18 Diagnose & Therapie Neuer Linearbeschleuniger am ­Campus Innenstadt der LMU München Bei der Brustkrebs-Strah­ lentherapie werden der Tumor und das umgeben­ de Areal mit hochenerge­ tischer Röntgenstrahlung behandelt. Dank moderner Behandlungstechniken und variabler Dosiskon­ zepte gelingt dies immer »personalisierter«, d. h. individuell auf die Patientin zugeschnitten. Im Gespräch mit TOPFIT erklärt Dr. Stefanie Corra­ dini von der Klinik und Poliklinik für Strahlenthe­ Bestrahlung bei Brustkrebs rapie und Radioonkologie Neue Methoden in der Strahlentherapie des Klinikums der Univer­ sität München u. a., welche Patientinnen von welcher Methode in besonderem Maß profitieren. Von Dr. Nicole Schaenzler Fotos: Klinikum der Universität München Welchen Stellenwert hat die Strahlen­ therapie in der Burstkrebstherapie? Dr. Corradini: Für viele Frauen mit Brust- krebs ist die Strahlenbehandlung ein unabdingbarer Baustein des Behandlungskonzeptes. Nach einer brusterhaltenden Operation – oder in ausgewählten Fällen nach einer kompletten Brustentfernung – muss im Anschluss eine Nachbestrahlung erfolgen. Eigene wissenschaftliche Untersuchungen konnten nachweisen, dass der hohe Nutzen der Strahlentherapie nach brusterhaltender Operation auch durch eine moderne Systemtherapie oder optimale Operation nicht ersetzt werden kann. Die postoperative Bestrahlung verringert hierbei nicht nur das Risiko für ein Wiederauftreten des Tumors innerhalb derselben Brust, sondern verlängert auch das Überleben. Ziel der modernen Strahlentherapie ist es jedoch immer, die Ausdehnung der Behandlung und die verwendete Bestrahlungstechnik individuell auf die jeweilige Patientin auszurichten und somit die maximale Tumorkontrolle bei optimaler Verträglichkeit zu erreichen. Topfit 4 / 2016 Hat sich durch den Ansatz der »personalisierten Medizin« auch die An­wen­dung der Strahlentherapie geändert? Dr. Corradini: Brustkrebs ist nicht nur die häufigste Tumorerkrankung der Frau, sondern aufgrund kontinuierlicher Verbesserungen der Behandlung auch eine der größten Erfolgs­ geschichten der modernen Medizin. Viele Aspekte von personalisierter Medizin und Präzisionsmedizin konnten beim Brustkrebs bereits implementiert werden und ermöglichen die mittlerweile sehr hohen Heilungsraten. Darüber hinaus ist Brustkrebs ein Musterbeispiel für die interdisziplinäre Medizin und eine multimodale Herangehensweise. Neben den klassischen Säulen der Behandlung, Operation, Strahlentherapie und Chemo- bzw. Antihormontherapie finden zunehmend zielgerichtete und immunmodulatorische Substanzen Eingang in die stadiengerechte Therapie. Während vor 20 Jahren unter dem Begriff »Brustkrebs« eine einzige Erkrankung subsumiert wurde, so ist mittlerweile bekannt, dass sich verschiedene biologische Erkrankungen mit jeweils eigenen Risikogruppen hinter diesem Begriff verbergen. Mit dieser Erkenntnis ist klar geworden, dass auch in der Strahlentherapie eine Therapie nach dem Muster »Eine Therapie für alle« niemals zu optimalen Ergebnissen führen kann. Auch in der Strahlentherapie ist dieser wichtige Schritt in Richtung personalisierter ­Medizin erfolgt. Es gilt, den Nutzen der etablierten Verfahren regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen und neue Bestrahlungstechniken zu erforschen und im klinischen Alltag zu etablieren. Die klassische Bestrahlung der Brust unter Verwendung von Gegenfeldern stellt sich zunehmend differenzierter dar. In der modernen Strahlentherapie stehen bei der Behandlung von Brustkrebspatientinnen a­ktuell unterschiedliche Bestrahlungstechniken und Dosiskonzepte in Abhängigkeit vom individuellen Tumorrisikoprofil zur Auswahl. Diagnose & Therapie 19 Daten & Fakten Brustkrebs ist heutzutage weltweit die am häufigsten diagnostizierte Krebsart bei Frauen. Bei 72 000 Neuerkrankungen pro Jahr ist Brustkrebs mit 32 Prozent aller Krebsdiagnosen auch in Deutschland die häufigste Krebsart der Frau. Die Lebenszeitwahrscheinlichkeit an Brustkrebs zu erkranken, liegt in Deutschland für Frauen bei 13,3 Prozent. Damit erkrankt jede achte Frau in ihrem Leben irgendwann an Brustkrebs. Nur durch eine interdisziplinär geplante und qualitativ hochwertige Therapie können heutzutage die besten Überlebenschancen erreicht werden. Die Strahlen­ therapie der LMU München ist Teil des zertifizierten universitären Brustzentrums in einem Tumorzentrum der Spitzenklasse (Comprehensive Cancer Center, CCC München) und bietet alle Bestandteile einer modernen Brustkrebstherapie unter einem Dach. Seit Jahren gilt das Brust­ zentrum der LMU München als eines der führenden Brustzentren Deutschlands (Leitung: Frau Prof. Harbeck). In enger Zusammenarbeit mit allen Fachdisziplinen wird hier für jede Patientin ein individuelles und ganzheitliches Therapiekonzept erarbeitet. Kommt es vor, dass eine intraoperative Bestrahlung die postoperative Strahlentherapie ersetzen kann? Dr. Corradini: Die intraoperative Bestrah- lung (z. B. mittels Intrabeam® System), die während des chirurgischen Eingriffs unmittelbar nach der Tumorentfernung erfolgt, ermöglicht eine sehr präzise und hochdosierte Bestrahlung des Tumorbetts während der Operation. Bei ausgewählten älteren Patientinnen stellt diese einmalige, zielgerichtete Bestrahlung tatsächlich eine adäquate alleinige Behandlungsform dar; alternativ kann die intraoperative Bestrahlung einen Teil der externen Bestrahlung ersetzen. in weniger Sitzungen. Die hypofraktionierte Bestrahlung ist ein sicheres Verfahren und stellt für viele Patienten eine Alternative zur konventionellen Bestrahlung dar. Ist eine zusätzliche Bestrahlung des Operationsgebiets notwendig, kann dies entweder direkt im Anschluss oder im Rahmen einer Studie auch simultan mit der Strahlenbehandlung der ganzen Brust erfolgen. Vor Kurzem haben Sie am Campus Innenstadt einen neuen Linear­ beschleuniger in Betrieb genommen. Welche Vorteile zeichnen dieses Gerät aus? Dr. Corradini: Mit dem Wissen, dass wei- terhin viele Patientinnen mit Brustkrebs eine Strahlentherapie erhalten, sowie bei einem Teil der Patientinnen die Systemtherapie intensiver wird, kommt der Betrachtung von Spätnebenwirkungen eine immer ­größere Bedeutung zu. Ein wichtiger Aspekt ist z. B. die Schonung des Herzens, insbesondere bei links­seitigem Brustkrebs. Auch wenn strahlen­t herapiebedingte Behandlungsfolgen am Herzen seit der flächendeckenden Einführung der dreidimensionalen Bestrahlungsplanung nur noch gering sind, so muss in Abhängigkeit der Patientenanatomie bei linksseitigen, und somit »herzseitigen« Tumoren alles versucht werden, um dieses geringe Risiko noch weiter zu minimieren. Mit dem Einbau eines neuen Linearbeschleunigers am Campus Innenstadt ist es jetzt möglich, allen Patientinnen mit linksseitigem Brustkrebs durch Verwendung eines optischen Oberflächenscanners (CatalystTM-System) eine maximale Herzschonung anzubieten. Wie erfolgt die Bestrahlung in tiefer Inspiration? Dr. Corradini: Die Bestrahlung in tiefer Ein- atmung erfolgt im Rahmen eines Atemanhaltemanövers, welches das Bestrahlungsfeld Kontakt Dr. med. Dr. med. univ. Stefanie Corradini Oberärztin LMU Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie Campus Großhadern Marchioninistr. 15 · 81377 München Campus Innenstadt: Tel. (089) 4400/57 561 Campus Großhadern: Tel.: (089) 4400/73 770 www.klinikum.uni-muenchen.de der Brust fast vollständig vom Herzen distanziert. Die Patientin kann über ein Videobrillensystem die eigene Atemlage kontrollieren – gleichzeitig wird die gesamte Brust berührungsfrei durch ein optisches System von außen abgetastet. Alleinstellungsmerkmal des optischen Oberflächenscanners (CatalystTMSystem), der an der LMU München verwendet wird, ist eine kontinuierliche Abtastung der Oberfläche während der gesamten Bestrahlungssitzung. Jede Veränderung der Atemlage und damit der Brustlage führt zum Abschalten des Therapiestrahls. Diese Technik steht an beiden Stand­orten der Strahlenklinik der LMU München zur Verfügung, wird aber schwerpunktmäßig am Standort Innenstadt für die Brustbestrahlung angeboten. Die Technik ist für den Regeleinsatz medizinisch zugelassen – unsere Patientinnen werden jedoch gebeten, an einer Studie teilzunehmen (SAVE-HEART), um basierend auf dieser nun etablierten Therapie weitere Verbesserungsmöglichkeiten bei der Brustkrebsbehandlung zu erzielen. Lagebeziehung zwischen Bestrahlungsfeldern und Herz in Ruheatmung (links) und tiefer Einatmung (rechts). Das Herz entfernt sich im Rahmen des Atemanhaltemanövers vom Bestrahlungsfeld und kann dadurch besser geschont werden. Was bedeutet »hypofraktionierte Bestrahlung«? Dr. Corradini: Für manche Frauen besteht die Möglichkeit, die Behandlungszeit auf etwa drei Wochen zu verkürzen – sie erhalten dann eine sogenannte hypofraktionierte Bestrahlung. Hierbei erfolgt die Bestrahlung der Brust mit einer höheren Einzeldosis, jedoch Topfit 4 / 2016