Abendprogrammzettel Hassan Khan

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HASSANkhan
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S o n i c Arts Lo u n g e
HASSAN KHAN
Superstructure (II) (2013) UA
90‘
Hassan Khan, Komposition/Performance/Elektronik
Berliner Festspiele
ein Geschäftsbereich der Kulturverwaltungen des Bundes in Berlin GmbH
Gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Intendant Dr. Thomas Oberender
Kaufmännische Geschäftsführung Charlotte Sieben
Mitschnitt Deutschlandradio Kultur
Sendung 24. März 2013, 20:03
Sie hören Deutschlandradio Kultur in Berlin auf 89,6 MHz und Digital 5c
Künstlerischer Leiter Matthias Osterwold
Organisationsleitung Ilse Müller
Mitarbeit Ina Steffan / Chloë Richardson / Anna Christina Brünjes
Programmberatung Oliver Schneller / Barbara Eckle / Volker Straebel
Redaktion Melanie Uerlings / Barbara Barthelmes / Christina Tilmann
Technische Leitung Matthias Schäfer / Andreas Weidmann
Grafik Ta-Trung, Berlin
Programm- und Besetzungsänderungen vorbehalten
Das Gesamtprogramm mit Essays können Sie für 5 € in einer Box erwerben
Hassan Khan
Su p er st ru ct ure
Wie die meisten Werke von Hassan Khan enthält auch
„Superstructure“ eine große, eklektische Bandbreite an
Inspirationen und Einflüssen. Es besteht aus einer live
dargebotenen Zusammenstellung und Neuentdeckung
verschiedener Kompositionen der Vergangenheit oder
präexistenten, vorgefertigten Phrasen und Stücke; es
funktioniert somit wie ein „Potpourri“ – wie eine Kombination unterschiedlicher Bestandteile, um etwas Neues
zu gestalten. Insofern ist „Superstructure“ ein Konzert
über Konzerte, das unterschiedliche Stücke in kontinuierlicher Darbietung kombiniert.
Die Werke des in Kairo lebenden, ägyptischen Komponisten, Künstlers und Autors Hassan Khan basieren
stets auf einer strengen und präzisen Methodik, die sein
breites Repertoire wie ein Labor wirken lassen, wo ständig neue Klangräume gesucht und gefunden werden.
Indem er von verschiedenen Klangquellen ausgeht
(viele davon werden unter seiner Leitung und Regie live
im Studio aufgenommen), die er mixt und zerlegt, bündelt Hassan Khan Klänge, die von Minimal Electronica
bis hin zu avantgardistisch dröhnenden Klangarchitekturen reichen. Seine Vorgehensweise ist die Eingabe von
Klangquellen, die über die Kanäle eines zentralen
Mischpults gehen, das eingesetzt wird, um das Material
zu kontrollieren und es mit Hilfe eines Equalizers sowie
zusätzlicher Effekte zu bearbeiten. Eine Spur wird mitunter auch isoliert und in Khans omnipräsentes
Schlachtross, das Mackie-Mischpult, gegeben, das als
„Rückkopplungsgenerator“ benutzt wird, alle eingegebenen Signale ins Setup zurücklenkt und eine ausgiebige Bearbeitung der Klänge erlaubt.
Wenn auch nicht kategorisch, so besteht in Khans jüngeren Werken der gemeinsame Nenner oftmals in der
Verwendung von Elementen ägyptischer Musik, ihrer
Melodien oder ihrer Instrumente. Dieser Wesenszug hat
viele dazu verleitet, Hassan Khans neue Kompositionen
geradezu frevlerisch als „Oriental Electronica Fusion“
abzuqualifizieren. Da das Ganze aber viel experimenteller ist, verdient Khans künstlerisches Schaffen eine differenziertere Betrachtung, auch wenn in seinen Werken
traditionelle Klänge häufig elektronisch verarbeitet werden. Wie bereits erwähnt, findet man in Khans Klanggestaltung ein weites Spektrum an Einflüssen. Es wäre
adäquater, dies als eine experimentelle elektronische
Annäherung an die traditionelle Musik Ägyptens zu
sehen und nicht als Fusion oder als Synthese unterschiedlicher Elemente. Aber auch diese Beobachtung
erweist sich als nicht überzeugend genug, denn die
wichtigste Frage scheint zu sein, ob die Hauptbestandteile wohl über einen Prozess der „Assimilierung“ oder
der „Integration“ verbunden sind.
Ein genauerer Blick auf die Kompositionen, die „Superstructure“ ausmachen, könnte helfen, Khans unterschiedliche Herangehensweisen zu entschlüsseln und zu
erkennen. „12 Pieces of Piano and Electronica“ (2007)
beispielsweise ist ein Werk, das Hassan Khan mit Hilfe
des Notencomputerprogramms Quick Scribe komponiert hat. Anschließend engagierte er einen klassisch
ausgebildeten Pianisten, der es aufführte, während
Khan es live aussteuerte. Das Klangresultat wurde dann
live abgespielt und elektronisch bearbeitet. Der Kon­
trast zwischen der zarten Intimität und Wärme der Klavierstücke und den kühlen elektronischen Klangwelten
erzeugt während der gesamten Komposition eine
packende und fesselnde Atmosphäre. Bei „The Big One“
(2009), einer „New Wave Synth Shaabi“-Produktion –
wurden alle Instrumental- und Vokalklänge im Studio
mit Gastmusikern aufgenommen. New Wave Shaabi ist
ein modernes urbanes Pop-Genre, das auf kreischenden
Synthesizer-Phrasen basiert, die wiederum auf
bekannte ägyptische Folkloremelodien zurückgehen.
Hassan Khan mixt und arrangiert das vorgegebene
Material live und erzeugt eine große Palette an Harmonien, die von hypnotischen und repetitiven, tranceartigen Sounds bis zu klagenden, minimalistischen Synthesizer-Melodien reicht, die oft von plötzlichen vokalen
Einschüben unterbrochen werden. All das wird durchsetzt von eigenem Material, das einen festen Bestandteil des Werks darstellt.
Während „Assimilierung“ tatsächlich auf die „Blasphemie“ einer „Fusion“ hindeuten würde, da vorgegebenes
Material übernommen und verändert wird, um ein
bestimmtes Klangresultat zu erzielen, scheint „Integration“ ein passenderer Begriff für die Klangwelten von
Hassan Khan zu sein, denn die unterschiedlichen Elemente werden als solche herangezogen und live angeordnet. Im komplexen Werk „Superstructure (the
Ammunition of the Nation)“ (2011) wird ein programmierter, bearbeiteter Rhythmus in seine Einzelteile zerlegt und wieder zusammengesetzt, was in seiner teils
aggressiven, teils „atavistischen“, jedoch stets in Veränderung begriffenen und „destabilisierten“ Struktur eine
Wirkung von Endlosigkeit erzeugt. Hier baut sich die
Rhythmusbearbeitung in einem Crescendo auf, wird im
Verlauf des Stücks von einem Mozmar (einem traditionellen Tanz), Chorgesängen, einem Rababa (einem traditionellen Saiteninstrument) und einer E-Gitarre
akzentuiert und verwandelt sich allmählich in eine fesselnde rhythmische Textur. „A Short Story Based on a
Distant Memory“ (2011) ist ein akribisch konstruiertes
Stück, das aus aufgenommenen Klängen brummender
Bratschen, Celli und eines Akkordeons besteht, denen
zusätzlich Live-Elektronik und bearbeitete Schlagzeugklänge unterlegt sind. Diese verschlungene, vielschichtige Klanglandschaft wird in ihrem weiteren Verlauf allmählich so manipuliert, dass sie zu einem ekstatisch
pulsierenden Trance-Mantra wird. In der neuen Komposition „Taraban“ (2012) verarbeitet Hassan Khan ein
altes ägyptisches Lied von Yusuf El Manialawy. Der Prozess der Neuinterpretation besteht hier darin, dass das
Lied von Instrumentalisten im Studio in seine Einzelteile
zerlegt wurde, bevor die Phrasen der einzelnen
Abschnitte neu gestaltet wurden. Das Ganze hat man
dann in den passenden Tonarten, Tongeschlechtern,
Metren, Tempi in repetitive Strukturen aufgenommen.
Dieses Ergebnis wurde dementsprechend in eine neuartige Komposition umgewandelt und umgestaltet, während – gleichzeitig – die Phrasen des Liedes zusammengesetzt und mit zwei Vokalisten aufgenommen wurden.
Das überraschende Resultat sticht hervor durch eine
geradezu geisterhafte Wirkung dieses zeitlosen Denkmals aus der ägyptischen Musik.
Bei MaerzMusik wird die Uraufführung von „Superstructure II“ zu erleben sein, eine neue Variante des Originals,
das darüberhinaus neue und nie präsentierte Werke
beinhaltet.
Hicham Chadly
Übersetzung: Eckhard Weber
Hassan Khan
Hassan Khan wurde 1975 geboren und lebt in Kairo. Er
studierte Englisch und Vergleichende Literaturwissenschaft an der American University in Kairo. Er arbeitet
im Bereich audiovisuelle Medien, produziert Videos und
Installationen wie auch Performances. Darüberhinaus
komponiert, spielt und produziert er Musik für Theater
und zeitgenössischen Tanz. In seinem Schaffen widmet
er sich insbesondere der Kultur und der Sprache des Alltags, so knüpft er musikalisch u.a. an die Shaabi-Musik
an und verbindet sie mit Elementen der New Wave
Bewegung. Kahn hatte Einzelausstellungen im Queens
Museum in New York (2011), in der Kunst Halle Sankt
Gallen (2010) und im Le Plateau in Paris (2007). Er
nahm an zahlreichen Gruppenausstellungen teil, wie
der Manifesta 8 (2010), Yokohama Triennale (2008),
Gwangju Biennale (2008) und Biennale of Sydney
(2006). Zu seinen Publikationen zählt „The Agreement“
(2011). Hassan Khan gibt zahlreiche Konzerte und ist
auf internationalen Bühnen präsent. Kürzlich war er zu
Gast im Louvre in Paris, bei Ghetto Istanbul, KW Berlin
und dem Teatro Nuova Foundamente in Venedig.
www.hassankhan.com
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