, dass die CDU (40,8%) und die damalige PDS (16,4%) einen deutlich höheren Mandatsanteil hatten, sondern da dass es – ähnlich wie in der frühen Bundesrepublik – mit der DSU (6,3%) auch eine Kraft rechts der CDU gab. Somit war das Parlament »‚bürgerlicher‘, weniger 68er-lastig und auch uch ausgewogener als das in der Bundesrepublik.« (Freudenberg 2010). in den Bundestag einziehen würde. Da hilft auch der Zuwachs für die CDU kaum etwas. Parteiensystem der BRD heute Inn der heutigen Bundesrepublik sind diese hehren Maximen aber nur im linken politischen Lager und in der Mitte verwirklicht verwirklicht. Dies führt zu einer Zusammensetzung des Bundestages, deren Asymmetrie klar zum Vorschein kommt (Abbildung 3). Abb. 3: Bundestagswahl 2009 und Sonntagsfrage Sept. 2012 Die Linke Grüne Piraten SPD FDP CDU 2012 2009 0% 20% 40% 60% 80% 100% Die hier aufgeführte Sonntagsfrage (Emnidd 16.09.2012) würde diesen Trend sogar noch verstärken, da die FDP an der Fünfpr Fünfprozenthürde scheitern und mit den Piraten eine weitere linke Partei 19 20 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier T EIL III: Ü BERWINDUNG DES P ARTIZIPATIONS - UND R EPRÄSENTATIONSDEF IZITS gezwungen sind, eine Partei zu wählen, die ihnen lediglich als »kleineres Übel« erscheint, oder der Wahl eben ganz fernbleiben müssen. Bereits im Oktober 2001 wünschten sich laut einer Umfrage 48 Prozent der Deutschen eine bundesweite politische Kraft, die programmatisch eine ähnliche Ausrichtung hätte, wie die zu dieser Zeit in Hamburg mitregierende Schill-Partei (Infratest dimap 2001). Damit sich auch hierzulande rechts von der Mitte eine seriöse, freiheitlich-konservative demokratische Kraft etablieren kann, müssten vor allem die Rahmenbedingungen günstiger gestaltet werden. Hierzu zählen u.a.: • Eine Wahlrechtsreform, z.B. Senkung der Sperrklausel auf vier Prozent wie in Österreich; • mehr Fairness in der medialen Berichterstattung, d.h. ähnlich objektiv und umfassend, wie dies bei allen bereits etablierten Parteien der Fall ist; • Aufgabe des Alleinvertretungsanspruchs der CDU/CSU auf die demokratische Rechte. Auf diese Weise würde in Deutschland ein Sechs- bzw. SiebenParteien-System entstehen und es gäbe mehr Partizipationsmöglichkeiten für den Wähler. Alle im Volk vorhandenen politischen Auffassungen wären auch parteipolitisch angemessen vertreten. Mehr Demokratie und mehr Verwirklichung von Volkssouveränität hieße das Ergebnis. Die politische »Balance« könnte auf diese Weise wiederhergestellt werden und zu einem ausgewogenen Parteiensystem führen, welches nach Auffassung von Ernst Nolte eine gemäßigte und radikale Linke, eine ebensolche Rechte und eine starke Mitte haben müsse, die sich gegenseitig im Gleichgewicht hielten. Ein Erfolg der ideologischen Bürgerkriegsparteien würde so verhindert (Nolte 1995). Nicht zuletzt aufgrund dessen, dass ein solches Angebot fehlt, kommt es zu solchen »Merkwürdigkeiten«, dass 27 Prozent der Linksparteiwähler eigentlich lieber für eine Partei rechts von der Mitte votiert hätten, aber eben faktisch genau jenen ihre Stimme geben, die diesen politischen Ansatz am heftigsten bekämpfen.16 Das Gleiche gilt natürlich auch für höhere Stufen der Beteiligung, also der aktiven Mitgliedschaft in Parteien und die Erringung von Mandaten und Ämtern. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland schätzungsweise mehrere zehntausend Menschen, die von dieser Art politischer Mitwirkung faktisch ausgeschlossen sind. Faktisch bezieht sich auf den Umstand, dass diese Personen theoretisch in die etablierten bürgerlichen Parteien oder in eine konservative Kleinpartei eintreten könnten. Die Gründe, dass dies für einen Großteil keine Alternativen (mehr) sind, wurden in Bezug auf CDU/CSU- und FDP-Mitglieder bereits ansatzweise dargelegt. Die derzeit vorhandenen Optionen werden von der großen Mehrheit nicht als solche wahrgenommen. Wer sich dennoch in einer Kleinpartei engagiert, wird meist durch anhaltende Erfolglosigkeit und interne Querelen zermürbt und gibt nach Den eingangs zitierten Umfragewerten zufolge gibt es in der Bundesrepublik mindestens sechs Millionen Wähler, die aufgrund des Nichtvorhandenseins eines attraktiven Angebotes entweder Laut einer Emnid-Umfrage sprechen sich z.B. 85% der Wähler der Linkspartei für eine automatische Abschiebung krimineller Ausländer aus, so wie sie in der Schweiz praktiziert wird (Junge Freiheit 2010d). Da Die Linke stattdessen alles unternimmt, um dies zu verhindern, bekommt der überwiegende Teil der Wählerschaft genau das Gegenteil von dem, was er sich in diesem Falle politisch wünscht und verhält sich im Grunde irrational. 21 22 16 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier einiger Zeit auf. So sind die allermeisten zum politischen Nichtstun verurteilt und befinden sich unfreiwillig im politischen »Wartestand«. Für all diese »Optionen« gibt es mehr oder weniger bekannte Fälle: Der komplette Rückzug aus der Politik (z.B. Markus Roscher, Ex-CDU, Ex-FDP) oder ein »Weitermachen« im Rahmen einer Kleinpartei oder Bürgerbewegung (bspw. Markus Wagner, Ex-CDU, dann Partei Rechtsstaatlicher Offensive) sowie letztlich eine Rückkehr in die CDU/CSU oder FDP. Doch auch letzteres ist meist zum Scheitern verurteilt (z.B. Manfred Brunner oder Heinrich Hellwege). Wirtschaftlich betrachtet handelt es sich bei all diesen Personen um riesige Humanressourcen, die – mangels passenden Angebots – ungenutzt bleiben. Die große Mehrheit von ihnen besteht keineswegs – wie fälschlicherweise immer wieder behauptet wird – aus »Spinnern und Querulanten«. Was den Mitgliederbestand einer solchen neuen oder umgestalteten Partei anbelangt, so würde dieser also sich im Wesentlichen aus vier Gruppen rekrutieren: • Frühere und derzeitige Mitglieder von Union und FDP: Hierbei sind jene zu unterscheiden, die freiwillig die Parteien verlassen haben, weil ihr Anliegen – obwohl sie mitunter jahrelang für Akzeptanz gekämpft haben – nicht oder nicht ausreichend Gehör fand, und natürlich jene, die aus den Parteien ausgeschlossen wurden, weil sie eine missverständliche Rede gehalten oder für eine »falsche« Zeitung geschrieben haben. Hinzu kommen jene, die »formal« noch Mitglied der Union bzw. der FDP sind, aber resigniert haben und sofort für ein attraktiveres politisches Angebot bereitstünden. • Frühere Mitglieder anderer etablierter Parteien: Ihr Anteil wird zahlenmäßig wesentlich geringer sein, aber in der Summe ist es ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Faktor. • Ehemalige und derzeitige Mitglieder freiheitlichkonservativer und christlicher Kleinparteien sowie Wählervereinigungen: Es ist davon auszugehen, dass große Teile der noch verbliebenen Mitgliedschaft überwechseln würden. Des Weiteren sind diejenigen zu berücksichtigen, die früher einmal bei einer Kleinpartei aktiv waren. • Politisch Inaktive: Sie sind mangels passenden Angebots nirgendwo aktiv geworden, haben generell aber durchaus Interesse an einer derartigen Betätigung. Eine Neugründung bzw. Umgestaltung einer bestehenden Partei mit Erfolgspotential könnte zwar nicht alle, aber doch einen beträchtlichen Teil davon aktivieren. Nachfolgende Tabelle soll einen Aufschluss über die Zusammensetzung geben. Da keine entsprechenden Zahlen vorliegen, handelt es sich hierbei um eigene Schätzungen. 17 CDU/CSU-Mitglieder FDP-Mitglieder (überwiegend Nationalliberale) SPD-Mitglieder Mitglieder moderater Kleinparteien Parteilose (inklusive bereits ausgetretener Unionsmitglieder bzw. anderer Parteien) Gesamt 35.000 2.000 1.000 2.000 10.000 50.000 Tab. 1: Personenpotential bürgerliche Parteineugründung 17 Dies entspricht lediglich etwa fünf Prozent der Gesamtzahl der Mitglieder von CDU und CSU (Stand 2010). 23 24 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diese Gesamtmitgliederzahl entspräche damit zu etwa zwei Dritteln der derzeitigen FDP-Mitgliedschaft. Neben dem Haupteffekt, der Möglichkeit zur aktiven politischen Partizipation all derer, die diese Gelegenheit unter den derzeitigen Bedingungen faktisch nicht haben, hätte es zudem noch mehrere äußerst bemerkenswerte Nebeneffekte: • • • Vertreter eines freiheitlich-konservativen Politikansatzes könnten ihre Anliegen freier und offensiver vertreten, da sie keine Angst mehr haben müssten, von ihrer eigenen Partei(-führung) bei eventuellen Angriffen im Stich gelassen oder gar sanktioniert zu werden, da grundlegende Positionen Konsens in der Partei sind. Die Gesamtheit jener, die inhaltlich annähernd die gleichen Ziele verfolgen, dies aber nicht effektiv tun können, weil sie organisatorisch zersplittert sind, werden unter dem Dach einer neuen Partei zu einem effektiven gemeinsamen Handeln befähigt. Das betrifft nicht nur Parteien, sondern auch die vielen kleinen konservativen und nationalliberalen Initiativen, die bislang isoliert vor sich hinarbeiten. Mit einer Vernetzung sollte natürlich schon vorher begonnen werden, sie wäre aber weitaus effektiver umsetzbar, weil mit der entsprechenden Partei ein starkes Gravitationszentrum entstünde. Ein großer Teil der »Splitterparteien«, denen jegliche Erfolgsvoraussetzungen fehlen und die daher keinerlei Möglichkeit haben, aus dem »Null-Komma-ProzentGhetto« herauszukommen, würde verschwinden, es käme zu einer gesunden »Marktbereinigung«. 25 Diskussions-Papier • Mit der neuen Partei würde auch eine entsprechende parteinahe Stiftung entstehen. Durch eine solche mit einem Millionenbudget ausgestattete Einrichtung könnte auch freiheitlich-konservativ orientierte politische Bildungs- und Forschungsarbeit in einem öffentlichkeitswirksamen Ausmaß betrieben werden. Die latente Dissonanz wäre dann auch auf diesem Gebiet zu Ende. Viele attraktive Arbeitsstellen für Personen, die diesem Spektrum zugeneigt sind, würden entstehen. • Die CDU könnte zusammen mit einer Kraft rechts von ihr und der FDP das gesamte bürgerliche Wählerpotential ausschöpfen, also indirekt auch jene Wählerschichten, die sich von ihr abgewandt haben, erreichen. Sofern es sich um Nichtwähler handelt, würde dies längerfristig nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer Stabilisierung des nicht-linken Spektrums führen. • Das rechtsextreme Lager würde entscheidend geschwächt. Weitere Wahlerfolge der NPD wären eher unwahrscheinlich. An Österreich und der Schweiz kann man beispielhaft sehen, dass in Ländern, in denen es eine starke demokratische Rechte gibt, die extreme Rechte (partei-)politische keine Chance hat. • Die Linkspartei würde ebenfalls geschwächt, da ein Teil der Protestwähler dann dem vorhandenen »rechtspopulistischen« Angebot den Vorzug geben wurde. 26 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier Dezidierte und nachhaltige Vertretung eines freiheitlich-konservativen Politikansatzes bereit, bis hin zu einem schwer erträglichen Maße inhaltliche Zugeständnisse – sei es an den Zeitgeist, die Medien oder den potentiellen Koalitionspartner – zu machen. Klientelparteien unterscheiden sich nicht nur im Hinblick auf ihre geringeren Mitgliederzahlen vom Typus der Volkspartei, sondern meist auch durch ihre schärfere Programmatik und eine stärkere Orientierung an der eigenen Wählerschaft. Damit einher geht oft ein anderer Habitus und Tonfall. Sie treten – vor allem in der Opposition – für ihre politischen Anliegen offensiver ein und sind weniger geneigt, einen »Rückzieher« zu machen. Auch wenn es hier im Laufe der Jahre – beispielsweise bei den Grünen – zu einer Mäßigung kam, zeigt sich dort und insbesondere bei der Linkspartei auch heute noch der kämpferische und rebellische Geist, der der Achtundsechziger-Bewegung innewohnte. Dem hat die Union wenig entgegenzusetzen. Zunächst einmal liegt es an der vielbeklagten bürgerlichen Feigheit und Furcht, bei »heiklen« Themen von der »Political Correctness« abzuweichen und somit politische und mediale Angriffsfläche zu bieten. Bei der FDP verhält es sich ähnlich. Es hat aber auch strukturelle Gründe, weswegen sich die Christdemokraten häufig in die Defensive treiben lassen. Um ihrem eigenen Anspruch als »Volkspartei der Mitte« gerecht zu werden, können sie gar nicht die inhaltliche Schärfe entwickeln, die manche von ihnen erwarten. Natürlich sollen der Theorie nach auch die »demokratischen Rechten« mit zum Zuge kommen, in der Praxis bleiben gerade sie meistens auf der Strecke. Oft werden die gelegentlichen Vorstöße dann als »Einzelmeinungen« abgetan und eine weitergehende Debatte findet nicht statt. Dies korrespondiert mit inhaltlicher Unschärfe und Beliebigkeit. Der »Politikertypus«, der hier vorherrscht, kann beschrieben werden als »Typ des ‚politischen Unternehmers‘ mit staatlicher Risikoabsicherung, der sein Repräsentanten-Amt durch Beziehungsorganisation und flexible Öffentlichkeitsarbeit professionell auf Dauer stellt. Dieser Typus ist kaum noch ideologisch motiviert, sondern v.a. am Erfolg seines politischen Unternehmens und an einer entsprechenden Karriere interessiert.« (Institut für Staatspolitik 2007: 22) Bei Klientelparteien, insbesondere bei den Linken, ist es genau umgekehrt. Der potentielle Machterwerb wird dem Erhalt programmatischer Schärfe und damit verbundener klarer Positionierung meist untergeordnet. Ziel muss es demzufolge sein, auf der rechten Seite des politischen Spektrums eine eigenständige Kraft zu installieren, die strategisch ähnlich agiert wie Linke und Grüne, also nachhaltig und dezidiert, aber auch »offensiv, angriffslustig und selbstbewußt« (Zittelmann 1996: 172) für ihre Anliegen eintritt. Inhaltlich sollte sie sich hingegen nicht scheuen, mitunter auch eine scharfe Gegenposition zu den Linken einzunehmen und eventuelle Zögerlichkeiten seitens SPD oder CDU anzuprangern. Nur so kann man ein wirksames Gegengewicht herstellen und nachhaltig die linke Meinungsführerschaft verringern. Ein weiterer Aspekt ist die Prioritätensetzung im Hinblick auf die Machtfrage. Weil Machterwerb und Machterhalt für die Union von solch herausragender Bedeutung sind, ist man dort auch Was das Verhältnis zu den bürgerlichen Mitte-Parteien angeht, so wäre es wichtig, dass sie nicht als »Anhängsel« der Union wahrgenommen wird, so wie es mitunter in den 1950er Jahren der Deutschen Partei unter Adenauer erging. Sie sollte also nicht versu- 27 28 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier chen, eine »bessere CDU« (Wagner 2004) zu sein. Nichtsdestotrotz ist eine konstruktive Zusammenarbeit mit Union und FDP angezeigt, sofern genügend inhaltliche Übereinstimmung besteht, so wie das auch zwischen anderen im Bundestag vertretenen Parteien üblich ist. Dies bedeutet auch, dass es nicht länger das erklärte Ziel der Union sein darf, die rechts von ihr befindliche Gruppierung nur als »Machtvehikel« zu missbrauchen, aber gleichzeitig darauf hinzuwirken, den »Partner« durch »Umarmung« oder Ausgrenzung »überflüssig« zu machen. Wirksamkeit zu entfalten. Im Gegensatz zu den kurzen »Strohfeuern« einer Aktion oder einer Buchveröffentlichung gelänge es auf diese Weise, permanent in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Der soeben beschriebene strategische Ansatz wird auch außerhalb rechtskonservativer Kreise durchaus anerkannt und entsprechend als Erfolgsrezept empfohlen. So schrieb etwa Frank Jansen im Tagesspiegel: »Jedenfalls fehlt dem rechten Spektrum jenseits von Union und FDP bislang eine Figur wie HC Strache, in Kombination mit einer flotten Protestpartei. Sie könnte sich, konkurrierend mit der Linkspartei, beim Potential der vielen Unzufriedenen bedienen, gerade auch in der Mittelschicht. […] Eine Partei ‚Die Rechte‘ hätte vermutlich, nach dem Muster von FPÖ und ähnlicher Parteien in Italien, Belgien und Skandinavien, beachtliche Chancen. Angesichts einer Wirtschaftskrise mit drohendem Anstieg der Arbeitslosigkeit, verbreiteter Angst vor dem Islam, diffuser Law-and-order-Sehnsucht – und einer sozialdemokratisierten Union, in der Nationalkonservative fremdeln.« (Jansen 2009) Diese Präsenz bedeutet natürlich noch lange nicht, dass damit auch ein grundlegender Politikwechsel einhergeht. Bei realistischer Lagebeurteilung wird man vielmehr zu dem Schluss kommen, dass angesichts der Mehrheitsverhältnisse lediglich ein Bruchteil jener Forderungen und Wünsche, die diese neue Partei erhebt, tatsächlich umgesetzt werden kann. Das ist bei Linken übrigens nicht anders. Viel entscheidender ist mittelfristig jedoch, dass endlich »die politische Folgenlosigkeit, die für politische Diskurse der Bundesrepublik kennzeichnend zu sein scheint« (Schüßlburner 2004: 372), überwunden wird. Denn die Themen und Positionen können dann nicht mehr ohne Not aus dem politischen Diskurs herausgehalten werden. Und schließlich kann man gerade als Oppositionskraft einen erheblichen Veränderungsdruck erzeugen, der die Regierenden dazu zwingt, Reformen vorzunehmen, die anderenfalls nicht oder zumindest nicht so rasch zustande gekommen wären. Dies zeigen Parteien wie Republikaner und die Partei Rechtsstaatlicher Offensive, denen es allein schon durch ihre Präsenz auf Landtags- bzw. Bürgerschaftsebene gelungen ist, Veränderungen in der Asylpolitik und lokal bei der Kriminalitätsbekämpfung zu bewirken. Ohne Zweifel ist auch eine neue Kraft vor von der CDU-Spitze verordneter Ausgrenzung nicht gefeilt. Als eigenständige Organisation, nicht als geduldetes »Beiwerk« von Union oder FDP, wäre sie aber in der Lage, Schlagkraft, mediale Wahrnehmung und Als Vorbild für das programmatische und strategische Agieren einer neuen Rechtspartei kann das zwar kleine, aber stetig wachsende Segment der freiheitlich-konservativen Print- und Onlinemedien dienen. Hier kann man studieren, was man wie tun muss. Es gibt in dem Spektrum rund ein Dutzend Periodika, die sinnvoll miteinander kooperieren und zusammen das gesamte Spektrum (die christliche Rechte, den eher libertären Flügel usw.) abdecken. Hinzu kommt eine gut funktionierende Vernetzung, u.a. 29 30 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier auch durch Autoren, die für mehrere Organe schreiben (Lange 2010). Man grenzt sich entschieden von Rechtsextremisten ab, auf rein taktisch motivierte Distanzierungen und Absetzbewegungen wird jedoch weitgehend verzichtet. Andererseits sorgt ihre intellektuell anspruchsvolle, inhaltlich jedoch moderate Ausrichtung dafür, Anerkennung bis weit ins Unionslager und sogar bei undogmatischen Linken zu finden. Insbesondere der Jungen Freiheit gelang es schon mehrfach, in begrenztem Umfang Kampagnenfähigkeit herzustellen und sich gegen Diskriminierungen (z.B. Kontokündigung durch die Postbank) erfolgreich zur Wehr zu setzen. biologisch-theologischen Begriff des Menschen« ausgerichtet sind, was sich auch in Bezug auf die Union sagen ließe (Schüßlburner 2004: 75f.). Programmatische Ausrichtung Dezidierte Anhänger christlicher, wertkonservativer, patriotischer und marktwirtschaftlicher Überzeugungen sehen vor allem im Hinblick auf Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sowie aufgrund des gesellschaftlichen Werteverlustes Defizite und entsprechenden Handlungsbedarf. Es geht dabei sowohl um die äußere Freiheit (Abwesenheit von Willkür) als auch um die innere Freiheit (Sittlichkeit). Dies sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Anstelle von einer »geistig-moralischen Wende« (Helmut Kohl) würde man heute wohl eher von einer »freiheitlich-konservativen Erneuerung« sprechen. Diese würde angesichts der derzeitigen politischen Grundtendenzen »ein radikales Reformprogramm innerhalb des Rahmens der Verfassung« (Freudenberg 2009: 347) darstellen, welches auf der Basis christlich-abendländischer Wertvorstellungen, wozu auch ein gesunder Patriotismus gehört, erfolgen muss. Die Gruppierung wäre also christlicher, patriotischer und marktwirtschaftlicher als die Parteien der politischen Mitte und »auf den rechtlich-politischen Begriff des Bürgers ausgerichtet«, während Linke die Gleichheit betonen und »auf den 31 Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz skizziert die Funktion, die einer demokratischen Rechten heute zukäme, mit folgenden Worten: »Die Rechte ist gegen den Paternalismus des vorsorgenden Sozialstaates, für mehr Selbstverantwortung und den unzweideutigen Schutz des Eigentums. Die Rechte ist für einen fröhlichen Patriotismus und eine christliche Leitkultur. Die Rechte hält am Vorrang der traditionellen Familie und an einem mehrgliedrigen Bildungssystem fest. Mit einem Wort: Die politische Rechte steht für Bürgerlichkeit.« (Bolz 2010) In welcher Verfassung sich aber gerade deren Träger befindet, wird von Michael Paulwitz prägnant beschrieben: »Man betrachtet ihn [den Bürger, Anm. d. V.] nicht als Souverän, sondern als rundum zu betreuendes Mündel, das man mit ein paar rechtzeitig vor der Wahl zugesteckten Bonbons schon bei Laune hält. Er soll eifrig den vorgespurten Diskurspfaden und inszenierten Hahnenkämpfen seiner Betreuer folgen, soll brav schlucken, wenn man ihm heute dies und vier Wochen später das Gegenteil als Patentrezept zur Krisenbewältigung anpreist, er darf auch mal auf Demonstrationen mitmarschieren, die seine Obrigkeit inzwischen auch schon für ihn organisiert – mit Parteipolitikern immer vorneweg.« (Paulwitz 2009) 32 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier Die naheliegende Frage, warum es keinen nennenswerten Widerstand von unten gegen diese Bevormundung und finanzielle Ausbeutung des Bürgers gibt, warum die Bürger nicht auf die Barrikaden gegen, wozu Baring aufforderte, kann mit einer »stillen Übereinkunft«, mit einer Art Stillhalteabkommen erklärt werden. Dieses lautet: Ihr gewährt uns weiterhin überdimensionierte Sozialleistungen, Subventionen u.a.m., im Gegenzug lassen wir euch, der politisch-medialen Klasse eure Privilegien. Wir schimpfen zwar ab und zu, lassen es aber im Großen und Ganzen bei diesem Schimpfen dann auch bewenden. Die »politische Klasse« im Verein mit den Mainstream-Medien wiederum hat ihrerseits eine »stille Übereinkunft« geschlossen, bestimmte Themen, ob es sich um Ausländerkriminalität, Diskriminierung »rechter« Positionen, Linksextremismus, Unterschichtenzuwanderung oder auch das bürgerunfreundliche Wahlrecht handelt, nicht oder nur auf eine bestimmte Weise zu thematisieren. Über diese politischen Ziele herrscht weitgehend Einigkeit und es ist derzeit unschwer zu erkennen, welche Agenda man hier besetzen müsste. Programmatisch würde es auf einen Themenmix hinauslaufen, der etwa Folgendes beinhalten würde: Kernaufgabe einer konstruktiven Opposition von rechts wäre es also, diese Lücke zu füllen, Tendenzen der Entmündigung und Freiheitsberaubung des Bürgers sowie einer Verstaatlichung der Gesellschaft und Vergesellschaftung des Staates, wovor z.B. der Ordoliberale Franz Böhm gewarnt hat, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten entgegenzuwirken. Dabei geht es sowohl um jeden Einzelnen (das Individuum) als auch um das Ganze (das deutsche Volk). Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sollten daher in der Werteskala einer entsprechenden Partei ganz oben stehen. Auch Gerechtigkeit und Solidarität haben im Wertegefüge ihren Platz, aber nicht – wie bei der CDU der Fall – gleichberechtigt neben der Freiheit, sondern dieser nachgeordnet. 33 »Europaskepsis in Verbindung mit nationalen Ideen, Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei, islamkritische Positionen, traditionell christliche Werte, Betonung der Familie als Kern der Gesellschaft und der Bewahrung der Schöpfung, was Lebensschützer einschließt, der Wunsch nach einer stärker marktwirtschaftlichen Politik zusammen mit dem generellen Verlangen nach weniger Staat.« (Funk 2010) Strategisch-organisatorische Vorgehensweise Trotz beachtlicher Chancen, die insbesondere einer neuen »Sarrazin-Partei« zugestanden werden, stellt ein solches Projekt die Akteure bekanntermaßen vor organisatorische und strategische Herkulesaufgaben, vor denen viele zurückschrecken. Zu ihnen gehören auch jene, denen eine solche Integrationsleistung durchaus zugetraut wird und deren Namen immer wieder in diesem Zusammenhang Gegenstand öffentlicher Debatten waren. So erklärte (neben z.B. Friedrich Merz oder Thilo Sarrazin) auch Oswald Metzger im Hinblick auf eine Neugründung: »Ich halte einen solchen Versuch für reine RessourcenVergeudung: Bis man in 16 Ländern funktionierende Verbände aufgebaut, und sich die personelle Spreu vom Weizen trennt, weil in eine neue Partei anfangs immer viele Frustrierte und Exoten drängen, braucht man zuviel Zeit und Kraft. Da ist es rationaler, trotz aller Mühseligkeiten, in den etablierten Parteien mitzuarbeiten.« (Junge Freiheit 2010c) 34 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier Hingegen hat es auf weiter unten liegender politischer Ebene zahlreiche Versuche gegeben, in diese politische »Marktlücke« vorzudringen. Ein früher Versuch waren die Republikaner, deren Entstehen nicht nur dem von Franz Josef Strauß eingefädelten Milliardenkredit an die DDR geschuldet war, sondern auch mit der ausgebliebenen, vom damaligen Bundeskanzler Kohl versprochenen »geistig-moralischen Wende« in Zusammenhang stand. Als weiteres Beispiel ließe sich die Schill-Partei nennen. Diese Personen sind in der Erkenntnis, dass es eine Notwendigkeit gibt, das politische Vakuum zu füllen, den etablierten Parteienvertretern voraus, hinken ihnen aber – was die Fähigkeiten der Umsetzung angeht, deutlich hinterher. Generalisierend kann also festgehalten werden: Zulauf von Seiten der Unionsparteien blieb aus, da die Angebote nicht als attraktiv angesehen wurden. Sogwirkung entfalteten sie lediglich auf Einzelne. Statt dessen kamen viele von jenen, die man nicht haben wollte: Querulanten, Selbstdarsteller, Extremisten. Interne Querelen taten ihr Übriges, und die innerparteiliche Disziplin blieb auf der Strecke. Die Außenwirkung war katastrophal. • Sie stellten allesamt Vorstöße Einzelner dar, die sich mit ihrer Partei überworfen oder aus Unzufriedenheit mit Strukturen bzw. Inhalten aus- und zur neuen Gruppierung übergetreten sind bzw. etwas Neues gegründet haben. • Es handelte es sich um »Alleingänge«, der Parteiaufbau geschah oft unkoordiniert, manchmal auch dilettantisch, vor allem fehlte es an einer wohldurchdachten Langfriststrategie. • Die Gründungen waren meist regional angelegt, es fehlte die bundesweite Ausrichtung, quasi der »Blick für das Ganze«. Den Protagonisten fehlten darüber hinaus wichtige Voraussetzungen, um einen größeren Teil von Wählern und potentiellen Mitstreitern von sich zu überzeugen, insbesondere Charisma, Bekanntheitsgrad, z.T. politische Erfahrung u.a.m. Der erhoffte 35 Selbst für den eher unwahrscheinlichen Fall, dass es zu einer Fusion der derzeit relevantesten konservativen und islamkritischen Gruppierungen käme, dürfte der erhoffte Erfolg dennoch ausbleiben. Denn dazu müsste eine Partei »bürgerlich verwurzelt und politisch fest verankert sein« (Berger 2010), was bei den derzeit aktiven Parteien rechts von der Mitte keineswegs in ausreichendem Maße der Fall ist. Zudem müsste an der Spitze zwingend eine Persönlichkeit stehen, die der durchschnittliche Wähler kennt und die ein hohes Maß an Charisma, Erfahrung und Professionalität besitzt.18 Immer wieder geäußerte Bedenken, dass eine solche Entwicklung insbesondere von den Mainstream-Medien blockiert würde, sind mit Blick auf die Vergangenheit sicherlich nicht unberechtigt. Allerdings wird eine konsequente Ausgrenzung, wie sie bei Gruppierungen wie den Republikanern oder der Bürgerbewegung Pro NRW stattgefunden hat, unter den o.g. Voraussetzungen nicht mehr durchzuhalten sein, ohne dass die eigene Glaubwürdigkeit ernsthaft in Gefahr geriete. Dass selbst linke Medien in den letzten Jahren immer wieder über die Neuentstehung einer konservativen Partei spekuliert, ja diese fast »herbeigeschrieben« haben, deutet zudem auf einen selbstverständlicheren und gelasseneren Umgang hin, wie er bei der Schill-Partei zum Teil ja schon prakti18 Im Hinblick auf Friedrich Merz wurde bereits eine »wahre Völkerwanderung über die Parteigrenzen hinweg« prognostiziert (Rheinische Post 2010). 36 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier ziert wurde. Dass eine solche Partei gewissen Leuten ein Dorn im Auge ist, dürfte klar sein, gleichwohl werden auch sie gezwungen sein, diese zu respektieren. Mit einer pauschalen Diffamierungs- und Totschweigestrategie ist jedenfalls nicht zu rechnen. Auch Torpedierungsversuche insbesondere seitens der CDU würden das Projekt nicht mehr so ohne weiteres zu Fall bringen, vorausgesetzt, die Akteure bringen das nötige Maß an Risikobereitschaft, politischer Erfahrung und Stehvermögen mit. geeignet. Das ganze liefe faktisch auf eine Spaltung der Union hinaus. • Umgestaltung der Freien Wähler zu einer landes- und bundespolitischen Kraft mit freiheitlich-konservativer Grundausrichtung: Die Freien Wähler müssten zunächst bereit sein, sich neben der kommunalen Verankerung auch als landes-, bundes- und europapolitische Kraft zu verstehen und faktisch eine Partei werden. Des weiteren müssten sie alle Themenbereiche besetzen, die für freiheitlich-konservative Wähler von Relevanz sind und sich hierbei alternativ zu den etablierten Parteien positionieren. Und nicht zuletzt sind sie auf Unterstützung seitens prominenter Spitzenpolitiker insbesondere aus den Reihen von Union und FDP angewiesen. Hubert Aiwanger und Olaf Henkel allein wird es vermutlich nicht gelingen, ohne diese Unterstützung in den Bundestag und in weitere Landtage einzuziehen. • Nationalliberale Neuausrichtung der FDP: Die Liberalen müssten eine dezidiert euro- und zuwanderungskritische Partei werden und sich im Endeffekt rechts von der Union positionieren. Dort befand sich die FDP bereits einmal in den 1950er und 1960er Jahren. Die Folge wären massive Mitgliederverluste, die jedoch durch eine mindestens ebenso große Zahl von Neueintritten enttäuschter Unionsanhänger kompensiert werden würde.19 FAZIT Hinsichtlich der Frage, welche Form eine solche neue Kraft annehmen könnte, um langfristig erfolgreich zu sein, kämen folgende vier Varianten in Betracht: • • Bundesweite Ausdehnung der CSU: Bei dieser Variante müsste die CSU-Führung lediglich ihre Bereitschaft signalisieren, auf juristische Schritte gegenüber jenen, die CSU-Verbände außerhalb Bayern zu gründen beabsichtigen zu verzichten. Angesichts der großen Enttäuschung bei CDU-Anhängern und dem Bekanntheitsgrad der CSU würden diese neuen Landesverbände vermutlich enormen Zulauf bekommen, eine Schaffung von Strukturen wäre daher in kürzester Zeit realisierbar. (Parteiübergreifende) Neugründung: Diese Variante ist außerordentlich schwierig zu bewerkstelligen. Daher setzt sie zwingend voraus, dass eine bundesweit bekannte, politikerfahrene und mit Charisma ausgestattete Persönlichkeit an der Spitze steht. Hierfür wären neben Friedrich Merz, Karl-Theodor zu Guttenberg oder Thilo Sarrazin auch z.B. ehemalige Ministerpräsidenten (wie Erwin Teufel, Roland Koch oder Wolfgang Clement) 37 Nach dem Ausgang des FDP-Mitgliederentscheides zum ESM Ende 2011 und der Regierungsbeteiligung ist hier mit einer Kursänderung wohl erst – wenn überhaupt – zu rechnen, wenn der Partei 2013 der Wiedereinzug in den Bundestag nicht gelingt. 19 38 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier Bei den beschriebenen Optionen handelt es sich um eine Parteigründung von oben unter Nutzbarmachung bereits etablierter Strukturen in Form von »Köpfen« (bekannter Persönlichkeiten) oder »Vereinigungen« (bekannter Parteinamen), was auf eine organisatorische und programmatische Umgestaltung bzw. Neuausrichtung bereits etablierter Parteien hinauslaufen würde. Dies könnte auf indirekter Weise eine organisatorische Zusammenführung all derjenigen bewirken, die annähernd die gleichen politischen Ziele verfolgen, da nur Persönlichkeiten mit starkem Charisma und Bekanntheitsgrad die hierfür notwendige »Sogwirkung« entfalten. Somit würde die fragmentierte demokratische Rechte vernetzt und wäre wieder politisch handlungsfähig und wählbar.20 einer islam- und zuwanderungskritischen DM-Partei) erwachsen wird. Damit die genannte Entwicklung eintritt, muss noch etwas hinzukommen, nämlich eine krisenhafte Zuspitzung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Etablierte politische Parteien und Institutionen müssten einen noch stärkeren Vertrauensverlust erleiden. In der Bevölkerung latent vorhandene Ressentiments wären von den Medien bewusst zu schüren und zu steuern und das Ganze würde sich zu einer »Erwartungshaltung« und zu einer »sensationalistischen Stimmung« verdichten (Misik 2010). Die Sarrazin-Debatte hat offenbart, dass die »Immunreaktionen« der politischen und medialen Öffentlichkeit nicht mehr so gut wie früher vorhanden sind. Es ist zu erwarten, dass mit einer krisenhaften Zuspitzung mittelfristig durchaus zu rechnen ist, und ebenso, dass daraus eine politische Kraft (beispielsweise in Form 20 Das Ganze könnte man vergleichen mit einem Berg, der plötzlich in der Landschaft auftaucht: Viele wollen diesen Berg erklimmen und steuern (aus verschiedenen politischen Organisationen) auf das gleiche Ziel zu, nämlich den Gipfel, weil oben eine bekannte Persönlichkeit (z.B. Friedrich Merz) sitzt. In dem Verlangen, baldmöglichst oben anzukommen, kommen sich die einzelnen Bergsteiger zwangsläufig immer näher. Oben treffen sich dann alle und rücken zusammen, bilden also eine neue politische Einheit. 39 In eine ähnliche Richtung geht die Zukunftsprognose, die der Islamexperte und Buchautor Udo Ulfkotte anstellt: »Denn das Pendel der Geschichte schlägt bald schon wieder in die andere Richtung. Aus einem ganz einfachen Grund: Die Staatsbankrotte rollen überall in der EU auf uns zu. Und wir haben für alle einen finanziellen Rettungsschirm, nur für uns selbst nicht. … Dann geht der Verteilungskampf los. Und spätestens dann werden die Bürger alle politische Korrektheit vergessen und sich fragen, ob sie weiterhin das Weltsozialamt spielen und mit Menschen die Früchte ihrer Arbeit teilen wollen, die ihnen außer Kosten nichts beschert haben.« (Citizen Times 2012a) Natürlich werden auch dann »charismatische Führungspersonen« benötigt, die sich aber bei dieser Konstellation schnell finden werden. Zu groß wird die Versuchung sein, von dem Stimmungsumschwung zu profitieren. Solch eine Persönlichkeit kann dem etablierten Politikbetrieb entstammen, muss es aber nicht. Insgesamt muss also konstatiert werden, dass es in Deutschland unter den derzeit vorhandenen Sonderbedingungen für die demokratische Rechte aus eigener Kraft, d.h. ohne die Nutzung etablierter Strukturen und ohne krisenhafte Zuspitzung nahezu unmöglich ist, eine Partei zu etablieren, da die Hürden, die die »politisch-mediale Klasse« errichtet hat, einfach zu hoch sind. Wie sollten sich Konservative verhalten, deren Engagement mehr beinhaltet als auf krisenhafte Zuspitzungen oder auf einen 40 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier neuen »Sarrazin« zu warten? Vier Dinge sind es, denen in besonderer Weise Beachtung geschenkt werden sollte: einzugehen gekennzeichnet ist, entgegengewirkt werden. Es gilt hier in besonderem Maße, von den Linken zu lernen, z.B. durch Leserbriefe, Protestanrufe, Solidarisierungen usw. von freiheitlich-konservativer Seite Druck auf Institutionen und Personen auszuüben. Strukturen schaffen und (weiter) ausbauen Es geht darum, attraktive Angebote »vor Ort« bzw. in der Region zu schaffen. Wichtig hierbei: Es muss am Ende ein tragfähiges Angebot herauskommen, zunächst regional, dann bundesweit, d.h. entweder wären Parteien zu fusionieren oder man müsste sich auf das erfolgsträchtigste Angebot einigen. Vernetzung vorantreiben Hier geht es darum, dass sich politisch ähnlich gelagerte Personen näherkommen. Dies kann auf der Basis und im Rahmen (partei-)übergreifender Aktionen und Veranstaltungen erfolgen, aber auch mittels überparteilicher Sondierungsgespräche, die sich also nicht auf die »Kleinparteienszene« beschränken, sondern auch gesprächsbereite Personen des rechten Unionsflügels einbeziehen sollte. Dies ist die einzige Alternative zu einer »Flucht in die Mitte«, denn eine Abschaffung dieser Kategorien ist schon deshalb nicht möglich, »weil darin ein universal vorfindbares bipolares Weltverständnis zum Ausdruck kommt, das sich weit in die Menschheitsgeschichte zurückverfolgen läßt.« (Schüßlburner 2010: 40) Schließlich wird es dann, wenn die Zeit reif ist, darauf ankommen, möglichst alles richtig zu machen und nicht unvorbereitet »kalt erwischt« zu werden. Nur eine gute Vorbereitung bildet die Grundlage für ein solides Wachstum und die Gewähr, dass das »Neue«, was dann hoffentlich entstanden sein wird, auch längerfristig und möglichst dauerhaft bestehen bleibt. Schulung und Beratung Dies ist ein Punkt, der insbesondere unter Konservativen in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt wurde. Es ist unverzichtbar, geeignete Personen zu schulen (z.B. wie man Kampagnen organisiert oder eine Pressemitteilung schreibt) und in Institutionen (z.B. Medien) zu bringen. Des weiteren sollte unbedingt intellektueller Rat in Anspruch genommen werden von dem freiheitlich-konservativen Spektrum zugeneigten Wissenschaftlern. (Vor-)politische Aktivitäten intensivieren Hier muss der typisch konservativen Mentalität, die durch Leisetreterei, Inaktivität, Gleichgültigkeit und dem Unwillen, Risiken 41 42 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier A NHANG chischen Rechtspolitiker Heinz-Christian Strache oder Martin Hohmann einzuladen, würden vermutlich ähnliche Schwierigkeiten drohen. Beispiele innerparteilicher »Sanktionen« in der Union Konservative werden von der eigenen Parteiführung, wenn sie Opfer einer medialen Diffamierungskampagne werden, nicht in ausreichendem Maße unterstützt oder gar fallengelassen. Dies führt meist dazu, dass sie dem Druck nachgeben und auf das Amt, das sie innehaben bzw. für das sie vorgesehen sind, verzichten. Beispiele sind Steffen Heitmann als Kandidat für das Bundespräsidentenamt (1993) und Hans Filbinger (1978) als Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Konservative müssen viel schneller damit rechnen, für bestimmte Äußerungen »abgestraft« oder innerparteilich isoliert zu werden. Es kommt rasch zu »Absetzbewegungen«. Abweichler in den eigenen Reihen werden isoliert und sanktioniert: So soll der bekannte EU-kritische Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler innerhalb von sechs Jahren gerade mal vier Minuten Redezeit erhalten haben (Rosen 2011). »Linke« Äußerungen hingegen, wie z.B. die Auffassung Lothar de Maizières, dass die DDR nicht als »Unrechtsstaat« bezeichnet werden könne, werden in der Regel kaum geahndet. Insbesondere unter Merkel haben bekennende Konservative zudem verminderte Karrierechancen. Beispielsweise hat es der JU-Bundesvorsitzende Philipp Mißfelder nur bis zum außenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag geschafft, Wolfgang Bosbach wurde nur Innenausschuss-Vorsitzender. Konservative müssen mit Problemen rechnen, wenn sie es wagen, einen Vertreter des rechtsliberalen oder rechtspopulistischen Parteienspektrums oder bestimmte Publizisten zu Vorträgen oder Diskussionen einzuladen. So wurde René Stadtkewitz unter anderem die Einladung des niederländischen Islamkritiker Geert Wilders zum Verhängnis. Eine geplante Veranstaltung der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU Hannover mit Eva Herman wurde auf Weisung der Hannoveraner CDU-Führung abgesagt (Junge Freiheit 2009a). Einem beliebigen Kreisverband der Jungen Union, der es sich erlauben würde, den österrei- 43 Heiko Peters ist ein Hamburger Kaufmann, der in besonders engagierter Weise die CDU-Politik gegenüber den Alteigentümern, die von der sogenannten Bodenreform betroffen waren, kritisierte und eine wirksame Korrektur einforderte. Er fand in seinem Ortsverband rege Unterstützung. Nennenswerte Unterstützung in höheren Parteigremien blieb ihm allerdings versagt, ein Austritt aus der Partei war schließlich die Folge. Der frühere Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Heinrich Lummer, der dezidiert Kritik an der Asylpolitik auch seiner eigenen Partei übte, wurde im Februar 1993 in Kiel von Linksextremisten an einem Vortrag gehindert. Eine Stellungnahme sowohl des Landes- als auch des Bundesvorstandes der CDU blieb aus (Greve 1993). Als die damalige Bundesfamilienministerin Claudia Nolte (CDU) eine Überprüfung des Paragraphen 218 in Erwägung zog, da ein signifikanter Rückgang der Abtreibungszahlen nicht zu verzeichnen war, bezog Bundeskanzler Helmut Kohl, der ursprünglich einmal angetreten war, um eine „geistig-moralische Wende“ einzuleiten, öffentlich gegen die Ministerin Position. Daraufhin erklärte Nolte, sie wolle ihren Vorschlag nicht mehr weiterverfolgen (idea-Spektrum 1998). Ein Thesenpapier über das »Grundprinzip der Sozialen Marktwirtschaft«, verfasst vom CDU-Wirtschaftsexperten Gunnar Uldall und dem früheren CSU-Generalsekretär Bernd Protzner, das tiefe Einschnitte in das soziale Netz anmahnte, wurde von der Parteispitze nicht einmal debattiert. Die Forderungen wurden als „Einzelmeinungen“ abgetan (Die Welt 1999). Hier sei auch auf den Umgang mit Paul Kirchhof und auf den parteiinternen Widerstand hingewiesen, mit dem er im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 konfrontiert wurde. 44 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Diskussions-Papier L ITERATUR Jansen, Frank (2009): Wohin bewegt sich das ultrarechte Spektrum?, in: Tagesspiegel (20.2.2009). Alexander, Robin (2012): Ohne Konservative ist mehr als die CDU in Gefahr, in: Die Welt (22.8.2012). Junge Freiheit (2009b): Interview mit Lothar Höbelt (26.6.2009). Baring, Arnulf; Jesse, Eckhard; Oberreuter, Heinrich (2000): Zukunftsforum Politik, Nr. 1, Sankt Augustin: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. 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Gegen eine Schutzgebühr können Sie diese auch in gedruckter Form bestellen. Wagner, Markus (2004): Partei trauert Nockemann nicht hinterher. Zitiert nach Pressemitteilung der Partei Rechtsstaatlicher Offensive (03.03.2004). Weißmann, Karlheinz (2000): Der lange Marsch der CDU nach links, in: Junge Freiheit (18.8.2000). Zitelmann, Rainer (1996): Position und Begriff. Über eine neue demokratische Rechte, in: Schwilk, Heimo/Schacht, Ulrich (Hg.): Die selbstbewußte Nation. „Anschwellender Bocksgesang“ und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte, Frankfurt/Berlin. Aktuelle Ausgaben: Zuerst (2010a): Interview mit Klaus Hornung (Ausgabe April 2010). Zuerst (2010b): Interview mit Peter-Michael Diestel (Ausgabe April 2010). 47 • Kampfbegriff Islamophobie. Ein Überblick zu deutschen Umfragen Felix Strüning (Juli 2012) • Intrinsische Hindernisse des islamischen Finanzwesens. Scharia-Gelehrte und die Einkommensschwäche der Muslime Rebecca Schönenbach (Juli 2012) • Krieg der vierten Generation Global Jihadist Movement und Counterinsurgency (COIN) Dr. Thomas Tartsch (Juli 2012) • Rechts von der CDU? Parteipolitische Perspektiven des freiheitlichen Konservativismus in Deutschland André Freudenberg (Oktober 2012) 48 André Freudenberg – Rechts von der CDU? Impressum/V.i.S.d.P.: © 2012: Redaktion: © Coverbild: André Freudenberg Felix Strüning Heike / pixelio.de Herausgeber: Gustav Stresemann Stiftung e.V. Löbdergraben 11a | 07743 Jena www.stresemann-stiftung.de [email protected] 49